MOIN_01_2021_ePaper
0 22 ERINNERUNGENhen, das ich an dieser Stelle nicht näherbeschreiben muss. Die Augen meiner Mutter,als sie den drei Wochen alten Puddingaus dem Rucksack holte, muss ich auch nichtnäher beschreiben. Ganz nach dem Motto:Augen auf und Nase zu! So endete jedenfallsmeine erste Reise nach Wangeroogeund noch manchmal sind meine Gedankenbei meinem ersten Aufenthalt auf der Insel.»Pudding« auf der Düne, »Pudding imRucksack«. Erinnerungen, die man nichtvergessen kann.Angekommen wieder in meiner HeimatstadtBielefeld, kam das was kommen musste:ein Aufsatz, besser ein Erlebnisberichtgleich am ersten Schultag vom dreiwöchigenAufenthalt auf Wangerooge. Darin war alleszu lesen, aber kein Wort zum Thema Puddingim Rucksack, ein Stück Zeitgeschichte,das ich damals bewusst unterschlagen hatte,aber heute in meinem Erlebnisbericht unbedingterwähnen wollte.OHNE PUDDINGIn den folgenden Jahren gab es noch dreiweitere kurze Aufenthalte (1965, 1987 und2001) auf Wangerooge, stets ohne Puddingim Koffer oder Rucksack. Und für 2021 habeich dann meine fünfte Reise nach Wangeroogeeingeplant. Natürlich ohne Pudding,diesmal mit Frau und meinem achtjährigenEnkel, dem ich die Story mit dem Puddingim Rucksack und der Geschichte mitdem Café, dem ehemaligem Vorposten fürden Kriegshafen Wilhelmshaven, so die Geschichte,schon mehrfach erzählt habe. Allerdingssieht er mir beim Erzählen stets unglaubwürdigin die Augen. »Opa, das glaubeich dir nicht, du flunkerst«, sind so seineWorte. Die Sache mit dem Pudding nimmt ermir jedenfalls bis heute nicht ab.Ja, und wenn es demnächst wieder aufdie Insel geht, dann allerdings ohne Pudding.Den werden wir dann bestimmt im vielzitierten und inzwischen legendären Cafémit Kult-Charakter auf der Düne von Wangeroogegenießen.TEXT: HANS MILBERG + FOTOS: EVELYN GENUIT + PRIVATNEUES BUCHBekanntlich wurden in den 1950er und 1960er Jahren viele Kinderzur Erholung und zum »Aufpäppeln« in Heime geschickt.Auch ins Oldenburger Kinderheim auf Wangerooge. Dort erlebtensie Schreckliches. Nun können die Betroffenen auf eine späte Aufarbeitunghoffen: Seit 2009 befasst sich Autorin Anja Röhl mit traumatischenErlebnissen der Verschickungskinder, sammelte mehr als6000 Berichte Betroffener und gründete 2019 den Verein »Aufarbeitungund Erforschung Kinderverschickung«.»Das Elend der Verschickungskinder. Kindererholungsheime alsOrte der Gewalt« von Anja Röhl erscheint in diesem Januar im Psychosozial-Verlag(305 Seiten, Broschur) und kostet 29,90 Euro.Bei einem ersten Kongress auf Sylt mit 80 einstigen Verschickungskinderngründete sich die »Initiative Verschickungskinder«, die dieAufarbeitung in Angriff genommen hat. »Erste Träger haben mitEntschuldigungen reagiert«, berichtet Anja Röhl.Noch im Januar erscheint das erste Buch Röhls über die Verschickungsheime:»Das Elend der Verschickungskinder« will den Verschickungskinderneine Stimme geben und die Träger ehemaligerVerschickungsheime in die Verantwortung nehmen. Gezeigt wird,welches System hinter den Kinderkuren stand und woher die dortherrschende Gewalt kam.BESTELLUNG: VERTRIEB@PSYCHOSOZIAL-VERLAG.DE
Mehr als 70 JahreCafé PuddingCAFÉ PUDDINGBESTENS GEEIGNET FÜR FEIERN ALLER ARTZEDELIUSSTRASSE 49 · 26486 WANGEROOGETELEFON:04469-220DER KUCHENLADENKUCHEN, TORTEN, SNACKS & KAFFEE ALLER ARTINHABER: THORN FOLKERTS · TELEFON: 04469-942040WWW.CAFE-PUDDING.DE · CAFE.PUDDING@T-ONLINE.DE
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0 22 ERINNERUNGEN
hen, das ich an dieser Stelle nicht näher
beschreiben muss. Die Augen meiner Mutter,
als sie den drei Wochen alten Pudding
aus dem Rucksack holte, muss ich auch nicht
näher beschreiben. Ganz nach dem Motto:
Augen auf und Nase zu! So endete jedenfalls
meine erste Reise nach Wangerooge
und noch manchmal sind meine Gedanken
bei meinem ersten Aufenthalt auf der Insel.
»Pudding« auf der Düne, »Pudding im
Rucksack«. Erinnerungen, die man nicht
vergessen kann.
Angekommen wieder in meiner Heimatstadt
Bielefeld, kam das was kommen musste:
ein Aufsatz, besser ein Erlebnisbericht
gleich am ersten Schultag vom dreiwöchigen
Aufenthalt auf Wangerooge. Darin war alles
zu lesen, aber kein Wort zum Thema Pudding
im Rucksack, ein Stück Zeitgeschichte,
das ich damals bewusst unterschlagen hatte,
aber heute in meinem Erlebnisbericht unbedingt
erwähnen wollte.
OHNE PUDDING
In den folgenden Jahren gab es noch drei
weitere kurze Aufenthalte (1965, 1987 und
2001) auf Wangerooge, stets ohne Pudding
im Koffer oder Rucksack. Und für 2021 habe
ich dann meine fünfte Reise nach Wangerooge
eingeplant. Natürlich ohne Pudding,
diesmal mit Frau und meinem achtjährigen
Enkel, dem ich die Story mit dem Pudding
im Rucksack und der Geschichte mit
dem Café, dem ehemaligem Vorposten für
den Kriegshafen Wilhelmshaven, so die Geschichte,
schon mehrfach erzählt habe. Allerdings
sieht er mir beim Erzählen stets unglaubwürdig
in die Augen. »Opa, das glaube
ich dir nicht, du flunkerst«, sind so seine
Worte. Die Sache mit dem Pudding nimmt er
mir jedenfalls bis heute nicht ab.
Ja, und wenn es demnächst wieder auf
die Insel geht, dann allerdings ohne Pudding.
Den werden wir dann bestimmt im viel
zitierten und inzwischen legendären Café
mit Kult-Charakter auf der Düne von Wangerooge
genießen.
TEXT: HANS MILBERG + FOTOS: EVELYN GENUIT + PRIVAT
NEUES BUCH
Bekanntlich wurden in den 1950er und 1960er Jahren viele Kinder
zur Erholung und zum »Aufpäppeln« in Heime geschickt.
Auch ins Oldenburger Kinderheim auf Wangerooge. Dort erlebten
sie Schreckliches. Nun können die Betroffenen auf eine späte Aufarbeitung
hoffen: Seit 2009 befasst sich Autorin Anja Röhl mit traumatischen
Erlebnissen der Verschickungskinder, sammelte mehr als
6000 Berichte Betroffener und gründete 2019 den Verein »Aufarbeitung
und Erforschung Kinderverschickung«.
»Das Elend der Verschickungskinder. Kindererholungsheime als
Orte der Gewalt« von Anja Röhl erscheint in diesem Januar im Psychosozial-Verlag
(305 Seiten, Broschur) und kostet 29,90 Euro.
Bei einem ersten Kongress auf Sylt mit 80 einstigen Verschickungskindern
gründete sich die »Initiative Verschickungskinder«, die die
Aufarbeitung in Angriff genommen hat. »Erste Träger haben mit
Entschuldigungen reagiert«, berichtet Anja Röhl.
Noch im Januar erscheint das erste Buch Röhls über die Verschickungsheime:
»Das Elend der Verschickungskinder« will den Verschickungskindern
eine Stimme geben und die Träger ehemaliger
Verschickungsheime in die Verantwortung nehmen. Gezeigt wird,
welches System hinter den Kinderkuren stand und woher die dort
herrschende Gewalt kam.
BESTELLUNG: VERTRIEB@PSYCHOSOZIAL-VERLAG.DE