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Flensburg Journal - 225 Juni 2021

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1966 in Berlin der erste Selbstbedienungs-Shop.

Alsbald geriet jede Stadt mit mindestens 250.000

Einwohnern ins Visier. Gesucht wurde stets eine

gute Innenstadtlage abseits der großen Passanten-Ströme.

Zum Ausklang der 60er Jahre waren

bereits 14 Läden eingerichtet. Die Wortmissbildung

„Ehehygiene“ war aus dem Firmenkopf gestrichen.

Die Nummer zwei in Schleswig-Holstein fiel aus

dem üblichen „Beuteschema“. Auch Sylt, die „Insel

der Schönen und Reichen“, wurde mit einem

„Sex-Shop“ bedacht. Ende Juni 1968 suchte das

Erotik-Unternehmen eine „flotte Verkäuferin“

per Zeitungs-Annonce. Die Neueröffnung in der

Westerländer Strandstraße 31 entfachte einen

Ansturm. An der Ladentür musste mehrfach ein

Schild aufgehängt werden: „Wegen Überfüllung

geschlossen“. Inzwischen überwog in der Gesellschaft

die Neugier die Abneigung. Als 1969 „Beate

Uhse“ auch in Hannover ihre Zelte aufschlug,

waren alle Zeitungen der niedersächsischen Metropole

vor Ort. Ebenso Beate Rotermund. „Bei uns

wird nicht nur verkauft, sondern in allen Fragen

beraten“, erklärte sie.

Die „Chefin“ hatte in jener Dekade ein gutes

Händchen. Für 5000 D-Mark erwarb sie den „Carl

Stephenson Verlag“, der zum 8. März 1962 – mit

einem Eintrag ins Handelsregister – von Berlin

nach Flensburg verlegt wurde. Er wandelte sich

von einem kunstwissenschaftlichen Haus zu einer

Adresse für populärwissenschaftliche Sexualliteratur.

Die Erfolgsformel: Schnell produzierte

Bücher, die in jedem vierten Fall in Bestseller-Dimensionen

vorstießen.

„Beate Uhse“ wollte mit ihrem Verlag das Netzwerk

und das Renommee vergrößern, strebte

die Aufnahme in den „Börsenverein des deutschen

Buchhandels“ an. Die Verbandsfunktionäre

protestierten: „Wir wehren uns mit Zähnen und

Klauen dagegen, dass beim Versand von antikonzeptionellen

Mitteln und Reizwäsche ‚Mitglied

des deutschen Börsenvereins‘ auf dem Briefbogen

steht.“ Das Flensburger Unternehmen schaltete

das Kartellamt ein. Letztendlich glättete

ein Kompromissvorschlag des Börsenvereins die

Wogen. Beate Uhse zog ihren Aufnahmeantrag

zurück, durfte aber fortan im Börsenblatt annoncieren

und auf der Frankfurter Buchmesse einen

eigenen Stand belegen. Im Oktober 1965 erschien

Beate Rotermund persönlich. „Man darf heute

Dinge lesen, die man noch vor fünf Jahren als ordentlicher

Mensch nicht lesen durfte“, sagte sie.

Keine zwölf Monate zuvor war allerdings ein Buch

auf dem Index gelandet: „Die Memoiren der Fanny

Hill“. Das bereits 1749 vom Engländer John Cleland

geschriebene Werk über ein Freudenmädchen

hatte immer wieder Skandale entfacht. Im Frühjahr

1964 fluteten deutsche Übersetzungen den

Markt. „Durchaus anregend, allerdings scheint

mir der Stil ziemlich altbacken“, fand Beate Rotermund

und hätte den Erotik-Klassiker fast nicht

in ihr Sortiment aufgenommen. Dann gab es „Fanny

Hill“ aber doch in mehreren Variationen; ein

Münchener Verleger ließ sogar einen Einband in

Kunstseide anfertigen.

Nachdem der katholische „Volkswartbund“ Anzeige

erstattet hatte, verfügte das Münchner Amtsgericht

die Beschlagnahme aller Exemplare. In

der Begründung hieß es unter anderem: „Es kann

dem Schriftwerk nicht den Charakter des Grobunzüchtigen

nehmen, dass das Ganze in Kunstseide

gebunden ist.“ Kriminalbeamte rückten an mehreren

Stellen der Bundesrepublik aus – auch in

Flensburg. Sämtliche Geschäftsräume von „Beate

Uhse“ wurden durchsucht. Am Hauptsitz in

der Wilhelmstraße wehrte sich Beate Rotermund

zunächst dagegen, die Stahlschränke zu öffnen.

Im Polizeibericht hieß es später: „Zusammenstoß

mit der Chefin“. Letztendlich fanden sich nur acht

Fanny-Hill-Bücher. Die Unternehmerin wunderte

sich, dass die Beamten auch sechs Exemplare

„Deutsche Erotik des 19. Jahrhunderts“ mitgehen

ließen.

Kunst oder Schweinkram – unter dieser Fragestellung

lief der Prozess. In Flensburg wurde er wegen

Rechtsunklarheiten rasch wieder ausgesetzt.

Erst als in München das Hauptverfahren startete,

wurde gegen Beate Rotermund Anklage erhoben.

Der Bundesgerichtshof bewertete am 22. Juli

1969 „Die Memoiren der Fanny Hill“ als „erotische

Literatur“, die als Kunstwerk unter dem Schutz

des Grundgesetzes stehen würde. Das Gericht in

Flensburg stellte das Verfahren schließlich im Oktober

1969 ein, während sich Beate Rotermund

über ein gutes Geschäft freute. „Ist ein Buch erst

einmal verboten, wird es erst recht begehrt“,

stellte sie fest. „Die Rücknahme einer Indizierung

verspricht daher einen hohen Absatz.“

In den 60er Jahren kannte „Beate Uhse“ nur

das Wachstum. Die Zahl der Kunden stieg von

200.000 im Jahr 1957 auf drei Millionen eine Dekade

weiter. Der Umsatz erreichte 1967 20 Millionen

D-Mark und schoss in nur zwei weiteren

Jahren auf 35 Millionen D-Mark. Das größte Erotik-Unternehmen

in der Bundesrepublik musste

seinen Slogan immer wieder aktualisieren. „Alle

15 Sekunden wendet sich irgendjemand an Beate

Uhse“, hieß es 1965. Zwei Jahre weiter waren

es alle sechs Sekunden. Und 1969 verzeichnete

die Bundespost 45.000 Sendungen und rund 25

Prozent des gesamten Briefportos aus dem Flensburger

Raum für das Erotik-Unternehmen. Die

Schattenseite des Wachstums: Die „Chefin“ wusste

längst nicht mehr alle Namen ihrer inzwischen

rund 300 Mitarbeiter.

Die Firmen-Immobilien legten sich fast wie ein

Flicken-Teppich über die Fördestadt. In der Wilhelmstraße

1a, einem Backsteingebäude von der

Jahrhundertwende, residierten Produktionsleitung

und Verkaufsförderung. In den Margarethenhof

mussten bald Lager, Labor und Nähstube

ausgelagert werden. Auf dem Sandberg, in einer

verschachtelten Marmeladen-Fabrik, breitete sich

die Verwaltung aus. Kurzzeitig bildete auch Neumarkt

8 einen Teil eines Firmen-Geflechts und

beherbergte unter anderem eine kleine Druckerei.

Beate Rotermund bewegte sich zwischen den

Standorten in der Stadt. Immer wieder beschäftigte

sie sich mit dem Bau einer großen, neuen

Firmenzentrale. Doch die Komplexität ließ keinen

Schnellschuss zu. Die Wirtschaftsauskunftei „Creditreform“

berichtete bereits am 11. Juni 1955:

„Man spricht davon, dass Frau Uhse im Süden ein

Grundstück erworben haben soll.“ Nach anderen

Angaben soll sie erst 1956 oder 1958 rund 7000

Quadratmeter in der Boschstraße gekauft haben.

Die Unternehmerin selbst setzte sich für eine

Umbenennung in Gutenbergstraße ein, da eine

Druckerei als Keimzelle von letztendlich vier Bauabschnitten

angedacht war.

Zeitweise gab es allerdings auch andere Überlegungen.

1959 sicherte sich Beate Rotermund ein

Grundstück in Wees mit immerhin 7700 Quadratmetern.

Ein Bürohaus stand auf der Agenda.

Zwei Jahre später war die Entscheidung wohl für

Flensburgs Süden gefallen. Die Erotik-Firma legte

noch einmal nach und vergrößerte ihr Potenzial

Das „Fachgeschäft für Ehehygiene“ in Hamburg

Foto: FZH Hamburg

Es gab sogar ein eigenes Zimmer für die Beratung

Foto: FZH Hamburg

FLENSBURG JOURNAL • 06/2021

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