ZAS MAGAZIN, 302. Ausgabe, Juni 2021
Dicht, schlicht, Schicht!: Tatort-Schauspieler im heftigen Disput um eine Video-Aktion, die schwer nach „Querdenkern“ roch. Von Michael Zäh
Dicht, schlicht, Schicht!: Tatort-Schauspieler im heftigen Disput um eine Video-Aktion, die schwer nach „Querdenkern“ roch. Von Michael Zäh
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Hagendorff: Der Globalismus erlaubt natürlich
Strukturen, die in gewisser Weise undurchsichtig
werden. Aber es werden ja gezielt solche
Dinge der öffentlichen Wahrnehmung entzogen.
Es gibt in etlichen Ländern drakonische Strafen,
wenn man in Tierfabriken filmt. Die Intransparenz
wird also bewusst hergestellt.
Sie forschen auch über Ethik im Bereich Künstliche
Intelligenz sowie über Medienethik. Können
Sie ein Beispiel nennen, welche Fragen da so
aufkommen?
Hagendorff: Im öffentlichen Diskurs kennt man
die beispielhafte Fragen, welche Person das
autonome Auto überfahren soll, wenn kein Weg
daran vorbei führt oder ob Maschinen moralisch
sein können. Das sind aber eher weniger die
Fragen, mit denen wir uns in der Forschung
befassen. Wir beschäftigen uns beispielsweise
eher mit Problemen der algorithmischen Diskriminierung
oder Problemen der Verletzung der
Privatsphäre durch KI-Systeme.
Wie prägend ist unser Aufwachsen mit oder ohne
Tiere für die Entwicklung der Moral und unseres
ethischen Verhaltens?
Hagendorff: Es gibt Studien, die belegen, dass
Menschen, die mit Haustieren aufwachsen,
mehr Empathie besitzen. Aber wir haben alle
bestimmte moralische Intuitionen, die handlungsleitend
sind und unabhängig von unserer
Kultur, ja biologisch sind, beispielsweise im
Bereich des Gerechtigkeitsempfindens, des Altruismus
und des Empathieempfindens. Jedoch
können kulturelle Einflüsse diese moralischen
Intuitionen manipulieren oder unterdrücken,
was zu einem Verhalten führt,
das ungerecht, egoistisch und
unempathisch ist.
Dr. Thilo Hagendorff
Einsperren von Schweinen in körperengen
Käfigen, das Schreddern von Küken, das
betäubungslose Kastrieren von Ferkeln, das
Verstümmeln von Schnäbeln bei Legehennen
und Puten. Und darüber weitergehend gibt es
eine fundamentale ökologische Notwendigkeit,
unser Verhältnis zu Tieren zu überdenken. Das
ist aber ein Schritt, den die Politik nicht oder
zu spät realisieren wird. Der Klimawandel
wird durch die Tierindustrie weiter angeheizt,
Zoonosen entstehen und wir werden in ein
Zeitalter kommen, wo
keine Antibiotika mehr
Bild: privat
wirken werden. Das wird eine Zeit sein, wo
wir auch kaum noch sauberes Wasser finden
werden. Notwendig wäre eine schnelle und
massive Veränderung, pragmatisch gesehen
glaube ich aber nicht, dass das eintreten wird.
Erst recht nicht durch das politische System.
Wenngleich wir natürlich demnächst eine Art
Schicksalswahl haben, wo sich entscheidet, ob
wir so weitermachen wie bisher oder ob es zumindest
ein bisschen Hoffnung gibt auf kleine
Veränderungen.
Wenn man das so schonungslos sieht, muss
man da nicht verzweifeln? Was machen Sie, um
dieses Wissen auszuhalten?
Hagendorff: Erstmal hab ich mein Leben entsprechend
angepasst. Ich lebe seit über zehn
Jahren vegan, ich besitze kein Auto, ich fliege
nicht. Obwohl ich als Wissenschaftler herumreisen
muss, ich habe grünen Strom und ich konsumiere
extrem wenig. Dabei bin ich ein sehr
glücklicher Mensch. Ich habe überhaupt nicht
den Eindruck, dass ich auf etwas verzichten
muss. Im Gegenteil, es fühlt ich gut an, dass man
selbst gewissermaßen Lösungen verkörpert und
nicht Probleme. Das macht mich zu einem sehr
ausgeglichenen und zufriedenen Menschen.
Gleichzeitig bin ich pessimistisch und glaube,
dass es ein Fehler ist so zu tun, als sei es im Hinblick
auf die ökologische Krise kurz vor Zwölf,
als hätten wir noch eine bestimmte Anzahl
von Jahren Zeit. Ich glaube, dass es wichtig ist,
sich darauf einzustellen, dass sich unser Leben
verändern wird, dass wir minimalistischer werden
müssen, lernen müssen einfacher zu leben
und eine neue Art zu wirtschaften entwickeln
müssen. Das Leben wird schwieriger. Schöner
als jetzt wird es nicht .mehr (lacht).
Zu Beginn Ihres Buches beschreiben
Sie, wie durch Menschen
traumatisierte Elefanten
und Menschenaffen gewalttätig
und unsozial werden.
Lässt sich so auch Gewaltbereitschaft
unter Menschen
erklären?
Hagendorff: Ich führe diese
Beispiele an, um zu zeigen,
dass man intakte Sozialstrukturen
zerstören kann, was
entsprechend negative Auswirkungen
auf das Verhalten von Individuen
hat. Das ist in der Tierwelt nicht anders als bei
den Menschen. Da braucht es ein gewisses politisches
Korrektiv.
Wie soll das konkret aussehen?
Hagendorff: Zum Beispiel, in dem tierquälerische
Praktiken verboten werden, wie das
ZASMAGAZIN
THILO HAGENDORFF
Der Sozialwissenschaftler
und Ethiker Dr. Thilo Hagendorff
beschäftigt sich
seit vielen Jahren mit der
Rolle von Tieren in der
Gesellschaft und hat dabei
viele Tierschutzskandale
aufgedeckt. In seinem aktuellen
Buch „Was sich
am Fleisch entscheidet“
(Büchner-Verlag, 18 Euro) betrachtet er
die Fehlentwicklungen unseres Systems in
unterschiedlichen Bereichen: Ökologie, Gesundheit,
Ernährung, Politik. Anhand von
rund 650 wissenschaftlichen Studien zeigt
er, welche weitreichenden Auswirkungen
unter anderem die psychologischen Mechanismen
haben, die zur Akzeptanz und
Unterstützung von industriell organisierter
Gewalt gegenüber Tieren führen. Sie reichen
von sozialer Diskriminierung über massive
Umwelt- und Klimazerstörung bis hin zur
aktuellen Coronakrise.
Der Autor mehrerer Sachbücher und leidenschaftliche
Radrennfahrer arbeitet im
Exzellenz-Cluster „Machine Learning: New
Perspectives for Science“ sowie am Internationalen
Zentrum für Ethik in den Wissenschaften
an der Universität Tübingen.
Darüber hinaus ist er Lehrbeauftragter unter
anderem am Hasso-Plattner-Institut der
Universität Potsdam sowie Mitglied in verschiedenen
Arbeitsgruppen zur Erforschung
der Künstlichen Intelligenz.
Interview
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