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ZAS MAGAZIN, 302. Ausgabe, Juni 2021

Dicht, schlicht, Schicht!: Tatort-Schauspieler im heftigen Disput um eine Video-Aktion, die schwer nach „Querdenkern“ roch. Von Michael Zäh

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Am Tierwohl wird

sich unser Schicksal

entscheiden

Der Ethiker und Sozialwissenschaftler Dr. Thilo Hagendorff zeigt

in seinem aktuellen Buch, wie unser Verhältnis zu (Schlacht-)Tieren uns

moralisch verdirbt und letztlich auch unsere eigene Existenz bedroht.

Interview von Barbara Breitsprecher

Was sich am Fleisch entscheidet. Über die

politische Bedeutung von Tieren“ heißt

das aktuelle Buch des Sozialwissenschaftlers Dr.

Thilo Hagendorff, der an der Uni Tübingen über

Fragen der KI-Ethik forscht. Er ist überzeugt,

dass unser Verhältnis zu Tieren eine maßgebliche

Bedeutung für die ökologischen, sozialen und

politischen Fehlentwicklungen hat. Im Gespräch

beschreibt er, welche Folgen die industrielle

Tierhaltung konkret hat und warum wir Gewalt

gegen Tiere akzeptieren und unterstützen. Sein

Fazit: Eine von Frieden und gegenseitigem Respekt

geprägte Gesellschaft ist ohne Beendigung

der globalen Tierindustrie nicht denkbar.

In Ihrem Buch beschreiben Sie eine ganze Reihe

massiver Missstände in der industrialisierten

Tierhaltung und in unserem Verhältnis zu Tieren.

Würden Sie sich wünschen, alle Menschen

wären Veganer?

Dr. Thilo Hagendorff: Ich stehe natürlich für eine

gewisse politische Position ein. Aber da ist immer

dieser Vorwurf, dass ein paternalistisches

Bekehrungsgebaren ausgehe von Menschen,

die vegan leben. Davon distanziere ich mich.

Der Veganismus ist kein universelles Prinzip,

von dem ich sagen würde, dass sich die Welt

in diese Richtung transformieren sollte. Aber

zumindest in unseren Industriegesellschaften,

wo 99 Prozent der tierischen Produkte aus

einem industriellen System kommen, was

mit Tierquälerei einhergeht, da ist der vegane

Lebensstil eine angemessene Lösung. Nicht

nur für Tierschutzprobleme, sondern auch für

viele darüber hinausgehende Aspekte. Da kann

man direkt Corona nennen, das ja eine Infektionserkrankung

ist, die durch den Hunger auf

Fleisch entstanden ist und durch Tierhaltung

und -schlachtung provoziert wurde. Wenn wir

uns nur von Pflanzen ernähren würden, dann

gäbe es das nicht.

Was macht die industrielle Tierhaltung mit den

Menschen, wie verändert sie uns?

Hagendorff: Aus der empirischen Forschung

der Psychologie lässt sich feststellen, dass sich

psychologische Einstellungen, die gruppenbezogene

Menschenfeindlichkeit implizieren,

mit einem abwertenden Verhältnis zu Tieren

ihren Anfang nehmen. Bereits Kinder, die einen

sehr großen Unterschied zwischen Menschen

und Tieren sehen, machen auch große Unterschiede

zwischen verschiedenen Ethnien oder

Menschen verschiedener Hautfarbe. Und das

manifestiert sich dann im Erwachsenenalter.

Wieso macht es uns so wenig aus, Tiere so

industrialisiert und gewaltförmig zu halten?

Hagendorff: Wir akzeptieren die gewaltförmige

Tierhaltung, obwohl wir gewisse zivilisatorische

Standards errungen haben und den

Wert der Gewaltfreiheit sehr hoch hängen.

Wir akzeptieren, dass Milliarden von Tieren

systematisch getötet werden, auf extrem brutale

Art und Weise, was nicht nur unnötig

ist, sondern auch ökologisch schädlich und

für unsere Gesundheit nicht zuträglich ist.

Dadurch, dass wir das akzeptieren haben wir

auch Rechtfertigungsmechanismen. Wir verändern

etwa unsere Sprache. Wir bewerten

das Leben und Sterben bei Tieren anders als

bei Menschen. Tiere sterben nicht, sondern

sie verenden, es sind keine Leichen, sondern

Kadaver, es ist kein totes Schwein, sondern ein

Schnitzel, es ist keine Tierhaut, sondern Leder.

Wir streiten damit Verantwortung ab, benutzen

Mechanismen der Abwertung. Wir sehen Tiere

als primitive Lebewesen, die keine Emotionen,

keine Sprache haben.

Wäre es eine Lösung, wenn jeder Mensch,

der Fleisch essen will, wenigstens einmal in

seinem Leben bei einer Schlachtung beteiligt

sein müsste?

Hagendorff: Das wäre auf jeden Fall schon ein

gewisser Schritt gegen die Distanzierungsmechnismen.

In Deutschland werden 750

Millionen Landtiere jährlich zu Nahrungsmittelzwecken

getötet. Und die meisten Menschen

hatten noch nie wirklich Kontakt mit solchen

Tieren. Das nutzt die Tierindustrie auch ganz

bewusst, diese starke Exklusion, Verschleierung

und Intransparenz. Hinzu kommt, dass die

Schäden, die wir durch unseren Lebensstil auslösen,

die manifestieren sich nicht unmittelbar,

sondern oft an anderen Orten, zum Beispiel in

sogenannten Dritte-Welt-Ländern. Wir sind

den Wahrnehmungen, die wir brauchen würden,

um ethische Entscheidungen zu treffen,

systematisch entzogen.

Ist es realistisch, dass wir dieses entfremdete

Tierhaltungssystem bei der großen Zahl an

Menschen auf der Welt und unserer globalen

Wirtschaft ändern können?

4 Interview

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