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Kurier zum Sonntag 21/2021

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REPORTAGE 22.5.2021 |Nummer 21

DergrößteWunsch

ist etwas Normalität

RECKLINGHAUSEN. Einkauf,Mobilität, Kultur:Für viele Menschen mitSehbehinderungen istder Alltag eine

Herausforderung–und die Corona-Pandemiemachtvielesnoch schwerer.

VonNilsDietrich

Bernd Herrmann erkennt

man schon von

Weitem. Ein hochgewachsener

Mann mit

leicht angegrauten Haaren,

der einen Langstock bei sich

trägt. Wir haben uns am

Hauptbahnhof in Recklinghausen

verabredet, Herrmann

kommt gerade aus

Duisburg, wo er einen beruflichen

Termin hatte.

Nun schreitet er schnellen

Schrittes durch die Haupthalle.

Wir haben uns verabredet,

um zusammen zu

schauen –ja, das darf man

so sagen – wie Menschen

mit einer Sehbehinderung

in der Stadt zurechtkommen.

Gerade in diesen außergewöhnlichen

Zeiten, in

denen wir alle auf Abstand

gehen und Masken tragen.

Wir machen uns auf den

Weg in das nahe Einkaufszentrum.

Schon direkt vor

der Tür des Bahnhofs zeigt

sich, dass die Unachtsamkeit

Anderer mitunter das

größte Problem ist. Eine ältere

Dame mit Rollator

drängelt sich an der Ampel

vor, eine andere Frau läuft

telefonierend ganz dicht an

ihm vorbei. „Manche Leute

passen nicht auf und beschweren

sich hinterher,

wenn sie den Stock stolpern“,

berichtet Herrmann

kopfschüttelnd aus seiner

Erfahrung.

Manche Dinge hätten sich

durch Corona verschlechtert:

„Beim Thema Abstand

etwa, dahalten sich janicht

alle dran. Ungefragtes Angrapschen

können sich

manche trotz Corona nicht

abgewöhnen.“ Momentan

bleibe man dann mehr als

sonst zu Hause. Busfahrten

meidet er derzeit vollkommen,

auch kulturelle Angebote

könne ernoch weniger

als andere wahrnehmen.

Tanzkurse beispielsweise

würden derzeit online angeboten

–aber für Menschen

mit Sehbehinderungen ist

das keine Alternative. „Wie

soll mich der Trainer denn

da korrigieren?“, fragt Herrmann.

„Wir haben durch

die Corona-Pandemie einen

viel höheren Verlust anLe-

Wünscht sich einenungezwungenen Umgang: BerndHerrmann.

bensqualität als manch‘ andere.“

Wir gehen weiter, doch im

nächsten Moment läuft der

60-Jährige beinahe auf die

Straße. Die niedrigen Bordsteine

sind für gehbehinderte

Menschen ein Vorteil,

doch Herrmann muss mit

seinem Langstock den Rand

des Bürgersteiges ertasten.

Das geht natürlich nicht,

wenn dieser Rand kaum

oder überhaupt nicht vorhanden

ist. Auch die Elektromobilität

mit ihren fast

geräuschlosen Autos macht

den Straßenverkehr aus seiner

Sicht nicht ungefährlicher.

Jeder Einkauf ist eine

Herausforderung

„Barrierefreiheit ist häufig

ausschließlich an den Bedürfnissen

gehbehinderter

Menschen ausgerichtet“,

gibt Herrmann zu bedenken.

Anders als imBahnhof

gibt es auf den Bürgersteigen

ebenso wenig wie im

Einkaufszentrum Leitstreifen

im Boden, die die Orientierung

vereinfachen.

FOTO:NILSDIETRICH

Hier bekommt man

schnell einen Eindruck davon,

wie mühselig Einkäufe

für Menschen mit Sehbehinderung

sind. „Ich müsste

hier jeden Laden erfragen“,

sagt Herrmann. Das gilt

auch für den imKeller befindlichen

Supermarkt mit

seinen langen Regalschluchten.

Doch bevor Herrmann

hier ankommt, muss erein

anderes Problem lösen. Der

Einlass ist beschränkt, die

Leute knubbeln sich rund

um den Eingangsbereich.

Abstände werden kaum eingehalten.

Mittendrin steht

Herrmann, mit seinem

Langstock als Sehbehinderter

für jedermann erkennbar.

Doch niemand bietet

ihm Hilfe an, nicht die Umstehenden,

nicht der Mitarbeiter,

der den Einlass regelt.

„Hier hätte ich jetzt schon

das erste Problem“, echauffiert

sich Herrmann. „Wie

komme ich hier derzeit

rein? Normalerweise gehe

ich einfach ins Geschäft.

Brauche ich einen Einkaufswagen,

wird der Einlass in

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