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tennisnetMAGAZIN 2021 Deutschland

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auch, um ihr Repertoire in Sachen Kulinarisches<br />

zu erweitern. Mithilfe einer Koch-<br />

App experimentierte sie, die sonst eher<br />

strukturiert unterwegs ist, querbeet:<br />

Pfannengerichte, Aufläufe, Desserts –<br />

Thailändisches, Italienisches.<br />

ANGIE UND<br />

DAPHNE<br />

Eine gewinnende<br />

Verbindung<br />

in Melbourne<br />

2016.<br />

brechung an einem Ort gewesen – ein Umstand, der sie durchaus<br />

forderte, denn Tennisprofis sind es gewohnt, zu reisen. Stillstand<br />

in jeglicher Form liegt einfach nicht in den Athle tengenen. „Ich<br />

musste meinem Alltag zu Hause eine neue Struktur geben, mich<br />

erst orientieren“, so Kerber. „Am Anfang“, gab sie zu, „konnte<br />

ich nicht so richtig loslassen, mich nicht so recht lösen von den<br />

Gewohnheiten als Sportlerin.“<br />

Die innerliche Unruhe legte sich aber bald, weil Kerber<br />

allmählich realisierte, wie gut ihr die unfreiwillige Auszeit nach<br />

knapp zwei Jahrzehnten im Hamsterrad der Profitour mental und<br />

physisch bekam. Sie widmete sich immer wieder aufgeschobenen<br />

Dingen, die bei ihren kurzen Besuchen daheim<br />

wiederholt auf der Strecke geblieben waren.<br />

Kerber kaufte sich zum Beispiel kurzerhand ein<br />

neues Fahrrad und fuhr einfach drauflos. Die<br />

Gegend erkunden. Ganz ohne Plan. Ganz ohne<br />

Druck – ohne Zeitdruck, ohne Leistungsdruck.<br />

Und sie sammelte ihre Erfahrungen, ihre kleinen<br />

Glücksmomente auf dem Weg zur Entschleunigung:<br />

„Wenn man alles mit dem Rad abfährt,<br />

nimmt man die Umgebung plötzlich ganz anders wahr. Das war<br />

einfach schön zu sehen, das habe ich wirklich genossen“, meinte<br />

die 33-Jährige, die auch eine persönliche To-do-Liste abarbeitete.<br />

Darauf stand zum Beispiel: Kleiderschrank aufräumen. Und beim<br />

Wühlen in den Erinnerungen trat Überraschendes zutage. Sie<br />

fand ihr rot-türkises Outfit, das sie beim Gewinn der Australian<br />

Open 2016 in Melbourne getragen hatte. In der Rod Laver<br />

Arena hatte „Angie“ damals in ihrem ersten Grand-Slam-Finale<br />

überhaupt Ikone Serena Williams in drei Sätzen entzaubert. Es<br />

war der erste Major-Triumph einer Deutschen seit 1999 (Steffi<br />

Graf/French Open). Kerber nutzte die Pause vom Wettkampfsport<br />

Noch hat Kerber<br />

große Träume.<br />

EINE REALISTIN AUF DER ZIELGERADEN<br />

IHRER KARRIERE<br />

Der Cut mit all seinen schönen Seiten, aber<br />

auch den neuen Herausforderungen erwies<br />

sich für Kerber als Vorgeschmack auf ihr<br />

Leben nach der aktiven Karriere. Wann<br />

dieser neue Abschnitt konkret beginnen<br />

wird, das weiß der dreimalige Grand-<br />

Slam-Champion noch nicht. Noch hat Kerber<br />

große Träume. Bald steht Wimbledon an,<br />

dann in Tokio die Olympischen Spiele,<br />

die wegen der Pandemie diesmal so ganz<br />

anders werden als noch 2016. In Rio de<br />

Janeiro hatte die deutsche Nummer eins<br />

Silber gewonnen. Auf dem Flug von Brasilien<br />

in die USA zum nächsten Turnier hatte sie<br />

die Medaille ganz weit unten in ihrer Tasche verstaut, um sie ja<br />

nicht zu verlieren.<br />

Kerber ist aber auch Realistin genug, um zu wissen, dass sie<br />

längst auf die Zielgerade ihres Tennislebens eingebogen ist. Eine<br />

wie sie kann in den namhaften Arenen, auf den wichtigsten Center-<br />

Courts dieser Welt immer noch brillieren und ihre Duftmarke<br />

setzen – zu den Topfavoritinnen bei den Majors zählt sie derzeit<br />

allerdings nicht.<br />

Noch liegt der Fokus auf ihrem Job zwischen den Linien. Und<br />

doch hat die Zukunft irgendwie schon begonnen. Nach dem Ende<br />

ihrer Profikarriere wird Kerber bei den Bad Homburg Open als<br />

Turnierdirektorin fungieren. Das WTA-Rasenevent<br />

feiert in diesem Sommer (20. bis 26. Juni <strong>2021</strong>)<br />

seine Premiere im geschichtsträchtigen Kurpark<br />

der hessischen Stadt, in dem 1876 der erste Tennisplatz<br />

auf dem europäischen Festland errichtet<br />

worden war. Kerber ist zumindest diesmal noch<br />

als Spielerin und Turnierbotschafterin am Start.<br />

Die Bad Homburg Open sind für sie längst<br />

eine Herzensangelegenheit. Bei den Planungen<br />

hat sich die ehemalige Weltranglistenerste konkret eingebracht<br />

und unter anderem an einem Workshop des Organisationsteams<br />

teilgenommen. Eine kleine, feine, persönliche Atmosphäre soll<br />

die Veranstaltung auszeichnen. Kerber schwebt ein „Boutique-<br />

Turnier“ vor, wie sie es gerne nennt. Bad Homburg mit seinem<br />

idyllischen Kurpark sei dafür genau der richtige Ort, und der TC<br />

Bad Homburg genau der richtige Klub. Man finde dort „Tradition,<br />

Stil, Eleganz. Da passt alles zusammen“, betonte Kerber. Ein Mix<br />

mit Strahlkraft. Und es wird auf Rasen gespielt, jenem Belag,<br />

mit dem Kerber so vieles verbindet. Ganz nebenbei auch ein<br />

schmerzendes Handgelenk … ●

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