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auch, um ihr Repertoire in Sachen Kulinarisches<br />
zu erweitern. Mithilfe einer Koch-<br />
App experimentierte sie, die sonst eher<br />
strukturiert unterwegs ist, querbeet:<br />
Pfannengerichte, Aufläufe, Desserts –<br />
Thailändisches, Italienisches.<br />
ANGIE UND<br />
DAPHNE<br />
Eine gewinnende<br />
Verbindung<br />
in Melbourne<br />
2016.<br />
brechung an einem Ort gewesen – ein Umstand, der sie durchaus<br />
forderte, denn Tennisprofis sind es gewohnt, zu reisen. Stillstand<br />
in jeglicher Form liegt einfach nicht in den Athle tengenen. „Ich<br />
musste meinem Alltag zu Hause eine neue Struktur geben, mich<br />
erst orientieren“, so Kerber. „Am Anfang“, gab sie zu, „konnte<br />
ich nicht so richtig loslassen, mich nicht so recht lösen von den<br />
Gewohnheiten als Sportlerin.“<br />
Die innerliche Unruhe legte sich aber bald, weil Kerber<br />
allmählich realisierte, wie gut ihr die unfreiwillige Auszeit nach<br />
knapp zwei Jahrzehnten im Hamsterrad der Profitour mental und<br />
physisch bekam. Sie widmete sich immer wieder aufgeschobenen<br />
Dingen, die bei ihren kurzen Besuchen daheim<br />
wiederholt auf der Strecke geblieben waren.<br />
Kerber kaufte sich zum Beispiel kurzerhand ein<br />
neues Fahrrad und fuhr einfach drauflos. Die<br />
Gegend erkunden. Ganz ohne Plan. Ganz ohne<br />
Druck – ohne Zeitdruck, ohne Leistungsdruck.<br />
Und sie sammelte ihre Erfahrungen, ihre kleinen<br />
Glücksmomente auf dem Weg zur Entschleunigung:<br />
„Wenn man alles mit dem Rad abfährt,<br />
nimmt man die Umgebung plötzlich ganz anders wahr. Das war<br />
einfach schön zu sehen, das habe ich wirklich genossen“, meinte<br />
die 33-Jährige, die auch eine persönliche To-do-Liste abarbeitete.<br />
Darauf stand zum Beispiel: Kleiderschrank aufräumen. Und beim<br />
Wühlen in den Erinnerungen trat Überraschendes zutage. Sie<br />
fand ihr rot-türkises Outfit, das sie beim Gewinn der Australian<br />
Open 2016 in Melbourne getragen hatte. In der Rod Laver<br />
Arena hatte „Angie“ damals in ihrem ersten Grand-Slam-Finale<br />
überhaupt Ikone Serena Williams in drei Sätzen entzaubert. Es<br />
war der erste Major-Triumph einer Deutschen seit 1999 (Steffi<br />
Graf/French Open). Kerber nutzte die Pause vom Wettkampfsport<br />
Noch hat Kerber<br />
große Träume.<br />
EINE REALISTIN AUF DER ZIELGERADEN<br />
IHRER KARRIERE<br />
Der Cut mit all seinen schönen Seiten, aber<br />
auch den neuen Herausforderungen erwies<br />
sich für Kerber als Vorgeschmack auf ihr<br />
Leben nach der aktiven Karriere. Wann<br />
dieser neue Abschnitt konkret beginnen<br />
wird, das weiß der dreimalige Grand-<br />
Slam-Champion noch nicht. Noch hat Kerber<br />
große Träume. Bald steht Wimbledon an,<br />
dann in Tokio die Olympischen Spiele,<br />
die wegen der Pandemie diesmal so ganz<br />
anders werden als noch 2016. In Rio de<br />
Janeiro hatte die deutsche Nummer eins<br />
Silber gewonnen. Auf dem Flug von Brasilien<br />
in die USA zum nächsten Turnier hatte sie<br />
die Medaille ganz weit unten in ihrer Tasche verstaut, um sie ja<br />
nicht zu verlieren.<br />
Kerber ist aber auch Realistin genug, um zu wissen, dass sie<br />
längst auf die Zielgerade ihres Tennislebens eingebogen ist. Eine<br />
wie sie kann in den namhaften Arenen, auf den wichtigsten Center-<br />
Courts dieser Welt immer noch brillieren und ihre Duftmarke<br />
setzen – zu den Topfavoritinnen bei den Majors zählt sie derzeit<br />
allerdings nicht.<br />
Noch liegt der Fokus auf ihrem Job zwischen den Linien. Und<br />
doch hat die Zukunft irgendwie schon begonnen. Nach dem Ende<br />
ihrer Profikarriere wird Kerber bei den Bad Homburg Open als<br />
Turnierdirektorin fungieren. Das WTA-Rasenevent<br />
feiert in diesem Sommer (20. bis 26. Juni <strong>2021</strong>)<br />
seine Premiere im geschichtsträchtigen Kurpark<br />
der hessischen Stadt, in dem 1876 der erste Tennisplatz<br />
auf dem europäischen Festland errichtet<br />
worden war. Kerber ist zumindest diesmal noch<br />
als Spielerin und Turnierbotschafterin am Start.<br />
Die Bad Homburg Open sind für sie längst<br />
eine Herzensangelegenheit. Bei den Planungen<br />
hat sich die ehemalige Weltranglistenerste konkret eingebracht<br />
und unter anderem an einem Workshop des Organisationsteams<br />
teilgenommen. Eine kleine, feine, persönliche Atmosphäre soll<br />
die Veranstaltung auszeichnen. Kerber schwebt ein „Boutique-<br />
Turnier“ vor, wie sie es gerne nennt. Bad Homburg mit seinem<br />
idyllischen Kurpark sei dafür genau der richtige Ort, und der TC<br />
Bad Homburg genau der richtige Klub. Man finde dort „Tradition,<br />
Stil, Eleganz. Da passt alles zusammen“, betonte Kerber. Ein Mix<br />
mit Strahlkraft. Und es wird auf Rasen gespielt, jenem Belag,<br />
mit dem Kerber so vieles verbindet. Ganz nebenbei auch ein<br />
schmerzendes Handgelenk … ●