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086 STURM UND DRANG Boris Becker suchte immer den Weg nach vorne – auch nach seiner Karriere. Boris Becker Geburtstag: 22. November 1967 Größe: 191 cm Gewicht: 85 kg Coaches: Günther Bosch, Bob Brett, Günter Bresnik Bester Weltranglistenplatz: 1 Titel insgesamt: 49 Titel Majors: 6 (Australian Open 1991, 1996; Wimbledon 1985, 1986, 1989; US Open 1989) Markenzeichen: Becker-Hecht, Bum-Bum-Service, unbändiger Kampfgeist BECKERS MATCHBILANZ GEGEN DIE GROSSEN RIVALEN … vs. Stefan Edberg: 25:10 vs. John McEnroe: 8:2 vs. Mats Wilander: 7:3 vs. Pete Sampras: 7:12 vs. Andre Agassi: 4:10 vs. Ivan Lendl: 10:11 EIN HECHT auf dem heiligen Rasen? Aber ja! FRUCHTBARE ZUSAMMENARBEIT Becker hat Novak Djokovic in neue Höhen geführt.
087 Es ist ein Frühlingstag vor vielen Jahren, an dem man mit Boris Becker in seiner Münchner Firmenzentrale verabredet ist. Der Reporter sitzt erwartungsfroh im Intercity, als kurz hinter Nürnberg das Handy summt; ein Becker-Vertrauter ist etwas aufgeregt am Apparat: Becker sei kurzfristig etwas bei diesem Termin dazwischengeraten, ob man nicht umdisponieren und zum Flughafen kommen könne. Nun gut, dann eben ein Interview am Flughafen, denkt der Reporter und stimmt zu. Doch der Becker-Mann ist noch nicht ganz fertig mit seiner Last- Minute-Botschaft: Nein, am Flughafen sei das Ganze nicht wirklich geplant – Becker müsse unbedingt nach Mallorca, und wenn das Interview zustande kommen solle, müsse man eben möglichst mitfliegen. Und so geschieht es, dass der Reporter in der nächsten Stunde mit dunklem Anzug, Hemd und Krawatte in einem Privatjet Richtung Ferieninsel sitzt. Und am Nachmittag dieses Tages in der Stierkampfarena ein Tennismatch zusammen mit Becker anschaut und in der Hochglanz montur in gleißender Sonne brütet. „Alles gut?“, fragt Becker den Reporter damals in der Ehrenloge grinsend. Klar, alles gut, wenigstens im Nachhinein. Schließlich steht Becker irgendwann am Abend auch noch für das längste Interview überhaupt zur Verfügung – stundenlang gibt er Einblicke in seine Karriere, in sein Privatleben. Er spricht über Frau und Kinder, über den gerade erst verstorbenen Vater, über den schwierigen Start ins Wirtschaftsleben als Chef der Firma Becker und Co. Kurz vor Mitternacht – der Reporter schleppt sich im hoffnungslos verschwitzten Business-Dress ins Hotel – kommt ihm unwillkürlich ein Satz Beckers in den Sinn. Ein Satz, der wie kein zweiter für Beckers Leben und Laufbahn steht, für den Umgang mit der Welt um ihn herum, für diesen Tag zwischen München und Mallorca natürlich auch. Dieser Satz lautet: „Bei mir weiß man nie, was kommt.“ Dieser Satz war an jenem Tag und darüber hinaus keineswegs einfach leichthin dahergesagt. Er hatte immer einen ganz harten inhaltlichen Kern. Denn wann immer man mit Becker sprach in mehr als 30 Jahren der journalistischen Begleitung, dann ging es sehr oft um Beckers Verwandlungen, die Brüche in seinem Leben. Um einen Becker, der auf der Flucht war; auf der Flucht, festgelegt oder vereinnahmt zu werden. Becker war ja auch nie nur ein einziger Becker, sondern ganz viele Beckers. Er war im Übrigen auch derjenige, der sich gegen die allzu innige öffentliche Umarmung auflehnte. Und der sich später übers Kreuz legte mit <strong>Deutschland</strong>, mit allen, die meinten, ihm jeden Tag Ratschläge geben zu müssen – ob es nun zunächst um seine Karriere ging oder später um Geschäfte oder Familien angelegenheiten. „Ich bin niemandem etwas schuldig. Ich lebe mein Leben, wie es mir gefällt“, sagte Bei Boris Becker weiß man nie, was kommt. Becker. Und fügte hinzu: „In <strong>Deutschland</strong> glauben viele immer noch, dass ich der 17-jährige Bursche bin, der Wimbledon gewonnen hat.“ IN EIN ANDERES UNIVERSUM GESCHLEUDERT Fast alles, was in seinem Leben passierte, hatte indes mit Wimbledon zu tun. Mit diesem 7. Juli 1985, an dem er den Matchball gegen den Südafrikaner Kevin Curren verwandelte und zum (bis heute) jüngsten Turniersieger in der Geschichte wurde. Von einer Sekunde zur anderen sei er „in ein anderes Universum geschleudert worden“, sagt Becker. „Ich wollte natürlich immer ein großer Sieger sein. Aber was es bedeutet, Wimbledon- EIN LEGITIMER NACHFOLGER? Das Verhältnis zwischen Alexander Zverev und Boris Becker ist herausragend gut. sieger zu sein, wusste ich nicht.“ Es begann dann ein Leben ohne Beispiel, ein Leben, das vor allem auch davon geprägt war, dass Becker gegen den Strom schwamm. Gegen die Erwartungen. Gegen die deutsche Wunschvorstellung, wie er als Idol sein sollte. Noch immer klingt diese Wut durch – als Becker etwa rund um seinen 50. Geburtstag losdonnerte: „Ich war nie euer Boris. Und ich bin nicht euer Boris!“ Das Verrückte an Becker ist auch dies: In all den Aufgeregtheiten, in all dem Wirbel und allen Wirren seines Lebens ist er sich doch auch treu geblieben – als jemand, der sich nicht greifen lässt und sich auch nicht greifen lassen will. So war es ja tatsächlich auch in aller Regelmäßigkeit in den Jahren, in denen er über die Kontinente und durch die Zeitzonen jettete. Und es war eben jene buchstäbliche Unfassbarkeit, die seine Magie ausmachte: das Schwanken zwischen den Extremen, manchmal in einem Spiel, manchmal über ganze Jahre. Becker konnte Spiele drehen, die verloren schienen, und Spiele verlieren, die er eigentlich schon gewonnen hatte. Er fesselte die ganze Nation vor dem Fernseher, war ein Phänomen; in seiner Zeit einer der mitreißendsten Tennisspieler und bewegendsten Einzelsportler überhaupt. Er war größer als sein Sport. Wie blickt er heute auf diese Zeit zurück? „Es war ein Leben ständig am Limit. Ein verrücktes Leben. Ich hatte mit 20 schon mehr erlebt als andere mit 100 Jahren“, sagt Becker. Es war allerdings auch so, dass Becker nicht leben konnte ohne die Strahlen des Scheinwerferlichts. Mit dem, was er selbst „Öffentlichkeit“ nannte, verband ihn immer eine Hassliebe. Er genoss seine Bekanntheit, seine Popularität, und er verfluchte sie im nächsten Moment. Und daran hat sich auch nicht viel ge ändert in all den Jahren bis jetzt – an Becker und am Thema Becker war nie ein Mangel.
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