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058<br />
Neue<br />
deutsche<br />
Tenniswelle<br />
JÖRG ALLMEROTH begleitet<br />
den Tenniszirkus seit den<br />
1980er-Jahren und gilt als<br />
einer der führenden deutschsprachigen<br />
Tennisjournalisten.<br />
Es war im Spätsommer 2019, als Barbara Rittner am Rande der US Open eine vage<br />
Hoffnung für das deutsche Damentennis aussprach: „Ich wünsche mir einfach, dass unsere<br />
älteren Spielerinnen noch ein paar Jahre dranbleiben.“ An jenem Tag in New York hatte Rittner<br />
allerdings auch über das „zu alte“ Damentennis in der Spitze des DTB geredet. Zudem monierte<br />
sie, dass viele aus den jüngeren Generationen den nötigen Biss und etwas Abenteuerlust<br />
vermissen ließen: Wenn man in die Weltspitze kommen wolle, dürfe man sich eben nicht von Mami und Papi<br />
überall hinkutschieren und schützen lassen, lautete das Verdikt der Abteilungschefin des Verbands.<br />
Knapp zwei Jahre später lohnt dieser kleine Rückblick, weil er nicht alles, aber doch vieles von dem vorweggenommen<br />
hat, was nun Stand der Dinge ist. Hinter den verdienten Kräften wie Angelique Kerber, Andrea<br />
Petkovic oder auch Laura Siegemund klafft eine größere Leistungslücke denn je, in der Altersgruppe zwischen 20<br />
und 30 hat der DTB gegenwärtig keine Spielerin mehr von Relevanz und Perspektive. Manche Karriere ist bereits<br />
zu Ende gegangen – aus Einsicht, dass es nicht reicht für den harten Auslesekampf in der globalen Spitze, oder<br />
wegen anderer beruflicher Aussichten. Gleichzeitig läuft der Aktionszyklus der goldenen Generation langsam<br />
aus: Julia Görges hat dem Sport bereits inmitten der Coronazeit Lebwohl gesagt, andere werden früher (Andrea<br />
Petkovic) oder etwas später (Angelique Kerber) folgen.<br />
Kerber und Co haben das deutsche Damentennis wieder auf die Landkarte<br />
gebracht, ins Bewusstsein gerückt; national wie international. Gerade Kerber<br />
Angelique<br />
Kerber<br />
mit ihren drei Grand-Slam-Siegen, dem Sprung auf Platz eins der<br />
Weltrangliste und dem Gewinn der olympischen Silbermedaille<br />
2016 strahlte wie ein Leuchtturm auch im größeren deutschen<br />
Sportgeschehen heraus, zweimal kürte man sie auch zur Sportlerin<br />
des Jahres. Was ihr und ihren Mitstreiterinnen versagt blieb,<br />
war der kollektive Erfolg – im Fed Cup gab es mit den Tschechinnen<br />
stets eine noch etwas stärkere Equipe.<br />
Bedauerlich ist auch, dass die Laufbahn von<br />
Sabine Lisicki nach dem Einzug ins<br />
Wimbledon-Finale 2013 nie mehr richtig<br />
Kerber und Co<br />
haben das deutsche<br />
Damentennis wieder<br />
auf die Landkarte<br />
gebracht.<br />
Fahrt aufnahm. Aber bald wird man womöglich schon froh sein<br />
müssen, wenn deutsche Spielerinnen in der zweiten Woche eines Grand-<br />
Slam-Turniers auftauchen. Schade ist das auch in einem Moment, da<br />
die deutsche Turnierlandschaft bei den Frauen plötzlich bunter und<br />
vielfältiger geworden ist. Um diese Wettbewerbe langfristig zu<br />
etablieren, braucht es nationale Identifikationsfiguren – bei allem<br />
Interesse an Stars aus anderen Ländern und Kontinenten. Aber das Warten<br />
auf die neue deutsche Tenniswelle kann noch dauern.<br />
FOTOS: GLYN KIRK/AFP/GETTY IMAGES, BEIGESTELLT