altlandkreis - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel - Ausgabe Mai/Juni 2021
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Die Bedeutung hiesiger Steinkreuze<br />
Schuld, Sühne<br />
und Aberglaube<br />
Weilheim-Schongau | Aufmerksame<br />
Wanderer und Radelfahrer<br />
können bei Ausflügen immer<br />
wieder auf stumme Zeugen am<br />
Wegesrand treffen, die von alten<br />
Zeiten berichten wür<strong>den</strong>, wenn<br />
sie <strong>den</strong>n sprechen könnten: Steinkreuze.<br />
Ihre Geschichte reicht weit<br />
zurück, bis ins 13. Jahrhundert – es<br />
gibt die urkundliche Erwähnung<br />
eines Wegekreuzes aus dem Jahre<br />
1281. Doch welche Bedeutung<br />
haben diese Kreuze, die in der<br />
Regel aus Sand- oder Tuffstein<br />
bestehen und sich in unterschiedlichsten<br />
Stadien der Verwitterung<br />
befin<strong>den</strong>? Diese Frage stellte sich<br />
auch Jürgen Janku, als er vor rund<br />
30 Jahren auf diese rätselhaften<br />
Objekte stieß. „Ich bin damals<br />
im Wald über ein solches Kreuz<br />
gestolpert. Als ich merkte, dass<br />
mir niemand eine befriedigende<br />
Antwort über seine Bedeutung<br />
geben konnte, habe ich begonnen<br />
zu recherchieren.“ In <strong>den</strong><br />
62 | <strong>altlandkreis</strong> 62 | <strong>altlandkreis</strong><br />
vorhan<strong>den</strong>en Denkmalschutzlisten<br />
fand er seinerzeit gerade mal<br />
dreizehn Kreuze aufgelistet. Der<br />
Stu<strong>den</strong>t Jürgen Janku trampte in<br />
die Staatsbibliothek München<br />
und vertiefte sich in die Literatur<br />
des 18. und 19. Jahrhunderts. „In<br />
<strong>den</strong> 1980er Jahren gab es keine<br />
Archive im Computer. Ich habe<br />
unter einem Vorwand angefangen,<br />
in der Bibliothek zu wühlen,<br />
und habe zum Schluss um die 130<br />
Kreuze geortet. Im Laufe der Jahre<br />
habe ich versucht, diese Kreuze<br />
auch zu fin<strong>den</strong>, was gar nicht<br />
so einfach ist, <strong>den</strong>n die Angaben<br />
sind vage.“ Heute ist der 53-jährige<br />
Chef einer Digital-Agentur<br />
am Staffelsee und betreut große<br />
„Player“ in Sport, Wirtschaft und<br />
Industrie. Doch darüber mag der<br />
beschei<strong>den</strong>e Mann ebenso wenig<br />
re<strong>den</strong> wie über das Bundesverdienstkreuz,<br />
das ihm 2016 verliehen<br />
wurde. Auskunftsfreudig wird<br />
er erst, wenn es um Steinkreuze<br />
geht. Er hat sogar ein Buch über<br />
seine Forschungen geschrieben,<br />
allerdings findet er nicht die Zeit,<br />
<strong>den</strong> letzten Schliff anzulegen, um<br />
es zu veröffentlichen. Doch zurück<br />
zu <strong>den</strong> Anfängen dieser Geschichte:<br />
Nach und nach fand er Zugang<br />
zu recht verschwiegenen Bauern<br />
in seinem Forschungsgebiet, entlockte<br />
ihnen konkretere Informationen<br />
über Standorte von Steinkreuzen.<br />
So lernte Jürgen Janku,<br />
dass die Konzentration der Kreuze<br />
in unmittelbarer Nähe von Klöstern<br />
zunimmt. Bei Dießen, beziehungsweise<br />
Raisting, sind es fast<br />
ein Dutzend. In der Gegend um<br />
Polling nicht weniger. Natürlich<br />
spielt es auch immer eine Rolle,<br />
welche Bedeutung der Denkmalschutz<br />
<strong>den</strong> Kreuzen beigemessen<br />
hat. Mancherorts, so Janku, existiere<br />
dieser nur auf dem Papier.<br />
Ideelle und materielle<br />
Betrachtung<br />
Die Forschung unterscheidet zwischen<br />
einer ideellen und materiellen<br />
Betrachtung von Steinkreuzen.<br />
Ideell gesehen nahmen Steinkreuze<br />
eine geistliche Funktion wahr.<br />
Materiell stehen sie <strong>für</strong> eine weltliche<br />
Deutung. Konkrete Beispiele:<br />
Jürgen Janku forscht seit vielen<br />
Jahren rund um Steinkreuze.<br />
Aufgestellt wur<strong>den</strong> sie häufig als<br />
Sühnekreuze von Tätern, die einen<br />
Totschlag begangen haben,<br />
und sich so einen Teil der Buße<br />
erhofften. Heißt: Bei Steinkreuzen<br />
ging es nicht nur um „die Seele<br />
der Opfer“, sondern auch um die<br />
der Täter.<br />
Pestkreuz als<br />
Abhol-Ort <strong>für</strong> Mehl<br />
Totschlag galt früher als „ehrliches<br />
Verbrechen“, wurde nicht von der<br />
Gerichtsbarkeit verfolgt. Um nun<br />
eine sogenannte Blutfehde zwischen<br />
zwei Sippen zu vermei<strong>den</strong>,<br />
griff man auf das letzte Relikt<br />
altgermanischer Rechtsprechung<br />
zurück: Ein Sühnevertrag musste<br />
geschlossen wer<strong>den</strong>, der gewährleistete,<br />
dass sich der Staat nicht<br />
einmischte, und die Sippen sich<br />
nicht gegenseitig auslöschten. Als<br />
Beispiel führt Jürgen Janku eine<br />
Geschichte aus 1482 an: Der Pfarrer<br />
Johann Iglinger von Stötten am<br />
Auerberg wurde von <strong>den</strong> Brüdern<br />
Erhart und Jörg Mayrendres aus<br />
unbekannten Grün<strong>den</strong> erschlagen.<br />
Zum Glück stimmte der Vater<br />
des Opfers einem Sühnevergleich