altlandkreis - Das Magazin für den westlichen Pfaffenwinkel - Ausgabe Mai/Juni 2021
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zerkreise des Landkreises Weilheim-Schongau.<br />
Wie kam’s dazu?<br />
Wir hatten im Landkreis Weilheim-<br />
Schongau bis 2013 über Jahrzehnte<br />
hinweg nur eine Asylbewerberunterkunft<br />
mit etwa 40 Plätzen in<br />
Schongau. Ich war damals noch<br />
Pfarrer in Weilheim, als die ersten<br />
Flüchtlinge der jüngsten Bewegung<br />
zu uns kamen. Ein Kollege<br />
aus München rief mich an und<br />
hat mich darum gebeten, mich<br />
um eine syrische Christin mit ihrer<br />
Tochter zu kümmern, die nach<br />
Weilheim komme. <strong>Das</strong> waren die<br />
ersten. Schnell entstand ein Unterstützerkreis,<br />
der sich um meine<br />
Frau Annette, Gudrun Grill<br />
und mich versammelte. Daraufhin<br />
wurde ich immer wieder von<br />
verschie<strong>den</strong>en Seiten gebeten, zu<br />
unterstützen, was ich gerne tat. Ich<br />
wollte von Anfang an landkreisweite<br />
Strukturen schaffen, was<br />
uns mit ‚Asyl im Oberland‘ gelang.<br />
Ende 2013 waren es 180 Asylbewerber,<br />
verteilt auf sechs, sieben<br />
Kommunen. Was mich dabei von<br />
Beginn an total überrascht hat…<br />
<strong>Das</strong> wäre?<br />
In jeder Kommune, von Ingenried<br />
bis Penzberg, kamen weit mehr<br />
Ehrenamtliche zusammen, die<br />
bereit waren, zu unterstützen, als<br />
gedacht. Wir hatten anfangs oft<br />
mehr Unterstützer als Asylsuchende,<br />
arbeiteten über die Gemeindegrenzen<br />
hinweg gut zusammen.<br />
Als zwei Jahre später, 2015 / 2016,<br />
so viele Geflüchtete unserem<br />
Landkreis zugeteilt wur<strong>den</strong>, waren<br />
wir von <strong>den</strong> Helferkreisen bereits<br />
gut strukturiert und informiert. Zu<br />
Spitzenzeiten hatten wir 900 Ehrenamtliche<br />
in 28 Unterstützerkreisen<br />
<strong>für</strong> knapp 2 000 Geflüchtete.<br />
Mit Ihnen als Kopf, jedoch neben<br />
Ihrer Tätigkeit als Pfarrer?<br />
Wir waren immer ein tolles Team,<br />
aber klar, viele Fä<strong>den</strong> liefen bei<br />
mir zusammen. Irgendwann war<br />
der Punkt erreicht, wo wir das auf<br />
ehrenamtlicher Basis nicht mehr<br />
geschafft haben. Wir haben uns<br />
<strong>für</strong> eine hauptamtliche Stelle eingesetzt.<br />
Die letztlich Sie persönlich eingenommen<br />
haben?<br />
<strong>Das</strong> war so nicht geplant. 2016<br />
waren Caritas, Herzogsägmühle,<br />
Diakonie Oberland und der Landkreis<br />
soweit, Geld <strong>für</strong> die Betreuung<br />
von Ehrenamtlichen in der<br />
Flüchtlingshilfe zur Verfügung zu<br />
stellen. Meine Idee: Dieses Geld<br />
bündeln, um damit eine eigene<br />
Koordinierungsstelle schaffen zu<br />
können. Hier herrschte schnell<br />
Einigkeit. Der Streitpunkt war<br />
nur, bei wem die Person letztendlich<br />
angesiedelt wer<strong>den</strong> sollte.<br />
Jemand aus dem Landratsamt<br />
fragte: „Herr Herrmann, wollen<br />
nicht Sie das machen?“ Daraufhin<br />
wurde ich von meinem Dienst als<br />
Gemeindepfarrer freigestellt, bin<br />
mit meiner Familie aus dem Weilheimer<br />
Pfarrhaus ausgezogen und<br />
arbeitete dann <strong>für</strong> zwei Jahre als<br />
hauptamtlicher Ehrenamtskoordinator<br />
<strong>für</strong> Asylunterstützerkreise<br />
im Landkreis Weilheim-Schongau,<br />
gemeinsam mit Susanne Seeling,<br />
die diese Stelle noch immer inne<br />
hat.<br />
Ihre Aufgabe in dieser Funktion?<br />
Bildung, Vernetzung und Konfliktmanagement:<br />
Zwischen Asylsuchen<strong>den</strong><br />
und Unterkünften,<br />
zwischen Asylsuchen<strong>den</strong> und<br />
Nachbarn, zwischen Ehrenamtlichen<br />
und Landratsamt, zwischen<br />
Landratsamt und Asylsuchen<strong>den</strong>,<br />
zwischen Bürgermeistern und Ehrenamtlichen,<br />
zwischen Ehrenamtlichen<br />
untereinander… In dieser<br />
Zeit habe ich <strong>den</strong> Landkreis richtig<br />
gut kennengelernt, war ständig<br />
draußen vor Ort und habe versucht,<br />
Lösungen zu fin<strong>den</strong> und zu<br />
schlichten.<br />
Mit Erfolg. Sie haben <strong>für</strong> Ihr herausragendes<br />
Engagement in der<br />
Flüchtlingshilfe sogar die silberne<br />
Ehrennadel verliehen bekommen.<br />
Die Auszeichnung sehe ich als<br />
Wertschätzung einer gemeinsamen<br />
Arbeit. Wir haben es mit<br />
Landratsamt, Wohlfahrtsverbän<strong>den</strong>,<br />
Schulen, Jobcenter, Arbeitgebern,<br />
Gesundheitsamt, Bildungswerk,<br />
Ärzten, Geflüchteten und<br />
vielen anderen recht gut hinbekommen.<br />
Bis heute gibt es kaum<br />
offenen Rassismus oder Übergriffe.<br />
Auf der anderen Seite haben<br />
wir <strong>den</strong> Geflüchteten auch vermittelt,<br />
was in Deutschland einen großen<br />
Wert hat: Gleichberechtigung,<br />
Religionsfreiheit, Gewaltlosigkeit,<br />
Meinungsfreiheit, Achtung der<br />
Würde von Anders<strong>den</strong>ken<strong>den</strong>.<br />
Dennoch mussten Sie nach zwei<br />
Jahren zurück in <strong>den</strong> Beruf des<br />
Pfarrers. Ein schwerer Schritt?<br />
Der Abschied nach diesen zwei<br />
Jahren ist mir in der Tat schwer<br />
gefallen, aber im Herzen bin ich<br />
Gemeindepfarrer.<br />
mai / juni <strong>2021</strong> | 11