BRU152 SP_09_RZ_Innenteil_070920.indd - Brunel GmbH
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Das Magazin für Technik und Management<br />
AUSGABE <strong>09</strong> || Oktober 2007<br />
Arzu Dreier<br />
und der A400M >><br />
Ingenieurinnen auf<br />
der Überholspur<br />
Frauen überzeugen in<br />
technischen Berufen<br />
Im Windschatten<br />
der Formel 1<br />
Die Formular Student begeistert<br />
Nachwuchsingenieure<br />
Was wir sehen,<br />
wenn wir schauen<br />
art <strong>Brunel</strong>:<br />
Künstler des Jahres 2007
„UNSERE <strong>SP</strong>EZIALISTIN“<br />
A<strong>RZ</strong>U DREIER<br />
Wie aus einer Vision ein Plan,<br />
dann ein Modell und schließlich<br />
ein voll funktionsfähiges Flugzeug<br />
wird, das fasziniert die<br />
Dipl.-Ing. Arzu Dreier. Sie ist als<br />
Projektmanagerin bei Airbus und<br />
im Testing einzelner Gerätekomponenten<br />
der Gesamtmaschine<br />
hautnah dabei und erlebt, wie aus<br />
kleinsten Einzelteilen im europäischen<br />
Verbund der Airbus A400M<br />
entsteht. Bei der Projektarbeit<br />
im multinationalen Konzern<br />
kommt Arzu Dreier zugute, dass<br />
sie fünf Sprachen beherrscht.<br />
„Das Größte ist es aber, mitzuerleben,<br />
wie die Maschine zum ersten<br />
Mal tatsächlich abhebt“, sagt die<br />
33-Jährige, die seit 2005 bei <strong>Brunel</strong><br />
beschäftigt ist. Mehr über Arzu<br />
Dreier und ihre Karriere bei <strong>Brunel</strong><br />
lesen Sie auf den Seiten 28 bis 31<br />
in dieser Ausgabe.
editorial<br />
AUSGABE <strong>09</strong> || Oktober 2007<br />
DER <strong>SP</strong>EZIAL IST<br />
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,<br />
die deutsche Wirtschaft hat viele Herausforderungen zu bewältigen. Klagten<br />
Deutschlands Unternehmer vor einiger Zeit noch über die lahmende Kon-<br />
junktur, sind es mittlerweile die hoch qualifizierten Ingenieure, die in vielen<br />
technischen Branchen spürbar fehlen. Dieser Mangel droht vielerorts zum<br />
Bremsklotz für das rasante Wirtschaftswachstum zu werden. Erste Auswir-<br />
kungen zeigen sich auch bei <strong>Brunel</strong>. Wir konnten unsere Mitarbeiterzahl in<br />
den vergangenen zwei Jahren zwar von 1.000 auf 2.000 verdoppeln, haben<br />
jedoch seit Monaten kontinuierlich über 1.000 offene Stellen. Zu lange haben<br />
wir in Deutschland die Augen verschlossen. Denn woran es eigentlich man-<br />
gelt, ist – neben dem allgemeinen Interesse am Ingenieurberuf – ein gesun-<br />
der Anteil an Frauen. Mit lediglich zehn Prozent bildet Deutschland das trau-<br />
rige Schlusslicht im europäischen Vergleich.<br />
Aber das Blatt beginnt sich langsam zu wenden. Wo die Ursachen begrün-<br />
det liegen und was für eine positive Trendwende getan werden muss, darü-<br />
ber sprachen wir mit Claudia Rasche, die beim VDI den Schwerpunkt Frauen<br />
in der Abteilung Beruf und Gesellschaft betreut. Denn interessanterweise,<br />
berichtet Claudia Rasche, sind die Studienabschlüsse der Frauen oftmals<br />
viel besser als die der männlichen Kollegen. Also warum noch so zögerlich,<br />
frage ich mich! Um die positiven Anreize für die Wahl eines ingenieurwis-<br />
senschaftlichen Berufes zu verstärken, haben wir einen Anfang gemacht<br />
und Ingenieurinnen zu ihrem Standpunkt und ihren Erfahrungen befragt. Es<br />
zeigte sich, dass sie ganz verwundert waren über die plötzliche Fokussierung<br />
auf sie als Frauen in ihrem Berufsstand. Egal ob Frau oder Mann, so wurde<br />
gleich zu Anfang klargestellt, entscheidend ist letztlich die fachliche Kompe-<br />
tenz.<br />
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viele weitere interessante Einblicke<br />
in unsere neunte Ausgabe von „Der Spezialist“, in der diesmal die Frauen das<br />
Sagen haben.<br />
Mit herzlichen Grüßen<br />
General Manager<br />
<strong>Brunel</strong> <strong>GmbH</strong><br />
der Spezialist<br />
03
kurz notiert<br />
Ingenieurinnen in Europa<br />
Der Anteil von Frauen in Ingenieurberufen schwankt in den verschiedenen Ländern der<br />
Europäischen Union zwischen nur 20 Prozent in England und stolzen 55,5 Prozent in Litauen.<br />
Deutschland liegt mit mageren 21,8 Prozent auf Platz 17 in der Eurostat-Statistik.<br />
INFO<br />
In Deutschland gibt es<br />
zwar EU-weit mit 1.973.8<strong>09</strong><br />
Männern und Frauen<br />
die in absoluten Zahlen<br />
meisten Ingenieure.<br />
Der Frauenanteil ist<br />
jedoch im Vergleich zu den<br />
osteuropäischen Neumitgliedern<br />
(Lettland 51,4 %,<br />
Litauen 55,5 %) gering.<br />
Eurostat erhebt die Zahl<br />
der Ingenieure nicht jährlich,<br />
die jüngsten Angaben<br />
stammen aus dem Jahr<br />
2004. Lesen Sie mehr<br />
zu dem Thema auf Seite 6.<br />
04<br />
der Spezialist<br />
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inhalt<br />
AUSGABE <strong>09</strong> || Oktober 2007<br />
› seite 10<br />
Ingenieurinnen auf der<br />
Überholspur.<br />
Irene Steinbach bei<br />
KMW in München.<br />
› seite 32<br />
Rasante Nachwuchsförderung:<br />
Die Formular Student<br />
ist ein Gewinn für Unternehmen<br />
und Studenten.<br />
› seite 46<br />
art <strong>Brunel</strong>: die Künstler des<br />
Jahres 2007 Susanne Maurer<br />
und Marc Taschowsky.<br />
Der Spezialist<br />
Seite 06<br />
Seite 10<br />
Seite 14<br />
Seite 18<br />
Seite 22<br />
Seite 26<br />
Seite 28<br />
Seite 32<br />
Seite 38<br />
Seite 42<br />
Seite 46<br />
Seite 50<br />
Seite 51<br />
Im Gespräch: SIND FRAUEN DIE BESSEREN INGENIEURE?<br />
Claudia Rasche (VDI) wünscht sich mehr Frauen in technischen Berufen<br />
Im Fokus: INGENIEURINNEN AUF DER ÜBERHOL<strong>SP</strong>UR<br />
Vier Ingenieurinnen zeigen, wie sie in der Praxis ihren Mann stehen<br />
history: EINE FRAU SORGT FÜR DURCHBLICK<br />
Marga Faulstich revolutionierte die Herstellung optischer Gläser<br />
technische projekte: HIGHTECH AUF HOHER SEE<br />
der Spezialist<br />
inhalt<br />
Flüssiggastanker werden durch Rückverflüssigungsanlage wirtschaftlicher<br />
Forschung & Wissenschaft: VOLLE FAHRT VORAUS BEI NULL EMISSION<br />
Brennstoffzellenantrieb wird auch in der Schifffahrt erprobt<br />
technische projekte: ARTUS BITTET ZUR TAFELRUNDE<br />
Optimierte Abläufe in der deutsch-indischen Softwareentwicklung<br />
Mitarbeiter und Karriere: ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE<br />
Großprojekte fest in Frauenhand: Arzu Dreier und Yukari Hara<br />
Aus den Branchen: IM WINDSCHATTEN DER FORMEL 1<br />
Die Formular Student bietet eine ideale Plattform für Nachwuchsingenieure<br />
querdenken: AKTIVE LÄRMMINDERUNG DURCH GEGENSCHALL<br />
Zwei neue Verfahren sollen extreme Lärmbelastungen minimieren<br />
Panorama: DAS LERNEN NEU ERLERNEN<br />
Die Scola Nova geht neue Wege und schafft den Frontalunterricht ab<br />
Kunst & <strong>Brunel</strong>: WAS WIR SEHEN, WENN WIR SCHAUEN<br />
Künstler des Jahres 2007: Susanne Maurer und Marc Taschowsky<br />
Termine<br />
impressum<br />
EXTRA: ART-BRUNEL-POSTKARTEN MIT MOTIVEN<br />
DER KÜNSTLER DES JAHRES 2007<br />
(Siehe Umschlagklappe)<br />
05
IM GE<strong>SP</strong>RÄCH<br />
Sind frauen die besseren<br />
Ingenieure?<br />
Deutschland hinkt beim Frauenanteil in Ingenieurberufen europaweit deutlich hinterher,<br />
dafür gibt es viele Gründe. Claudia Rasche vom VDI setzt sich unter anderem dafür ein, dass<br />
das Berufsbild für Frauen attraktiver wird.<br />
TEXT › Anja Naumann<br />
Der Spezialist: Frau Rasche, wie hoch ist der<br />
Frauenanteil in Ingenieurberufen?<br />
Dipl.-Ing. Claudia Rasche: Derzeit haben wir<br />
640.000 sozialversicherungspflichtig beschäf-<br />
tigte Ingenieure, davon sind etwas über zehn<br />
Prozent Frauen. Im EU-Vergleich hinken wir<br />
damit deutlich hinterher. Gemeinsam mit Groß-<br />
britannien belegen wir die letzten Plätze. Hinge-<br />
gen sind Frauen in den osteuropäischen Staaten<br />
wie Litauen, Lettland oder Estland in Ingenieur-<br />
berufen stark vertreten. In diesen Ländern war<br />
die Arbeitsmarktpolitik der Vergangenheit aus-<br />
schlaggebend. Es gehörte zum gesellschaftlichen<br />
Konsens, dass Frauen in allen beruflichen Berei-<br />
chen tätig waren.<br />
Der Spezialist: Warum können wir mit solchen<br />
Zahlen nicht zufrieden sein?<br />
Rasche: Insbesondere im Zusammenhang mit<br />
dem Fachkräftemangel sind solche Zahlen nicht<br />
befriedigend. Aktuell können bereits 23.000 Stel-<br />
len für Ingenieure in Deutschland nicht besetzt<br />
werden. Doch auch unabhängig von diesen Zahlen<br />
benötigen wir mehr Frauen in diesem Berufsfeld.<br />
Frauen qualifizieren sich insbesondere durch Soft<br />
Skills wie Teamfähigkeit, Kreativität sowie Kom-<br />
munikationsfähigkeit für den Ingenieurberuf. Ein<br />
Ingenieur sitzt heute nicht mehr nur am Zeichen-<br />
brett, sondern muss zunehmend mit anderen<br />
06<br />
der Spezialist<br />
Bereichen interagieren. Auf diesem Gebiet sind<br />
Frauen häufig stärker als ihre männlichen Mitbe-<br />
werber.<br />
Der Spezialist: Doch was hält Frauen bisher davon<br />
ab, verstärkt Ingenieurberufe zu ergreifen?<br />
Rasche: Da gibt es eine ganze Reihe von Gründen.<br />
Ein Punkt ist mit Sicherheit, dass das Ingenieur-<br />
wesen noch nicht als attraktiv genug angesehen<br />
wird. Frauen ergreifen außerdem gerne Berufe, in<br />
denen sie gesellschaftlich und ökologisch nützliche<br />
Entwicklungen mit gestalten können.<br />
MÄDCHEN FEHLT DAS RICHTIGE VORBILD, UM<br />
EIN INTERESSE FÜR TECHNIK ZU ENTWICKELN<br />
Der Spezialist: Aber gerade Ingenieurinnen können<br />
doch etwas bewirken!<br />
Rasche: Richtig, doch wer will es ihnen vorleben?<br />
Wenn wir in die Elternhäuser gucken, gibt es viel<br />
zu selten entsprechende Vorbilder. Deshalb spielt<br />
gerade bei Mädchen die technische Früherziehung<br />
in der Schule eine besondere Rolle, um das Interesse<br />
für technische Fragen in einem frühen Stadium zu<br />
wecken. Jungen folgen meist einfach ihrer Technik-<br />
vorliebe. Hinzu kommt, dass es in der öffentlichen<br />
Darstellung kaum positive Vorbilder gibt, die den<br />
Berufswunsch der Ingenieurin verstärken. Dem<br />
wollen wir mit dem Girls’ Day der Initiative<br />
PORTRÄT<br />
Dipl.-Ing. Claudia Rasche<br />
arbeitet derzeit beim<br />
VDI. Nach der Ausbildung<br />
und Tätigkeit als Werkstoffprüferin<br />
absolvierte<br />
sie zunächst das Studium<br />
der Glastechnik und<br />
Keramik an der Universität/Gesamthochschule<br />
Duisburg. www.vdi.de/fib<br />
› 01<br />
Der Girls’ Day 2007 brachte<br />
einen neuen Rekord:<br />
Insgesamt haben 650.000<br />
Mädchen teilgenommen.<br />
Unter anderem erklärte<br />
ein Mitarbeiter von VW<br />
Nutzfahrzeuge den Schülern<br />
die Arbeitsabläufe im<br />
Fahrzeugbau.
› 01
IM GE<strong>SP</strong>RÄCH<br />
08<br />
› 02<br />
Durch das hautnahe<br />
Erleben technischer<br />
Prozesse, wie hier das<br />
Gießen von Aluminiumschmelze<br />
in eine Stahlkokille,<br />
soll das Interesse<br />
an Technik geweckt<br />
werden.<br />
der Spezialist<br />
„SACHEN MACHEN!“ entgegenwirken, der in<br />
Kooperation mit Schulen, Unternehmen, Hoch-<br />
schulen und Forschungszentren das Interesse der<br />
Mädchen für Technik wecken soll. Ermutigt wer-<br />
den sie durch den Kontakt zu Frauen, die bereits in<br />
technischen Berufen arberten und ihnen damit<br />
Vorbilder bieten.<br />
Der Spezialist: Eine Studie der TU Darmstadt zur<br />
Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen<br />
in Ingenieurberufen nennt die Barrieren in einer<br />
Männerdomäne als Ursache für den niedrigen<br />
Frauenanteil. Senden die Unternehmen die fal-<br />
schen Signale?<br />
› 02<br />
Rasche: Der Anteil von Frauen in leitenden Posi-<br />
tionen ist noch zu gering. Familienbedingte<br />
Pausen und die Akzeptanz von Frauen in immer<br />
noch männerdominierten Arbeitsbereichen er-<br />
schweren die Karrieremöglichkeiten von Frauen.<br />
Allerdings ist davon auszugehen, dass in den<br />
nächsten Jahren bei weiter wachsendem Fach-<br />
kräftemangel die Akzeptanz von gut ausgebildeten<br />
Ingenieurinnen auch in Fach- und Führungs-<br />
positionen steigen wird.<br />
Doch es gibt auch eine Diskrepanz zwischen den<br />
Unternehmen, die sagen: Ihr wollt ja nicht, und<br />
den Frauen, die sagen: Ihr lasst uns ja nicht. Der<br />
Dialog zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und<br />
Familie hat bisher nur unzulänglich stattgefun-<br />
den. Diese Differenz zwischen Angebot und Vor-<br />
stellungen untersuchen wir derzeit in einer Studie.<br />
Die Vorstudie ergab zum Beispiel, dass 50 Prozent<br />
der befragten Absolventinnen Führungspositio-<br />
nen anstreben, aber gleichzeitig auch den Wunsch<br />
nach Kindern haben. Fakt ist, dass Teilzeitkarrieren,<br />
die flexible Arbeitszeiten und -orte umfassen, in<br />
deutschen Unternehmen noch immer selten sind.<br />
Der Spezialist: Scheitert es also am mangelnden<br />
Angebot der Unternehmen?<br />
Rasche: Nein, pauschal kann man das nicht sagen.<br />
Es hat bereits ein Prozess des Umdenkens statt-<br />
gefunden, die Karriere von Frauen im Unterneh-<br />
men zu fördern. Es wird aber leider noch nicht<br />
ausreichend in der Praxis gelebt. Es ist, denke ich,<br />
auch ein gesellschaftliches Problem. Ich wage mal<br />
die kühne Behauptung, dass das Frauenbild der<br />
50er Jahre in Westdeutschland mit dazu beigetra-<br />
gen hat, dass Familie plus Beruf heute noch nicht<br />
selbstverständlich ist.<br />
WUNSCH UND WIRKLICHKEIT KLAFFEN HEUTE<br />
OFTMALS NOCH WEIT AUSEINANDER<br />
Der Spezialist: Wo müssen wir darüber hinaus an-<br />
setzen?<br />
Rasche: Der VDI setzt sich dafür ein, den Austausch<br />
zu fördern, positive Vorbilder zu schaffen und Vor-<br />
behalte abzubauen. Dafür gibt es unter anderem<br />
das Netzwerk „Frauen im Ingenieurberuf“ sowie<br />
Verbände wie das Kompetenzzentrum oder den<br />
deutschen Ingenieurinnenbund. Auch die tech-<br />
nische Frühförderung in der Schule ist ein Punkt,
den andere Nationen schon deutlich besser<br />
umsetzen. Jetzt, da das Thema präsenter denn<br />
je ist, suchen wir verstärkt Kooperationen zwi-<br />
schen Schulen, Hochschulen, Forschungseinrich-<br />
tungen und Unternehmen, um neue Ansätze zu<br />
entwickeln.<br />
Der Spezialist: Wo müssen wir darüber hinaus<br />
ansetzen?<br />
Rasche: Häufig sind es viele Selbstzweifel. Inte-<br />
ressanterweise sind die Studienabschlüsse der<br />
Frauen oftmals viel besser als die der männ-<br />
lichen Kollegen. Dennoch sind manche Frauen<br />
zögerlich, den Ingenieurberuf letztendlich auch<br />
auszuüben. Ich denke, es ist vielfach der eigene<br />
Anspruch der Frauen, 100 Prozent bringen zu<br />
müssen. Doch ohne Praxiserfahrung ist das als<br />
Berufseinsteigerin einfach noch nicht leistbar.<br />
Hier greift unser Förderprogramm „VDI ELEVATE“.<br />
Es qualifiziert angehende Ingenieurinnen und<br />
Ingenieure in vielfältiger Weise für den Berufs-<br />
einstieg. Dazu zählen unter anderem ein Prak-<br />
Energie/Wasserwirtschaft 2,2 %<br />
Bau 3,9 %<br />
Verkehr/Nachrichten 1,7 %<br />
Öffentliche Verwaltung 12,6 %<br />
Erziehung/Unterricht 2,3 %<br />
Verarbeitende Gewerbe 28,7 %<br />
Sonstige 3,2 %<br />
Fahrzeugbau 6,3 %<br />
EDV-Geräte 9,7 %<br />
Maschinenbau 4,3 %<br />
Metallerzeugung 2,2 %<br />
Gummi/Kunststoff 0,9 %<br />
Chemische Industrie 2,1 %<br />
tikum bei Partnerunternehmen, individuelle Be-<br />
treuung sowie zahlreiche Seminare zu fachüber-<br />
greifenden Themen wie Projektmanagement,<br />
Rhetorik oder Unternehmensplanspielen.<br />
Der Spezialist: Registrieren Sie bereits einen An-<br />
stieg in der Zahl der Studienanfängerinnen?<br />
Rasche: Leider muss ich sagen, dass die Zahl der<br />
Studienanfängerinnen im Bereich der Ingenieur-<br />
wissenschaften momentan noch leicht rückläufig<br />
ist. Bezogen auf einen Zeitraum von zehn Jahren<br />
haben wir jedoch einen deutlichen Aufwärtstrend<br />
verzeichnet: So hat sich die Zahl der Studienan-<br />
fängerinnen im Maschinenbau und in der Elek-<br />
trotechnik mehr als verdoppelt. Zahlen aus dem<br />
Jahre 2005 sprechen von insgesamt 66.400 Studi-<br />
enanfängerinnen. Hier müssen wir nachhaltiger<br />
wirken und die guten Beispiele in der Zusammen-<br />
arbeit von Schulen, Hochschulen und Unterneh-<br />
men weiter vorantreiben.<br />
Der Spezialist: vielen Dank für das Gespräch.<br />
IN WELCHEN BRANCHEN ARBEITEN INGENIEURINNEN IN DEUTSCHLAND?<br />
Beschäftigtenstatistik der BA (Bundesagentur für Arbeit), Berechnung des IAB (Institut für Arbeitsmarkt- und<br />
Berufsforschung), Stand 31.12.2006<br />
Sonstige 7,7 %<br />
Wirtschaftl. Dienstleistungen 40,9 %<br />
Grundst./Wohnvers. 2,5 %<br />
EDV/Datenbank 3,2 %<br />
Forschung/Entwicklung 1,9 %<br />
Beratung 1,7 %<br />
Architektur/Ing.-Büro 27,0 %<br />
Sonstige 4,6 %<br />
IM GE<strong>SP</strong>RÄCH<br />
der Spezialist<br />
<strong>09</strong>
IM FOKUS<br />
Ingenieurinnen auf der<br />
Überholspur<br />
Frauen in Ingenieurberufen sind noch immer eher die Ausnahme als die Regel. Dabei stehen<br />
sie in der Praxis genauso ihren Mann wie ihre männlichen Kollegen, wie drei Beispiele junger<br />
Ingenieurinnen belegen.<br />
TEXT › Marco Heinen<br />
Evelyn Sellin, Leiterin der <strong>Brunel</strong>-Niederlassung<br />
Hamburg, weiß, wovon sie spricht: Über 38 Pro-<br />
zent ihrer Mitarbeiter sind Frauen, eine überra-<br />
schend hohe Quote. Für Evelyn Sellin sind dafür<br />
zwei Gründe ausschlaggebend. Zum einen sei der<br />
Ingenieurberuf in den letzten Jahren für Frauen<br />
interessanter geworden. „Das mag daran liegen,<br />
dass der Ingenieur früher der Inbegriff des Den-<br />
kers im stillen Kämmerlein war. Das entsprach<br />
vielleicht nicht den Neigungen und auch nicht<br />
den tradierten Rollen- und Berufsbildern der<br />
10<br />
der Spezialist<br />
› 03<br />
Frau.“ Zum anderen hat Evelyn Sellin bei <strong>Brunel</strong><br />
und auch bei den meisten Unternehmen generell<br />
eine große Aufgeschlossenheit hinsichtlich der<br />
Beschäftigung von Ingenieurinnen festgestellt.<br />
„Ich glaube, Männer wurden lange Zeit auto-<br />
matisch als kompetent eingeschätzt, während<br />
Frauen ihre Kompetenz trotz Diplom erst bewei-<br />
sen mussten. Bei mir in der Niederlassung wird<br />
die Kompetenz genauso vorausgesetzt und ganz<br />
selbstverständlich als gleichwertig erachtet. Was<br />
natürlich auch im Hinblick auf die Bezahlung<br />
gilt.“ Ihre Erfahrungen haben gezeigt, dass Frauen<br />
in Ingenieurberufen erfolgreich und anerkannt<br />
sind. Das zeige sich auch daran, dass einige ihrer<br />
Mitarbeiterinnen sehr schnell leitende Projekt-<br />
tätigkeiten übernommen haben. Die Mitarbeit<br />
von Ingenieurinnen werde von den Kunden meist<br />
ausdrücklich befürwortet, weil man sich von<br />
ihnen auch eine vermittelnde Rolle in den Teams<br />
erhoffe, so Sellin.<br />
GERADE BEI DEN SOFT SKILLS HABEN<br />
FRAUEN OFT DIE NASE VORN<br />
Sie will die den Frauen generell zugeschriebenen<br />
Stärken wie Kommunikations- und Teamfähig-<br />
keit nicht überbewerten, da natürlich auch Män-<br />
ner solche Eigenschaften mitbringen. Dennoch:<br />
„Frauen können sich im Rahmen einer Aufgabe<br />
erst einmal zurücknehmen, können zusammen-<br />
führen und vermitteln und legen weniger Wert<br />
› 04<br />
Bei KMW konstruiert Irene<br />
Steinbach hoch geschützte<br />
Fahrzeuge für den Einsatz<br />
in Krisen- und Kriegsgebieten.<br />
› 03<br />
Die Leiterin der <strong>Brunel</strong>-<br />
Niederlassung in Hamburg<br />
Evelyn Sellin ist stolz auf<br />
die Leistung aller ihrer<br />
Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter.
› 04
IM FOKUS<br />
12<br />
PORTRÄT<br />
Für Sonia Carraminana-<br />
Mayor stehen nicht nur<br />
klassische Ingenieursaufgaben<br />
im Mittelpunkt<br />
ihrer Tätigkeit bei HELLA<br />
KGaA Hueck & Co, sie<br />
übernimmt auch weit-<br />
reichende Managementfunktionen<br />
in ihrer<br />
aktuellen Position.<br />
› 05<br />
Die Zukunft im KFZ-Frontscheinwerfer:<br />
frei adressierbare<br />
LED-Arrays.<br />
In Verbindung mit vorausschauenderFahrzeugsensorik<br />
und intelligenter<br />
Ansteuerelektronik können<br />
aktive Lichtfunktionen wie<br />
Markierungslicht oder<br />
blendfreies Fernlicht realisiert<br />
werden.<br />
der Spezialist<br />
auf Statusfragen als manche männliche Kolle-<br />
gen.“ Gerade in Hinblick auf das Erreichen von<br />
Führungspositionen seien die Anforderungen an<br />
Frauen mitunter höher. „Man muss hart arbeiten,<br />
sehr hart. Solche Jobs bekommt keiner geschenkt,<br />
dafür braucht ‚Frau‘ Kompetenz, Stehvermögen<br />
und Verantwortungsbewusstsein“, so die Erfah-<br />
rung der Niederlassungsleiterin.<br />
VON DER PROJEKTASSISTENZ ZUR<br />
PROJEKTLEITUNG<br />
Stehvermögen hat auch die 31-jährige Maschinen-<br />
bauingenieurin Sonia Carraminana-Mayor für<br />
ihre jetzige Position bei der Firma HELLA KGaA<br />
Hueck & Co. in Lippstadt bewiesen. Nach ihrem<br />
Einstieg als Projektassistentin in der Entwicklung<br />
von Fahrzeugleuchten sammelte sie zunächst in<br />
vielen angrenzenden Bereichen Erfahrung. Spä-<br />
ter folgten neue Aufgaben im Management des<br />
Entwicklungsprojekts, für das sie inzwischen als<br />
Projektleiterin die Verantwortung trägt – mit-<br />
samt der notwendigen Projekt- und Terminpla-<br />
nung, der Qualitäts- und Kostenkontrolle sowie<br />
dem Kontakt zu Kunden und Lieferanten. Dirk<br />
Lind, Leiter der <strong>Brunel</strong>-Niederlassung Mann-<br />
heim, beschreibt seine Mitarbeiterin als „sehr<br />
erfolgreich, weil bei der Maschinenbauingenieu-<br />
rin der ingenieurwissenschaftliche Hintergrund<br />
mit betriebswissenschaftlichen Kenntnissen ge-<br />
paart ist. Außerdem hat sie keine Probleme, auf<br />
› 05<br />
Menschen zuzugehen, was an der Schnittstelle<br />
zu verschiedenen Fachabteilungen ein großer<br />
Vorteil ist.“ Im Gespräch mit Freundinnen stößt<br />
die <strong>Brunel</strong>lerin jedoch auch auf Beispiele man-<br />
gelnder Gleichberechtigung, worüber sie sich<br />
sehr ärgert – zum Beispiel, wenn Frauen schlech-<br />
ter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen<br />
oder im Bewerbungsgespräch die Frage nach dem<br />
Kinderwunsch auftaucht: „Männer werden nicht<br />
nach ihrem Familienwunsch gefragt, obwohl sie<br />
ebenfalls Erziehungszeit in Anspruch nehmen<br />
können.“<br />
Dass die Rechnung „Beruf und Familie“ auch<br />
unter erschwerten Bedingungen aufgehen<br />
kann, zeigt das Beispiel der <strong>Brunel</strong>-Mitarbeiterin<br />
Andrea Neitzel. Die 28-Jährige arbeitet bei Airbus<br />
am Standort Hamburg im Traffic-Center, das für<br />
den Bereich der Großbauteile-Logistik verant-<br />
wortlich ist. Zu ihrem umfangreichen Aufgaben-<br />
gebiet gehörten unter anderem die Sicherstellung<br />
und Optimierung der Transportkette zu Wasser,<br />
zu Land und in der Luft. Ebenso ist sie mit einem<br />
Team für die Transportthemen auf internationa-<br />
ler Ebene zuständig.<br />
ANERKENNUNG ENTSTEHT DURCH EINSATZ-<br />
BEREITSCHAFT UND FACHWISSEN<br />
Neben intensiver Kommunikation mit den betei-<br />
ligten Abteilungen erfordert der Arbeitsbereich<br />
der <strong>Brunel</strong>-Mitarbeiterin außer der Regel auch<br />
eine permanente Rufbereitschaft für wetterbe-<br />
dingte Einsätze außerhalb normaler Bürozeiten.<br />
Da ihr Mann als nautischer Offizier die Hälfte des<br />
Jahres auf See ist, muss sich Andrea Neitzel auf<br />
ihr Netzwerk aus Freunden, Bekannten und die<br />
Tagesmutter zur Betreuung ihrer kleinen Tochter<br />
verlassen. Neitzel ist sich sicher, dass einige ihrer<br />
früheren Bewerbungsgespräche wegen ihres Kin-<br />
des negativ ausgingen. Bei ihrem jetzigen Arbeit-<br />
geber wie auch vom Kundenunternehmen Airbus<br />
wurde ihr das hingegen nicht nachteilig ausge-<br />
legt. „Wenn ein Kind zu betreuen ist, dann muss
man das organisieren. Das ist in erster Linie meine<br />
persönliche Angelegenheit“, so ihre Einstellung.<br />
Am Arbeitsplatz von Irene Steinbach dominiert<br />
schweres Gefährt. Die 25-Jährige konstruiert<br />
gepanzerte Rad- und Kettenfahrzeuge beim<br />
Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann (KMW)<br />
in München. Die Antwort auf die Frage nach ihrer<br />
Motivation fällt ihr leicht: „Ich schütze Menschen-<br />
leben mit meiner Arbeit, das treibt mich an.“ In<br />
der Tat hängt einiges davon ab, wie die CAD-Kon-<br />
strukteurin die verschiedenen Bauteile und tech-<br />
nischen Komponenten der Fahrzeuge auslegt. „Auf<br />
die verschiedenen Komponenten wirken enorme<br />
Kräfte. Im Ernstfall müssen sie auch Sprengun-<br />
gen überstehen, ohne dass den Streitkräften die<br />
Bauteile um die Ohren fl iegen“, erläutert Stein-<br />
bach. Präzise Arbeit und enger Austausch mit<br />
den übrigen CAD-Konstrukteuren des Projektes<br />
stehen somit an oberster Stelle. „Das Schöne an<br />
meiner Arbeit ist, dass ich das Projekt von Anfang<br />
bis Ende verfolge; von den Fertigungszeichnun-<br />
gen und den Stücklisten bis zum fertigen Proto-<br />
typen.“ Darin liegt auch ein Grund, warum sie<br />
sich damals für das Maschinenbaustudium an der<br />
Fachhochschule Ingolstadt entschieden hat: ein<br />
greifbares Produkt ihrer Arbeit zu erhalten. Seit<br />
Januar 2007 ist sie mittlerweile im KMW-Team.<br />
Den Respekt der hauptsächlich männlichen Kol-<br />
legen musste sie sich zunächst durch fachliche<br />
Kompetenz erarbeiten. Doch als eine von fünf<br />
Frauen unter fast 90 Männern hat sie schon im<br />
Studium gelernt, sich durchzusetzen. „Wenn man<br />
erst einmal bewiesen hat, dass man den Männern<br />
fachlich in nichts nachsteht und seinen Job gut<br />
macht, dann verstummt mancher Kommentar,<br />
weiß die humorvolle Maschinenbauingenieurin<br />
aus Erfahrung.<br />
› 06<br />
› 06<br />
Zu Lande, zu Wasser und in<br />
der Luft – die Logistik von<br />
Airbus nutzt alle Wege, um<br />
die Einzelteile möglichst<br />
effi zient von Standort zu<br />
Standort zu transportieren.<br />
Andrea Neitzel hilft<br />
bei der Optimierung dieser<br />
Transportketten.<br />
der Spezialist<br />
13
› 07
Eine Frau sorgt für<br />
Durchblick<br />
Innovationen entstehen immer dort, wo Enthusiasmus, Fachwissen und visionäre Ideen<br />
zusammentreffen. Marga Faulstich hatte diese Qualitäten und entwickelte bei Schott das<br />
erste Leichtgewichtsbrillenglas der Welt.<br />
TEXT › Daniel Günther<br />
„Sie war durchaus trickreich bei ihrer Arbeit und hatte ihren<br />
eigenen Kopf, den sie in diesem Job auch brauchte“, erinnert<br />
sich Prof. Dr. Dieter Krause an seine ehemalige Mitarbeiterin<br />
Marga Faulstich, die Glaschemikerin und Erfinderin des Leicht-<br />
gewichtsbrillenglases. Am 16. Juni 1915 wurde sie im thürin-<br />
gischen Weimar als eines von drei Kindern geboren. 1922 zog<br />
die Familie nach Jena, wo Marga Faulstich das Reformreal-<br />
gymnasium besuchte und im Juli 1935 eine Ausbildung als<br />
wissenschaftliche Hilfskraft im physikalisch-chemischen<br />
Labor des Jenaer Glaswerkes Schott & Genossen begann. Das<br />
Unternehmen zählte schon damals zu den führenden Herstel-<br />
lern optischer und technischer Spezialgläser in Europa. In den<br />
ersten Jahren arbeitete die junge Frau in einem Team an der<br />
Entwicklung so genannter dünner Schichten auf dem Sektor<br />
des optischen Glases. Aktuelle Beschichtungstechnologien,<br />
beispielsweise für entspiegelte Brillengläser und Schau-<br />
fensterscheiben oder Sonnenschutzgläser für die Fassaden-<br />
architektur, gehen auf die damaligen Grundlagenforschungen<br />
zurück.<br />
DURCH LEISTUNG UND FACHWISSEN SICHERTE SICH<br />
FAULSTICH SCHNELL DEN RE<strong>SP</strong>EKT DER KOLLEGEN<br />
Innerhalb weniger Jahre stieg Marga Faulstich von der Hilfs-<br />
kraft zur Laborantin und weiter zur wissenschaftlichen Assis-<br />
tentin auf. Dr. Kirsten Henneberg-Quester, eine Nichte Margas<br />
Faulstichs, erinnert sich an Erzählungen: „Meine Tante war<br />
jung, nicht sehr groß und zudem eine Frau, weshalb sie von den<br />
ausschließlich männlichen Wissenschaftlern anfangs etwas<br />
skeptisch beäugt wurde. Doch sie schuf sich durch ihre Arbeit<br />
schnell einen Namen.“<br />
Ab 1942 nahm Marga Faulstich ne-<br />
ben ihrer Arbeit bei Schott ein Che-<br />
miestudium an der Universität Jena<br />
auf. Aufgrund des Zweiten Weltkrie-<br />
ges konnte sie das Studium jedoch<br />
nicht beenden. Der Krieg brachte<br />
harte Einschnitte für die junge<br />
Marga Faulstich. Der wohl größte<br />
Schicksalsschlag ihres Lebens war<br />
der Tod ihres Verlobten, der als Sol-<br />
dat fiel. Damit zerbrach ihr Traum<br />
von einer eigenen Familie, worauf sie<br />
ihre ganze Kraft dem Beruf widmete.<br />
„Darum fühlte sie sich auch immer<br />
für die Kinder ihrer Geschwister mit<br />
verantwortlich“, erzählt die Nichte<br />
Dr. Kirsten Henneberg-Quester: „Sie<br />
war meist sehr beschäftigt, hatte<br />
wenig Zeit. Dennoch kam sie oft zu<br />
Besuch, verwöhnte uns Kinder gerne<br />
und war immer sehr darauf bedacht,<br />
dass alles gut lief.“ Für die selbstbe-<br />
wusste Marga Faulstich war es auch<br />
schon damals selbstverständlich,<br />
dass ihre Nichte als Mädchen eine<br />
qualifizierte Ausbildung machte und<br />
später auch einem entsprechenden<br />
Beruf nachging. „Sie sagte immer zu<br />
mir: Wenn du einmal etwas angefan-<br />
gen hast, dann musst du auch dabei-<br />
bleiben und es zu Ende führen.“<br />
HISTORY<br />
› 07<br />
Die aggressive Glasschmelze<br />
für das Leichtgewichtsglas<br />
griff die bisher<br />
üblichen Keramiktiegel an.<br />
Marga Faulstich löste das<br />
Problem mit der Verwendung<br />
von Platintiegeln.<br />
der Spezialist 15
HISTORY<br />
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zu einer weite-<br />
ren Wende im Leben von Marga Faulstich. Nach der Befreiung<br />
durch die Amerikaner wurde Thüringen sowjetische Besat-<br />
zungszone. Die Amerikaner wollten jedoch das wissenschaftli-<br />
che und technische Know-how der Jenaer Glasspezialisten für<br />
den Westen sichern. So zogen Marga Faulstich und 40 weitere<br />
Kollegen zunächst nach Süddeutschland. Diese Ereignisse sind<br />
als „Zug der 41 Glasmacher“ in die Schott-Geschichte eingegan-<br />
gen. Die damals 30-Jährige erinnerte sich später: „Wir konnten<br />
nur das Nötigste von unserer beweglichen Habe in ein paar Kis-<br />
ten packen. Das war alles. Eines Morgens stand dann ein Lkw<br />
der US-Armee vor der Tür. Verwandte, Freunde und Nachbarn<br />
verabschiedeten sich unter Tränen, und wir fuhren los. Nie-<br />
mand wusste, was die Zukunft bringen würde.“ Ihre Zukunft<br />
lag in der Glaschemie bei Schott im Westen Deutschlands.<br />
BAHNBRECHENDE INNOVATIONEN ENTSTEHEN DURCH<br />
DEN MUT, CHANCEN ZU ERGREIFEN<br />
1948 wurde das Schott-Stammwerk in Jena enteignet und 1949<br />
die beiden deutschen Staaten gegründet. Für das Unterneh-<br />
men galt es, ein neues Hauptwerk in der Bundesrepublik auf-<br />
zubauen. Die Wahl fi el auf Mainz, wo das Werk 1952 eröffnet<br />
wurde. Hier knüpfte Marga Faulstich an die Jenaer Arbeit an.<br />
Sie war maßgeblich daran beteiligt, den Bereich Entwicklung<br />
neuer optischer Gläser, insbesondere für Objektive an Mikro-<br />
skopen und Ferngläsern aufzubauen. Später leitete sie dieses<br />
Labor sowie die dazugehörende Tiegelschmelze. Im Laufe ihrer<br />
16<br />
der Spezialist<br />
› 08<br />
Karriere war sie an der Entwicklung<br />
von mehr als 300 Typen optischer<br />
Gläser beteiligt. Zudem tragen fast<br />
40 Patente ihren Namen.<br />
Ihr wohl größter Erfolg war die<br />
Erfi ndung des Leichtgewichtsbril-<br />
lenglases SF 64, ein hoch brechendes<br />
Brillenglas. Die Entwicklung bedeu-<br />
tete einen enormen Fortschritt für<br />
die Optik. Bis zu diesem Zeitpunkt<br />
wurden Brillengläser für Menschen<br />
mit hohen Dioptrienzahlen nur mit-<br />
tels eines hohen Bleigehaltes her-<br />
gestellt. Dadurch war das Glas sehr<br />
schwer. Marga Faulstich gelang es<br />
durch den Einsatz von Metallen der<br />
Übergangselemente, unter anderem<br />
aus der Gruppe der „Seltenen Erden“,<br />
eine neue Rezeptur für ein leichtes<br />
optisches Glas zu entwickeln. „Sel-<br />
tene Erden“ werden die chemischen<br />
Elemente der 3. Nebengruppe des<br />
Periodensystems und die Lanthano-<br />
ide genannt. Der missverständliche<br />
Name geht auf die Entdeckung der<br />
Stoffe zurück. Sie wurden als Oxide,<br />
die früher als „Erden“ bezeichnet<br />
wurden, aus Mineralien isoliert.<br />
Aufgrund der hohen Aggressivi-<br />
tät der Glasschmelze konnten die<br />
Gläser nicht mehr in den üblichen<br />
Keramiktiegeln geschmolzen wer-<br />
den. Es wurde also auch eine tech-<br />
nologische Neuentwicklung in der<br />
Herstellung erforderlich. Die Lösung<br />
bestand in der Verwendung von Tie-<br />
geln aus Platin.<br />
Mit diesen Entwicklungen er-<br />
langte die Glaschemikerin hohe<br />
fachliche Anerkennung, weit über<br />
die Grenzen Deutschlands hinaus.<br />
In den USA zählte die Erfi ndung des<br />
Leichtgewichtsbrillenglases zu den<br />
› 08<br />
Durch die Entwicklung<br />
von Leichtgewichtsbrillengläsern<br />
wurde das Gewicht<br />
von Brillen erheblich<br />
veringert.
100 bedeutendsten technischen Neuerungen des Jahres 1973.<br />
Und noch eine weitere Innovation ist eng mit Marga Faulstich<br />
verbunden: Sie wurde die erste weibliche Führungskraft bei<br />
Schott.<br />
DIE FORSCHUNG FAULSTICHS HAT DIE UNTERNEHMENS-<br />
GESCHICHTE VON SCHOTT GEPRÄGT<br />
„Sie kannte das Unternehmen von Beginn an und hat es mit auf-<br />
gebaut. Das war natürlich ein enormer Vorteil. Mit einem Blick<br />
wusste sie, wie Gläser das Licht brechen und wie sie zusam-<br />
mengesetzt sind“, erzählt Dr. Kirsten Henneberg-Quester. „Ich<br />
erinnere mich an ein faszinierendes Treffen. Mein Mann führte<br />
ihr seine neue Fotokamera vor. Sie nahm die Kamera in die<br />
Hand und das Erste, was sie tat, war, über die Linse zu strei-<br />
chen, um die Güte des Glases zu prüfen. Es war ihr scheinbar<br />
ein Bedürfnis, das Glas zu fühlen.“<br />
Doch neben der Arbeit hatte Marga Faulstich zwei weitere<br />
große Leidenschaften: die Mainzer Fastnacht und das Reisen.<br />
Mehrmals im Jahr erkundete sie verschiedene Länder der Erde<br />
und war auch auf diesem Gebiet eine Pionierin: „Sie besuchte<br />
unter anderem Persien, als dort noch<br />
der Schah regierte, und reiste schon<br />
damals nach China und Russland“,<br />
erinnert sich Faulstichs Nichte. 1979<br />
trat Marga Faulstich nach 44 Jahren<br />
Tätigkeit bei Schott in den Ruhe-<br />
stand. Mit 82 Jahren verstarb sie am<br />
1. Februar 1998 in Mainz.<br />
› <strong>09</strong><br />
› <strong>09</strong><br />
Durch ihre erfolgreiche<br />
Arbeit als Wissenschaftlerin<br />
stellte Marga Faulstich<br />
das damalige Rollenverständnis<br />
in Frage und<br />
leistete Pionierarbeit für<br />
Frauen in Führungspositionen.<br />
der Spezialist 17
technische projekte<br />
Hightech auf hoher See<br />
Mit der erfolgreichen Erprobung moderner Gasrückverflüssigungsanlagen unter Real-<br />
bedingungen hat Atlas Copco einen Meilenstein im Flüssiggastransport gesetzt. Projekt-<br />
ingenieure von <strong>Brunel</strong> unterstützen dieses innovative Projekt weltweit.<br />
TEXT › Anja Naumann<br />
Ahmet Talinli steht die Erleichterung ins Gesicht<br />
geschrieben. „Das ist wohl der schönste Moment<br />
eines Inbetriebnehmers, es hat alles geklappt!“<br />
<strong>Brunel</strong>-Mitarbeiter Talinli ist an seinem Arbeits-<br />
platz, der Daewoo Ship and Marine Engineering<br />
Werft in Südkorea. Seit Tagen fällt ein monsun-<br />
artiger Regen, in Korea ist gerade Regenzeit. Doch<br />
das stört Talinli nicht, denn die Arbeit der vergan-<br />
genen drei Monate hat sich ausgezahlt. Die erste<br />
Gasrückverflüssigungsanlage, die er im Werft-<br />
Team auf einem Flüssiggastanker in Betrieb<br />
18<br />
der Spezialist<br />
› 10<br />
nahm, hat die wichtigste Prüfung bestanden, den<br />
so genannten Gas Trial. Die Anlage wird erstmals<br />
zusammen mit dem gesamten Prozesssystem des<br />
Liquefied Natural Gas (LNG) Tankers – so die offi-<br />
zielle Bezeichnung des Flüssiggastankers – auf<br />
hoher See in Betrieb genommen. Die Anlage läuft<br />
einwandfrei, es hat keine Auffälligkeiten gege-<br />
ben. Eine besondere Premiere, sowohl für Talinli<br />
als auch für die LNG-Schifffahrt. Der 26-jährige<br />
Maschinenbauingenieur hatte ebenso wie sein<br />
<strong>Brunel</strong>-Kollege Hamid Wahabie das Glück, direkt<br />
nach Abschluss seines Studiums die ersten Berufs-<br />
erfahrungen in Südkorea zu sammeln, auf einer<br />
der größten LNG-Werften weltweit. „Ein Inbe-<br />
triebnehmer muss 70 Prozent seiner Arbeitszeit<br />
im Ausland verbringen“, berichtet Ahmet Talinli.<br />
„Somit habe ich die einzigartige Chance genutzt,<br />
die sich mir durch <strong>Brunel</strong> bei Atlas Copco bot.“<br />
MIT DER INBETRIEBNAHME BEGINNT EINE<br />
NEUE EPOCHE DER LNG-SCHIFFFAHRT<br />
Doch auch die Werft-Ingenieure, die über lang-<br />
jährige Erfahrungen verfügen, hat die Inbetrieb-<br />
nahme nicht kalt gelassen. Denn mit dem Einsatz<br />
der ersten Rückverflüssigungsanlage beginnt auch<br />
eine neue Epoche der LNG-Schifffahrt. Der erste<br />
LNG-Tanker, der 1964 seinen Betrieb aufnahm,<br />
nutzte das ausdampfende Boil-Off-Gas (BOG) der<br />
Flüssiggastanks für den Antrieb der Schiffe. Doch<br />
mittlerweile ist Gas zu kostbar geworden, um<br />
› 11<br />
Mit Hilfe der Sperrgaspanels<br />
werden die Zufuhr<br />
und vor allem die Druckstärke<br />
des zugeführten<br />
Sperrgases kontinuierlich<br />
überwacht und geregelt.<br />
› 10<br />
Projektmanager<br />
Dr. Hendrik Lau (rechts),<br />
Maschinenbautechniker<br />
Thorsten Schildgen (Mitte)<br />
und MCR Engineer Markus<br />
Meller überprüfen den<br />
Projektfortschritt.
› 11
technische projekte<br />
› 12<br />
Moderne Kompressoren<br />
reduzieren den Verlust von<br />
Flüssiggas auf ein Minimum<br />
und sind wichtiger<br />
Bestandteil einer Rückverflüssigungsanlage.<br />
20<br />
der Spezialist<br />
einen Teil der Ladung während des Überseetrans-<br />
portes durch Erwärmung einzubüßen. „Pro Stunde<br />
verdampfen etwa 5.000 Kilogramm Flüssiggas.<br />
Ab -163 Grad Celsius siedet Flüssiggas“, erläutert<br />
Dr. Hendrik Lau, Leiter des LNG-Bereichs beim<br />
Hersteller von Gas- und Prozesskompressoren<br />
Atlas Copco in Köln. Insgesamt 31 LNG-Tanker<br />
rüstet Atlas Copco mit Rückverflüssigungsanla-<br />
gen aus, um die ausdampfenden Gase erstmals<br />
wieder zu verflüssigen und in die Frachttanks<br />
zurückzuleiten. Die neu gebauten LNG-Tanker der<br />
Q-flex-Klasse fassen mittlerweile bis zu 200.000<br />
Kubikmeter Flüssiggas. Bis 2010 wird der jährli-<br />
che Erdgasverbrauch von 160 Billionen Kubikme-<br />
ter im Jahr 2005 auf 270 Billionen Kubikmeter<br />
anwachsen. Da Erdgas in flüssiger Form nur sechs<br />
Hundertstel des Volumens im normalen Aggre-<br />
gatzustand einnimmt, ist die Verschiffung in<br />
Flüssiggastankern ab einer Entfernung von 3.000<br />
Kilometern für die Gaskonzerne wirtschaftlicher<br />
als der Transport über Pipelines. Qatar, das Land<br />
mit dem weltweit drittgrößten Gasvorkommen<br />
will seine Flotte daher bis 2010 auf 90 LNG-Tan-<br />
› 12<br />
ker aufstocken, verglichen mit 20 Schiffen im Jahr<br />
2005. Damit hätte Qatar die größte LNG-Flotte<br />
weltweit. „Ein Schiff dieser Klasse kostet ungefähr<br />
240 Millionen US-Dollar“, so der Kommentar von<br />
Dr. Hendrik Lau.<br />
BIS ZUR DURCHFÜHRUNG DES GAS TRIALS<br />
DAUERT ES DREI BIS ZWÖLF MONATE<br />
Am heimischen Firmensitz in Köln liegt die Span-<br />
nung noch in der Luft, noch sind keine Ergebnisse<br />
vom ersten gelungenen Gas Trial ihrer Gasrück-<br />
verflüssigungsanlage durchgedrungen. „Mittler-<br />
weile“, so Lau, „haben wir Anlagen für 17 LNG-<br />
Tanker ausgeliefert. Bis zum Gas Trial dauert es<br />
jedoch – je nach Fertigstellung der Schiffe – zwi-<br />
schen drei und 12 Monaten.“ Hendrik Lau leitet ein<br />
Team aus acht Mitarbeitern in der Projektabwick-<br />
lung. Darunter ist auch der 29-jährige Maschinen-<br />
bautechniker Thorsten Schildgen, der seit Anfang<br />
2006 bei <strong>Brunel</strong> für Atlas Copco als Projektinge-<br />
nieur arbeitet. Er begleitet das Projekt vom Erhalt<br />
des Auftragsheftes bis zur Inbetriebnahme der<br />
Anlage. Von daher kennt er jede einzelne Schraube<br />
des Systems. Jeder Vorgang muss genauestens<br />
dokumentiert und die Teile über SAP in Stück-<br />
listen erfasst werden, „denn auf der Werft sollte<br />
später kein einziges Bauteil fehlen. Dort bedeuten<br />
Verzögerungen viel Geld“, weiß Schildgen.<br />
Nach Prüfung des Auftragsheftes definiert er<br />
die technische Auslegung der einzelnen Kompo-<br />
nenten und setzt die Konzepte mit einem 3D-CAD-<br />
Programm in Fertigungszeichnungen um. Die<br />
Daten gibt er schließlich an die jeweiligen Abtei-<br />
lungen in der Konstruktion und Montage weiter.<br />
„Abstimmung ist das A und O in unserem Job.<br />
Denn stellt sich bei der Montage heraus, dass sich<br />
in manchen Punkten die Theorie nicht in der Praxis<br />
umsetzen lässt, müssen die entsprechenden Daten<br />
überarbeitet werden“, erläutert Schildgen. Doch<br />
die interne Abstimmung ist noch der kleinste Auf-<br />
wand. Im Schiffbau sitzen viele Beteiligte mit im<br />
Boot, die ihre Forderungen anmelden: die Schiffs-
FUNKTIONSWEISE DER RÜCKKÜHLANLAGE<br />
Eine Rückverflüssigungseinheit besteht aus zwei Boil-Off-Gasverdichtern (BOG-<br />
Verdichtern), zwei Compandern und einer Kühlbox. Die Kompressions- und Dekompressionstechnik<br />
stammt von Atlas Copco. Der Rückkühlungskreislauf beginnt<br />
am BOG-Verdichter, der die ausdampfenden Gase absaugt und auf drei Bar<br />
verdichtet. Im verdichteten Zustand wird das Gas in die Kühlbox geleitet, da es<br />
sich so besser verflüssigt. Die zur Verflüssigung benötigten -164 Grad Celsius<br />
liefert der so genannte Compander, dessen Stickstoffkreislauf die Kühlbox durchläuft.<br />
In drei Stufen verdichtet der Compander den Stickstoff auf 60 Bar.<br />
In der letzten Stufe bedient man sich des Haarspraydosen-Effekts:<br />
In einer Expansionsturbine lässt man den Stickstoff von 60 auf zwölf Bar<br />
expandieren, wobei sich das Arbeitsgas schlagartig auf -164 Grad Celsius abkühlt<br />
und der Kühlbox zugeführt wird. Der positive Nebeneffekt: Die Turbine wandelt<br />
die frei werdende mechanische in elektrische Energie und speist damit den<br />
Antriebsmotor. Statt der 6,6 Megawatt (MW) müssen nur noch 5,4 MW aufgebracht<br />
werden.<br />
eigner, die Werften, die verschiedenen maritimen<br />
Klassifikationsgesellschaften, die Schiffscharterer<br />
und die Zulieferer. „Nicht selten bedarf es dann<br />
eines „Gentlemen’s Agreement“, um für alle Par-<br />
teien einen annehmbaren Kompromiss zu fin-<br />
den“, berichtet Lau, für den solche komplexen<br />
Abstimmungsprozesse zum Tagesgeschäft gehö-<br />
ren. „Daher müssen wir immer mit kurzfristigen<br />
Änderungen rechnen und diese flexibel umsetzen.“<br />
RÜCKVERFLÜSSIGUNGSANLAGEN UNTER-<br />
LIEGEN HÖCHSTEN SICHERHEITSAUFLAGEN<br />
Eine weitere Herausforderung besteht darin, die<br />
traditionelle Atlas Copco Verdichtungstechnolo-<br />
gie, mit der Gas verflüssigt wird, maritimen<br />
Anforderungen anzupassen. Denn das Geschäfts-<br />
feld LNG besteht erst seit 2005, seitdem über Rück-<br />
verflüssigungsmethoden nachgedacht wird. Zum<br />
Beispiel darf sich die Anlage nicht verziehen oder<br />
wackeln, da jede einzelne Anlage einen 5,4-Mega-<br />
watt-Antriebsstrang besitzt. Ohnehin ist die Ein-<br />
heit, da explosives Gas im Spiel ist, hoch sensibel<br />
und muss höchsten Sicherheitsauflagen genügen.<br />
Keine leichte Aufgabe an Bord eines Schiffes, auf<br />
das ungeheure vertikale und horizontale Kräfte<br />
einwirken. Hinzu kommt, dass die 200 Tonnen<br />
schwere Anlage in 34,5 Metern Höhe über dem<br />
Wasserspiegel installiert wird und somit eine nicht<br />
zu unterschätzende Hebelwirkung entwickelt.<br />
„Die Einheit muss so steif wie möglich, aber den-<br />
noch so flexibel wie nötig sein“, erläutert Projekt-<br />
ingenieur Schildgen. Durch ein bestimmtes Design<br />
des Grundrahmens erreicht die Anlage die nötige<br />
Steifigkeit. „Am schönsten ist es für uns, wenn<br />
die fertige Anlage unten auf dem Hof steht und<br />
sie den offiziellen Testlauf besteht“, so Schildgen.<br />
Denn bevor Ahmet Talinli und Hamid Wahabie<br />
die Anlagen in ihrem Team auf den verschiedenen<br />
Werften in Empfang nehmen, sind sie bereits in<br />
einem Performance-Prüflauf unter realitätsnahen<br />
Bedingungen in Betrieb genommen worden.<br />
technische projekte<br />
der Spezialist 21
Forschung & Wissenschaft<br />
Volle Fahrt voraus bei<br />
null Emission<br />
Brennstoffzellensysteme sind die zurzeit innovativsten Antriebsquellen – nicht nur im<br />
Automobilbau. Ab Mitte 2008 wird der emissionslose Brennstoffzellen-Dampfer „Alster-<br />
wasser“ seine Alltagstauglichkeit unter Beweis stellen.<br />
TEXT › Klaus-Peter Berg<br />
„Den Auspuff verlässt nur noch völlig harmloser<br />
Wasserdampf – wie beim Teekochen“, skizziert<br />
Hamburgs Umweltsenator Axel Gedaschko das<br />
Projekt Zero Emission Ships – kurz „ZEMSHIPS“ –<br />
als „Meilenstein für eine neue, schadstofffreie und<br />
leise Schiffsgeneration.“ Das Brennstoffzellen-<br />
schiff „Alsterwasser“ soll schon Mitte 2008 seinen<br />
Testbetrieb auf der Alster aufnehmen. Mit Platz<br />
für 100 Personen und einer Leistung von etwa 100<br />
Kilowatt (kW) soll das umweltfreundliche Fahr-<br />
gastschiff zur Personenbeförderung im Hafen-<br />
22<br />
der Spezialist<br />
› 13<br />
und Touristikverkehr eingesetzt werden. Vorge-<br />
sehen ist, die „Alsterwasser“ aus einem 17.000<br />
Liter fassenden Wasserstoff-Lagertank nahe der<br />
Alster zu versorgen, der per Tankwagen mit Flüs-<br />
sigwasserstoff beliefert wird. So könnte der lokale<br />
Schiffsbetrieb mit Brennstoffzelle im Jahr bis zu<br />
72.500 Kilogramm (kg) Kohlenstoffdioxid, rund<br />
1.000 kg Stickoxide, 220 kg Schwefeloxide sowie<br />
40 kg Partikel einsparen.<br />
DIE „ALSTERWASSER“ WIRD VON ZWEI<br />
50-KW-BRENNSTOFFZELLEN ANGETRIEBEN<br />
Als Antriebseinheit werden zwei Polymer-Elektro-<br />
lyt-Membran-Brennstoffzellensysteme mit einer<br />
Leistung von je 50 kW konstruiert. Die insgesamt<br />
240 hintereinander geschalteten Zellen mit einer<br />
Spannung von jeweils etwa 0,7 Volt versorgen<br />
einen Elektromotor mit Strom, der wiederum die<br />
Schiffsschraube antreibt. Eine Pufferbatterie spei-<br />
chert die überschüssige Energie zwischen. Wäh-<br />
rend ein moderner Dieselmotor einen Wirkungs-<br />
grad von etwa 35 Prozent hat, kann das Verhältnis<br />
zwischen zugeführter und nutzbar gemachter<br />
Energie bei der Brennstoffzelle mit 50 Prozent<br />
beschrieben werden. In den Brennstoffzellen<br />
wird eine elektrochemische Reaktion genutzt, die<br />
genau umgekehrt zur Elektrolyse verläuft: An der<br />
Anode wird Wasserstoff, an der Kathode Sauer-<br />
stoff angelegt. In Folge fließt durch die Elektrolyt-<br />
Membran ein Ionenstrom, als Reaktion entsteht<br />
INFO<br />
Neben der Alstertouristik,<br />
der Hamburger Hochbahn,<br />
HySolutions, der Linde AG,<br />
der Proton Motor Fuel Cell<br />
<strong>GmbH</strong>, dem Germanischen<br />
Lloyd und der Hochschule<br />
für Angewandte Wissenschaften<br />
(HAW) als wissenschaftliche<br />
Begleitung sind<br />
auch tschechische Partner<br />
wie das Nuclear Research<br />
Institute und ETC Consulting<br />
an dem Projekt „ZEM-<br />
SHIPS“ beteiligt.<br />
› 13<br />
Axel Gedaschko ist neben<br />
seiner verantwortungsvollen<br />
Tätigkeit im Hamburger<br />
Senat im Bereich<br />
Stadtentwicklung und<br />
Umwelt auch engagiertes<br />
Mitglied im Beirat des<br />
Vereins Naturschutzpark<br />
Lüneburger Heide.
Wasser. Dieser Vorgang wird auch „kalte Verbren-<br />
nung“ genannt. Der hier fließende Strom wird<br />
genutzt, um beispielsweise einen Elektromotor<br />
anzutreiben oder ihn in Batterien zu speichern.<br />
„Es sind zwar schon wichtige technische Fra-<br />
gen geklärt, dennoch steht einiges an Arbeit ins<br />
Haus, ehe ZEMSHIPS seine Tauglichkeit auch<br />
unter wirtschaftlichen Rahmenbedingungen<br />
unter Beweis stellen kann. Auch bedarf es der<br />
Zertifizierung durch den Germanischen Lloyd“,<br />
beschreibt Professor Dr. Wolfgang Winkler von<br />
der Hochschule für Angewandte Wissenschaften<br />
(HAW) in Hamburg die anstehenden Herausfor-<br />
derungen. „Wichtig ist eine maßgeschneiderte<br />
Infrastruktur, die auf lokale Ressourcen zurück-<br />
greifen kann“, sagt Winkler. Das heißt, der benö-<br />
› 14<br />
› 14<br />
Vom bekannten Jungfernstieg<br />
aus starten heute die<br />
Alsterdampfer zur Rundtour<br />
und bieten Touristen,<br />
zukünftig emissionsfrei,<br />
einen einmaligen Eindruck<br />
der hanseatischen Metropole.<br />
der Spezialist<br />
23
Forschung & Wissenschaft<br />
tigte Wasserstoff sollte möglichst ortsnah herge-<br />
stellt werden, um Transport- und Lagerprobleme<br />
zu minimieren. Denn Wasserstoff kommt nicht<br />
als Primärenergie vor, sondern muss künstlich<br />
erzeugt werden. Dazu wiederum ist Energie not-<br />
wendig, die dann bei beschriebener chemischer<br />
Reaktion erneut freigesetzt wird. Wenig sinnvoll<br />
ist es allerdings, durch Verbrennung von fossilen<br />
Brennstoffen Strom herzustellen, um somit per<br />
Elektrolyse Wasserstoff zu gewinnen. Diese Ener-<br />
giebilanz geht wegen mangelnder Effizienz und<br />
hoher Emissionen nicht auf. Daher ist die Nutzung<br />
regenerativer Energien wie Solar-, Wind- und<br />
Wasserkraft zur Gewinnung des Wasserstoffs not-<br />
wendig. CO2-Einsparungen lassen sich bei diesen<br />
Projekten nur realisieren, sofern für die benötigte<br />
Strommenge zusätzlicher Strom aus regenerati-<br />
ven Energien eingespeist wird und konventionell<br />
erzeugten Strom aus dem Energiemix verdrängt.<br />
Zusätzlich sind beim Wasserstoff Speicher- und<br />
Transportprobleme zu bedenken, die sich völlig<br />
anders darstellen als der relativ einfache Trans-<br />
port fossiler Energieträger. Flächendeckende Was-<br />
24<br />
der Spezialist<br />
serstoff-Tankstellen sind noch Zukunftsmusik. In<br />
Deutschland gibt es derzeit nur eine öffentliche in<br />
München und mehrere kommunale Wasserstoff-<br />
Tankstellen.<br />
CO2-EIN<strong>SP</strong>ARUNG DURCH WASSERSTOFF-<br />
GEWINNUNG MIT REGENERATIVEN ENERGIEN<br />
Die Punkte Transport und Speicherung sind also<br />
vorrangig zu lösen. Zwei Systeme sind derzeit<br />
technisch verfügbar: die Speicherung von flüs-<br />
sigem Wasserstoff bei tiefen Temperaturen um<br />
-253 Grad Celsius oder von gasförmigem Wasser-<br />
stoff unter hohem Druck mit 350 bar und mehr.<br />
Geforscht wird auch an anderen Konzepten wie<br />
der Speicherung in Metallhydrid-Speichern oder<br />
in so genannten Nanotubes, mikroskopisch klei-<br />
nen röhrenförmigen Gebilden. „Doch in diesen<br />
Bereichen ist noch erhöhter Entwicklungsbedarf<br />
gegeben“, merkt Professor Winkler an.<br />
Für ihn steht ohnehin das Thema Energie-<br />
effizienz und eine daran ausgerichtete Zukunfts-<br />
strategie an erster Stelle. „Nur wirklich effiziente<br />
› 15<br />
› 15<br />
Die Grundlage für den<br />
mit einer Brennstoffzelle<br />
betriebenen Gabelstapler<br />
bildet ein seriengefertigter<br />
Elektrostapler vom Typ R60<br />
der Firma Still <strong>GmbH</strong>.
Systeme können überleben. Die Wasserstoff-<br />
Wirtschaft ist ein Weg, auch wenn es noch Defi-<br />
zite beim Wirkungsgrad gibt, was die aufwendige<br />
Herstellung von Wasserstoff betrifft. Wichtig sind<br />
eine gedankliche Flexibilität und vor allem eine<br />
Strategie, wie Effizienz zu erreichen und zu ver-<br />
bessern ist.“ Für die HAW sei es daher wichtig,<br />
das Projekt ZEMSHIPS wissenschaftlich zu beglei-<br />
ten, um gerade diese Fragen mit einzubringen<br />
und auch Antworten zu geben, die letztendlich<br />
zur industriellen Umsetzung am Standort Ham-<br />
burg führen.<br />
Nicht zu unterschätzen sind auch die sicher-<br />
heitsrelevanten Vorgaben, die der Germanische<br />
Lloyd als Zertifizierungsstelle gestellt hat. Dies<br />
betrifft unter anderem den mitgeführten Was-<br />
serstoff oder die Haltbarkeit der Brennstoffzellen.<br />
„Die Dokumentation für dieses Projekt wird der-<br />
zeit erstellt“, so Dr. Gerd-Michael Würsig, Gruppen-<br />
leiter der Prozess- und Brennstoffzellentechnik<br />
beim Germanischen Lloyd in Hamburg. „Wenn<br />
diese genehmigt ist, werden die weiteren Schritte<br />
eingeleitet: Bau, Kontrolle und Abnahme des<br />
HYBRID-ANTRIEBSSYSTEM<br />
DER BRUNEL IMG GMBH<br />
Derzeit wird überlegt, die Energieeffizienz des<br />
Brennstoffzellenschiffs durch zusätzliche, parallel<br />
geschaltete Batterien zu erhöhen. Nach dem<br />
Vorbild des Hybridantriebs schaltet sich das elektrische<br />
Aggregat ein, wenn die benötigte Energie<br />
beim Anfahren und Beschleunigen überdurchschnittlich<br />
hoch ist. Während der Fahrt lädt sich<br />
die Batterie wieder auf. Somit können die Brennstoffzellenaggregate<br />
kleiner konzipiert werden.<br />
Die Vorteile des Hybridantriebs nutzt die Nordhäuser<br />
Straßenbahn bereits seit einigen Jahren – mit<br />
einem diesel-elektrischen Aggregat der <strong>Brunel</strong> IMG<br />
<strong>GmbH</strong>. Der diesel-elektrische Betrieb mit einer<br />
Leistung von 160 kW ermöglichte erstmals, das<br />
Straßenbahnnetz mit dem Schienennetz der Harzer<br />
Schmalspurbahn zu verbinden. Auch für Schiffe ist<br />
diese Antriebslösung anwendbar.<br />
Schiffsrumpfes, Einbau und Kontrolle der Aggre-<br />
gate, Inbetriebnahme und Dichtigkeitsprüfungen.<br />
Anschließend die Abnahme und Erprobung auch<br />
unter schwierigen Bedingungen wie beispiels-<br />
weise die Tidestrom-Bewältigung“, erläutert Dr.<br />
Würsig. Was die Effizienz, den Wirkungsgrad und<br />
die Energiebilanz des zu entwickelnden Schiffs<br />
betrifft, wird man die Tests noch abwarten müs-<br />
sen.<br />
DER GERMANISCHE LLOYD STELLT HOHE<br />
ANFORDERUNGEN AN DIE SICHERHEIT<br />
Inzwischen fördert auch die EU das Projekt ZEM-<br />
SHIPS mit 2,4 Millionen Euro, dessen Gesamtkos-<br />
ten sich auf rund fünf Millionen Euro belaufen.<br />
Denn im 2005 verabschiedeten „Wasserstoff-<br />
Manifest“ fordert das EU-Parlament eine „grüne<br />
Wasserstoff-Wirtschaft“ in kürzester Zeit. Ziel ist,<br />
in Europa die Energiepreise für Strom, Wärme und<br />
Verkehr deutlich zu reduzieren, energieautark und<br />
damit unabhängig von Lieferanten fossiler Roh-<br />
stoffe zu werden. Ein vorrangiges Ziel ist es, den<br />
Schadstoffausstoß in Städten spürbar zu senken.<br />
Und Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb gelten als<br />
„zero emission vehicles“.<br />
Forschung & Wissenschaft<br />
› 16<br />
› 16<br />
Die PM Basic A 50 leistet<br />
50 kW und ist Teil einer<br />
flexiblen Produktpalette<br />
von Brennstoffzellensystemen<br />
für die OEM-<br />
Integration in verschiedenen<br />
Anwendungen.<br />
der Spezialist 25
technische projekte<br />
Artus bittet zur T afelrunde<br />
Die Entwicklung von komplexer Motorsteuerungssoftware erfolgt heute in internatio-<br />
nalen Teams. Dies stellt besondere Anforderungen ans Projektmanagement. Der <strong>Brunel</strong>-<br />
Spezialist Oliver Paland unterstützt Bosch seit zwei Jahren bei der Optimierung der<br />
Zusammenarbeit zwischen indischen und deutschen Fachkräften.<br />
TEXT › Jürgen Warmbold<br />
Oliver Paland ist auf internationalem Parkett zu<br />
Hause. Der <strong>Brunel</strong>-Spezialist ist seit 2005 im Pro-<br />
jekteinsatz bei der Robert Bosch <strong>GmbH</strong>. Deutsche<br />
und indische IT-Spezialisten entwickeln im Rah-<br />
men des ARTUS-Projekts (Architecture Unified<br />
Solution) ein Softwaretool für die Optimierung<br />
der Motorsteuerungssoftware.<br />
26<br />
Den Anstoß zur Entwicklung solcher Motor-<br />
steuerungen für Automobile gaben unter ande-<br />
rem strenge Umweltschutzvorgaben. Beispiels-<br />
weise steuern Computer heute bei Motoren den<br />
Ausstoß von Stickoxiden. Mithilfe von Sensoren<br />
messen sie unter anderem die Motordrehzahl und<br />
die Lufttemperatur. Auf Basis dieser Werte wird<br />
die Kraftstoffmenge in den betreffenden Zylin-<br />
der eingespritzt, um eine optimale Verbrennung<br />
sicherzustellen.<br />
KLARE AUFGABENTEILUNG FÜR INTER-<br />
NATIONALE ZUSAMMENARBEIT<br />
Da die Motorsteuerungssoftware individuell an<br />
jedes Fahrzeugmodell angepasst wird, entsteht<br />
eine große Variantenvielfalt. An diesen Entwick-<br />
lungen arbeiten weltweit über 1.000 Mitarbeiter,<br />
weshalb Bosch eine auf die Automobilindustrie<br />
zugeschnittene Softwarearchitektur einsetzt. Not-<br />
wendig wird diese besondere Softwarearchitektur<br />
bei hoch komplexen Programmen oder Software-<br />
einheiten, um deren Aufbau grafisch zu doku-<br />
mentieren, damit sie für Entwickler und Nutzer<br />
der Spezialist<br />
verständlich bleiben. Ähnlich wie bei den Grund-<br />
rissen eines Gebäudes werden so die Strukturen<br />
der Programme festgeschrieben. Zum Managen<br />
dieser Architektur nutzt Bosch das ARTUS-Tool,<br />
ein Programm zur Softwareentwicklung. Das Sys-<br />
tem stellt die Architektur einer Software grafisch<br />
dar und überprüft sie auf logische Fehler.<br />
Als Oliver Paland vor zwei Jahren zu Bosch<br />
kam, galt es, die internationale Zusammenarbeit<br />
zwischen Indien und Deutschland zu optimie-<br />
ren. Dafür mussten im ersten Schritt Qualitäts-<br />
prozesse etabliert werden. Diese bildeten die<br />
gemeinsame Basis für neu strukturierte Arbeits-<br />
prozesse. Paland über die Herangehensweise:<br />
„Solch ein Projekt kann nur dann erfolgreich sein,<br />
wenn beide Seiten flexibel aufeinander zugehen<br />
› 18<br />
Die Value-Motronic von<br />
Bosch ist eine kostengünstigeSteuergeräte-Plattform<br />
für Benzin-Einspritzsysteme.<br />
Ihre Software<br />
lässt sich besonders leicht<br />
an unterschiedliche Motorenkonzepte<br />
anpassen.<br />
› 17<br />
Indien ist ein Land der<br />
Gegensätze: Die 1,1 Milliarden<br />
Menschen leben in<br />
einer Welt voller Traditionen<br />
und Bräuche, trotzdem<br />
arbeiten nicht wenige<br />
als hochqualifizierte<br />
Fachkräfte im IT-Sektor.<br />
› 17
und ihre Kulturen und Verhaltensmuster gegen-<br />
seitig akzeptieren. Reibungslose Kommunikation<br />
und ein zuverlässiges Qualitätsmanagement sind<br />
daher unabdingbar.“<br />
DEUTSCHLAND PLANT, INDIEN SETZT UM<br />
Dies gilt ebenso für die Aufgabenverteilung inner-<br />
halb des ARTUS-Projektes: „Heute entstehen in<br />
Deutschland die Anforderungen, die Architektur<br />
und das Design der Softwaretools, in Indien wer-<br />
den sie umgesetzt“, erläutert Christof Hammel,<br />
Chefarchitekt der Motorsteuerungsentwicklung<br />
bei Bosch. Die Stärken der indischen Teammit-<br />
glieder liegen im Programmieren, die Deutschen<br />
haben ihre Schwerpunkte in der Zeitplanung,<br />
dem Risiko- und Qualitätsmanagement. Für eine<br />
reibungslose Kommunikation ist der Entwick-<br />
lungsprozess des ARTUS-Projektes zudem durch-<br />
gängig genormt.<br />
„Zu den wesentlichen Voraussetzungen für<br />
das Gelingen internationaler Projekte zählt wech-<br />
selseitiges Vertrauen“, betont Paland. „Das gilt<br />
insbesondere für den asiatischen Raum, denn in<br />
der indischen Kultur gelten Rückfragen und Kri-<br />
tik als äußerst unhöflich.“ Hier setzte Paland an<br />
und ermutigte die indischen Mitarbeiter, zu fra-<br />
gen und zu kritisieren. Zudem hob er bewusst<br />
seine eigene Fehlbarkeit hervor und reagierte<br />
positiv auf Kritik. Als gemeinsames Ziel definierte<br />
er hohe Qualitätsstandards. Mittlerweile funktio-<br />
niert der offene Austausch gut. Selbst Kritik wird<br />
inzwischen als Teil konstruktiver Zusammenar-<br />
beit aufgenommen.<br />
Durch technische Fortschritte ändern sich die<br />
Arbeitsprozesse im Projekt kontinuierlich und<br />
die Strukturen der Softwarearchitektur müssen<br />
angeglichen werden. Zudem haben die Entwick-<br />
ler ihr Ziel in Bezug auf die angestrebten Funkti-<br />
onalitäten noch nicht erreicht. Somit warten auf<br />
den Frühaufsteher Oliver Paland im ARTUS-Pro-<br />
jekt auch zukünftig jede Menge neuer Heraus-<br />
forderungen. „Das frühe Aufstehen habe ich mir<br />
angewöhnt, um der Zeitverschiebung zwischen<br />
Deutschland und Indien von viereinhalb Stunden<br />
gerecht zu werden.“<br />
PORTRÄT<br />
› 18<br />
Oliver Paland arbeitet seit<br />
Juli 2005 für <strong>Brunel</strong>. Er<br />
hat in Aachen und an der<br />
Fernuniversität Hagen<br />
Informatik studiert. In seiner<br />
beruflichen Laufbahn<br />
war Paland für verschiedene<br />
Unternehmen in den<br />
Bereichen Softwareentwicklung,Qualitätsmanagement<br />
und Projektleitung<br />
tätig.<br />
der Spezialist 27
MITARBEITER UND KARRIERE<br />
Zwischen Himmel und Erde<br />
Internationale und hoch komplexe Projekte gehören im heutigen Geschäftsleben zum Alltag.<br />
Die Spezialistinnen Arzu Dreier und Yukari Hara unterstützen Unternehmen aus der Luftfahrt-<br />
und Automobilbranche bei der professionellen Abwicklung von Großprojekten.<br />
TEXT › Janina Weinhold<br />
Schon in der Schule waren Mathematik und Phy-<br />
sik Arzu Dreiers Lieblingsfächer. „Mir macht es<br />
Spaß, nach Formeln zur Lösung von Problemen<br />
zu suchen. Das hat mich schon immer fasziniert“,<br />
erzählt sie. Statt als Pilotin abzuheben, entschied<br />
sich die junge Frau für die technische Seite des<br />
Menschheitstraums vom Fliegen in der Luft-<br />
und Raumfahrt. Sie begann eine Ausbildung zur<br />
technischen Zeichnerin mit den Schwerpunkten<br />
Maschinenbau und Elektrotechnik bei Airbus in<br />
Hamburg. Da Dreier Herausforderungen schätzt,<br />
holte sie zusätzlich zur 40-Stunden-Woche in<br />
drei Jahren das Abitur an der Abendschule nach.<br />
„Mein Abitur eröffnete mir die Chance, zu studie-<br />
ren“, erzählt die heute 32-Jährige.<br />
VOM BAUINGENIEURWESEN IN DIE LUFT- UND<br />
RAUMFAHRTTECHNIK<br />
Sie entschied sich aufgrund der damals schlech-<br />
ten Arbeitsmarktlage im Bereich Luft- und Raum-<br />
fahrttechnik für eine verwandte Disziplin, das<br />
Bauingenieurwesen. „An der Technischen Univer-<br />
sität Hamburg bot mir dieses Studienfach mit den<br />
Vertiefungen Strömungsmechanik und Hydraulik<br />
interessante Parallelen zum Luftfahrtbereich. Die<br />
Gesetze der Hydraulik gelten ja sowohl im Wasser<br />
als auch in der Luft“, so Dreier. Für ein übergrei-<br />
fendes Verständnis ihrer Tätigkeit absolvierte sie<br />
zusätzlich zwei Semester Wirtschaftsingenieur-<br />
wesen an der Fernuniversität Hagen. Im kanadi-<br />
28<br />
der Spezialist<br />
schen Kingston, an der Queen’s University, schrieb<br />
sie schließlich ihre Diplomarbeit über die Bere-<br />
chenbarkeit des Mäanderverhaltens von Flüssen.<br />
„Mein kanadischer Professor riet mir daraufhin,<br />
zu promovieren“, erinnert sich Dreier, die seinem<br />
Rat folgte. Während der Promotionsphase im<br />
Jahr 2005 erfuhr sie von der Möglichkeit, als Bru-<br />
nel-Mitarbeiterin im Testprogramm A400M bei<br />
Airbus zu arbeiten. Da sie der Bereich Luft- und<br />
Raumfahrt noch immer reizte, bewarb sie sich<br />
und tauschte im November 2005 die Bücher gegen<br />
die Praxis.<br />
„In meiner jetzigen Position im Projektmanage-<br />
ment konstruiere ich nicht mehr selbst“, erläutert<br />
Arzu Dreier. Seit Sommer 2006 ist die <strong>Brunel</strong>-Mit-<br />
arbeiterin bei Airbus in Hamburg in der Cabin-&-<br />
Cargo-Testabteilung nun als Verifikations- und<br />
Validationsmanagerin tätig. Hier betreut sie die<br />
› 19<br />
PORTRÄT<br />
Yukari Hara beendete 1986<br />
ihr Studium der Geochemie<br />
an der Universität<br />
Kobe. Nach Stationen bei<br />
Mitsubishi Heavy Industries<br />
und der deutschen<br />
Tochterfirma von Mitsubishi,<br />
RSEA in Alsdorf, ist<br />
sie als <strong>Brunel</strong>-Mitarbeiterin<br />
seit 2006 für Siemens<br />
VDO in Lindau tätig.<br />
› 19<br />
Als Verifikations- und<br />
Validationsmanagerin<br />
überprüft Arzu Dreier die<br />
strikten Konstruktionsvorgaben<br />
und hilft so, die<br />
Sicherheit der Flugzeuge<br />
weiter zu erhöhen.
MITARBEITER UND KARRIERE<br />
30<br />
der Spezialist<br />
PORTRÄT<br />
Die <strong>Brunel</strong>-Mitarbeiterin<br />
Arzu Dreier arbeitet seit<br />
2005 in der Cabin-&-<br />
Cargo-Testabteilung von<br />
Airbus. Nach ihrer Ausbildung<br />
zur technischen<br />
Zeichnerin bei Airbus<br />
folgte 1997 ein Studium<br />
des Bauingenieurwesens<br />
an der TU Hamburg-<br />
Harburg. Ihre Diplomarbeit<br />
schrieb sie 2004 an<br />
der kanadischen Queen’s<br />
University.<br />
› 20<br />
Gerade im Bereich Cabin &<br />
Cargo sind innovative<br />
Design- und Produktionskonzepte<br />
gefragt, damit<br />
die Unternehmen im internationalen<br />
Wettbewerb<br />
konkurrenzfähig bleiben.<br />
Arzu Dreier überwacht<br />
die Zuverlässigkeit dieser<br />
Konzepte.<br />
Flugzeugprogramme A330F, die Entwicklung<br />
eines neuen Frachtflugzeugs, und NSR, ein Kurz-<br />
strecken-Passagierflugzeug. Als Projektleiterin<br />
überwacht sie die Entwicklung und Installation<br />
der gesamten Kabinensysteme. Sie ist die zen-<br />
trale Schnittstelle zwischen den Ingenieuren bei<br />
Airbus, den Zulieferern und den Programmvorga-<br />
ben. Beispielsweise kümmert sie sich mit um die<br />
Beauftragung der Zulieferer, damit Teile wie das<br />
Frachtladetor im Rahmen des Zeitplans entwickelt<br />
werden. Der Beitrag aller Beteiligten an den Test-<br />
phasen muss stimmen. Zum Beispiel beim „Cabin<br />
Zero“: einem Labortest, bei dem die Integrations-<br />
fähigkeit der einzelnen Flugzeugsysteme über-<br />
prüft wird. Sämtliche Vorgänge im Blick zu haben<br />
und bei Engpässen rechtzeitig einzugreifen, ist<br />
eine große Herausforderung. Jeder im Team muss<br />
an seinem Standpunkt abgeholt und für das Pro-<br />
jekt als Ganzes gewonnen werden, ganz gleich, ob<br />
es sich um Ingenieure, Mechaniker oder Mana-<br />
ger handelt. Prioritäten setzen ist in einer sol-<br />
chen Position zentral. „Genau diese Abwechslung<br />
macht den Reiz meiner Aufgabe aus“, so Dreier.<br />
„Ich bin sehr viel unterwegs, auch bei den Zulie-<br />
ferern vor Ort. Spontanität und Flexibilität sind<br />
ständig gefragt.“ Das Testing für die Programme<br />
A330F und NSR möchte sie in den nächsten Jahren<br />
zum Abschluss bringen.<br />
INTERKULTURELLE KOMPETENZ ALS<br />
ERFOLGSFAKTOR FÜR INTERNATIONALE<br />
PROJEKTE<br />
Ebenso wie Arzu Dreier kümmert sich auch die Bru-<br />
nel-Mitarbeiterin Yukari Hara um die reibungslo-<br />
sen Prozessabläufe in ihrem Projekt. Während<br />
Dreier jedoch die Sicherheit in der Luft verantwor-<br />
tet, dreht sich Yukari Haras Aufgabenfeld um die<br />
Sicherheit auf den Straßen. Seit November 2004<br />
entwickelt Siemens VDO den „Blind Spot Detector“<br />
für einen japanischen Automobilhersteller. Der<br />
Sicherheitsaspekt der Fahrerassistenzsysteme, der<br />
bisher nur im gehobenen Kraftfahrzeugsegment<br />
eine Rolle spielte, wird jetzt zunehmend auch in<br />
Mittel- und Kompaktklassechargen nachgefragt.<br />
Um die interkulturellen Geschäftsbeziehungen<br />
› 20
zum japanischen Kunden zu optimieren, arbeitet<br />
die gebürtige Japanerin derzeit als Assistentin im<br />
Projektmanagement von Siemens VDO.<br />
In der Vergangenheit zeigte sich häufig, dass<br />
sich die Umsetzung des Projekts durch Missver-<br />
ständnisse nicht so effizient wie geplant gestal-<br />
ten ließ. „Im Hinblick auf die besondere japani-<br />
schen Art, Vorgaben und Wünsche zu artikulieren,<br />
haben wir Frau Hara in unser Team integriert. Sie<br />
beherrscht die Landessprache und die Umgangs-<br />
formen. Um Verzögerungen zu vermeiden, führt<br />
sie die Gespräche und Abstimmungen mit dem<br />
Kunden“, erläutert der Manager für Advanced Dri-<br />
ver Assistance Systems Thomas Stierle.<br />
Hara, die schon langjährige Erfahrung in der<br />
Zusammenarbeit mit deutschen Unternehmen<br />
hat, nennt die unterschiedliche Geschäftsmenta-<br />
lität und eine andere Abfolge der Arbeitsschritte<br />
als zentrale Herausforderung ihrer Arbeit. Die<br />
Unterschiede schlagen sich beispielsweise in der<br />
Art der Anfragen nieder: „Japaner denken eher an<br />
das Gesamtprodukt und verbleiben für deutsche<br />
Verhältnisse relativ unspezifisch. Meine Aufgabe<br />
ist es, die Anfrage herunterzubrechen und in kon-<br />
krete Anforderungen für die unterschiedlichen<br />
Abteilungen bei Siemens VDO zu übersetzen“,<br />
erklärt Yukari Hara. Die kulturellen Unterschiede<br />
zeigen sich insbesondere in der Art, wie Wünsche<br />
artikuliert werden. Denn in Japan, so Hara, sind<br />
die gesellschaftlichen Beziehungen durch das<br />
Streben nach Harmonie geprägt. Individuelles<br />
Auftreten wird eher missbilligt. „Ich muss dem-<br />
zufolge zwischen den Zeilen lesen, da Probleme<br />
selten direkt ausgesprochen werden“, fügt Hara<br />
hinzu.<br />
DEUTSCHE TUGENDEN TREFFEN AUF FERN-<br />
ÖSTLICHE MENTALITÄT<br />
Dass Yukari Hara heute in Deutschland arbeitet,<br />
ergab sich durch ihre Entscheidung für Deutsch<br />
als zweite Fremdsprache während des Studiums<br />
an der Universität Kobe. Über diese Qualifikation<br />
erhielt sie die Chance, für ein japanisches Unter-<br />
nehmen in Deutschland zu arbeiten. Die studierte<br />
Geochemikerin, die heute in der Automotive-Bran-<br />
che ihren Platz gefunden hat und sich eher mit<br />
technisch-physikalischen Fragen auseinander-<br />
setzt, weiß um noch einen Unterschied: „In Japan<br />
verläuft der Einstieg in den Beruf weniger statisch.<br />
Ausschlaggebend ist mehr die Studienrichtung<br />
als der Titel.“ Dafür hat die bürokratische Seite<br />
der deutschen Geschäftswelt auch seine Vorteile:<br />
„In Deutschland ist eine Krankschreibung üblich.<br />
In Japan werden bei Krankheit Urlaubstage fäl-<br />
lig und somit ist mehr als eine Woche Urlaub am<br />
Stück undenkbar“, schmunzelt Hara.<br />
MITARBEITER UND KARRIERE<br />
› 21<br />
› 21<br />
Durch die Entwicklung<br />
von Fahrerassistenzsystemen<br />
mit Radarsensoren<br />
und Infrarotkameras<br />
können heute Gefahren<br />
im Straßenverkehr aktiv<br />
vermieden werden.<br />
der Spezialist 31
› 22
Im Windschatten<br />
der Formel 1<br />
AUS DEN BRANCHEN<br />
Bei der Formula Student Germany geht es nicht allein um Geschwindigkeit. Erfolgreich ist<br />
nur das Team mit dem besten Gesamtkonzept aus Konstruktion, Rennperformance, Finanz-<br />
planung und Verkaufsargumenten.<br />
TEXT › Jan Meyer-Veden<br />
„Internationale Wettbewerbe, bei denen Studen-<br />
ten mit selbstgebauten Rennautos gegeneinander<br />
antreten, gibt es schon seit den Achtzigerjahren“,<br />
erzählt Dr.-Ing. Ludwig Vollrath, Geschäftsführer<br />
der VDI-Gesellschaft für Fahrzeug- und Verkehrs-<br />
technik und einer der Gründerväter der Formula<br />
Student Germany (FSG). Seit 2006 tragen die ange-<br />
henden Ingenieure nun auch in Deutschland das<br />
Rennen um den gelungensten Eigenbauboliden<br />
aus. Dabei geht es indes nicht allein um Schnellig-<br />
keit und Fahrkünste – entscheidend ist die Bewäl-<br />
tigung eines Gesamtpakets technischer, aber auch<br />
betriebswirtschaftlicher Anforderungen. Anhand<br />
eines Lastenheftes, für das der VDI als fiktiver Auf-<br />
traggeber verantwortlich ist, sollen die Studenten<br />
den Prototypen eines Amateur-Rennautos bauen,<br />
und darüber hinaus ein Konzept entwerfen, wie<br />
ihr Produkt in einer Auflage von 1.000 Stück jähr-<br />
lich zu finanzieren und auf dem Markt in eine<br />
günstige Startposition zu bringen ist.<br />
STUDENTISCHE RENNTEAMS AUS 13 NATIO-<br />
NEN MESSEN SICH BEI DER FSG 2007<br />
Der Wettbewerb wird auf dem Gelände des<br />
Hockenheimrings ausgetragen. Vier Tage lang<br />
messen sich hier studentische Teams aus aller<br />
Welt. Über 1.000 Studenten in 54 Teams aus<br />
13 Ländern kamen, um ihre Eigenkonstruktionen<br />
zu präsentieren, darunter Teams aus den USA,<br />
Indien, Russland, Frankreich, Finnland, Schweden,<br />
den Niederlanden und Dänemark. Sieger ist, wer<br />
nach Durchlauf aller Disziplinen, unterteilt in<br />
„statische“ Disziplinen wie Design, Kostenplan<br />
oder Präsentation und „dynamische“ Disziplinen<br />
wie Beschleunigung, Autocross oder Langstrecke,<br />
die meisten Punkten sammeln konnte. Aktueller<br />
Champion der Formula Student Germany ist das<br />
Rennteam der Uni Stuttgart, das sich im diesjäh-<br />
rigen Event gegen den Vorjahressieger, das TUG-<br />
Racing Team von der Technischen Universität<br />
Graz, durchsetzen konnte. Zum ersten Mal in der<br />
› 23<br />
› 22<br />
Gesamtfahrzeugleiter<br />
Sebastian Seewaldt vom<br />
Stuttgarter Rennteam<br />
schiebt Fahrer Michael<br />
Kissling im Rennboliden<br />
zum Start des Abschlussrennens.<br />
› 23<br />
Bei der FSG treffen Unternehmen<br />
auf hoch qualifizierteNachwuchsingenieure,<br />
wie die des Teams<br />
„Einstein Motorsport“<br />
aus Ulm.<br />
der Spezialist<br />
33
AUS DEN BRANCHEN<br />
Geschichte der Formula Student hat ein deutsches<br />
Team gewonnen.<br />
34<br />
Betrachtet man die Entwicklung seit der Pre-<br />
miere im Jahr 2006, hat die Formula Student Ger-<br />
many einen Traumstart hingelegt: „Die Nachfrage<br />
für 2007 war so groß, dass wir die Anzahl der Start-<br />
plätze von 40 auf 60 erhöhen mussten“, berichtet<br />
Vollrath stolz. Mit diesen Zahlen ist die FSG dem<br />
größten und traditionsreichsten Formula-Stu-<br />
dent-Wettbewerb auf europäischem Boden, der<br />
FS England, mit 86 Teams dicht auf den Fersen.<br />
DIE RENNTEAMS VON HEUTE SIND DIE NACH-<br />
WUCHSKRÄFTE VON MORGEN<br />
Das hat auch die Aufmerksamkeit der großen<br />
motorsportaffinen Unternehmen geweckt, die<br />
hier Nachwuchskräfte von morgen genauer unter<br />
die Lupe nehmen. „Um den steigenden Anforde-<br />
rungen im Berufsleben gewachsen zu sein, wird<br />
es für angehende Ingenieure immer wichtiger,<br />
frühzeitig praktische Erfahrungen hinsichtlich<br />
der Spezialist<br />
Teamwork, Zeit- und Projektmanagement sowie<br />
Konstruktion, Fertigung und wirtschaftlichen<br />
Aspekten zu sammeln“, verdeutlicht General<br />
Manager Carsten Siebeneich das Sponsoring-<br />
Engagement der <strong>Brunel</strong> <strong>GmbH</strong>. Die Suche nach<br />
geeigneten Geldgebern unterliegt eigenen Gesetz-<br />
mäßigkeiten, wie Michael Kissling, Pilot und<br />
organisatorischer Leiter des Rennteams Uni Stutt-<br />
gart, aus Erfahrung weiß: „Der Formula Student<br />
fehlt natürlich die ganz große Öffentlichkeit, wie<br />
sie beispielsweise die Formel 1 zu bieten hat.“ Am<br />
ehesten, so Kissling, ließen sich Unternehmen mit<br />
der Aussicht auf Kontakte zu hoch qualifizierten<br />
und vor allem hoch motivierten Nachwuchskräf-<br />
ten überzeugen.<br />
Ist der Kontakt zur Industrie erst vorhanden,<br />
kann es manchmal schnell gehen. Dass Unter-<br />
nehmen Fachkräfte aus den Reihen der motor-<br />
sportbegeisterten Ingenieurstudenten akqui-<br />
rieren, ist längst gängige Praxis. Viele FS-Kons-<br />
trukteure der ersten Stunde sind in hoch dotier-<br />
ten Positionen untergekommen und sitzen nun<br />
› 24<br />
› 24<br />
Sicherheit wird groß<br />
geschrieben bei der FSG:<br />
Bevor die Rennwagen auf<br />
die Strecke dürfen, überprüfen<br />
Streckenmarshals<br />
eingehend alle sicherheitsrelevanten<br />
Details<br />
am Boliden des jeweiligen<br />
Rennteams.
als Abgesandte ihrer Unternehmen in der Wett-<br />
bewerbsjury.<br />
„Schade, dass es so etwas zu meiner Studienzeit<br />
nicht gegeben hat“, bedauert Vollrath. „Wir hatten<br />
nur die Akaflieg-Projekte (Akademische Flieger-<br />
gruppen, Anm. d. Red.), wo man monatelang an<br />
einer Tragfläche herumgeschraubt hat, um dann<br />
einmal mitfliegen zu dürfen.“ Folglich hat der be-<br />
kennende Motorsportfreund es sich auch nicht<br />
nehmen lassen, einmal einen FS-Boliden Probe zu<br />
fahren.<br />
Als Ingenieur der Fahrzeugtechnik kann Voll-<br />
rath ermessen, wie viel Arbeit in den Vehikeln<br />
steckt. „Das ist ein Fulltime-Job“, sagt er. Und in der<br />
Tat: Nach dem Rennen ist vor dem Rennen. Der<br />
einsitzige Rennwagen darf jeweils nur für ein<br />
FSG-Event angemeldet werden, ja selbst die Wie-<br />
derverwendung von Einzelteilen ist nicht erlaubt.<br />
› 25<br />
› 25<br />
Mit nur 84 PS beschleunigen<br />
die Rennwagen von<br />
0 auf 100 km/h in weniger<br />
als vier Sekunden. Auf der<br />
engen und kurvenreichen<br />
Strecke zählt vor allem<br />
das Beschleunigungsvermögen,Höchstgeschwindigkeit<br />
ist eher nebensächlich.<br />
der Spezialist 35
AUS DEN BRANCHEN<br />
› 26<br />
Neben den statischen<br />
Disziplinen müssen die<br />
Rennwagen auch in den<br />
dynamischen Disziplinen<br />
Acceleration, Skid Pad,<br />
Autocross, Endurance und<br />
im Benzinverbrauchstest<br />
punkten.<br />
36<br />
der Spezialist<br />
So beginnt die Planung für das Nachfolgemodell,<br />
sobald der Motor kalt geworden ist. Nicht zuletzt<br />
müssen auch die neuen Teammitglieder eingear-<br />
beitet werden.<br />
KLEINE UNTERSCHIEDE ZUR GROSSEN<br />
SCHWESTER FORMEL 1<br />
Nach eingehender Analyse aller Schwächen und<br />
Stärken des aktuellen Boliden wird zunächst fest-<br />
gelegt, welchen Radstand und welche Spurbreite<br />
das neue Fahrzeug bekommen soll. Viele der<br />
späteren Grundeigenschaften wie Kurvenstabi-<br />
lität oder Gewicht hängen von dieser Entscheidung<br />
ab. Im Falle des F 0711-2B, mit dem das Team der<br />
Uni Stuttgart im August angetreten ist, entschied<br />
man sich für eine Verkürzung des Radstandes<br />
von 1.720 mm auf 1.700 mm. Dadurch soll Gewicht<br />
eingespart werden. Wie in der Formel 1 gehört<br />
eine möglichst leichte Bauweise zu den großen<br />
Herausforderungen für die Konstrukteure. Zu<br />
leicht darf der Wagen allerdings auch nicht sein,<br />
damit die Reifen die Motorleistung noch „optimal<br />
auf den Asphalt übertragen“, so Kissling.<br />
› 26<br />
Apropos Reifen: Auch hier kämpft die Formula<br />
Student mit den gleichen Problemen wie ihre<br />
große Schwester. Zwar stellen die drei FS-Haupt-<br />
lieferanten spezielle Formula-Student-Serien her,<br />
doch kommt der Wahl des richtigen Materialmixes<br />
erhöhte Bedeutung zu: Im Gegensatz zur Formel<br />
1 gibt es nämlich bei der Formula Student keine<br />
Boxenstops, kein Taktieren auf mögliche Ände-<br />
rungen der Witterungsverhältnisse. Reifen dürfen<br />
nur im Schadensfall und dann nur gegen bauglei-<br />
che Modelle ausgetauscht werden. Hinzu kommt<br />
die Frage „10 Zoll oder 13 Zoll?“ Da ein Aufwärmen
der Reifen vor dem Rennen in der Formula Stu-<br />
dent nicht erlaubt ist, setzen manche Teams auf<br />
Reifen mit geringerem Durchmesser, die naturge-<br />
mäß häufiger drehen und damit schneller auf die<br />
optimale Betriebstemperatur kommen. Allgemein<br />
wird jedoch die 13-Zoll-Variante bevorzugt, da sie<br />
einfacher zu verbauen ist. „Außerdem setzen auch<br />
die Hersteller hauptsächlich auf 13-Zoll-Reifen<br />
und so hat man einfach eine größere Auswahl zur<br />
Verfügung“, ergänzt Michael Kissling.<br />
Nicht weniger knifflig ist die Entscheidung für<br />
den richtigen Motor. Ähnlich wie die Reifen ist der<br />
ein Fertigbauteil und hierin besteht die Heraus-<br />
forderung: Die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen,<br />
zu optimieren und auf etwaige Fehler und Schä-<br />
den zu reagieren, ist bei Fertigmodulen gering, die<br />
Abhängigkeit vom Sponsor umso größer. Im Zwei-<br />
felsfall muss ein komplett neues Bauteil her. Die<br />
Stuttgarter haben diese Erfahrung zwei Monate<br />
vor dem Rennen machen müssen: Plötzliche Lie-<br />
ferengpässe auf Seiten des Motorensponsors sorg-<br />
ten für eine Schrecksekunde. Die Versorgung mit<br />
Ersatzteilen war nicht mehr gewährleistet. Dazu<br />
› 27<br />
kam die wenig beruhigende Aussicht, ohne einen<br />
Ersatzmotor ins Rennen zu gehen. So beschlossen<br />
die Stuttgarter, den Sponsor zu wechseln, einen<br />
neuen Motor einzubauen und die restliche Kon-<br />
struktion kurzerhand anzupassen. „Innerhalb von<br />
nur vier Wochen haben wir eigentlich ein halbes<br />
neues Auto gebaut“, berichtet Kissling.<br />
DAS RICHTIGE GESAMTKONZEPT ENTSCHEI-<br />
DET ÜBER DEN SIEG<br />
Das gute Abschneiden des Rennteams aus Stutt-<br />
gart in allen dynamischen Disziplinen, der Sieg<br />
im 22 Kilometer langen Endurance-Rennen, einer<br />
Disziplin mit besonders hohen Ansprüchen an<br />
den Motor, und nicht zuletzt der erste Platz in der<br />
Gesamtwertung zeigen, dass sich die Plackerei<br />
gelohnt hat.<br />
› 28<br />
Damit kann sich der „alte Hase“ Kissling in<br />
aller Würde aus dem aktiven Rennsport verab-<br />
schieden. Nach der zweiten Rennsaison heißt es,<br />
Platz für den Nachwuchs machen und sich wieder<br />
aufs Studium konzentrieren. Die Kontakte jedoch,<br />
die er während seiner Zeit in der Formula Student<br />
geknüpft hat, tragen bereits Früchte: Im Oktober<br />
tritt Kissling ein Praktikum an. Bei Porsche, Australien.<br />
AUS DEN BRANCHEN<br />
› 28<br />
Die Leidenschaft für die<br />
innovativen Rennboliden<br />
hat nicht nur die studentischen<br />
Teams erfasst:<br />
Auch die Zuschauer fiebern<br />
mit.<br />
› 27<br />
Die Fahrer Michael<br />
Kissling (rechts) und Tobias<br />
Christmann vom Gewinnerteam<br />
der Universität<br />
Stuttgart freuen sich über<br />
den Gesamtsieg bei der<br />
diesjährigen FSG.<br />
der Spezialist 37
› 29
Aktive Lärmminderung<br />
durch Gegenschall<br />
Da die Methoden passiver Lärmunterdrückung zukünftigen Anforderungen nicht<br />
TEXT › Dr. Ralf Schrank<br />
Lärm kann krank machen. Eine Vielzahl medizi-<br />
nischer Studien belegt, dass laute Umgebungs-<br />
geräusche nicht nur Konzentrationsstörungen<br />
verursachen. Sie können auch Herzkreislaufer-<br />
krankungen, Schlafstörungen oder Migräne her-<br />
vorrufen und sogar das Risiko für Allergien erhö-<br />
hen. Mit passiven Maßnahmen – mit Schaldämp-<br />
fern und Lärmschutzwänden zum Beispiel – gehen<br />
Akustiker schon seit langem gegen den Lärm vor.<br />
Relativ neu dagegen sind Methoden zur aktiven<br />
Lärmbekämpfung. Erste kommerzielle Anlagen,<br />
die den Straßenlärm aus den Schlafzimmern von<br />
Stadtwohnungen verbannen, für Zonen der Ruhe<br />
in Großraumbüros sorgen oder den Innenraum<br />
von Autos „beruhigen“ könnten, sind in der Erpro-<br />
bung oder stehen vor der Markteinführung.<br />
Am wirksamsten ist es natürlich, Lärm gar<br />
nicht erst entstehen zu lassen. In der Tat sind<br />
Automotoren, Reifen, Ventilatoren und andere<br />
Geräuschquellen heute dank materialtechnischer<br />
Verbesserungen deutlich leiser als ihre Vorgänger.<br />
Trotzdem wäre der Lärm auf unseren Straßen im<br />
Sinne des Wortes ohrenbetäubend, wenn Autos,<br />
LKWs und Motorräder nicht durchweg mit passi-<br />
ven Schalldämpfern ausgerüstet wären.<br />
AKTIVE LÄRMUNTERDRÜCKUNG BEKÄMPFT<br />
STRASSENLÄRM WIRKSAM<br />
Allerdings stoßen die klassischen Methoden der<br />
passiven Lärmminderung bei tiefen Tönen, etwa<br />
beim Brummen eines LKW-Motors, an praktische<br />
Grenzen. Denn zur wirksamen Unterdrückung<br />
von Tönen mit langen Wellenlängen müsste man<br />
übermäßig viel Dämm-Material einsetzen. Sys-<br />
teme zur aktiven Lärmunterdrückung haben diese<br />
Schwäche nicht. Zwei Strategien werden derzeit<br />
intensiv verfolgt: die Dämpfung von Struktur-<br />
schwingungen durch Gegenschwingungen, die<br />
piezokeramische Aktoren erzeugen („active struc-<br />
tural acoustic control“), und die Reduzierung eines<br />
QUERDENKEN<br />
mehr gerecht werden, verfolgen Wissenschaftler zwei Methoden zum aktiven Lärmschutz:<br />
„active structural acoustic control“ und „active noise control“.<br />
GERÄUSCHBELASTUNGEN IM ALLTAG<br />
Schallereignis Schallleistungs-<br />
Hörschwelle 0<br />
Blätterrauschen 10<br />
pegel [dB]<br />
Normale Unterhaltung 40–60<br />
Kühlschrank 50<br />
Fernseher in Zimmerlautstärke 60<br />
Hauptverkehrsstraße 80–90<br />
Beginnende Gehörschäden 90<br />
Diskothek 100<br />
Motorsäge 110<br />
Trompete 115<br />
Schmerzschwelle 134<br />
Gewehrschuss 140<br />
Düsenflugzeug 160<br />
Raketentriebwerk 180<br />
› 29<br />
Auch im Kampf gegen die<br />
enorme Lautstärke von<br />
Flugzeugturbinen experimentiert<br />
das Institut<br />
für Antriebstechnik in Köln<br />
erfolgreich mit Gegenschallsystemen.<br />
der Spezialist 39
querdenken<br />
› 30<br />
Menschen mit lärmbedingten<br />
Schlafstörungen<br />
haben laut einer WHO-Studie<br />
ein erhöhtes Risiko für<br />
Herzerkrankungen. Gegenschallsysteme<br />
könnten<br />
zukünftig für gesunden<br />
Schlaf sorgen.<br />
40<br />
der Spezialist<br />
Schallpegels durch einen künstlich erzeugten<br />
Gegenschall („active noise control“).<br />
Die erste Strategie geht davon aus, dass ein<br />
störendes Schallfeld Strukturelemente in Schwin-<br />
gungen versetzt – Motorenlärm zum Beispiel die<br />
Autokarosserie oder Straßenlärm die Fassade<br />
eines Gebäudes. Diese Schwingungen werden<br />
als Störgeräusche in den Fahrzeug- oder Gebäude-<br />
innenraum abgestrahlt. Bisher wurde dieser Effekt<br />
durch passive Dämpfungsmaßnahmen minimiert.<br />
Jetzt werden Aktoren erprobt – etwa in Form von<br />
piezokeramischen Folien – die Karosserieteile,<br />
Fassadenelemente oder Fensterscheiben gezielt<br />
periodisch verformen. Die Aktoren dämpfen die<br />
Materialschwingungen, indem sie gegenläufige<br />
Dehn- bzw. Kontraktionsbewegungen auf die<br />
Strukturelemente übertragen.<br />
Diese Strategie der aktiven Geräuschunterdrü-<br />
ckung ist auf geschlossene Räume beschränkt. Die<br />
zweite Strategie dagegen ist genereller einsetzbar:<br />
Lärm mit „Gegenlärm“ zu bekämpfen. Was wie<br />
Zauberei klingt, wird in der Physik als destruktive<br />
Interferenz beschrieben. Wenn sich zwei Wellen<br />
so überlagern, dass Wellentäler und Wellenberge<br />
zusammentreffen, dann wird die Welle ausge-<br />
löscht. Um einen störenden Ton zu unterdrücken,<br />
muss also nur der passende Gegenton erzeugt wer-<br />
den. In der praktischen Ausführung registrieren<br />
Mikrofone den Lärm, ein Prozessor analysiert die<br />
Störgeräusche und errechnet die optimalen Gegen-<br />
geräusche. Diese Daten werden an Lautsprecher<br />
übertragen, die dann den Gegenschall erzeugen.<br />
AKTIVE UND PASSIVE LÄRMUNTERDRÜCKUNG<br />
ERGÄNZEN SICH OPTIMAL<br />
Was in der Theorie einfach klingt, erfordert in der<br />
Praxis einen enormen Aufwand. Zum Beispiel an<br />
einer stark befahrenen Hauptstraße, deren Lärm-<br />
pegel sich abrupt ändern und einen breiten Fre-<br />
quenzbereich umfassen kann. Bei hohen Frequen-<br />
zen und schnellen Pegeländerungen können ak-<br />
tive Gegenschallsysteme störenden Lärm sogar<br />
verstärken. Dann nämlich, wenn das System die<br />
komplexe Phasenlage der Signale nicht schnell<br />
genug berechnet und in präzise gegenphasige Sig-<br />
› xx 30
nale umsetzt. Am einfachsten gelingt die aktive<br />
Schallkompensation momentan bei niedrigen<br />
Frequenzen. Somit ergänzen sich passiver und<br />
aktiver Lärmschutz optimal. Wenn die Schallwel-<br />
lenlänge groß gegenüber der Abmessung des<br />
Schallraums ist, gelingt es relativ leicht, mit dem<br />
errechneten Schallfeld die Schalldruckextrema zu<br />
identifizieren und auszulöschen. So wundert nicht,<br />
dass Kopfhörer mit aktiver Kompensation von<br />
Umgebungsgeräuschen schon seit einigen Jahren<br />
auf dem Markt sind. Mikrofone erfassen den in<br />
den Kopfhörer eindringenden Umgebungsschall<br />
und kleine Lautsprecher erzeugen den Gegen-<br />
schall. So werden tiefe Störgeräusche aktiv aus-<br />
geblendet, während das Kopfhörermaterial selbst<br />
die hohen Störgeräusche wirksam passiv dämpft.<br />
Ursprünglich als Headsets für Hubschrauber- und<br />
Düsenjetpiloten entwickelt, haben die Aktivkopf-<br />
hörer inzwischen auch den Hi-Fi-Markt erobert.<br />
Andere Anwendungen für die aktive Geräusch-<br />
unterdrückung sind dagegen noch im Versuchs-<br />
stadium. Zum Beispiel mehrfach verglaste<br />
Fenster, deren Schalldämmwerte durch Gegen-<br />
schallsysteme weiter verbessert werden. In ihnen<br />
erzeugen kleine Lautsprecher im Fensterrahmen<br />
ein Gegenschallfeld im Zwischenraum zwischen<br />
den Scheiben. Bei gekipptem Fenster unterdrü-<br />
cken darüber hinaus zusätzliche Lautsprecher im<br />
Lüftungsschlitz den Außenlärm.<br />
GEGENSCHALLSYSTEM FÜR FLUGZEUG-<br />
PASSAGIERE BALD SERIENREIF<br />
Andere Konzepte zur aktiven Lärmunterdrückung<br />
gehen näher an die Schallquelle. So sind Gegen-<br />
schallsysteme für Flugzeugtriebwerke in der Ent-<br />
wicklung. Den Gegenschall erzeugt ein Laut-<br />
sprecher-Array im Einlauf der Triebwerksgondel.<br />
In Versuchsanordnungen des DLR Institut für<br />
Antriebstechnik in Köln ließ sich für bestimmte<br />
Töne eine Geräuschminderung um bis zu 30 Dezi-<br />
bel erzielen. Das entspricht einer Verringerung<br />
der abgestrahlten Schallleistung um 99,9 %.<br />
Näher an die Ohren des Ruhesuchenden gehen<br />
dagegen die Akustiker der Helmut-Schmidt-<br />
Universität der Bundeswehr Hamburg um Prof.<br />
Delf Sachau. Ein Gegenschallsystem zur Lärmun-<br />
terdrückung in Flugzeug-Innenräumen steht kurz<br />
vor der Serienreife. Hier ist das Geräuschfeld rela-<br />
tiv homogen und ändert sich nur langsam. „Die<br />
eigentliche Herausforderung sind heute Signale,<br />
die sich rasch und unvorhergesehen ändern“,<br />
betont Prof. Sachau. „Leistungsstarke Prozessoren<br />
stehen inzwischen zur Verfügung. Unser Haupt-<br />
augenmerk richtet sich derzeit auf die Entwick-<br />
lung intelligenter Algorithmen für die schnelle<br />
Verarbeitung breitbandiger Geräusche.“<br />
› 31<br />
Für Schlafzimmer ist bereits ein marktfähiges<br />
Produkt in Sicht: Dort nämlich muss nur ein relativ<br />
enger Bereich rund um den Kopf des Schlafenden<br />
„lärmberuhigt“ werden. Derzeit testet die Arbeits-<br />
gruppe von Prof. Sachau Systeme aus Mikrofonen<br />
und Lautsprechern, die sich ins Kopfkissen ein-<br />
bauen lassen. Allerdings sollte das Kissen Warn-<br />
töne wie die eines Feuermelders oder das mor-<br />
gendliche Klingeln des Weckers erkennen.<br />
QUERDENKEN<br />
› 31<br />
Die Deutsche Bundesstiftung<br />
Umwelt (DBU) fördert<br />
das Forscherteam um Prof.<br />
Dr. Delf Sachau mit 95.000<br />
Euro, denn Lärm gehört bis<br />
heute zu den ungelösten<br />
Umweltproblemen.<br />
der Spezialist 41
PANORAMA<br />
Das Lernen neu erlernen<br />
„Learning by Doing“ als innovatives Lernkonzept statt Frontalunterricht –<br />
die Scola Nova schlägt neue Wege ein. Der Spezialist besuchte den Unterricht und macht<br />
überraschende Entdeckungen.<br />
TEXT › Janina Weinhold<br />
Kinder im Alter zwischen drei und acht Jahren<br />
laufen durch den Raum. In Gruppen widmen sie<br />
sich dem Thema „Lichtstrahlen“. Die älteren von<br />
ihnen prüfen mit Taschenlampen in den Händen,<br />
welche Gegenstände im Raum durchleuchtbar<br />
sind. Die jüngeren zeichnen Schattenbilder von<br />
Tieren ab, die ein Lichtkegel an die Wände wirft.<br />
So oder ähnlich könnte eine Momentaufnahme im<br />
Tagesablauf der Scola Nova aussehen – einem in-<br />
novativen Schulkonzept, in dem „Learning by<br />
Doing“ die Lernmaxime darstellt. Bis zum Jahr<br />
2008 will der Hauptinitiator der Scola Nova <strong>GmbH</strong><br />
Mario Stadelmann diese Schulvision für Kinder<br />
im Alter von vier Monaten bis 19 Jahren in<br />
Bremen verwirklichen. „Die Scola Nova soll ein<br />
Lernort sein, an dem Kinder unterschiedlichen<br />
Alters gemeinsam in vertrauensvoller, heraus-<br />
fordernder Atmosphäre das Lernen erlernen“, so<br />
Stadelmann.<br />
DIE KLASSENVERBÄNDE WERDEN IN DER<br />
SCOLA NOVA ABGESCHAFFT<br />
Doch kann das bunte Treiben zum Thema „Licht-<br />
strahlen“ als Unterricht bezeichnet werden? In der<br />
Scola Nova soll Lernen anders funktionieren.<br />
„Lernen muss völlig neu definiert werden. Als<br />
etwas, das immer und überall begleitet“, meint<br />
Stadelmann. So wird der Unterricht nicht mehr in<br />
Klassen stattfinden und Frontalunterricht entfällt.<br />
Kinder bis zum Alter von acht Jahren werden im<br />
42<br />
der Spezialist<br />
„Haus der Kleinen“ und ältere im „Haus der Gro-<br />
ßen“ betreut. Die gemischte Altersstruktur fördert<br />
die sozialen Kompetenzen unter den Kindern.<br />
Neben den Kernfächern wie Deutsch, Ge-<br />
schichte und Mathematik soll es Projektthemen<br />
zu unterschiedlichen Schwerpunkten geben:<br />
Technik und Natur, Medien und Philosophie sowie<br />
Gesellschaft, Recht und Ökonomie. In diesen<br />
Themenfeldern werden Kinder eigenständig<br />
und experimentell Projektaufgaben lösen. Die<br />
Kontrolle des Lernerfolgs geschieht über eine so<br />
genannte „Bildungsdokumentation“, die die<br />
Schulnoten ersetzt. Das Lehrpersonal erfasst darin<br />
sowohl die bevorzugte Lernweise als auch die Lern-<br />
fortschritte der Kinder. Decken sich diese nicht<br />
mit den festgelegten Bildungsanforderungen,<br />
leiten Lehrer die Kinder an, sich anderen Themen<br />
zu widmen. Am Ende der Schullaufbahn können<br />
die Schüler der Scola Nova eine staatliche Prü-<br />
fung ablegen. Der ungewöhnliche Bildungsansatz<br />
hat allerdings auch seinen Preis. Etwa 460 Euro<br />
müssen die Eltern monatlich für die Bildung ihrer<br />
Kinder aufbringen. Gleichsam setzen die Initia-<br />
toren zur Finanzierung auf öffentliche Mittel,<br />
Spenden, Sponsoring und die Unterstützung<br />
von Unternehmen. Das Konzept wird derzeit<br />
noch von der Bremer Bildungsbehörde geprüft.<br />
Ein ähnliches Konzept der technischen Früh-<br />
erziehung läuft in Wilhelmshaven bereits seit<br />
1999. Der außerschulische Lernort ging aus der<br />
EXPO-2000-Initiative „Welche Schulen braucht die<br />
› 32<br />
Science Center erkannten<br />
frühzeitig das Potenzial<br />
experimentellen Lernens<br />
und revolutionierten mit<br />
neuen und spannenden<br />
Mitmachkonzepten die<br />
klassische Museumswelt.<br />
PORTRÄT<br />
Der Physiotherapeut<br />
Mario Stadelmann ist<br />
Vater von zwei Kindern.<br />
Seit 2002 berät er Eltern,<br />
Schulen und Kinder-<br />
gärten als systemischer<br />
Familientherapeut, Supervisor<br />
und Coach. Seit 2005<br />
befasst er sich mit dem<br />
Konzept der Scola Nova<br />
<strong>GmbH</strong>.
› 32
PANORAMA<br />
Zukunft unserer Welt?“ hervor. Klassische Schulen<br />
können hier in technisch ausgestatteten Labor-<br />
räumen ihr Bildungsangebot um die Themenkom-<br />
plexe Küstenschutz, regenerative Energien, Schiff-<br />
fahrt und CAD/CAM ergänzen. Im Projekt „Hafen-<br />
bau“ haben Schüler zum Beispiel an einem Wasser-<br />
tisch die Möglichkeit, in Experimenten die physi-<br />
kalischen Gesetzmäßigkeiten wie Schwimm- und<br />
Schwebefähigkeit geeigneter Baumaterialien zu<br />
prüfen. „Im Kursverlauf wird fächerübergreifend<br />
in Projektteams gearbeitet. Die Schüler können<br />
eigenständig mit dem Material arbeiten – ohne<br />
stündlichen Themenwechsel oder die Pausen-<br />
klingel.<br />
TEAMARBEIT UND EIGENVERANTWORTLICH-<br />
KEIT WERDEN GROSS GESCHRIEBEN<br />
Das Lehrpersonal beantwortet nur aufkom-<br />
mende Fragen und gibt den Schülern Tipps. Die<br />
Schüler arbeiten für ihr eigenes Ergebnis“, be-<br />
richtet Erich Welschehold, Leiter des außerschuli-<br />
schen Lernortes, aus seiner siebenjährigen Praxis.<br />
44<br />
der Spezialist<br />
Die in Wilhelmshaven erprobten Projektangebote<br />
sollen als UTE-Bereich – Umwelt, Technik und<br />
Energie – adaptiert und als fester Bestandteil in<br />
das Angebot der Scola Nova integriert werden.<br />
Welschehold unterstützt die Scola Nova bei der<br />
Entwicklung von UTE. Hinzukommen Projekte<br />
zu Robotik, Bionik und Logistik. Er ist überzeugt,<br />
dass sich Kindern nicht mehr die Frage: „Warum<br />
muss ich das lernen?“, stellt, wenn sie Lehrinhalte<br />
in direkten Anwendungsgebieten selbst erproben.<br />
Als vorteilhaft erwies sich die Trennung von<br />
Mädchen und Jungen. Denn somit entfallen typi-<br />
sche, geschlechtsspezifische Rollenmuster im<br />
Umgang mit der Technik. „Mädchen arbeiten<br />
selbstbewusster und kommen schneller zu Erfol-<br />
gen“, meint Welschehold und sieht insgesamt den<br />
positiven Effekt der technischen Frühförderung<br />
bestätigt: „Schüler, die wiederholt bei uns sind,<br />
erzählen begeistert von dem bisher Gelernten<br />
und wissen aus den angebotenen Lerngebieten<br />
überdurchschnittlich viel. Besonders schön ist<br />
es zu hören, wenn ehemalige Schüler und Schüle-<br />
rinnen einen technischen Beruf ergriffen haben.“<br />
› 33<br />
INFO<br />
Das Konzept der Scola<br />
Nova versammelt Sachverständige<br />
aus unterschiedlichen<br />
Disziplinen. Um die<br />
Qualität der Lehre sicherzustellen,<br />
wird das Angebot<br />
sowohl von einem<br />
wissenschaftlichen Beirat<br />
der Universität Bremen<br />
als auch von einem unabhängigenWirtschaftsausschuss<br />
geprüft werden.<br />
› 33<br />
Durch die umfassende<br />
Beschäftigung der Schulkinder<br />
mit einem Projekt<br />
werden sowohl sensorische,<br />
motorische als auch<br />
intellektuelle Fähigkeiten<br />
gefördert.
› 34<br />
Als pädagogische Maxime in der frühkind-<br />
lichen Phase zwischen null und fünf Jahren<br />
orientiert sich die Scola Nova am Grundsatz der<br />
Montessoripädagogik: „Hilf mir, es selbst zu tun!“<br />
In Montessorischulen lernen Kinder beispiels-<br />
weise im Spiel mit unterschiedlich langen Holz-<br />
perlenketten, intuitiv Mengenunterschiede zwi-<br />
schen fünf und 100 zu ertasten. Dieses Verständnis<br />
wird als grundlegend für abstrakte Mathematik<br />
angesehen. Anders ausgedrückt sollen Kinder<br />
durch Experimentieren und „Be-greifen“ ihre<br />
eigenen Lösungskompetenzen und Lernmetho-<br />
den erlernen.<br />
EXPERIMENTELLES LERNEN UND<br />
MONTESSORIPÄDAGOGIK WERDEN VEREINT<br />
Dr. Uwe Pfenning, Sozialwissenschaftler und Tech-<br />
niksoziologe an der Universität Stuttgart, forscht<br />
zurzeit an einem Modellprojekt zur Technikver-<br />
mittlung für Schüler. „Sowohl experimentelles Ler-<br />
nen als auch der Montessoriansatz haben sich laut<br />
unseren Studien bewährt“, begrüßt er das Bremer<br />
Konzept. Nur die kontinuierliche und frühe Förde-<br />
rung könne zu mehr Interesse und Sicherheit im<br />
Umgang mit Technik und zu einer technischen<br />
Berufswahl führen, erläutert er. Geeignet wären<br />
Experimente, wie beispielsweise das Auftrump-<br />
fen von Bällen auf einer rußbedeckten Fläche. Da<br />
der Ball beim Kontakt mit der Fläche unterschied-<br />
liche Abdrücke hinterlässt, erfahren Kinder, dass<br />
sich der Ball je nach Intensität des Auftrumpfens<br />
verformt. Stellt das Lehrpersonal den Bezug zu All-<br />
tagsphänomen her, wird mit der sinnlichen und<br />
manuellen Herangehensweise der Grundstein für<br />
die Auseinandersetzung mit Technik gelegt. Denn<br />
die Fähigkeit zum Wissenstransfer und das Fin-<br />
den kreativer Lösungswege sind zentrale Kompe-<br />
tenzen. „Der Umgang mit technischem Spielzeug<br />
wirkt schon im Alter von zwei bis sechs Jahren als<br />
erste Assoziation im Langzeitgedächtnis und wird<br />
im weiteren Lebensverlauf mit Spaß assoziiert“,<br />
ergänzt Dr. Pfenning.<br />
Für Stadelmann soll der angestrebte Lernzu-<br />
gang dem zeitgemäßen Anspruch „lebenslangen<br />
Lernens“ Rechnung tragen. Individuelle Förde-<br />
rung sei erst dann umsetzbar, wenn die Bildungs-<br />
karriere ohne Schulwechsel und Brüche verläuft.<br />
„Lehrer wissen so um die zu fördernden Talente<br />
ihrer Schüler. Innovative Schulformen sind nicht<br />
zuletzt auch aktives Standortmarketing“, so<br />
Stadelmann, denn „Bildung ist heute eine wich-<br />
tige Zukunftsressource.“<br />
› 35<br />
PANORAMA<br />
›34<br />
Beobachten, experimentieren,<br />
erfinden – all das<br />
gehört zum Lernkonzept<br />
der Scola Nova und führt<br />
zu einem überdurchschnittlich<br />
hohen Wissensstand<br />
der Schüler in Bereichen<br />
wie Technik und Umwelt.<br />
›35<br />
Durch den persönlichen<br />
und hautnahen Kontakt<br />
zur Materie nehmen<br />
die Kinder das erlernte<br />
Wissen intensiver auf und<br />
verknüpfen theoretisches<br />
Fachwissen mit persönlichen<br />
Erfahrungen.<br />
der Spezialist 45
KUNST & BRUNEL<br />
Was wir sehen, wenn wir<br />
schauen<br />
Landschaftsmalerei und Collagen der Medienwelt – auf den ersten Blick zwei widersprüchliche<br />
Malstile. Trotzdem lebt und arbeitet das Künstlerpaar Marc Taschowsky und Susanne Maurer<br />
zusammen unter einem Berliner Altbaudach.<br />
INTERVIEW › Ulf Mailänder<br />
Susanne Maurer (35) und Marc Taschowsky (34) wohnen in<br />
Berlin-Kreuzberg als freies Künstlerpaar. Sie haben zwei Kin-<br />
der und im Haus zwei Ateliers. Nachdem die <strong>Brunel</strong> <strong>GmbH</strong> die<br />
beiden Maler als diesjährige „Künstler des Jahres“ ausgewählt<br />
hat, besuchte „Der Spezialist“ das Paar zu einem Interview in<br />
Taschowskys Atelier.<br />
46<br />
Inmitten halbfertiger Bilder und Skizzenblätter, einem Sand-<br />
sack neben der Tür und einem Babyfon auf dem Tisch entfaltet<br />
sich bei einem Gläschen Rotwein ein anregendes Gespräch<br />
über Malerei. Es duftet nach frischer Farbe.<br />
Der Spezialist: Sie hatten schon häufiger gemeinsame Aus-<br />
stellungen und sind jetzt als Künstlerpaar von <strong>Brunel</strong> ausge-<br />
zeichnet worden. Inwieweit profitiert Ihre Künstlerkarriere von<br />
der Lebenspartnerschaft?<br />
der Spezialist<br />
Susanne Maurer: Das hat sich eher<br />
zufällig ergeben. Wir malen unsere<br />
Bilder nicht gemeinsam und bilden<br />
auch keine gemeinsame Marke wie<br />
etwa Christo und Jeanne-Claude. Wir<br />
wollen die Spuren der individuellen<br />
Urheberschaft keineswegs verwi-<br />
schen. Die Zusammenarbeit bezieht<br />
sich eher auf die Vermarktung und<br />
auf ein gemeinsames Netzwerk von<br />
Arbeitsbeziehungen.<br />
INDIVIDUELLE KUNST UND GE-<br />
MEINSAME ARBEITSBEZIEHUNG<br />
Marc Taschowsky: Ein großer Vor-<br />
teil der gemeinsamen Malerei liegt<br />
im Verständnis des Partners für die<br />
eigene Haltung zur Arbeit. Wenn ich<br />
Sonntagmorgen noch unbedingt ins<br />
Atelier muss oder mir abends ein<br />
Motiv nicht aus dem Kopf geht, dann<br />
versteht das eine Frau, die auch malt,<br />
einfach besser. Außerdem unterstüt-<br />
zen wir uns gegenseitig im Unter-<br />
halt der Familie und können uns auf<br />
diese Weise auch an den Erfolgen des<br />
anderen freuen.<br />
Der Spezialist: Wie sieht es mit der<br />
Konkurrenz untereinander aus?<br />
PORTRÄT<br />
Marc Taschowsky und<br />
Susanne Maurer, beide<br />
Jahrgang 1972, absolvierten<br />
ihr Studium an der<br />
Hochschule für bildende<br />
Künste in Braunschweig.<br />
Maurer war Meisterschülerin<br />
von Prof. Arved<br />
D. Gorella. Ab 2002 folgten<br />
für das Paar diverse<br />
Stipendien sowie Einzel-<br />
und Gruppenausstellungen<br />
in Berlin, Frankfurt,<br />
Hannover, Düsseldorf und<br />
Bremen.
Maurer und Taschowsky (lachend): Noch spielen wir in der<br />
gleichen Liga.<br />
Der Spezialist: Auf den ersten Blick sind in Ihren Bildmotiven<br />
wenig Gemeinsamkeiten zu erkennen. Sie, Frau Maurer, betrei-<br />
ben abstrakte Landschaftsmalerei mit ruhiger, fast meditativer<br />
Anmutung. Sie, Herr Taschowsky, verfremden Ikonen der Medi-<br />
enwelt in mitunter wilden Collagen. Ihr Motivfundus ist die<br />
Gesellschaft, wie sie sich über die Medien vorstellt. Ihr Reser-<br />
voir, Frau Maurer, ist die Natur, wie sie ideal in unseren Köpfen<br />
erscheint. Wie grenzen Sie sich malerisch voneinander ab?<br />
DAS SCHEINBAR BEKANNTE NEU ENTDECKEN<br />
Taschowsky: Mir geht es darum, das scheinbar Bekannte in<br />
neue Zusammenhänge zu stellen. Ich schöpfe aus der gesamten<br />
Welt der Abbildungen – insbeson-<br />
dere aus der Werbung, Kunstkatalo-<br />
gen und Comicheften. Bis sich etwas<br />
Stimmiges ergibt, probiere ich viele<br />
Kombinationen aus. Wenn es die<br />
Gesamtkomposition erfordert, habe<br />
ich auch keine Skrupel, einzelne Stel-<br />
len zu übermalen.<br />
Maurer: Von diesem Mut habe ich<br />
auch schon profitiert. Mir fällt es<br />
eher schwer, etwas zu korrigieren.<br />
Neulich hatten wir Besuch von<br />
Kunstinteressierten in unseren Ate-<br />
liers. Marc haben die Menschen sehr<br />
viele Fragen gestellt, bei mir blie-<br />
KUNST & BRUNEL<br />
› 36<br />
› 36<br />
„Seifenblasen“,<br />
Marc Taschowsky, 2005,<br />
260 x 190 cm<br />
der Spezialist 47
KUNST & BRUNEL<br />
ben sie lange stumm. Es macht mich froh, wenn jemand durch<br />
meine Bilder in meditative Andacht verfällt. Ich will eher eine<br />
emotionale Wirkung erzielen als zum Nachdenken anregen.<br />
Meine Motivwahl ist immer dieselbe – eine waagerechte Linie<br />
mit Raum oben und Raum unten.<br />
Taschowsky: Ich bewundere diese Genügsamkeit.<br />
Der Spezialist: Ein wenig erinnert Ihre Zusammenarbeit an die<br />
strikte Arbeitsteilung unter Werbefotografen nach stills (Auf-<br />
nahmen unbelebter Dinge) und figures (Aufnahmen belebter<br />
Wesen). Bei Ihnen entsteht jedoch der Eindruck, als würden<br />
Ihre Werke miteinander sprechen.<br />
DIE RÄUMLICHE NÄHE FÜHRT ZU GEGENSEITIGER<br />
IN<strong>SP</strong>IRATION<br />
Maurer: Manchmal gibt es tatsächlich Synergien durch die<br />
räumliche Nähe. Etwa lasse ich mich durch einen bestimmten<br />
Farbton inspirieren, den Marc verwendet. Wir haben auch einen<br />
ähnlichen Umgang mit den Farbspuren, die über das Abbild hin-<br />
ausweisen. Die Bilder sollen immer als Malerei erkennbar blei-<br />
ben, der Prozess des Malens soll für den Betrachter nicht hinter<br />
einer glatten Oberfläche verschwinden. Das ist eine unserer<br />
Gemeinsamkeiten.<br />
48<br />
der Spezialist<br />
› 37<br />
Taschowsky: Wir sprechen auch<br />
miteinander über unsere Bilder. Ich<br />
nehme Anregungen meiner Frau<br />
auf und zitiere ihren Malstil mit-<br />
unter. Doch ich verzichte auf einen<br />
bestimmten „Strich“ als Marken-<br />
zeichen, das würde mein Konzept<br />
überladen. Wo sie einen Raum der<br />
Stille inszeniert, da bringe ich den<br />
Lärm der Medienwelt ins Spiel, durch<br />
kräftige Farben und kontrastreiche<br />
Motive, wie sie beim Durchblättern<br />
einer Illustrierten aufeinanderpral-<br />
len. Ich übersetze diese Alltagser-<br />
fahrung in die Malerei und erzeuge<br />
so eine spielerische Distanz, bei der<br />
man sich vom Bombardement durch<br />
die Medien erholen kann.<br />
Der Spezialist: Offenbar treiben<br />
Sie ein komplementäres Spiel mit<br />
der Wahrnehmung, bei dem jeder<br />
die Alltagswahrnehmung auf seine<br />
Weise penetriert und transformiert.<br />
Sie, Frau Maurer, durch Raumgebung<br />
für eine idealistische Landschafts-<br />
phantasie, bewegen sich von der<br />
Seite des Abstrakten hin zur Seite<br />
des Konkreten, der Landschaft, die<br />
aber zugleich irreal erscheint. Umge-<br />
kehrt bei Ihnen, Herr Taschowsky:<br />
Ihr Ausgangspunkt ist das Konkrete,<br />
das Bildmaterial mit Wiedererken-<br />
nungswert, das durch Verfremdung<br />
in die Abstraktion geführt wird.<br />
Kann man das Grundkonzept Ihrer<br />
Arbeit als ironische Ikonisierung<br />
beschreiben?<br />
Taschowsky: So kann man das<br />
sehen. Mir hat gut gefallen, was<br />
Dieter Begemann, ein Bremer Künst-<br />
lerkollege, im letzten Jahr in der<br />
› 37<br />
„Alice“,<br />
Marc Taschowsky, 2005/06,<br />
220 x 200 cm
Rede zur Ausstellungseröffnung in der Galerie Kramer gesagt<br />
hat: Bildstörungen, wohin man schaut. Besonders bei meinem<br />
Lieblingsmotiv, den Abbildungen schöner Frauen. Mein eigent-<br />
liches Thema ist nicht das, was ich abbilde, sondern die Wahr-<br />
nehmung selbst. Für mich ist das abgebildete Material nur ein<br />
Tor, durch das ich zum eigentlichen Bild gelange. In mir gibt es<br />
die schwer fassbare Vorstellung von einem idealen Bild, zu dem<br />
ich hinstrebe und das ich doch nie erreiche.<br />
Maurer: Die komplementäre Bewegung sehe ich auch. Mich<br />
interessiert die Abbildung einer realen Landschaft gar nicht, für<br />
mich ist die von mir angedeutete Landschaft ein Seelenraum,<br />
den jeder Betrachter selbst füllen muss. Ebenso wenig wie reale<br />
Landschaften bilde ich Stimmungen nach einer Klischeevor-<br />
gabe ab. Das würde den Prozess der meditativen Öffnung nur<br />
stören. Mir sind, ebenso wie Marc, die Brüche wichtig, die durch<br />
den Farbauftrag entstehen.<br />
Der Spezialist: Sicherlich ließe sich die deskriptive Analyse Ihrer<br />
bildnerischen Werke noch weiter vertiefen. Zum Abschluss<br />
noch zwei biografische Fragen. Ab wann wussten Sie in Ihrem<br />
Leben, dass Sie zur Malerei berufen oder gar verurteilt sind?<br />
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?<br />
› 38<br />
Taschowsky: Die Anfänge meiner<br />
Malerei liegen in der Graffiti-Kunst.<br />
Als Jugendlicher wusste ich gar<br />
nicht, dass man Kunst studieren<br />
kann. Erst mit 21 hat mich ein Lehrer<br />
der Fachhochschule darauf gebracht.<br />
Davor hatte ich die Idee, Comiczeich-<br />
ner zu werden. Was die Zukunft<br />
angeht, habe ich das Gefühl: Ich<br />
kann sie nicht steuern. Ich kann ein-<br />
fach immer nur weiter malen.<br />
Maurer: Als ich mit dem Studium<br />
anfing, wollte ich Kunstlehrerin<br />
werden. Mein Professor hat mich als<br />
Erster ermutigt, selbständig als<br />
Künstlerin zu arbeiten, und später<br />
dann Marc. Für ihn war immer klar,<br />
dass ich Künstlerin bin. Und jetzt<br />
bin ich es und kann nicht mehr auf-<br />
hören.<br />
Der Spezialist: Wir danken Ihnen für<br />
dieses Gespräch.<br />
KUNST & BRUNEL<br />
› 38<br />
„Bild Nr. 1, Februar 2006“,<br />
Susanne Maurer,<br />
200 x 195 cm<br />
› 39<br />
„Bild Nr. 7, März 2004“,<br />
Susanne Maurer,<br />
35 x 30 cm<br />
› 39<br />
der Spezialist<br />
49
TERMINE<br />
termine<br />
AUSGABE <strong>09</strong> || Oktober 2007<br />
›23. – 26. OKT.<br />
Auf der AIRTEC-Premiere<br />
im vergangenen Jahr präsentierten<br />
486 Aussteller<br />
aus 22 Nationen ihre<br />
Produkte und Dienstleistungen.<br />
› 27. – 29. NOV.<br />
Die <strong>SP</strong>S/IPC/DRIVES lockte<br />
im vergangenen Jahr<br />
bereits 44.000 Fachbesucher<br />
nach Nürnberg. Für<br />
dieses Jahr erwarten die<br />
Veranstalter einen weiteren<br />
Zuwachs.<br />
50<br />
der Spezialist<br />
Oktober bis Dezember 2007<br />
9. – 11. OKT. 2007<br />
23. – 26. Okt. 2007<br />
27. – 29. Nov. 2007<br />
01. Oktober 1958<br />
20. Oktober 1985<br />
20. Dezember 1910<br />
Messen und veranstaltungen<br />
INTERPART<br />
Die internationale Zuliefermesse INTERPART bietet Systemlösungen, Kom-<br />
ponenten, Teile sowie Anwendungen für die Fahrzeugindustrie, den<br />
Maschinen-/Anlagenbau, die Medizintechnik wie auch die Elektroindustrie.<br />
Die Besucher erwartet ein umfassendes Programm aus ergänzenden<br />
Sonderausstellungen, daneben Vortragsforen zu Themen wie IT-Enginee-<br />
ring, Consulting sowie Drehteiltechnik. www.interpart-karlsruhe.de<br />
AIRTEC<br />
Die AIRTEC, mit ihrer speziellen Ausrichtung auf die gesamte Zuliefererkette<br />
der Luft- und Raumfahrt, bietet eine internationale Businessplattform für<br />
den Dialog zwischen Zulieferern der ersten, zweiten und dritten Ebene sowie<br />
den OEMs. www.airtec.aero<br />
<strong>SP</strong>S/IPC/DRIVES 2007<br />
Die elektrische Automatisierungstechnik steht im Fokus der Messe <strong>SP</strong>S/<br />
IPC/DRIVES 2007. Präsentiert wird ein breites Spektrum von Komponenten<br />
bis hin zum System und integrierten Automatisierungslösungen. Aussteller<br />
und Besucher schätzen, dass sie hier alle relevanten Aspekte im Bereich<br />
Automatisierungstechnik unter einem Dach finden. www.mesago.de/sps<br />
Meilensteine<br />
Die zivile US-Bundesbehörde für Luft- und Raumfahrt, die National Aero-<br />
nautic and Space Administration, kurz NASA, nimmt ihre Arbeit auf.<br />
Die amerikanische Softwareschmiede Microsoft bringt unter der Lei-<br />
tung von Bill Gates in den USA das Betriebssystem „Windows 1.0“ heraus.<br />
Bis heute nutzen weltweit mehr als 90 % aller PCs ein Windows-Betriebs-<br />
system.<br />
Mit dem experimentellen Nachweis des Atomkerns legt der britische<br />
Physiker Ernest Rutherford den Grundstein für die spätere Nutzung der<br />
Kernenergie.
impressum<br />
AUSGABE <strong>09</strong> || Oktober 2007<br />
REDAKTIONSANSCHRIFT<br />
<strong>Brunel</strong> <strong>GmbH</strong>, Redaktion „Der Spezialist“<br />
Airport City, Hermann-Köhl-Str. 1a, 28199 Bremen<br />
redaktion@der-spezialist.de<br />
www.der-spezialist.de<br />
HERAUSGEBER<br />
<strong>Brunel</strong> <strong>GmbH</strong><br />
VERANTWORTLICHER REDAKTEUR<br />
(V. I. S. D. P.)<br />
Carsten Siebeneich, General Manager <strong>Brunel</strong> <strong>GmbH</strong><br />
REDAKTION<br />
DIALOG Public Relations, Bremen<br />
GfG / Gruppe für Gestaltung <strong>GmbH</strong>, Bremen<br />
GESTALTUNG<br />
GfG / Gruppe für Gestaltung <strong>GmbH</strong>, Bremen<br />
FOTOGRAFIE (COPYRIGHTS)<br />
Sofern nicht abweichend, alle Angaben als Bildnummern:<br />
Thomas Kleiner (Titel, U2, S. 3), picture-alliance (01),<br />
www.girls-day.de (02), Sven Jakobsen (03), Gerhard Blank<br />
(S. 5, 04), HELLA KGaA & Co., Schott AG (07–<strong>09</strong>), Lichtblick,<br />
A. Weithorn (10–12), Corbis (14), Proton Motor (15–16),<br />
Jeannette Merguin (17), Robert Bosch <strong>GmbH</strong> (18), Airbus<br />
Deutschland <strong>GmbH</strong>/Schmelzer (19–20), Elke Sckell (S. 29),<br />
Siemens VDO (21), Axel Hess (22–28), Getty (29), Helmut-<br />
Schmidt-Universität (30–31), Universum® Bremen (32),<br />
Außerschulisches Lernzentrum Wilhelmshaven (33–35), S.<br />
Maurer, M. Taschowsky (S. 5, S. 46, 36–39, Umschlagklappe)<br />
DRUCK<br />
Druckerei Girzig + Gottschalk <strong>GmbH</strong>, Bremen<br />
ERSCHEINUNGSWEISE<br />
3 Ausgaben / Jahr, Auflage 28.000 Stück<br />
INGENIEURE.<br />
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Arbeiten – wer in den technischen Branchen eine führende Rolle<br />
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Wir freuen uns auf Ihr Feedback und Ihre Anregungen!<br />
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Künstlerin des Jahres 2007,<br />
Susanne Maurer,<br />
Bild-Nr. 4, Februar 2007, 30 x 30 cm<br />
Künstler des Jahres 2007,<br />
Marc Taschowsky,<br />
Engelchen und Teufelchen, 2005/06,<br />
140 x 200 cm<br />
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6007_10.2007