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<strong>DE</strong>UTSCHLAND<br />
MAI 2021<br />
€ 2,50<br />
ABSEITS <strong>DE</strong>S ALLTÄGLICHEN<br />
„DIE SECURITY<br />
WAR UNS<br />
AUF <strong>DE</strong>N<br />
FERSEN.“<br />
„WIR MUSSTEN IRRE<br />
SCHNELL SEIN.“<br />
SKATEBOARD-FOTOGRAF JAKE DARWEN<br />
ÜBER DIE MAGIE <strong>DE</strong>S AUGENBLICKS AM RAN<strong>DE</strong> <strong>DE</strong>S VERBOTENEN
E D I T O R I A L<br />
SONNYBOY<br />
AUF TOUR<br />
Für seine spektakulären<br />
Bilder geht Skateboard-Fotograf<br />
Jake<br />
Darwen bis an den<br />
Rand des Erlaubten.<br />
Beweise ab Seite 18.<br />
26<br />
Kilo wiegt die Ausrüstung,<br />
mit der<br />
Feuer wehrmann<br />
Andreas Michalitz<br />
100 Kilometer<br />
in Rekord zeit lief.<br />
Ab Seite 38<br />
WILLKOMMEN<br />
<strong>DE</strong>R BESTE<br />
MOMENT<br />
Manche Augenblicke sind so perfekt,<br />
dass wir sie am liebsten für immer festhalten<br />
wollen. Nun, dem Neuseeländer<br />
Jake Darwen, 28, gelingt genau das. Der<br />
Fotograf reist um die Welt und lichtet<br />
Skateboarder in Momenten ab, die eine<br />
besondere Magie in sich tragen – etwa<br />
inmitten sprudelnder Fontänen oder unter<br />
einem vorbeidonnernden Flugzeug. Wie<br />
ihm das gelingt? Durch besondere Leidenschaft<br />
für seinen Beruf: „Du kannst nicht<br />
aufhören, dich zu verbessern, das macht<br />
süchtig.“ Ein Best-of seiner Bilder ab Seite 18.<br />
Außergewöhnliche Passion steckt auch hinter<br />
dem Erfolg von Tarek Rasouli, 46. Nachdem er 2002<br />
als Mountainbike-Freerider verunglückte und eine<br />
Querschnittslähmung erlitt, fand er eine neue Lebensaufgabe.<br />
Sie sollte ihn zu Europas wichtigstem Bike-<br />
Manager machen. Seine ganze Geschichte ab Seite 62.<br />
Viel Spaß mit der<br />
neuen Ausgabe von<br />
The <strong>Red</strong> <strong>Bulletin</strong>!<br />
Die <strong>Red</strong>aktion<br />
KÜNSTLER AUF<br />
WELLENLÄNGE<br />
Fotograf Lennart Brede<br />
(re., u. a. „Vogue“, „Highsnobiety“)<br />
lichtete<br />
Deutschrapper Nimo in<br />
der Hauptstadt ab. Die<br />
ganze Story ab Seite 50.<br />
JAKE DARWEN (COVER) BENE ROHLMANN<br />
ASTRONAUT AUF<br />
GEFÄHRLICHER MISSION<br />
Schriftsteller Michael Köhlmeier<br />
erzählt die Geschichte von John<br />
Glenns Erdumrundung. Ab Seite 92<br />
THE RED BULLETIN 3
INHALT<br />
The <strong>Red</strong> <strong>Bulletin</strong><br />
im Mai 2021<br />
COVERSTORY<br />
18 HEL<strong>DE</strong>N AUF BRETTERN<br />
Skateboard-Fotograf Jake<br />
Darwen begleitet Top-Fahrer<br />
auf der ganzen Welt bei ihren<br />
Stunts. Bei uns erzählt er<br />
von seinen besten Bildern.<br />
MUSIK<br />
34 SONGS IN HIMBEERROT<br />
Wenn Lea Lu singt, wird<br />
ihre Welt ganz bunt – denn<br />
jeder Klang ist für sie Farbe.<br />
ULTRARUNNING<br />
38 WIE DIE FEUERWEHR<br />
Brandhauptmeister Andreas<br />
Michalitz hält den Rekord im<br />
100-km-Lauf in voller Montur.<br />
WINGS FOR LIFE WORLD RUN<br />
40 TEAM <strong>DE</strong>R TRÄUME<br />
Profi Tadesse Abraham hilft<br />
Flüchtlingen mit seiner Trainingsgruppe<br />
auf die Beine.<br />
SKYDIVING<br />
42 KOMET MIT HELM<br />
Wie aus Stunts am Nachthimmel<br />
Bilder mit besonderer<br />
Leuchtkraft werden.<br />
MUSIK<br />
50 NIMO STARTET DURCH<br />
Vom Gefängnis auf Platz eins<br />
der Charts – der erstaunliche<br />
Aufstieg des Hip-Hop-Stars.<br />
6 GALLERY<br />
12 ZAHLEN, BITTE!<br />
14 FUNDSTÜCK<br />
16 DAS PHILOSOPHEN-INTERVIEW<br />
LAUFEN<br />
56 IN HÖHEREM AUFTRAG<br />
Wie eine Schweizer Freizeit-<br />
Sportlerin mit dem Team Vatikan<br />
nach den Sternen greift.<br />
MOUNTAINBIKE<br />
62 <strong>DE</strong>R WEITER-MACHER<br />
Wie der Münchener Tarek<br />
Rasouli im Rollstuhl zu Europas<br />
Bike-Manager Nr. 1 wurde.<br />
E-MOBILITÄT<br />
68 E WIE EHRLICH<br />
Wie umweltfreundlich sind<br />
Elektro-Autos? Eine Managerin<br />
fordert neue Transparenz.<br />
GUI<strong>DE</strong><br />
Tipps für ein Leben<br />
abseits des Alltäglichen<br />
75 TRAVEL. Paragleiten am Mont<br />
Blanc mit Guide Calum Muskett.<br />
80 GAMING. Ein Star-Spieler erklärt,<br />
wie man eSport-Profi wird.<br />
81 PLAYLIST. Elektroswing-Pionier<br />
Parov Stelars Lieblingssongs.<br />
82 RICHTIG GUTES ZEUG. Liebhaberstücke,<br />
Tipps und Termine.<br />
86 AUTOS & MOTORRÄ<strong>DE</strong>R.<br />
Sportwagen, Transport-Talente und<br />
drei Bikes für alle Fälle.<br />
92 BOULEVARD <strong>DE</strong>R HEL<strong>DE</strong>N. Womit<br />
Astronaut John Glenn kämpfte.<br />
96 IMPRESSUM<br />
98 CARTOON<br />
50<br />
WEICH GELAN<strong>DE</strong>T Rapper Nimo über die<br />
entscheidende Wendung seines Lebens.<br />
62<br />
GUT AUFGELEGT Wie Bike-Manager Rasouli<br />
aus einem Schicksalsschlag das Beste machte.<br />
SCHNELL UNTERWEGS Camille Chenaux<br />
läuft für das Team des Papstes.<br />
56<br />
LENNART BRE<strong>DE</strong>, PHILIPP HORAK, NICOLA CARIGNANI, DUSTIN SNIPES<br />
4 THE RED BULLETIN
42<br />
SCHÖN GEFLOGEN<br />
Der Kometen-Stunt<br />
der <strong>Red</strong> Bull Air Force-<br />
Skydiver am Nachthimmel<br />
von Texas.<br />
THE RED BULLETIN 5
AL<strong>DE</strong>YJARFOSS, ISLAND<br />
Ein Fall für<br />
Mr. Garcia<br />
Der Pilot des roten Hubschraubers.<br />
Der kühne Mann im blauen Wildwasserkajak.<br />
Der Fotograf auf dem Felsen gegenüber.<br />
Auf diesem Bild, aufgenommen im spektakulären<br />
isländischen Hochland, zeigen drei<br />
Profis, was sie können: Der amerikanische<br />
Extrem-Kajakfahrer Evan Garcia stürzt sich,<br />
gefilmt aus dem Helikopter, den 20 Meter<br />
hohen Aldeyjarfoss-Wasserfall hinunter,<br />
der tschechische Fotograf Jan Kasl<br />
macht das Beste draus.<br />
Abenteuer im Bild: jankaslphoto.com
JAN KASL<br />
7
NEOM, SAUDI-ARABIEN<br />
Fabelhaft<br />
Wenn man nur lang genug von oben auf diese<br />
Wüstenzunge am Golf von Akaba schaut,<br />
dann taucht bald einmal ein schlafender Drache<br />
auf. Hier sehen wir den Truck der Russen Anton<br />
Shibalov, Dmitrii Nikitin und Ivan Tatarinov, der<br />
am Drachenmaul furchtlos Staub aufwirbelt.<br />
Die Besatzung hatte allerdings keine Zeit<br />
für Fabelwesen, denn bei ihrer Teilnahme an der<br />
Rallye Dakar – die nun zum zweiten Mal in<br />
Saudi-Arabien stattfand – galt: voll aufs Pedal!<br />
Der Franzose Éric Vargiolu hatte jedenfalls<br />
den Finger zur richtigen Zeit am Auslöser.<br />
Instagram: @eric_vargiolu<br />
ERIC VARGIOLU/DPPI/RED BULL CONTENT POOL DAVYDD CHONG<br />
9
ESBEN ZØLLNER OLESEN/RED BULL CONTENT POOL DAVYDD CHONG<br />
SILKEBORG, DÄNEMARK<br />
Ab durch<br />
den Wald<br />
Natürlich kostet es ein wenig Überwindung,<br />
speziell an einem Wintermorgen, aber so eine<br />
Wakeboard-Spritztour stärkt die Abwehrkräfte, die<br />
wir jetzt dringend brauchen. In Dänemark wissen<br />
sie das genau. Im Video „We, The Danes“ wird<br />
gesunde Härte als Lebenselixier gefeiert. Unter den<br />
Protagonisten: Board-Profi Robin Leroy Leonard,<br />
hier bei einer erfrischenden Session auf einem See<br />
bei Silkeborg in Zentraldänemark, fotografiert<br />
vom Kopenhagener Esben Zøllner Olesen.<br />
Das ganze Video gibt’s auf redbull.com.<br />
Noch mehr Action: esbenzollnerolesen.com<br />
11
Z A H L E N , B I T T E !<br />
WINGS FOR LIFE WORLD RUN<br />
Gemeinsam läuft’s besser<br />
Zum achten Mal laufen Menschen am 9. Mai rund um den Globus zur<br />
gleichen Zeit für den guten Zweck. Hier die beeindruckenden Zahlen –<br />
von der ältesten Teilnehmerin zum imposanten Bananenverbrauch.<br />
32,43<br />
Kilometer schaffte Wings<br />
for Life World Run-Dauerstarter<br />
Andreas Goldberger, der 2020<br />
rund um den Mondsee lief.<br />
2.800.000<br />
Euro Spendengeld wurden allein<br />
beim Lauf im Vorjahr gesammelt.<br />
7.378.113,6<br />
Kilometer – fast zehnmal die<br />
Distanz zum Mond und zurück<br />
– legten die Teilnehmer<br />
in sieben Jahren zurück.<br />
6<br />
Kontinente, 13 Zeitzonen und<br />
195 Länder umspannt das<br />
Teilnehmerfeld des Laufs.<br />
95<br />
Jahre alt war die bislang älteste Teilnehmerin.<br />
Die Südafrikanerin lief 7,24 Kilometer.<br />
22.287<br />
Teams (also Gruppen von<br />
Teil nehmern, die sich ein<br />
gemeinsames Ziel setzen)<br />
wurden bisher gegründet –<br />
mehr, als es Fußball vereine<br />
699.150<br />
in Deutschland gibt.<br />
Menschen haben seit 2014 am Wings for Life World Run teilgenommen.<br />
4070<br />
Menschen haben bislang<br />
im Rollstuhl teilgenommen.<br />
110<br />
Tonnen Bananen wurden beim<br />
Lauf verputzt. Das entspricht dem<br />
Gewicht von 18 Elefantenbullen.<br />
110410<br />
war die Startnummer der Russin<br />
Nina Zarina, die 2020 zum zweiten<br />
Mal en suite die Weltbeste<br />
bei den Frauen war: Sie hielt<br />
bei 54,23 Kilometern, als das<br />
virtuelle Catcher Car sie einholte.<br />
59<br />
Forschungsprojekte<br />
in 13 Ländern unterstützt<br />
Wings for Life derzeit. Ihr Ziel:<br />
Querschnittslähmung<br />
heilbar zu machen.<br />
250.000<br />
Rückenmarksverletzungen<br />
passieren weltweit pro Jahr,<br />
die Hälfte bei Verkehrsunfällen.<br />
Melde dich an und lauf mit:<br />
wingsforlifeworldrun.com<br />
GETTY IMAGES, MARKUS BERGER FOR WINGS FOR LIFE WORLD RUN CLAUDIA MEITERT<br />
12 THE RED BULLETIN
F U N D S T Ü C K<br />
Die Beatles am Cover von<br />
„Abbey Road“. Der Zebrastreifen<br />
steht seit 2010 unter<br />
Denkmalschutz.<br />
THE BEATLES<br />
Rock ’n’ Rolle<br />
Original Klopapierrolle von der Toilette der Londoner Abbey Road Studios, 1969<br />
Zwischen Februar und August 1969 nahm die berühmteste Pop-Band der Welt ihr letztes gemeinsames<br />
Album auf. Es hieß genauso wie die Studios: „Abbey Road“. Auch unser Fundstück spielte eine Rolle:<br />
„Die meisten Dinge liefen damals sehr flauschig ab“, heißt es dazu in einem Brief von einem EMI General<br />
Manager, „nicht jedoch dieses Klopapier, das den Beatles zu hart und zu glatt war. Außerdem fanden sie<br />
es erbärmlich, dass jedes Blatt von EMI gestempelt war. Die Rolle wurde sofort ausgetauscht.“<br />
GETTY IMAGES, ALAMY<br />
14 THE RED BULLETIN
© Jean Nouvel, Gilbert Lézénès, Pierre Soria et Architecture-Studio / Adagp, Paris, 2021<br />
ALPHATAURI.COM
D A S F I K T I V E P H I L O S O P H E N - I N T E R V I E W<br />
SOKRATES FRAGT<br />
„Erkennst du dich selbst,<br />
oder postest du noch?“<br />
Social Media ist für ihn nichts anderes als der antike<br />
Markt von Athen: eine Gelegenheit, bei der man die<br />
Weltbilder seiner Zeitgenossen zum Einsturz bringt.<br />
Wie das funktioniert, erklärt der große Denker<br />
Sokrates in unserem fiktiven Interview mit dem<br />
deutschen Philosophen Christoph Quarch.<br />
the red bulletin: In den sozialen<br />
Medien können Menschen sich<br />
zeigen und einander begegnen<br />
– selbst wenn sie physisch an verschiedenen<br />
Orten sind. Ist das<br />
nicht ein großartiges Instrument,<br />
um miteinander ins Gespräch<br />
zu kommen?<br />
sokrates: Ha, da haben Sie mir<br />
einen schönen Köder hingeworfen,<br />
mein Freund. Denn Sie wissen ja genau,<br />
dass ich ein riesengroßer Fan von<br />
Gesprächen bin. Und warum nicht<br />
auch mal chatten oder twittern?<br />
Mir ist nur eines nicht ganz klar<br />
dabei: Wer sind eigentlich diejenigen,<br />
die auf Social Media<br />
kommunizieren?<br />
Wie meinen Sie das? Man nennt<br />
diese Leute Nutzer.<br />
Ja, das weiß ich. Aber was ist<br />
das – ein Nutzer? Sehen Sie: Bei<br />
uns im alten Griechenland kannte jeder die Tempelinschrift<br />
in Delphi. Sie lautete: „Erkenne dich selbst!“<br />
Deshalb frage ich jeden Nutzer, ob er sagen kann,<br />
was es heißt, ein Nutzer zu sein. Verstehen Sie, was<br />
ich meine?<br />
Ja, schon. Und was ist aus Ihrer Sicht ein Nutzer?<br />
Lassen Sie uns mal so tun, als wäre hier ein Nutzer,<br />
den wir fragen könnten: „Hey Nutzer, wer bist du?“<br />
– „Was ist das für eine komische Frage, schau dir mal<br />
mein Profil an, dann weißt du’s.“ – „Okay, da finde<br />
ich ein Foto und ein paar Infos über dich. Aber das<br />
war doch wohl noch nicht alles.“ – „Na klar, ich kann<br />
doch nicht mein ganzes Leben in mein Profil quetschen.“<br />
– „Das will ich hoffen, aber dann bist du doch<br />
offenbar etwas anderes als dein Profil. Oder sagen wir<br />
so: Dein Profil ist ein Bild von dir – aber du bist nicht<br />
mit diesem Bild identisch …“ Merken Sie, worauf ich<br />
hinauswill?<br />
„Den Leuten ist<br />
jedes Mittel recht,<br />
um attraktiv zu<br />
scheinen, und sie<br />
vergessen darüber,<br />
attraktiv zu sein.“<br />
Sie wollen sagen, dass man im Netz eigentlich nur<br />
mit einem Bild von sich unterwegs ist, aber nicht<br />
als die Person, die man eigentlich ist?<br />
Genau das meine ich. Und jetzt kommt’s: Ein Bild kann<br />
wahr oder falsch sein. Es kann das, was es abbildet,<br />
getreu wiedergeben, es kann aber auch ein<br />
Zerrbild sein. Meistens ist Letzteres der Fall:<br />
Das Bild, mit dem Sie in sozialen Medien<br />
unterwegs sind, gibt dann gar nicht<br />
zu erkennen, wer Sie tatsächlich sind,<br />
sondern nur, wer Sie gern sein wollen.<br />
Es ist fast immer ein Wunschbild,<br />
das Sie von sich haben. Und das ist<br />
ziemlich oft ein verdammter Fake.<br />
Heißt das, wir machen uns in den<br />
sozialen Medien alle etwas vor?<br />
Vielleicht nicht alle, aber viele. Es ist<br />
wirklich wie früher auf dem Markt<br />
von Athen. Die Leute wollen sämtlich<br />
Aufmerksamkeit. Sie wollen<br />
bewundert und wertgeschätzt<br />
werden. Aus diesem Grund ist<br />
ihnen jedes Mittel recht, um gut<br />
und attraktiv zu scheinen – und<br />
sie vergessen darüber, gut und<br />
attraktiv zu sein. Das ist schade.<br />
Haben Sie deshalb keinen<br />
Facebook-Account?<br />
Och, ich würd mir schon noch einen anlegen, denn<br />
für Social Media gilt am Ende das Gleiche wie für<br />
den Markt in Athen: Du kannst darin als Fake-Avatar<br />
herumlaufen und dich mit deinem Profil verwechseln,<br />
du kannst Social Media aber auch für Dialoge nutzen,<br />
in denen du anfängst, dich selbst zu erkennen und<br />
deine albernen Selbstinszenierungen als das zu durchschauen,<br />
was sie sind: fruchtlose Schattenspiele, die<br />
dich davon abhalten, wirklich du selbst zu sein.<br />
SOKRATES (ca. 470–399 v. Chr.) ist die Galionsfigur der europäischen<br />
Philosophie. Zu Lebzeiten war der griechische Denker<br />
berühmt dafür, unreflektierte Selbst- und Weltbilder infrage<br />
zu stellen. Damit zog er den Zorn vieler Mitbürger auf sich,<br />
die ihn in einem fragwürdigen Prozess zum Tode verurteilten.<br />
CHRISTOPH QUARCH, 56, ist deutscher Philosoph, Theologe,<br />
Unternehmens-Coach und Autor zahlreicher philosophischer<br />
Bücher. Zuletzt erschienen: „Platon und die Folgen“,<br />
Verlag J. B. Metzler, Stuttgart.<br />
DR. CHRISTOPH QUARCH BENE ROHLMANN<br />
16 THE RED BULLETIN
FLÜÜÜGEL<br />
FÜR <strong>DE</strong>N SOMMER.<br />
MIT <strong>DE</strong>M GESCHMACK VON KAKTUSFRUCHT.<br />
NUR FÜR<br />
KURZE ZEIT<br />
BELEBT GEIST UND KÖRPER ® .
P O R T F O L I O<br />
„Wir hatten<br />
nicht viel Zeit.<br />
Die Securitys<br />
waren uns auf<br />
den Fersen.“<br />
Skateboard-Fotograf<br />
Jake Darwen über die Magie<br />
des Augenblicks<br />
am Rande des Verbotenen.<br />
Text ANDREAS WOLLINGER<br />
Volles Rohr<br />
Anthony Schultz, Seoul,<br />
Südkorea, 2016<br />
„Vor dem größten Einkaufszentrum<br />
Seouls steht diese perfekte Full Pipe.<br />
Das Problem sind nur die vielen<br />
Wachleute. Ein paar von den Jungs<br />
lenkten sie ab, Anthony hatte Zeit<br />
für genau zwei Versuche, dann haben<br />
sie uns des Areals verwiesen.“<br />
18 THE RED BULLETIN
THE RED BULLETIN 19
P O R T F O L I O<br />
Unter dem<br />
Regenbogen<br />
Casey Ainsworth,<br />
Adelaide,<br />
Australien, 2015<br />
„Casey entdeckte<br />
diese wirklich steile<br />
Bank (eine Schräge,<br />
die Tricks zulässt;<br />
Anm.) tagsüber, wir<br />
gingen abends hin,<br />
um ungestört zu sein.<br />
Da stellten wir fest,<br />
dass das Stadion beleuchtet<br />
war, was die<br />
Sache gleich noch viel<br />
schöner machte.“<br />
20 THE RED BULLETIN
THE RED BULLETIN 21
P O R T F O L I O<br />
Nicht mal Fliegen ist schöner<br />
Marius Syvänen, Tugun, Australien, 2018<br />
„Fast zu schön, um wahr zu sein, aber diese Bowl<br />
ist nur ein paar hundert Meter von der Landebahn<br />
des Flughafens von Gold Coast entfernt. Marius<br />
und ich stoppten, dass die Flugzeuge zirka alle<br />
20 Minuten ankamen. Schwebte also ein Flieger<br />
herein, legte Marius los. Es dauerte lang, bis wir es<br />
präzise hinbekamen, aber das war es allemal wert.“<br />
22 THE RED BULLETIN
Sprünge im Schulhof<br />
Jake Hayes & Jordan Trahan,<br />
Los Angeles, USA, 2019<br />
„Klassische Schulhof-Session, mitten im Hochsommer.<br />
Meine Blitzgeräte explodierten fast<br />
in der Hitze, aber die Jungs behielten einen<br />
kühlen Kopf und schafften es, ihre Kickflips über<br />
den Tisch perfekt zu synchronisieren.“<br />
THE RED BULLETIN 23
P O R T F O L I O<br />
Big City, Bright Lights<br />
Marquise Henry, Los Angeles, USA, 2020<br />
„Ich war schon immer ein großer Fan davon, mein<br />
Motiv von hinten zu beleuchten, wann immer ich<br />
die Gelegenheit dazu habe. Die Art und Weise, wie<br />
die Schatten dann mit dem Boden verschmelzen,<br />
und das Glühen hinter der Person: Ich liebe es!“<br />
Kunst und Können<br />
Louie Dodd, Melbourne,<br />
Australien, 2016<br />
„Louie skatet immer an Stellen, die<br />
so toll sind, dass man sich wünscht,<br />
ihn dabei fotografieren zu können.<br />
Glücklicherweise ging mein Wunsch<br />
in Erfüllung: Diese abstrakte Skulptur<br />
steht im Herzen von Melbourne.“<br />
24 THE RED BULLETIN
THE RED BULLETIN 25
P O R T F O L I O<br />
26 THE RED BULLETIN
Springen<br />
im Brunnen<br />
Dean Palmer,<br />
Peking, China,<br />
2014<br />
„Ich wollte immer<br />
schon jemanden in<br />
einem Springbrunnen<br />
fotografieren, aber<br />
meistens wollen die<br />
Leute nicht nass<br />
werden. Als ich mit<br />
Dean in Peking war,<br />
fragte ich ihn, ob er<br />
Lust habe. Nach fünf<br />
Minuten war er tropfnass.<br />
Er ist dann ins<br />
Hotel zurück, holte<br />
sich neue Klamotten,<br />
und weiter ging’s.“<br />
THE RED BULLETIN 27
P O R T F O L I O<br />
Sicherheit ist relativ<br />
Franky Villani, Los Angeles, USA, 2020<br />
„Nach dem Ausbruch von Corona hatte ich einen Monat<br />
lang kein Foto geschossen. Dann erkannten wir, dass<br />
geschlossene Schulen sichere Orte waren – keine<br />
Menschen weit und breit. Franky wählte prompt den<br />
am wenigsten sicheren Trick: den 50-50 Grind Hippie<br />
Jump – über das Geländer durch das Loch im Zaun.“<br />
28 THE RED BULLETIN
Eine Frage des Gleichgewichts<br />
Gabriel Summers, Melbourne, Australien, 2015<br />
„Bis heute weiß keiner, wer das gebaut oder wozu es gedient<br />
hat – eine wilde Konstruktion mit herausstehenden<br />
Nägeln und Sperrholzstücken, die sich gegenseitig überlappen.<br />
Gabriel musste wie ein Turner balancieren, um<br />
sein Brett in die richtige Position zu bringen, und dann<br />
einfach das Beste hoffen. Zum Glück ist nichts passiert.“<br />
THE RED BULLETIN 29
P O R T F O L I O<br />
Blitzaktion im Bahnhof<br />
Ronnie Kessner, New York, USA, 2019<br />
„Wir waren in diesem Bahnhof was essen. Beim<br />
Rausgehen fiel mir auf, dass man von oben<br />
ganz nach unten sehen konnte, was sofort eine<br />
Fotoidee zündete. Ich verständigte mich mit<br />
Ronnie via Handy, ein Assistent blitzte ihn zusätzlich<br />
von oben, was den Schatten erzeugte.<br />
Viel Zeit hatten wir nicht, die Securitys waren<br />
uns schon auf den Fersen.“<br />
30 THE RED BULLETIN
Verbotene Leidenschaften<br />
Kayle Lawson, Melbourne, Australien, 2016<br />
„Diese Stelle war jahrelang gesperrt. Doch dann haben<br />
Einheimische die Sperren entfernt, und man konnte<br />
genau zwei Wochen skaten. Im Bild: mein bester<br />
Freund Kayle bei einem Switch Backside Lipslide.“<br />
THE RED BULLETIN 31
P O R T F O L I O<br />
32 THE RED BULLETIN
Mit 16 zog sich<br />
Jake Darwen eine<br />
Knieverletzung zu<br />
– nicht lustig, wenn<br />
man davon träumt,<br />
Skateboardprofi<br />
zu werden. Doch<br />
der Sonnyboy aus<br />
Auckland, Neuseeland, nutzte die<br />
halbjährige Auszeit kreativ: Er legte<br />
sich eine Kamera zu, um Teil der<br />
Szene zu bleiben, wenn er schon nicht<br />
selber fahren konnte. Schnell wurde<br />
die Fotografie zu seiner neuen Leidenschaft,<br />
wobei er den gleichen Zugang<br />
wählte wie beim Skateboarden: „Du<br />
kannst nicht aufhören, dich zu verbessern,<br />
das macht süchtig“, sagt er.<br />
Nach fünf Jahren in Australien zog er<br />
schließlich nach Los Angeles und<br />
zählt heute, mit 28, zu einem der<br />
gefragtesten Skateboard-Fotografen<br />
der Welt. Vor allem weil er es versteht,<br />
die flüchtigen Tricks der Boarder<br />
und ihre Umgebung mit wachem Blick<br />
und perfektem Timing zu Gesamtkunstwerken<br />
zu erhöhen. „Ich glaube“,<br />
sagt er, „dass man ein Foto auf diese<br />
Art dazu bringt, eine Geschichte<br />
zu erzählen.“<br />
Bilder aus Jakes Leben: Instagram: @jakedarwen<br />
Tag der Fahne<br />
Jake Hayes, Chongqing,<br />
China, 2014<br />
„Diese Flaggen fielen mir auf, als wir<br />
von einem Spot zum nächsten unterwegs<br />
waren. Ich kletterte auf einen<br />
Baum, um den Blickwinkel richtig hinzukriegen,<br />
und Jake machte ein paar<br />
Kickflips. Zum Glück waren nirgends<br />
Securitys.“<br />
THE RED BULLETIN 33
Musik<br />
„Meine Songs<br />
sind dunkelgrün<br />
und himbeerrot“<br />
Wenn Lea Lu singt, wird ihre Welt ganz bunt – denn<br />
jeder Klang ist für sie Farbe. Die Sängerin sieht Töne.<br />
Und das gibt ihrer Musik einen einzigartigen Anstrich.<br />
Interview SABRINA LUTTENBERGER<br />
Foto CLAUDIO STRÜBY<br />
Wenn Lea Lu auf die dunkle Seite<br />
ihrer Seele wechselt – dorthin, wo<br />
es ein wenig düsterer zugeht –, sieht<br />
sie nicht schwarz, nein, sie hört<br />
dunkelgrün.<br />
Für die Sängerin, 36, steht Dunkelgrün<br />
für F-Dur. Und zwar immer.<br />
Denn Lea Lu ist Synästhetikerin.<br />
Das heißt: Jeder Ton, jeder Akkord<br />
lässt vor ihrem inneren Auge eine<br />
bestimmte Farbe erklingen.<br />
Nur einer von 20.000 Menschen,<br />
schätzen Experten wie der Neuropsychologe<br />
Lutz Jäncke von der Uni<br />
Zürich, besitzt diese Gabe. Der russische<br />
Maler Wassily Kandinsky soll<br />
sie gehabt haben, US-Sängerin Lady<br />
Gaga und der Frontmann der britischen<br />
Popband Coldplay, Chris<br />
Martin, sehen Töne wie Lea Lu.<br />
Neue Studien gehen davon aus,<br />
dass fast jeder Zwanzigste Töne<br />
sieht, viele, ohne sich dessen bewusst<br />
zu sein. Lange ahnte auch Lea<br />
Lu nichts von ihrer Gabe, erst eine<br />
Doku über Synästhesie öffnete ihr<br />
die Augen. Dabei hatte sich die<br />
Schweizerin schon als Sechsjährige<br />
mit ihrer speziellen Fähigkeit durch<br />
den Geigen-Unterricht geschummelt:<br />
Statt der Noten merkte sie sich die<br />
Farbfolge, die sie sah, wenn ihr die<br />
Lehrerin ein Stück vorspielte.<br />
Ob die Farbe vor ihrem inneren<br />
Auge ihren Liedern einen besonderen<br />
Klang verleiht? Wir meinen ja, ihrer<br />
ersten Single „I Call You“ gibt sie<br />
einen einzigartigen Anstrich, ihr dieses<br />
Jahr erscheinendes Album verspricht<br />
eine bunte Welt. Ein Happy<br />
End, mit einem dunkelgrünen Start<br />
in New York.<br />
the red bulletin: Wenn du mit<br />
anderen Musik machst, kann es<br />
passieren, dass andere etwas<br />
richtig gut finden, für dich aber<br />
die Farbkombination nicht funktioniert?<br />
lea lu: Ja, das kommt wirklich<br />
vor. Wenn die Komposition toll ist,<br />
die Farben aber langweilig sind,<br />
beeinflusst das schon meine Wahrnehmung<br />
des Songs. Oder zum Beispiel<br />
F-Dur, das ist für mich immer<br />
dunkelgrün, ein bisschen düster. Es<br />
kann schon sein, dass ich dafür eher<br />
melancholischere Themen wähle.<br />
Auf der anderen Seite würde ich<br />
niemals einen traurigen Song in<br />
A‐Dur schreiben. A-Dur ist himbeerrot,<br />
eine fröhliche Farbe!<br />
Wie kann man sich das vorstellen,<br />
wenn du Musik nicht nur hörst,<br />
sondern siehst?<br />
Es ist wie eine Farbebene, die immer<br />
da ist, also auch jetzt, wenn wir<br />
sprechen. Es gibt dieses Empfinden,<br />
das mehr im Inneren des Körpers<br />
stattfindet. Ich habe das nicht nur<br />
bei Tönen, sondern auch, wenn ich<br />
lese und Buchstaben sehe. Da sind<br />
dann aber nicht die Buchstaben<br />
farbig, sondern ich sehe die Farben.<br />
Bei der Musik ist das eben auch so:<br />
Es tauchen Farbnebel vor meinem<br />
inneren Auge auf. Jeder Akkord und<br />
jeder Ton hat in meinem Kopf eine<br />
bestimmte Farbe. Und das ist immer<br />
dieselbe.<br />
Beeinflusst dich diese Fähigkeit<br />
auch in anderen Bereichen?<br />
Mir hilft das dabei, mir Dinge zu<br />
merken. Also, ich hab schon als<br />
kleines Kind Geige gespielt, konnte<br />
aber keine Noten lesen. Die Geigenlehrerin<br />
wusste das aber nicht und<br />
hat mir das Notenblatt hingestellt.<br />
Ich hab sie dann gefragt: „Können<br />
Sie das bitte vorspielen?“ Ich habe<br />
mir die Tonfolge farblich gemerkt<br />
und so getan, als ob ich die Noten<br />
lesen würde. Sie hat das sechs Jahre<br />
lang nicht gemerkt! (Lacht.)<br />
Normalerweise würden wir jetzt<br />
über deinen New-York-Aufenthalt<br />
sprechen. Doch 2020 kam alles<br />
anders.<br />
Ja, ich wäre von März bis September<br />
mit einem Auslandsstipendium der<br />
Stadt Zürich in New York gewesen.<br />
Der Traum jedes Künstlers! Ich<br />
bin am 9. März angereist und war<br />
am 17. März notgedrungen wieder<br />
zurück in der Schweiz. Das war<br />
ein Schock, wie die Pandemie sich<br />
so plötzlich entfacht hat.<br />
Wie hast du die Zeit erlebt?<br />
Zuerst hatte ich natürlich Angst,<br />
um meine Familie, meine Freunde,<br />
meine Gesundheit. Ich war wie in<br />
einer Schockstarre, bis ich erkannt<br />
habe, ich muss da wieder raus. Das<br />
habe ich geschafft, indem ich mir<br />
möglichst viele wissenschaftliche<br />
Informationen zu Covid-19 beschafft<br />
habe. Ich hab viel gelesen und mich<br />
mit Freunden aus Taiwan ausgetauscht,<br />
die bereits früh Erkenntnisse<br />
34 THE RED BULLETIN
„Ich musste<br />
raus aus der<br />
Schockstarre.“<br />
Lea Lu, 36, kämpfte sich nach einem<br />
harten Jahr 2020 wieder zurück.<br />
THE RED BULLETIN 35
Musik<br />
zum Virus hatten. Als die Angst weg<br />
war, war das Organisieren wichtig.<br />
Okay, was mache ich jetzt? Wie zum<br />
Teufel zahle ich meine Miete? Es ist<br />
Lockdown. Ich hab keine Konzerte,<br />
ich kann keinen Gesangsunterricht<br />
geben.<br />
Zum weltweiten Ausnahmezustand<br />
kam also auch noch<br />
ein persönlicher?<br />
Ja. Die Kulturbranche wurde von der<br />
Situation hart getroffen. Zum Glück<br />
gab es nach einigen Monaten Unterstützungsbeiträge<br />
von verschiedenen<br />
Institutionen. Um die erste Zeit zu<br />
überbrücken, habe ich mir Geld<br />
von Freunden geliehen. Sobald das<br />
Finanzielle vorerst geklärt war, hat<br />
sofort wieder das Kreieren begonnen.<br />
Das Leben kam wieder in Bewegung.<br />
Ich wollte schon sehr lange an<br />
meinem neuen Album arbeiten,<br />
deshalb bin ich ja auch nach New<br />
York gegangen.<br />
Stattdessen hast du es bei dir<br />
daheim in Zürich aufgenommen.<br />
Wie war die Arbeit daran?<br />
Als ich die Songs geschrieben hatte,<br />
habe ich einfach angefangen, die<br />
Musik mit meinem Schlagzeuger, mit<br />
dem ich mir den Proberaum teile,<br />
aufzunehmen – mit den Möglichkeiten,<br />
die wir zur Verfügung hatten.<br />
Und ich habe mir Bassspielen beigebracht.<br />
Weil ich … na ja, keinen<br />
„I love the<br />
songs! I love<br />
your voice!“<br />
Der kanadische Musiker Mocky<br />
war sofort bereit, Bass für<br />
Lea Lu zu spielen.<br />
Bassisten in der Nähe hatte. (Lacht.)<br />
Es ging eigentlich ganz okay, aber<br />
dann ist mir plötzlich wieder Mocky<br />
in den Sinn gekommen. Ein kanadischer<br />
Musiker, der schon mit Jamie<br />
Lidell (britischer Sänger; Anm.) und<br />
Leslie Feist (kanadische Sängerin;<br />
Anm.) gearbeitet hatte. Den wollte<br />
ich eigentlich in New York treffen.<br />
Ich hab mir gedacht, die Chance<br />
ist klein, aber ich frag einfach mal<br />
per Mail bei ihm an. Er hat zurückgeschrieben<br />
und war begeistert:<br />
„I love the songs! I love your voice!<br />
I would love to play on your album!“<br />
Er hat dann in Los Angeles die Bass-<br />
Linien eingespielt und uns geschickt.<br />
Das war so krass: Es hat sofort so<br />
geklungen, als ob wir schon lange<br />
eine Band wären! Ohne dass wir uns<br />
einmal getroffen haben.<br />
Wenn man sich das Album anhört,<br />
wird man etwas von der Stimmung<br />
des vergangenen Jahres spüren?<br />
Ich glaube, man wird darin deutlich<br />
das Bedürfnis nach Austausch spüren.<br />
Das, was ich mir in dieser Zeit am<br />
meisten gewünscht habe: wieder<br />
mit anderen Musikern spielen zu<br />
können. Für mich ist das Album<br />
auch eine Weiterführung meiner EP<br />
„Rabbit“. Die war eine Soloproduktion,<br />
ein sehr einsames Stück Musik.<br />
Der nächste Schritt wäre gewesen,<br />
wieder in die Welt hinauszugehen.<br />
Dann kam Corona, und die Welt ging<br />
zu. Aber das Bedürfnis ist geblieben.<br />
Wie bist du damit umgegangen?<br />
Ich habe es so gelöst, wie es eben<br />
ging: zum Beispiel mit Mocky<br />
online. Als der Lockdown in der<br />
Schweiz zu Ende war, so Anfang<br />
Mai, konnte man sich auch wieder<br />
treffen und zusammen musizieren.<br />
Da haben wir das Proberaumstudio<br />
in ein Auto gepackt und in einer<br />
Alphütte wieder aufgebaut, und ich<br />
hab meine Lieblings-Jazzmusiker<br />
aus der Schweiz eingeladen. Also,<br />
ich hab einfach nur angerufen, und<br />
sie sind alle gekommen. Das war ein<br />
wunderschönes Erlebnis. Deshalb<br />
heißt das Album auch „I Call You“.<br />
Dabei wolltest du als Kind auf<br />
keinen Fall Musikerin werden.<br />
Du hast angeblich gesagt, das sei<br />
dir viel zu anstrengend.<br />
Das stimmt. Ich hab schon sehr<br />
früh Songs geschrieben. Das war<br />
das Natürlichste für mich. Ich sag<br />
immer, das war meine erste Sprache,<br />
meine Muttersprache. Die Welt,<br />
in der ich mich ausdrücken konnte.<br />
Musikerin werden war aber nie ein<br />
Berufswunsch oder Traum. Nicht,<br />
weil es anstrengend ist – mir war<br />
wohl schon immer bewusst, dass<br />
es einfach schwierig ist, Musikerin<br />
zu werden und davon zu leben.<br />
Deshalb habe ich auch mit einem<br />
Psychologiestudium begonnen. Da<br />
hatte ich in den Vorlesungen aber<br />
immer eine Jazz-Notensammlung<br />
mit. Eine Mitstudentin hat mich<br />
irgendwann einmal gestupst und<br />
meinte: „Ey, du bist wirklich im<br />
falschen Studium.“ (Lacht.) Danach<br />
habe ich Jazz studiert.<br />
Und kannst du auch Noten lesen?<br />
Ja, das hat auch noch funktioniert.<br />
Als Anheizer für Coldplay: Lea Lu 2016 mit ihrer Band im Stadion in Zürich –<br />
48.000 Zuschauer sahen ihren Auftritt. Wie Lea Lus Leben Farbe gewinnt: lealu.ch<br />
LUKAS MAE<strong>DE</strong>R<br />
36 THE RED BULLETIN
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Ultrarunning<br />
Der fitteste<br />
Feuerwehrmann<br />
der Welt<br />
Andreas Michalitz, 52, Hauptbrandmeister aus Österreich,<br />
hält den Weltrekord im 100-Kilometer-Lauf – und zwar in<br />
voller Montur. Das heißt: Er muss 26 Kilo mitschleppen.<br />
Und das ist nicht seine einzige Bestleistung.<br />
Interview WOLFGANG WIESER<br />
Foto PHILIPP HORAK<br />
Seine Vorbereitung für die Weltrekorde<br />
absolvierte Hauptbrandmeister<br />
Andreas Michalitz in der Nacht:<br />
Warum? „Weil es seltsam aussieht,<br />
wenn du mit einem Feuerwehrhelm<br />
auf dem Kopf läufst.“ Tatsächlich näherte<br />
sich der Profi-Feuerwehrmann<br />
aus Wiener Neustadt in Niederösterreich<br />
seiner Rekordjagd Stück für<br />
Stück: Mal trug er den Helm, mal<br />
seine schweren Einsatzstiefel („Die<br />
sind fürs Laufen völlig ungeeignet“).<br />
Bis er schließlich in die komplette,<br />
26 Kilo schwere Montur schlüpfte.<br />
Das monatelange Training hat sich<br />
gelohnt. Heute hält er vier Weltrekorde:<br />
im 100-Kilometer-Lauf (im<br />
Einzel und im Team mit drei deutschen<br />
Kollegen), für zwölf Stunden<br />
am Laufband und im Treppensteigen<br />
– alles in voller Feuerwehr-Montur.<br />
the red bulletin: Du hältst auch<br />
den Weltrekord im Treppensteigen<br />
in voller Montur, konkret hast<br />
du 82.301 Stufen in 24 Stunden<br />
geschafft. Frage eins: Was heißt<br />
in voller Montur genau? Frage<br />
zwei: Ganz ehrlich, ist das nicht<br />
ein bisschen verrückt?<br />
Andreas Michalitz: Die zweite<br />
Frage kann ich kurz beantworten:<br />
Ja. Zur ersten Frage: Helm, Jacke,<br />
Handschuhe, Hose, Stiefel, Atemschutzgerät,<br />
Beil, eine Maske – alles<br />
in allem 26 Kilo schwer.<br />
Wie bist du überhaupt auf diese<br />
verrückte Idee gekommen?<br />
Den Treppenrekord hat vor mir Joey<br />
Kelly von der Kelly Family gehalten<br />
– allerdings ohne Montur. Ich wollte<br />
nur beweisen, wie fit du als Feuerwehrmann<br />
sein musst.<br />
Dieser Weltrekord ist nicht dein<br />
einziger, du hältst vier, einer davon<br />
ist der Weltrekord im 100-Kilometer-Lauf<br />
in Feuerwehr-Schutzausrüstung<br />
mit Atemschutz. Du<br />
hast dafür 15 Stunden, 11 Minuten<br />
und 10 Sekunden gebraucht. Was<br />
treibt dich zu solchen Leistungen?<br />
Das ist schwer zu sagen. Aber ich<br />
vermute, es ist die Motivation, etwas<br />
Besonderes zu schaffen, was sonst<br />
kaum jemand schafft. In Österreich<br />
bin ich mit diesen Extremeinsätzen<br />
eher ein Einzelkämpfer, in Deutschland<br />
sind viel mehr Feuerwehrkollegen<br />
dabei.<br />
Deine Vorbereitung?<br />
Ich laufe seit rund 20 Jahren täglich.<br />
Zwei-, dreimal in der Woche habe<br />
ich speziell für die Weltrekorde<br />
trainiert. Auf unterschiedlichen<br />
Strecken. Meistens in der Nacht,<br />
weil es seltsam aussieht, wenn du<br />
mit einem Feuerwehrhelm auf dem<br />
Kopf läufst. Das größte Problem waren<br />
die Schuhe, die schweren Stiefel<br />
sind fürs Laufen eigentlich völlig ungeeignet.<br />
Aber wenn du lange genug<br />
übst, haut auch das hin.<br />
Was haben die Feuerwehrkollegen<br />
dazu gesagt? Und deine Frau,<br />
deine Kinder?<br />
Die waren Feuer und Flamme und<br />
haben mich unterstützt. Meine Frau<br />
und mein Sohn betreuen mich auch,<br />
wenn ich an Extrem läufen teilnehme.<br />
Am Anfang deiner Laufbegeisterung<br />
stand ein Buch von Extremsportler<br />
Christian Schiester.<br />
In „Lauf ins Leben“ beschreibt er,<br />
wie er vom Kettenraucher zum Top-<br />
Sportler wurde. Es hat mich fasziniert,<br />
dass ein Antisportler all das<br />
schaffen kann.<br />
Bevor Christian mit dem Laufen<br />
begann, hatte er jeden Tag sechs<br />
Bier getrunken und 40 Zigaretten<br />
geraucht. Wie hat dein Sündenregister<br />
ausgesehen?<br />
Gegessen habe ich gerne, aber kaum<br />
Alkohol getrunken. Sportlich habe<br />
ich – außer ein bisschen Ski zu fahren<br />
– schlicht nichts gemacht.<br />
Sind diese Rekorde mehr als bloß<br />
ein Gag?<br />
Natürlich, sie sind so etwas wie eine<br />
Bestätigung meiner körperlichen,<br />
aber auch meiner mentalen Fitness.<br />
Wenn ich bei einem Einsatz auf<br />
der Autobahn auf 50 Grad heißem<br />
Asphalt stehe und im Schutzanzug<br />
arbeiten muss, ist es wichtig, nicht<br />
nur körperlich, sondern auch geistig<br />
fit zu sein.<br />
Wohin Andreas Michalitz gerade läuft:<br />
ultrarunning-michalitz.at<br />
38 THE RED BULLETIN
„In dieser<br />
Montur lief ich<br />
100 Kilometer<br />
am Stück.“<br />
Hauptbrandmeister Michalitz, 52,<br />
in seiner Sportbekleidung:<br />
„Ich will etwas schaffen, was sonst<br />
kaum jemand schafft.“<br />
THE RED BULLETIN 39
Wings for Life World Run<br />
„Du brauchst<br />
nur ein Ziel“<br />
Tadesse Abraham, 38, ist einer der besten Marathonläufer<br />
der Welt. Privat schraubt er das Tempo lieber<br />
runter. Und hilft Menschen, die wie er in der Schweiz<br />
eine neue Heimat suchen.<br />
Interview KARIN CERNY<br />
Fotos JANOSCH ABEL<br />
Gibt es im Refugee-Team Läufer,<br />
die Ihnen später mal Konkurrenz<br />
machen können?<br />
Fünf sind extrem gut. Aber ich hatte<br />
nie Angst, dass jemand besser ist als<br />
ich. Wer gut trainiert, der gewinnt.<br />
Für mich ist es okay, wenn mich<br />
jemand aus dem eigenen Team<br />
schlägt. Das bedeutet doch bloß,<br />
dass ich meinen Job gut gemacht<br />
habe. Es geht beim Sport nicht nur<br />
ums Gewinnen, möglichst viele Kilometer<br />
möglichst schnell zu laufen.<br />
Wichtig ist der Teamgeist.<br />
Er läuft 200 Kilometer pro Woche.<br />
Und liebt es, wenn ihm Zeit für<br />
einen ausgiebigen Mittagsschlaf<br />
bleibt. Denn im Leben von Tadesse<br />
Abraham geht es um die richtige<br />
Mischung aus Entspannung und<br />
Leistung. Seit 2016 hält er den<br />
Schweizer Rekord im Marathon –<br />
mit 2 Stunden, 6 Minuten und<br />
40 Sekunden. Der Weg dahin war<br />
lang: In Eritrea geboren, setzte er<br />
sich während eines Wettkampfs in<br />
Belgien ab und stellte 2004 einen<br />
Asylantrag in der Schweiz. 2014<br />
wurde er eingebürgert – und gilt<br />
heute als bestes Beispiel für gelungene<br />
Integration. Jetzt hilft er jungen<br />
Menschen, die wie er Migrationshintergrund<br />
haben. Sein „THSN<br />
Refugee Team“ wird am 9. Mai beim<br />
Wings for Life World Run in Genf<br />
mitlaufen.<br />
the red bulletin: Wo erwische<br />
ich Sie gerade?<br />
tadesse abraham: Ich bin auf<br />
Trainingslager in Äthiopien und<br />
komme gerade vom Mittagessen.<br />
Vormittags bin ich 21 Kilometer<br />
g elaufen, nachmittags stehen noch<br />
einmal zehn an.<br />
Addis Abeba liegt auf fast<br />
2400 Metern. Probleme mit<br />
der Höhe haben Sie keine?<br />
Die Höhe liegt mir. So bin ich aufgewachsen,<br />
ich akklimatisiere mich<br />
dementsprechend schnell. Äthiopien<br />
ist wie eine Heimat für mich, ich<br />
spreche die Sprache, mag das Essen,<br />
finde leicht Trainingspartner. Und<br />
die Laufstrecken sind sehr abwechslungsreich.<br />
2004 sind Sie aus dem autoritär<br />
regierten Eritrea in die Schweiz<br />
geflüchtet. Konnten Sie Deutsch?<br />
Kein Wort. Das war schon schwierig,<br />
aber der Sport hat mir sehr geholfen,<br />
mich schnell zu integrieren.<br />
Ist das ein Grund, warum Sie sich<br />
sozial engagieren? Um anderen<br />
zu helfen, denen es ähnlich geht?<br />
Definitiv! Viele Leute schämen sich,<br />
dass sie die Sprache nicht perfekt<br />
beherrschen. Ich möchte ihnen die<br />
Hemmungen nehmen. Ihnen klar<br />
machen, dass es wichtig ist, zu sprechen,<br />
auch wenn die Grammatik<br />
nicht perfekt ist.<br />
Sie leiten das „THSN Refugee<br />
Team“. Was ist das genau?<br />
Ein Projekt, das die Versicherung<br />
Generali Schweiz gemeinsam<br />
mit mir ins Leben gerufen hat. Es<br />
geht darum, junge Menschen mit<br />
Migrationshintergrund und Fluchterfahrung<br />
über Sport zu integrieren.<br />
Beim Trainieren redet man ungezwungener,<br />
kommt auf neue Ideen<br />
und findet Freunde.<br />
Ist Marathonlaufen denn nicht<br />
eine relativ einsame Sache?<br />
Klar, bei den Wettkämpfen bist du<br />
allein. Aber beim Training wäre ich<br />
ohne Team aufgeschmissen. Dann<br />
würde ich bei schlechtem Wetter<br />
einfach auf dem Sofa liegen bleiben.<br />
Welche Tricks haben Sie bei Wettkämpfen,<br />
um sämtliche Energiereserven<br />
freizusetzen?<br />
Positive Gedanken helfen. Ich blende<br />
die Konkurrenz aus, denke an die<br />
vielen Leute, die hinter mir stehen.<br />
Meine Familie, mein Team, mein<br />
Verein, alle, die im Ziel auf mich<br />
warten. Dann bin ich mit voller Kraft<br />
unterwegs.<br />
Was für einen Tipp geben Sie<br />
jungen Läuferinnen und Läufern?<br />
Alles ist möglich, du brauchst nur<br />
ein Ziel. Du musst bei der Sache<br />
bleiben, auch wenn es gerade nicht<br />
rund läuft. Positiv sein, aber Selbstkritik<br />
zulassen. Abgesehen davon<br />
finde ich, dass man nicht immer nur<br />
trainieren kann. Auch ein Spitzensportler<br />
muss das Leben genießen.<br />
Ich möchte keine Maschine werden.<br />
Es muss möglich sein, auch mal mit<br />
Freunden abzuhängen.<br />
Mit Tadesse Abraham unterwegs –<br />
auf Instagram: tadesse_abraham_official<br />
40 THE RED BULLETIN
„Es geht<br />
nicht nur ums<br />
Gewinnen.<br />
Wichtig ist der<br />
Teamgeist.“<br />
Tadesse Abraham über seine<br />
Prinzipien im Sport<br />
THE RED BULLETIN 41
Skydiving<br />
KOMET<br />
MIT HELM<br />
Die Skydiver der <strong>Red</strong> Bull<br />
Air Force als menschliche<br />
Flugobjekte am Nachthimmel:<br />
Bei uns erzählt US-Fotograf<br />
Dustin Snipes, wie aus<br />
seiner verrückten Foto-Idee<br />
ein Stunt für die Geschichtsbücher<br />
wurde.<br />
Text NORA O’DONNELL<br />
Fotos DUSTIN SNIPES<br />
42
RED BULL AIR FORCE<br />
Lebende Fackel<br />
Ein Skydiver der <strong>Red</strong> Bull Air<br />
Force im Nachthimmel über<br />
Marfa, Texas. Die US-Kleinstadt<br />
ist für ihre mysteriösen Lichtphänomene<br />
berühmt, die „Marfa<br />
Lights“. Um diese für ein Fotoprojekt<br />
nachzustellen, zündeten<br />
die Athleten kurz nach dem<br />
Absprung pyrotech nische<br />
Raketen an ihren Fußgelenken.
Skydiving<br />
Himmels-<br />
Kunstwerk<br />
Dieses Bild besteht aus 48 Fotos:<br />
Sechs Kameras und je acht Langzeit<br />
belichtungen waren nötig,<br />
damit der gesamte Flug der<br />
vier Skydiver zu sehen ist – vom<br />
Absprung über den Formationsflug<br />
bis zu ihrem Verschwinden<br />
hinter den Bergen. „Ein abstraktes<br />
Gemälde auf einem schier endlosen<br />
Nachthimmel“, schwärmt<br />
Fotograf Dustin Snipes.<br />
44
Skydiving<br />
„Wir machen<br />
diesen Sprung<br />
nicht, weil<br />
er leicht,<br />
sondern weil er<br />
schwierig ist.“<br />
Fotograf Dustin Snipes<br />
Fotograf Snipes (li., mit seinem Team) kam im September 2020 zum ersten Mal nach Marfa, Texas,<br />
um sich nach Locations für das Nacht-Skydiving-Shooting umzusehen. „Die Planung dauerte Monate“,<br />
sagt er, „weil es jede Menge Variablen gab.“<br />
Wie so viele wilde<br />
Abenteuer beginnt<br />
auch diese<br />
Geschichte mit<br />
einer verrückten<br />
Idee – sie stammte von US-<br />
Fotograf Dustin Snipes.<br />
„Je verrückter, desto besser“,<br />
sagt er trocken. „In der Regel<br />
bedeutet das nämlich, dass<br />
es noch niemand vorher versucht<br />
hat.“<br />
Die Hochebene von West-<br />
Texas hat etwas ganz Besonderes<br />
zu bieten: einen Nachthimmel<br />
von außerirdischer<br />
Schönheit. Die Seehöhe und<br />
die Abwesenheit von Lichtverschmutzung<br />
lassen Millionen<br />
von Sternen funkeln wie<br />
Juwelen. Und über allem<br />
schwebt der mystische Schleier<br />
der Milchstraße.<br />
Doch damit nicht genug:<br />
Nahe der Kleinstadt Marfa<br />
werden immer wieder mysteriöse<br />
Lichterscheinungen<br />
beobachtet – pulsierende<br />
Kugeln in allen möglichen<br />
Farben, mittlerweile weltweit<br />
bekannt unter dem Schlagwort<br />
„Marfa Lights“. Paranormale<br />
Phänomene? Atmosphärische<br />
Spiegelungen von<br />
Scheinwerfern oder Lagerfeuern?<br />
UFOs? Wer weiß.<br />
Für Fotokünstler Dustin<br />
Snipes jedenfalls eine würdige<br />
Kulisse, um einen Nachtflug<br />
der <strong>Red</strong> Bull Air Force gebührend<br />
zu inszenieren: Was<br />
wäre, so der Grundgedanke<br />
der Aktion, wenn diese Weltklasse-Athleten<br />
selbst zu<br />
Marfa Lights würden? Snipes,<br />
in Los Angeles daheim, verbrachte<br />
Monate mit der Planung<br />
des Husarenstücks: Es<br />
galt, hunderte von Variablen<br />
mit einem Team von Experten<br />
einigermaßen berechenbar<br />
zu machen. „Es gab mehr Unwägbarkeiten<br />
als bei jedem<br />
anderen Shooting, das ich je<br />
gemacht habe“, sagt er.<br />
Snipes und das Team der<br />
<strong>Red</strong> Bull Air Force schlugen<br />
ihr Basislager auf der historischen<br />
Cibolo Creek Ranch<br />
auf. Zu ihr gehören mehr als<br />
Ein Mann sieht Rot<br />
Kurz nach Sonnenuntergang bringt Dustin Snipes seine<br />
Ausrüstung in Stellung. Das rote Licht ist ein entscheidendes<br />
Werkzeug für die Nachtfotografie – weil es die Augen des<br />
Fotografen im Dunkeln weniger blendet als normales Licht.<br />
DAN WIX, RED BULL AIR FORCE<br />
46 THE RED BULLETIN
Aufstieg<br />
und Fall<br />
Bild oben: Das <strong>Red</strong> Bull Air<br />
Force-Team im Flugzeug vor<br />
dem Absprung. Um sich auf<br />
einem mondlosen Himmel<br />
sichtbar zu machen, wickelten<br />
sich die Athleten in Ketten<br />
von LED-Lichtern; dazu verwendeten<br />
sie Pyro technik,<br />
die das Tempo und die Energie<br />
während des freien Falls rüberbringen<br />
sollte. Das ließ sie<br />
am Ende wie mensch liche<br />
Kometen wirken.
„Es gab mehr<br />
Unwägbarkeiten<br />
als bei jedem<br />
anderen Shooting,<br />
das ich je<br />
gemacht habe.“<br />
Fotograf Dustin Snipes<br />
Fotograf Snipes bat die Athleten,<br />
während der drei Sprünge mit dem<br />
Einsatz von LED-Lichtern und<br />
Pyrotechnik zu experimentieren.<br />
„Das LED liefert schnörkellose<br />
Linien“, sagt er. „Aber die Pyro fügt<br />
so viel Zufälligkeit hinzu und verleiht<br />
dem Ganzen einen wunderbar<br />
geheimnisvollen Look.“
Skydiving<br />
Touchdown<br />
Bloß zwei winzige Lichter boten<br />
den Springern Orientierung<br />
auf dem Weg zur Landung.<br />
„Rundherum waren nur Berge …<br />
und absolute Finsternis“, sagt<br />
Team-Captain Jon DeVore.<br />
„Das Abenteuer wäre wohl<br />
ziemlich böse ausgegangen,<br />
hätten wir es nicht zum richtigen<br />
Landeplatz geschafft.“<br />
RED BULL AIR FORCE<br />
Schweres Geschütz<br />
Um die ganze Schönheit des Nachthimmels über Marfa und den Flug der Bullen auf ein Bild<br />
zu bekommen, bastelte sich Fotograf Snipes ein Gestell für seine Canon-EOS-Kameras.<br />
Jede von ihnen machte acht Langzeitbelichtungen über die drei Minuten, die die Springer<br />
in der Luft waren. Die Konstruktion musste leicht für den Transport sein und stabil genug,<br />
um den Kameras Halt zu bieten. Snipes brauchte fünf Tage, um das Ding zu bauen.<br />
120 Quadratkilometer Land –<br />
mehr als genug Platz für störungsfreie<br />
Aufnahmen.<br />
Doch all die penible Vorbereitung<br />
half Snipes nicht bei<br />
der größten Herausforderung:<br />
beleuchtete Körper, die aus<br />
3000 Metern drei Minuten lang<br />
in die Dunkelheit fallen, ordentlich<br />
aufs Bild zu kriegen.<br />
Er verwendete ein Set-up aus<br />
neun Kameras, die auf ein selbst<br />
gebasteltes Gestell montiert waren,<br />
um ein 180-Grad-Panorama<br />
hinzubekommen.<br />
„Immer, wenn ich so etwas<br />
mache“, sagt Snipes, „muss ich<br />
an das denken, was Präsident<br />
John F. Kennedy seinerzeit über<br />
die Mondmissionen sagte: ‚Wir<br />
machen das nicht, weil es leicht,<br />
sondern weil es schwierig ist.‘<br />
Du willst schließlich nicht den<br />
ganzen Tag mit langweiligen<br />
Spaziergängen verbringen.“<br />
Das ganze Video der Marfa-Lights-<br />
Sprünge: redbull.com<br />
THE RED BULLETIN 49
Musik<br />
RELAX-POSE<br />
Rapper Nimo, 25,<br />
ganz entspannt beim<br />
The <strong>Red</strong> <strong>Bulletin</strong>-<br />
Shooting in Berlin<br />
50 THE RED BULLETIN
Text JONAS VOGT<br />
Fotos LENNART BRE<strong>DE</strong><br />
Mit 17 saß er im<br />
Knast, mit 23 schrieb<br />
er seinen ersten<br />
Nummer-eins-Hit.<br />
Heute sagt Rapper<br />
NIMO: Jeder kann<br />
sein Leben zum<br />
Positiven ändern.<br />
Hier erzählt er,<br />
wie ihm das gelang.<br />
„Ich bin nur<br />
ein Junge, der<br />
zur Vernunft<br />
gekommen ist“<br />
THE RED BULLETIN 51
Musik<br />
Und wenn Nimo schreien muss, dann<br />
schreit er. Der 25-jährige Deutschrapper<br />
mit iranischen Wurzeln spielt gern mit<br />
seiner Stimme, er singt, aber er rappt<br />
auch ganz klassisch. Und manchmal<br />
bricht es aus ihm heraus. Dann legt er<br />
in seine Zeilen eine Emotion, die man<br />
in diesem Genre nicht häufig findet.<br />
Als Hoffnung in der Rapszene galt<br />
Nimo seit seinem 2016 erschienenen<br />
Debüt-Mixtape „Habeebeee“. 2017 kam<br />
sein Debüt-Album „K¡K¡“ heraus, 2019,<br />
mit seinem zweiten Album „Nimoriginal“,<br />
startete er dann endgültig durch. Die<br />
Single „Kein Schlaf“ ging in den Charts<br />
auf Nummer eins und wurde auf YouTube<br />
bislang fast 40 Millionen Mal angeschaut.<br />
Was Nimo zum Gesprächsthema<br />
werden lässt, sind aber nicht nur Klickzahlen.<br />
In Interviews, aber auch in seinen<br />
Liedern transportiert er inzwischen eine<br />
überwiegend positive Botschaft. Das ist<br />
im Deutschrap, der hauptsächlich von<br />
Fehden, Drohungen und Aggressionen<br />
geprägt ist, bemerkenswert. Natürlich<br />
folgt auch Nimo manchen Genre-Regeln.<br />
Auch bei ihm geht es um V12-Motoren,<br />
um dicke Gagen, die auf dem S-Klasse-<br />
Rücksitz gezählt werden, und darum,<br />
wer der krasseste Typ von allen ist. Aber<br />
Nimo traut sich, das Spiel ein wenig auszuweiten.<br />
Er traut sich Emotionalität zu.<br />
Verletzlichkeit. Und er distanziert sich<br />
von einer Straßen-Vergangenheit, die ihn<br />
in den Jugendknast brachte. Anstatt damit<br />
zu prahlen, spricht er lieber darüber,<br />
was er inzwischen alles dazugelernt hat.<br />
„Ich danke Gott jeden Tag, dass ich so<br />
bin, wie ich bin“, sagt Nimo. „Ich möchte<br />
nie in mein altes Leben zurück.“<br />
Mit The <strong>Red</strong> <strong>Bulletin</strong> sprach Nimo<br />
über Musik, Mode und Wandelbarkeit.<br />
Und darüber, welche Art von Gedanken<br />
ihm halfen, durch ein schwieriges Jahr<br />
2020 zu kommen.<br />
the red bulletin: Nimo, wir leben<br />
nun schon über ein Jahr in einer<br />
Pandemie. Wie würdest du die Zeit<br />
rückblickend beschreiben?<br />
nimo: Es war voller Überraschungen.<br />
Wir wussten nicht, was auf uns zukommt,<br />
wissen das ja eigentlich immer<br />
noch nicht. Es ist ein bisschen vergleichbar<br />
mit Untersuchungshaft: Dort<br />
weißt du auch nicht, was sein wird und<br />
wann du rauskommst.<br />
Du hast Ende 2019 mehrere große<br />
Interviews über deinen veränderten<br />
Lebenswandel gegeben. Wie fühlt<br />
man sich danach, wenn so was<br />
draußen ist?<br />
Es fühlt sich gut an, den Menschen<br />
eine positive Message mitzugeben. Ich<br />
hab damit anderen geholfen. Die Leute,<br />
auch aus der Szene, sind danach auf<br />
mich zugekommen und haben gesagt:<br />
Wir haben dein Interview gesehen,<br />
Respekt!<br />
Was ist das Neue an deinem Leben?<br />
Das Neue ist das Normale. Ich mach<br />
jetzt die Dinge, die für jeden Menschen<br />
normal sein sollten. Ich funktioniere,<br />
ich arbeite, ich lebe. Ich bin fokussiert.<br />
Ich bin klar im Kopf, ich weiß, was ich<br />
mache. Ich nehme mein Umfeld wahr.<br />
Und ich bin mir meiner Sache bewusst.<br />
Ich bin nichts Außergewöhnliches. Nur<br />
ein Junge, der zur Vernunft gekommen<br />
ist, der sich verändert hat.<br />
Glaubst du, dass man Krisen durchleben<br />
muss, um daran zu wachsen?<br />
Ich denke, ja. Eine Wandlung ist nichts,<br />
wofür man sich schämen muss, im<br />
Gegenteil. Wandel ist gut.<br />
Von der Rettung durch Arbeit<br />
und inspirierenden Vorbildern<br />
Das Jahr 2020 war auch für Nimo nicht<br />
nur einfach. „Vom Kopf her bin ich Gott<br />
sei Dank sehr gut durchgekommen“, sagt<br />
er, auch dank seines intakten Umfelds.<br />
Für ihn war das Jahr von Studio-Arbeit<br />
für sein neues Mixtape „Steinbock“ geprägt.<br />
Aber trotzdem fehlte was. Er liebt<br />
das Live-Spielen am meisten, und das ist<br />
ausgefallen. Nur Songs zu releasen und<br />
dann der „verbissene Vergleich, wer die<br />
meisten Klicks und Streams hat“, das sei<br />
so gar nicht sein Ding. Nimo liebt den<br />
direkten Kontakt zu seinem Publikum.<br />
Er erzählt von Fans, die ihm geschrieben<br />
haben – was ihm wichtig war. Trotz des<br />
Unbehagens mit der neuen Situation<br />
stand Nimo in den vergangenen Monaten<br />
fast pausenlos im Studio, hat 30 bis<br />
40 Tracks aufgenommen.<br />
Welcher Rapper hat dich früh<br />
geprägt?<br />
Niemand so wie Haftbefehl. Ich hab<br />
von Anfang an mehr in ihm gesehen<br />
als die anderen, hab mehr aus ihm<br />
rausgehört. Zu der Zeit, so 2012,<br />
da hat er etwas vollkommen Neues<br />
gemacht und eine komplett neue Subkultur<br />
erschaffen. Er war auf eine ganz<br />
besondere Art wieder real. Das kannte<br />
man vorher nicht. Wie er geredet hat,<br />
wie detailliert er von den Sachen erzählt<br />
hat. Dreckig, direkt, aber eben<br />
so, wie es wirklich ist. Vorher ging es<br />
immer um „Ich f*** deine Mutter, ich<br />
hab das dickere Auto“. Haftbefehl hat<br />
die Karten auf den Tisch gelegt.<br />
Kannst du dich an den Moment<br />
erinnern, in dem du das erste Mal<br />
mehr in deiner eigenen Arbeit<br />
gesehen hast?<br />
Ich kann mich an die ersten Momente<br />
erinnern. Ich hab ganz normal als<br />
Teenager vor meinen Freunden mit<br />
dem Rappen begonnen. Ich hatte einen<br />
Kumpel, der war so drei Jahre älter als<br />
ich. Der hat mich immer bestärkt. Und<br />
irgendwann war ich an dem Punkt,<br />
wo ich Parts aufgeschrieben hab und<br />
plötzlich dachte: Das ist brutal gut.<br />
Wenn die Leute das hören, werden sie<br />
sagen: Das ist gut. Und genauso ist es<br />
gekommen.<br />
Wie fühlt man sich da?<br />
Du musst dir das so vorstellen: Du bist<br />
16 Jahre alt und hast gerade etwas<br />
geschrieben, wo du als Rap-Liebhaber<br />
weißt: Das ist was ganz Neues. Aber im<br />
selben Moment sitzt du hinter Gittern.<br />
Du kannst niemandem deine Kunst<br />
zeigen. Das waren gemischte Gefühle:<br />
Ich war sehr motiviert und sehr frustriert.<br />
Ich hatte einen Rubin in der<br />
Hand, aber ich konnte der Welt diesen<br />
Rubin nicht zeigen.<br />
52 THE RED BULLETIN
PUNKTLANDUNG<br />
Die Kategorie Kingsize gilt<br />
für seine Abrufzahlen –<br />
und für seine Hotelbetten.<br />
„Ein Künstler ist nicht<br />
nur jemand, der Musik macht<br />
oder zeichnet. Künstler ist<br />
man durch und durch.“
Manchmal bricht es aus ihm<br />
heraus, dann legt Nimo in<br />
seine Zeilen eine Emotion,<br />
die man im Rap selten findet.<br />
TIME-OUT<br />
Nimo produziert reihenweise<br />
Tracks, aber er<br />
nimmt auch Auszeiten.
Musik<br />
MAKE-UP: CAROLINE TORBAHN/NINA KLEIN ARTISTS<br />
Vom ersten Auftritt ohne Bühnenerfahrung<br />
und Mode als Kunst<br />
„Nie wieder geh’ ich in Zelle wegen Patte<br />
(Slangausdruck für Geld; Anm.), nie wieder<br />
wegen Raub und Erpressung vor dem<br />
Richter stehen, nie wieder. Nie wieder<br />
geh’ ich mit Achter (Handschellen; Anm.)<br />
und Fußfesseln runter in Bunker und<br />
wart’ auf mein Urteil.“<br />
Nimo hat sein früheres Leben und<br />
seine Fehler in seinen Raps verarbeitet:<br />
Er wird in eine Karlsruher Familie mit<br />
iranischen Wurzeln hineingeboren,<br />
wächst in der Nähe von Stuttgart auf.<br />
Der junge Nima Yaghobi, wie Nimo mit<br />
bürgerlichem Namen heißt, baut viel<br />
Mist. Seinen 16. und 17. Geburtstag verbringt<br />
er im Jugendgefängnis, unter anderem<br />
wegen räuberischer Erpressung.<br />
Aber er hat eine Idee und jede Menge<br />
Reime im Kopf. Als er wieder draußen ist,<br />
geht es los: Er nimmt Raps auf, postet sie<br />
in den sozialen Medien. Die Frankfurter<br />
Rapper und Labelchefs Celo & Abdi werden<br />
nach einigen mit einfachsten Mitteln<br />
gedrehten Handyvideos auf ihn aufmerksam,<br />
nehmen den bühnenunerfahrenen<br />
Jungrapper sofort mit auf Tour. 2016 erscheint<br />
sein Mixtape „Habeebeee“. Darauf<br />
rappt er gleich zu Beginn: „Soll nicht<br />
bedeuten, dass ich denk, ich wär was<br />
Besseres wie du. Bin nur ein Hoodie, der<br />
mit Glück und Handyvideos einen Deal<br />
bekam.“ Nimo rappt auch über seine<br />
Eltern und seine „Prioritäten im Leben“.<br />
Zum ersten Mal verrät er etwas über<br />
seinen Wandel und die Wurzeln der Veränderung:<br />
„Man denkt erst nach, wenn<br />
man alleine ist.“<br />
2017 folgt das Debüt-Album „K¡K¡“.<br />
Dort gibt er sich als gereifter und selbstbewusster<br />
Künstler. Wieder hat das<br />
Album einen programmatischen ersten<br />
Song: „Michelangelo“. Darin gesteht er<br />
zuerst bescheiden und sachlich korrekt:<br />
„Ich habe Rap nicht erfunden, hab’ Trap<br />
nicht erfunden, hab’ Hip-Hop nicht erfunden.“<br />
Um dann beiläufig hinterherzuschieben:<br />
„Ich bin Deutschraps Michelangelo.“<br />
Den Größenwahn der Zeile<br />
fängt er selbst wieder auf: „Auf einmal<br />
sagen sie, ‚der Typ ist abgehoben‘, weil<br />
ich mich selber als Künstler bezeichne,<br />
wir sind die Renaissance, ekho, die neue<br />
Generation.“ Ein Künstler zu sein, das<br />
kann durchaus mehr umschließen als<br />
das Rappen. Nimo ist die Musik nicht<br />
mehr genug. Er schlüpft mittels Mode<br />
immer wieder in andere Rollen. Oder<br />
„Es fühlt sich gut an,<br />
den Menschen eine<br />
positive Message<br />
mitzugeben.“<br />
wie er wahrscheinlich sagen würde:<br />
andere Teile seiner Persönlichkeit.<br />
Du hast deinen Horizont über den<br />
Hip-Hop hinaus erweitert. Mode<br />
scheint dir sehr wichtig zu sein.<br />
Ja, das ist eine Ambition neben der<br />
Musik. Im Großen und Ganzen würde<br />
ich sagen, ich bin ein Künstler. Ein<br />
Künstler ist nicht nur jemand, der Musik<br />
macht, der schreibt oder zeichnet.<br />
Künstler ist man durch und durch.<br />
Und Mode ist eine der ältesten Künste,<br />
die der Mensch hat.<br />
Was fasziniert dich so daran?<br />
Mit Klamotten kannst du eine Menge<br />
über dich aussagen. Wie du drauf bist,<br />
wie du dich heute fühlst, wie dein<br />
Mood ist. Es gibt Tage, da liebe ich es,<br />
elegant herumzulaufen. Und Tage,<br />
da schau ich gern wie ein Hoodboy<br />
aus. Ich zieh mich privat sogar noch<br />
verrückter und modebewusster an als<br />
im Internet.<br />
Warum unterscheidest du da?<br />
Heute zeigen die Leute ständig im Internet,<br />
was sie haben. Für mich ist das<br />
eher privat. Es standen schon oft Leute<br />
vor meinem Kleiderschrank und haben<br />
gesagt: Wow, du hast das und das Kleidungsstück,<br />
das denkt man gar nicht.<br />
Dann sag ich: Ja, ist auch besser so. Ich<br />
trag’s für mich, nicht für die anderen.<br />
Vom schonungslosen Blick in den<br />
Spiegel und der Kraft guter Werte<br />
„Ihr wollt den alten Nimo? Hier ist der<br />
neue Nimo“, heißt es auf „Bereit“. 2019<br />
ist das Jahr, in dem Nimo mit mehreren<br />
Nummer-eins-Hits durchstartet, zuerst<br />
auf „Capimo“, mit dem Kollegen Capo,<br />
dann als Solokünstler auf „Nimoriginal“.<br />
Und er spricht offen über Ups and<br />
Downs. Über falsche Freunde und Drogen,<br />
darüber, wie es ist, an einen Punkt<br />
zu kommen, wo man sich für sich selbst<br />
schämt. In den Spiegel zu schauen und<br />
zu denken: Das bin nicht ich.<br />
Auf „Kein Schlaf“ zeigt er sich von<br />
einer emotionalen, verletzlichen Seite.<br />
Anstatt harter Raps dominiert eher<br />
Gesang. Auf der Single tritt die Rapperin<br />
Hava als Gast auf. Eigentlich hat der<br />
Song sogar zwei Perspektiven: eine<br />
männliche und eine weibliche. In Interviews<br />
spricht er sich gegen Rassismus<br />
und Homophobie aus, verteidigt auch<br />
mal viel attackierte Rap-Kolleginnen wie<br />
Shirin David öffentlich. „Gute Werte“, wie<br />
Nimo es nennt. „Kein Schlaf“ wird seine<br />
erste Nummer eins als Solokünstler.<br />
Kein Schwachsinn mehr. Dafür Arbeit,<br />
Familie und Fokus. Als Grund für seine<br />
Wandlung nennt Nimo auch die – vorerst<br />
anonyme – neue Frau an seiner Seite.<br />
„Erst durch sie habe ich gelernt, mit<br />
Kritik umzugehen“, sagt er. Seit 2019<br />
sind die beiden liiert, sogar von Hochzeit<br />
ist schon die <strong>Red</strong>e.<br />
Er hat die Kurve bekommen. Und er<br />
will, dass das anderen auch gelingt, will<br />
sie bestärken, wie ihn sein älterer Freund<br />
bestärkt hat, als er mit dem Rappen begonnen<br />
hat. Er hat eine Spendenaktion<br />
für Obdachlose angestoßen und redet<br />
darüber, der Gesellschaft etwas zurückgeben<br />
zu wollen. „Für die Generation<br />
jetzt und für die Generation, die nach<br />
uns kommt.“ Nimo ist ein Rapper, und<br />
das wird er auch immer bleiben. Aber er<br />
ist definitiv schon mehr als das.<br />
Was kommt als Nächstes von dir,<br />
wo geht die Reise hin?<br />
Ich hab gelernt, nicht mehr groß über<br />
Pläne zu reden. Das letzte Jahr hat gezeigt,<br />
wie schwierig Pläne sind. Sagen<br />
kann ich: Wenn wir was machen, dann<br />
wird es etwas ganz Neues sein. Etwas,<br />
was wir noch nicht gemacht haben.<br />
Welcher ist der echte Nimo – der im<br />
Anzug oder der in der Jogginghose?<br />
Es gibt keinen echten Nimo und keinen<br />
unechten. Es gibt nur einen einzigen<br />
Nimo, mit verschiedenen Stimmungen.<br />
Aber es ist total egal, ob im Anzug oder<br />
in Jeans – Nimo ist Nimo.<br />
CLASH <strong>DE</strong>R <strong>DE</strong>UTSCHRAP-STARS<br />
Ein Studio, zwei Künstler, eine Aufgabe: Bei der<br />
„<strong>Red</strong> Bull Soundclash Studio Edition: The Takeover“<br />
performen Nimo und Jamule je einen<br />
eigenen Song, den der andere ab der Hälfte fortsetzen<br />
muss. Das alles im <strong>Red</strong> Bull Music Studio<br />
Berlin inklusive Live-Band und mit anschließendem<br />
Fan-Voting. Am 29. April auf dem Kanal<br />
<strong>Red</strong> Bull Rap Einhundert auf youtube.com<br />
THE RED BULLETIN 55
Laufen<br />
IM<br />
NAMEN<br />
<strong>DE</strong>S<br />
HEILIGEN<br />
VATERS<br />
Vor drei Jahren ist die<br />
Studentin CAMILLE CHENAUX<br />
unverhofft zur Leicht athletin<br />
geworden – sie läuft für das<br />
2019 gegründete Team<br />
des Vatikans. Jetzt will sie<br />
mit Gottes Hilfe die Flagge<br />
des Heiligen Stuhls zu den<br />
Olympischen Spielen bringen.<br />
Text CHRISTOF GERTSCH<br />
Fotos NICOLA CARIGNANI<br />
SIE HAT EINEN<br />
SCHUTZENGEL<br />
Camille Chenaux, 30,<br />
beim Training auf der<br />
Engelsbrücke in Rom<br />
56 THE RED BULLETIN
THE RED BULLETIN 57
S<br />
ie kam als Achte ins Ziel, über eine halbe<br />
Minute hinter der Siegerin, vom Publikum<br />
auf der Piazza del Popolo nicht weiter<br />
beachtet. Trotzdem veränderte dieser<br />
Samstag im September 2018 das Leben<br />
von Camille Chenaux.<br />
Denn einer nahm bei dem Wettlauf<br />
über eine Meile in Rom doch von ihr<br />
Notiz – ein spanischer Priester, betraut<br />
mit einer großen Aufgabe: Als Untersekretär<br />
des Päpstlichen Rates für die<br />
Kultur sollte er „Athletica Vaticana“<br />
aufbauen, den ersten offiziellen Sportverband<br />
des Vatikans. Dazu brauchte er<br />
unter anderem Läuferinnen und Läufer,<br />
die mit dem kleinsten Staat der Welt auf<br />
irgendeine Weise verbunden waren.<br />
„Ist das nicht die Tochter von Philippe<br />
Chenaux?“, fragte er.<br />
Die Schweizerin Camille Chenaux,<br />
damals 27 Jahre alt, war Hobbyläuferin<br />
mit einer Vergangenheit als Hobbyfußballerin<br />
und Hobbytriathletin.<br />
Ihre ersten Lebensjahre hatte sie in<br />
der Schweiz, in Belgien und Frankreich<br />
verbracht, doch heimisch geworden war<br />
sie in Italien. Zwei Jahre zuvor hatte sie<br />
ihren Master in European Studies gemacht,<br />
und jetzt, im September 2018,<br />
BLICK NACH VORN<br />
Ursprünglich war Camille<br />
nur Hobbyläuferin. Doch<br />
mit den Erfolgen wurden<br />
die Ziele ambitionierter.<br />
„ALS KIND SCHWOR ICH<br />
MIR, DASS ICH MICH<br />
ALS PROFISPORTLERIN<br />
VERSUCHEN WÜR<strong>DE</strong>.“<br />
58 THE RED BULLETIN
Laufen<br />
PICTURE<strong>DE</strong>SK.COM<br />
begann sie ihre Dissertation an der Università<br />
Roma Tre. Thema: „Populismus<br />
in Deutschland und Italien“.<br />
Und ja: Camille Chenaux ist die Tochter<br />
von Philippe Chenaux, einem Professor<br />
für Kirchengeschichte an der Päpstlichen<br />
Lateranuniversität. Das machte<br />
sie in den Augen des spanischen Priesters<br />
zu einer potenziellen Sportlerin für<br />
Athletica Vaticana.<br />
Nonnen, Museumsangestellte und<br />
Zimmerleute sind im Team dabei.<br />
Als der Verband ein Vierteljahr später gegründet<br />
wurde, im Rahmen einer spektakulären<br />
Medienkonferenz Anfang 2019<br />
im Presseraum des Heiligen Stuhls, zählte<br />
er sechzig Mitglieder, darunter Nonnen,<br />
Zimmerleute, Apotheker, Museumsangestellte,<br />
Schweizergardisten – und<br />
die Tochter eines päpstlichen Professors.<br />
In den darauf folgenden Wochen berichteten<br />
Medien aus aller Welt über das<br />
Leichtathletikteam des Papstes.<br />
Man erfuhr, dass sich vatikanische<br />
Läuferinnen und Läufer bereits seit<br />
Jahren zum morgendlichen Training<br />
am Ufer des Tiber treffen und natürlich<br />
davon träumen, die Flagge des Heiligen<br />
Stuhls irgendwann bei der Eröffnung der<br />
Olympischen Spiele zu sehen.<br />
Man erfuhr aber auch, dass sie realistisch<br />
bleiben wollen und sich zunächst<br />
die Teilnahme an den Kleinstaatenspielen<br />
zum Ziel gesetzt haben, einem alle zwei<br />
Jahre stattfindenden Sportereignis, bei<br />
dem europäische Länder mit weniger als<br />
einer Million Einwohnerinnen und Einwohnern<br />
startberechtigt sind.<br />
Überhaupt, so hieß es, verstehe man<br />
sich eher als Amateurbewegung, deren<br />
Zweck auch darin bestehe, die päpstliche<br />
Botschaft in den Sport zu tragen.<br />
Wer konnte da ahnen, dass Zufallsmitglied<br />
Camille Chenaux schon bald<br />
viel größere Ambitionen hegen würde?<br />
ZUVERSICHTLICH<br />
Camille Chenaux mit Mitgliedern von<br />
„Athletica Vaticana“ vor der beeindruckenden<br />
Kulisse des Petersdoms<br />
STRAHLEND<br />
Papst Franziskus schüttelt „seiner“<br />
Botschafterin Camille die Hand.<br />
Camille hält alle Vatikan-Rekorde<br />
von 1000 bis 10.000 Meter.<br />
Zwei Jahre nach der Gründung von<br />
Athletica Vaticana ist Camille Chenaux<br />
mit Abstand die beste Läuferin der Gruppe,<br />
auf sämtlichen Distanzen zwischen<br />
1000 und 10.000 Metern hält sie den<br />
vatikanischen Rekord. Sie ist nicht Weltklasse,<br />
bei weitem nicht – aber sie ist jetzt<br />
30 Jahre alt, und kaum ein Wettkampf<br />
„FRÜHER GLAUBTE<br />
ICH, DASS IM LEBEN<br />
NICHT PLATZ IST FÜR<br />
UNI UND INTENSIVES<br />
TRAINING.“<br />
vergeht, an dem sie nicht ihre Bestzeiten<br />
pulverisiert. Um das ein wenig einzuordnen:<br />
Mit der Zeit, die sie voriges Jahr über<br />
1500 Meter lief, hätte sie in der Schweizer<br />
Saison bestenliste Platz 8 belegt.<br />
Die ehemalige Hobbyläuferin und baldige<br />
Doktorin der Politikwissenschaft ist<br />
also in kurzer Zeit an den Punkt gelangt,<br />
an dem niemand lacht, wenn sie sagt,<br />
sie möchte sich für die Leichtathletik<br />
Europameisterschaften 2022 qualifizieren.<br />
Und dann vielleicht für die Olympischen<br />
Spiele 2024.<br />
Späte Karriere: „Mit 20 hätte ich<br />
nicht die Fähigkeiten gehabt.“<br />
Wie kam das?<br />
Camille Chenaux sagt, alles begann<br />
mit einem Versprechen, das sie sich als<br />
Kind gegeben habe. „Ich war ein großer<br />
Sportfan, schaute im Fernsehen unzählige<br />
Wettkämpfe. Ich schwor mir, dass ich<br />
mich irgendwann in meinem Leben als<br />
Profisportlerin versuchen würde.“<br />
Die Eltern standen dem Traum lange<br />
im Weg: Nicht, dass sie sich dagegen<br />
wehrten, dass ihre Tochter Sport treibt,<br />
aber sie bestanden darauf, dass die Schule<br />
Vorrang hat.<br />
Damals tat sich Camille Chenaux<br />
gelegentlich etwas schwer mit dieser<br />
THE RED BULLETIN 59
Laufen<br />
Vorgabe, doch heute betrachtet sie die<br />
elterliche Hartnäckigkeit als Glücksfall.<br />
„Ich hätte mit zwanzig nicht die Fähigkeiten<br />
für eine Profikarriere gehabt.<br />
Jetzt ist mein Körper zwar zehn Jahre<br />
älter, aber mein Kopf ist dafür auch um<br />
zehn Jahre erfahrener.“<br />
Erstens wisse sie nun genau, wie sie<br />
sich ernähren müsse, „das ist im Sport ja<br />
eine kleine Wissenschaft“. Zweitens habe<br />
sie im Studium gelernt, mit Prüfungssituationen<br />
klarzukommen und sich vom<br />
Stress nicht bremsen, sondern antreiben<br />
zu lassen. Und drittens zehre sie von<br />
einer gewissen Gelassenheit: „Ich hatte<br />
schon im Studium Erfolg, ich muss mir<br />
im Sport nichts beweisen.“<br />
Ein Leben zwischen Dissertation<br />
und ausgiebigem Lauftraining.<br />
Am Beispiel der Läuferin Camille Chenaux<br />
könnte man einige spannende Fragen<br />
stellen: Wie leistungsfähig ist ein vergleichsweise<br />
alter, dafür noch nicht jahrzehntelang<br />
auf Spitzenniveau geschundener<br />
Körper? Gibt es eine Alternative<br />
zum im Sport allgegenwärtigen Jugendwahn?<br />
Was ist im Wettkampf wichtiger –<br />
Körper oder Geist?<br />
Doch um all diese Fragen geht es ihr<br />
gar nicht. Wenn sie läuft, folgt sie einem<br />
„ICH HATTE SCHON<br />
IM STUDIUM ERFOLG,<br />
ICH MUSS MIR<br />
IM SPORT NICHTS<br />
BEWEISEN.“<br />
Urbedürfnis. Sie sagt: „Schaue ich beim<br />
Laufen in den Himmel, fange ich an<br />
zu träumen. Ich bin in Kontakt mit der<br />
Natur, bei Sonne, Regen, Schnee. Laufen<br />
hat für mich etwas Mystisches, es ist tatsächlich<br />
so etwas wie eine Entdeckungsreise<br />
zu mir selbst.“<br />
Dazu gehört, dass sie erfahren will,<br />
wo ihre Grenzen liegen. Darum dieser<br />
beinahe grenzenlose Aufwand, das tägliche<br />
Ausbalancieren von Dissertation und<br />
Langstreckenläufen: Morgens arbeitet<br />
sie von sieben bis neun und läuft von<br />
zehn bis zwölf Uhr, nachmittags arbeitet<br />
sie von zwei bis vier und läuft von fünf<br />
bis sieben. „Früher glaubte ich, dass im<br />
Leben nicht Platz ist für zwei derart intensive<br />
Beschäftigungen. Heute weiß ich,<br />
dass man besser beides hat: Sport lenkt<br />
mich von der Universität ab, und die Universität<br />
macht, dass ich mir nie lange den<br />
Kopf zerbreche, wenn es im Sport einmal<br />
nicht läuft.“<br />
Mit jedem Schritt wurden<br />
Camille ihre Ziele klarer.<br />
Meistens trainiert sie allein, aber Athletica<br />
Vaticana stellt ihr einen Profitrainer<br />
zur Verfügung, der ihr Pläne schreibt.<br />
Sie sagt: „Wenn ich laufe, fühle ich mich<br />
frei von allem, ich brauche niemanden,<br />
da bin ich mir ganz nah.“<br />
Camille Chenaux spricht so hingebungsvoll,<br />
aber auch abgeklärt über<br />
ihren Sport, dass man leicht vergessen<br />
kann, wie jung ihre Karriere noch ist.<br />
Als der spanische Priester sie an jenem<br />
Samstag im September 2018 ansprach,<br />
war ihr Training weit von der heutigen<br />
Ernsthaftigkeit entfernt. Sie erkannte<br />
auch nicht sofort, dass Athletica Vaticana<br />
die Chance ist, ihren Kindheitstraum zu<br />
verwirklichen. „Erst als ich den Aufwand<br />
erhöhte und von Wettkampf zu Wettkampf<br />
besser wurde, fing ich an, die Ziele<br />
zu formulieren, die ich jetzt verfolge.“<br />
„WENN ICH LAUFE,<br />
FÜHLE ICH MICH<br />
FREI VON ALLEM,<br />
DA BIN ICH MIR<br />
GANZ NAH.“<br />
Bezüglich dieser Ziele gibt es allerdings<br />
noch ein Problem, das außerhalb ihres<br />
Einflussbereichs liegt. Bei Olympischen<br />
Spielen sowieso, aber auch bei den Kleinstaatenspielen<br />
sind streng genommen<br />
nämlich nur nationale Komitees mit<br />
mindestens fünf verschiedenen Sportverbänden<br />
zugelassen.<br />
Zwar verfügt der Vatikan noch über<br />
ein Fußball- und ein Cricket-Team, doch<br />
deren Mitglieder treffen sich bloß zum<br />
Vergnügen. Möglich, dass man für das<br />
Leichtathletikteam des Papstes irgendwann<br />
eine Ausnahme macht, die nächste<br />
60 THE RED BULLETIN
Ge legenheit dazu besteht allerdings erst<br />
2023: Bei den letzten Kleinstaatenspielen<br />
2019 in Montenegro war Athletica<br />
Vaticana noch nicht zugelassen, und<br />
die diesjährigen Wettkämpfe in Andorra<br />
sind wegen der Pandemie abgesagt.<br />
Eine sehr dezent formulierte<br />
Botschaft an junge Menschen.<br />
Camille Chenaux, die sich als moderat<br />
gläubig bezeichnet, weiß das alles, aber<br />
sie betont auch, dass es ihr mit Athletica<br />
Vaticana noch um etwas anderes gehe.<br />
Auf Instagram hat sie mehr als 50.000<br />
Follower, voriges Jahr war sie zusammen<br />
mit Papst Franziskus auf einem Buchcover<br />
zu sehen. „Über den Sport kann<br />
ich junge Menschen ansprechen, die<br />
sonst vielleicht nicht in Berührung mit<br />
der katholischen Kirche kämen.“<br />
Dass sie das einmal sagen würde, hätte<br />
sie wahrscheinlich auch nicht gedacht,<br />
als sie im September 2018 auf der Piazza<br />
del Popolo nach Luft rang, zufrieden mit<br />
sich, aber auch wahnsinnig ausgelaugt,<br />
vom Publikum fast gänzlich unbemerkt.<br />
Camille Chenaux beim Laufen via Instagram<br />
begleiten: @thesportyblonde<br />
GUT IN SCHUSS<br />
Mit ernsthaftem Training<br />
fing Camille Chenaux<br />
erst vor drei Jahren an.<br />
THE RED BULLETIN 61
WHEELIE<br />
Was für Tarek Rasouli auf<br />
dem Bike noch Spaß war,<br />
ist im Rolli im Alltag<br />
Notwendigkeit (was jetzt<br />
nicht heißt, dass er daran<br />
keinen Spaß hätte).<br />
62 THE RED BULLETIN
Mountainbike<br />
DAS IST EUROPAS<br />
WICHTIGSTER<br />
BIKE-MANAGER<br />
Vor seinem Unfall war TAREK RASOULI, 46,<br />
ein exzellenter Mountainbike-Freerider.<br />
Doch erst seit er im Rollstuhl sitzt,<br />
wurde er zum Dreh- und Angelpunkt der Szene<br />
und veränderte eine komplette Branche<br />
zum Besseren.<br />
Text WERNER JESSNER<br />
Fotos PHILIPP HORAK<br />
THE RED BULLETIN 63
Mountainbike<br />
Eine Liste von exakt zehn Personen, die<br />
dich beruflich geprägt haben und die du<br />
gern zum Abendessen einladen würdest:<br />
Wer Tarek Rasouli, 46, diese Frage stellt,<br />
beschäftigt ihn über Tage. Zehn Namen,<br />
keiner mehr. Legenden der Frühzeit,<br />
Superstars von heute, visionäre Bikepark-<br />
Entwickler, prägende Event-Erfinder,<br />
legendäre Filmer, renommierte Sportärztinnen,<br />
hingebungsvolle Trainer: Es<br />
ist das Who’s who der Szene. Wirklich<br />
nur zehn Namen? Tarek streicht und ergänzt,<br />
doch die Liste bleibt viel zu lang.<br />
Der Start: Ein Sonnyboy<br />
erobert die Bike-Welt<br />
Wer wissen will, warum dieser Mann so<br />
gut vernetzt ist, muss mitkommen auf<br />
eine kleine Zeitreise um die Jahrtausendwende.<br />
Wer damals Mountainbike-Fan<br />
war, hatte sehr wahrscheinlich ein Poster<br />
oder ein Magazin mit Tarek zu Hause.<br />
Der Münchner war der einzige Europäer<br />
unter den legendären „Fro-Ridern“,<br />
dem ersten Profi-Freeride-Team des Kult-<br />
Herstellers Rocky Mountain. Diese rare<br />
Pflanze hatte seine Wurzeln in einer<br />
BMX-Karriere und einer als Fotomodell.<br />
Tarek zierte in seiner Karriere eine zweistellige<br />
Zahl an Covern internationaler<br />
Bike-Magazine. Er sah gut aus und konnte<br />
verdammt gut fahren – eine seltene Kombination,<br />
vor allem in Europa. So startete<br />
er nach dem Abi eine Karriere, die er<br />
selbst managte. „Ich war meine eigene<br />
globale One-Man-Show: Manager, Pressesprecher,<br />
Trainer und mehr. Ich war überarbeitet,<br />
aber oft untertrainiert. Manchmal<br />
war mein Training das Fotoshooting<br />
selbst!“ Aber es funktionierte. Sein Geld<br />
verdiente er auch mit Shows und BMX-<br />
Rennen. Und dann das: „1999 wurde ich<br />
auf meiner Heimbahn nur Vizemeister.<br />
Im Ziel hab ich geweint, weil ich so enttäuscht<br />
war.“ Tarek war da immerhin<br />
schon 24 Jahre alt. Er stellte das BMX<br />
in die Ecke, konzentrierte sich voll aufs<br />
Mountainbike – aber nicht auf Rennen,<br />
sondern auf Videoproduktionen.<br />
Mit immer actionreicheren Clips<br />
wuchs er in die Freeride-Szene rein, die<br />
sich ausgehend vom kanadischen British<br />
Columbia gerade etablierte. Das Medium<br />
jener Tage war die VHS-Kassette, die Kult-<br />
Reihe hieß „Kranked“. Dort fuhren die<br />
Götter. Dank seiner Professionalität, aber<br />
auch seinem Style arbeitete sich Tarek<br />
bis zu den Fro-Ridern nach oben. Seine<br />
Sponsoren inszenierten ihn als Sonnyboy<br />
mit Models, Party und Glamour, selbst<br />
PIONIER <strong>DE</strong>R LÜFTE<br />
Tarek sprang den später ikonisch<br />
gewordenen Stunt „Mushroom Drop“<br />
in Moab, Utah, als Erster.<br />
wenn es hinter den Kulissen nicht immer<br />
so glitzerte – aber wen kümmerte das<br />
schon: „Nach meinem ersten Auftritt in<br />
‚Kranked‘ musste ich reihenweise Autogramme<br />
geben – etwas, was mir all die<br />
Cover und die sportlichen Erfolge im<br />
BMX nie gebracht hatten.“<br />
Der Einschlag: ein Sturz,<br />
der plötzlich alles veränderte<br />
Für „Kranked 5“ sollte im Spätsommer<br />
2002 im kanadischen British Columbia<br />
gedreht werden, jenem Geburtsort des<br />
Freeriding. Ein neuer Berg, große Verwirrung<br />
bezüglich der Drehgenehmigungen,<br />
alles sehr konfus. Als die Rider endlich<br />
mit dem Lift im Bike-Resort Sun Peaks<br />
rauffahren durften, um die Stelle anzuschau<br />
en, an der sie drehen wollten, sagte<br />
Tarek: „What a beautiful view from a<br />
wheel chair.“ Er hatte eigentlich „chairlift“<br />
gemeint, also Sessellift – und doch war<br />
der Satz beinahe prophetisch. Was die<br />
wenigsten wissen: Tareks Halbbruder,<br />
der im österreichischen Kärnten lebt,<br />
sitzt seit einem Kletter-Unfall im Rollstuhl.<br />
Kurz dachte er an ihn. Zwei Stunden<br />
nach diesem Satz schlug der Blitz<br />
bei Tarek ein. Der Landehügel war unterdimensioniert,<br />
er zu hoch gesprungen.<br />
In mehreren Metern Höhe warf er das<br />
Bike weg. Bei der Landung auf den Beinen<br />
gab der oberste Lendenwirbel auf. Sofort<br />
waren bestialische Schmerzen da. Taubheit.<br />
Und die Vermutung, dass die Bike-<br />
Karriere unwiderruflich zu Ende war.<br />
Der Neuanfang:<br />
Optimismus als Rettung<br />
Wenn Tarek Rasouli von jener Zeit<br />
spricht, in der er den Grundstein zu allem<br />
Weiteren legte, beginnt er noch im<br />
Krankenhaus in Kanada. Der freundliche<br />
150-Kilo-Pfleger mit der Piepsstimme.<br />
Dann das Dreibettzimmer in der Reha<br />
in Murnau, wo sich der eine Nachbar gar<br />
nicht und der andere nur einen Arm bewegen<br />
konnte, was diesem immerhin das<br />
Kettenrauchen ermöglichte. Tarek lag<br />
fröhlich dazwischen: „Ich habe einen<br />
Luxus- Querschnitt! Volle Beweglichkeit<br />
der Arme und Hände, sogar der Bauchmuskeln.<br />
Was soll ich da jammern?“<br />
Eine Eigenschaft, die Trial-Legende<br />
Danny MacAskill an Rasouli bewundert:<br />
„Ich habe Tarek noch nie – niemals – über<br />
seinen Zustand klagen gehört.“ In seinem<br />
Inneren sieht es bisweilen freilich anders<br />
aus: „Natürlich habe ich Schmerzen.<br />
Jeden Tag. Aber andere sind viel schlechter<br />
dran.“ Man würde seine Schmerzen<br />
nicht ahnen, genau wie man vergisst,<br />
dass der charismatische Mann mit den<br />
vielen Ideen im Rollstuhl sitzt, wenn<br />
man länger mit ihm zu tun hat. Seine<br />
Zuversicht und sein Anpackergeist sind<br />
es auch, die ihn schnell in Kontakt mit<br />
Gleichgesinnten bringen – etwa mit den<br />
Machern der Wings for Life Stiftung,<br />
die sich für die Heilung von Querschnittslähmung<br />
einsetzt (s. Kasten S. 67). Als<br />
Stiftungs-Botschafter spricht Tarek seit<br />
über 15 Jahren anderen Betroffenen Mut<br />
zu, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen.<br />
SCOTT MARKEWITZ<br />
64 THE RED BULLETIN
DAS NETZWERK <strong>DE</strong>S TAREK RASOULI<br />
Bei ihm laufen die Fäden zusammen: Der Bike-Manager (in der Mitte) kennt<br />
auf zwei Rädern die Götter und die Welt – und bringt sie zusammen.<br />
<strong>DE</strong>R KULT-FILMER<br />
<strong>DE</strong>REK WESTERLUND<br />
Von „New World Disorder“<br />
bis „Where the Trail Ends“:<br />
Er setzt die Athleten in Szene.<br />
<strong>DE</strong>R LOCAL HERO<br />
ERIK FEDKO<br />
Tarek hat den besten<br />
deutschen Freerider einst<br />
bei einem kleinen Event<br />
entdeckt.<br />
<strong>DE</strong>R YOUTUBE-<br />
SUPERSTAR<br />
FABIO WIBMER<br />
Der gebürtige Osttiroler<br />
hat die Ideen, Tarek und Co<br />
tragen sie in die Welt.<br />
BORIS BEYER/RED BULL CONTENT POOL(2), BRYAN RALPH, PHILIP PLATZER/RED BULL CONTENT POOL,<br />
COLIN MEAGHER, YORRIX CARROUX, JONNIE BOER, DAVE MACKISON/RED BULL CONTENT POOL, KLAUS BAUER<br />
<strong>DE</strong>R EVENT-GURU<br />
TODD BARBER<br />
Erfinder des legendären<br />
<strong>Red</strong> Bull Rampage und weiterer<br />
Bike-Spektakel<br />
DIE TRIAL-IKONE<br />
DANNY MacASKILL<br />
Der Mann, der uns immer<br />
wieder staunen lässt, ist<br />
mittlerweile mehr Freund<br />
als Klient von Tarek.<br />
DIE ÄRZTIN<br />
DR. CHRISTINE<br />
BACHMANN<br />
Behandelt Tareks Biker<br />
und weitere Top-Athleten.<br />
<strong>DE</strong>R TRAINER<br />
LORENZ WESTNER<br />
Kümmert sich um<br />
begnadete Körper auch<br />
in schwierigen Lagen.<br />
<strong>DE</strong>R BIKEPARK-VISIONÄR<br />
KORNEL GRUNDNER<br />
Setzte Leogang in Salzburg<br />
auf die Bike-Landkarte – auch<br />
dank Tareks Events.<br />
DIE BESTE SCHWESTER<br />
NATHALIE TANOS<br />
Stellvertretende Geschäftsführerin<br />
bei Rasoulution und<br />
Tareks rechte Hand<br />
<strong>DE</strong>R FREERI<strong>DE</strong>-<br />
ÜBERFLIEGER<br />
EMIL JOHANSSON<br />
Der Freerider mit dem vielleicht<br />
größten sportlichen<br />
Potenzial weltweit vertraut<br />
auf Tareks Netzwerk.<br />
THE RED BULLETIN 65
WIE<strong>DE</strong>R AUF <strong>DE</strong>N BEINEN<br />
Es ist ein persönlicher Durchbruch:<br />
Seit kurzem kann Tarek wieder<br />
eigene Schritte machen – mit<br />
Hightech-Unterstützung des Exoskeletts<br />
EksoNR von Ekso Bionics<br />
und immer in Begleitung einer Physiotherapeutin.<br />
So will er am 9. Mai<br />
sogar beim Wings for Life World<br />
Run wieder als Läufer starten.<br />
66 THE RED BULLETIN
Mountainbike<br />
PHILIP PLATZER FOR WINGS FOR LIFE WORLD RUN<br />
Die Revolution: Ein Kolumnist<br />
erfindet etwas andere Bike-Events<br />
Nach der intensiven Reha-Phase machte<br />
Tarek da weiter, wo er vor dem Unfall<br />
aufgehört hatte: Er jammerte nicht, sondern<br />
managte sich selber, genau wie er<br />
es immer getan hatte. Nutzte seine Kontakte.<br />
Er schaute beim Magazin „Bike“<br />
rein und kam mit dem Auftrag für eine<br />
ständige Szene-Kolumne raus. Schließlich<br />
die Anfrage, ob er sich zutrauen<br />
würde, ein Event zu organisieren. Hatte<br />
er zwar noch nie gemacht, aber er hegte<br />
schon lange den Traum, auch Menschen<br />
jenseits der Szene für Bike-Events zu begeistern.<br />
Und so wählte er die Location<br />
nicht versteckt in den Bergen, sondern<br />
bei Konstanz am Bodensee und setzte auf<br />
Good Vibes und Partystimmung. Aus<br />
„Ride to the Lake“ sollte später der <strong>Red</strong><br />
Bull District Ride entstehen, ein Bike-<br />
Spektakel vor zehntausenden Zuschauern,<br />
zuletzt etwa in der Nürnberger Altstadt.<br />
Ermutigt vom Erfolg in Konstanz,<br />
gründete Tarek mit einer Freundin eine<br />
Event-Agentur: Rasoulution.<br />
Die Begeisterung und der Optimismus,<br />
mit denen Tarek an die Sache heranging,<br />
erweckten Dinge zum Leben, die sonst<br />
nie und nimmer funktioniert hätten. Das<br />
Feuer, das damals aufflackerte, brennt<br />
heute unverändert hell: Wenn er vorab<br />
den streng geheimen Pilot des jüngsten<br />
Danny-MacAskill-Videos „The Slabs“<br />
durchschickt, freut er sich wie ein Kind,<br />
weil einem seiner Athleten wieder einmal<br />
etwas Unfassbares gelungen ist und<br />
er seinen Teil dazu beitragen konnte.<br />
Die Familie: Eine Heimat für globale<br />
Zweirad-Stars entsteht<br />
Rasoulution bietet nämlich auch Athleten-<br />
Management, also genau das, was Tarek<br />
einst für sich selbst gemacht hat, bloß<br />
viel, viel professioneller. Es sind nicht die<br />
Schlechtesten, die auf Rasoulution vertrauen:<br />
YouTube-Megastar Fabio Wimber<br />
zum Beispiel. Das deutsche Supertalent<br />
Erik Fedko. Danny MacAskill, längst<br />
mehr Kumpel als Kunde. Wer bei Rasoulution<br />
ist, gehört zur Familie. Als den<br />
schwedischen Jungstar Emil Johansson<br />
monatelang mysteriöse Rückenprobleme<br />
quälten, ließ Tarek ihn nach München<br />
einfliegen, wo Spezialisten ein Problem<br />
mit einem Wirbel diagnostizierten, außerdem<br />
ein Autoimmun-Problem. Nach<br />
zehn Monaten konnte Emil sein Comeback<br />
auf dem Bike geben: „Ohne das persönliche<br />
Engagement von Tarek weiß ich<br />
nicht, wie es ausgegangen wäre. Dafür<br />
bin ich ihm total dankbar!“<br />
Elf Athleten hat Rasoulution elf Athleten<br />
unter Vertrag. Wie sucht ihr die aus?<br />
„Spezielles Talent. Und ganz wichtig ist<br />
ihr Charakter. Ihre Offenheit, Umgänglichkeit<br />
und Bodenständigkeit.“ Die letzte<br />
Entscheidung trifft Tarek. Ein junger<br />
Local Boy wie Erik Fedko kann es genauso<br />
schaffen wie jüngst ein bis dato völlig<br />
unbekannter Japaner namens Tomomi<br />
Nishikubo, den Tarek auf Videos entdeckte.<br />
Oder man nimmt den klassischen<br />
Weg wie Fabio Wibmer, der als Sechzehnjähriger<br />
bei einem von Tarek und Danny<br />
Am 9. Mai: Mit Tarek für<br />
die gute Sache laufen<br />
Wings for Life World Run<br />
Weltweit starten zeitgleich alle Teilnehmer<br />
zum Wings for Life World Run. Jeder läuft<br />
einzeln, eine App feuert dich an und signalisiert,<br />
wenn dich das virtuelle Catcher Car<br />
eingeholt hat. Die Einnahmen fließen zu<br />
100 Prozent in die Rückenmarksforschung.<br />
Übrigens, über die App kannst du auch<br />
Tareks Rasoulution-Laufteam beitreten.<br />
Sei dabei: wingsforlifeworldrun.com<br />
Zusammen stark<br />
für die Forschung<br />
Wie die Wings for Life Stiftung<br />
Querschnittslähmung heilen will.<br />
Robotergestützte Reha, Proteine,<br />
die Nervenwachstum fördern, künstliche<br />
Intelligenz, die maß geschneiderte<br />
Therapien berechnet: Weltweit fördert<br />
die von Bot schaf tern wie Tarek Rasouli<br />
unterstützte Wings for Life Stiftung<br />
wegweisende Forschungsprojekte<br />
zur Heilung von Querschnittslähmung –<br />
und ermöglicht damit schon heute<br />
vielen Betroffenen ein besseres Leben.<br />
Mehr Infos: wingsforlife.com<br />
MacAskill organisierten Camp auffällt,<br />
behutsam reift, mit „Fabiolous Escape“<br />
den YouTube-Hit des Jahres landet – und<br />
dann zum globalen Star wird: Der Clip<br />
„Wibmer’s Law“ zählte zu <strong>Red</strong>aktionsschluss<br />
über 160 Millionen Views.<br />
Das Ergebnis: ein neues Level<br />
für das Fahrrad-Universum<br />
Das alles liest sich wie ein Märchen.<br />
Fest steht: Die Freeride-Szene wäre nicht<br />
so professionell und präsentabel, würde<br />
nicht Tarek mit seiner Crew die Standards<br />
hochschrauben. Vorbei sind die Zeiten,<br />
in denen Poster von Mountainbikern<br />
nur in den Zimmern der Freaks hingen.<br />
Typen wie MacAskill oder Wibmer kennt<br />
heute jedes Kind. Auch dass Events um<br />
so viel sicherer geworden sind, bei gleichzeitig<br />
immer ärgeren Stunts, ist ein Verdienst<br />
von – nicht nur, aber auch – Tarek<br />
Rasouli. Wenn er vom Rollstuhl aus<br />
befindet, dass eine Landung breiter gemacht<br />
werden soll, wer würde da widersprechen?<br />
Oder dass es eine Kameraposition<br />
gibt, die die Action der Kids<br />
besser einfängt? Oder tausend Details,<br />
die nur jemand kennt, der dem Sport<br />
seit fast drei Jahrzehnten so viel gegeben<br />
hat? „Und warum gibt es im Großraum<br />
München nur drei Pumptracks, aber<br />
hunderte Fußballplätze?“, fragt Tarek<br />
provokant, und man ahnt, womit er sich<br />
die nächsten Jahre beschäftigen wird.<br />
Das einzig unlösbare Problem bleibt<br />
jenes mit den zehn wichtigsten Menschen<br />
seiner Karriere. Typen mit einem dermaßen<br />
fest gewobenen Beziehungsnetz<br />
kann man kaum in ein so enges Korsett<br />
zwängen – sie brauchen Events, um dort<br />
alle zu treffen. Wie passend, dass Tarek<br />
Rasouli diese Events veranstaltet. Dieser<br />
Mann ist goldrichtig da, wo er ist.<br />
Hast du dir jemals überlegt, wo du<br />
heute ohne den Unfall wärst? „Vermutlich<br />
wäre ich viel zu lang bloß Rider<br />
geblieben und hätte einiges versäumt.“<br />
Wenn er da so sitzt, beim <strong>Red</strong> Bull<br />
Rampage in Utah, dem <strong>Red</strong> Bull District<br />
Ride in Nürnberg oder einem kleinen<br />
Event irgendwo, wenn die Jungs draußen<br />
sind und fahren, wenn alles läuft, dann<br />
fällt ihm manchmal der Satz ein, den<br />
er einst zwei Stunden vor dem großen<br />
Crash gesagt hat: „What a beautiful view<br />
from a wheelchair.“<br />
Mehr über Tareks Welt: rasoulution.com<br />
THE RED BULLETIN 67
E-Mobilität<br />
Göteborg: Klarén vor<br />
der schwedischen<br />
Zentrale von Volvo,<br />
der Muttermarke<br />
des Polestar
„Wir legen<br />
die Karten<br />
offen auf<br />
den Tisch“<br />
BJÖRN LARSSON ROSVALL<br />
Wie umweltfreundlich ist E-Mobilität wirklich?<br />
Gibt es klimaneutrale Fahrzeuge? Und: Fahren wir<br />
morgen überhaupt noch eigene Autos?<br />
FREDRIKA KLARÉN, Nachhaltigkeits managerin<br />
bei der Volvo-Tochter Polestar, über die<br />
neue Ehrlichkeit der Autoindustrie.<br />
Interview WERNER JESSNER<br />
69
E-Mobilität<br />
Tnachhaltig ist sie noch längst nicht. Wir<br />
sprechen das ganz offen aus, weil wir<br />
glauben, dass die Automobilindustrie<br />
ihre Art der Kommunikation dramatisch<br />
ändern muss: hin zu absoluter Transparenz<br />
und Ehrlichkeit, gerade wenn es<br />
um E-Mobilität geht.<br />
Da haben Sie viel zu tun. Offizielle<br />
Durchschnittsverbräuche hatten<br />
in der Vergangenheit selten etwas mit<br />
der Realität zu tun, und niemanden<br />
hat es groß gekümmert …<br />
Ich hoffe, dass die Kunden bei Autos bald<br />
ebenso genau hinschauen werden, wie<br />
sie es bei Lebensmitteln oder Bekleidung<br />
ohnehin bereits tun. Wir wollen, dass sie<br />
he red bulletin: Was macht eigentlich<br />
eine Nachhaltigkeits-Managerin<br />
bei einem Autohersteller?<br />
fredrika klarén: Ich versuche, die<br />
Energie und die Ideen, die es innerhalb<br />
von Polestar gibt, zu kanalisieren. Unsere<br />
Leute hier wollen Dinge anders machen<br />
als in der Autoindustrie bisher üblich –<br />
nachhaltiger. Ich möchte daraus eine<br />
Strategie formen, die diese Power bestmöglich<br />
nutzt.<br />
Wie macht man das?<br />
Ich versuche, kompromisslos zu sein,<br />
wenn wir uns im Dreieck Nachhaltigkeit,<br />
Kosten und Aufwand bewegen.<br />
Das heißt, ein Polestar darf mehr<br />
kosten, wenn er dafür die Kriterien<br />
der Nachhaltigkeit erfüllt?<br />
Es kann auch heißen, dass wir mehr<br />
arbeiten müssen, um bessere Lösungen<br />
zu finden. Ein Beispiel: Für unsere Fabrik<br />
in Shanghai mussten wir uns zwischen<br />
einer Heizung mit Biogas und einer mit<br />
Strom entscheiden. Gas wäre billiger gewesen,<br />
aber damit hätten wir keine CO ²<br />
-<br />
neutrale Fabrik mehr gehabt. Mit Strom<br />
aus erneuerbaren Energien geht das.<br />
jene Informationen bekommen, die sie –<br />
ganz zu Recht – verlangen, wenn sie ein<br />
neues Auto kaufen. Eine Studie besagt,<br />
dass 36 Prozent der Autoindustrie aktiv<br />
misstrauen. Wir stellen dem absolut<br />
transparente Kommunikation entgegen.<br />
Wie bringt ein kleiner Hersteller wie<br />
Polestar seine Konkurrenten dazu,<br />
bei Offenheit und Nachhaltigkeit mitzuziehen?<br />
Es gibt ja bereits Netzwerke in der<br />
Industrie, und sie wachsen. Uns eint das<br />
gemeinsame Ziel. Wir sollten einheitliche<br />
Standards haben, wie wir den CO ²<br />
-<br />
Abdruck eines Autos messen, aus Fairness<br />
unseren Kunden gegenüber, die sich zu<br />
Recht Vergleichbarkeit erwarten. Dazu<br />
muss man klar kommunizieren, wie<br />
gemessen wurde, und diese Standards<br />
müssen für alle gleich sein. Noch gibt es<br />
ein großes Wirrwarr. Wir sind die Ersten,<br />
die die Karten offen auf den Tisch legen,<br />
auch wenn uns viele Zahlen noch nicht<br />
gefallen, und wir wissen, dass wir besser<br />
werden müssen. Wir sprechen das offen<br />
aus. Auswüchse wie Autos, die als „klimaneutral“<br />
beworben werden, sollte es<br />
nach unserem Verständnis nach nicht<br />
geben. Kein Auto ist CO ²<br />
-neutral.<br />
Gehen wir also davon aus, dass ein<br />
Polestar nachhaltig produziert wird.<br />
Tanke ich „schmutzigen“ Strom, verhagelt<br />
das die Öko- Bilanz aber ganz<br />
schnell wieder.<br />
Egal welchen Strom-Mix man tankt:<br />
Früher oder später erreicht man den<br />
Punkt, ab dem ein E-Auto einen kleineren<br />
CO ²<br />
-Fußabdruck hat als eines mit Verbrennungsmotor.<br />
Über die Lebensdauer<br />
eines Autos gemessen, lässt er sich durch<br />
erneuerbare Energien grob gesprochen<br />
halbieren. Wofür wir als Hersteller verantwortlich<br />
sind, ist die Energie, die im<br />
„Echte Nach haltigkeit<br />
erreicht man<br />
nur, wenn innovative<br />
Technologien für<br />
die ganze Industrie<br />
zugänglich sind.“<br />
Echte und behauptete Nachhaltigkeit<br />
sind oft enge Verwandte, Stichwort<br />
„Greenwashing“. Wie stellen Sie<br />
sicher, dass das nicht passiert?<br />
Als Polestar 2017 gegründet wurde,<br />
schrieb man „no bullshitting“ in der<br />
Unternehmenskultur fest. Das gilt auch<br />
für die Kommunikation. Oft wird ja so<br />
getan, als wäre E-Mobilität der Königsweg<br />
für nachhaltige Mobilität. Die Wahrheit<br />
ist: E-Mobilität mag aktuell bereits<br />
die beste Lösung sein, aber wirklich<br />
Privat „tankt“ Fredrika Klarén bereits seit acht Jahren ausschließlich Strom.<br />
Mit im Bild: ihr Privatauto, der Polestar 2<br />
BJÖRN LARSSON ROSVALL<br />
70 THE RED BULLETIN
Der wahre Fußabdruck<br />
Wie viel CO ²<br />
produzieren E-Autos im Vergleich zu<br />
Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor tatsächlich?<br />
Über seine gesamte Lebensdauer (200.000 Kilometer) gerechnet, ist ein E-Auto<br />
umwelt freundlicher als ein Verbrenner, selbst wenn bei seiner Herstellung<br />
ursprünglich mehr CO ²<br />
entsteht. Knapp wird die Rechnung beim Betrieb mit dem<br />
globalen Strom-Mix, in den CO ²<br />
-Bomben wie Kohle, Öl und Gas eingerechnet sind.<br />
Quelle: Polestar<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
Gesamt-<br />
Tonnen CO ²<br />
58<br />
Volvo XC40<br />
Verbrenner<br />
50<br />
Polestar 2,<br />
betrieben mit<br />
globalem<br />
Strom-Mix<br />
42<br />
Polestar 2,<br />
betrieben mit<br />
europäischem<br />
Strom-Mix<br />
27<br />
Polestar 2,<br />
betrieben mit<br />
erneuerbaren<br />
Energien<br />
CO ²<br />
-Check: Ab wie viel Kilometer Fahrleistung ist der<br />
Elektromotor umweltfreundlicher als der Verbrenner?<br />
112.000 km<br />
Polestar 2<br />
mit globalem<br />
Strom-Mix *<br />
* Auflösung: Im Vergleich<br />
zum Verbrennungsmotor<br />
ist der Polestar erst nach<br />
112.000 Kilometern auf<br />
der grünen Seite, wenn<br />
er ausschließlich mit<br />
dem globalen Strom-Mix<br />
betrieben wird. Die größten<br />
CO ²<br />
-Treiber: Kraftwerke,<br />
die Öl, Kohle oder<br />
Gas verbrennen.<br />
78.000 km<br />
Polestar 2<br />
mit EU28-Strom-Mix<br />
Das sieht um einiges<br />
besser aus: Wenn (wie<br />
in der EU im Jahr 2020)<br />
bereits 40 Prozent des<br />
Betriebsstroms aus<br />
erneuer baren Quellen<br />
gewonnen wird, ist der<br />
Polestar seinen Kollegen<br />
mit Verbrennungsmotor<br />
auch schon nach<br />
78.000 Kilo metern<br />
überlegen.<br />
Verschrottung<br />
Betrieb<br />
Produktion<br />
Batterieherstellung<br />
Rohmaterial-<br />
Herstellung<br />
50.000 km<br />
Polestar 2<br />
mit erneuerbaren<br />
Energien<br />
Der Idealfall: Kommen<br />
100 Prozent des Stroms<br />
für den laufenden Betrieb<br />
aus erneuerbaren Quellen<br />
wie Wind- oder Sonnenenergie,<br />
kippt die Rechnung<br />
schon bei 50.000<br />
Kilometern ins Positive.<br />
„Das Umweltbewusstsein<br />
hat<br />
zuletzt dramatisch<br />
zugenommen.<br />
Ich würde es<br />
als Revolution<br />
bezeichnen.“<br />
Produktionsprozess draufgeht. Ein Polestar<br />
2 verlässt die Fabrik heute mit einem<br />
CO ²<br />
-Abdruck von 26 Tonnen, ein Wagen<br />
mit Verbrennungsmotor verursacht nur<br />
rund die Hälfte. Unser Ziel ist die CO ²<br />
-<br />
neutrale Produktion.<br />
Ist das realistisch?<br />
Erste Schritte haben wir bereits gesetzt:<br />
erneuerbare Energien in den Fabriken.<br />
Die Energie-Effizienz des Autos im Fahrbetrieb<br />
ist ein großer Faktor, Stichwort<br />
Gewicht. Wir verwenden klimaneutrale<br />
Materialien im Innenraum. Ein gutes Beispiel<br />
ist das Schweizer Start-up Bcomp,<br />
das hochleistungsfähige Verbundwerkstoffe<br />
aus nachhaltigem Flachs herstellt.<br />
Die Textilien bestehen aus recycelten<br />
Fischernetzen. Wussten Sie, dass nahezu<br />
die gesamte Badebekleidung in Skandinavien<br />
so hergestellt wird? Ein perfektes<br />
Beispiel für Nachhaltigkeit: Aus Müll entstehen<br />
intelligente Produkte – und ein<br />
Geschäftsmodell. Als kleinerer Hersteller<br />
haben wir die Möglichkeit, neue, innovative<br />
Zulieferer ins Boot zu holen.<br />
Wie findet man diese Start-ups?<br />
Indem man seine Augen offen hält und<br />
aktiv auf der ganzen Welt sucht. Bcomp<br />
ist ein gutes Beispiel dafür.<br />
Und dann schließt man einen Exklusivvertrag,<br />
um als einziger Hersteller<br />
Flachs statt Plastik im Innenraum<br />
verwenden zu können?<br />
Echte Nachhaltigkeit erreicht man nur,<br />
wenn innovative Technologien für die<br />
ganze Industrie zugänglich sind. Die<br />
alte Autowelt hätte Exklusivverträge<br />
geschlossen. Wir machen das nicht.<br />
Ich hoffe, dass wir damit einen Kulturwandel<br />
anstoßen. Bleiben wir bei<br />
Bcomp: Skalierungseffekte sind in der<br />
Autobranche extrem wichtig. Wenn sie<br />
profitabel sein wollen, brauchen sie viele<br />
Abnehmer für ihre Flachsprodukte.<br />
THE RED BULLETIN 71
Schwedischer Weg:<br />
Nach Stationen bei IKEA<br />
und der Modekette<br />
KappAhl ist Klarén bei<br />
Polestar angekommen.<br />
72 THE RED BULLETIN
E-Mobilität<br />
BJÖRN LARSSON ROSVALL, POLESTAR<br />
Wie genau stellen Sie denn sicher,<br />
dass Kobalt für die Akkus unter<br />
menschenwürdigen Bedingungen<br />
abgebaut wird?<br />
Wir haben Blockchain-Technologie<br />
implementiert, wie sie bei Kryptowährungen<br />
auch verwendet wird. Die<br />
Herkunft jeder Lieferung ist somit<br />
absolut fälschungssicher nachvollziehbar.<br />
Ich habe zuvor in der Bekleidungsindustrie<br />
gearbeitet. Da geistert mehr<br />
Bio-Baumwolle am Weltmarkt herum,<br />
als überhaupt wächst! Mittels Blockchain<br />
stellen wir sicher, dass Korruption in der<br />
Lieferkette ausgeschlossen wird. Kobalt<br />
ist der Anfang, aber wir werden das auch<br />
auf andere Materialien und Rohstoffe<br />
ausweiten.<br />
Soll ich also mein altes Auto mit Verbrennerantrieb<br />
durch ein elektrisches<br />
ersetzen?<br />
Das allein ist nicht die Lösung. Wir müssen<br />
mehr Flexibilität ins System bringen.<br />
Wie bringen wir Menschen und Güter<br />
möglichst umweltschonend von A nach<br />
B? Diese Frage müssen wir klären, anstatt<br />
bloß jedem ein E-Auto vor die Tür<br />
zu stellen. Auch die Infrastruktur muss<br />
mitwachsen – und das wird sie. Wir sehen<br />
unsere Rolle darin, Produkte zu bauen,<br />
die langlebig sind und die man reparieren<br />
kann – auch die Batterien.<br />
Wie sieht es mit dem Recycling aus?<br />
Die EU schreibt eine Quote vor, die alle<br />
Hersteller erreichen. Aber wir müssen<br />
noch besser werden und die Quote, die<br />
derzeit bei 88 Prozent liegt, weiter erhöhen.<br />
Es ist zum Beispiel nicht einzusehen,<br />
dass das Plastik alter Autos noch<br />
immer thermisch entsorgt, also schlicht<br />
verbrannt wird. Mischfasern in Textilien<br />
mögen ein Problem beim Recycling sein.<br />
Das Plastik eines so großen Teils wie eines<br />
Armaturenbretts sollte es nicht sein. Hier<br />
müssen wir als Autoindustrie besser werden<br />
und in feinere Recycling-Anlagen<br />
inves tieren. Autos sollten zu 100 Prozent<br />
wiederverwertbar sein.<br />
Welche Lebensdauer nehmen Sie<br />
bei Ihren Berechnungen für den Fußabdruck<br />
über die komplette Nutzungszeit<br />
eines Polestar 2 an?<br />
200.000 Kilometer. Nun sehen wir aber<br />
bereits, dass sowohl das Auto selbst als<br />
auch die Batterie deutlich länger halten,<br />
die Gesamtposition also positiver ausfallen<br />
wird als von uns ursprünglich<br />
berechnet.<br />
„In acht Jahren<br />
wird das E-Auto<br />
die Normalität sein,<br />
der Verbrenner<br />
die Ausnahme.“<br />
Wie nutzen Sie persönlich E-Autos?<br />
Ich fahre seit acht Jahren ausschließlich<br />
elektrisch. Wenn ich ausnahmsweise<br />
wieder in einem Auto mit Verbrennungsmotor<br />
sitze, merke ich, wie sich meine<br />
Art, Autos zu nutzen, verändert hat.<br />
Im Winter heize ich mein Auto immer<br />
bereits vor, bevor ich einsteige. Das Fahrgefühl<br />
bei Verbrennern ist viel langweiliger.<br />
Sie sind laut und vibrieren.<br />
Wo werden wir in weiteren acht<br />
Jahren stehen?<br />
Das E-Auto wird die Normalität sein, der<br />
Verbrenner die Ausnahme. Wir werden<br />
die Produktionsketten so umgebaut<br />
haben, dass die Emissionen in der Produktion<br />
dramatisch niedriger sein werden<br />
als heute, gerade in den Bereichen<br />
Batterie-, Alu- und Stahlherstellung. Die<br />
Energielade-Infrastruktur wird exponentiell<br />
gewachsen sein. Die Entwicklung<br />
wird uns rasanter vorkommen, weil wir<br />
Menschen linear denken, der Fortschritt<br />
aber exponentiell passieren wird.<br />
Wie groß wird der globale Automarkt<br />
im Vergleich zu heute sein?<br />
Ich hoffe, dass wir mit weniger Autos<br />
mehr Geld verdienen als heute, weil<br />
Hersteller nicht mehr nur Autos bauen,<br />
sondern eine ganze Kette an Mobilitäts-<br />
Services wie etwa Car-Sharing anbieten.<br />
Polestar bietet mit der Studie<br />
„ Precept“ einen Zukunfts-Ausblick<br />
auf ein künftiges Modell. Kommt<br />
dieses Auto wirklich so?<br />
Ja. Precept ist sehr mutig, aber die Autoindustrie<br />
sollte auch mutig sein, anstatt<br />
noch immer Geld in die Entwicklung<br />
von Verbrennungsmotoren zu stecken,<br />
vor allem für Märkte in Südamerika und<br />
Afrika. Man kann doch keine Energie<br />
für Technik von gestern vergeuden und<br />
sich damit zufriedengeben, schöne<br />
„grüne“ Prototypen herzuzeigen, die<br />
dann ohnehin nicht kommen. Der Precept<br />
ist kein Concept-Car, er ist unser<br />
Commitment-Car.<br />
Heute Concept-Car, morgen bereits<br />
in Serien produktion: der Polestar<br />
Precept<br />
POLESTAR PRECEPT<br />
Zukunft<br />
in Serie<br />
Vom Material bis zur Form:<br />
Dieses Auto setzt alles<br />
auf smarte Effizienz.<br />
„Hightech-Minimalismus“ nennt<br />
Polestar-Chef Thomas Ingenlath<br />
das Design des Precept. Markteinführung:<br />
in zwei Jahren. Auffällig:<br />
Statt eines Kühlergrills befinden<br />
sich in der geschlossenen Front die<br />
Sensoren für Assistenzsysteme. Was<br />
einst dem Luftzug diente, ist jetzt<br />
also fürs Sehen zuständig. Oberflächen<br />
aus Flachs, recycelten PET-<br />
Flaschen oder Fischernetzen sind<br />
im Innenraum verbaut. Anstelle einer<br />
Heckscheibe ist das Glasdach für ein<br />
luftiges Raumgefühl bis ganz nach<br />
hinten gezogen.<br />
Mehr Inspiration für<br />
Innovative gibt es<br />
im aktuellen INNOVATOR.<br />
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redbulletininnovator.com<br />
THE RED BULLETIN 73
AUF <strong>DE</strong>M SPRUNG IN<br />
DIE SELBSTSTÄNDIGKEIT?<br />
Wie Sie alle<br />
Hürden meistern:<br />
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GUI<strong>DE</strong><br />
Tipps für ein Leben abseits des Alltäglichen<br />
JAKE HOLLAND CALUM MUSKETT<br />
PARAGLEITEN<br />
AM MONT BLANC<br />
– mit Bergführer<br />
Calum Muskett<br />
75
GUI<strong>DE</strong><br />
Reisen<br />
„In der kühlen Morgenluft<br />
stürze ich mich<br />
hinab Richtung Italien<br />
und freue mich auf<br />
einen stärkenden<br />
Cappuccino im Café<br />
neben dem Landeplatz.“<br />
Calum Muskett, Bergführer<br />
und Paragleiter, erzählt vom<br />
Abenteuer „Para-Alpinismus“.<br />
Unter meinen Füßen knirscht<br />
der Schnee, als ich die<br />
letzten Schritte auf dem<br />
schmalen Grat mache, der<br />
zum höchsten Gipfel der<br />
Alpen führt: zum Mont Blanc, 4809 Meter<br />
über dem Meer. Eine Wolke bedeckt<br />
die französische Seite des Berges, eine<br />
eisige Brise bringt meine Augenlider<br />
zum Gefrieren.<br />
Es ist der 1. September 2019, sieben<br />
Uhr früh, und das Gleitschirmverbot<br />
in der Region wurde gerade aufgehoben.<br />
Mir wird ein bisschen übel, als ich meine<br />
Tasche auspacke – die Anstrengung des<br />
Aufstiegs hat mir körperlich zugesetzt.<br />
Ich bin von Les Houches aus aufgestiegen<br />
und seit ein Uhr früh unterwegs – das<br />
sind 3800 Höhenmeter in sechs Stunden.<br />
Das Tal von Chamonix liegt tief unter<br />
mir. Von meinem Standpunkt aus wäre der<br />
Weg den Mont Blanc hinunter normalerweise<br />
lang, beschwerlich und riskant,<br />
er würde über Gletscher und Felswände<br />
führen, aber ich werde den Abstieg nicht<br />
zu Fuß vornehmen. Ich werde fliegen.<br />
Seit 2006 besteige ich Berge. Damals<br />
absolvierte ich eine Ausbildung auf den<br />
Klippen meiner Heimat Nordwales.<br />
Heute, als professioneller Kletterer und<br />
Bergführer, folge ich den Jahreszeiten<br />
und teile meine Zeit zwischen den Bergen<br />
von Snowdonia in Wales und den französischen<br />
Alpen auf.<br />
Vor zwei Jahren habe ich Paragleiten<br />
gelernt, was mir neue Horizonte eröffnet<br />
hat. Eine Besteigung des Mont Blanc<br />
dauert normalerweise drei Tage und<br />
umfasst zwei Seilbahnen und eine Zugfahrt.<br />
Wenn ich heute sehr früh auf<br />
den Berg klettere, kann ich zum Frühstück<br />
wieder zurück sein.<br />
Das Fliegen hat etwas Befreiendes –<br />
wie nach dem Start, bei dem alles einfach<br />
Aufstieg über den Pilier Rouge du Brouillard<br />
stimmen muss, der Druck entweicht, die<br />
Füße baumeln surreal über dem Abgrund,<br />
man trickst die Evolution aus und gesellt<br />
sich segelnd zu den Vögeln.<br />
Nach zehn Minuten, in denen ich die<br />
frostbedeckten Seile entwirrt und den<br />
Fallschirm ausgelegt habe, bin ich dahin,<br />
stürze mich in der kühlen Morgenluft<br />
vom Gipfel hinab, gleite Richtung Italien<br />
und freue mich – heilfroh, nicht mehr<br />
weiterwandern zu müssen – auf einen<br />
stärkenden Cappuccino im Café neben<br />
dem Landeplatz. Der Flug dauert ungefähr<br />
40 Minuten. Zu Fuß würde eine<br />
geführte Gruppe, je nach Können, ein<br />
bis zwei Tage brauchen.<br />
Para-Alpinismus, wie man in Frankreich<br />
sagt, wird zu einer immer belieb<br />
76 THE RED BULLETIN
Wohin<br />
soll’s<br />
gehen?<br />
Ort:<br />
Chamonix-Tal<br />
Nächster Flughafen:<br />
Genf, Schweiz<br />
Transport:<br />
sechs Seilbahnanlagen<br />
Startplätze:<br />
Im Mont-Blanc-<br />
Massiv gibt es<br />
mehrere, Calum flog<br />
einmal vom Gipfel<br />
des Mont Blanc, einmal<br />
vom Glacier du<br />
Brouillard in knapp<br />
4000 Meter Höhe.<br />
Frankreich<br />
Italien<br />
Saisonale Information:<br />
Im Juli und August ist<br />
Paragleiten im Mont-<br />
Blanc-Massiv verboten.<br />
Grund dafür<br />
sind Unfälle in den vergangenen<br />
Jahren und<br />
die steigende Zahl<br />
der Helikopterflüge.<br />
JAKE HOLLAND CALUM MUSKETT<br />
Schmaler Grat: Calum Muskett auf dem Weg zur Biwakstation Pic Eccles<br />
Talfahrt: Der Gletscher ist für den Start ideal, aber der Untergrund etwas glatt.<br />
teren Freizeitbeschäftigung. Wie der<br />
Name schon verrät, handelt es sich dabei<br />
um eine Kombination aus Paragleiten<br />
und Alpinismus, und die europäischen<br />
Alpen mit ihren überschaubaren Flugbeschränkungen<br />
und der hervorragenden<br />
Infrastruktur eignen sich für so ein Vorhaben<br />
besonders gut.<br />
Das Konzept ist nicht neu: Pioniere wie<br />
der Franzose Jean-Marc Boivin starteten<br />
schon vor rund vierzig Jahren von einigen<br />
der höchsten Gipfel der Welt. Diese Frühzeit<br />
des Sports gipfelte in Boivins Flug<br />
vom Mount Everest 1988. Seither hat<br />
sich die Technologie des Paragleitens<br />
eher zu den Cross-Country-Flügen hin<br />
verlagert, wo die Leistung der Tragflächen<br />
vor allem darauf ausgerichtet ist,<br />
Gleitzahl und Auftrieb zu verbessern.<br />
Der aktuelle Weltrekord gelang brasilianischen<br />
Piloten 2016: Sie legten eine<br />
Strecke von 564 Kilometern zurück.<br />
Die Pioniere des Para-Alpinismus<br />
schulterten noch riesige Rucksäcke, die<br />
mehr als zwölf Kilo wogen (und darin ist<br />
die erforderliche Bergsteigerausrüstung<br />
noch nicht eingerechnet), wodurch sich<br />
die Kletter/Flug-Missionen eher mühsam<br />
und unpraktisch gestalteten.<br />
Das änderte sich erst vor kurzem<br />
mit neuen Schirmtypen. Die neuen Tragflächen<br />
wiegen jetzt nur noch ein Kilo,<br />
lassen sich in einen mittelgroßen Beutel<br />
stopfen und haben ein ultraleichtes Sitzgeschirr.<br />
Dieser Technologiesprung hat<br />
dem Sport deutlichen Auftrieb gegeben.<br />
September 2020. Zusammen mit meinen<br />
Freunden Paul und Jake bin ich wieder<br />
auf dem Mont Blanc. Wir versuchen<br />
einen Aufstieg über den schwierigsten<br />
THE RED BULLETIN 77
GUI<strong>DE</strong><br />
Reisen<br />
Segeln wie die Vögel: Calum Muskett fliegt über die Gletscherspalten des Glacier du Brouillard (oben)<br />
und nähert sich dem Landeplatz im italienischen Val Veny (unten).<br />
Felsen des Berges, den Pilier Rouge du<br />
Brouillard, einen imposanten Granitmonolithen<br />
auf 4000 Metern, und das<br />
über eine erst im Juli erstmals bezwungene<br />
Route, die als „Incroyable“ (zu<br />
Deutsch: unglaublich) bekannt ist.<br />
Die Sonne scheint, es ist heiß. Unter<br />
schmelzendem Schnee auf den Hängen<br />
über und unter uns taucht eine schwindelerregende<br />
rote Felswand auf, die wir mit<br />
unseren Fingerspitzen hinaufklettern.<br />
Am Ende eines erfolgreichen Klettertages<br />
schaffen wir es bis zur winzigen<br />
Blechschutzhütte auf dem Pic Eccles und<br />
zu einem geeigneten Startplatz an einem<br />
hängenden Abschnitt des Gletschers<br />
nahe der Hütte.<br />
Die Position ist furchterregend. An sich<br />
ist der immer steiler werdende Schneehang<br />
perfekt für einen Absprung – oder<br />
besser: Er wäre perfekt, wenn nicht der<br />
ganze Hang immer noch gefroren wäre.<br />
Paul und Jake stehen auf einem ausge<br />
„Lauer Wind hebt<br />
den Schirm – und<br />
mich sanft von<br />
den Füßen.“<br />
Calum Muskett, Bergführer und Paragleiter<br />
schlagenen Schneevorsprung 30 Meter<br />
neben mir. Es ist Pauls erster Flug unter<br />
Jakes Kommando auf einem ultraleichten<br />
Tandemparagleiter. Was für ein Ort für<br />
eine Premiere!<br />
Mit Steigeisen, um mir Halt auf dem<br />
glatten Untergrund zu verschaffen,<br />
mache ich meinen Anlauf. Der leichte<br />
Stoff erhebt sich schnell und einfach<br />
über meinen Kopf, und sobald die Vorderkante<br />
die Sonne zu berühren scheint,<br />
bläst lauwarmer Wind aus dem Tal den<br />
Schirm auf und hebt mich sanft von den<br />
Füßen. Ich schaue zurück und sehe,<br />
wie Jake und Paul vor Freude jauchzend<br />
starten und es sich unter ihren Tragflächen<br />
bequem machen.<br />
Bergführer Calum Muskett buchen unter:<br />
muskettmountaineering.co.uk (für Touren<br />
im Raum Chamonix). Ein fünftägiger Paragleit-<br />
Kurs kostet zwischen 500 und 900 Euro,<br />
die Ausrüstung rund 3000 Euro.<br />
JAKE HOLLAND CALUM MUSKETT<br />
78 THE RED BULLETIN
JAHRESABO<br />
getredbulletin.com<br />
€ 25,90<br />
BEYOND THE ORDINARY<br />
Erhältlich am Kiosk, im Abo, als E-Paper, auf theredbulletin.com oder als Beilage in einer Teilauflage von:<br />
LORENZ HOL<strong>DE</strong>R/RED BULL CONTENT POOL
GUI<strong>DE</strong><br />
Gaming<br />
TIPPS<br />
Spielend<br />
Karriere<br />
machen<br />
Jacob Mourujärvi ist ein<br />
Weltklasse-Spieler des Ego-<br />
Shooters „Valorant“. Hier<br />
verrät der Schwede, wie er<br />
es zum Profi geschafft hat.<br />
<strong>Red</strong> Bull Campus Clutch ist<br />
ein weltweites eSport-Turnier<br />
für Spieler im Studierendenalter.<br />
Gespielt wird „Valorant“,<br />
ein taktisches Ego-Shooter-<br />
Game. Schon bevor das Spiel<br />
vergangenes Jahr veröffentlicht<br />
wurde, brach es einen<br />
Rekord: Mit 34 Millionen Stunden<br />
an einem Tag ist nie zuvor<br />
ein Spiel länger verfolgt worden<br />
– und zwar von Zuschauern,<br />
die sich die Streams ausgewählter<br />
Spieler ansahen.<br />
Im Weltfinale von <strong>Red</strong> Bull<br />
Campus Clutch kämpfen die<br />
Siegerteams aus jedem Land<br />
im Juli um 20.000 Euro Preisgeld<br />
und ein Gaming-Center<br />
für ihren Uni-Campus.<br />
Von Jacob „Pyth“ Mourujärvi<br />
könnten die Campus-<br />
Clutcher einiges lernen. Der<br />
27-jährige Schwede gehört<br />
zur Elite-eSport-Mannschaft<br />
G2 und ist einer der besten<br />
„Valorant“-Spieler der Welt.<br />
Vor neun Jahren wollte er<br />
noch IT-Experte werden. „Ich<br />
hatte keinerlei Vorstellung<br />
von meiner Karriere, außer<br />
dass ich gerne mit Computern<br />
arbeitete.“ Damals spielte er<br />
das gerade neu erschienene<br />
„Counter-Strike: Global Offensive“<br />
(„CS:GO“), als Mitspieler<br />
ihn einluden, einem Team beizutreten.<br />
„Mittlerweile arbeite<br />
ich jeden Tag mit Computern.“<br />
Und zwar als Profispieler …<br />
15 Stunden Gaming<br />
Als Mourujärvi mit achtzehn<br />
den üblichen Bildungsweg<br />
hinter sich ließ, spielte er<br />
15 Stunden täglich „CS:GO“.<br />
„Acht Uhr morgens schlafen<br />
gehen, fünf Uhr nachmittags<br />
aufstehen und weiterspielen“,<br />
erinnert er sich. „Aber sobald<br />
mir bewusst wurde, dass ich<br />
damit Karriere machen kann,<br />
änderte ich meine Routine<br />
und fing an, wie ein Profi zu<br />
denken. Ich hörte auch mit<br />
dem Lästern auf, wie es in<br />
der Szene üblich ist. Jetzt<br />
bin ich ein lieber Kerl.“<br />
Stärken ausspielen<br />
Pyth ist ein Meister des<br />
„Clutch Play“– der Fähigkeit,<br />
ein Spiel in den letzten<br />
Sekunden umzudrehen.<br />
Schon 2014 bezwang Pyth<br />
im Alleingang seine Gegner<br />
in einem „CS:GO“-Match.<br />
„Beweise dich, und man wird<br />
dich wahrnehmen“, sagt er.<br />
„Aber Abkürzungen gibt’s<br />
keine. Man muss sich Schritt<br />
für Schritt hocharbeiten.“<br />
Neues riskieren<br />
2015 betrat Pyth Neuland und<br />
half beim Aufbau des neuen<br />
kanadischen „CS:GO“-Teams<br />
Luminosity Gaming. „Durch<br />
diese Erfahrung bin ich jetzt<br />
teamfähiger, offener und<br />
ehrlicher.“ Dieser erfolgreiche<br />
Schachzug inspirierte ihn<br />
gleich für den nächsten: Mourujärvi<br />
hörte mit „CS:GO“ auf,<br />
„Ich bin jetzt<br />
teamfähiger,<br />
offener und<br />
ehrlicher.“<br />
Jacob Mourujärvi,<br />
genannt „Pyth“, 27<br />
Scharfschützen:<br />
die Charaktere<br />
Phoenix (li.) und<br />
Jett aus dem<br />
Game „Valorant“<br />
vor allem auch deshalb, weil er<br />
auf Twitter während des Spiels<br />
Morddrohungen erhalten<br />
hatte. „‚Valorant‘ hat eine sehr<br />
unterstützende Fanbase“,<br />
erzählt Pyth. Angenehme<br />
Arbeits kollegen seien schließlich<br />
überall entscheidend.<br />
„Bei G2 sind wir Freunde. Beim<br />
Spielen und auch danach.“<br />
Niemals aufhören<br />
Mit 27 gehört Mourujärvi zu<br />
den eSport-Veteranen. Was<br />
nach dem Karriereende nun<br />
kommt? „Ich will weiter im<br />
eSport arbeiten, vielleicht ja<br />
als Trainer. Viele Spieler üben<br />
jeden Tag ihre Treffsicherheit,<br />
verstehen aber nicht viel von<br />
Teamwork und Strategie. Dabei<br />
ist es wie im Fußball: Die<br />
Spieler im Team sollten einander<br />
nicht zu sehr gleichen<br />
und eine Einheit bilden.“<br />
„Valorant“ auf Microsoft<br />
Windows: playvalorant.com<br />
Die aktuellen Matches beim<br />
<strong>Red</strong> Bull Campus Clutch<br />
findest du auf redbull.com.<br />
Folge Pyth auf: twitch.tv/pyth<br />
YUNG ELDR JOE ELLISON<br />
80 THE RED BULLETIN
GUI<strong>DE</strong><br />
Playlist<br />
PAROV STELAR<br />
Mein Sohn,<br />
8, ist mein<br />
wichtigster<br />
Kritiker<br />
Electroswing-Pionier Parov Stelar<br />
verrät, welche Lieder sein Leben<br />
prägten – wie etwa jenes,<br />
das seinem Sohn Max einen<br />
schulfreien Tag bescherte.<br />
In seinem Studio auf Mallorca<br />
produziert Marcus Füreder, 46,<br />
geläufiger als Parov Stelar, gerade<br />
ein Album für sein Alter Ego<br />
Stelartronic: „Stelartronic – The<br />
Observer“ soll „elektronischer,<br />
experimenteller, poppiger“ grooven.<br />
Daneben bereitet er eine<br />
Ausstellung seiner Gemälde<br />
in Palma vor; im Clip zum neuen<br />
Stelar tronic-Remix von „Brass<br />
Devil“ bringt sich der Oberösterreicher<br />
als Grafiker und erstmals<br />
als Darsteller ein. Und mit seiner<br />
„Voodoo Sonic Documentary“<br />
gibt er auf 160 Streaming-<br />
Plattformen (darunter Amazon<br />
und Apple TV; mit Untertiteln in<br />
80 Sprachen!) einen Einblick in<br />
sein Leben. Uns verrät der DJ,<br />
Produzent und Remixer, welche<br />
Lieder ihn bewegen.<br />
Multitalent<br />
Marcus Füreder<br />
alias Parov Stelar<br />
JAN KOHLRUSCH FLORIAN OBKIRCHER<br />
GUSGUS<br />
WITHIN YOU (2011)<br />
„Diese Nummer habe ich vor zehn<br />
Jahren im heftigen Liebeskummer<br />
auf und ab gehört. Solche Zeiten<br />
fräsen sich in dein Hirn und dein Herz.<br />
Das Komische ist: Eigentlich erinnert<br />
sich ja niemand gern an solche Situationen.<br />
Aber Musik kann so viel!<br />
Wenn ich ‚Within You‘ heute höre,<br />
denke ich mir: Das war damals echt<br />
scheiße. Was bin ich froh, dass es<br />
mir wieder so gut geht!“<br />
MACKLEMORE & RYAN LEWIS<br />
CAN’T HOLD US (2011)<br />
„Ich beschäftige mich als Produzent<br />
intensiv mit Sound-Ästhetik und<br />
muss mich davor hüten, Musik zu<br />
sehr zu analysieren. Als ich diesen<br />
Song zum ersten Mal gehört habe,<br />
dachte ich: Ist das ihr Ernst? Das<br />
Tempo, in der Macklemore rappt,<br />
ist unwirklich – Respekt! Ich bin nicht<br />
der größte Hip-Hop-Fan, aber diese<br />
Nummer hat so einen Drive, dass ich<br />
aufstehen und tanzen muss.“<br />
CARLA MORRISON<br />
AZÚCAR MORENA (2015)<br />
„Azúcar morena, das heißt ,brauner<br />
Zucker‘. Dieses bittersüße Lied der<br />
Mexikanerin Carla Morrison ist relativ<br />
neu, aber zeitlos schön. Ich tue mir<br />
schwer damit, über Musik zu reden<br />
und etwas zu beschreiben, was man<br />
nicht in Worte fassen kann. Vor allem<br />
bei Songs, die dieses gewisse Etwas<br />
haben und damit etwas in dir berühren.<br />
Dieses Lied schlägt einfach<br />
verborgene Saiten in mir an.“<br />
PAROV STELAR<br />
BRASS <strong>DE</strong>VIL (2020)<br />
„Eine Nummer aus meinem eigenen<br />
Repertoire, die ich nie vergessen<br />
werde. Mein Sohn Max, er wird bald<br />
neun, ist mein wichtigster Indikator;<br />
Kinder sind gnadenlos ehrlich. Als ich<br />
ihm ‚Brass Devil‘ zum ersten Mal vorgespielt<br />
habe, hat er sofort zu hüpfen<br />
begonnen. Wir haben im Studio vier<br />
Stunden Party gemacht und waren<br />
dann beide total erledigt. Max hat am<br />
nächsten Tag schulfrei bekommen.“<br />
THE RED BULLETIN 81
LENNY KRAVITZ, LAVEN<strong>DE</strong>L UND WEIHRAUCH<br />
ROCK-LEGEN<strong>DE</strong> WIRBT FÜR PARFUM, SEINE TOCHTER FÜR YSL-LIPPENSTIFT<br />
Wie Lenny Kravitz (li.) riecht, wissen wir jetzt: nach „lichtdurchflutetem Lavendel,<br />
schwarzem Zedernholz und mystischem Weihrauch“ – kurz nach „Y Le Parfum“ von<br />
Yves Saint Laurent (YSL), wofür er gerade wirbt; Töchterchen Zoë (re.) rümpft darob<br />
nicht das Näschen, sie macht das Gleiche mit YSL-Lippenrot. loreal.com<br />
Richtig gutes Zeug<br />
Handverlesene Liebhaberstücke, Tipps & Termine.<br />
Von der <strong>Red</strong>aktion empfohlen. Text WOLFGANG WIESER<br />
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ferragamo.com/museo<br />
COURTESY OF FERRAGAMO, DAVID SIMS/YVES SAINT LAURENT BEAUTY ÖSTERREICH,<br />
GARMIN, COUCH CONSOLE, VÖSLAUER<br />
82 THE RED BULLETIN
GUI<strong>DE</strong><br />
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bewältigst. Je niedriger<br />
der Wert, desto besser.<br />
PS: Und wann du besser<br />
Pause machst, sagt sie dir<br />
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Manch einer mag sagen, das Leben auf der Couch<br />
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ausbalanciert. Dank dieser Konsole – sie enthält<br />
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THE RED BULLETIN 83
FÜR IMMER<br />
JUNG<br />
SWATCH IM<br />
MOMA-<strong>DE</strong>SIGN<br />
Tadanori Yokoo, Jahrgang<br />
1936, zeigt, dass Kunst nie<br />
wirklich alt wird: Sein Werk<br />
mit dem schönen Titel „The<br />
City and Design, The Wonders<br />
of Life on Earth, Isamu<br />
Kurita“ aus dem Jahr 1966<br />
schmückt, 55 Jahre später,<br />
fein zitiert, eine Swatch aus<br />
der MoMA-Kollektion.<br />
swatch.com<br />
DIESES WERK PACKT ALLE EIN<br />
„THE PACKAGE <strong>DE</strong>SIGN BOOK 6“: AUSGEZEICHNETE VERPACKUNG<br />
In den 1980er-Jahren empfahl die Glamour-Band „ABC“, nie ein Buch<br />
wegen des Covers zu kaufen. Das war schon damals pure Ironie.<br />
Wie wichtig – und wie kunstvoll – Verpackung heute sein kann, zeigt<br />
dieser Band, der über 500 Arbeiten der Gewinner des Pentawards<br />
der Jahre 2019 und 2020 versammelt. taschen.com<br />
Beurteile ein Buch immer<br />
nach seinem Cover!<br />
MO<strong>DE</strong>RN ART<br />
Ein Werk aus dem Jahr<br />
1966 ziert jetzt eine Uhr.<br />
Kunst aus dem Handgelenk<br />
sozusagen.<br />
WELTWEITER<br />
BATTLE <strong>DE</strong>R<br />
STU<strong>DE</strong>NTEN<br />
RED BULL CAMPUS<br />
CLUTCH<br />
Willkommen beim ersten<br />
globalen eSport-Turnier für<br />
Studenten: Beim <strong>Red</strong> Bull<br />
Campus Clutch treten<br />
Teams aus fünf Spielern<br />
einer Universität im<br />
Taktik- Shooter „Valorant“<br />
gegen einander an. Präzise<br />
Schießtechnik ist hier ebenso<br />
gefragt wie Agentenfähigkeit.<br />
Noch bis zum<br />
2. Mai steigen die nationalen<br />
Qualifier, bevor im Juli<br />
die Gewinnerteams zum<br />
weltweiten Finale antreten.<br />
Alle Termine:<br />
redbullcampusclutch.com<br />
TASCHEN, SWATCH, BRIAN SPECTOR, MATTHIAS BALK/DPA/PICTURE<strong>DE</strong>SK.COM,<br />
PHILIP PLATZER, SAMSONITE<br />
84 THE RED BULLETIN
GUI<strong>DE</strong><br />
Trends<br />
WIR SPIELEN GLEICHBERECHTIGUNG<br />
ENDLICH! KÖNIG UND KÖNIGIN SIND GLEICH VIEL WERT<br />
In einem neuen Kartenspiel – gibt’s vorläufig nur auf Englisch –<br />
sind Queen und King (= Queeng) endlich gleich viel wert, die<br />
ehemalige Dame heißt jetzt Duke. Und selbstverständlich sind<br />
auch alle Hautfarben vertreten. Worauf wir jetzt noch warten?<br />
Auf die Revolution der Zweier: ¡Venceremos! queengcards.com<br />
LETZTES DUELL VOR HEISSER EISZEIT<br />
EHC RED BULL MÜNCHEN EMPFÄNGT DÜSSELDORFER EG<br />
Jetzt wird’s erst richtig spannend: Am 18. April endet die Hauptrunde<br />
der Deutschen Eishockey Liga – und im Anschluss starten<br />
die Play-Offs. Am letzten Spieltag empfängt EHC <strong>Red</strong> Bull München<br />
(im Bild: Trevor Parkes) das kampfstarke Team aus Düsseldorf.<br />
Olympia-Eissportzentrum München; redbullmuenchen.de<br />
BELASTBAR<br />
Das Spezialmaterial<br />
aus PET-Flaschen ist<br />
reiß- und schnittfest.<br />
ALARM AN <strong>DE</strong>R<br />
ALGARVE<br />
MOTO GP IN PORTUGAL<br />
Unebener Asphalt und Highspeed-Geraden:<br />
Der MotoGP<br />
Grand Prix von Portugal am<br />
18. April wird den Fahrern<br />
(im Bild: Brad Binder) alles<br />
abverlangen. ServusTV<br />
überträgt die Qualifyings,<br />
das vierte freie Training und<br />
die Rennen aller Klassen.<br />
Infos: servustv.com/motogp<br />
RUCKSACK<br />
FIN<strong>DE</strong>T STADT<br />
SAMSONITE SECURIPAK<br />
Endlich ein Rucksack, der<br />
nicht so tut, als wollte er<br />
auf einen Gipfel geschleppt<br />
werden. Er ist eindeutig für<br />
den modernen Stadtbewohner<br />
gedacht. Das Material<br />
heißt Recyclex (ja, es sind<br />
PET-Flaschen), ist reiß- und<br />
schnittfest – und klar gibt<br />
es eine Lademöglichkeit.<br />
samsonite.com<br />
THE RED BULLETIN 85
Sport wagen<br />
Die derzeit prickelndsten Autos: Die einen sind für besonders<br />
dynamische Ausfahrten gemacht, die anderen bringen uns<br />
mit viel Stauraum zum Training. Plus: drei aktuelle Motorräder<br />
für alle Fälle. Text WERNER JESSNER, JOHANNES MITTERER<br />
Das aktuell schnellste<br />
Serienauto auf der Nordschleife<br />
des Nürburg rings:<br />
der AMG GT Black Series<br />
86 THE RED BULLETIN
GUI<strong>DE</strong><br />
Autos<br />
ÜBERFLÜGEL<br />
Wenn man ein Rennauto<br />
straßentauglich macht,<br />
ohne Kompromisse einzugehen,<br />
kommt exakt<br />
so etwas dabei heraus.<br />
NEUER SPEED<br />
RENNMASCHINE<br />
FORD MUSTANG MACH 1<br />
Dieser Mustang ist ein Straßenwagen, der auch auf der Rennstrecke<br />
besteht. Kein in Europa angebotener Serien-Mustang war<br />
bis jetzt schneller. Das verdankt der Mach 1 einem 5-Liter-V8-Motor<br />
mit 460 PS, einem renntauglichen Sportfahrwerk, das auch<br />
bei hohen Kurvenfliehkräften klare Rückmeldung gibt, und einer<br />
besonders direkten Lenkung. Ach ja: 22 Prozent mehr Abtrieb<br />
und zusätzliche Kühler bringt er auch noch mit.<br />
Höchstgeschwindigkeit: bis zu 267 km/h<br />
Preis: ab 60.800 Euro<br />
HERSTELLER<br />
NEUE BESTZEIT<br />
6:48,047<br />
AMG GT Black Series<br />
Das ist der neue Rundenrekord auf<br />
der Nürburgring-Nordschleife, der<br />
wohl schwierigsten Rennstrecke der<br />
Welt. Aufgestellt hat ihn der deutsche<br />
Rennfahrer Maro Engel mit dem<br />
AMG GT Black Series. Er prügelte den<br />
730 PS starken Wagen bei bloß zehn<br />
Grad Streckentemperatur und feuchten<br />
Flecken auf der Bahn über die<br />
20,832 Kilometer. Wie das möglich<br />
war? Mit professioneller Renntechnik<br />
und allerhand Set-up-Möglichkeiten.<br />
Höchstgeschwindigkeit: 325 km/h<br />
Preis: ab 335.240 Euro<br />
NEU AM START<br />
HOCH- UND BREITENSPORT<br />
CUPRA FORMENTOR VZ<br />
Cupra ist die Sport-Marke der spanischen VW-Tochter Seat,<br />
und das SUV-Coupé Formentor löst diesen Anspruch perfekt ein.<br />
Besonders gut gelingt ihm das in der Version mit 310 PS starkem<br />
Zweiliter-TSI-Motor mit Allrad, 7-Gang-DSG-Getriebe und einer Nullauf-hundert-Beschleunigung<br />
von 4,9 Sekunden. Das coole Design,<br />
Bremsen mit gelochten Scheiben und das Digitalcockpit lassen<br />
die 2018 gegründete Marke auf Anhieb ganz oben mitspielen.<br />
Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h<br />
Preis: ab 45.090 Euro<br />
THE RED BULLETIN 87
GUI<strong>DE</strong><br />
Autos<br />
NEU KOMPONIERT<br />
ZUKUNFTSMUSIK<br />
AUDI RS E-TRON GT<br />
Athletischer war e-tron noch nie: Mit dem RS e-tron GT verleiht<br />
Audi seinem vollelektrischen Modell radikale Dynamik. 440 kW, also<br />
umgerechnet 598 PS, stellen die E-Motoren bereit und ermöglichen<br />
so eine Beschleunigung von null auf hundert in 3,1 Sekunden. Für<br />
den passenden Klang außen und innen sorgt auf Wunsch ein eigens<br />
komponierter voluminöser Sportsound, den der Fahrer regeln<br />
kann. Die Reichweite der Batterie liegt bei bis zu 487 Kilometern.<br />
Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h<br />
Preis: ab 138.200 Euro<br />
NEUES KÜRZEL<br />
SUPER TROFEO OMOLOGATO<br />
LAMBORGHINI HURACÁN STO<br />
Genau dafür stehen die drei Buchstaben STO, und sie bedeuten,<br />
dass der Rennwagen aus der Super-Trofeo-Serie straßentauglich<br />
gemacht wurde. Der 10-Zylinder-Motor mit 640 PS trifft auf<br />
Heckantrieb und nur 1339 Kilo. Möglich wurde das durch eine<br />
Karosserie, die zu 75 Prozent aus Carbon besteht. Besonders auffällig:<br />
der neu entwickelte Schnorchel auf der Motorhaube (hinten)<br />
mit integrierter Haifischflosse und verstellbarem Heckspoiler.<br />
Höchstgeschwindigkeit: 310 km/h<br />
Preis: ab 296.800 Euro<br />
STARKER SPRINT<br />
Das hier gezeigte Modell<br />
4S des Porsche Cross<br />
Turismo beschleunigt<br />
in 4,1 Sekunden<br />
von null auf hundert.<br />
NEUE WEGE<br />
Gelände-Fan<br />
Porsche Taycan Cross Turismo<br />
Rallye-Feeling mit dem E-Porsche?<br />
Der Taycan Cross Turismo verspricht<br />
genau das. Auf losem Fahrbahnuntergrund<br />
kommen Allradantrieb, Radlaufblenden<br />
und das Fahrprogramm<br />
„Gravel Mode“ zu Hilfe. Das Letztgenannte<br />
hebt den Wagen dank der<br />
adaptiven Luftfederung um 30 Millimeter<br />
an. Genug Wumms gibt’s auch:<br />
460 kW/625 PS als Turbo S,<br />
(560 kW/761 PS im Overboost).<br />
Höchstgeschwindigkeit: 250 km/h<br />
Preis: ab 93.635 Euro<br />
HERSTELLER<br />
88 THE RED BULLETIN
ERFOLGSMO<strong>DE</strong>LL<br />
Raumwunder<br />
reloaded<br />
Mazda CX-5<br />
Wie verkauft man über drei Millionen<br />
Exemplare eines Autos? Ein kluges<br />
Raumkonzept hilft, wie der seit 2012<br />
gebaute Mazda CX-5 beweist. Auch<br />
im Modelljahr 2021 bietet er der<br />
ganzen Familie komfortabel Platz –<br />
samt Kletterausrüstung für die<br />
Bergtour. Mit umgeklappten Sitzen<br />
entstehen 1620 Liter Stauraum.<br />
Die aktuelle Variante bietet verbesserte<br />
Motoren, die schärfer ansprechen<br />
und weniger verbrauchen.<br />
Kofferraumvolumen: 506 – 1620 Liter<br />
Preis: ab 27.600 Euro<br />
RUNDUM-BLICK<br />
Von außen nicht sichtbar<br />
sind im Mazda CX-5 vier<br />
Kameras verbaut, die<br />
beim Einparken helfen.<br />
E-ALLROUN<strong>DE</strong>R<br />
STROM LA<strong>DE</strong>N<br />
VW ID.4<br />
Einer der größten Vorteile von E-Autos ist, dass die Antriebstechnik<br />
weniger Platz braucht als bei konventionell befeuerten Fahrzeugen<br />
– Platz, der den Passagieren oder eben auch Sportgeräten zugute<br />
kommt. Dazu gibt’s eine inzwischen abenteuertaugliche (statt<br />
abenteuer liche) Reichweite: VW verspricht für den im Frühling<br />
erhältlichen 204 PS starken ID.4 bis zu 520 Kilometer.<br />
Bonus: Man kann Anhänger von bis zu einer Tonne ziehen.<br />
Kofferraumvolumen: 543 – 1575 Liter<br />
Preis: ab 36.950 Euro<br />
HYBRID-SUV<br />
WACHSTUMSKURS<br />
MITSUBISHI ECLIPSE CROSS PLUG-IN HYBRID<br />
Mehr Platz lautete auch die Devise bei der Überarbeitung dieses<br />
Modells: Um 14 Zentimeter ist die aktuelle Variante des Eclipse<br />
Cross im Vergleich zum Vorgänger gewachsen. Beim neuen Plug-In<br />
Hybrid mit Allradsystem stammt die Antriebseinheit (2,4-Liter-<br />
Benziner und zwei Elektromotoren) aus dem Outlander (188 PS<br />
Systemleistung). Rein elektrisch können bis zu 61 Kilometer<br />
gefahren werden, die Gesamtreichweite liegt bei bis zu 750 .<br />
Kofferraumvolumen: 359 – 1108 Liter<br />
Preis: ab 39.890 Euro<br />
THE RED BULLETIN 89
GUI<strong>DE</strong><br />
Autos<br />
BESTSELLER<br />
SCHNELLER RUCKSACK<br />
ŠKODA OCTAVIA COMBI RS<br />
Still und leise ist der Octavia zum Herausforderer des Platzhirschen<br />
VW Golf herangereift. Überzeugendes Platzangebot und<br />
ein scharf kalkulierter Preis sind dafür wohl ausschlaggebend.<br />
Das Topmodell RS ist als Diesel oder Benziner zu haben, mit Frontoder<br />
Allradantrieb, ist 200 oder 245 PS stark – und dank der<br />
scharfen Optik hat man die Garantie, den eigenen unter all den<br />
anderen Octavias auf dem Parkplatz sofort zu finden.<br />
Kofferraumvolumen: 640 – 1700 Liter<br />
Preis: ab 39.810 Euro<br />
POWER-HYBRID<br />
TEAMFÄHIG<br />
KIA SORENTO PLUG-IN HYBRID<br />
Eine Volleyball-Aufstellung (sechs Spieler) plus Trainer können<br />
in diesem SUV zum Match fahren. Die Variante mit Plug-In Hybrid<br />
ist nicht nur die neueste, sondern auch die leistungsstärkste. Kombiniert<br />
kommen die Antriebe – 1,6-Liter-Turbobenziner plus Elektromotor<br />
– auf 265 PS und 350 Nm Drehmoment. Eine 6-Gang-Automatik<br />
gibt die Power an alle vier Reifen weiter. Wer den Raum hinten<br />
für Gepäck nutzen will, baut den Sieben- zum Fünfsitzer um.<br />
Kofferraumvolumen: 175 – 898 Liter<br />
Preis: ab 53.940 Euro<br />
KRAFTPAKET<br />
Unter der Gladiator-Haube<br />
steckt ein 3.0 V6 MultiJet<br />
Turbodieselmotor mit<br />
264 PS und 600 Nm<br />
Drehmoment.<br />
PICK-UP<br />
Kämpfertyp<br />
Jeep Gladiator<br />
Nach 28 Jahren bietet Jeep zum<br />
ersten Mal wieder einen Pick-up.<br />
Als Basis des Gladiator dient das<br />
Kult-Modell Wrangler. Von diesem<br />
erbt er auch die Geländegängigkeit –<br />
unter anderem dank intelligentem<br />
Allradsystem, Dana-44-Achsen<br />
der dritten Generation und O≠road-<br />
Reifen. Für Sportgeräte wie Fahrräder,<br />
Kajaks, Surfbretter oder Skier<br />
gibt’s auf Wunsch spezielle Träger.<br />
Ladefläche: 153 Zentimeter lang.<br />
Preis: ab 60.500 Euro<br />
HERSTELLER<br />
90 THE RED BULLETIN
GUI<strong>DE</strong><br />
Motorräder<br />
FÜR NEULINGE<br />
Sein ohne<br />
Schein<br />
Brixton Rayburn<br />
Achtung, Einstiegsdroge! Das Bike<br />
sieht nach sündteurem Custom-<br />
Bike-Umbau aus, nach viel Hubraum<br />
und Spielzeug für harte Jungs – ist<br />
aber ein 125er-Motorrad, das man<br />
mit Autoführerschein bewegen darf.<br />
Die „Rayburn“ kombiniert Roadster-<br />
Look mit luftgekühltem Einzylindermotor.<br />
Style-Highlight: der gefederte<br />
Ledersattel. Geschmack ist keine<br />
Frage des Hubraums: Selbst in der<br />
Achtelliter-Klasse gibt es keinen<br />
Grund mehr, billige Plastikroller<br />
zu fahren. Ab 3039 Euro<br />
ALLES AN BORD<br />
LED-Tagfahrlicht und<br />
-Blinker, digitaler Tacho<br />
und elektronische<br />
Einspritzung zählen u. a.<br />
zur Serienausstattung.<br />
FÜR VIELSEITIGE<br />
UM DIE WELT<br />
KTM 1290 SUPER ADVENTURE S<br />
Große Freiheit! Nur blöd, wenn im richtigen Leben unterwegs<br />
der Wind zerrt, der Hintern zwickt und die Knie pitschnass werden.<br />
Für die große Tour nehme man also ein Bike, das Unbill vom Fahrer<br />
fernhält, souverän motorisiert ist und aller Tricks mächtig, die tausend<br />
Kilo meter oder mehr im Sattel zur Freude werden lassen. Das<br />
neue KTM- Flaggschiff hat fünf Fahrmodi von Regen bis Rally, 7-Zoll-<br />
TFT-Display und 23-Liter- Tank für enorme Reichweite: Wer jetzt<br />
noch zu Hause bleibt, dem ist nicht mehr zu helfen. Ab 18.495 Euro<br />
FÜR SPORTLER<br />
JE<strong>DE</strong> KURVE EINE FREU<strong>DE</strong><br />
BMW F 900 R<br />
Präzises Handling, sportliches Design und ein drehmomentstarker<br />
Zweizylinder-Reihenmotor – die BMW F 900 R steht für unkomplizierten<br />
Fahrspaß bei jeder Gelegenheit. Der dynamische Roadster<br />
hat bereits in der Grundausstattung einen Schalt assistenten und<br />
wählbare Fahrmodi. Mit 105 PS ist in jeder Situation reichlich Power<br />
vorhanden, und dank TFT-Display und Connectivity behält man<br />
die wichtigsten Infos stets im Blick – egal ob auf dem Weg<br />
ins Büro oder auf Kurvenjagd in den Alpen. Ab 8800 Euro<br />
THE RED BULLETIN 91
B O U L E V A R D D E R H E L D E N<br />
JOHN GLENN<br />
VOM GRÖSSTEN SCHMERZ<br />
Serie: MICHAEL KÖHLMEIER erzählt die außergewöhnlichen Geschichten<br />
inspirierender Figuren – faktentreu, aber mit literarischer Freiheit.<br />
Folge 2: Womit der erste US-Astronaut, der die Erde umkreiste, zu kämpfen hatte.<br />
Mitte der Neunzigerjahre des<br />
vorigen Jahrhunderts fuhr ich<br />
mit Bob Didonato durch die<br />
US-Staaten Pennsylvania, Ohio,<br />
Kentucky und West Virginia. Bob<br />
war Professor an der Miami University in<br />
Oxford, Ohio, er unter richtete deutsche<br />
Literatur und deutsche Sprache, die Studenten<br />
liebten ihn wegen seiner unkonventionellen<br />
Einfälle. Er sagte, er wolle mir<br />
Dinge zeigen, die in keinem Fremdenführer<br />
aufgeführt seien, die aber für das Selbstverständnis<br />
und das Selbstbewusstsein<br />
der Amerikaner große Bedeutung hätten<br />
– „eine sub kutane Bedeutung“, so drückte<br />
er sich aus. Was er darunter verstand,<br />
demonstrierte er mir in New Concord, einem Dorf im<br />
Muskingum County in Ohio, das sich durch nichts von<br />
den umliegenden Dörfern unterschied, eingerahmt<br />
von Tankstellen und Fast-Food-Lokalen. Die Ausfahrtsstraße<br />
im Norden führte an einem schmalen Fluss entlang<br />
– dem Fox Creek, wie mich Bob unterrichtete.<br />
Irgendwann hielt er an. Wir gingen auf einem Seitenweg<br />
in ein lichtes Wäldchen, nach einer Meile blieb<br />
er stehen und sagte:<br />
„Hier ist es.“<br />
„Was?“, fragte ich.<br />
„Genau hier“, flüsterte er.<br />
„Bob“, sagte ich, „was ist hier? Und warum flüsterst<br />
du?“<br />
„Hier hat er gelegen“, flüsterte er weiter.<br />
„Wer, verdammt noch mal!“<br />
„John Glenn.“<br />
John Glenn – der große John Glenn – war der erste<br />
Mensch, der die Erde gesehen hat, wie ich den Globus<br />
sehe, der auf meinem Schreibtisch steht: als eine<br />
vorwiegend blaue Kugel. Er war der erste Mensch,<br />
der unsere Erde in einer Umlaufbahn umkreist hat.<br />
Dreimal. Er allein. Die längsten und zugleich kürzesten<br />
vier Stunden, 55 Minuten und 23 Sekunden,<br />
MICHAEL KÖHLMEIER<br />
Der Vorarlberger<br />
Bestseller-Autor gilt<br />
als bester Erzähler<br />
deutscher Zunge.<br />
Zuletzt erschienen:<br />
„Die Märchen“,<br />
816 Seiten,<br />
Carl Hanser Verlag.<br />
die jemals ein Mensch durchlebt hat.<br />
Das war am 20. Februar 1962 gewesen.<br />
Nein, der erste Mensch im All war<br />
er nicht. Viele Amerikaner wollten das<br />
zwar glauben. Und viele wollten damals<br />
glauben, seine Mission diene in erster Linie<br />
der Wissenschaft. So war es aber nicht.<br />
John Glenn war eine politische Trumpfkarte<br />
im Wettstreit mit der Sowjetunion.<br />
Ein Jahr zuvor nämlich, am 12. April 1961,<br />
hatte der russische Astronaut Juri Alexejewitsch<br />
Gagarin die Erde als tatsächlich erster<br />
Mensch, jedoch nur einmal, umrundet,<br />
sein Flug dauerte 108 Minuten. Damit hatte<br />
der verteufelte Kommunismus das glorreiche<br />
Amerika, das Land der unbegrenzten<br />
Möglichkeiten, das sich allen Nationen überlegen<br />
fühlte, in die Schranken verwiesen. Die Kränkung war<br />
so bitter, dass manche amerikanische Zeitungen und<br />
Rundfunkanstalten gar nicht darüber berichteten.<br />
Nun also die Revanche.<br />
Um 9 Uhr 47, Ostküstenzeit, startete die Atlas-Rakete,<br />
an deren Spitze der vierzigjährige Astro naut<br />
John Herschel Glenn saß. Er selbst hatte sich<br />
gewünscht, dass seine Mission „Friendship“ genannt<br />
würde. Die Schüler durften an diesem Tag zu Hause<br />
bleiben, die meisten Betriebe unterbrachen die Arbeit<br />
für eine oder zwei Stunden, Präsident Kennedy saß<br />
wie Millionen andere Amerikaner vor dem Fernseher<br />
und sah sich mit klopfendem Herzen an, wie die<br />
gigantische Rauchwolke über der Cape Canaveral Air<br />
Force Station in Florida in den Himmel quoll und aus<br />
ihr der haardünne Kondensstreifen der Rakete höher<br />
und immer höher schoss. Der Sprecher im Fernsehen<br />
verkündete: „Oberstleutnant Glenn ist soeben mit<br />
seiner Rakete in die Erdumlaufbahn gestartet. Bitte<br />
beten Sie für ihn.“<br />
Gegen fünfhundert Konkurrenten hatte Glenn<br />
sich durchgesetzt, und er hatte nicht die besten<br />
MICHAEL KÖHLMEIER BENE ROHLMANN, CLAUDIA MEITERT GETTY IMAGES (2)<br />
92 THE RED BULLETIN
Voraussetzungen. Sein größter Nachteil gegenüber<br />
den anderen Anwärtern war sein Alter. Ein Vierzigjähriger<br />
sei körperlich nicht mehr auf der Höhe, ein<br />
solches Unternehmen aber verlange das Äußerste.<br />
So hieß es. Glenn konnte mithalten. Er bestand in den<br />
Dunkelräumen bei stundenlanger Schwärze und absoluter<br />
Stille; er hielt in der Hitzekammer aus, gegen<br />
die eine Sauna eine kühle Veranda sei, wie einer der<br />
Kandidaten witzelte; auch minutenlanges Ausharren<br />
im Eiswasser konnte ihm nichts anhaben, und die Zentrifuge<br />
und die Rüttelmaschine verließ er breitbeinig<br />
zwar, aber ohne zu wanken und ohne dass er sich –<br />
wie die meisten seiner Kollegen – übergeben musste.<br />
Mental, so hieß es, war John Glenn allen überlegen.<br />
Und darauf komme es an. Man könne unten auf dem<br />
Boden trainieren und simulieren, so viel man wolle,<br />
niemand sehe voraus, was einen dort oben alles erwarte.<br />
Und dann seien nicht allein Muskeln und Sehnen<br />
gefragt, sondern Intelligenz, Kaltblütigkeit und<br />
Selbstbeherrschung. Über diese Fähigkeiten verfügte<br />
Oberstleutnant John Herschel Glenn. Am Ende der<br />
Mission musste er diese Fähigkeiten beweisen.<br />
THE RED BULLETIN 93
B O U L E V A R D D E R H E L D E N<br />
Ich greife vor: Bevor er die Umlaufbahn um die Erde<br />
verließ, um in die Erdatmosphäre einzutauchen,<br />
schlug ein System Alarm. Der Keramikschild, der die<br />
Kapsel vor dem Verglühen bewahren sollte, schien<br />
sich zu lösen. Wenn das geschähe, wäre der Astronaut<br />
nicht mehr zu retten. Glenn behielt die Nerven, von<br />
der Bodenstation aus konnte der Schaden behoben<br />
werden, allerdings musste er die Landung händisch<br />
steuern – Intelligenz, Kaltblütigkeit und Selbstbeherrschung.<br />
Zu diesen Begriffen würde in Zukunft eine<br />
ganze Generation den Namen John Glenn assoziieren.<br />
Angst und Panik konnten ihm nichts anhaben.<br />
Diese Gefühle ließ er nicht zu, er besiegte sie, triumphierte<br />
über sie. Mit einem anderen Gefühl aber hatte<br />
er nicht gerechnet, und kein Techniker unten auf der<br />
Erde, kein Psychologe, der Priester nicht, nicht einmal<br />
Anna Margaret, Johns Ehefrau, die ihm schon im Alter<br />
von fünf Jahren das Ja-Wort fürs Leben gegeben hatte,<br />
nicht einmal sie hatte damit gerechnet: Heimweh.<br />
Durch das winzige Fenster der Raumkapsel blickte<br />
er hinunter auf die Erde, er konnte ihre Rundung<br />
sehen, er geriet in heilige Verzückung, als sich<br />
unter ihm der blaue Pazifik dehnte, er sah Hawaii,<br />
sah die Perlenkette Japan, sah die goldenen Weiten<br />
der asia tischen Wüsten, sah die Gipfel des Himalaya,<br />
sah Europa, klarer als auf jeder Landkarte. Und dann<br />
sah er die Küste von Amerika. Er war allein, er traute<br />
sich nicht, laut mit sich selbst zu sprechen, weil er<br />
dachte, die Bodenstation höre zu. Er wollte singen.<br />
Ihm fiel ein, wie er als Kind in dem Wald am Fox Creek<br />
gespielt hatte, er war aufgewachsen in New Concord.<br />
Wie glücklich war er gewesen, er, ganz mit sich allein.<br />
Wenn er im Sommer unten beim Bach die Libellen beobachtet<br />
hatte, manche ganz nahe. Wenn er über die<br />
schillernden Farben ihrer Flügel gestaunt hatte, die<br />
sich in den Spiegelungen des Wassers änderten. Wenn<br />
er das feuchte Moos gerochen hatte, kein Parfum<br />
konnte damit konkurrieren. Sogar an die Moskitostiche<br />
erinnerte er sich gern, zu Hause rieb seine Mutter<br />
die betreffenden Stellen mit Zitronensaft ein. Da habe<br />
er begriffen – erst viele Jahre nach diesem großen<br />
Menschheitsabenteuer erzählte er einer Journalistin<br />
davon –, da habe er begriffen, dass Alleinsein das<br />
Schönste auf der Welt sei, allein mit sich und seinen<br />
Gedanken, seinen Träumen, seinen Gedankenspielen<br />
weit voraus in eine Zukunft, seine Zukunft.<br />
„Aber doch nur“, sagte er der Reporterin ins<br />
Mikrofon, „wenn du auf den Wegen gehst, auf denen<br />
du schon oft gegangen bist, auf denen Menschen<br />
gegangen sind, die du liebst oder hasst, die dir Gutes<br />
oder Böses wollen. Wenn du die Wegbiegung dort<br />
vorne kennst, wenn du die riesige Fichte dort drüben<br />
kennst, wenn du die Steine kennst, auf die du dich setzen<br />
und mit den nackten Füßen im Bach plantschen<br />
kannst.“ Einsamkeit sei dagegen etwas anderes. Er<br />
habe geglaubt, sein Herz breche entzwei: Wenn ich<br />
nie wieder, nie wieder … Die Einsamkeit, das wisse er<br />
nun, sei das Entsetzlichste.<br />
Mit einem Gefühl hatte<br />
der Astronaut John<br />
Glenn nicht gerechnet:<br />
Heimweh.<br />
Er war glücklich gelandet, war als Held gefeiert<br />
worden. Im Triumphzug fuhr er durch New York,<br />
hunderttausend Menschen jubelten ihm zu. Präsident<br />
Kennedy bat ihn um seine Freundschaft und warb mit<br />
ihm für seine Politik. Er tourte durch das Land, hielt<br />
Vorträge, wurde zu Fernsehshows eingeladen – er hatte<br />
Amerika den Stolz zurückgegeben. Er war ein Star.<br />
Als er an Bord des Schiffes, das ihn und seine<br />
Kapsel aus dem Meer geborgen hatte, aus dem Raumanzug<br />
stieg, hatte ihn der Kapitän gefragt: „Sir, was<br />
gedenken Sie als Erstes zu tun?“<br />
Glenn antwortete: „Ich möchte nach Hause.“<br />
Zu Hause fragte ihn Anna Margaret: „John, was<br />
willst du als Erstes tun?“<br />
Er antwortete: „Ich möchte nach Hause.“<br />
Sie wusste, was er meinte, sie fragte: „Soll ich dich<br />
begleiten?“<br />
Nein, sagte er, er wolle allein sein. Und sie wusste<br />
wieder, was er meinte.<br />
Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr nach New<br />
Concord, das war nicht weit. Er spazierte am Fox<br />
Creek entlang bis zu dem Wäldchen. Und dort legte er<br />
sich bäuchlings mitten auf den Weg. Breitete die Arme<br />
aus, als wolle er den Globus, die Welt, die ganze Welt,<br />
nämlich unsere Erde, umarmen und küssen.<br />
So hat man ihn gefunden“, erzählte mein Freund<br />
Bob Didonato. „Ach, du wirst es nicht glauben“,<br />
sagte er, „ein junger schwarzer Musiker fand ihn.<br />
Er meinte, er sei tot. So wie er dalag. Ohne Regung.<br />
Die Lippen auf den Lehmboden gepresst. Der Musikant<br />
– glaub mir, es ist die Wahrheit –, er muss wohl<br />
ein frommer Mann gewesen sein, er kniete sich nieder<br />
und betete, betete für die Seele dieses Mannes, der da,<br />
ganz allein, ohne jeden Beistand, einsam, mitten auf<br />
dem Weg nahe dem Fox Creek gestorben war. Aber er<br />
war nicht gestorben. Er ist aufgestanden – auferstanden,<br />
sozusagen.“<br />
„Und das ist hier geschehen?“, fragte ich. „An dieser<br />
Stelle, genau hier?“<br />
„Genau hier“, sagte Bob.<br />
„Woher weißt du das?“<br />
„Jeder weiß es, jeder hier in New Concord, jeder<br />
in Muskingum County. Frag, wen du willst.“<br />
„Das werde ich“, sagte ich.<br />
Und ich tat es. Ich fragte in einem Coffeeshop, ich<br />
fragte eine Frau auf der Straße, ich klopfte an Türen<br />
und fragte, ich fragte Kinder auf dem Spielplatz. Alle<br />
bestätigten, was Professor Bob Didonato mir erzählt<br />
hatte.<br />
94 THE RED BULLETIN
Echte Flammen.<br />
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IMPRESSUM<br />
THE RED<br />
BULLETIN<br />
WELTWEIT<br />
Aktuell erscheint<br />
The <strong>Red</strong> <strong>Bulletin</strong><br />
in sechs Ländern. Das<br />
Cover unserer Kollegen<br />
in Österreich zeigt in<br />
diesem Monat B-Girl Sina<br />
aus Tirol, die erst auf<br />
einer langen Reise nach<br />
Marokko lernte, was sie<br />
wirklich auszeichnet – als<br />
Tänzerin und als Mensch.<br />
Mehr Geschichten abseits des<br />
Alltäglichen findest du auf:<br />
redbulletin.com<br />
Gesamtleitung<br />
Alexander Müller-Macheck, Sara Car-Varming (Stv.)<br />
Chefredaktion<br />
Andreas Rottenschlager, Andreas Wollinger (Stv.)<br />
Creative Direction<br />
Erik Turek, Kasimir Reimann (Stv.)<br />
Art Direction<br />
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Grafik<br />
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Kevin Goll<br />
Fotoredaktion<br />
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Abo & Vertrieb Peter Schiffer (Ltg.), Marija Althajm,<br />
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Herstellung & Produktion Veronika Felder (Ltg.),<br />
Friedrich Indich, Walter O. Sádaba, Sabine Wessig<br />
Lithografie Clemens Ragotzky (Ltg.), Claudia Heis,<br />
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Finanzen Mariia Gerutska (Ltg.), Klaus Pleninger<br />
MIT Christoph Kocsisek, Michael Thaler<br />
Operations Melanie Grasserbauer,<br />
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Assistant to General Management Sandra Artacker<br />
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Deutschland, ISSN 2079-4258<br />
Länderredaktion<br />
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Lektorat<br />
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Monika Hasleder, Billy Kirnbauer-<br />
Walek, Belinda Mautner, Klaus Peham,<br />
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Wörndle, Sabine Zölß;<br />
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Davydd Chong (Ltg.),<br />
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fabienne.peters@redbull.com<br />
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Österreich, ISSN 1995-8838<br />
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Wolfgang Wieser<br />
Lektorat<br />
siehe entsprechenden Eintrag<br />
bei Deutschland<br />
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Thomas Hutterer (Markenlead),<br />
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96 THE RED BULLETIN
A N Z E I G E<br />
must-haves<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
1 LIGHT TRAILRUNNER<br />
Der leichte und technisch präzise<br />
RIBELLE RUN von Scarpa ist der<br />
ideale Trailrunningschuh in rauem<br />
Terrain. Er ist konzipiert für kurze<br />
bis mittlere Distanzen und überzeugt<br />
mit seiner optimalen Passform<br />
sowie seinem atmungsaktiven Obermaterial.<br />
Dazu sorgt seine exklusive<br />
SuperGum-Außensohle dafür, dass<br />
du auch auf rutschigen Wegen locker<br />
vorankommst.<br />
scarpa.net<br />
2 NEUE MOTORRADMARKE<br />
Erst vor wenigen Wochen global<br />
gelauncht, versprüht die neue Motorradmarke<br />
MOTRON frischen Wind<br />
und besticht durch lässiges Design<br />
zu einem top Preis-Leistungs-Verhältnis.<br />
Sie begeistert Motorradfahrer,<br />
Elektro-Fans und Roller-Liebhaber<br />
gleichermaßen. Der ultimative Reisebegleiter<br />
für Abenteurer: Die neue<br />
MOTRON X-Nord 125 ist ab jetzt<br />
bestellbar.<br />
motron-motorcycles.com<br />
3 AUSGEZEICHNET INNOVATIV<br />
Die Odin 9 Worlds Infinity Shell-Jacke<br />
von Helly Hansen ist deine nachhaltige<br />
Begleiterin auf all deinen Abenteuern:<br />
Sie überzeugt mit einer revolutionären,<br />
wasserdichten und atmungsaktiven<br />
LIFA ® Infinity Pro Technologie,<br />
die komplett ohne chemische Zusätze<br />
auskommt. Ausgezeichnet mit dem<br />
GOOD <strong>DE</strong>SIGN ® Award 2020, setzt<br />
die innovative Jacke neue Maßstäbe<br />
in puncto Outdoor-Bekleidung.<br />
hellyhansen.com<br />
4 MIT POWER AUF UND AB<br />
Mach dich bereit, mit dem X ULTRA<br />
4 GTX von Salomon kraftvoll bergauf<br />
und bergab zu laufen. Er ist so<br />
wendig wie ein Trailrunningschuh,<br />
aber bietet dazu die Stabilität, den<br />
Grip und den wasserabweisenden<br />
Schutz, den du fürs Gelände<br />
brauchst. Mit einem neuen Chassis<br />
schützt der Schuh den Knöchelbereich<br />
noch besser, ohne die<br />
Bewegungsfreiheit einzuschränken.<br />
salomon.com
N I C O L A S M A H L E R S<br />
S P I T Z F E D E R L I C H E S C H A R A K T E R - K A B I N E T T<br />
Die nächste Ausgabe des RED BULLETIN erscheint am 11. Mai 2021.<br />
NICOLAS MAHLER<br />
98 THE RED BULLETIN
WIR LAUFEN FÜR ALLE,<br />
DIE ES NICHT KÖNNEN.<br />
9. MAI 2021 – 13 UHR<br />
JETZT APP LA<strong>DE</strong>N UND ÜBERALL MITLAUFEN<br />
100 % <strong>DE</strong>R STARTGEL<strong>DE</strong>R FLIESSEN IN DIE RÜCKENMARKSFORSCHUNG<br />
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