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RAUM Gefühl

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hingegen ist noch immer Handarbeit.<br />

Mit einem selbstgebauten Hobel in<br />

runder Form übrigens. Tatsächlich ist<br />

er damit binnen weniger Minuten fertig,<br />

weswegen wir uns fragen, ob man<br />

an einem Tag ein gesamtes Alphorn<br />

bauen kann. Vehementes Kopfschütteln<br />

ist die Antwort des Profis. Etwa<br />

30 bis 35 Stunden bringt er damit zu,<br />

ein einzelnes Instrument zu fertigen.<br />

So wird es luftdicht<br />

Sind Hand-, Mittel-, und Becherrohr<br />

fertig, werden sie zusammengesteckt,<br />

wobei Wagner zwischen<br />

den Teilen Stücke aus Metall einfügt,<br />

die sogenannten Buchsen. Wozu die<br />

nötig sind? „Holz arbeitet. Sowohl<br />

beim Spielen durch die Feuchte als<br />

auch bei Kälte“, erklärt der gelernte<br />

Zimmerer. Im Rückschluss bedeutet<br />

das: Die Teile würden nicht luftdicht<br />

schließen, ein sauberes Alphornspiel<br />

wäre damit undenkbar. Ganz davon<br />

zu schweigen, dass die permanente<br />

Reibung vom Zusammenstecken und<br />

Auseinanderziehen über Jahre und<br />

Jahrzehnte hinweg dem Holz schaden<br />

würde.<br />

Apropos schaden: Für gewöhnlich<br />

kennt man an Alphörnern eine gerippte<br />

Struktur – vom Becher einmal<br />

abgesehen. Doch keines der Teile,<br />

die Wagner uns bislang gezeigt hat,<br />

weist diese gerippte Struktur auf. Was<br />

einen guten Grund hat, denn erst zuletzt<br />

wird das Instrument mit sogenanntem<br />

Peddigrohr umwickelt, was<br />

dem Schutz des Horns dienen soll.<br />

Immer wieder habe er Kunden, die<br />

ihr Alphorn ohne Peddigrohr mit nach<br />

Hause nehmen würden, weil sie das<br />

glatte Holz optisch ansprechender<br />

Gefährliches Handwerk:<br />

Manch einer hat sich bei<br />

dieser Arbeit schon in<br />

die Rippen geschnitten.<br />

fänden, erzählt Wagner. Nur um nach<br />

wenigen Jahren zu ihm zurückzukehren<br />

– mit verbeultem Alphorn und der<br />

Erkenntnis, dass die Schutzschicht<br />

ihren Sinn hat.<br />

Mit dem Peddigrohr verbaut Wagner<br />

zumindest einen Rohstoff, der nicht<br />

seiner Heimat entstammt, denn die<br />

Stängel der Rattanpalme kommen<br />

aus dem südostasiatischen Regenwald.<br />

Nicht so das Holz. Um geeignetes<br />

Material für seine Alphörner zu<br />

finden, streift auch Martin Wagner<br />

gleich seinem Vater durch die heimischen<br />

Wälder in nächster Umgebung.<br />

Abgesehen von der Suche im eigenen<br />

Privatwald ist er insbesondere bei<br />

größeren Rodungen anderer Waldbesitzer<br />

vor Ort. „Mir reicht ja oft ein Riesenstamm“,<br />

sagt Wagner. Und sogar<br />

ein fauliger Kern tue seiner Arbeit keinen<br />

Abbruch, denn die Einzelteile der<br />

Alphörner würden ohnehin ausgehöhlt.<br />

Was dem Mann Sorge bereitet,<br />

ist der Klimawandel. Für die Mundstücke<br />

seiner Instrumente verwendet<br />

er nämlich vorzugsweise Ulmenholz<br />

und somit das Holz jenes Baumes,<br />

der schon bald klimabedingt ausgestorben<br />

sein kann.<br />

Mysterium Grundton<br />

Was sich dem Laien am wenigsten<br />

erschließt, ist die Tongebung des Alphorns.<br />

Jedes von Wagners Instrumenten<br />

verlässt seine Werkstatt mit dem<br />

Grundton F – es sei denn der Kunde<br />

wünscht einen anderen Grundton.<br />

Nur woher kommt der Grundton<br />

überhaupt? „Grundsätzlich bekomme<br />

ich den über die Länge des Alphorns<br />

zustande“, erläutert Wagner. Und<br />

fährt fort: „Eine Länge von 3,60 Meter<br />

ergibt ungefähr den Grundton F.“ Nun<br />

zeigt sich auch, dass ein Alphornbauer<br />

das Instrument selbst beherrschen<br />

muss, denn er bespielt es so<br />

lange und kürzt oben immer wieder<br />

ein Stück weg, bis der Ton F in seinen<br />

Ohren perfekt scheint.<br />

Nach fast schon göttlicher Perfektion<br />

klingt es, hört man das Alphornspiel<br />

unverhofft auf einer Wanderung vor<br />

Bergkulisse. Im Allgäu inzwischen<br />

eine Seltenheit. Mehr Glück hat man<br />

in der Schweiz – beispielsweise im<br />

Appenzellerland. Einst diente das Alphorn<br />

als Zuruf unter den Älplern. Eine<br />

Tradition, die in der Schweiz noch<br />

immer hochgehalten wird. Zeuge dieser<br />

schwerelosen Töne zu werden,<br />

die von einem Gipfel zum nächsten<br />

schweben, lässt einen innehalten. Andächtig<br />

lauschen. Sich klein fühlen in<br />

Gottes großer Schöpfung.<br />

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