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RAUM Gefühl

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gleichberechtigt behandeln. Insbesondere<br />

wenn sich der Alphornbauer<br />

auf das Allgäu in seinem Kundenstamm<br />

beschränken würde, könnte<br />

er beispielsweise auch die bekannten<br />

Well-Brüder nicht mehr bedienen.<br />

ÜBERFAHRENES ALPHORN<br />

Von ihnen kam einst Stofferl Well<br />

nach einem Verkehrsunfall auf den<br />

Alphornhof ins Weißachtal mit der<br />

Bitte um Reparatur. Er hatte auf einer<br />

Motorradtour sein Alphorn überrollt.<br />

Jemanden wie Martin Wagner zu finden,<br />

der nicht nur neue Instrumente<br />

fertigt, sondern auch alte repariert,<br />

kommt beinahe einem Lotteriegewinn<br />

gleich. Kaum einer macht sich heutzutage<br />

noch die Arbeit. Kein Wunder,<br />

denn bei den meisten liegen die fertigen<br />

Alphörner zur Mitnahme bereit<br />

auf dem Ladentisch. Wozu die Mühe<br />

einer langwierigen und meist komplizierten<br />

Reparatur auf sich nehmen?<br />

Der Oberstaufener hingegen kann ein<br />

solches Verhalten nicht mit seinem<br />

Gewissen vereinbaren: „Ich kann<br />

doch den Leuten nichts verkaufen,<br />

ohne es später zu reparieren.“<br />

An diesem Tag fliegen lange Hobelspäne<br />

zu Boden. Martin Wagner höhlt<br />

soeben ein Mittelrohr aus. Wobei dieser<br />

Arbeitsschritt nicht so zu verstehen<br />

ist, dass er ein rundes Stück Holz<br />

von innen heraus mit einem großen<br />

Loch versieht – vielmehr sind es zwei<br />

Hälften, die am Schluss zusammengeleimt<br />

werden. Die Vorarbeit hat er<br />

maschinell erledigt, der Feinschliff<br />

Ein Raum voller Maschinen –<br />

doch sie erledigen nur die<br />

Vorarbeit. Die wesentliche Fertigung<br />

des Alphorns geschieht per Hand.<br />

Text & Fotos: Isabelle Gassama<br />

Einst zog es seinen Vater auf der Suche<br />

nach Krümmlingen in die Berge.<br />

Besonders an schneereichen Steilhängen<br />

wurde er fündig. Dort wachsen<br />

häufig Fichten, die der Schnee<br />

winters niederdrückt, bis sie nach<br />

der Schmelze wieder dem Licht entgegenstreben.<br />

Schon ist der Krümmling<br />

geboren. Wie sein Name verrät,<br />

wächst ein solcher Baum von der<br />

Schräge zurück in die Senkrechte,<br />

was den Stamm unten zum perfekten<br />

Alphornbecher formt – sollte man<br />

meinen.<br />

Doch Martin Wagner, der im Weißachtal<br />

von Oberstaufen in die Fußstapfen<br />

des Vaters getreten ist und<br />

hobbymäßig Alphörner fertigt, weiß<br />

nur zu gut, dass diese Meinung längst<br />

verjährt ist. In einer Welt der Technik,<br />

der Roboter, der Gleichförmigkeit –<br />

wer schätzt da noch den Wuchs der<br />

Natur, ungestüm und unberechenbar?<br />

Ein Alphorn mit individueller<br />

Krümmung ist aus der Mode geraten.<br />

In einer Gruppe von mehreren<br />

Spielern soll es einheitlich aussehen<br />

– dank errechneter Maße. Weswegen<br />

der gelernte Zimmerer die hölzernen<br />

Instrumente nun auf Wunsch seiner<br />

Kunden aus Dielen formt.<br />

TRANSPORT – EIN PROBLEM?<br />

Ist das Alphorn fertig, wirkt es wie<br />

aus einem Stück Holz geschnitzt. Bei<br />

einer Länge von über dreieinhalb Metern<br />

wundert man sich durchaus, wie<br />

dieses Instrument überhaupt transportfähig<br />

sein kann. Doch die Lösung<br />

ist banal: Jedes Alphorn besteht aus<br />

drei Teilen – dem Handrohr, Mittelrohr<br />

und Becherrohr. Was den Transport<br />

allerdings nicht automatisch zu<br />

einem Kinderspiel macht. Die Fracht<br />

nach Amerika ist laut Wagner immer<br />

eine Gratwanderung zwischen der<br />

Anlieferung eines Musikinstrumentes<br />

und einem Haufen Brennholz.<br />

Wozu Amerikaner überhaupt Alphörner<br />

gebrauchen können? „Die haben<br />

das Alphornspiel längst übernommen“,<br />

sagt Wagner und lacht kurz.<br />

Es klingt ein wenig freudlos. Er denkt<br />

an Lederhose und Gamsbart, mit<br />

denen sich die Bewohner des fernen<br />

Kontinents gerne schmücken und<br />

dazu Blasmusik spielen. „Bedenklich“<br />

nennt er diesen Trend, doch<br />

möchte er seine Kunden andererseits<br />

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