BIG_Magazin_2021-1_Nr_113_V4
big magazin nr. 113 Köln-Bickendorf und Umgebung
big magazin nr. 113
Köln-Bickendorf und Umgebung
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
big aktuell
Ein Veedel verändert sich: Eine Bildmontage zeigt, wie es aussehen könnte
Ein Gespenst geht um in Bickendorf…
Besteht für Bickendorf die Gefahr der Gentrifizierung?
Ein Gespenst geht um in
Bickendorf – nicht der Kommunismus
– die Gentrifizierung.
Es gibt viele Menschen, die diesen
Begriff noch nicht einmal
unfallfrei aussprechen können,
geschweige denn wissen, was
sich dahinter verbirgt. Wieder
andere haben eine diffuse Vorstellung
von der Bedeutung
des Wortes. Wiederum andere
reduzieren den Begriff Gentrifizierung
auf steigende Mieten
und das Verdrängen einkommensschwacher
Menschen.
Auch in Bickendorf gibt es diese
Befürchtung. Deswegen soll an
dieser Stelle untersucht werden,
ob diese Furcht begründet ist.
Entzündet hat sich in Bickendorf
die Debatte an dem Plan,
die Aufbauten auf dem ehemaligen
Bruncken-Motoren-Gelände
zwischen Rochusstraße und
Teichstraße abzureißen und dort
neue Wohnungen zu errichten.
Was wird unter Gentrifizierung
verstanden?
Die Grundstücksfläche ist zwar
relativ groß. Aber lässt sich aus einem
Bauvorhaben dieser Größe
bereits die Gefahr einer Gentrifizierung
Bickendorfs ableiten
– oder gar bereits das Entstehen
dieser? Der Begriff Gentrifizierung
ist erst in den letzten
zwanzig Jahren in Mode gekommen,
obschon er bereits 1964
geschaffen wurde. Die britische
Soziologin Ruth Glass schuf den
Begriff „gentrification“, um das
Phänomen zu beschreiben, dass
Mittelschichtfamilien in das
Londoner Arbeiterviertel Islington
zogen. Letztendlich ist der
Begriff auf das 18. Jahrhundert
zurück zu führen, als der niedrige
englische Adel – Gentry
– vom Land in die Großstädte
zog. Dieses führte zu einer
Konkurrenz mit der ärmeren
Stadtbevölkerung um den vorhandenen
Wohnraum. Bereits
an dieser Stelle wird deutlich,
dass die Gentrifizierung nur
dann in Betracht kommt, wenn
in größerem Umfang eine Verdrängung
stattfindet. Vereinzelte
Baumaßnahmen in einem
Umfeld bestehender intakter
Bebauung können nicht zu
einer Gentrifizierung führen.
Das gilt insbesondere dann
nicht, wenn bislang unbebaute
kleinere Grundstücke erstmalig
bebaut und dann zugegebenermaßen
zu atemberaubenden
Mieten von 17,– €/m² vermietet
werden. Denn von bisher
unbebauten Flächen kann
niemand verdrängt werden.
Von einer Gentrifizierung kann
erst dann gesprochen werden,
wenn neben einer Vielzahl von
überteuerten Mietwohnungen
auch die bisherigen bodenständigen
Geschäfte verdrängt und
durch andere hippe Locations
ersetzt werden: den Designerladen,
den Demeterladen, den
Sushiladen, den Edelitaliener
oder den Sternekoch. Erst dann,
wenn dieser Wandel in seiner
Gesamtheit erkennbar ist, dann
kann die Gefahr einer Gentrifizierung
befürchtet werden,
mit der Folge, dass aus einem
Stadtgebiet Arme, Alte, Arbeitslose
und Ausländer verdrängt
werden, so die Gentrifizierungsforscherin
Ilse Helbrecht von der
Humboldt-Universität in Berlin.
Die Erfahrung lehrt jedoch,
dass „die Gentrifizierung erst
Bild: Peter Johann Kierzkowski
dann einsetzt, wenn sich in den
Stadtteilen über Jahre gar nichts
verändert, dann verändern sie
sich negativ.“, so Ilse Helbrecht.
Nach diesem Herunterkommen
setzt die Gentrifizierung ein,
siehe Alt-Ehrenfeld. Um diesen
Stadtteil hatte sich die Stadtplanung
jahrelang nicht gekümmert,
bis man festgestellt
hat, dass dort eine großräumige
und flächendeckende Sanierung
dringend erforderlich ist mit der
Folge der – mäßigen – Gentrifizierung.
Kann das in Bickendorf passieren?
Bickendorf besteht aus einer
Reihe von abgrenzbaren Wohngebieten,
dem Westend, der Kölner
Gartensiedlung (Akazienweg/Erlenweg),
der Mehrfamilienhaussiedlung
aus den
1920er-Jahren (Venloer Straße/
Akazienweg/Grüner Brunnenweg),
der Einfamilienhaussiedlung
(Sandweg/Grüner
Brunnenweg/Akazienweg),
den großen Neubausiedlungen
(Akazienweg/Venloer Straße),
dem Rochusplatz und dem vormaligen
Grotengelände (Häuschensweg/Grüner
Brunnenweg).
Keines der Mehrfamilienhausgebiete
ist im Besitz von
privaten Investoren. Der größte
Teil befindet sich im Besitz der
GAG, einer Wohnungsbaugesellschaft
in städtischer Hand.
Vor circa zwei Jahrzehnten gab
es ernsthafte Bestrebungen der
CDU-Ratsfraktion, diese Wohnungsbaugesellschaft
zu privatisieren.
In einer Zeit als die
Not bezahlbaren Wohnraums
noch nicht ins Auge fiel, aber
schon vorausgesagt wurde. Der
Plan der CDU-Fraktion ist dank
des großen politischen Widerstandes
gescheitert. Deswegen
konnten von der GAG auf den
Neubaugebieten Wohnungen
errichtet werden, die preisgünstig
sind. Sei es aufgrund öffentlicher
Förderung, aber auch
aufgrund moderater Preispolitik
der Gesellschaft. Die Mehrfamilienhaussiedlung
aus den
1920er-Jahren wurde vollständig
modernisiert und im Äußeren
nach historischem Vorbild
restauriert. Im Rahmen dessen
hat die GAG nicht den Miet-Erhöhungsrahmen
ausgeschöpft,
den der Gesetzgeber zulässt,
wenn Wohnungen modernisiert
worden sind. Das Gleiche gilt
für Baumaßnahmen der Kölner
Gartensiedlung. Freie große
Grundstücksflächen gibt es in
Bickendorf nicht, auf denen ein
privater Investor Wohnungen
bauen und diese zu überzogenen
Preisen vermieten könnte.
Ist das 4711-Gelände im Umbruch?
Gleichwohl ist Obacht geboten.
Der Presse war zu entnehmen,
dass die Firma Coty
auf dem ehemaligen 4711-
Gelände (Wilhelm-Mauser-Straße/Venloer
Straße/Akazienweg)
die Produktion einstellen wird.
Hier sollten Stadtrat, Bezirksvertretung
und Stadtverwaltung
rechtzeitig – und darauf liegt
die Betonung – dafür sorgen,
dass ein Bebauungsplan aufgestellt
wird, der Wohnbebauung
mit kleinen Gewerbeeinheiten
vorsieht. Des Weiteren muss
dafür gesorgt werden, dass
das Grundstück in städtische
Hand gelangt, damit Stadtrat
und Stadtverwaltung Einfluss
nehmen können. Nur diese
Vorgehensweise gewährleistet
eine sozial verträgliche Wohnbebauung,
die sich auch durch
moderate Mieten auszeichnet.
Denkbar ist es, auf dem recht
großen Gelände nicht nur Mehrfamilienhäuser,
sondern auch
Einfamilienhäuser zu errichten.
Welcher Strukturwandel droht
im Einzelhandel?
Die vorhandene Struktur der
Wohnbebauung und die Neubaukapazitäten
auf vereinzelten
kleinen Grundstücken lassen
also nicht den Schluss zu, dass
es zu einer Gentrifizierung in
Bickendorf kommen wird. Daraus
folgt aber auch, dass keine
hippen Läden mit überteuertem
Angebot entstehen, da dafür in
Bickendorf aufgrund der Bevölkerungs-
und Wohnungsstruktur
die Kaufkraft fehlt. Abgesehen
von der Corona-Situation stellt
sich die Lage in Bickendorf
so dar, dass viele Geschäfte
– auch kleinere – deswegen
gut bestehen können, weil sie
gute Leistungen zu moderaten
Preisen anbieten. Gewiss, der
FERAS ASAAD
Staatl. gepr. Physiotherapeut • Heilpraktiker für Physiotherapie
Venloer Straße 690 – 692 • 50827 Köln
Tel. 0221 / 27 641 430
big aktuell
Einzelhandel unterliegt auch in
Bickendorf dem Strukturwandel,
der jedoch nicht einer örtlichen
Gentrifizierung geschuldet ist,
sondern dem Internethandel
und den Großanbietern auf der
grünen Wiese.
Deswegen erscheint es zumindest
schwierig, dass in den
Gewerberäumen, die auf dem
Rochusplatz geschaffen worden
sind, aber auch in der Ladenzeile
des Westcenters, eine gute
Gewerbestruktur etabliert werden
kann. Hier ist den Betreibern
der beiden Ladenzeilen ein
gutes und glückliches Händchen
zu wünschen.
Sicherlich könnte man sich an
dieser Stelle noch mit der Frage
beschäftigen, ob Bestandsgebäude
grundsätzlich zu erhalten
sind oder ob diese ohne Rücksichtnahme
auf ihren Erhaltungswert
abgerissen werden
dürfen. Diese Notwendigkeit
stellt sich jedoch bei der Betrachtung,
ob die Gefahr der
Gentrifizierung besteht, nicht,
da diese sowohl durch den Abbruch
von Altbauten und den
anschließenden Neubau als
auch durch die Modernisierung
von Altbauten bewerkstelligt
werden kann. Es liegt im Wesen
eines Gespenstes, das es real
nicht wahrnehmbar ist und eben
nur in der Fantasie existiert. So
verhält es sich auch mit der
Gentrifizierung in Bickendorf.
Sie ist nur ein Gespenst.
■ Joseph Schnitzler
Öffnungszeiten:
Montag – Freitag 09.00 – 12.00 Uhr · Montag, Dienstag, Donnerstag 15.00 – 18.00 Uhr
und nach Vereinbarung
PRAXIS FÜR PHYSIOTHERAPIE
• Krankengymnastik • Heißluft / Fango • Manuelle Therapie • Kältetherapie
• Atem-Therapie • Elektrotherapie • Massage • Kinesio-Taping
• Med. Wellness-Massage • Hausbesuche
Alle Kassen & Privat
14 www.bickendorf.info
Ausgabe 1/2021 | Nr. 113 15