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big magazin nr. 113 Köln-Bickendorf und Umgebung

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Köln-Bickendorf und Umgebung

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Ein Veedel verändert sich: Eine Bildmontage zeigt, wie es aussehen könnte

Ein Gespenst geht um in Bickendorf…

Besteht für Bickendorf die Gefahr der Gentrifizierung?

Ein Gespenst geht um in

Bickendorf – nicht der Kommunismus

– die Gentrifizierung.

Es gibt viele Menschen, die diesen

Begriff noch nicht einmal

unfallfrei aussprechen können,

geschweige denn wissen, was

sich dahinter verbirgt. Wieder

andere haben eine diffuse Vorstellung

von der Bedeutung

des Wortes. Wiederum andere

reduzieren den Begriff Gentrifizierung

auf steigende Mieten

und das Verdrängen einkommensschwacher

Menschen.

Auch in Bickendorf gibt es diese

Befürchtung. Deswegen soll an

dieser Stelle untersucht werden,

ob diese Furcht begründet ist.

Entzündet hat sich in Bickendorf

die Debatte an dem Plan,

die Aufbauten auf dem ehemaligen

Bruncken-Motoren-Gelände

zwischen Rochusstraße und

Teichstraße abzureißen und dort

neue Wohnungen zu errichten.

Was wird unter Gentrifizierung

verstanden?

Die Grundstücksfläche ist zwar

relativ groß. Aber lässt sich aus einem

Bauvorhaben dieser Größe

bereits die Gefahr einer Gentrifizierung

Bickendorfs ableiten

– oder gar bereits das Entstehen

dieser? Der Begriff Gentrifizierung

ist erst in den letzten

zwanzig Jahren in Mode gekommen,

obschon er bereits 1964

geschaffen wurde. Die britische

Soziologin Ruth Glass schuf den

Begriff „gentrification“, um das

Phänomen zu beschreiben, dass

Mittelschichtfamilien in das

Londoner Arbeiterviertel Islington

zogen. Letztendlich ist der

Begriff auf das 18. Jahrhundert

zurück zu führen, als der niedrige

englische Adel – Gentry

– vom Land in die Großstädte

zog. Dieses führte zu einer

Konkurrenz mit der ärmeren

Stadtbevölkerung um den vorhandenen

Wohnraum. Bereits

an dieser Stelle wird deutlich,

dass die Gentrifizierung nur

dann in Betracht kommt, wenn

in größerem Umfang eine Verdrängung

stattfindet. Vereinzelte

Baumaßnahmen in einem

Umfeld bestehender intakter

Bebauung können nicht zu

einer Gentrifizierung führen.

Das gilt insbesondere dann

nicht, wenn bislang unbebaute

kleinere Grundstücke erstmalig

bebaut und dann zugegebenermaßen

zu atemberaubenden

Mieten von 17,– €/m² vermietet

werden. Denn von bisher

unbebauten Flächen kann

niemand verdrängt werden.

Von einer Gentrifizierung kann

erst dann gesprochen werden,

wenn neben einer Vielzahl von

überteuerten Mietwohnungen

auch die bisherigen bodenständigen

Geschäfte verdrängt und

durch andere hippe Locations

ersetzt werden: den Designerladen,

den Demeterladen, den

Sushiladen, den Edelitaliener

oder den Sternekoch. Erst dann,

wenn dieser Wandel in seiner

Gesamtheit erkennbar ist, dann

kann die Gefahr einer Gentrifizierung

befürchtet werden,

mit der Folge, dass aus einem

Stadtgebiet Arme, Alte, Arbeitslose

und Ausländer verdrängt

werden, so die Gentrifizierungsforscherin

Ilse Helbrecht von der

Humboldt-Universität in Berlin.

Die Erfahrung lehrt jedoch,

dass „die Gentrifizierung erst

Bild: Peter Johann Kierzkowski

dann einsetzt, wenn sich in den

Stadtteilen über Jahre gar nichts

verändert, dann verändern sie

sich negativ.“, so Ilse Helbrecht.

Nach diesem Herunterkommen

setzt die Gentrifizierung ein,

siehe Alt-Ehrenfeld. Um diesen

Stadtteil hatte sich die Stadtplanung

jahrelang nicht gekümmert,

bis man festgestellt

hat, dass dort eine großräumige

und flächendeckende Sanierung

dringend erforderlich ist mit der

Folge der – mäßigen – Gentrifizierung.

Kann das in Bickendorf passieren?

Bickendorf besteht aus einer

Reihe von abgrenzbaren Wohngebieten,

dem Westend, der Kölner

Gartensiedlung (Akazienweg/Erlenweg),

der Mehrfamilienhaussiedlung

aus den

1920er-Jahren (Venloer Straße/

Akazienweg/Grüner Brunnenweg),

der Einfamilienhaussiedlung

(Sandweg/Grüner

Brunnenweg/Akazienweg),

den großen Neubausiedlungen

(Akazienweg/Venloer Straße),

dem Rochusplatz und dem vormaligen

Grotengelände (Häuschensweg/Grüner

Brunnenweg).

Keines der Mehrfamilienhausgebiete

ist im Besitz von

privaten Investoren. Der größte

Teil befindet sich im Besitz der

GAG, einer Wohnungsbaugesellschaft

in städtischer Hand.

Vor circa zwei Jahrzehnten gab

es ernsthafte Bestrebungen der

CDU-Ratsfraktion, diese Wohnungsbaugesellschaft

zu privatisieren.

In einer Zeit als die

Not bezahlbaren Wohnraums

noch nicht ins Auge fiel, aber

schon vorausgesagt wurde. Der

Plan der CDU-Fraktion ist dank

des großen politischen Widerstandes

gescheitert. Deswegen

konnten von der GAG auf den

Neubaugebieten Wohnungen

errichtet werden, die preisgünstig

sind. Sei es aufgrund öffentlicher

Förderung, aber auch

aufgrund moderater Preispolitik

der Gesellschaft. Die Mehrfamilienhaussiedlung

aus den

1920er-Jahren wurde vollständig

modernisiert und im Äußeren

nach historischem Vorbild

restauriert. Im Rahmen dessen

hat die GAG nicht den Miet-Erhöhungsrahmen

ausgeschöpft,

den der Gesetzgeber zulässt,

wenn Wohnungen modernisiert

worden sind. Das Gleiche gilt

für Baumaßnahmen der Kölner

Gartensiedlung. Freie große

Grundstücksflächen gibt es in

Bickendorf nicht, auf denen ein

privater Investor Wohnungen

bauen und diese zu überzogenen

Preisen vermieten könnte.

Ist das 4711-Gelände im Umbruch?

Gleichwohl ist Obacht geboten.

Der Presse war zu entnehmen,

dass die Firma Coty

auf dem ehemaligen 4711-

Gelände (Wilhelm-Mauser-Straße/Venloer

Straße/Akazienweg)

die Produktion einstellen wird.

Hier sollten Stadtrat, Bezirksvertretung

und Stadtverwaltung

rechtzeitig – und darauf liegt

die Betonung – dafür sorgen,

dass ein Bebauungsplan aufgestellt

wird, der Wohnbebauung

mit kleinen Gewerbeeinheiten

vorsieht. Des Weiteren muss

dafür gesorgt werden, dass

das Grundstück in städtische

Hand gelangt, damit Stadtrat

und Stadtverwaltung Einfluss

nehmen können. Nur diese

Vorgehensweise gewährleistet

eine sozial verträgliche Wohnbebauung,

die sich auch durch

moderate Mieten auszeichnet.

Denkbar ist es, auf dem recht

großen Gelände nicht nur Mehrfamilienhäuser,

sondern auch

Einfamilienhäuser zu errichten.

Welcher Strukturwandel droht

im Einzelhandel?

Die vorhandene Struktur der

Wohnbebauung und die Neubaukapazitäten

auf vereinzelten

kleinen Grundstücken lassen

also nicht den Schluss zu, dass

es zu einer Gentrifizierung in

Bickendorf kommen wird. Daraus

folgt aber auch, dass keine

hippen Läden mit überteuertem

Angebot entstehen, da dafür in

Bickendorf aufgrund der Bevölkerungs-

und Wohnungsstruktur

die Kaufkraft fehlt. Abgesehen

von der Corona-Situation stellt

sich die Lage in Bickendorf

so dar, dass viele Geschäfte

– auch kleinere – deswegen

gut bestehen können, weil sie

gute Leistungen zu moderaten

Preisen anbieten. Gewiss, der

FERAS ASAAD

Staatl. gepr. Physiotherapeut • Heilpraktiker für Physiotherapie

Venloer Straße 690 – 692 • 50827 Köln

Tel. 0221 / 27 641 430

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Einzelhandel unterliegt auch in

Bickendorf dem Strukturwandel,

der jedoch nicht einer örtlichen

Gentrifizierung geschuldet ist,

sondern dem Internethandel

und den Großanbietern auf der

grünen Wiese.

Deswegen erscheint es zumindest

schwierig, dass in den

Gewerberäumen, die auf dem

Rochusplatz geschaffen worden

sind, aber auch in der Ladenzeile

des Westcenters, eine gute

Gewerbestruktur etabliert werden

kann. Hier ist den Betreibern

der beiden Ladenzeilen ein

gutes und glückliches Händchen

zu wünschen.

Sicherlich könnte man sich an

dieser Stelle noch mit der Frage

beschäftigen, ob Bestandsgebäude

grundsätzlich zu erhalten

sind oder ob diese ohne Rücksichtnahme

auf ihren Erhaltungswert

abgerissen werden

dürfen. Diese Notwendigkeit

stellt sich jedoch bei der Betrachtung,

ob die Gefahr der

Gentrifizierung besteht, nicht,

da diese sowohl durch den Abbruch

von Altbauten und den

anschließenden Neubau als

auch durch die Modernisierung

von Altbauten bewerkstelligt

werden kann. Es liegt im Wesen

eines Gespenstes, das es real

nicht wahrnehmbar ist und eben

nur in der Fantasie existiert. So

verhält es sich auch mit der

Gentrifizierung in Bickendorf.

Sie ist nur ein Gespenst.

■ Joseph Schnitzler

Öffnungszeiten:

Montag – Freitag 09.00 – 12.00 Uhr · Montag, Dienstag, Donnerstag 15.00 – 18.00 Uhr

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14 www.bickendorf.info

Ausgabe 1/2021 | Nr. 113 15

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