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Jazz in den Zeiten der Cholera - Horch und Guck

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Jan Eik<br />

<strong>Jazz</strong> <strong>in</strong> <strong>den</strong> <strong>Zeiten</strong> <strong>der</strong> <strong>Cholera</strong><br />

Es begann mit e<strong>in</strong>em Veranstaltungs-H<strong>in</strong>weis <strong>in</strong> <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er<br />

Zeitung. Für e<strong>in</strong>en Donnerstagabend war im FDJ-<br />

Klubhaus »Helmut Just« <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gartenstraße am Nordbahnhof<br />

e<strong>in</strong> Vortrag über »Vorformen des <strong>Jazz</strong>« angekündigt.<br />

Das muß im Februar o<strong>der</strong> März 1956 gewesen se<strong>in</strong>.<br />

Geme<strong>in</strong>sam mit Klassenkamera<strong>den</strong> aus <strong>der</strong> Oberschule<br />

fuhr ich zum Klubhaus. Den Vortrag hielt Tommy H<strong>in</strong>ze,<br />

neben dem späteren Journalisten C. W. Stockfisch <strong>und</strong><br />

dem Bandlea<strong>der</strong> Alfons Wonneberg so etwas wie <strong>der</strong><br />

Vorstand e<strong>in</strong>er gerade etablierten »Interessengeme<strong>in</strong>schaft<br />

<strong>Jazz</strong>«. Wonneberg, als sturmerprobter Tanzmusiker auch<br />

von <strong>der</strong> Figur her prädest<strong>in</strong>iert, als Vorsitzen<strong>der</strong> alle<br />

Anwürfe gegen <strong>den</strong> verdächtigen Vere<strong>in</strong> an sich abprallen<br />

zu lassen, war e<strong>in</strong> Bebop-Fan, wie wir bald genug erfuhren<br />

- e<strong>in</strong>e Musik, von <strong>der</strong> wir bis dah<strong>in</strong> allenfalls <strong>den</strong> verballhornten<br />

Namen gekannt hatten.Wie es sich für e<strong>in</strong>en<br />

deutschen Vere<strong>in</strong> gehört, gab es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Interessengeme<strong>in</strong>schaft<br />

bald Mitgliedsausweise, e<strong>in</strong>e orangerote<br />

Klappkarte mit dem aufgedruckten Motto von Sidney<br />

»Wie es sich für e<strong>in</strong>en deutschen Vere<strong>in</strong> gehört...«: <strong>der</strong><br />

»Ersatz«-Ausweis für <strong>den</strong> ursprünglichen; 10,5 x7 cm<br />

F<strong>in</strong>ckelste<strong>in</strong>: »Der <strong>Jazz</strong> ist nicht <strong>der</strong> Nabel <strong>der</strong> Welt.« Das<br />

war natürlich bloße Mimikry, vorgetäuschter Schutz gegen<br />

die mächtig auf-, weit mehr noch nie<strong>der</strong>bran<strong>den</strong><strong>den</strong><br />

Wellen <strong>der</strong> offiziellen Kulturpolitik, auf <strong>den</strong>en das<br />

schwächliche <strong>Jazz</strong>-Schiffle<strong>in</strong> gefährlich schl<strong>in</strong>gerte. In<br />

Wahrheit war <strong>der</strong> <strong>Jazz</strong> für uns sehr wohl <strong>der</strong> Nabel <strong>der</strong><br />

Welt. Über die verordnete Frohkost DDR-eigener Tanzmusik<br />

konnten wir uns gar nicht lustig genug machen.<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lich verdankte die IG <strong>Jazz</strong> ihr Dase<strong>in</strong><br />

überhaupt nur <strong>der</strong> unter FDJ-Funktionären aufgekommenen<br />

Unsicherheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tauwetter-Periode nach e<strong>in</strong>em<br />

gewissen XX.Parteitag, die bis zu <strong>den</strong> Ereignissen <strong>in</strong><br />

Ungarn im Herbst 1956 anhielt. Danach verg<strong>in</strong>gen immerh<strong>in</strong><br />

zwei Jahre, bis man uns aus dem Paradies <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Gartenstraße vertrieb - e<strong>in</strong>e Zeit, die ich für me<strong>in</strong>e <strong>Jazz</strong>-<br />

Bildung optimal nutzte. Während Alfons Wonneberg uns<br />

für Fats Navarro begeisterte <strong>und</strong> wagemutige Vorstandsmitglie<strong>der</strong><br />

des im Westberl<strong>in</strong>er Amerika-Haus beheimateten<br />

New <strong>Jazz</strong> Circle Berl<strong>in</strong> (NJCB) uns von <strong>der</strong> überragen<strong>den</strong><br />

Qualität des Mo<strong>der</strong>n <strong>Jazz</strong>, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e se<strong>in</strong>er<br />

west coast-Spielarten zu überzeugen suchten, machten<br />

uns H<strong>in</strong>ze <strong>und</strong> Werner Sellhorn mit dem echtem Oldtime<br />

vertraut. Sellhorn brachte es erstaunlich schnell zu e<strong>in</strong>er<br />

umfassen<strong>den</strong> Plattensammlung; er war <strong>der</strong> geborene Diskograph<br />

<strong>und</strong> Ausgräber obskurster Musikanten aus New<br />

Orleans samt Umgebung <strong>und</strong> Vororten. E<strong>in</strong>mal versuchte<br />

er, uns die weiche Stimme des Bluessängers Josh White<br />

nahezubr<strong>in</strong>gen, aber wir stan<strong>den</strong> eher auf Big Bill Broonzy.<br />

Als »Josh«, so hieß er fortan, <strong>in</strong> dessen Berl<strong>in</strong>er Zimmer<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Christburger Straße wir lautstarke Plattenparties<br />

feierten, se<strong>in</strong>e elegante Ersche<strong>in</strong>ung schließlich durch die<br />

Anschaffung e<strong>in</strong>es steifen Hutes krönte, zogen Lefty<br />

He<strong>in</strong>icke, Wolfgang Quan<strong>der</strong> - lange Jahre <strong>Jazz</strong>rezensent<br />

<strong>der</strong> »Neuen Zeit« - <strong>und</strong> ich <strong>in</strong> die Podbielskiallee nach<br />

Dahlem <strong>und</strong> bestellten beim AFN-Disc-Jockey Bob Rich<br />

e<strong>in</strong>en »special request for Josh and his famous hat«, <strong>den</strong><br />

Rich prompt am darauffolgen<strong>den</strong> Sonnabend <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

»Frolic <strong>in</strong> <strong>Jazz</strong>«-St<strong>und</strong>e erfüllte.<br />

Abgesehen von Alfons Wonneberg, <strong>der</strong> im Juni 1956<br />

das erste Ostberl<strong>in</strong>er <strong>Jazz</strong>-Konzert im Kultursaal des<br />

Fernsprechamtes <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wilhelmstraße organisierte <strong>und</strong><br />

dort neben dem Joachim Dannenberg Quartett <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Dixielandband verschie<strong>den</strong>e Combos se<strong>in</strong>es Orchesters<br />

präsentierte, war Josh Sellhorn <strong>der</strong> rührigste <strong>Jazz</strong>er <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

IG. Er begann, mit Vorträgen <strong>und</strong> Konzerten durch<br />

Ostberl<strong>in</strong> <strong>und</strong> das Umland zu reisen <strong>und</strong> fand schließlich<br />

im »Haus Berl<strong>in</strong>« am Strausberger Platz e<strong>in</strong> Domizil für<br />

allwöchentliche Veranstaltungen mit Musikern aus bei<strong>den</strong><br />

Teilen <strong>der</strong> Stadt, aber auch mit »Zugereisten« wie<br />

Alfons Zschockelts Waschbrett Sechs aus Jena. Am beliebtesten<br />

waren beim Publikum die »Salty Dogs« <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Bluessänger <strong>und</strong> Boogie-Pianist Toby Fichelscher aus<br />

Westberl<strong>in</strong>. Der Drummer <strong>und</strong> Sänger <strong>der</strong> »Salty Dogs«,<br />

<strong>der</strong> stimmgewaltige »Baby Ko« sprach echtes Creolisch<br />

<strong>und</strong> hielt <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gartenstraße Vorträge über das wahre<br />

New Orleans.Wonneberg <strong>und</strong> Sellhorn hatten <strong>in</strong>zwischen<br />

das volkseigene Plattenlabel »Amiga«, auf dem <strong>in</strong> <strong>den</strong><br />

fünfziger Jahren nur <strong>in</strong> Ausnahmefällen etwas flottere<br />

Kurt-Henkels-Titel (darunter Lionel Hamptons »The Mess<br />

is here«!) o<strong>der</strong> Aufnahmen von Walter Dobsch<strong>in</strong>ski <strong>und</strong><br />

Kurt Hohenberg erschienen, zu <strong>Jazz</strong>-Produktionen überredet,<br />

bei <strong>den</strong>en sie selbst die »Supervision« übernahmen.<br />

Zschok-kelt, Fichelscher, die Orchester Gustav Brom <strong>und</strong><br />

Alfons Wonneberg kamen so auf 78er-Platten <strong>und</strong> mit e<strong>in</strong><br />

mit paar Jahren Verspätung gar auf <strong>den</strong> neumodischen 45-<br />

EPs heraus.<br />

Themen<br />

39


Jam-Session im Karlshorster Kohlenkeller, 1957 (oben: Gunter Czichocki tp,<br />

Wolfgang Quan<strong>der</strong> ts; unten: Dietrich Dickow bj, Friedel von Wangenheim tp,<br />

In <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung war es sche<strong>in</strong>bar e<strong>in</strong>e gol<strong>den</strong>e Zeit<br />

für <strong>den</strong> <strong>Jazz</strong>, für uns je<strong>den</strong>falls e<strong>in</strong>e Erholung von <strong>der</strong><br />

zunehmen<strong>den</strong> Militarisierung an <strong>der</strong> Oberschule <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Verständnislosigkeit <strong>der</strong> Lehrer <strong>und</strong> Funktionäre,<br />

die sich auf <strong>den</strong> damals üblichen<br />

Jugendforen spreizten. Zweimal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Woche<br />

fuhr ich zu <strong>den</strong> Vorträgen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gartenstraße<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong>s Amerika-Haus, <strong>und</strong> wenn das<br />

Geld reichte, auch noch <strong>in</strong>s Haus Berl<strong>in</strong>.<br />

Am liebsten natürlich zur Jam-Session, bei<br />

<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Instrumentenkoffer als E<strong>in</strong>trittskarte<br />

genügte. Wir hatten <strong>in</strong>zwischen so etwa<br />

wie e<strong>in</strong>e eigene Band zusammengebracht,<br />

mit <strong>der</strong> wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Karlshorster Kohlenkeller<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Biesdorfer Kulturhaus<br />

probten. E<strong>in</strong>es schönen Tages schanzte uns<br />

jemand e<strong>in</strong>e Fasch<strong>in</strong>gs-Mugge im »Klub<br />

Junger Künstler« <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klosterstraße zu.<br />

Ich durfte es übernehmen, die AWA-Listen<br />

mit Phantasie-Übersetzungen von <strong>Jazz</strong>-Titeln<br />

auszufüllen. Es galt schon die berüchtigte<br />

60:40-Klausel, die wir glatt unterlie-<br />

fen. Gespielt wur<strong>den</strong> nur eigene Kompositionen<br />

unseres Pianisten Micky Sydow, <strong>der</strong><br />

die amerikanischen Orig<strong>in</strong>al-Titel ohneh<strong>in</strong><br />

40<br />

Themen<br />

nur <strong>der</strong> Melodie nach kannte. Irgendwann<br />

im Verlauf <strong>der</strong> Nacht fragte<br />

e<strong>in</strong> junger Mann, ob Micky nicht<br />

e<strong>in</strong>en Blues <strong>in</strong> F spielen könne, <strong>und</strong><br />

sang dazu. Ich erfuhr, daß es sich um<br />

e<strong>in</strong>en unbekannten Schauspieler namens<br />

Manfred Krug handele. E<strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>er, <strong>in</strong> gesetzterem Alter, wollte<br />

gerne mit Micky vierhändig spielen.<br />

Er hieß André Asriel. Die Nacht<br />

endete übrigens damit, daß e<strong>in</strong> Betrunkener<br />

über Quan<strong>der</strong>s Klar<strong>in</strong>ette<br />

stolperte <strong>und</strong> sie zerbrach. Über <strong>den</strong><br />

Schmerz ist Q. bis heute nicht h<strong>in</strong>weg.<br />

Ansonsten trafen wir uns zu endlosen<br />

Platten-Sessions <strong>in</strong> »Heynickes<br />

Festsälen«, e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>zimmerwohnung<br />

im zweiten Hof <strong>in</strong> <strong>der</strong> Dunckerstraße<br />

am Prenzlauer Berg, <strong>und</strong> natürlich<br />

bei sämtlichen Konzerten <strong>der</strong> großen<br />

<strong>Jazz</strong>er im Sportpalast <strong>und</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Deutschlandhalle. Lionel Hampton,<br />

Sidney Bechet, Louis Armstrong,<br />

Count Basie, <strong>Jazz</strong> at the Philharmonic<br />

mit Coleman Hawk<strong>in</strong>s <strong>und</strong> Dizzy<br />

Gillespie, Ella Fitzgerald <strong>und</strong> Oscar<br />

Peterson, Dave Brubeck - <strong>den</strong> die<br />

meisten von uns nicht son<strong>der</strong>lich<br />

schätzten, wir stan<strong>den</strong> auf schwarzen<br />

<strong>Jazz</strong> - erlebten wir live <strong>und</strong> saßen<br />

für 1:1 <strong>in</strong> Ost auf <strong>den</strong> besten Plätzen.<br />

Ich er<strong>in</strong>nere mich, daß ich für das<br />

Konzert des Mo<strong>der</strong>n <strong>Jazz</strong> Quartet im<br />

Audimax <strong>der</strong> Freien Universität beim<br />

Veranstalter Wolfgang Jänicke vom<br />

NJCB etwa fünfzig Karten <strong>in</strong> <strong>den</strong><br />

ersten Reihen aufkaufte. Ke<strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong>er<br />

gab für so etwas zwölf Mark<br />

aus.<br />

Natürlich währte unser Glück nicht ewig. Der Klub<br />

Junger Künstler wurde geschlossen; unsere lästigen Aktivitäten<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Gartenstraße suchte man ebenfalls zu been-<br />

Biesdorf, 1958 (Gene Blume dr, Dietrich Dickow bj, Rolf Hildebrandt p,<br />

Wolfgang Quan<strong>der</strong> dr, Friedel von Wangenheim tr)


<strong>den</strong>. Immer häufiger tauchten leicht<br />

zu i<strong>den</strong>tifizierende Herren auf, mit<br />

Notizblöcken auf <strong>den</strong> Knien, <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>mal - Josh Sellhorn sprach über<br />

Jelly Roll Morton - versuchte e<strong>in</strong><br />

trunkener Funktionär uns über die<br />

Lage <strong>der</strong> amerika-nischen Arbeiterklasse<br />

<strong>in</strong> <strong>den</strong> zwan-ziger Jahren<br />

zu belehren. Unsere Proteste<br />

wur<strong>den</strong> als Provokation gegen <strong>den</strong><br />

ehrlichen Arbeiter gewertet.<br />

Schließlich kam es im Mai 1958<br />

zum Eklat; die FDJ rückte mit<br />

e<strong>in</strong>em größeren Funktionärsaufgebot<br />

an <strong>und</strong> verbot nach heftiger<br />

Diskussion jede weitere <strong>Jazz</strong>-<br />

Veranstaltung <strong>in</strong> ihren Räumen.<br />

Baby Ko bot uns Asyl im Landhaus<br />

Dahlem an. E<strong>in</strong> paar Mal trafen<br />

wir uns dort, dann machte jemand<br />

das Kulturhaus <strong>der</strong> Deutsch-Sowjetischen<br />

Fre<strong>und</strong>schaft »Erich<br />

Franz« ausf<strong>in</strong>dig, benannt nach<br />

e<strong>in</strong>em gerade verstorbenen Brecht-<br />

Schauspieler. Bis zur DSF hatte<br />

sich das Anti-<strong>Jazz</strong>-Verdikt ansche<strong>in</strong>end<br />

nicht herumgesprochen,<br />

<strong>und</strong> so durften wir noch e<strong>in</strong> paar<br />

Monate unsere wöchentlichen Vorträge<br />

veranstalten. Alfons Wonneberg<br />

hatte die Zeichen <strong>der</strong> Zeit<br />

richtig gedeutet <strong>und</strong> sich zurückgezogen,<br />

Josh Sellhorn <strong>und</strong> Lefty<br />

He<strong>in</strong>icke waren jetzt die Vorsitzen<strong>den</strong>,<br />

<strong>und</strong> da zwei davon nicht<br />

genügten, avancierten Jürgen<br />

Schitthelm, damals Regie-Assistent<br />

am Berl<strong>in</strong>er Ensemble <strong>und</strong><br />

heute Direktor <strong>der</strong> Schaubühne,<br />

<strong>und</strong> ich zu 3. <strong>und</strong> 4. Vorsitzen<strong>den</strong>.<br />

Überhaupt gehörten e<strong>in</strong>e Menge<br />

Leute, die später mit <strong>der</strong> Literatur<br />

o<strong>der</strong> dem Theater zu tun hatten, zu<br />

Lionel Hampton<br />

unserem Kreis: Klaus Schles<strong>in</strong>ger<br />

beispielsweise, e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Langhoff-Brü<strong>der</strong> <strong>und</strong> Friedel<br />

von Wangenheim.<br />

Bei unserem ersten (<strong>und</strong> letzten, aber das ahnten wir<br />

nicht) <strong>Jazz</strong>-Fasch<strong>in</strong>g im »Erich Franz« wollten wir u.a.<br />

»Lionel Hampton ... erlebten wir live <strong>und</strong> saßen für 1:1 Ost<br />

auf <strong>den</strong> besten Plätzen.«<br />

e<strong>in</strong> <strong>Jazz</strong>-Kabarett <strong>in</strong>szenieren, für das ich Texte verfertigte.<br />

Aus dem Programm wurde nichts; <strong>der</strong> Fasch<strong>in</strong>g im<br />

heutigen Franz-Club war <strong>den</strong>noch e<strong>in</strong> voller Erfolg. Die<br />

AWA bedachte die Veranstalter mit e<strong>in</strong>er saftigen Geldstrafe,<br />

die neben <strong>den</strong> fälligen Gebühren sofort zu zahlen war.<br />

Das war nicht nur e<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anzielle Katastrophe - wenn<br />

»Ke<strong>in</strong> Westberl<strong>in</strong>er gab für so etwas 12 Mark aus.«<br />

Themen<br />

41


überhaupt jemand von<br />

uns Geld besaß, dann<br />

gab er es zum »Schw<strong>in</strong>delkurs«<br />

für Platten aus<br />

- es bedeutete auch das<br />

endgültige Aus für die<br />

Interessengeme<strong>in</strong>schaft.<br />

Außerdem hatte<br />

jemand die Namen<br />

<strong>der</strong> Vorstandsmitglie<strong>der</strong><br />

im »NJCB Report«<br />

veröffentlicht, <strong>der</strong> als<br />

Beilage zum Programmheft<br />

e<strong>in</strong>es Ell<strong>in</strong>gton-Konzertesverkauft<br />

wor<strong>den</strong> war - e<strong>in</strong>e<br />

Art von Publicity, die<br />

im »demokratischen<br />

Sektor« gefährlich<br />

wer<strong>den</strong> konnte.<br />

Soweit war dieser<br />

Beitrag bereits im<br />

Frühjahr 1994 geschrieben.<br />

Josh Sellhorn<br />

hatte ihn für e<strong>in</strong><br />

dem <strong>Jazz</strong> gewidmetes<br />

Heft von HORCH <strong>und</strong><br />

GUCK bestellt. Ich<br />

hatte <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Archiv<br />

sogar <strong>den</strong> Kabarett-Text<br />

von 1959<br />

aufgespürt. Das genaue<br />

Datum <strong>der</strong> Veranstaltung<br />

hätte ich<br />

nicht mehr angeben<br />

können. Inzwischen<br />

weiß ich es wie<strong>der</strong>. In<br />

<strong>der</strong> Akte 13412/65 des<br />

MfS heißt es dazu:<br />

»Der GI teilte noch<br />

mit, dass <strong>der</strong> <strong>Jazz</strong>-<br />

Club am 28.2.59 e<strong>in</strong>en<br />

Fasch<strong>in</strong>g durchführen<br />

will.« »Wie er<br />

angab« - <strong>der</strong> gleiche<br />

GI »Zirkel« nämlich<br />

beim nächsten Treff<br />

am 2. 3. 59 - »waren<br />

auch Mitarbeiter <strong>der</strong><br />

Staatssicherheit zugegen<br />

gewesen.«<br />

Richtig. Die Le<strong>der</strong>mäntel<br />

hatten sie vermutlich<br />

diesmal an <strong>der</strong><br />

Gar<strong>der</strong>obe abgegeben. Daß me<strong>in</strong>e diesbezüglichen Bemerkungen<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Kabarettszene durchaus realistisch<br />

waren, bestätigt <strong>der</strong> GI: »... nehmen auch an <strong>den</strong> Clubaben<strong>den</strong><br />

meist Mitarbeiter <strong>der</strong> Staatssicherheit teil. Diese<br />

sitzen meist <strong>in</strong> Le<strong>der</strong>mänteln <strong>in</strong> <strong>der</strong> h<strong>in</strong>teren Sitzreihe <strong>und</strong><br />

schreiben sehr viel.«<br />

Nach dem Fasch<strong>in</strong>g blieb ihnen nicht mehr viel zu<br />

schreiben. Am 28. Mai heißt es im Treffbericht mit<br />

»Zirkel«: »Weiter berichtete <strong>der</strong> GI über die Auflösung<br />

<strong>der</strong> Interessengeme<strong>in</strong>schaft <strong>der</strong> <strong>Jazz</strong>fre<strong>und</strong>e im demokratischen<br />

Sektor. Die Auflösung erfolgte aufgr<strong>und</strong> e<strong>in</strong>es<br />

42<br />

Themen<br />

Kabarett-Text von Jan Eik für <strong>den</strong> <strong>Jazz</strong>-Fasch<strong>in</strong>g im »Erich Franz«, 1959, 4 Seiten, masch<strong>in</strong>enschriftlich<br />

(Seite 1 bis 3, Ausrisse)<br />

Beschlusses <strong>der</strong> Abteilung Kultur des Magistrats. Die<br />

Mehrzahl <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> stimmte <strong>der</strong> Auflösung nicht zu.<br />

... Auftrag: Kontrolle des im demokratischen Sektors<br />

aufgelösten <strong>Jazz</strong>-Clubs <strong>und</strong> <strong>der</strong> Tätigkeit <strong>der</strong> ehemaligen<br />

Mitglie<strong>der</strong> des Clubs.«<br />

Daß wir bespitzelt wur<strong>den</strong>, hatten wir immer angenommen,<br />

nicht aber, daß <strong>der</strong> Spitzel e<strong>in</strong>er von uns se<strong>in</strong><br />

könnte. Immerh<strong>in</strong> hatte sich <strong>der</strong> spätere Leiter <strong>der</strong> HA<br />

XX, Generalleutnant Paul Kienberg, im Oktober 1958<br />

selbst um die Werbung »Zirkels« bemüht <strong>und</strong> war dabei<br />

offensichtlich auf wenig Schwierigkeiten gestoßen: »Da


Kabarett-Text ... (Seite 3 bis Ende, Ausrisse)<br />

er bereits früher Verb<strong>in</strong>dung zu Mitarbeitern des MfS<br />

hatte, wandte er sich an <strong>den</strong> ihm bekannten MA Friedrich<br />

mit dem Ersuchen um Ratschlag.«<br />

Kienberg <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Leutnant Ruck hatten e<strong>in</strong>e gute Nase.<br />

»Zirkel« lieferte treulich hand- <strong>und</strong> masch<strong>in</strong>engeschriebene<br />

Vorschläge, Berichte, E<strong>in</strong>schätzungen <strong>und</strong> plau<strong>der</strong>te aus,<br />

wenn jemand ihn vor <strong>der</strong> Stasi warnte. »Sellhorn teilte mit,<br />

dass früher <strong>der</strong> Kapellmeister ... aktiv <strong>in</strong> <strong>den</strong> <strong>Jazz</strong>-Zirkeln<br />

mitgearbeitet habe. Er hat sich jedoch zurückgezogen, um<br />

Schwierigkeiten für die Arbeit se<strong>in</strong>es Orchesters aus dem<br />

Weg zu gehen. ... hat dem S. kürzlich durch e<strong>in</strong>e dritte<br />

Person mitteilen lassen, dass das Telefon des Sellhorn durch<br />

die Staatssicher-heit<br />

abgehört würde. ... habe<br />

dies durch e<strong>in</strong>en zuverlässigen<br />

Bekannten erfahren.«<br />

So beflissen sich<br />

Zirkel auch gebärdete,<br />

die klugen Genossen<br />

durchschauten ihn.<br />

»Der GI hat fünf Jahre<br />

Filosofie studiert ...<br />

nach <strong>der</strong> bisherigen<br />

E<strong>in</strong>schätzung besteht<br />

das Haupt<strong>in</strong>teresse des<br />

GI <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

dar<strong>in</strong>, durch uns<br />

e<strong>in</strong>e ihm passende<br />

leichte Arbeit zu bekommen.«<br />

Das schreibt<br />

<strong>der</strong> gleiche Führungsoffizier,<br />

<strong>der</strong> am 2. Februar<br />

1959 <strong>den</strong> Namen<br />

Anton Asriel protokolliert<br />

hatte. Am 30.<br />

11.61 meldete <strong>der</strong> neue<br />

Führungsoffizier Leutnant<br />

Re<strong>in</strong>hardt: »Als<br />

Beispiel wurde dem GI<br />

die Esparanod [!]-Spracheentgegengehalten...«<br />

»Zirkel« blieb auch<br />

nach dem Mauerbau<br />

aktiv. E<strong>in</strong>e »Arbeitsgruppe<br />

für <strong>Jazz</strong>« an <strong>der</strong><br />

Humboldt-Uni fand e<strong>in</strong><br />

schnelles Ende. Im<br />

Frühjahr 1962 schwärzt<br />

er Karlhe<strong>in</strong>z Drechsel<br />

wegen e<strong>in</strong>er <strong>Jazz</strong>-Veranstaltung<br />

<strong>in</strong> Eisenach<br />

an - »hart an <strong>der</strong> Grenze<br />

<strong>der</strong> DDR«! Doch <strong>der</strong><br />

nie<strong>der</strong>gehaltene <strong>Jazz</strong><br />

bietet kaum noch relevantes<br />

Material, <strong>und</strong> so<br />

wird »Zirkel« zum<br />

Spitzele<strong>in</strong>satz gegen<br />

die eigene Schwiegermutter,<br />

gegen Kolleg<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Schriftsteller<br />

(darunter IMs,<br />

aber das weiß er natürlich<br />

nicht) <strong>und</strong> gegen <strong>den</strong> Schwiegersohn des Außenm<strong>in</strong>isters<br />

verpflichtet, für <strong>den</strong> man sich beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>teressiert.<br />

Zehn Jahre später schließlich erfolgt se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satz »u.a. im<br />

ZOV ‘Lyriker’«: »Sellhorn wird gleichzeitig zur Abwertung<br />

Biermanns <strong>und</strong> Abschöpfung über ihn genutzt.«<br />

Me<strong>in</strong>e eigene »Kerblochkartenerfassung« bei <strong>der</strong> Stasi<br />

beg<strong>in</strong>nt übrigens mit dem Satz: »Als am 5.12.1965 e<strong>in</strong><br />

Artikel im ND erschien, <strong>der</strong> mit <strong>den</strong> negativen Ansichten<br />

<strong>und</strong> Gedichten abrechnete, wandte sich E. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schreiben<br />

an das ND gegen diesen Artikel...«<br />

Biermann hatte ich e<strong>in</strong>ige Zeit zuvor <strong>in</strong> »Zirkels«<br />

Wohnung kennengelernt...<br />

Themen<br />

43

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