Schwarze 9
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- „das haus wird besetzt, die miete nicht bezahlen!": die massen schauen<br />
(begeistert?) zu: sie besetzten nicht mit und zahlen weiter die miete.<br />
- räumung, abriß: sie gucken fern.<br />
aber am samstag, wo die große militante demonstration durch frankfurt zieht; wo mit<br />
der großen straßenschlacht die exaltante mai-atmosphäre wieder blühtet; wo die<br />
genossen mit tränen in den augen strahlend sagen: „siehst du! das sind die früchte<br />
von zwei jahren politischer arbeit!"; an dem historischen tag, wo sind die massen?<br />
die massen sind vor dem fernsehen, am samstagabend. und sie kaufen 'ihre'<br />
sonntagszeitung auf dem weg zu 'ihrem' riesigen karnevalsumzug: 'blutiger karneval'<br />
steht darauf. (reaktionärer titel, aber wer hat ihn ermöglicht?).<br />
alarmstufe I bei der polizei. sie fürchtet, daß der karnevalszug von den<br />
demonstranten entwendet werde, daß der 'helau'-schrei mit 'du sau' sich reimt. naive<br />
alte politiker. ihr wißt noch nicht:<br />
jedem seine arbeit: lohnarbeit oder politische arbeit.<br />
jedem seine freizeit: idiotisch oder politisch.<br />
jedem sein zug: karnevalszug oder demonstrationszug.<br />
jedem sein wurf: konfetti oder steine.<br />
jedem sein spektakel: komödie oder drama,<br />
toll auf jeden fall.<br />
grausame Ironie, die macht, daß das politische spektakel in dem größten umfang<br />
gerade bei den spontis wiederauftaucht, die es verbannt haben. das spektakel als<br />
ritual kultivieren die KPs, die ml-er. bei den spontis keine rituellen feste, keine<br />
paraden, keine roten fahnen, keine roten sterne, keine internationale, kein<br />
hammerundsichel. bloß eine faust, eine blosse faust. für den rest, alles ist locker,<br />
subkulturartig.<br />
aber 'politisch' bleiben sie doch, die spontis, und höchst politisch. sie setzen sich<br />
nicht nur für die politisierung der arbeiterklasse ein, sondern für die politisierung des<br />
lebens, für die politisierung des alltags.<br />
'politisch', das heißt 'getrennt'. die politik ist die technik, und vielleicht die kunst, der<br />
vermittlung. sie setzt die trennungen voraus. ist keine trennung da, muß man eine<br />
einführen. sonst nix politik. trennung.<br />
- welcher bezug besteht zwischen einem tarifabkommen und der summe von<br />
lüstchen die man sich jeden tag mittels seines lohnes erfüllen kann?<br />
- oder zwischen einem sanierungsplan und der quantität von freude, die man in einer<br />
wohnung sich organisieren kann?<br />
- oder zwischen der gastarbeiterpolitik der BRD und einem multinationalen<br />
kindergarten?<br />
- oder zwischen dem paragraphen 218 und meinem bauch der für das fünfte mal in<br />
fünf jahren sich wieder aufbläht?<br />
- oder zwischen einer roten fahne und meiner aggressivität hier und jetzt?<br />
- oder zwischen den widersprüchen des kapitalismus und der tatsache, daß es mir<br />
dreckig geht?