23.12.2012 Aufrufe

Beiträge zur Sozialen Phantasie

Beiträge zur Sozialen Phantasie

Beiträge zur Sozialen Phantasie

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Oberstudienratsgehälter kaufen können, sondern besetzen müssen. Die Militanz ersetzt den<br />

Geldbeutel. Daß es auch hier fließende Übergänge gibt, zeigt das "Crash".<br />

Wenn es einen gemeinsamen Nenner der "neuen sozialen Bewegungen" der 70er Jahre gibt,<br />

dann ist es dieser Fetischismus der unmittelbaren Bedürfnisse. Darin sind die Autonomen sich<br />

allemal mit Bhagwan einig. Vergessen wurde, was man in den 60er Jahren noch ansatzweise<br />

wußte, nämlich daß es so etwas wie "repressive Entsublimierung" (Marcuse) gibt. Bezog<br />

Marcuse das auf die Pseudobefreiung von viktorianischer Moral durch den Warenkonsum, so<br />

wiederholte sich derselbe Prozeß im Gefolge der 68er Bewegung. Die objektive Aporie, in die<br />

die kapitalistische Gesellschaft <strong>zur</strong> Zeit den revolutionären Willen setzt, wurde negativ<br />

aufgelöst. Marcuse formulierte diese Aporie auf einer Diskussionsveranstaltung 1967 in<br />

Berlin mit aller Deutlichkeit: "Sie haben 'leider die größte Schwierigkeit der Sache hier<br />

definiert. Ihr Einwand ist, daß, um die neuen revolutionären Bedürfnisse zu entwickeln, erst<br />

einmal die Mechanismen abgeschafft werden müssen, die die alten Bedürfnisse<br />

reproduzieren. Um die Mechanismen abzuschaffen, die die alten Bedürfnisse reproduzieren,<br />

muß erst einmal das Bedürfnis da sein, die alten Mechanismen abzuschaffen. Genau das ist<br />

der Zirkel, der vorliegt, und ich weiß nicht, wie man aus ihm herauskommt." (H.Marcuse: Das<br />

Ende der Utopie. Vorträge und Diskussionen in Berlin 1967, Ffm., 1980, Verlag Neue Kritik,<br />

S.38)' Anstatt nun aber diese gesellschaftliche Aporie in Kritik und Polemik zu organisieren<br />

wurde sie personalisiert. Aus der Aporie von gesellschaftlichen Bedürfnissen und<br />

revolutionärem Projekt machte man den Konflikt zwischen dem eigenen Veränderungswillen<br />

und den eigenen unmittelbaren Bedürfnissen. Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust<br />

seufzte es fortan durch den alternativen Blätterwald und nur unschwer ließ sich zwischen den<br />

Zeilen lesen, wieviel Lust diese tragische Selbstzelebrierurg bereitete. So wandelte sich das<br />

unglückliche Bewußtsein über die aktuell unmögliche Revolution langsam in die<br />

Selbstzufriedenheit, der alternative Teil der deutschen Misere zu sein, die sich selbst als<br />

politische Kultur stilisiert. Bereits die unverschämte Behauptung, der Widerspruch zwischen<br />

den eigenen Bedürfnissen und dem revolutionären Projekt sei lebbar, macht klar, daß man es<br />

mit der Revolution nie so ernst meinte - denn der revolutionäre Wille bezieht seine Kraft<br />

gerade aus der subjektiven Unmöglichkeit, in dieser Gesellschaft auch nur einigermaßen<br />

anständig leben zu können. Hinter der Anmaßung des revolutionären Willens, der schon bald<br />

nicht mehr so genannt wurde und <strong>zur</strong> "Radikalität" mutierte, verbarg sich der bürgerliche<br />

Egoismus, den eigenen Privatinteressen im öffentlichen Raum Geltung zu verschaffen. Auch<br />

deshalb sind die Grünen die politische Wahrheit der "neuen sozialen Bewegungen".<br />

Die Autonomen meinten sich dieser negativen Dialektik durch den Bezug auf Negri entziehen<br />

zu können. Indes wurde Negri in der BRD nur deshalb so geschätzt, weil er in den in der BRD<br />

bekannt gewordenen Schriften von Anfang an ein Grüner war. In Negri lasen die Autonomen<br />

ihr eigenes Fehlurteil über die deutschen Zustände in den 70er Jahren. Sie nahmen Italien so<br />

gern durch Negris Brille wahr, weil Negri über Italien so sprach, als ginge es um die deutsche<br />

Misere. So konnten sie sich in der Illusion wiegen, über die deutsche Misere hinaus und<br />

gleichzeitig ganz bei sich zu sein.<br />

Was den Autonomen irgendwann um 1980 nicht mehr an Negri gefiel, ist, daß er nun Klartext<br />

sprach und die grünen Konsequenzen aus den alternativen Prämissen zog. So hatte man es

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!