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Beiträge zur Sozialen Phantasie

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echen. Im Laufe dieser Umstrukturierung der Produktionsprozesse änderte sich die<br />

Klassenzusammensetzung. Der Massenarbeiter der riesigen Montagehallen verlor seine<br />

zentrale Stellung und löste sich in den<br />

"gesellschaftlichen Arbeiter" auf. "Gesellschaftlicher Arbeiter" ist also zunächst einfach ein<br />

nominalistischer Begriff, mit dem soziologisch-objektiv dieser Umstrukturierungsprozeß auf<br />

der Seite des variablen Kapitals beschrieben wird. Er umfaßt die unterschiedlichsten<br />

Arbeitssituationen, ist also wesentliche windiger als der Begriff des Massenarbeiters, der die<br />

Evidenz der gleichen Arbeitsverhältnisse an den Montagebändern für sich hatte. Tronti zog<br />

daraus die Folgerung, das gesellschaftlich Disparate könne nur noch von oben politisch<br />

vermittelt werden, durch einePartei, den PCI.<br />

Negri dagegen blieb bei dieser nominalistischer Industriesoziologie nicht stehen, sondern<br />

übersetzte sie zunächst einmal in Marxsche Terminologie. Die Anverwandlung der<br />

Gesellschaft an die Fabrik interpretierte er als fortschreitende reelle Subsumtion der Arbeit<br />

unters Kapital. Über die kapitalistische Realabstraktion "abstrakte Arbeit" hatte er nun einen<br />

Realbegriff <strong>zur</strong> Verfügung, mit dessen Hilfe er die nominalistische Bezeichnung<br />

"gesellschaftlicher Arbeiter" ontologisch fundieren konnte. Ontologisch gesehen sind die<br />

verschiedenen Arbeitssituationen der "gesellschaftlichen Arbeiter" also gleich. So wird im<br />

Handumdrehen aus dem Nominalismus "gesellschaftlicher Arbeiter" ein Realismus, eine<br />

ontologische Bestimmung. Während Tronti das Gemeinsame der verschiedenen<br />

Arbeitersituationen von oben politisch in sie hineinvermitteln will, behauptet Negri, diese<br />

Vermittlung sei bereits ontologische Realität. Wobei wohlbemerkt dies Ontologische die<br />

revolutionäre Qualität des "gesellschaftlichen Arbeiters" ausmachen soll. Bei Tronti sitzt die<br />

Revolution ganz traditionell im ZK des PCI, bei Negri dagegen ist sie mit der Existenz des<br />

"gesellschaftlichen Arbeiters" gegeben. Wie beim Massenarbeiter des frühen Tronti, so gilt<br />

auch beim "gesellschaftlichen Arbeiter" des mittleren Negri: "Begriff` der Revolution und<br />

Wirklichkeit der Arbeiterklasse sind identisch".<br />

Bis hierhin bleibt also alles beim Alten. Anders als beim Massenarbeiter aber ist die<br />

phänomenologische Bestimmtheit des "gesellschaftlichen Arbeiters" nicht unmittelbar mit<br />

dem Begriff gegeben. Die Phänomenologie des Massenarbeiters ist so einfach und monoton<br />

wie die Arbeit an den Bändern. Die Phänomenologie des "gesellschaftlichen Arbeiters"<br />

dagegen zerspringt in die Mikrophysik je spezifischer Situationsbeschreibungen. An dieser<br />

Stelle führt Negri den Begriff der "radikalen alternativen Bedürfnisse" ein, womit der erste<br />

Schritt in Richtung auf die bundesdeutsche Alternativbewegung gemacht ist und sich bereits<br />

die spätere Bewunderung Negris für die Grünen ankündigt. Mit "radikalen alternativen<br />

Bedürfnissen" meint Negri exakt das, was bei uns darunter verstanden wird: den<br />

Bedürfnisfetischismus derer, die sich im autistischen Genuß ihres Selbst so richtig heimatlich<br />

fühlen und sich also 'lieber selbst erfahren, als sich und die Gesellschaft zu verändern. Über<br />

den Bedürfnisbegriff halten die sogenannten "neuen sozialen Bewegung" Einzug in die<br />

Phänomenologie des "gesellschaftlichen Arbeiters". Zwar bleibt die Terminilogie noch<br />

proletarisch - die neuen Bedürfnisse sind für Negri echt proletarische Bedürfnisse - aber die<br />

Bedeutung von Proletariat verschiebt sich ihm unter der Hand. Nicht mehr das Bedürfnis nach<br />

sozialer Emanzipation, sondern der unmittelbare Genuß im Hier und Jetzt wird damit<br />

gemeint. In somma also dieselbe Selbsttäuschung, wie sie hierzulande bei denen herrschte, die<br />

revolutionär an den BIs anknüpfen wollten.

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