Beiträge zur Sozialen Phantasie
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Kapitalzeit. Die Probe aufs Exempel ist leicht gemacht, wenn man diese jungen Arbeiter mit<br />
den alteingesessenen Turiner Arbeitern vergleicht, die zwar mitmachten, als es los ging, aber<br />
nicht Initiator der Bewegung waren. Die Geschichtsschreibung der "anderen<br />
Arbeiterbewegung" à la K.-H.Roth schloß aus der anfänglichen Distanz der später<br />
sogenannten Massenarbeiter-zum PCI und den Gewerkschaften, es gäbe ein soziologisches<br />
Entsprechungsverhältnis von Facharbeiter/PCI undMassenarbeitern/Autonomie.<br />
Abgesehen davon, daß dies in den Soziologismus der inkriminierten PCI <strong>zur</strong>ückfällt, kann<br />
damit nicht erklärt werden, wieso sich der Bruch zwischen Massenarbeitern und PCI langsam<br />
wieder schloß. Dieser. Bruch existierte nur während eines kurzen historischen Augenblicks.<br />
Alquati zufolge schloß er sich bereits in der zweiten Hälfte der 60er jahre wieder. Die<br />
Gewerkschaften griffen die neuen Arbeiterforderungen auf und neutralisierten sie auf der<br />
Verhandlungsebene, indem sie die Strategie "Humanisierung der Arbeit" entwickelten.<br />
Aus heutiger Sicht erscheint jener Bruch Anfang der 60er Jahre wie eine Anpassungskrise im<br />
Getriebe der kapitalistischen Modernisierung. Daß es um mehr ging kann in revolutionärer<br />
Absicht durch eine aufmerksame Lektüre der Zeitschriften und Flugblätter sicherlich<br />
plausibel gemacht werden; aber solche Interpretationen bleiben immer prekär. Nie kann<br />
abschließend geklärt werden, ob die revolutionäre Agitation nicht nur die Phraseologie einer<br />
Bewegung war, die sich über ihre eigenen Ziele hinwegtäuschte und also von Revolution<br />
sprach, tatsächlich aber nur Humanisierung der Arbeit meinte. Der Revolutionär hat solange<br />
unrecht, wie er nicht siegt.<br />
Man kann vielleicht darüber streiten, ob Alquatis Periodisierung stimmt und er die Schließung<br />
des Bruchs nicht etwas zu früh ansetzt. Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß mit der<br />
Auflösung der autonomen Gruppierungen um '73 eine Epoche zu Ende geht. Und schon 1977<br />
kann der Kommunist Trentin von den "bedeutenden Errungenschaften der Gewerkschaften in<br />
den 60er Jahren" schwadronieren, ohne Widerspruch fürchten zu müssen.<br />
Um nicht in metaphysische Spekulationen über einen vorgeblich wesenhaft guten<br />
Massenarbeiter zu verfallen, ist es also wichtig, stets vor Augen zu haben, daß dessen<br />
Spontaneität sich nicht soziologisch aus seiner objektiven Situation im Produktionsprozeß<br />
ableiten läßt, sondern sich aus dem plötzlichen Zusammenprall zweier Zeitrhythmen ergab<br />
und daß des weiteren der Bruch zwischen den Massenarbeitern und den historischer<br />
Arbeiterorganisationen nur während einer kurzen Zeitspanne existierte. Es handelte sich also<br />
um eine einmalige historische Situation - eine Einmaligkeit, die sich tief in die<br />
Theoriebildung einschrieb. Da Theorien sich aber im Element des Allgemeinen bewegen,<br />
haben sie stets die Tendenz, ihren historischen Zeitkern vergessen zu machen und apodiktisch<br />
aufzutreten; zumal wenn es sich um Schriften handelt, die keine blutleeren Wahrheiten<br />
auflisten, sondern theoretisches Instrument im Klassenkampf sein wollen und deshalb im<br />
Duktus der unumstößlichen Selbstgewißheit auftreten - so, als könnte es gar nicht anders sein<br />
., Ohne diese Selbstgewißheit des möglicher. Siegs steht die Niederlage in der Tat von Anfang<br />
an fest.