Beiträge zur Sozialen Phantasie
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Ganz anders sieht es allerdings aus, wenn man von der Praxis für einen Moment <strong>zur</strong>ücktritt<br />
und sich der Theorie der Autonomia zuwendet. Und unter Theorie verstehe ich in diesem<br />
Zusammenhang nicht etwas, was der Praxis entgegengesetzt wäre, wie es das. bürgerliche<br />
Vorurteil will, sondern Theorie als dasjenige Moment von Praxis, in dem die revolutionäre<br />
Bewegung sich über sich selbst verständigt. Theorie ist das reflexive Moment von Praxis. In<br />
der Theorie treten die Kämpfenden von ihren unmittelbaren, alltäglichen Kampfsituationen,<br />
von ihren individueller. Kampfmotiven - in die immer auch ein Schuß persönlicher<br />
Verrücktheiten, Ticks usw. miteingeht - <strong>zur</strong>ück, um sich über die historische Situation, die<br />
Kampfbedingungen, Strategie, Taktik und Propaganda klarzuwerden. Hier geht es also nicht<br />
um die je individueller, Intentionen der Kämpfenden; denn warum jemand gegen die<br />
kapitalistische Gesellschaft kämpfen soll, das läßt sich allgemeinverbindlich gar nicht sagen,<br />
es sei denn, man bezeichnet diesen Grund als Leiden und das ist nun einmal eine Erfahrung,<br />
die jeder für sich macht. Verständigen kann man sich nicht über die Art dieses Leidens, es sei<br />
denn auf gruppentherapeutische Weise; es würden sich dann z.B. all diejenigen zusammentun,<br />
deren Leiden am Kapitalismus darin besteht, nicht tagelang grübelnd auf dem Scheißhaus<br />
sitzen zu können. Das Resultat wäre keine revolutionäre Bewegung, sondern eine obskure<br />
Fauna aus Stammeskulturen, deren jede ihrer. besonderen Tick hegt und pflegt, wie es in der<br />
Therapiebewegung ja auch Realität geworden ist.<br />
Verständigen kann man sich in revolutionärer Absicht also nicht über die Art des Leidens,<br />
wohl aber über dessen Ursachen, denn diese Ursachen sind gesellschaftlich und allgemein.<br />
Verständigen kann man sich auch über die Art und Weise, wie man am Besten dagegen<br />
vorgeht, welche Erfahrungen man in den vorangegangenen Kämpfen gemacht hat und was in<br />
diesem Kampf am ehesten Aussicht auf Erfolg haben könnte. Das Element dieser Diskussion<br />
ist nicht die persönliche Intention und Motivation, die jemanden veranlaßt, an diesem Kampf<br />
teilzunehmen, sondern das GesellschaftlichAllgemeine, das Kapital so gründlich<br />
abzuschaffen, wie es schon lange nötig wäre. Jeder der das praktische Axiom - das also<br />
theoretisch-philosophisch nicht bewiesen werden kann - akzeptiert, an diesem Kampf<br />
teilzunehmen, muß es auf sich nehmen, in der theoretisch-strategischen Diskussion über<br />
diesen Kampf von seinen individuellen Sehnsüchten und Macken zu abstrahieren und die<br />
Regeln einer vernünftigen Diskussion zu akzeptieren. Insofern reicht die gesellschaftliche<br />
Unterdrückung, die abgeschafft werden soll, in die revolutionäre Organisation hinein. Auch<br />
das gehört <strong>zur</strong> sogenannten Gewaltfrage. Die falsche Alternative zwischen Gewalt und<br />
Gewaltlosigkeit kann nur praktisch gelöst werden, wobei allgemein gesagt, revolutionäre<br />
Gewalt die Gewalt ist, die auf die Abschaffung jeglicher Gewalt abzielt. Die Selbstabstraktion<br />
in der theoretisch-strategischen Diskussion hat ihren Zweck in ihrer Abschaffung, d.h. in der<br />
Abschaffung aller Verhältnisse, die sie notwendig machen. Wer das nicht einsehen will und<br />
lustvoll seiner Betroffenheit frönt, sabotiert den Aufbau eines revolutionären Gegensouveräns,<br />
der allein in der Lage wäre, die kapitalistische Souveränität zu vernichten. Wer schon heute<br />
im Hier -und jetzt das kommunistische Prinzip "Jedem nach seiner Bedürfnissen" ganz<br />
individuell verwirklichen will, trägt dazu bei, daß es nie wirklich werden wird.<br />
Nach diesem Plädoyer für eine vernünftige Diskussion über theoretisch-strategische<br />
Konzeptionen, nun in medias res. Wenn es also wie gesagt unmöglich ist, die Tatsache, daß<br />
jemand kämpft, zu kritisieren, so ist es gleichwohl möglich zu überprüfen, ob seine<br />
theoretische Selbstverständigung stichhaltig ist, um auf diesem Umweg zu sehen, inwiefern<br />
seine Kampfkonzeption Aussicht auf Erfolg hat. In welchen Formen dachte also die