Beiträge zur Sozialen Phantasie
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IV<br />
Die Autonomie, die antritt, die Fehler des Bolschewismus nicht mehr zu wiederholen, begeht<br />
die gleichen Fehler, wenn sie die "moralische Ökonomie" der Armen <strong>zur</strong> Grundlage<br />
revolutionärer Politik machen will. Die Abgrenzung vom Bolschewismus ist nur scheinbar, da<br />
dessen Konzept der von oben verordneten Industrialisierung mit von oben verordneten<br />
Preisen bis auf den Produktivkraftfetischismus Parallelen zum Ansatz der Autonomie<br />
aufzeigt.<br />
"Der Jakobinerstaat ist wohl daran gescheitert, die Versorgungsfrage und den ihr zugrunde<br />
liegenden Antagonismus zwischen der städtischen Armut und dem Land zu lösen. Aber dies<br />
war keine Unfähigkeit, sondern ergab sich ( ... ) aus dem Klassencharakter des Jakobinismus<br />
als einer Vertretung der Interessen der kleineren und mittleren Bourgeoisie, die nur solange<br />
ein Preismaximum akzeptierte, wie sie darüber die Lohnhöhe kontrollieren konnte." (S.81)<br />
Anstelle des zentral verordneten technischen Koeffizienten fungiert in der Autonomie der<br />
traditionelle Standard, d. h., das Preismaximum soll von unten festgelegt werden. Ebenso wie<br />
der Bolschewismus verkennt die Autonomie den Unterschied zwischen naturaler Planung<br />
oder gebrauchswertorientierter Produktion und der Aufhebung des Wertgesetzes. Das<br />
Rechnen mit Gebrauchswerten bleibt in der Logik des Kapitals, die besondere Arbeit des<br />
einen muß unter die gesellschaftlich notwendige subsumiert werden, wenn die Arbeit des<br />
einen mit der eines anderen - oder ein Produkt mit dem anderen - verglichen werden soll. Das<br />
Verhaftetsein im Kapitalverhältnis zeigt sich darin, daß weiterhin Geld benötigt wird, auch<br />
wenn es nur als Hilfsmittel gilt. Die naturale Rechnung löst den Widerspruch nur scheinbar<br />
auf, was dann offenbar wird, wenn die in der Produktionssphäre festgelegten Arbeitswerte in<br />
der Konsumsphäre auf die Nutzenpräferenzen der Individuen treffen. Diese sind in der Regel<br />
verschieden von dem, was durch Beschluß der Planbehörde oder durch den traditionellen<br />
Standard festgelegt ist. Das Geld bleibt nicht technisches Hilfsmittel, sondern wird sich<br />
verselbständigender Wert, wie sich in der Entstehung von Schwarzmärkten zeigt. Die<br />
Spekulanten, Wucherer und auch Gorbatschow sind somit keine Verräter an einem irgendwie<br />
formulierten idealen Gesellschaftszustand - sie repräsentieren die herrschende Misere.<br />
Wird das Kapital wie in der Autonomie in personalisierter Form gedacht und wird als<br />
selbstverständlich hingenommen, daß die Arbeiter und Bauern die Spekulanten beseitigen, so<br />
ist es durchaus naheliegend, hierfür die ungeliebten bolschewistischen Methoden zu benützen.<br />
D. h. der Aufbau eines zentralen Apparates, der durch zentrale Preisreglementierung den<br />
konkurrierenden Egoismen Grenzen setzt, sowie die Forcierung der Entwicklung der<br />
Produktivkräfte, um die schlimmsten Verhältnisse in Stadt und Land zu beseitigen, um somit<br />
den Stadt-Land-Konflikt zu entschärfen. Und dies war auch die reale Entwicklung der großen<br />
Bauernrevolutionen dieses Jahrhunderts. In anderen Worten: Der Bolschewismus ist eine<br />
radikale Version der "moralischen Ökonomie", die dann auftritt, wenn der "statische" Zustand<br />
einer Subsistenzwirtschaft gezwungen ist, sich mit der Akkumulation von Kapital<br />
auseinanderzusetzen.