Beiträge zur Sozialen Phantasie
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3.4 Faschismus<br />
Diese Auffassung vom Staat als reinem organisierten Gewaltapparat kulminiert in der<br />
autonomen Vorstellung vom Faschismus. Dieser wird nurmehr als ins äußerste gesteigerte<br />
Gewaltapparat begriffen. Damit sitzen sie aber der Lebenslüge ihrer Väter auf, die nach '45<br />
auf einmal keine Täter mehr gewesen sein wollen, sondern selbst vom Faschismus<br />
Unterdrückte, die für sich auch den Opferstatus beanspruchen können. Der deutsche<br />
Faschismus war aber gerade dadurch gekennzeichnet, daß er, trotz einer gewaltigen<br />
Steigerung des staatlichen Gewaltpotentials, nicht der Gesellschaft äußerlich gegenüberstand,<br />
sondern Staat und Gesellschaft <strong>zur</strong> Volksgemeinschaft zusammenschweißte. Diese<br />
Komplizenschaft von Herrschenden und Beherrschten, die in der Parole "Ein Volk, ein Reich,<br />
ein Führer" ihren adäquaten Ausdruck fand, muß dem autonomen Identitätsbewußtsein ein<br />
völliges Rätsel sein, das - weil nicht sein kann, was nicht sein darf - einfach ignoriert wird.<br />
3,5 Nationale Revolution und Klassenbegriff<br />
Nur aus diesem mangelnden Bewußtsein heraus läßt sich auch die autonome Begeisterung für<br />
nationale Befreiungsbewegungen erklären. Daß radikale Linke, insbesondere wenn sie<br />
Deutsche sind, völlig unbedarft von "Volk" reden, sollte zumindest bedenklich stimmen. Daß<br />
der Klassenbegriff, sofern er überhaupt noch eine Rolle spielt und nicht durch den des Volkes<br />
ersetzt ist, nur noch die abstrakte Einheit der Kämpfenden bezeichnet, losgelöst vom sozialen<br />
Ort und der Intention der Kämpfenden, ist nur konsequent, wenn der Glaube an die Identität<br />
ernstgenommen wird. Wenn die äußere Realität nicht bis in das identische Ich des einzelnen<br />
Individuums hineinreicht, sondern dessen völliger Freiheit als rein äußerliche Macht<br />
gegenübertritt, dann ist letztendlich egal, wer für was weshalb kämpft, sondern der Kampf als<br />
solcher, egal wogegen er sich richtet, wird zu einem Schritt im Kampf um Selbstbestimmung.<br />
Daher auch die Fetischisierung des Kampfs als Selbstzweck.<br />
4. Konsequenz<br />
Das bislang Gesagte mag den Eindruck erwecken, ich hielte die Autonomen für ignorante<br />
Idioten, die, weil sie nicht kapieren, daß mit "autonomer Identität" kein Blumenpott zu<br />
gewinnen ist, von einem Fehler zum anderen stolpern. Doch die Sache selbst ist viel<br />
komplizierter. Gerade am fehlenden Begriff der Arbeiterklasse, der in der autonomen<br />
Ideologie von dem des "Volkes" abgelöst oder zumindest verschmolzen wurde, läßt sich die<br />
Problematik des Ganzen noch einmal darstellen. In dem Augenblick, in dem die empirischen<br />
Interessen der Arbeiterklasse nicht mehr über die kapitalistische Ordnung hinausweisen,<br />
sondern zu einem Moment in der Systemreproduktion geworden sind, kann sich der/die<br />
Einzelne auf keine objektive Kraft mehr berufen, um seinem/ihrem subjektiven revolutionären<br />
Willen Allgemeingültigkeit zu verleihen - es bleibt also keine Alternative, als sich mit dem<br />
subjektiven Willen <strong>zur</strong> Revolution, d. h. der eigenen revolutionären Identität, zu bescheiden.<br />
Nur sollte mensch sich dabei nichts in die Tasche lügen: Die revolutionäre Identität macht<br />
nicht die Stärke der autonomen Bewegung aus, sondern ist genauer Index ihrer Schwäche.