Beiträge zur Sozialen Phantasie
Beiträge zur Sozialen Phantasie
Beiträge zur Sozialen Phantasie
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Indem den Individuen ihre gesellschaftliche Macht, die sie zwar selbst produziert haben, aber<br />
nicht beherrschen, als äußerliche Macht gegenübertritt, reduziert diese Macht auf der einen<br />
Seite das einzelne Individuum auf sich selbst und stellt ihm auf der anderen Seite seinen<br />
Zusammenhang mit der Gesellschaft als einen ihm fremden, aufgezwungenen dar. Diese<br />
Reduktion des Individuums auf das eigene, abstrakte Ich, dessen gesellschaftliche Bedingtheit<br />
in der Form verdinglichter Strukturen außer ihm existiert, ist genau das, was durch den rein<br />
formalen Begriff der Identität ausgedrückt ist. Es ist also durch die Struktur der<br />
kapitalistischen Gesellschaft selbst die Identität der Individuen als abstrakte, negative schon<br />
von vornherein gegeben. Wenn Marx konstatiert, daß der Struktur der gesellschaftlichen<br />
Produktion "bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen" 7 , dann ist die<br />
Vorstellung von Identität garantiert eine dieser Bewußtseinsformen. Die Identität der<br />
einzelnen Individuen in der kapitalistischen Gesellschaft ist als reine inhaltslose Form, als<br />
negative Identität durch die Struktur dieser Gesellschaft immer schon gegeben.<br />
2. Der falsche Inhalt einer falschen Form<br />
Im Abschnitt 1 habe ich versucht zu zeigen, daß die Identität der Individuen in der<br />
kapitalistischen Gesellschaft durch deren Struktur immer schon gegeben ist. Die Identität ist<br />
eine gesellschaftliche Form, deren Inhalt selbst nur ein Mangel ist, der Verlust nämlich<br />
unmittelbarer gesellschaftlicher Beziehungen. Der Inhalt der Identität ist den einzelnen<br />
Individuen aber nicht als dieser Mangel bewußt, sondern wird in der tagtäglichen Erfahrung<br />
der kapitalistischen Realität als unbewußte Bedrohung der eigenen Person empfunden. Je<br />
mehr die realen sozialen Bindungen zerstört werden, als desto bedrohlicher wird dieser<br />
Mangel empfunden.<br />
Ziemlich deutlich wird dies, wenn mensch sich die Entstehung des Nationalismus als einer<br />
der zentralen identitätsstiftenden Ideologien in der kapitalistischen Gesellschaft anschaut. Der<br />
Nationalismus entstand zugleich mit der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft. D.h., in<br />
dem geschichtlichen Moment, in dem die naturwüchsigen Bande, die die Gesellschaft<br />
zusammenhielten, zerstört wurden, trat ein Vakuum auf, das unbewußt als Bedrohung<br />
empfunden wurde. Diese Bedrohung war auch durchaus real, denn dadurch wurde das<br />
Individuum der schrankenlosen Willkür der kapitalistischen Marktbewegung ausgeliefert.<br />
Angesichts dieser Bedrohung wurden die alten, engen, aber immerhin persönlichen<br />
Abhängigkeitsverhältnisse glorifiziert. Blut und Boden sollten es sein, was die kapitalistische<br />
Nation zusammenhält. In dem Moment, wo der gesellschaftliche Zusammenhang ein abstrakt<br />
er, nur durch die Selbstbewegung des Tauschwerts zusammengehaltener wird, taucht im<br />
Bewußtsein der Menschen das glatte Gegenteil als Ideologie auf. die Nation, d.h. die Bindung<br />
der Menschen an ein Stück Dreck, das als Heimatboden glorifiziert wird.<br />
Die einzig angemessene Reaktion darauf wäre natürlich die bewußte Umkremplung der sich<br />
entwickelnden kapitalistischen Strukturen, die vollständige Umwälzung dieser Verhältnisse<br />
und die Aneignung sowohl des materiellen Reichtums als auch des Reichtums der<br />
menschlichen Beziehungen gewesen. Kurz in einem Wort: Die Revolution. Diese ist aber in