Beiträge zur Sozialen Phantasie
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Charakteristisch für das Individuum in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft ist es, daß<br />
es nicht mehr, wie in vorbürgerlichen Gesellschaften, in einem unmittelbaren Zusammenhang<br />
mit den anderen Gesellschaftsmitgliedern steht. Die alten gesellschaftlichen Ordnungen, die<br />
auf unmittelbaren Verwandtschaftsbeziehungen fußten, auf der Bindung an ein Stück<br />
Ackerboden und direkte, persönliche Herrschafts- bzw. Knechtschaftsverhältnisses, diese<br />
mehr oder minder unmittelbaren und persönlichen Gesellschaftsordnungen wurden durch die<br />
sich entwickelnde bürgerliche Gesellschaft zerstört. Marx und Engels haben diese<br />
Entwicklung begeistert gefeiert: "Die Bourgeroisie, wo sie <strong>zur</strong> Herrschaft gekommen, hat alle<br />
feudalen, patriarchalischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. Sie hat die buntscheckigen<br />
Feudalbande, die den Menschen an seine natürlichen Vorgesetzten knüpften, unbarmherzig<br />
zerrissen" und damit "einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des<br />
Landlebens entrissen." 1 Dieser fortschrittliche Aspekt, den die Entwicklung der bürgerlichkapitalistischen<br />
Gesellschaft hatte, wird von Marx und Engels ganz deutlich hervorgehoben.<br />
Die Zerstörung alter Abhängigkeitsverhältnisse ist der große Pluspunkt, den die bürgerliche<br />
Gesellschaft für sich verbuchen kann. Erst dadurch kann die Vorstellung einer<br />
kommunistischen Gesellschaft aus dem Bereich der reinen Utopie in den der realen<br />
gesellschaftlichen Möglichkeit rücken.<br />
Dieser Fortschritt ist natürlich nur die eine Seite der Medaille. Denn wenn die Bourgeoisie<br />
auch alle unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnisse zerstört hat, so hat sie doch statt dessen<br />
andere, vermittelte Abhängigkeiten geschaffen: Sie hat "kein anderes Band zwischen<br />
Menschen und Mensch übriggelassen als das nackte Interesse, als die gefühllose "bare<br />
Zahlung". Sie hat die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen<br />
Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer<br />
Berechnung ertränkt. Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst und an die<br />
Stelle der zahllosen verbrieften und wohlerworbenen Freiheiten die eine gewissenlose<br />
Handelsfreiheit gesetzt" 2<br />
Die neue Art des gesellschaftlichen Zusammenhangs ist eine unpersönliche. Die Beziehungen<br />
der Individuen in der kapitalistischen Gesellschaft werden verdinglicht, sie "erhalten die Form<br />
eines gesellschaftlichen Verhältnisses der Arbeitsprodukte." 3 Der Zusammenhang der<br />
Gesellschaftsmitglieder stellt sich dar in der Warenform der Produkte und der daraus<br />
entspringenden sachlichen Form des Geldes. "Ihre eigene gesellschaftliche Bewegung besitzt<br />
für sie die Form einer Bewegung von Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu<br />
kontrollieren." 4 Diese verdinglichte Struktur der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse<br />
bildet "die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt." 5 Die<br />
gesellschaftlichen Verhältnisse sind demnach keine Willensverhältnisse. Die je individuellen<br />
Willen sind keineswegs frei, sondern selbst Produkt der ökonomischen Struktur. Dadurch tritt<br />
den Individuen ihr gesellschaftlicher Zusammenhang als die übermächtige Objektivität des<br />
"Systems" gegenüber. "Die Individuen sind unter die gesellschaftliche Produktion subsumiert,<br />
die als ein Verhängnis außer ihnen existiert." 6