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information & gesellschaft<br />
Im Kunsthistorischen Museum Wien:<br />
Der Turmbau zu Babel<br />
DIE PANDEMIE HAT EINE WICHTIGE LEHRFUNKTION<br />
Dipl.Ing. Alexander Ristic<br />
STAR 7 Austria / Associated<br />
Press<br />
Journalist<br />
36 | <strong>MÄRZ</strong> <strong>2021</strong><br />
Von Oktober 2018 bis Jänner 2019<br />
fand in Wien eine ganz besondere<br />
Kunstausstellung statt. Das<br />
Kunsthistorische Museum hat die<br />
weltweit größte Ausstellung der Werke<br />
von Pieter Bruegel (um 1525/30–1569),<br />
mit sensationellen Leihgaben aus aller<br />
Welt, organisiert. Es wurden rund drei<br />
Viertel aller erhaltenen Gemälde des<br />
flämischen Meisters und etwa die Hälfte<br />
seiner noch existierenden Zeichnungen<br />
und Drucke ausgestellt.<br />
Im Mittelpunkt dieser besonderen Ausstellung<br />
war das Bild „Der Turmbau zu<br />
Babel“, signiert und datiert in das Jahr<br />
1563, zu sehen.<br />
Angefangen hat alles mit einem Turm,<br />
genauer gesagt dem Bau eines Turms. Bis<br />
zum Himmel sollte er reichen, der Turm<br />
zu Babel – so steht es in Genesis 11,<br />
1–9, einer der bekanntesten biblischen<br />
Erzählungen. Der Turmbau zu Babel steht<br />
für die großspurigen, maßlosen Projekte<br />
der Menschen.<br />
Die Geschichte über den alttestamentarischen<br />
Wolkenkratzer ist eine der<br />
zahlreichen in der Bibel überlieferten<br />
Anmaßungen, mit denen die Menschheit<br />
immer wieder versucht hat, sich selbst<br />
größer und Gott kleiner zu machen. Wegen<br />
dieser Selbstüberhebung bringt Gott<br />
den Turmbau unblutig zum Stillstand,<br />
indem er eine babylonische Sprachverwirrung<br />
hervorruft, welche wegen<br />
unüberwindbarer Verständigungsschwierigkeiten<br />
zur Aufgabe des Projektes<br />
zwingt und die daran Bauenden aus dem<br />
gleichen Grunde über die ganze Erde<br />
zerstreut. Als Konsequenz herrscht Verwirrung<br />
und Zerstreuung. Der Turm bleibt unvollendet.<br />
Seitdem leiden die Menschen unter den Folgen<br />
des größenwahnsinnigen Turmbaus, lernen<br />
mühsam Fremdsprachen, um sich weltweit<br />
verständigen zu können.<br />
Bruegels monumentale Komposition im Bild<br />
wurde zum berühmtesten Klassiker der Turmbaudarstellungen.<br />
Die im Vergleich zum Turm<br />
beeindruckend winzige, flämisch anmutende<br />
Bebauung der Hafenstadt liefert den Größenmaßstab.<br />
Mit Akribie und enzyklopädischem<br />
Interesse schildert Bruegel eine Unmenge<br />
bautechnischer und handwerklicher Vorgänge<br />
mit antiken und romanischen Architekturelementen.<br />
Auf heute übertragen haben wir möglicherweise<br />
mit der Globalisierung übertrieben und<br />
erleben jetzt deren Kehrseite. Wir haben dies<br />
ein Stück weit in Kauf genommen, sind übermütig<br />
geworden. Dennoch müssen wir uns vor<br />
Leichtsinnigkeit und Überheblichkeit schützen<br />
und uns bewusst machen, dass wir immer noch<br />
innerhalb bestimmter Grenzen leben – die<br />
Corona-Pandemie, aber auch vorher bereits der<br />
Klimawandel zeigen uns dies sehr deutlich.<br />
Wir neigen dazu, unser vergleichsweises<br />
luxuriöses und problemloses Leben als selbstverständlich,<br />
fast gottgegeben hinzunehmen.<br />
Wir werden an verschiedenen Stellen damit<br />
konfrontiert, wie fragil unser weltweites Zusammenleben,<br />
wie verletzlich unsere Erde ist.<br />
Freiheitsrechte und Menschenrechte werden<br />
massiv eingeschränkt. Die Menschheit verbindet<br />
aktuell ein grundlegendes Erleben einer<br />
Krisen-Situation und die Erkenntnis, dass wir es<br />
in manchen Dingen, die durch Fortschritt und<br />
Entwicklung möglich geworden sind, zu weit<br />
getrieben haben.