Cimbernland Jubiläumsausgabe 1969-2019
Cimbernland Jubiläumsausgabe zum 50-jährigen Gründungsjubiläum des Bayerischen Cimbern-Kuratoriums Cimbernland Jubiläumsausgabe zum 50-jährigen Gründungsjubiläum des Bayerischen Cimbern-Kuratoriums
AUS DEN SPRACHINSELNDiese praktische Seite hatte mich immerinteressiert, und ich kann mich nicht erinnern,dass ich den geringsten Vorbehalthatte, mich allein unter Fersentalsprecher zubegeben, um ihre Sprache zu erheben. Ganzim Gegenteil, das empirische Erschließenvon Sprachsystemen machte richtig Spaß.Trotzdem war ich gewiss noch recht unerfahrenund sehr feucht hinter den Ohren. MeinDeutsch war passabel, ich verstand inzwischensogar Rudimentedes Binnenbairischen,aber Italienischhatte ich geradeerst begonnenzu lernen, vieleserschlossich aus meinenLatein- und Französisch-Kenntnissen.Auf Empfehlungdes Pfarrersvon Florutz DonGiacomo Hoferführte mich meinerster Weg zumGasthof Schönblickin derFlorutzer FraktionSan Felix,wo mich dieAbb. 2: Don Giacomo Hofer.Wirtsfamilie Ploner, Foto K. Tremel, Blaibach.der Herkunft nachSüdtiroler, unter ihre Fittiche nahm. Seitdembin ich immer dort zu finden, wenn ich im Talbleibe.Giacomo Hofer, selber aus dem Dorfgebürtig, gewährte mir einige Interviewsund las mir Fersentaler Erzählungen vor,die er selber formuliert oder aus deutschenund italienischen Vorlagen übersetzt hatte.Einige solche Texte Hofers findet man imBuch von Faganello / Gorfer (1972). Und erempfahl mich weiter. So lernte ich in Florutzüber den Pfarrer, aber auch aus Kontaktenim Wirtshaus, Mitglieder der Familien Pompermaier,Gozzer, Boller, Slomp, Hachler undMarchel kennen, die sich bereitwillig vonmir ausforschen ließen. Zunächst waren esmeist alte Männer, über die ich auch aufältere Frauen weiterverwiesen wurde. Ich besuchtedie Gewährsleute immer daheim. MitDeutsch und ein bisschen Fersentalerisch(und oft auch einer mitgebrachten FlascheRotwein) gelangen mir die Befragungenmeist. Wie begegneten mir die Fersentalerdabei? Sie waren immer gastfreundlichund hilfsbereit. Einem Studenten, dem seinProfessor eine solche Aufgabe aufgebrummthat, hilft eigentlich jeder gerne. Dass ich ausDeutschland ins Tal kam, zählte nie gegenmich, im Gegenteil. Und dass ich in WirklichkeitBrite bin, gab mir wohl einen Hauch vonExotik. Oder die Leute hielten mich schlichttrotzdem für einen Deutschen. Meine ReadingerZulassungsarbeit war die IPA-Transkriptionund Kommentierung von Tonbandaufnahmen,die ich hauptsächlich bei DonGiacomo Hofer machte.Nach dem Bachelorabschluss in Readingim Sommer 1975 kehrte ich mit einem Stipendiumdes Deutschen Akademischen Austauschdienstesbis 1977 nach Regensburgzurück, um an meiner englischen Universitätden Magistertitel „Master of Philosophy“ zuerwerben, und zwar mit einer Magisterarbeitüber das Fersental (Rowley 1977). Dazubedurfte es mehrerer längerer Erhebungsphasenvor Ort. Ich hatte inzwischen EugenGabriels Fragebuch für die Tiroler Mundarten(Gabriel 1974) bekommen und konnte 1976sogar zusammen mit Eugen Gabriel eineDialektaufnahme in Florutz durchführen.1976 lernte ich erstmals die Wiener Kollegenkennen und durfte an einer Exkursion indie zimbrischen Sprachinseln mit den WienerDialektologen unter Leitung von PeterWiesinger und Maria Hornung teilnehmen.Ich machte auch weitere nützliche Bekanntschaften.Eine Ethnologin von der Universi-54
AUS DEN SPRACHINSELNAbb. 3: Rosa „van Reichen“ Corn. Foto A. Rowleytät Verona, GiulianaSellan, hielt sich damalsebenfalls oft zuFeldarbeiten im Tal auf,und wir tauschten unsrege aus 1 , zunächst aufFranzösisch – sie warLevi-Strauss-Schülerin–, dann traute ich michimmer mehr auf Italienisch.Allerdings versucheich bis heute, wennich im Fersental bin,immer den Eindruck zuvermitteln, dass ich Italienischnicht versteheund dass man sich mitmir auf Fersentalerischunterhalten muss.Gemeinsame Aufnahmenmit Sellanbrachten mir eine Mengeweiterer Gewährsleute,insbesondere RosaCorn, die Sprecherin meiner Phonai-Aufnahme.Inzwischen konnte ich einigermaßenselbst Fersentalerisch radebrechen undübte viel mit alten Bäuerinnen. Meine Masterarbeitwar eine Grammatik mit Textanhang– wieder mit Schallaufnahmen, abermit anderen als in der Zulassungsarbeit –und philologisch kommentierter Transkription.Ich war mit einem UHER-Aufzeichnungsgerätder Universität Regensburg unterwegs,damals das Modernste vom Modernen, dasallerdings nicht leicht war, vor allem nicht,wenn man es zum Hof der Gewährspersonsteil bergan tragen musste.Akademisch folgerichtig war mein nächstesProjekt die Dissertation, ebenfalls überdas Fersentalerische. Diese begann ichbei Klaus Matzel in Regensburg und wechselte1978 zu Robert Hinderling, als er ander neu gegründeten Universität Bayreuthdie Professur für deutsche Sprachwissenschaftbekam und michals Assistenten mitnahm.Inzwischen hatte ich einigeAufnahmeerfahrung undkonnte Tonaufzeichnungenvon relativ hoher Qualitätfür das Deutsche Spracharchiv(damals in Bonn,heute im Instutitut fürDeutsche Sprache, Mannheim)machen.Die Dissertation (Rowley1986) erschien in derPublikationsreihe „Phonai.Lautbibliothek der europäischenSprachen undMundarten“ und beinhalteteine soziolinguistische Einführung,eine ausführlichedeskriptive Grammatik(Phonetik, Phonologie undMorphologie) mit historischerKomponente sowie dieBearbeitung zweier Tonaufnahmen– IPA-Transkripte und Kommentare.Das war meiner Meinung nach linguistischeSprachinselforschung lange, bevorPeter Maitz (2017, 117) sie erkennen kann,und ich war sicher nicht der einzige, ichnenne nur den Walserforscher Peter Zürrer(1975, 1982). Für die Dissertation hatte ichalle Lexeme, die ich je erhoben hatte, aufkleine Karteikarten herausgeschrieben, zunächstnach Wortarten und Flexionsklassensortiert, aber eine Umsortierung bot mir dieGrundlage für ein alphabetisch geordnetesWörterbuch (Rowley 1982b). Das Wörterbuchveranlasste mich zu meinem erstenlängeren Dienstaufenthalt in Wien, woich aus der Kartei und der Bibliothek des„Wörterbuchs der bairischen Mundartenin Österreich“ schöpfen durfte und dessenneue junge Mannschaft näher kennenlernte.Krönender Abschluss dieser Phasewar eine von der Autonomen Provinz Trientorganisierte Fachtagung über das Fersental55
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Diese praktische Seite hatte mich immer
interessiert, und ich kann mich nicht erinnern,
dass ich den geringsten Vorbehalt
hatte, mich allein unter Fersentalsprecher zu
begeben, um ihre Sprache zu erheben. Ganz
im Gegenteil, das empirische Erschließen
von Sprachsystemen machte richtig Spaß.
Trotzdem war ich gewiss noch recht unerfahren
und sehr feucht hinter den Ohren. Mein
Deutsch war passabel, ich verstand inzwischen
sogar Rudimente
des Binnenbairischen,
aber Italienisch
hatte ich gerade
erst begonnen
zu lernen, vieles
erschloss
ich aus meinen
Latein- und Französisch-Kenntnissen.
Auf Empfehlung
des Pfarrers
von Florutz Don
Giacomo Hofer
führte mich mein
erster Weg zum
Gasthof Schönblick
in der
Florutzer Fraktion
San Felix,
wo mich die
Abb. 2: Don Giacomo Hofer.
Wirtsfamilie Ploner, Foto K. Tremel, Blaibach.
der Herkunft nach
Südtiroler, unter ihre Fittiche nahm. Seitdem
bin ich immer dort zu finden, wenn ich im Tal
bleibe.
Giacomo Hofer, selber aus dem Dorf
gebürtig, gewährte mir einige Interviews
und las mir Fersentaler Erzählungen vor,
die er selber formuliert oder aus deutschen
und italienischen Vorlagen übersetzt hatte.
Einige solche Texte Hofers findet man im
Buch von Faganello / Gorfer (1972). Und er
empfahl mich weiter. So lernte ich in Florutz
über den Pfarrer, aber auch aus Kontakten
im Wirtshaus, Mitglieder der Familien Pompermaier,
Gozzer, Boller, Slomp, Hachler und
Marchel kennen, die sich bereitwillig von
mir ausforschen ließen. Zunächst waren es
meist alte Männer, über die ich auch auf
ältere Frauen weiterverwiesen wurde. Ich besuchte
die Gewährsleute immer daheim. Mit
Deutsch und ein bisschen Fersentalerisch
(und oft auch einer mitgebrachten Flasche
Rotwein) gelangen mir die Befragungen
meist. Wie begegneten mir die Fersentaler
dabei? Sie waren immer gastfreundlich
und hilfsbereit. Einem Studenten, dem sein
Professor eine solche Aufgabe aufgebrummt
hat, hilft eigentlich jeder gerne. Dass ich aus
Deutschland ins Tal kam, zählte nie gegen
mich, im Gegenteil. Und dass ich in Wirklichkeit
Brite bin, gab mir wohl einen Hauch von
Exotik. Oder die Leute hielten mich schlicht
trotzdem für einen Deutschen. Meine Readinger
Zulassungsarbeit war die IPA-Transkription
und Kommentierung von Tonbandaufnahmen,
die ich hauptsächlich bei Don
Giacomo Hofer machte.
Nach dem Bachelorabschluss in Reading
im Sommer 1975 kehrte ich mit einem Stipendium
des Deutschen Akademischen Austauschdienstes
bis 1977 nach Regensburg
zurück, um an meiner englischen Universität
den Magistertitel „Master of Philosophy“ zu
erwerben, und zwar mit einer Magisterarbeit
über das Fersental (Rowley 1977). Dazu
bedurfte es mehrerer längerer Erhebungsphasen
vor Ort. Ich hatte inzwischen Eugen
Gabriels Fragebuch für die Tiroler Mundarten
(Gabriel 1974) bekommen und konnte 1976
sogar zusammen mit Eugen Gabriel eine
Dialektaufnahme in Florutz durchführen.
1976 lernte ich erstmals die Wiener Kollegen
kennen und durfte an einer Exkursion in
die zimbrischen Sprachinseln mit den Wiener
Dialektologen unter Leitung von Peter
Wiesinger und Maria Hornung teilnehmen.
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