Aberglaube und Volksmedizin im Lande der Bibel. Hamburg: L. Friederichsen & CO., 1914.
Superstition and Folk Medicine in Palestine (the Land of the Bible) Superstition and Folk Medicine in Palestine (the Land of the Bible)
,bei:282. Der „böse Blick“.In allem Aberglauben spielt das Auge und der Blick die bedeutendsteRolle. Das. merkwürdige Organ mit seiner heute noch nicht bis ins einzelsteaufgeklärten Physiologie und mit seiner sozusagen manifesten Tätigkeit, demVorgang des Sehens oder des Blickens besaß jederzeit die Anziehungskraft desRätsels, des Geheimnisvollen. Primitive Erklärungsversuche unzivilisierter Völkeroder einfacher Leute haben sich ebenso dahinter gemacht, wie der Forschertriebalter und neuer Zeit. Der Naturmensch voll ungezügelter Phantasie und ebenfallsder heutige Palästinenser hängen dem Auge eiue Unmasse von mystischen,übernatürlichen Kräften und Eigenschaften an. Dabei ist es charakteristisch, daßin den meisten Fällen dem Auge eine unheilvolle Macht zugeschrieben wird.Und nicht nur die klassischen Völker des Altertums glaubten an seine übernatürliche,schadenbringende Wirkung. Ihnen galt das Auge mit magischer Kraftgefüllt, wie eine Leidener Flasche. Wir linden diesen Gedanken bis auf denheutigen Tag unter allen Völkei'n. 1 In Palästina nun wird nicht allein bei demungebildeten Volk diese Anschauung gehegt und gepflegt, sondern sie ist auchunter dem größeren Teil der den besseren Klassen Angehörenden lebendig.Der Aberglaube des „bösen Blicks“ ist also in allen Bevölkerungsschichtenzu treffen. Doch läßt sich über sein Vorkommen etwa so viel noch nähersagen, daß er mehr vertreten ist unter den Mohammedanern als unter denChristen, mehr unter den Fellachen und Beduinen als unter den Städtern, mehrunter den Griechisch-Orthodoxen als den Protestanten und Katholiken, unterden bejahrten Leuten, besonders bei alten Frauen mehr als bei den jungen.Ein jeder Mensch soll einen „bösen Blick“ haben, wenn auch selten imLeben. Ältere Leute und wieder vorzugsweise Frauen besitzen diese Kraft imallgemeinen mehr als jüngere. Das „Auge“ der kinderlosen Frau und das „Auge“des bartlosen Mannes kann besonders leicht schadenbringend sein. Deshalbheißt es : allall ijhmina min taläte min el-auar u killit hajäh min el-akra c u karafimliaijäli u min el-adschrüde mjünuh. Das bedeutet: Gott behüte uns vor DreienVor dem Einäugigen, wegen seiner Unverschämtheit 2 und vor dem Kahlköpfigenwegen seines ekelerregenden Aussehens und vor dem Bartlosen, da sein Auge3trifft . Die stärksten Wirkungen auf andere üben aber diejenigen Menschenaus, die blaue Augen und weitauseinanderstehende Vorderzähne haben „ceneh(Hünuh ) zurk uisnänuh furk“. Von altersher befürchtete man auch häufig vonsolchen mit sich kreuzenden Augenbrauen Schaden. Dieser Zug im Aberglaubenvom „bösen Blick“ ist auf den jetzigen Palästinenser von den Hebräern gekommen.Hat ein Mensch mehrere dieser Eigenschaften, so ist sein Auge besondersgefährlich. Er wird als Unheilbringer gemieden. Zuweilen findet man1Viele erklären die Wirkung des bösen Blickes folgendermaßen :einem Menschen, der vomÜbel heimgesucht, d. h. von bösen Geistern bewohnt ist, bedeuten die Augen die Ausfallspfortenfür die unheimlichen Bewohner; sie fahren durch die Augen heraus und stürzen sich auf dasAngeschaute, um ihm zu schaden. Auf meine Nachfrage bestätigte sich diese Annahme nicht,mag sie auch bei anderen Völkern, wie z. B. den Indern die allgemein anerkannte Erklärung sein.2Es heißt auch „ma bijstlii illa en-nazar“d. h. nur der Sehende (eigent. das Sehorgan) schämt sich.3Ein anderes Wort heißt: sabah el-krüd uala sabah el-adschrüd, lieber den Morgengruß einesAffen, als den eines Bartlosen.
29ganze Familien mit dem „bösen Blick“ behaftet, wo alle oder die meisten Mitgliederdie unheilbringende Kraft besitzen sollen. Der Vater vererbt sie seinemSohne, genau wie überhaupt alles vom Vater auf den Solm übergeht: des VatersWissenschaft, so daß des Arztes Sohn von Natur aus Arzt ist. Er vererbt seinHandwerk und seine Stellung und so auch den „bösen Blick“.Dem „bösen Blick“ werden viele wunderbare Wirkungen zugesehrieben.Diese Wirkungen können vom Träger des „bösen Blickes“ bewußt oder unbewußthervorgerufenwerden.Unbewußt, ohne daran zu denken, geschweige es zu wollen, kann eineunschuldige, harmlose Person den Schaden des bösen Blickes anrichten. DieMutter kann ihr eigenes Kind, der Bräutigam seine Braut, der Mensch sich selbst„treffen“. Freilich die schädliche Wirkung vollzieht sich nur dann, wenn eineres unterläßt, den Namen Gottes auszurufen. Es bewundert etwa eine Mutterihr Kind und sagt: scliüfu ma asmanu = sehet wie dick es ist; oder es bestaunteiner seinen guten Appetit mit den Worten: ja baije Icaddesch akalt = meinVater (d. h. Oh, ein Bewunderungsausruf!) Avieviel habe ich gegessen; oder esrühmt sich ein Herrscher seines mächtigen Reiches, ohne sich unter GottesSchutz durch Anruf zu stellen, so kann der Schaden ihn ereilen. FolgendeGeschichte ,welcher höchstwahrscheinlich die Geschichte des Königs David1 Ch. 21 und 2 Sam. 24 zugrunde liegt, illustriert diesen Fall am besten.Der Kadi (Richter) Husen erzählt: Ein Prophet Gottes, der zugleich König war, äußerte sicheines Tages voll Stolz und Bewunderung über die große Zahl seines Volkes. Zur Strafe vernichteteGott in einer Nacht 100000 Mann. Des Morgens trauerte der Prophet über dieses großeUnglück. Gott fragte ihn: „Du hast durch deine Bewunderung über die große Zahl deiner Untertanensie „berufen“, (oder anders ausgedrückt) sie „beäugt“ (wörtliche Übersetzung von'intahum— hocbarabisch). Warum hast du sie nicht vorher gegen die bösen Folgen solchen Tuns geschütztdurch den Spruch: Der lebendige, allmächtige Gott soll euch erhalten und alles Böse von euchfernhalten?“Bewußt und mit Absicht. Böswillige, unlautere und feindselige Personenbedienen sich dagegen des „bösen Blickes“, wenn sie das „Be schreien“bezwecken. Der tiefere Beweggrund ist meistens in maßlosem Neid zu suchen,in schnöder Mißgunst, die dem andern sein wirkliches oder auch nur vermutlichesGlück und Wohlergehen nicht gönnen mag. Neid und „böser Blick“gehören eng zusammen und sind unzertrennbar miteinander verbunden. Wasdas hocharabische Sprichwort vom Neider sagt: al-hasüd la jasiid — der Neiderlebt (oder regiert) nicht lange, wird von manchem Fellachen auf das Auge desNeiders sprichwörtlich übertragen: c en el-liasüd ma bitsüd — das Auge desNeiders lebt nicht lange.Die Quacksalber erklären diese Kraft des „Blickes“ in ihren Büchernfolgendermaßen: „Es kann nicht geleugnet Averden, daß jeder natürliche Menscheine unsichtbare giftige Substanz in sich birgt. Wenn er nun etAvas anschaut,das ihm gefällt, so löst sich von diesem Gift etwas in die Luft auf, wandert zuden „Besichtigten“ hinüber und stiftet das Unheil an.“ Al-Asma c i hat einenMann, der mit dieser Kraft behaftet war, gesehen. Er erzählte ihm, sobald ihmein Gegenstand gefalle, fühle er einen Wärmestrahl aus seinen Augen herausströmen.Ferner behauptet dieser Historiker, daß es Leute gäbe, welche eine
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ganze Familien mit dem „bösen Blick“ behaftet, wo alle oder die meisten Mitglieder
die unheilbringende Kraft besitzen sollen. Der Vater vererbt sie seinem
Sohne, genau wie überhaupt alles vom Vater auf den Solm übergeht: des Vaters
Wissenschaft, so daß des Arztes Sohn von Natur aus Arzt ist. Er vererbt sein
Handwerk und seine Stellung und so auch den „bösen Blick“.
Dem „bösen Blick“ werden viele wunderbare Wirkungen zugesehrieben.
Diese Wirkungen können vom Träger des „bösen Blickes“ bewußt oder unbewußt
hervorgerufen
werden.
Unbewußt, ohne daran zu denken, geschweige es zu wollen, kann eine
unschuldige, harmlose Person den Schaden des bösen Blickes anrichten. Die
Mutter kann ihr eigenes Kind, der Bräutigam seine Braut, der Mensch sich selbst
„treffen“. Freilich die schädliche Wirkung vollzieht sich nur dann, wenn einer
es unterläßt, den Namen Gottes auszurufen. Es bewundert etwa eine Mutter
ihr Kind und sagt: scliüfu ma asmanu = sehet wie dick es ist; oder es bestaunt
einer seinen guten Appetit mit den Worten: ja baije Icaddesch akalt = mein
Vater (d. h. Oh, ein Bewunderungsausruf!) Avieviel habe ich gegessen; oder es
rühmt sich ein Herrscher seines mächtigen Reiches, ohne sich unter Gottes
Schutz durch Anruf zu stellen, so kann der Schaden ihn ereilen. Folgende
Geschichte ,
welcher höchstwahrscheinlich die Geschichte des Königs David
1 Ch. 21 und 2 Sam. 24 zugrunde liegt, illustriert diesen Fall am besten.
Der Kadi (Richter) Husen erzählt: Ein Prophet Gottes, der zugleich König war, äußerte sich
eines Tages voll Stolz und Bewunderung über die große Zahl seines Volkes. Zur Strafe vernichtete
Gott in einer Nacht 100000 Mann. Des Morgens trauerte der Prophet über dieses große
Unglück. Gott fragte ihn: „Du hast durch deine Bewunderung über die große Zahl deiner Untertanen
sie „berufen“, (oder anders ausgedrückt) sie „beäugt“ (wörtliche Übersetzung von'intahum
— hocbarabisch). Warum hast du sie nicht vorher gegen die bösen Folgen solchen Tuns geschützt
durch den Spruch: Der lebendige, allmächtige Gott soll euch erhalten und alles Böse von euch
fern
halten?“
Bewußt und mit Absicht. Böswillige, unlautere und feindselige Personen
bedienen sich dagegen des „bösen Blickes“, wenn sie das „Be schreien“
bezwecken. Der tiefere Beweggrund ist meistens in maßlosem Neid zu suchen,
in schnöder Mißgunst, die dem andern sein wirkliches oder auch nur vermutliches
Glück und Wohlergehen nicht gönnen mag. Neid und „böser Blick“
gehören eng zusammen und sind unzertrennbar miteinander verbunden. Was
das hocharabische Sprichwort vom Neider sagt: al-hasüd la jasiid — der Neider
lebt (oder regiert) nicht lange, wird von manchem Fellachen auf das Auge des
Neiders sprichwörtlich übertragen: c en el-liasüd ma bitsüd — das Auge des
Neiders lebt nicht lange.
Die Quacksalber erklären diese Kraft des „Blickes“ in ihren Büchern
folgendermaßen: „Es kann nicht geleugnet Averden, daß jeder natürliche Mensch
eine unsichtbare giftige Substanz in sich birgt. Wenn er nun etAvas anschaut,
das ihm gefällt, so löst sich von diesem Gift etwas in die Luft auf, wandert zu
den „Besichtigten“ hinüber und stiftet das Unheil an.“ Al-Asma c i hat einen
Mann, der mit dieser Kraft behaftet war, gesehen. Er erzählte ihm, sobald ihm
ein Gegenstand gefalle, fühle er einen Wärmestrahl aus seinen Augen herausströmen.
Ferner behauptet dieser Historiker, daß es Leute gäbe, welche eine