Aberglaube und Volksmedizin im Lande der Bibel. Hamburg: L. Friederichsen & CO., 1914.
Superstition and Folk Medicine in Palestine (the Land of the Bible)
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2. Der „böse Blick“.
In allem Aberglauben spielt das Auge und der Blick die bedeutendste
Rolle. Das. merkwürdige Organ mit seiner heute noch nicht bis ins einzelste
aufgeklärten Physiologie und mit seiner sozusagen manifesten Tätigkeit, dem
Vorgang des Sehens oder des Blickens besaß jederzeit die Anziehungskraft des
Rätsels, des Geheimnisvollen. Primitive Erklärungsversuche unzivilisierter Völker
oder einfacher Leute haben sich ebenso dahinter gemacht, wie der Forschertrieb
alter und neuer Zeit. Der Naturmensch voll ungezügelter Phantasie und ebenfalls
der heutige Palästinenser hängen dem Auge eiue Unmasse von mystischen,
übernatürlichen Kräften und Eigenschaften an. Dabei ist es charakteristisch, daß
in den meisten Fällen dem Auge eine unheilvolle Macht zugeschrieben wird.
Und nicht nur die klassischen Völker des Altertums glaubten an seine übernatürliche,
schadenbringende Wirkung. Ihnen galt das Auge mit magischer Kraft
gefüllt, wie eine Leidener Flasche. Wir linden diesen Gedanken bis auf den
heutigen Tag unter allen Völkei'n. 1 In Palästina nun wird nicht allein bei dem
ungebildeten Volk diese Anschauung gehegt und gepflegt, sondern sie ist auch
unter dem größeren Teil der den besseren Klassen Angehörenden lebendig.
Der Aberglaube des „bösen Blicks“ ist also in allen Bevölkerungsschichten
zu treffen. Doch läßt sich über sein Vorkommen etwa so viel noch näher
sagen, daß er mehr vertreten ist unter den Mohammedanern als unter den
Christen, mehr unter den Fellachen und Beduinen als unter den Städtern, mehr
unter den Griechisch-Orthodoxen als den Protestanten und Katholiken, unter
den bejahrten Leuten, besonders bei alten Frauen mehr als bei den jungen.
Ein jeder Mensch soll einen „bösen Blick“ haben, wenn auch selten im
Leben. Ältere Leute und wieder vorzugsweise Frauen besitzen diese Kraft im
allgemeinen mehr als jüngere. Das „Auge“ der kinderlosen Frau und das „Auge“
des bartlosen Mannes kann besonders leicht schadenbringend sein. Deshalb
heißt es : allall ijhmina min taläte min el-auar u killit hajäh min el-akra c u karaf
imliaijäli u min el-adschrüde mjünuh. Das bedeutet: Gott behüte uns vor Dreien
Vor dem Einäugigen, wegen seiner Unverschämtheit 2 und vor dem Kahlköpfigen
wegen seines ekelerregenden Aussehens und vor dem Bartlosen, da sein Auge
3
trifft . Die stärksten Wirkungen auf andere üben aber diejenigen Menschen
aus, die blaue Augen und weitauseinanderstehende Vorderzähne haben „
ceneh
(Hünuh ) zurk uisnänuh furk“. Von altersher befürchtete man auch häufig von
solchen mit sich kreuzenden Augenbrauen Schaden. Dieser Zug im Aberglauben
vom „bösen Blick“ ist auf den jetzigen Palästinenser von den Hebräern gekommen.
Hat ein Mensch mehrere dieser Eigenschaften, so ist sein Auge besonders
gefährlich. Er wird als Unheilbringer gemieden. Zuweilen findet man
1
Viele erklären die Wirkung des bösen Blickes folgendermaßen :
einem Menschen, der vom
Übel heimgesucht, d. h. von bösen Geistern bewohnt ist, bedeuten die Augen die Ausfallspforten
für die unheimlichen Bewohner; sie fahren durch die Augen heraus und stürzen sich auf das
Angeschaute, um ihm zu schaden. Auf meine Nachfrage bestätigte sich diese Annahme nicht,
mag sie auch bei anderen Völkern, wie z. B. den Indern die allgemein anerkannte Erklärung sein.
2
Es heißt auch „ma bijstlii illa en-nazar“
d. h. nur der Sehende (eigent. das Sehorgan) schämt sich.
3
Ein anderes Wort heißt: sabah el-krüd uala sabah el-adschrüd, lieber den Morgengruß eines
Affen, als den eines Bartlosen.