Aberglaube und Volksmedizin im Lande der Bibel. Hamburg: L. Friederichsen & CO., 1914.

Superstition and Folk Medicine in Palestine (the Land of the Bible) Superstition and Folk Medicine in Palestine (the Land of the Bible)

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Es erzählte dem Verfasser ein Glaubwürdiger, er sei mit mehreren Kaufleuten und Keisendenairf einem Schiff gefahren. Mitten auf weiter See erhob sich ein starker Wind, der die Masten zerschmetterteund die Segel zerriß und das Schiff irmkippte. Die meisten Passagiere ertranken. Erund drei andere retteten sich auf einen Holzbalken, der sie nach mancherlei Gefahr ans Ufereiner Insel trug. Die Geretteten durchkreuzten sie stundenlang, bis sie endlich von weitem einerStadt ansichtig worden. Als sie sich ihr nahten, sahen sie eine Menschenmenge außerhalb derStadtmauer um einen Palmbaum versammelt, an welchem ein Mann gekreuzigt war. Erstaunt tratensie an einen Soldaten heran und erkundigten sich, was das ernste Schauspiel zu bedeuten habe.Dieser erzählte: „Diese Insel war von einem gerechten, edlen und lieben König regiert worden,der aber in den letzten Jahren von diesem Gekreuzigten verzaubert worden war, so daß er seinVolk zuletzt vernachlässigte. Der König war gestorben und da er keinen männlichen Nachfolgerhatte, bestieg seine Tochter den Thron. Sie forderte den Mann, der ihren Vater verzaubert hatte,auf, er solle sie diese Kunst lehren und da sich dieser weigerte, ließ sie ihn auf jede erdenklicheWeise strafen. Der Gekreuzigte war aber gegen alles so gefeit, daß ihm nichts schaden konnte.“Kaum war der Soldat mit seinen Erklärungen fertig, als die Königin befahl, das Haus des Zaubererszu untersuchen, und siehe, da fand man eine Kiste voll von den verschiedensten tierischen Körperteilen:Klauen, Schlangenhäute, Insektenteile, Federn und anderes mehr, auch ein Buch, welcheseine Art Gebrauchsanweisung gab. Daraufhin untersuchte man die Kleidung des Gekreuzigten undfand eine Kapsel mit mancherlei Tierteilen, die man ihm sofort abnahm. Unmittelbar darauf wurdeein Pfeil auf ihn abgeschossen, der ihn tödlich traf.Wir begegnen dem Tragen von Amuletten in ganz Palästina und Syrien,und doch ist dabei wieder bemerkenswert, daß wir einzelne Sorten von Amulettenzwar in einigen Gegenden finden, während wir sie in anderen vergeblich suchenwürden.Ist es so nach der Gegend verschieden, welche Amulette als Schutzmittelin Ehren stehen und im Gebrauch sind, so ist die Wurzel des dem Amulettenwesenzugrunde liegenden Glaubens eine gemeinsame. Das weist uns zugleichdarauf hin, daß wir es hier mit einer uralten, vorzüglich dem Orient eigenenErscheinung zu tun haben. In den Amuletten haben wir einen Seitenzweig deseinst so mächtigen religiösen Symbolismus des alten Orientes zu erblicken. AufSchritt und Tritt Avird sich uns das bestätigen, wenn wir die Ergebnisse sorgsamerErkundigung bei den Angehörigen der A^erschiedenen Volksschichten vergleicheneinerseits- mit den Büchern religiösen und volksmedizinischen Inhalts,die heute im Gebrauche beim Volke sind, und andererseits mit der Mythologieder alten Völker.Das AmulettAvesen auf seine tiefsten Wurzeln hin betrachtet, ist hineinzustellenin das Lebensganze des alten und neuen Orients. Sitten und Gebräuche,Redensarten und Lebensverhältnisse, Sagen und Geschichten von einst und jetztsind dabei in Rechnung zu ziehen, sofern sie alle des Einschlages nicht entbehren,den wir auch im AmulettAvesen vorfinden, und der auf eine alte Gesamtweltauffassungzurückweist. Wir haben mit anderen Worten die Religionsgeschichtezu fragen, wenn wir den gläubigen Gebrauch von Amuletten erklären wollen.Von dieser religionsgeschichtlichen Erklärung ist zu unterscheiden,oder geht auch mit ihr Hand in Hand eine rationelle.1. Die religionsgeschichtliche Erklärung:Im Rahmen der altorientalischen Welterklärung galten die Himmelskörper,insbesondere die Planeten für die Leiter alles Geschehens in Naturund Geschichte. Sie Avurden als Wohnorte von Göttern oder auchselbst als Gottheiten angesehen. In der ganzen Amulettfrage ist

:83darauf Rücksicht zu nehmen, sofern nämlich jedem Planeten besondereMetalle, Farben, Edelsteine, Halbedelsteine, menschlicheKörperteile und ähnliches geweiht waren. Aus dieser heiligen Bestimmungwurde eine Zauber-, Schutz- und Heilkraft dieser Gegenstände hergeleitet.Im Altertum wurden nicht allein Sternbilder, die im Ansehen vonGottheiten standen, angebetet, sondern auch alles, was ihnen geweiht war. Heuteist zwar das an die Sternbilder oder an sonstige Gegenstände gerichtete Gebetverschwunden, aber der feste Glaube besteht noch, daß die Himmelskörper einenunmittelbaren Einfluß auf das Wohl und Wehe jedes Menschen haben.Von diesem Gesichtspunkt aus erklärt sich auch die Verwendung des Tierkörperszu Amuletten. Diese Amulette sind wohl zum allergrößten Teil vonTieren genommen, die von den Alten einer Gottheit, einem Sternenbild zugeteiltwaren, oder selbst göttlich verehrt wurden.Dieser Zusammenhang läßt sich freilich nicht überall nachweisen, wo manihn fast sicher vermuten möchteDas getrocknete A u g e einer schwarzen Kuh wird als Amulett gebraucht.Der Ochse, manchmal auch ein Kalb, steht in magischen Formeln sehr oft fürden Mond.Die Schlange ist ein dämonisches Tier und entstammt der Unterwelt.Mohammed soll gesagt haben: „Wer eine Schlange tötet, der hat eine gute Tatvollbracht“. Abu Masüd lehrte: „wer eine Schlange umbringt, der hat dieselbeVergeltung, als wenn er einen Nichtgläubigen (käfir = Ketzer) getötet hat“.In der Mythologie der Alten wird die Schlange oft genannt, sehr oft auch alsAmulett verwendet. Bei Moses finden wir sie als Heilsträger . 1 Bis heute nochmacht man von ihr bei verschiedenen Krankheiten prophylaktisch und heilendGebrauch und nimmt dazu gern den ganzen Kopf, den Schädel oder das Rückgrat.Teile von Käfern werden als Amulette gebraucht.Fischteile, Löwenklauen sind sehr populäre Amulette.Der Glaube, daß die den Metallen und Steinen zugeschriebene ZauberundHeilkraft von den Planeten 2 ,denen sie beigeordnet sind, herrühre, hat sichdurch Jahrtausende hindurch von einem Volk aufs andere übertragen und nochheutigen Tages ist er bei den Palästinensern vertreten. Folgende Tabelle, dieeinem der vielen von den schiüch und Zauberern verwendeten Bücher entnommenist, zeigt, wie Metalle auf die einzelnen Planeten verteilt sind:Tag 3 : Sonntag Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag •Planet 3 : SonneMond Mars Merkur Jupiter Venus SaturnMetall 4 : Gold Silber Kupfer Quecksilber Zinn Eisen BleiGenau wie bei den Hebräern 3 und den Völkern des klassischen Altertums 614. Mose 21, 8.2Benzinger, Hebräische Archäologie.4Diese ersten zwei Reihen stammen ans den „scliumitsu ’l-anuär“ von Ihn el-Häddsch et-TalsamäniS. 49.3Abu Maschar und er-Raliaui stimmen mit der obigen Tabelle überein, nur daß bei letzterenKupfer für Venus und Eisen für Mars steht.5Blau.6 Paulys Real-Encycl. der klassischen Altertums-Wissenschaft I, 50 (n. Blau).* <3

Es erzählte dem Verfasser ein Glaubwürdiger, er sei mit mehreren Kaufleuten und Keisenden

airf einem Schiff gefahren. Mitten auf weiter See erhob sich ein starker Wind, der die Masten zerschmetterte

und die Segel zerriß und das Schiff irmkippte. Die meisten Passagiere ertranken. Er

und drei andere retteten sich auf einen Holzbalken, der sie nach mancherlei Gefahr ans Ufer

einer Insel trug. Die Geretteten durchkreuzten sie stundenlang, bis sie endlich von weitem einer

Stadt ansichtig worden. Als sie sich ihr nahten, sahen sie eine Menschenmenge außerhalb der

Stadtmauer um einen Palmbaum versammelt, an welchem ein Mann gekreuzigt war. Erstaunt traten

sie an einen Soldaten heran und erkundigten sich, was das ernste Schauspiel zu bedeuten habe.

Dieser erzählte: „Diese Insel war von einem gerechten, edlen und lieben König regiert worden,

der aber in den letzten Jahren von diesem Gekreuzigten verzaubert worden war, so daß er sein

Volk zuletzt vernachlässigte. Der König war gestorben und da er keinen männlichen Nachfolger

hatte, bestieg seine Tochter den Thron. Sie forderte den Mann, der ihren Vater verzaubert hatte,

auf, er solle sie diese Kunst lehren und da sich dieser weigerte, ließ sie ihn auf jede erdenkliche

Weise strafen. Der Gekreuzigte war aber gegen alles so gefeit, daß ihm nichts schaden konnte.“

Kaum war der Soldat mit seinen Erklärungen fertig, als die Königin befahl, das Haus des Zauberers

zu untersuchen, und siehe, da fand man eine Kiste voll von den verschiedensten tierischen Körperteilen:

Klauen, Schlangenhäute, Insektenteile, Federn und anderes mehr, auch ein Buch, welches

eine Art Gebrauchsanweisung gab. Daraufhin untersuchte man die Kleidung des Gekreuzigten und

fand eine Kapsel mit mancherlei Tierteilen, die man ihm sofort abnahm. Unmittelbar darauf wurde

ein Pfeil auf ihn abgeschossen, der ihn tödlich traf.

Wir begegnen dem Tragen von Amuletten in ganz Palästina und Syrien,

und doch ist dabei wieder bemerkenswert, daß wir einzelne Sorten von Amuletten

zwar in einigen Gegenden finden, während wir sie in anderen vergeblich suchen

würden.

Ist es so nach der Gegend verschieden, welche Amulette als Schutzmittel

in Ehren stehen und im Gebrauch sind, so ist die Wurzel des dem Amulettenwesen

zugrunde liegenden Glaubens eine gemeinsame. Das weist uns zugleich

darauf hin, daß wir es hier mit einer uralten, vorzüglich dem Orient eigenen

Erscheinung zu tun haben. In den Amuletten haben wir einen Seitenzweig des

einst so mächtigen religiösen Symbolismus des alten Orientes zu erblicken. Auf

Schritt und Tritt Avird sich uns das bestätigen, wenn wir die Ergebnisse sorgsamer

Erkundigung bei den Angehörigen der A^erschiedenen Volksschichten vergleichen

einerseits- mit den Büchern religiösen und volksmedizinischen Inhalts,

die heute im Gebrauche beim Volke sind, und andererseits mit der Mythologie

der alten Völker.

Das AmulettAvesen auf seine tiefsten Wurzeln hin betrachtet, ist hineinzustellen

in das Lebensganze des alten und neuen Orients. Sitten und Gebräuche,

Redensarten und Lebensverhältnisse, Sagen und Geschichten von einst und jetzt

sind dabei in Rechnung zu ziehen, sofern sie alle des Einschlages nicht entbehren,

den wir auch im AmulettAvesen vorfinden, und der auf eine alte Gesamtweltauffassung

zurückweist. Wir haben mit anderen Worten die Religionsgeschichte

zu fragen, wenn wir den gläubigen Gebrauch von Amuletten erklären wollen.

Von dieser religionsgeschichtlichen Erklärung ist zu unterscheiden,

oder geht auch mit ihr Hand in Hand eine rationelle.

1. Die religionsgeschichtliche Erklärung:

Im Rahmen der altorientalischen Welterklärung galten die Himmelskörper,

insbesondere die Planeten für die Leiter alles Geschehens in Natur

und Geschichte. Sie Avurden als Wohnorte von Göttern oder auch

selbst als Gottheiten angesehen. In der ganzen Amulettfrage ist

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