Karg-Heft Nr. 9: Das Drehtürmodell in der schulischen Begabtenförderung
Studienergebnisse und Praxiseinblicke aus Nordrhein-Westfalen
Studienergebnisse und Praxiseinblicke aus Nordrhein-Westfalen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Interview mit Prof. Dr. Christian Fischer<br />
49<br />
hat, dass projektbezogene Grundfertigkeiten vermittelt werden.<br />
Diese Vermittlung unabhängig von Themen und persönlichen<br />
Interessen zu realisieren, erschien uns schwierig.<br />
Und wir dachten dann, wir müssen die Strategievermittlung<br />
mit den persönlichen Interessengebieten koppeln. Daraus<br />
s<strong>in</strong>d dann letztlich diese sechs Stufen entstanden, wobei<br />
wir nach <strong>der</strong> För<strong>der</strong>diagnose und vor <strong>der</strong> Projektevaluation<br />
<strong>in</strong> den vier Kernphasen des Projekts (Themenwahl,<br />
Informationssuche, Projektdokumentation, Projektpräsentation)<br />
die Strategien immer mit den Themen verbunden<br />
vermitteln, die für die K<strong>in</strong><strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>teressant und<br />
beson<strong>der</strong>s relevant s<strong>in</strong>d. Mit <strong>der</strong> Konsequenz, dass die<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler diese Strategien mit Leichtigkeit<br />
und großem Interesse erwerben, weil sie ja schließlich <strong>der</strong><br />
Erforschung ihres persönlichen Interessengebiets dienen.<br />
<strong>Das</strong> haben wir dann kont<strong>in</strong>uierlich systematisiert. Dadurch<br />
ist eigentlich auch <strong>der</strong> Name »For<strong>der</strong>-För<strong>der</strong>-Projekt« zustande<br />
gekommen, zumal wir bei diesen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n aus praktischen<br />
Erfahrungen heraus gemerkt haben, dass es e<strong>in</strong>erseits gilt,<br />
sie <strong>in</strong> ihren beson<strong>der</strong>en Begabungen und persönlichen Interessen<br />
herauszufor<strong>der</strong>n – das ist dieser »For<strong>der</strong>term<strong>in</strong>us«.<br />
An<strong>der</strong>seits gilt es aber auch, diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> gezielt <strong>in</strong> ihren<br />
<strong>in</strong>dividuellen Lernkompetenzen zu för<strong>der</strong>n, zur Intervention<br />
und Prävention im Kontext von Un<strong>der</strong>achievement.<br />
Und das war auch genau die Klientel, die wir für dieses<br />
Projekt zunächst e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> den Blick genommen hatten:<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, die zugleich e<strong>in</strong>en speziellen<br />
For<strong>der</strong>- wie auch För<strong>der</strong>bedarf aufwiesen. Insofern ist auch<br />
im Rahmen dieser ersten Phase nach wie vor im <strong>Drehtürmodell</strong><br />
immer noch diese Konstellation bedeutsam, dass<br />
wir schauen, welche K<strong>in</strong><strong>der</strong> den größten For<strong>der</strong>- und För<strong>der</strong>bedarf<br />
haben und beson<strong>der</strong>e Begabungen und spezielle<br />
Interessen aufweisen, die im Regelunterricht nicht h<strong>in</strong>reichend<br />
berücksichtigt werden und die gleichzeitig aber auch<br />
gewisse Tendenzen dah<strong>in</strong>gehend zeigen, dass sie womöglich<br />
aufgrund e<strong>in</strong>es chaotischen Lern- und Arbeitsverhaltens<br />
Lern- und Leistungsschwierigkeiten entwickeln könnten.<br />
Und solche K<strong>in</strong><strong>der</strong> waren zum Beispiel auch gerade <strong>in</strong><br />
den ersten Projektgruppen. Da war zum Beispiel e<strong>in</strong> Schüler<br />
damals im Annette-Gymnasium, an den ich mich noch<br />
gut er<strong>in</strong>nern kann.<br />
Die Schule me<strong>in</strong>te, wenn e<strong>in</strong> Schüler se<strong>in</strong> Abitur<br />
nicht schaffen wird, dann wird das dieser Un<strong>der</strong>achiever<br />
se<strong>in</strong>. Interessanterweise haben wir<br />
genau diesen Schüler bei <strong>der</strong> vorletzten Expertentagung<br />
wie<strong>der</strong>gesehen, mittlerweile ist er erfolgreicher<br />
Student an e<strong>in</strong>er Eliteuniversität.<br />
Die Schule me<strong>in</strong>te, wenn e<strong>in</strong> Schüler se<strong>in</strong> Abitur nicht<br />
schaffen wird, dann wird das dieser Un<strong>der</strong>achiever se<strong>in</strong>. Interessanterweise<br />
haben wir genau diesen Schüler bei <strong>der</strong><br />
vorletzten Expertentagung wie<strong>der</strong>gesehen, mittlerweile ist<br />
er erfolgreicher Student an e<strong>in</strong>er Eliteuniversität <strong>in</strong> Taiwan.<br />
In e<strong>in</strong>em O-Ton <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Expertenarbeit <strong>in</strong> Klasse sechs<br />
schrieb er damals: »Dieses Projekt war reichlich gerissen<br />
angelegt, es hat e<strong>in</strong>en gezwungen, sich mit se<strong>in</strong>en Interessen<br />
zu beschäftigen, und darüber h<strong>in</strong>aus auch noch beigebracht,<br />
sich besser zu organisieren und die Zeit besser e<strong>in</strong>zuteilen.«<br />
GREITEN: Und wie kam es dann zur konkreten Projektgestaltung?<br />
FISCHER: Wir haben Schritt für Schritt versucht, das Projekt<br />
immer genauer zu systematisieren, mit unterschiedlichen<br />
Stufen. Also nach <strong>der</strong> pädagogischen Diagnostik <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Phase e<strong>in</strong>s, wo es darum geht, eben den <strong>in</strong>dividuellen For<strong>der</strong>-<br />
und För<strong>der</strong>bedarf festzustellen, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Phase zwei das<br />
Thema nach persönlichen Interessen, beson<strong>der</strong>er Leidenschaft<br />
zu wählen, wo wir dann auch Interessenbögen nochmals<br />
mit e<strong>in</strong>setzen und dann aber auch gezielt Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schülern dabei unterstützen, womöglich erstmalig<br />
zu entdecken, wofür sie sich überhaupt <strong>in</strong>teressieren.<br />
<strong>Das</strong> wissen viele K<strong>in</strong><strong>der</strong> nämlich noch gar nicht. Und dann<br />
die Informationsrecherche <strong>in</strong> <strong>der</strong> dritten Phase. Diesen<br />
Aufbau bzw. Verlauf haben wir dann auch weiter ausdifferenziert.<br />
Die Themenwahl ist bei älteren Schülern auch<br />
nicht mehr nur die Wahl e<strong>in</strong>es Themas, son<strong>der</strong>n vielmehr<br />
die Entwicklung e<strong>in</strong>er Forschungsfragestellung. <strong>Das</strong> heißt,<br />
ursprünglich war das Projekt auch e<strong>in</strong> Projekt zum selbstregulierten<br />
Lernen. Je älter die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />
werden, desto stärker wird es aber auch e<strong>in</strong> Projekt zum<br />
forschenden Lernen. Aber nicht nur im klassischen S<strong>in</strong>ne<br />
dieses Begriffs des forschenden Lernens <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule,<br />
son<strong>der</strong>n tatsächlich im S<strong>in</strong>ne des forschenden Lernens,<br />
was sich an dem forschungslogischen Prozess <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wissenschaft<br />
orientiert. Bei jüngeren Schülern sieht die Informationssuche<br />
dann so aus, dass sie Literatur recherchieren<br />
o<strong>der</strong> Experten <strong>in</strong>terviewen, vielleicht kle<strong>in</strong>e Befragungen<br />
machen. Bei älteren Schülern verhält es sich so, dass sie<br />
sich auch tatsächlich mit wissenschaftlichen Artikeln ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzen,<br />
o<strong>der</strong> sie entwickeln Fragebögen und führen<br />
Experimente nach klassischen Kriterien durch und<br />
arbeiten mit Experimental- und Kontrollgruppen. Dann<br />
dokumentieren sie <strong>in</strong> Phase vier ihre Befunde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
schriftlichen Dokumentation wie <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en, wissenschaftlichen<br />
Hausarbeiten. Dann geht es auch um Zitationsregeln,<br />
Fragen von Plagiaten und <strong>der</strong>gleichen, E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung<br />
von Abbildungen, Formulieren eigener Texte. Da s<strong>in</strong>d nicht<br />
nur Lesestrategien, son<strong>der</strong>n auch Schreibstrategien wichtig.<br />
Ja, und dann geht es <strong>in</strong> Phase fünf natürlich um die<br />
mündliche Präsentation e<strong>in</strong>es Vortrages vor Publikum, wo<br />
dann hier <strong>in</strong> Münster im Schloss <strong>der</strong> Universität immer e<strong>in</strong>