Karg-Heft Nr. 7: Hochbegabten- förderung in der Sekundarstufe
Ergebnisse der PULSS-Studie zur Untersuchung der gymnasialen Begabtenklassen in Bayern und Baden-Württemberg
Ergebnisse der PULSS-Studie zur Untersuchung der gymnasialen Begabtenklassen in Bayern und Baden-Württemberg
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
62<br />
Was bewegt die Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler?<br />
Auch das akademische Interesse zeigte <strong>in</strong> allen von uns<br />
berücksichtigten Fächern e<strong>in</strong>en leichten Rückgang, <strong>der</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Gesamtstichprobe <strong>in</strong> beiden Klassen vergleichbar groß<br />
war. Tendenziell waren die Begabtenklassen stärker an<br />
Mathematik <strong>in</strong>teressiert. In den Regelklassen war e<strong>in</strong> stärkeres<br />
Interesse im Fach Deutsch erkennbar. Diese Unterschiede<br />
zeigten sich aber nicht für die überdurchschnittlich<br />
<strong>in</strong>telligenten Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler, die <strong>in</strong> beiden<br />
Klassentypen e<strong>in</strong> vergleichbares Interesse an Mathematik,<br />
Deutsch und auch <strong>der</strong> ersten Fremdsprache berichteten.<br />
Kritisch waren die Befunde für das Deutsch<strong>in</strong>teresse, das<br />
sich für die <strong>in</strong>telligenteren Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>in</strong><br />
den Begabtenklassen ungünstiger entwickelte als <strong>in</strong> den<br />
Regelklassen. Dies kann zum Teil auf die negativere Entwicklung<br />
des akademischen Selbstkonzepts <strong>in</strong> Deutsch <strong>in</strong><br />
den Begabtenklassen zurückgeführt werden. Während damit<br />
die Befunde zum akademischen Interesse für beide<br />
Klassentypen mit <strong>der</strong> Ausnahme des Deutsch<strong>in</strong>teresses<br />
recht ähnlich ausfielen, unterschieden sich die Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler bei<strong>der</strong> Klassentypen deutlich <strong>in</strong> ihrem<br />
Need for Cognition o<strong>der</strong> ihrer kognitiven Motivation, welche<br />
sich durch Freude am Denken und dem Bedürfnis<br />
nach kognitiver Herausfor<strong>der</strong>ung auszeichnet. Im Vergleich<br />
verschiedener motivationaler Merkmale wie Interessen<br />
o<strong>der</strong> Lern- und Leistungszielen, erwies sich nur NFC<br />
als bedeutsamer Prädiktor dafür, wer überhaupt e<strong>in</strong>e Begabtenklasse<br />
besuchte; zum an<strong>der</strong>en zeigte sich, dass NFC<br />
<strong>in</strong> den Begabtenklassen deutlich höher ausgeprägt war.<br />
Begabtenklassen sche<strong>in</strong>en also gerade K<strong>in</strong><strong>der</strong> mit e<strong>in</strong>er<br />
großen Freude am Denken und e<strong>in</strong>em hohen Bedürfnis<br />
nach kognitiver Herausfor<strong>der</strong>ung anzuziehen – möglicherweise<br />
auch daher, weil diese K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Regelklassen ke<strong>in</strong>e<br />
optimale Passung zu ihren kognitiven Bedürfnissen erleben.<br />
In <strong>der</strong> Gesamtstichprobe, aber nicht mehr beim<br />
Vergleich überdurchschnittlich <strong>in</strong>telligenter K<strong>in</strong><strong>der</strong>, zeichneten<br />
sich die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>in</strong> den Begabtenklassen<br />
zudem durch e<strong>in</strong>e größere Anstrengungsbereitschaft,<br />
höhere Konzentrationsfähigkeit sowie e<strong>in</strong>er<br />
größeren Fähigkeit zur Zielverfolgung aus. Diese Unterschiede<br />
s<strong>in</strong>d damit im Gegensatz zu NFC weniger spezifisch<br />
für die Schüler und Schüler<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>es bestimmten<br />
Klassentyps, son<strong>der</strong>n eher kennzeichnend für die <strong>in</strong>telligenteren<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler.<br />
Wie geht es den Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schülern <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule?<br />
Insgesamt entwickelte sich das Klassenklima <strong>in</strong> beiden<br />
Klassentypen positiv. In <strong>der</strong> erlebten Rivalität o<strong>der</strong> im sozialen<br />
Druck/Leistungsdruck fanden sich ke<strong>in</strong>e Unterschiede<br />
zwischen den Klassentypen. Die Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler <strong>in</strong> den Begabtenklassen erlebten allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e<br />
höhere Schülerzentriertheit des Unterrichts und e<strong>in</strong>e<br />
bessere Lerngeme<strong>in</strong>schaft als die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />
<strong>der</strong> Regelklassen. Im Vergleich <strong>der</strong> überdurchschnittlich<br />
Intelligenten bei<strong>der</strong> Klassentypen fand sich dieser<br />
Unterschied zugunsten <strong>der</strong> Begabtenklassen nur noch für<br />
die Schülerzentriertheit. Fasst man diese verschiedenen<br />
Dimensionen des Klassenklimas zu e<strong>in</strong>em Gesamtklimawert<br />
zusammen, so zeigte sich auch hier e<strong>in</strong>e Verbesserung<br />
von <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> 5. Klasse bis zur Mitte <strong>der</strong> 6. Klasse<br />
und e<strong>in</strong> leichter Vorteil für die Begabtenklassen.<br />
Die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler <strong>in</strong> den Begabtenklassen<br />
erlebten allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e höhere Schülerzentriertheit<br />
des Unterrichts und e<strong>in</strong>e bessere<br />
Lerngeme<strong>in</strong>schaft als die Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler <strong>der</strong> Regelklassen.<br />
Insgesamt zeigten sich im Vergleich <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und<br />
Schüler bei<strong>der</strong> Klassentypen viele Ähnlichkeiten <strong>in</strong> sozioemotionalen<br />
Variablen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e dann, wenn wir nur<br />
die überdurchschnittlich Intelligenten aus beiden Klassentypen<br />
mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verglichen (Selbstwert, soziale Durchsetzungsfähigkeit,<br />
akademische Interessen, selbstregulative<br />
Fähigkeiten). Gab es Unterschiede, so fielen diese <strong>in</strong><br />
<strong>der</strong> Regel zugunsten <strong>der</strong> Begabtenklassen aus, auch wenn<br />
man nur die überdurchschnittlich Intelligenten aus beiden<br />
Klassentypen mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verglich (höhere soziale<br />
Anerkennung und bessere soziale Integration; höhere<br />
Freude am Denken und größeres Bedürfnis nach kognitiver<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung; höhere Schülerzentriertheit und<br />
besseres Gesamtklima <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse). Mögliche Kosten für<br />
die eigenen Fähigkeitse<strong>in</strong>schätzungen durch das Zusammense<strong>in</strong><br />
mit e<strong>in</strong>er sehr starken Vergleichsgruppe wurden<br />
durch positive Assimilationseffekte <strong>der</strong> Begabtenklassen<br />
aufgefangen, sodass <strong>der</strong> mit dem Übertritt auf das Gymnasium<br />
zu erwartende Abfall im akademischen Selbstkonzept<br />
<strong>in</strong> beiden Klassentypen vergleichbar groß ausfiel.<br />
E<strong>in</strong>zige Ausnahme war das Fach Deutsch, <strong>in</strong> dem sich <strong>in</strong><br />
den Begabtenklassen ke<strong>in</strong>e bessere Selbste<strong>in</strong>schätzung<br />
<strong>der</strong> Fähigkeiten zeigte, und <strong>in</strong> dem sich das akademische<br />
Selbstkonzept und möglicherweise <strong>in</strong> Folge davon das<br />
Interesse am Fach etwas ungünstiger entwickelten als <strong>in</strong><br />
den Regelklassen. Im H<strong>in</strong>blick auf die untersuchten Merkmale<br />
haben sich damit Begabtenklassen bewährt. Die<br />
Entwicklung im Fach Deutsch sollte allerd<strong>in</strong>gs sorgfältig<br />
beobachtet und gegebenenfalls durch entsprechende<br />
Maßnahmen zur Erhöhung des akademischen Selbstkonzepts<br />
<strong>in</strong> Deutsch und des Deutsch<strong>in</strong>teresses aufgefangen<br />
werden. Insbeson<strong>der</strong>e die Vergabe <strong>der</strong> Deutschnoten sollte<br />
<strong>in</strong> diesem Zusammenhang kritisch diskutiert werden.