Karg-Heft Nr. 7: Hochbegabten- förderung in der Sekundarstufe
Ergebnisse der PULSS-Studie zur Untersuchung der gymnasialen Begabtenklassen in Bayern und Baden-Württemberg
Ergebnisse der PULSS-Studie zur Untersuchung der gymnasialen Begabtenklassen in Bayern und Baden-Württemberg
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1. Schulische För<strong>der</strong>ung von <strong>Hochbegabten</strong><br />
13<br />
lung hat. Die Befunde e<strong>in</strong>er von He<strong>in</strong>bokel kürzlich vorgenommenen<br />
Befragung erwachsener Überspr<strong>in</strong>ger zeigen<br />
ebenfalls, dass im Rückblick die positiven Erfahrungen<br />
überwiegen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e bezüglich <strong>der</strong> Persönlichkeitsentwicklung,<br />
<strong>der</strong> Lernmotivation und <strong>der</strong> Zufriedenheit<br />
mit <strong>der</strong> schulischen Situation (HEINBOKEL 2014). Insgesamt<br />
gesehen kann das Überspr<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>er Klasse damit als<br />
gute und effektive Option für hochbegabte K<strong>in</strong><strong>der</strong> angesehen<br />
werden, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e dann, wenn die Lehrkräfte Unterstützung<br />
bei <strong>der</strong> Aufarbeitung des versäumten Lehrstoffs<br />
bieten.<br />
AKZELERATION IN GRUPPEN<br />
Neben <strong>der</strong> Möglichkeit gesamte Klassenverbände zu akzelerieren,<br />
besteht die Möglichkeit des Gruppenspr<strong>in</strong>gens.<br />
Hierbei überspr<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gruppe <strong>in</strong>tellektuell fähiger<br />
Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler entwe<strong>der</strong> im Rahmen <strong>der</strong><br />
flexiblen E<strong>in</strong>gangsstufe <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> beiden ersten Jahrgangsstufen<br />
(Übergang von <strong>der</strong> ersten <strong>in</strong> die dritte Klasse)<br />
o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Sekundarstufe</strong> e<strong>in</strong>e Klassenstufe. Der Vorteil<br />
des Gruppenspr<strong>in</strong>gens wird dar<strong>in</strong> gesehen, dass die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />
nicht alle<strong>in</strong> spr<strong>in</strong>gen und sich bei <strong>der</strong> Bewältigung <strong>der</strong><br />
neuen Anfor<strong>der</strong>ungen gegenseitig unterstützen können.<br />
E<strong>in</strong> Nachteil ist allerd<strong>in</strong>gs <strong>der</strong> deutlich höhere organisatorische<br />
Aufwand für die betroffenen Schulen. Zudem ist<br />
das Gruppenspr<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nur an großen Schulen<br />
möglich, da es ansonsten schwer ist, ausreichend viele<br />
Schüler für e<strong>in</strong>e Spr<strong>in</strong>gergruppe zusammenzubekommen<br />
(PRECKEL/VOCK 2013).<br />
Das klassische Argument für die Gruppierung<br />
Hochbegabter <strong>in</strong> separaten Klassen ist das <strong>der</strong><br />
angemessenen För<strong>der</strong>ung. Mit diesem Argument<br />
verb<strong>in</strong>det sich auch die Erwartung, dass<br />
die Qualifikation von Lehrkräften <strong>in</strong> Begabtenklassen<br />
durch entsprechende Schulung o<strong>der</strong><br />
Auswahl leichter sicherzustellen ist.<br />
Modellversuche für die Akzeleration gesamter Klassen<br />
f<strong>in</strong>den sich hauptsächlich für das Gymnasium. In <strong>der</strong> Regel<br />
werden separate För<strong>der</strong>klassen leistungsstarker Schüler<strong>in</strong>nen<br />
und Schüler gebildet, die die Unter- o<strong>der</strong> Mittelstufe<br />
des Gymnasiums <strong>in</strong> kürzerer Zeit (e<strong>in</strong> Jahr schneller)<br />
durchlaufen. In <strong>der</strong> Oberstufe werden die För<strong>der</strong>- und<br />
Regelklassen vielfach wie<strong>der</strong> zusammengeführt. Wissenschaftlich<br />
begleitete Modellversuche wurden mehrheitlich<br />
<strong>in</strong> den 90er-Jahren durchgeführt (VGL. DIE ÜBERSICHT BEI<br />
VOCK/PRECKEL/HOLLING 2007). In Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz wurden etwa<br />
die »BEGYS«-Son<strong>der</strong>klassen (Begabten<strong>för<strong>der</strong>ung</strong> am Gymnasium<br />
mit Verkürzung <strong>der</strong> Schulzeit) aufgrund <strong>der</strong> von<br />
Lehrkräften nach Abschluss <strong>der</strong> sechsten Klassenstufe<br />
beurteilten Leistungsstärke zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> siebten Klassenstufe<br />
zusammen gestellt. Der Versuch verlief <strong>in</strong>sofern erfolgreich,<br />
als sich <strong>in</strong> den akzelerierten För<strong>der</strong>klassen nicht<br />
nur die schulischen Leistungen son<strong>der</strong>n auch die Lernfreude<br />
und -motivation positiver entwickelten als <strong>in</strong> den<br />
Regelklassen. Da auch die Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> För<strong>der</strong>klassen<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> Oberstufe problemlos verlief, wird das<br />
BEGYS- Modell aktuell an 13 Gymnasien <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz<br />
weiterverfolgt (ULLRICH 2014; VOCK/PRECKEL/HOLLING 2007).<br />
Ähnlich günstig verlief e<strong>in</strong> Modellversuch mit G8-Klassen<br />
ab <strong>der</strong> fünften Klassenstufe <strong>in</strong> Baden-Württemberg (HELLER<br />
2008). Die Befunde <strong>der</strong> zehnjährigen Evaluations phase ergaben,<br />
dass die G8-Klassen ihren von Anfang an gegenüber<br />
den G9-Klassen bestehenden Leistungsvorsprung weiter<br />
ausbauen konnten. Die Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler dieser<br />
Klassen zeigten weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e stärkere Leistungsmotivation,<br />
e<strong>in</strong> höheres akademisches Selbstkonzept und günstigere<br />
Ursachenzuschreibungen (Attributionen) bei Erfolg<br />
und Misserfolg. Positive Ergebnisse liegen auch für die<br />
Berl<strong>in</strong>er Schnellläuferklassen und die Spr<strong>in</strong>gerklassen <strong>in</strong><br />
Hamburg vor.<br />
Insgesamt betrachtet zeigen die Evaluationsbefunde, dass<br />
sich die mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>richtung von För<strong>der</strong>klassen verbundenen<br />
Hoffnungen auf För<strong>der</strong>ung durch Akzeleration größtenteils<br />
erfüllt haben (SCHICK 2008; STUMPF 2012; ULLRICH 2014).<br />
Die Ergebnisse <strong>der</strong> drei beschriebenen Modellversuche<br />
deuten darauf h<strong>in</strong>, dass etwa e<strong>in</strong> Viertel <strong>der</strong> Schülerschaft<br />
e<strong>in</strong>es Gymnasialjahrgangs dazu <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist, die Gymnasialperiode<br />
<strong>in</strong> kürzerer Zeit zu durchlaufen, ohne dass es<br />
zu e<strong>in</strong>em Leistungsabfall kommt o<strong>der</strong> Probleme auf sozialer<br />
o<strong>der</strong> emotionaler Ebene entstehen. Entsprechend fallen<br />
auch die Bewertungen <strong>der</strong> Modellversuche durch<br />
Eltern und Lehrkräfte positiv aus. Die Zusammenfassung<br />
von begabten Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern <strong>in</strong> akzelerierten<br />
Klassen kann somit als effektive För<strong>der</strong>maßnahme bewertet<br />
werden. Dies entspricht auch den <strong>in</strong>ternationalen Erfahrungen<br />
mit Akzelerationsmaßnahmen, für die sich auf<br />
<strong>der</strong> Basis umfangreicher Metaanalysen e<strong>in</strong> statistisch wie<br />
auch praktisch bedeutsamer Effekt (d = .88 zugunsten <strong>der</strong><br />
Akzelerierten) nachweisen lässt (HATTIE 2009). Sie gehören<br />
demnach wohl zu den effektivsten schulischen Interventionsmaßnahmen<br />
überhaupt (PRECKEL/VOCK 2013). Nachdem<br />
mittlerweile aber <strong>in</strong> den meisten Bundeslän<strong>der</strong>n das Abitur<br />
nach zwölf Jahren (also im S<strong>in</strong>ne von G8) erworben<br />
wird, haben die akzelerierten Klassen <strong>in</strong> <strong>der</strong> alten Form<br />
ihre Bedeutung verloren. Angesichts <strong>der</strong> neuen Debatte<br />
um die Wie<strong>der</strong>e<strong>in</strong>führung des G9-Ansatzes könnte sich<br />
dies <strong>in</strong> Zukunft allerd<strong>in</strong>gs auch wie<strong>der</strong> än<strong>der</strong>n.