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Karg-Heft Nr. 7: Hochbegabten- förderung in der Sekundarstufe

Ergebnisse der PULSS-Studie zur Untersuchung der gymnasialen Begabtenklassen in Bayern und Baden-Württemberg

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1. Schulische För<strong>der</strong>ung von <strong>Hochbegabten</strong><br />

11<br />

dungschancen deutlich reduziert und soziale Ungleichheit<br />

schichtspezifischer Bildungsbeteiligung weitgehend<br />

abgebaut werden sollte.<br />

Die <strong>in</strong> <strong>der</strong> bildungspolitischen Diskussion auch heute<br />

noch weitverbreitete Gleichsetzung von Chancengleichheit<br />

mit bloßer Angebotsgleichheit war für die damalige<br />

Bildungsforschung nicht akzeptabel. Chancengleichheit<br />

erfor<strong>der</strong>t nicht gleiche, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> Abhängigkeit von den<br />

Voraussetzungen <strong>der</strong> Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler ungleiche<br />

Angebote, wie es HUSÉN (1972) schon frühzeitig deutlich<br />

formulierte: »Every child should have equal opportunity<br />

to be treated unequally« (HUSÉN 1972, 24). Chancengleichheit<br />

<strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne ist also umso eher verwirklicht, je mehr<br />

je<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne Schüler entsprechend se<strong>in</strong>er <strong>in</strong>dividuellen<br />

Voraussetzungen optimal geför<strong>der</strong>t wird. Da sich <strong>in</strong>dividuelle<br />

Voraussetzungen sehr unterscheiden können, ergeben<br />

sich daraus sehr vielfältige und durchaus unterschiedliche<br />

För<strong>der</strong>angebote.<br />

und Schüler wurden vielfach durch gesenkte Leistungserwartungen<br />

und reduziertes Lerntempo »bei Laune« gehalten.<br />

Wenn Merk male leistungsegalisierenden Unterrichts,<br />

also Trends e<strong>in</strong>er reduzierten Leistungs streuung, <strong>in</strong> Schulklassen<br />

beobachtet wurden, erfolgte dies <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel zulasten<br />

<strong>der</strong> begabteren Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler. E<strong>in</strong>e<br />

größere Chancengerechtigkeit ergab sich somit nicht für<br />

alle Lernenden, son<strong>der</strong>n eher nur für sozial benachteiligte<br />

schwächere Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler als für leistungsstärkere.<br />

In Deutschland erreichen relativ wenige K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

und Jugendliche die höchsten Kompetenzstufen.<br />

Überdurchschnittlich und hochbegabte<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler schöpfen demnach<br />

ihr Leistungspotenzial nicht aus.<br />

Das <strong>in</strong> den 70er-Jahren expandierende Forschungs<strong>in</strong>teresse<br />

an Fragen <strong>der</strong> Chancengleichheit und Chancen gerechtigkeit<br />

öffnete neue Wege für die empirische Bildungsforschung,<br />

<strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e die Lehr-Lern forschung,<br />

<strong>der</strong>en Ergebnisse auch für die weitere Planung und Gestaltung<br />

von Unterrichts vorgän gen bedeutend schienen. Es<br />

wurden systematisch Möglichkeiten des Chancen ausgleichs<br />

im Unterricht erkundet, etwa über die Identifikation<br />

von kompetenten Lehrpersonen, denen es gel<strong>in</strong>gt,<br />

das Leistungsniveau <strong>der</strong> meisten Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler<br />

deutlich zu steigern, ohne e<strong>in</strong>en sogenannten »Schereneffekt«<br />

zu produzieren. Letzteres me<strong>in</strong>t, dass sich<br />

die Leistungsunterschiede zwischen anfangs schwachen<br />

und anfangs besseren Schülern im Verlauf des traditionellen<br />

Unterrichts häufig weiter vergrößern. Lehrkräften<br />

mit großem pädagogischem Geschick sollte es nach Auffassung<br />

<strong>der</strong> Bildungsreformer <strong>der</strong> 70er-Jahre gel<strong>in</strong>gen,<br />

diese Entwicklung dadurch zu verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, dass den schwächeren<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern beson<strong>der</strong>s viel Hilfestellung<br />

gewährt und damit eher leistungsegalisieren<strong>der</strong><br />

Unterricht betrieben wird.<br />

Diese pädagogische Hoffnung wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität nicht<br />

erfüllt. Wie die Befunde von groß angelegten Projekten zur<br />

Lehr-Lernforschung <strong>in</strong> den 70er- und 80er-Jahren ergaben,<br />

wurde das angedachte Ziel <strong>der</strong> Leistungsegalisierung von<br />

Unterricht im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er zunehmenden Homogenisierung<br />

<strong>der</strong> schulischen Leistungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht erreicht.<br />

Wenn es zu solchen Homogenisierungen kam, wurde<br />

dieses Ziel nicht durch Verbesserung <strong>der</strong> schwächeren,<br />

son<strong>der</strong>n durch die (relative) Verschlechterung <strong>der</strong> guten<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler erreicht (Z. B. HELMKE/SCHNEIDER/<br />

WEINERT 1986; TREIBER/WEINERT 1985). Intellektuell fähige und<br />

gute Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler erhielten meist e<strong>in</strong>en wenig<br />

for<strong>der</strong>nden Unterricht und schwächere Schüler<strong>in</strong>nen<br />

Neuere nationale wie <strong>in</strong>ternationale Schulvergleichsstudien<br />

wie PISA o<strong>der</strong> IGLU belegen, dass sich dieses für<br />

leistungsstärkere Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler so nachteilige<br />

Bild nicht grundlegend verän<strong>der</strong>t hat. In Deutschland<br />

erreichen im <strong>in</strong>ternationalen Vergleich immer noch relativ<br />

wenige K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche die höchsten Kompetenzstufen.<br />

Überdurchschnittlich und hochbegabte Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schüler schöpfen demnach ihr Leistungspotenzial<br />

nicht aus. E<strong>in</strong> wesentlicher Grund für dieses Problem<br />

wird dar<strong>in</strong> gesehen, dass die Lehrkräfte nach wie vor den<br />

traditionellen Frontalunterricht bevorzugen. Dies führt<br />

gerade <strong>in</strong> Grundschulklassen mit e<strong>in</strong>er sehr heterogenen<br />

Schülerschaft (die IQ-Unterschiede zwischen den schwächeren<br />

und leistungsstärkeren Schülern weisen oft mehr<br />

als 50 Punkte auf) dazu, dass man sich im Unterricht an<br />

den eher schwächeren bis durchschnittlichen Schüler<strong>in</strong>nen<br />

und Schülern orientiert und die fähigeren K<strong>in</strong><strong>der</strong> von<br />

Beg<strong>in</strong>n an unterfor<strong>der</strong>t s<strong>in</strong>d. Entsprechend lautet e<strong>in</strong> Fazit<br />

<strong>der</strong> neueren Schulvergleichsstudien, dass nicht nur leistungsschwache<br />

und sozial benachteiligte, son<strong>der</strong>n auch<br />

Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler mit e<strong>in</strong>em hohen Leistungspotenzial<br />

besser und gezielt unterstützt werden müssen<br />

(PRENZEL ET AL. 2013; SCHNEIDER 2013). Obwohl sich die meisten<br />

hochbegabten Schüler<strong>in</strong>nen und Schüler im regulären<br />

Schulkontext bewähren und auch überdurchschnittliche<br />

Leistungsentwicklungen zeigen, lassen sich auch bei hoher<br />

<strong>in</strong>tellektueller Fähigkeit immer wie<strong>der</strong> sogenannte<br />

»un<strong>der</strong>achiever« f<strong>in</strong>den, die lediglich durchschnittliche,<br />

vielfach auch unterdurchschnittliche Schulleistungen aufweisen<br />

(ROST 2000). In vielen Fällen lässt sich diese problematische<br />

Entwicklung als Konsequenz von Unterfor<strong>der</strong>ung<br />

im Unterricht <strong>in</strong>terpretieren. Dauerhafte schulische<br />

Unterfor<strong>der</strong>ung kann nicht nur die Leistungsentwicklung,

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