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Karg-Heft Nr. 5: Begabung und Verantwortung

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Über <strong>Verantwortung</strong> von Lehrkräften im Kontext von Schulentwicklungsprozessen<br />

71<br />

Schule <strong>und</strong> das Schulleben von allen Akteuren handelnd so<br />

konstituiert <strong>und</strong> weiterentwickelt werden kann, dass <strong>Begabung</strong>sförderung<br />

für alle Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen realisiert<br />

werden kann. Dies hängt in erster Linie mit Entwicklungen<br />

in den Einzelschulen zusammen, die jedoch eingebettet in<br />

ein Bildungssystem auch eng verflochten sind mit Entwicklungen<br />

auf der Gesamtsystemebene.<br />

ZUR VERANTWORTUNG IM KONTEXT VON<br />

SCHULENTWICKLUNG<br />

<strong>Verantwortung</strong> als ethischer Massstab<br />

für Lehrerhandeln<br />

Mit der zunehmenden Autonomie der Einzelschule tritt<br />

die Forderung nach professionell handelnden Lehrerinnen<br />

<strong>und</strong> Lehrern immer mehr ins Zentrum erziehungswissenschaft<br />

licher Diskurse. Auf die Frage: ›Was müssen Lehrer<br />

können?‹ bieten forschungsbasierte Kompetenzmodelle, wie<br />

zum Beispiel das Modell der »Domänen von Lehrer/innenprofessionalität«<br />

von Michael Schratz u. a. (2008), schein bar<br />

klare Antworten. Doch angesichts der komplexen <strong>und</strong> mitunter<br />

auch herausfordernden zwischenmenschlichen Situationen,<br />

in denen sich die Akteure in den Schulen täglich<br />

wiederfinden, zeigen sich die Defizite dieser Modelle, wenn<br />

es darum geht, ethische Maßstäbe für konkretes Handeln<br />

anzubieten. Sie geben keine Antworten darauf, wie die Lehrerinnen<br />

<strong>und</strong> Lehrer ihr Wissen <strong>und</strong> Können handelnd in<br />

der Praxis realisieren sollen.<br />

Die Schwierigkeit besteht darin, dass Lehrerhandeln personenbezogen<br />

ist. Ausgehend von der Anthropologie der<br />

Person (WEIGAND 2004) impliziert dies, dass Lehrerhandeln<br />

immer einmalig, d. h. auf konkrete Herausforderungen bezogen,<br />

erfahrungsbezogen <strong>und</strong> im Modus der Kommunikation<br />

verläuft. Oder, wie es der Neurobiologe Gerhard Roth<br />

formuliert: »Alles Lehren <strong>und</strong> Lernen findet im Rahmen<br />

der Persönlichkeit [Herv. d. Verf.] des Lehrenden <strong>und</strong> des<br />

Lernenden <strong>und</strong> damit im Rahmen seiner kognitiven, emotionalen<br />

<strong>und</strong> motivationalen Fähigkeiten statt. Darauf nicht<br />

Rücksicht zu nehmen, mindert den Bildungserfolg dramatisch«<br />

(ROTH 2011, 31). Die Persönlichkeit, so führt Roth weiter<br />

aus, bestimmt »seine Gr<strong>und</strong>haltung gegenüber seiner beruflichen<br />

Tätigkeit <strong>und</strong> gegenüber den Lernenden« (ROTH<br />

2011, 308).<br />

Wird die Lehrperson als »Persönlichkeit« verstanden, impliziert<br />

dies, dass es keine standardisierten Lösungen für<br />

professionelles Lehrerhandeln geben kann. Aus bildungstheoretischer<br />

Perspektive scheint es deshalb umso wichtiger,<br />

einen handlungsleitenden Maßstab für Lehrerhandeln anzubieten,<br />

der einerseits Sicherheit, andererseits größtmögliche<br />

Freiheit für das Lehrerhandeln bietet. Wie an anderer Stelle<br />

ausführlich begründet (MAULBETSCH 2010, 12f.), leistet der <strong>Verantwortung</strong>sbegriff<br />

in der Praxis sowohl im pädagogischen<br />

als auch im organisationalen Handeln eine solche Orientierungshilfe.<br />

Was genau ist nun unter <strong>Verantwortung</strong> als ethischem Prinzip<br />

zu verstehen? Die inhaltliche Offenheit des Begriffs<br />

wird hier unter dem Aspekt der Zuschreibung auf drei<br />

Dimensionen konzentriert: die zeitliche Dimension, die relationale<br />

Dimension <strong>und</strong> die ethische Dimension. Zunächst<br />

zeigt sich <strong>Verantwortung</strong> in einer zeitlichen Dimension<br />

mittelbar durch die bewusste Ausübung bestimmter Handlungen<br />

(im prospektiven Sinn bin ich verantwortlich für<br />

jemanden/etwas) <strong>und</strong> durch die Wirkung derselben (im retrospektiven<br />

Sinn werde ich zur <strong>Verantwortung</strong> gezogen).<br />

Diese zeitliche Dimension lässt sich erweitern durch eine<br />

zweite Dimension, die hier als relationale Dimension bezeichnet<br />

wird. Demnach wird <strong>Verantwortung</strong> als mehrstelliger<br />

Relationsbegriff gefasst. In der Regel werden drei Relationen<br />

angegeben, d. h. ein <strong>Verantwortung</strong>ssubjekt, also<br />

Wird die Lehrperson als »Persönlichkeit« verstanden,<br />

impliziert dies, dass es keine standardisierten<br />

Lösungen für professionelles Lehrerhandeln<br />

geben kann.<br />

jemand ist für etwas oder jemanden (<strong>Verantwortung</strong>sinhalt)<br />

vor oder gegenüber jemandem (<strong>Verantwortung</strong>sinstanz)<br />

verantwortlich. <strong>Verantwortung</strong> realisiert sich folglich<br />

in einer Handlung, die sowohl durch Freiheit als auch durch<br />

Pflicht bestimmt ist <strong>und</strong> sich an Werten <strong>und</strong> Normen orientiert.<br />

Die Wert- <strong>und</strong> Normbezogenheit wiederum verweist<br />

auf die dritte, ethische Dimension. Mit Bezug auf Löwisch<br />

zeigt sich <strong>Verantwortung</strong> in einer ethischen Dimension als<br />

»Handlungsprinzip« darin, dass jede handelnde Person<br />

zwischen verschiedenen <strong>Verantwortung</strong>sarten abzuwägen<br />

hat. Demnach ist die untere Stufe die Funktions- oder Rollenverantwortung,<br />

die mittlere Stufe die Gemeinwohl- oder<br />

Bürgerverantwortung <strong>und</strong> die oberste Stufe die Gewissensoder<br />

personale <strong>Verantwortung</strong> (LÖWISCH 2006, 75). Wichtig ist,<br />

dass in jeder Handlungssituation die drei genannten <strong>Verantwortung</strong>sarten<br />

aufs Neue gegeneinander abgewogen<br />

werden <strong>und</strong> folglich eine <strong>Verantwortung</strong>spräferenz festgelegt<br />

wird, ohne die anderen <strong>Verantwortung</strong>sarten auszublenden.<br />

Wenn <strong>Verantwortung</strong> als Maßstab für Lehrerhandeln dient,<br />

dann impliziert dies eine bestimmte ethische Haltung <strong>und</strong><br />

Einstellung – oder im Duktus von Roth, eine bestimmte<br />

Persönlichkeit – mit der Handlungen im Berufsfeld ausgeübt<br />

werden. Es handelt sich um die Bereitschaft, mit der

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