Pirouette No. 05/2020 Mai + Juni
Interviews, Porträts und History Die erste Doppelausgabe des Sommers ist endlich da. Diesmal mit Interviews, Porträts, Eislauf-Geschichte, Buchbesprechungen und vielen News aus aller Welt. … Aus dem Inhalt: · Regeländerungen 2020/2021 · ISU-Beschlüsse 2020/2021 · Eislaufstars sammelten für WHO · Interview: Carolina Kostner · Interview: Andrei Mozalev · Corona: Wie Eisläufer die Krise überbrücken · Portrait: Drobiazko & Vanagas · Portrait: Yuma Kagiyama · Nathalie Péchalat 60 Tage im Amt · Wettbewerbe der kommenden Saisons (Liste) · Bundeskaderliste 2020/2021 · Neues aus Russland · Diskussionen über Sprünge 1985 und heute · Die nächste Generation auf dem Eis · Olga Sevastianovas Unfall · Buchrezension: Sarah Abitbol · Buchrezension: Alexei Mishin · Eislaufgeschichte: Die Grundfiguren · Interview: Victoria Sinitsina & Nikita Katsalapov · Neues aus aller Welt Titelbild: Victoria Sinitsina & Nikita Katsalapov, Foto: Olga Timochova Auch als Printversion erhältlich unter: www.pirouette-online.de/nr-5-mai-juni-2020.html (Erscheinungstermin 05.06.2020)
Interviews, Porträts und History
Die erste Doppelausgabe des Sommers ist endlich da. Diesmal mit Interviews, Porträts, Eislauf-Geschichte, Buchbesprechungen und vielen News aus aller Welt. …
Aus dem Inhalt:
· Regeländerungen 2020/2021
· ISU-Beschlüsse 2020/2021
· Eislaufstars sammelten für WHO
· Interview: Carolina Kostner
· Interview: Andrei Mozalev
· Corona: Wie Eisläufer die Krise überbrücken
· Portrait: Drobiazko & Vanagas
· Portrait: Yuma Kagiyama
· Nathalie Péchalat 60 Tage im Amt
· Wettbewerbe der kommenden Saisons (Liste)
· Bundeskaderliste 2020/2021
· Neues aus Russland
· Diskussionen über Sprünge 1985 und heute
· Die nächste Generation auf dem Eis
· Olga Sevastianovas Unfall
· Buchrezension: Sarah Abitbol
· Buchrezension: Alexei Mishin
· Eislaufgeschichte: Die Grundfiguren
· Interview: Victoria Sinitsina & Nikita Katsalapov
· Neues aus aller Welt
Titelbild:
Victoria Sinitsina & Nikita Katsalapov, Foto: Olga Timochova
Auch als Printversion erhältlich unter: www.pirouette-online.de/nr-5-mai-juni-2020.html (Erscheinungstermin 05.06.2020)
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<strong>Pirouette</strong> Nr. 5 | <strong>Mai</strong> & <strong>Juni</strong> <strong>2020</strong> Internationales Eiskunstlauf-Magazin | 53. Jahrgang | www.pirouette-online.de<br />
Victoria Sinitsina & Nikita Katsalapov<br />
Interviews<br />
Porträts<br />
Geschichte<br />
Neue Bücher<br />
News<br />
<strong>Pirouette</strong>-Online<br />
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Europameisterschaften in Graz<br />
Minerva Fabienne Hase & <strong>No</strong>lan Seegert<br />
Das Paarlaufniveau in Deutschland ist auch ohne Aljona Savchenko mit<br />
ihren Partnern auf einem guten Niveau. Mit einem guten fünften Platz von<br />
Minerva Fabienne Hase und <strong>No</strong>lan Seegert konnte man nach ihren Grand<br />
Prix-Leistungen rechnen. Großen Grund zur Freude hatten sie nach dem KP,<br />
denn erstmals im Leben übersprangen sie hier die Schallmauer von 70<br />
Punkten. Alle sieben Elemente gelangen und die Komponenten gingen bis<br />
auf 8,50. Die Kür war dagegen nicht optimal, denn Seegert stürzte beim 3S<br />
und Hase landete beide weggeworfenen Sprünge unsauber. Sehr gut<br />
glückten dagegen der Twist, die Hebungen und die 3T-2T-Kombination.<br />
Foto von Hella Höppner: Hase/Seegert bei der EM-Gal
Impressum<br />
Verlags- und Redaktionsanschrift:<br />
STS·Verlag+Werbung<br />
Stefan Schulze<br />
Am Stutz 14<br />
97993 Creglingen<br />
Fon 07933-700-191<br />
Fax 07933-700-192<br />
E-<strong>Mai</strong>l: info@pirouette-online.de<br />
Webshop www.pirouette-online.de<br />
Facebook: www.facebook.com/pirouettemagazin<br />
3<br />
Inhalt & Termine<br />
Verlagsleitung: Stefan Schulze<br />
Chefredakteur: Klaus-Reinhold Kany<br />
Stellvertreterin: Tatjana Flade<br />
Mitarbeiter: Manuela Buyny, Albert-René Kolb<br />
(Schweiz), Katrin Flaschka (Österreich), Hella Höppner<br />
Grafik: Stefan Schulze, Andreas Münch<br />
Anzeigen: Stefan Schulze<br />
Kundenbetreuung: Angelika Manicone<br />
Für unverlangt eingesandte Manuskripte<br />
und Bildzuschriften haftet der Verlag nicht.<br />
Portrait auf Seite 12: Margarita Drobiazko und Povilas Vanagas, Foto: Flade<br />
Inhalt<br />
Regeländerungen <strong>2020</strong>/2021 4<br />
ISU-Beschlüsse <strong>2020</strong>/2021 5<br />
Eislaufstars sammelten für WHO 5<br />
Beiträge, die mit Namen oder Initialen des Verfassers<br />
gezeichnet sind, stellen nicht unbedingt die Meinung<br />
der Redaktion oder des Herausgebers dar. Für die<br />
Richtigkeit der Mitteilungen und Berichte zeichnen<br />
die Clubs verantwortlich. Zuschriften können von uns,<br />
falls kein ausdrücklicher Vor behalt gemacht wird, im<br />
Wortlaut oder aus zugs weise veröffentlicht werden.<br />
Erscheinungsweise: 10 mal im Jahr, <strong>Mai</strong>/<strong>Juni</strong> und<br />
Juli/August sind Doppelausgaben, sonst monatlich.<br />
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Einzelheft: 6,50 EUR zzgl. Versandkosten<br />
Jahresabonnement:<br />
Deutschland: 65 EUR, EU: 68 EUR inkl. Versand<br />
Probeabo: 33 EUR, EU: 35 EUR inkl. Versand<br />
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Festpreis in unserer Preisliste, z.B. 1/8 Seite<br />
1<strong>05</strong>,- EUR. Download unter www.pirouette-online.de/<br />
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Copyright für alle Beiträge bei: STS·Verlag+Werbung.<br />
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nur mit schriftlicher Ge neh migung des Verlags.<br />
Gerichtsstand: Bad Mergentheim<br />
Kündigung sind bis acht Wochen vor Ablauf des<br />
Abon ne ments möglich, sonst erfolgt Verlängerung um<br />
ein weiteres Jahr. Eine Kündigung bedarf der<br />
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Interview auf Seite 31: Victoria Sinitsina und<br />
Nikita Katsalapov, Foto: Flade<br />
Interview auf Seite 8: Andrei Mozalev, Foto: Flade<br />
Titelbild:<br />
Victoria Sinitsina & Nikita Katsalapov<br />
Foto: Olga Timochova<br />
Erscheinungstermin<br />
der nächsten <strong>Pirouette</strong>:<br />
Anfang August<br />
Wir bitten um Beachtung: Sämtliche Eislauf-<br />
Events wurden wegen Corona abgesagt. Daher<br />
erscheint unsere Sommerausgabe Juli/August<br />
etwas später als gewohnt. Das genaue Datum<br />
der Veröffentlichung steht noch nicht fest.<br />
Interview: Carolina Kostner 6<br />
Interview: Andrei Mozalev 8<br />
Wie Eisläufer die Krise überbrücken 9<br />
Neues aus aller Welt 10<br />
Portrait: Drobiazko & Vanagas 12<br />
Portrait: Yuma Kagiyama 14<br />
Nathalie Péchalat 60 Tage im Amt 15<br />
Wettbewerbe der kommenden Saisons 16<br />
Neues aus aller Welt 17<br />
Bundeskaderliste <strong>2020</strong>/2021 18<br />
Neues aus Russland 19<br />
Diskussionen über Sprünge 1985 und heute 20<br />
Neues aus aller Welt 21<br />
Die nächste Generation auf dem Eis 22<br />
Olga Sevastianovas Unfall 24<br />
Buchrezension: Sarah Abitbol 25<br />
Buchrezension: Alexei Mishin 27<br />
Eislaufgeschichte: Die Grundfiguren 28<br />
Neues aus aller Welt 30<br />
Interview: Sinitsina & Katsalapov 31<br />
Eiskunstlauf-Termine<br />
bis Anfang September (unter Vorbehalt)<br />
29.07. – 01.08. Glacier Falls in Anaheim/USA<br />
09.09. – 12.09. JGP in Budapest (Ungarn)<br />
09.09. – 13.09. Challenger: Asian Trophy in<br />
Peking (China)
4<br />
Regeländerungen <strong>2020</strong>/2021<br />
Regeländerungen für die nächste Saison<br />
Im Frühjahr konnte bzw. kann kein Eistanzpaar<br />
so trainieren wie beabsichtigt.<br />
Daher wird es, anders als noch im<br />
März geplant, keinen neuen vorgeschriebenen<br />
Rhythmus für den Rhythmustanz<br />
geben und keine Folkloremusik<br />
vorgeschrieben. Stattdessen bleiben<br />
Rhythmen (Finnstep in der Meisterklasse,<br />
Tea Time Foxtrott bei den <strong>Juni</strong>oren),<br />
Musikrichtung (Musical) und vorgeschriebene<br />
Elemente der vergangenen<br />
Saison auch in der kommenden gültig.<br />
Daher können alle Paare der Welt ihre<br />
Rhythmustänze und die Nachwuchspaare<br />
ihre Pflichttänze aus der vergangenen<br />
Saison erneut präsentieren und niemand<br />
muss (aber jeder darf) einen neuen<br />
Rhythmustanz einstudieren.<br />
Auch im Synchronlaufen bleiben die Elemente<br />
für Kurzprogramme und Küren unverändert. Die<br />
Altersgrenze für Nachwuchsläufer im Eistanzen<br />
und Synchronlaufen wird nur für die kommende<br />
Saison um ein Jahr erhöht, weil viele Läufer keine<br />
Gelegenheit hatten, die <strong>Juni</strong>orenelemente ab<br />
April zu trainieren. Dies gilt aber nur, wenn sie<br />
schon in der abgelaufenen Saison im Nachwuchsbereich<br />
gelaufen waren und wenn sie<br />
dieselben Programme behalten. Die Verbände<br />
müssen Genehmigungen für betroffene Läufer/<br />
-innen bei der ISU beantragen.<br />
Änderungen beim Einzelund<br />
Paarlaufen<br />
Im Einzel- und Paarlaufen stehen die vorgeschriebenen<br />
Elemente, von denen sich in jeder<br />
Saison einige ändern, im Regelbuch der ISU (anders<br />
als beim Eistanzen und Synchronlaufen).<br />
Diese Elemente im Regelbuch gelten wie geplant<br />
für die kommende Saison. Sinnvoll ist,<br />
dass vor dem Absprung vorgedrehte Sprünge<br />
mehr Minuspunkte erhalten sollen als bisher,<br />
weil das ebenso gemogelt ist wie nicht exakt<br />
gelandete Sprünge. Aber es gibt eine ziemlich<br />
fragwürdige Änderung: Bisher wurden Sprünge<br />
voll anerkannt, wenn weniger als eine Viertelumdrehung<br />
bei der Landung fehlte. Zwischen<br />
einer viertel und einer halben Umdrehung wurde<br />
der Sprung als unterdreht bewertet, das<br />
heißt nur noch mit 80 Prozent seiner Grundpunktzahl<br />
und Minuspunkten von den Preisrichtern.<br />
Fehlte mehr als eine halbe Umdrehung,<br />
wurde der Sprung abgewertet und erhielt nur<br />
die Wertigkeit des Sprungs mit einer Umdrehung<br />
weniger, davon abzogen wurden noch erhebliche<br />
Minuspunkte. Ein abgewerteter dreifacher<br />
Lutz wurde also wie ein ziemlich schlechter<br />
Doppellutz mit Beinahe-Sturz gewertet. In<br />
der kommenden Saison soll es außer Unterdrehung<br />
und Abwertung noch eine dritte Kategorie<br />
geben, die in den Ergebnislisten mit einem q<br />
(für quarter, also Viertel) gekennzeichnet werden<br />
und von den Preisrichtern mit -2 gewertet<br />
werden sollen: Wenn bei der Landung eines<br />
Sprungs genau eine Viertelumdrehung fehlt, soll<br />
es die volle Grundpunktzahl, aber Minuspunkte<br />
von den Preisrichtern geben.<br />
Dies ist jedoch etwas problematisch, weil die<br />
Technischen Spezialisten je nach Kameraperspektive<br />
nicht ganz genau sehen können, ob genau<br />
eine Viertelumdrehung fehlt oder geringfügig<br />
mehr oder weniger. Hierfür müsste man<br />
mehrere Kameras an verschiedenen Stellen der<br />
Eisbahn haben, im Extremfall sogar am Landeschlittschuh<br />
jedes Läufers, alle mit Zeitlupenfunktion,<br />
was zusätzliches Personal erfordern<br />
würde und die technischen Kosten jedes Wettbewerbs<br />
um viele tausend Euro, wenn nicht<br />
noch mehr in die Höhe treiben würde. Fabio<br />
Bianchetti, Chef der ISU-Kunstlaufkommission,<br />
sagte dagegen, dass das q die Arbeit der Technischen<br />
Jury leichter mache, weil man nicht mehr<br />
zwischen unterdreht und korrekt unterscheiden<br />
müsse, sondern in Zweifelsfällen etwas dazwischen<br />
habe. „Die Strafe für einen Läufer war<br />
groß, wenn der Sprung als unterdreht gewertet<br />
wurde, weil der Basiswert geringer war und<br />
auch der Ausführungsgrad der Preisrichter geringer<br />
wurde. Mit der Möglichkeit, den Sprung<br />
als „on the quarter“ (also mit genau einer Viertelumdrehung<br />
zu wenig) gelandet zu bewerten,<br />
bleibt in solchen Grenzfällen der Basiswert<br />
gleich und nur die Ausführung erhält Minuspunkte.“<br />
Diese übergenaue Präzision, so vermutet<br />
allerdings die <strong>Pirouette</strong>, könnte dazu führen,<br />
dass renommierte und bekannte Läufer im<br />
Zweifelsfall weniger hart bestraft würden als<br />
<strong>No</strong>bodies. Außerdem dürfte die Technische Jury<br />
noch länger diskutieren, bis die Punkte bekanntgegeben<br />
würden. Sämtliche Regeländerungen<br />
für kürzere Wettbewerbe verwandelten sich ins<br />
Gegenteil, so dass man womöglich bald nur<br />
noch 18 statt 24 Läufer die Kür laufen lässt.<br />
Und von den hart erkämpften 20 Paaren bei der<br />
WM-Kür kann man sich womöglich wieder verabschieden.<br />
Nathan Chens Trainer Rafael Arutunian<br />
fasste zusammen: „Unser Sport war schon<br />
immer subjektiv, egal in welchem Wertungssystem.<br />
Ich glaube an keine vollständige Objektivität,<br />
wenn Menschen, ob ohne oder mit Hilfe<br />
von Technik, etwas entscheiden.“<br />
Verändert hat sich auch die Wertigkeit für einige<br />
Sprünge. <strong>No</strong>ch 2016 lag die Basispunktzahl<br />
für einen vierfachen Lutz bei 13,6 Punkten, zuletzt<br />
bei 11,5, für einen 4F bei 11,0 und einen<br />
4R bei 10,5. Aber inzwischen gibt es viele Herren,<br />
die einen 4L zeigen (weil er mehr Punkte<br />
brachte), aber nur wenige 4F und 4R. Daher sind<br />
nun alle drei Vierfache gleichermaßen 11,0<br />
Punkte wert, obwohl der Lutz eigentlich schwieriger<br />
ist, weil man entgegen der Absprungrichtung<br />
weiterläuft. Der Basiswert des 3L wurde<br />
von 5,9 auf 5,3 Punkte herabgestuft. Es gibt<br />
also insgesamt weniger Punkte als bisher, weil<br />
man auf diese Weise die Zahl der Vierfachen,<br />
bei denen oft gepatzt wird, bei den Herren weiter<br />
vermindern will und auch die wenigen Damen<br />
mit Vierfachen nicht weiter ermutigen will.<br />
Der amerikanische Sprungtrainer Tom Zakrajsek<br />
meint: „Diese Änderungen müssen als Reaktion<br />
auf die Dominanz der russischen Mädchen und<br />
auch der von Nathan Chen interpretiert werden.“<br />
Der Weltmeister vermisst einen Bonus für<br />
Läufer, die mehrere der schwierigeren Vierfachen<br />
zeigen. Der russische Trainer Oleg Vasiliev<br />
findet, der Lutz sei der technisch anspruchsvollste<br />
Sprung.<br />
Bianchetti sieht es anders: „Von der Statistik<br />
her gesehen, ist der vierfache Rittberger der<br />
schwierigste Sprung, aber es hängt vom Körper<br />
des Läufers ab. Daher wollen wir den drei<br />
schwierigeren Vierfachen dieselbe Punktzahl geben.<br />
Der doppelte und einfache Lutz ist aber<br />
nach wie vor mehr wert als die anderen doppelten<br />
und einfachen Sprünge (außer dem Axel),<br />
denn für Kinder ist er nach wie vor schwerer.“<br />
Arutunian sieht es bei den Vierfachen ähnlich:<br />
„Es ist korrekt, den drei Sprüngen dieselbe<br />
Punktzahl zu geben, weil es die Chancen der<br />
Athleten gleichsetzt. Aber es sollte mehr Punkte<br />
für Läufer geben, die mehr als einen schwierigen<br />
Vierfachen zeigen.“ Negativ ist, dass durch<br />
die häufigen Punktänderungen, die manchmal<br />
zu einem Yoyo-Effekt führen, die Zuschauer<br />
nicht mehr durchblicken und das im Prinzip bewährte<br />
System noch mehr kritisieren werden.<br />
Im Paarlaufen erhalten die vier Todesspiralen<br />
unterschiedliche Basispunkte von 3,80 Punkten<br />
(mit Level 4) bis 4,90 Punkten statt bisher zwei<br />
verschiedene Wertigkeiten. Bei Hebungen ändern<br />
sich nur die Punkte für Hebungen mit Level<br />
1. Auch ein schwieriger Ausgang aus einer<br />
<strong>Pirouette</strong> kann in Zukunft einen Level mitbestimmen,<br />
jedoch nicht gleichzeitig mit einem<br />
schwierigen Eingang, denn nur eines von beiden<br />
zählt. In Zukunft darf der Herr die Dame während<br />
einer <strong>Pirouette</strong> auch kurz vom Eis abheben.<br />
<strong>No</strong>ch diskutiert und entschieden werden muss,<br />
ob bei der nächsten WM, die im März 2021 in<br />
Stockholm geplant ist, dieselben Startquoten<br />
gelten sollen wie <strong>2020</strong>. Ob diese WM stattfindet,<br />
ist wegen des Virus auch noch nicht sicher. Der<br />
schwedische Verband hat jedenfalls den Beginn<br />
des Kartenvorverkaufs zunächst von April auf<br />
Juli verschoben. Das Preisgeld für die Medaillengewinner<br />
bei den beiden Synchron-WM beträgt<br />
für die Meisterklasse jetzt 14.000, 10.000 und<br />
6.000 US-Dollar, für die <strong>Juni</strong>oren-WM 10.000,<br />
6.000 und 2.000 US-Dollar pro Team. <br />
<br />
Klaus-Reinhold Kany<br />
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Beschlüsse des ISU-Vorstands<br />
Im April tagte der ISU-Vorstand dreimal<br />
per Videokonferenz. Ende März fragte<br />
die ISU alle Verbände, wie man mit dem<br />
abgesagten ISU-Kongress in Phuket in<br />
Thailand verfahren solle. Mit großer<br />
Mehrheit haben die Verbände dafür votiert,<br />
ihn nicht ganz ausfallen zu lassen,<br />
sondern um ein Jahr zu verschieben, also<br />
an gleicher Stelle und im selben Hotel<br />
vom 31. <strong>Mai</strong> bis 4. <strong>Juni</strong> 2021 abzuhalten.<br />
Die beiden abgesagten WM in Montreal<br />
und in Lake Placid (Synchron) werden<br />
endgültig gestrichen und nicht im<br />
Herbst neu angesetzt. Die Liste der für<br />
die Saison 2019/20 aktiven Offiziellen<br />
für das Wertungssystem soll auch für die<br />
kommende Saison gelten. Die Frankfurter<br />
Sommerseminare werden abgesagt,<br />
daher dürfen alle in denselben Funktionen<br />
werten, in denen sie dies in der gerade<br />
zu Ende gegangenen Saison durften,<br />
außer sie haben die Altersgrenze<br />
von 70 Jahren erreicht.<br />
Auch die ISU kann natürlich nicht wissen, wie<br />
sich die Infektionszahlen des Coronavirus im<br />
Laufe der kommenden Monate weltweit entwickeln.<br />
Sie kann daher nur kurzfristig planen und<br />
muss, so wie vernünftige Politiker in aller Welt,<br />
bei jedem Wettbewerb zwischen der Sicherheit<br />
für alle Teilnehmer und Zuschauer und der<br />
Möglichkeit für Läufer, bei Wettbewerben starten<br />
zu können, abwägen. Jeweils zehn Wochen<br />
vor einem ISU-Wettbewerb und 12 Wochen vor<br />
jedem Grand Prix entscheidet der Weltverband,<br />
ob er definitiv gestrichen wird oder die Vorbereitungen<br />
weitergehen sollen, mit dem Vorbehalt,<br />
ihn auch kurzfristig noch abzusagen.<br />
Hierfür wurde eine fünfköpfige Arbeitsgruppe<br />
unter Leitung von ISU-Vizepräsident Alexander<br />
Lakernik ins Leben gerufen, die die Situation<br />
weltweit genau beobachtet und letztlich darüber<br />
entscheidet. Weitere Mitglieder dieser Arbeitsgruppe<br />
sind der leitende US-Sportdirektor David<br />
Raith, der deutsche Event-Koordinator Wieland<br />
Lüders, die ISU-Sportmanagerin Patricia Mayor<br />
aus Lausanne und die ISU-Anti-Dopingmanagerin<br />
Christine Cardis. Die Zehn-Wochenfrist gilt<br />
auch für die Challenger-Wettbewerbe, über die<br />
die ausrichtenden Verbände und weniger die ISU<br />
entscheiden. Wenn der erste <strong>Juni</strong>oren Grand Prix<br />
in Kanada definitiv abgesagt wird, wird das<br />
demnach bis zum 15. <strong>Juni</strong> bekannt gegeben. Der<br />
Stichtag für die Nebelhorn Trophy ist der 15.<br />
Juli, der Stichtag für Skate America der 1. August.<br />
Dieses Team soll in Zusammenarbeit mit<br />
den organisierenden Verbänden und der Athletenkommission<br />
Folgendes prüfen: Ist die Gesundheit<br />
der Sportler gesichert? Welche Probleme<br />
bringen kurzfristige Absagen bei nationalen<br />
und weltweiten Reisebeschränkungen, bei Angst<br />
vor Reisen? Haben die Sportler genügend Zeit<br />
und Gelegenheit, sich vorzubereiten? Macht eine<br />
Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt Sinn?<br />
Macht es Sinn, Wettbewerbe ohne Zuschauer<br />
abzuhalten, so wie bei der Fußball-Bundesliga in<br />
Deutschland? Sollen ganze Serien abgesagt werden<br />
und welchen Ersatz kann man planen? Welche<br />
finanziellen Konsequenzen entstehen für<br />
alle Beteiligten bei Absagen? Welche Ersatzlösungen<br />
gibt es? Können die Qualifikationen für<br />
das Finale beibehalten werden? Schwierige Fragen,<br />
die die Arbeitsgruppe beantworten und dem<br />
Vorstand zur schnellen Entscheidung vorlegen<br />
soll. Im Laufe des Sommers sollen außerdem die<br />
bei der WM geplanten ISU-Awards online vergeben<br />
werden. Klaus-Reinhold Kany<br />
5<br />
ISU-Beschlüsse <strong>2020</strong>/2021<br />
Neues aus aller Welt<br />
Fast 70 Eislaufstars sammelten für die WHO<br />
Am 25. April strahlten der ISU Youtube-<br />
Kanal und einige andere Kanäle die vierstündige<br />
Liveshow „Open Ice“ mit fast 70<br />
Eislaufstars aus Gegenwart und Vergangenheit<br />
aus, die von zu Hause aus etwas<br />
über sich erzählten. Zum Teil führten sie<br />
etwas vor, spielten zum Beispiel Klavier<br />
oder sangen, vor allem aber appellierten<br />
sie an die Zuschauer, Geld für die Stiftung<br />
der Vereinten Nationen zu spenden, damit<br />
diese noch mehr tun kann, um die Covid-<br />
19-Krankheit (Coronavirus) zu besiegen.<br />
Die kanadische Eistänzerin Kaitlyn Weaver, die<br />
bis zum vorigen Jahr mit Andrew Poje in der<br />
Weltspitze mitmischte, wurde durch eine vergleichbare<br />
Geldsammel-Sendung von Schauspielern<br />
inspiriert. Ihr gelang es, mit Hunderten von<br />
Telefonaten die Eisläufer für die Idee des Auftritts<br />
von zu Hause aus zu gewinnen und mit 65 Läufern,<br />
Trainern und anderen Mitgliedern der Eislauffamilie<br />
einen genau festgesetzten Zeitpunkt<br />
auszumachen, an dem diese angerufen werden<br />
und eine Handy- oder PC-Kamera auf sich gerichtet<br />
haben. Mitgemacht haben unter anderem<br />
die Olympiasieger Aljona Savchenko (als einzige<br />
Deutsche), Torvill und Dean, Davis und White, die<br />
Weltmeister Shae-Lynn Bourne, Kurt Browning,<br />
Meagan Duhamel und Eric Radford, Elvis Stojko,<br />
Elizaveta Tuktamysheva, Carolina Kostner, Gabriella<br />
Papadakis und Guillaume Cizeron, Stéphane<br />
Lambiel, Brian Orser und Brian Boitano (die das<br />
Duell der Brians von 1988 online nachspielten),<br />
Todd Eldredge und viele mehr.<br />
Die notwendige Technik beherrschte der US-Eistänzer<br />
Jordan Cowan, der von 2008 bis 2012<br />
mit Anastasia Olsen gelaufen war (unter anderem<br />
6. der Nebelhorn Trophy 2011) und inzwischen<br />
hauptberuflich mit der Technik von Kinound<br />
Fernsehübertragungen zu tun hat, sehr gut.<br />
Das Umschalten in die Wohnzimmer von etwa<br />
65 Läufern klappte sehr gut. Andere halfen im<br />
Hintergrund. Einige Tage später resümierte<br />
Weaver: „Vor der Sendung war ich so nervös<br />
wie vor einem Wettbewerb. Ich habe immer geglaubt,<br />
dass Träume wahr werden können, aber<br />
in diesem Fall bin ich jetzt noch überrascht, was<br />
für ein Erfolg die ganze Sache war. Das Projekt<br />
hat mir zum Glauben geholfen, dass alles möglich<br />
ist, wenn man die richtige Unterstützung<br />
hat, eine gute Absicht und viel Motivation.“<br />
Weaver moderierte die fast vierstündige Live-<br />
Show aus New York, ohne etwas in dieser Art jemals<br />
vorher gemacht zu haben, und achtete vor<br />
allem darauf, dass es auch viel zu lachen gab,<br />
während sie kurz mit allen Gästen sprach. Traurig<br />
war nur, als der kanadische Paarläufer Michael<br />
Marinaro erzählte, dass seine Großmutter drei<br />
Wochen zuvor gestorben war. Allerdings waren<br />
viele Läufer nur so kurz zu sehen und hören, dass<br />
sie kaum etwas Wesentliches sagen konnten.<br />
Das Geld (42.000 Dollar waren es einen Monat<br />
nach der Sendung) ging an den Corona-Fonds<br />
der Weltgesundheitsorganisation, eine Tochtergesellschaft<br />
der Vereinten Nationen, die im Augenblick<br />
alle Anstrengungen darauf richtet, die<br />
Corona-Pandemie weltweit einzudämmen. Dies<br />
ist, verglichen mit Fernsehsendungen, natürlich<br />
nur eine bescheidene Summe, aber den Livestream<br />
haben auch nur ein paar tausend Eislauffans<br />
und keine Millionen Fernsehzuschauer<br />
gesehen.<br />
So ganz nebenbei war die Show natürlich auch<br />
eine Ohrfeige für diejenigen vor allem in den<br />
USA, die nichts von der WHO halten und ausgerechnet<br />
jetzt kein Geld mehr an sie zahlen wollen.<br />
Die Stiftung der UNO hat die Show natürlich<br />
von Anfang an unterstützt. In kleinerem<br />
und anderem Rahmen gab es ähnliche Shows<br />
oder solche, um die Pflegekräfte in den USA zu<br />
unterstützen, zum Beispiel „Blades for the Brave“,<br />
organisiert von Tara Modlin-Maurizi. krk<br />
Besuchen Sie<br />
die <strong>Pirouette</strong><br />
auf Facebook
6<br />
Carolina Kostner<br />
Interview<br />
Carolina Kostner (33) ist eine der erfolgreichsten Eiskunstläuferinnen<br />
der vergangenen 15 Jahre. Die Italienerin gewann sechs<br />
WM-Medaillen, darunter Gold im Jahr 2012, sowie elf EM-Medaillen<br />
inklusive fünf EM-Titel. Kostner startete bei vier Olympischen<br />
Spielen und holte 2014 Bronze. Seit der WM 2018 pausiert<br />
sie und musste sich im Januar einer Hüftoperation unterziehen.<br />
Seitdem ist sie in der Nähe von Rom in der Reha, die allerdings<br />
durch die Corona-Pandemie eingeschränkt ist.<br />
Foto: privat<br />
Carolina Kostner »Ich kann es nicht erwarten,<br />
meine Schlittschuhe wieder anzuziehen«<br />
<strong>Pirouette</strong>: Wie geht es Ihnen jetzt nach der<br />
Operation?<br />
Carolina: Ich hatte schon während der letzten<br />
zwei Wettkampfsaisons (16/17 und 17/18) immer<br />
wieder Beschwerden. Nach der Saison 2018 waren<br />
die Schmerzen täglich präsent und dann<br />
habe ich beschlossen, mich erst einmal aus dem<br />
harten Training rauszunehmen. Ich habe einige<br />
konservative Therapien versucht, wobei die<br />
Schmerzen immer wieder gekommen sind, wenn<br />
ich zurück aufs Eis wollte, und so habe ich mit<br />
meinem ärztlichen Team entschieden, diese OP<br />
zu versuchen. Das angerissene Labrum (Gelenklippe)<br />
wurde praktisch wieder zusammengenäht<br />
und am Knochen fixiert. Ich habe außerdem eine<br />
angeborene Hüftdysplasie. Natürlich sind 25, 30<br />
Jahre hochintensive Aktivität viel Anspruch für<br />
ein Hüftgelenk und meine Ärzte haben gesagt,<br />
dass es nicht so schlimm aussah, wie man hätte<br />
denken können. Somit bin ich zuversichtlich, dass<br />
die Reha funktionieren wird. Ich brauche viel Geduld.<br />
Mir wurde von Anfang an gesagt, dass die<br />
Reha lange dauern wird und dass je gradueller<br />
man aufbaut, desto länger ich die Garantie habe,<br />
dass ich weiterhin Eislaufen kann. Ich vermisse es<br />
so sehr, ich laufe so gern Eis, sei es jetzt Wettkämpfe<br />
oder Shows oder was auch immer. Es gibt<br />
so viel, was man neben den Wettkämpfen noch<br />
machen kann. Ich vermisse es und ich kann es<br />
nicht erwarten, meine Schlittschuhe wieder anzuziehen<br />
und Eis zu laufen.<br />
Wie gehen Sie mit dieser Zwangspause um?<br />
Es ist ein guter Moment für mich, Ruhe zu finden<br />
und nach den vielen Reisen mal wirklich zu<br />
Hause zu sitzen und zu erkennen, was würde<br />
ich denn gern in der Zukunft machen, auf lange<br />
Sicht. Mein Wunsch und mein Traum ist es, diese<br />
vielseitige Erfahrung, die ich in so vielen Jahren<br />
gesammelt habe, weiterzugeben. Hier in Italien,<br />
wo das (Eislaufen) langsam mit meiner<br />
Karriere mitgewachsen ist, möchte ich das gerne<br />
weiterführen und die richtigen Strategien<br />
und die richtigen Methoden finden. Ich nutze<br />
natürlich auch die Zeit, um mein Studium fertig<br />
zu bekommen, mein Diplom zu schreiben. Man<br />
sagt ja, ich kann nur von meinem Glas geben,<br />
wenn das Glas voll ist. Das ist für mich eine<br />
kreative Zeit, vielleicht weg von dem ganzen<br />
Rummel und den Kameras, die aber auch sehr,<br />
sehr wichtig ist, um neue Kapitel aufzuschlagen.<br />
Möchten Sie vielleicht eine Ausbildung als<br />
Trainerin oder Choreographin machen?<br />
Ideen, Projekte und Vorschläge gibt es ganz viele.<br />
Ich habe mich noch nicht entschlossen.<br />
Gibt es eine ungefähre Zeit, wann Sie wieder<br />
aufs Eis können?<br />
Man hat schon von Anfang an ungefähr acht<br />
Monate Reha angesetzt und danach könnte ich<br />
langsam anfangen, aufs Eis zu gehen. Jetzt mit<br />
der (Corona) Situation weiß ich nicht, inwiefern<br />
sich meine Reha verlangsamt hat. Ich habe zwar<br />
Kontakt mit meinem Ärzteteam, aber wir haben<br />
uns schon länger nicht sehen können. Ich mache<br />
alles zu Hause, aber ich habe natürlich kein<br />
Schwimmbad, wo man vieles hätte beschleunigen<br />
können.<br />
Wie haben Sie diese Corona-Situation erlebt,<br />
gerade weil Italien leider so stark betroffen<br />
ist? Sie haben bei der Aktion „Distanti Ma<br />
Uniti“ (Auf Distanz aber vereint) mitgemacht.<br />
Wir sind ein südländisches Volk, viel mit Körperkontakt<br />
auch beim Grüßen und Tschüss sagen.<br />
Somit hatte unser Ministerium viele Sportler<br />
gefragt, ob wir bei der Aktion mitmachen würden.<br />
Dann ist die Zahl der Angesteckten und der<br />
Leute, denen es wirklich schlecht ging, rapide<br />
gestiegen. Das war ein Moment der Ungewissheit<br />
und mit vielen Gedanken verbunden, was<br />
kommt, wie können wir uns schützen, was können<br />
wir tun und danach ist eben diese Phase<br />
gekommen - okay, ich muss zu Hause bleiben,<br />
aber was ich kann ich von zu Hause tun. Als<br />
Kaitlyn Weaver mich für Open Ice kontaktiert<br />
hat, fand ich das eine absolut tolle Aktion. Jetzt<br />
hoffe ich, dass die Menschen langsam wieder<br />
mit dem Arbeiten beginnen können.<br />
Für Sie war es sicher nicht leicht, denn Sie<br />
konnten nicht bei Ihrer Familie sein.<br />
Ja, Sankt Ulrich ist stark betroffen und das ganze<br />
Tal wurde schnell gesperrt und somit hatte<br />
ich immer die Hintergedanken, ich hoffe, dass<br />
es meiner Familie gut geht, ich kenne meine El-
7<br />
tern, sie wollten es vielleicht nicht erzählen.<br />
Aber es ist nicht das erste Mal, dass wir monatelang<br />
auseinanderleben. Als ich in Oberstdorf<br />
zur Schule ging oder in St. Petersburg war, es<br />
gab immer Zeiten, in denen ich viel weg war,<br />
und es ist für uns eine Gewohnheit geworden,<br />
dass wir uns auf Skype treffen.<br />
Im vergangenen Herbst waren Sie bei der<br />
Virtue-Moir-Tour in Kanada dabei. Wie war<br />
das für Sie?<br />
Für mich war es ein Traum, der in Erfüllung<br />
ging. Wir waren eine supertolle Gruppe. Wir haben<br />
wirklich die Leidenschaft und die Zuneigung<br />
für Tessa und Scott in Kanada gespürt. Es war<br />
eine Riesen-Feier ihrer Karriere und was sie in<br />
Kanada und in der ganzen Eislaufwelt bewegt<br />
haben. Dort mit dabei sein zu dürfen, war für<br />
mich eine Riesenehre und Riesenfreude. Ich<br />
habe wegen der Schmerzen in meinen Solonummern<br />
schon damals keine großen technischen<br />
Schwierigkeiten machen dürfen, aber<br />
auch nicht können. Deshalb war ich nicht immer<br />
zufrieden mit mir selbst, mit dem, was ich<br />
bei dieser Tournee mitgeben konnte. Aber letztendlich<br />
muss man manchmal die eigenen Limits<br />
einfach erkennen und ich hatte so viel Unterstützung<br />
vom Publikum, aber auch von der ganzen<br />
Gruppe und es ist dann trotz allem eine super<br />
Tournee gewesen. Es war eine einzigartige<br />
Erfahrung zu sehen, wie beliebt das Eislaufen in<br />
Kanada ist und wie es geschätzt wird. Das habe<br />
ich natürlich mitgenommen. Ich hoffe, dass ich<br />
das mit der Zeit auch mal in Italien aufbauen<br />
kann. Das wäre ein Riesentraum. Ich bin mit<br />
ganz viel neuer Motivation und Inspiration in<br />
eine Zeit reingerutscht, in der ich natürlich in<br />
der Warteschleife stehe und eben diese Emotionen<br />
wieder erleben möchte. Jetzt ist das ein<br />
bisschen mit der Handbremse, erstmal mit der<br />
OP und dann durch das Coronavirus. Aber man<br />
muss einfach das Beste draus machen und ich<br />
denke, wir haben noch ganz viele Jahre vor uns,<br />
auch das Eislaufen miteinander und meine Leidenschaft<br />
mit den Eislaufliebhabenden zu teilen,<br />
und deswegen braucht man jetzt einfach<br />
ein wenig Geduld und dann wird sich alles wieder<br />
regeln.<br />
Meine Vision vom Eiskunstlauf ist, dass es wie<br />
ein Kunstwerk in einem Museum ist, man sieht<br />
sich das an und alles stimmt, alles ist in Harmonie.<br />
Das ist für mich immer meine Guideline, da<br />
möchte ich hin. Natürlich bin ich selbst immer<br />
sehr kritisch und sehr perfektionistisch und ich<br />
denke, ich werde ein Leben lang nicht dahin<br />
kommen, dass ich sagen könnte, das ist die Perfektion.<br />
Aber das ist für mich diese Leidenschaft,<br />
die mich dazu bringt, jedes Mal noch etwas<br />
dazu zu lernen, noch etwas dazu zu setzen<br />
und nochmal zu recherchieren und es nochmal<br />
zu versuchen und eben dann kleine Kunstwerke<br />
zum Leben zu bringen. Lori ist meine große Unterstützung<br />
und meine Mentorin. Ich habe ganz<br />
viel von ihr gelernt. Ich kann mich erinnern,<br />
2011/2012, ich hatte in meinem Mozart-Programm<br />
(Kür) einen Mohawk-Schritt, der mich in<br />
eine Spirale reinbegleitete und diesen Mohawk<br />
haben wir stundenlang geübt. Ganz oft bekomme<br />
ich tolle Komplimente, ‚es sieht so leicht<br />
aus‘ oder ‚es sieht aus als ob du fliegst‘, das ist<br />
für mich die Bestätigung, dass die Arbeit, die<br />
wir reingesteckt haben, Früchte getragen hat.<br />
Welche Ihrer bisherigen Programme sind<br />
Ihnen die liebsten?<br />
Jedes Programm hat seine eigene Geschichte<br />
und seine eigene Verbindung zumeinem Herzen<br />
und zu meinen Erinnerungen. Die Kür von Nizza<br />
(Mozarts Klavierkonzert <strong>No</strong>. 23) war natürlich<br />
eines der Programme, die mir Augen absolut geöffnet<br />
haben, in dem Sinne, dass ich erkannte,<br />
wie viel eigentlich die Kunst wert ist. Von dem<br />
Moment an sind das Ave Maria Programm entstanden,<br />
das Bolero Programm, bis hin zu Ne<br />
Me Quitte Pas. Ich denke, das sind die vier Stücke,<br />
die meine Seele sozusagen erzählt haben.<br />
Ich habe auch eine sehr, sehr tolle Erinnerung<br />
an das Kurzprogramm der Saison 2013/2014,<br />
das ich dann gewechselt hatte, die „Humoresque“<br />
von Dvorak. Das war eines meiner Lieblingsprogramme,<br />
es erzählte eine Geschichte<br />
und es war in meinen Augen etwas total Innovatives<br />
und so musikalisch und es hat so viel<br />
Spaß gemacht. Ich fand es sehr schade, dass<br />
dieses Programm nicht diese Anerkennung bekommen<br />
hat, die es verdient gehabt hätte.<br />
übernatürlich Schwieriges und es wird eine Zeit<br />
dauern, bis sich ein Gleichgewicht bildet. Ich bewundere<br />
alle diese Mädchen sehr. Ich kann aus<br />
meiner Erfahrung hoffen, dass sie immer gerecht<br />
mit ihrem Körper umgehen, damit sie auch lange<br />
Zeit oder so lange, wie sie wollen, diese Sportart<br />
betreiben können. Es wird sich mit der Zeit zeigen,<br />
wie man diese Höchstschwierigkeiten mit<br />
der Kunst verbinden kann. Das ist möglich. Wenn<br />
man das mit der bildenden Kunst vergleicht,<br />
egal, welche großen Artisten man nimmt, ob Picasso<br />
oder Renoir, Klimt, van Gogh - die meisten<br />
Künstler haben ihre schönsten Kunstwerke nicht<br />
gleich als erstes geschaffen.<br />
Große technische Schwierigkeiten lösen in<br />
dem Moment einen Riesen-Wow-Effekt aus,<br />
aber ich denke, langfristig erinnert man sich<br />
sehr gerne an große emotionale und künstlerische<br />
Programme.<br />
Das ist das Schöne - wir können Schwierigkeiten<br />
mit der Schönheit verbinden. Ich lade alle<br />
Athleten dazu ein, darüber nachzudenken - was<br />
kann ich mit meiner Persönlichkeit, mit meinem<br />
Dasein den Menschen bringen - nicht nur den<br />
Preisrichtern, die mich bewerten, sondern auch<br />
allen, die viel Geld ausgeben und sparen, um<br />
mich Eis laufen zu sehen. Auch der letzte, der<br />
ganz oben in der Ecke sitzt, wie kann ich dem<br />
einen schönen Nachmittag verschaffen. Und das<br />
ist etwas, was nicht nur der Erstplatzierte machen<br />
kann, sondern das kann auch der Letztplatzierte.<br />
Ja, alle wollen gewinnen und wir<br />
wollen alle die besten sein und einen Titel gewinnen,<br />
eine Medaille haben, aber wir haben<br />
auch die Möglichkeit, etwas zu bewegen, Menschen<br />
zu bewegen, Menschen zu motivieren.<br />
Das kommt von jedem einzelnen und da hat jeder<br />
seine Möglichkeit, nicht nur der Gewinner.<br />
Vielen Dank für das Interview und alles Gute<br />
für die Zukunft.<br />
Mit Carolina Kostner sprach Tatjana Flade. •••<br />
Carolina Kostner<br />
Interview<br />
Sie haben also fest vor, wieder aufzutreten.<br />
Ja, ich arbeite auf jeden Fall darauf hin. Natürlich<br />
muss ich Limits erkennen, wenn es soweit<br />
sein wird, wie jeder Artist irgendwann einmal<br />
die eigenen körperlichen Limits erkennen muss.<br />
Trotz allem denke ich, dass unsere Sportart<br />
nicht nur von technischen Schwierigkeiten,<br />
sondern auch von choreographischen Schwierigkeiten<br />
und Kreativität lebt. Ich kann mir vorstelle,<br />
dass es da noch ganz, ganz viel zu entwickeln<br />
und zu erforschen gibt und dass ich<br />
bestimmt noch sehr viel beitragen kann. Ich<br />
vermisse die Tage von Kreativität mit Lori (Nichol,<br />
Choreographin), ich kann es nicht erwarten<br />
mit ihr wieder zu kreieren und unsere Ideen<br />
und unsere Visionen vom Eiskunstlaufen weiter<br />
zu entwickeln.<br />
Bei Ihnen ist jedes Programm ein kleines<br />
Kunstwerk.<br />
Gibt es eine Musik, zu der Sie sehr gerne<br />
laufen möchten?<br />
Meine Oma war ein sehr großer Gustav Mahler<br />
Fan und ich würde sehr, sehr gerne mal zu einem<br />
Stück von Mahler laufen. Und dann träume<br />
ich davon, mit Musikern zusammenzuarbeiten.<br />
Ich könnte mir vorstellen, mit Ludovico Einaudi<br />
oder Ennio Morricone oder Yo Yo Ma oder Lang<br />
Lang zu arbeiten.<br />
Wie blicken Sie auf die aktuelle Entwicklung<br />
bei den Damen, die vierfache Sprünge zeigen?<br />
Jede Generation hat bestimmte Phasen. Es gab<br />
Phasen bei den Männern oder bei den Paaren<br />
oder Eistänzern, in denen es einen technischen<br />
Schub gibt und dann gibt es wieder einen künstlerischen<br />
Schub und dann wieder einen technischen<br />
Schub. Vor allem bei den Mädchen sind<br />
die Vierfachsprünge etwas absolut Neues und<br />
Foto: privat
8<br />
Andrei Mozalev<br />
Andrei Mozalev (17) gewann im März Gold bei seiner ersten <strong>Juni</strong>oren-WM. Die <strong>Pirouette</strong> erreichte<br />
ihn per Telefon in seinem Ferienhaus in der Nähe seiner Heimatstadt St. Petersburg.<br />
Andrei Mozalev mit Trainer Kirill Davydenko (links) und<br />
Choreograf Denis Lunin (rechts), Foto: Flade<br />
Interview<br />
Andrei Mozalev<br />
»Ein Wettbewerb ist immer ein Kampf mit dir selbst«<br />
<strong>Pirouette</strong>: Nach der <strong>Juni</strong>oren-WM waren Sie<br />
Ende März in Krasnojarsk bei der russischen<br />
Winter-Spartakiade und bevor in Russland<br />
die Eishallen schlossen, haben Sie schnell ein<br />
neues KP einstudiert.<br />
Andrei: Ja, wir haben es gerade noch geschafft.<br />
Die Musik verrate ich nicht, aber das Programm<br />
ist anders als das alte, auf keinen Fall ähnlich.<br />
Es hat mir viel Spaß gemacht, an dem Programm<br />
zu arbeiten, das war schon ein anderes<br />
Niveau und daher war es interessant. Denis Lunin<br />
hat das Programm aufgebaut.<br />
Dann haben Sie inzwischen die Musik für die<br />
Kür ausgesucht, aber die ist auch noch<br />
geheim. Warum wollen Sie nichts verraten?<br />
Ich möchte die Programme beim Wettbewerb<br />
zeigen und nicht vorher darüber reden, deswegen<br />
halte ich das geheim.<br />
Wie kommen Sie mit den Corona-Einschränkungen<br />
klar, wie trainieren Sie ohne Eis?<br />
Ich bin jetzt auf der Datscha und habe dort<br />
gute Möglichkeiten, ich laufe, springe, mit Kirill<br />
Anatolievitch (Davydenko, Trainer) trainiere ich<br />
online und wir haben auch Choreographie, das<br />
Training geht also weiter (lacht). Alles ist da,<br />
außer Eis. Ich halte mich in Form, denn vielleicht<br />
gehen wir morgen plötzlich aufs Eis. Dafür<br />
muss ich bereit sein und daher bemühe ich<br />
mich jeden Tag, die Form zu halten.<br />
Was ist positiv daran, so viel Trockentraining<br />
zu machen?<br />
Es ist natürlich gut, an der physischen Form zu<br />
arbeiten, ich sehe daran nichts Schlechtes. Aber<br />
natürlich vermisse ich das Eis. Das ist das erste,<br />
was ich mache, wenn die Quarantäne vorbei ist.<br />
Wie nutzen Sie die zusätzliche Zeit, die Sie<br />
jetzt haben?<br />
Ich habe jetzt mehr Zeit für die Schule. Vorher<br />
hatte ich weniger Zeit und weniger Energie dafür.<br />
Ich beende die neunte Klasse. <strong>No</strong>rmalerwei-<br />
se haben wir eine Abschlussprüfung, das allgemeine<br />
staatliche Examen (vergleichbar mit dem<br />
Realschulabschluss, T.F.), aber es wurde abgesagt.<br />
Wir werden einfach ein Zeugnis entsprechend<br />
unserer <strong>No</strong>ten im Schuljahr bekommen.<br />
Ich lese auch mehr Bücher in der Freizeit - gerne<br />
Stephen King, der Autor gefällt mir sehr.<br />
Wie sehen Sie ihre Entwicklung in der vergangenen<br />
Saison?<br />
Ich bin viele Wettbewerbe gelaufen, habe an Erfahrung<br />
gewonnen und mich mehr geöffnet. Ich<br />
denke, ich bin mental gewachsen und ich habe<br />
realisiert, dass Wettbewerbe nichts Schwieriges<br />
sind, sondern dasselbe wie ein Training.<br />
Sie beherrschen einen soliden vierfachen<br />
Toeloop. An welchen anderen Vierfachen<br />
arbeiten Sie?<br />
Das kann ich noch nicht sagen, das sehen Sie in<br />
der nächsten Saison. Es wird eine Überraschung.<br />
Was bedeutet der Titel bei der <strong>Juni</strong>oren-WM<br />
für die Zukunft?<br />
Dieser Sieg bedeutet, dass ich mich in die richtige<br />
Richtung bewege, dass ich einfach weiter<br />
vorangehen muss. Das ist wie ein kleines<br />
Sprungbrett, ein Schritt hin zur Meisterklasse.<br />
Ich möchte in die Meisterklasse aufsteigen, vielleicht,<br />
weil ich im Finale zusammen mit den<br />
Meisterklasseläufern war und das war eine andere<br />
Atmosphäre. In der Meisterklasse sind stärkere<br />
Läufer und viel mehr Zuschauer, und das<br />
gefällt mir. Die Zuschauer helfen mir, sie geben<br />
mir Kraft und eine positive Energie.<br />
Wie wichtig war es für Sie, in Tallinn Gold zu<br />
holen, nachdem Sie bei den Olympischen<br />
Jugendspielen und im Finale Zweiter waren?<br />
Ein Wettbewerb ist immer ein Kampf mit dir<br />
selbst. Ich wollte mir selbst beweisen, dass ich<br />
mit den Läufern aus anderen Ländern mithalten<br />
kann. Nach diesen zweiten Plätzen habe ich<br />
mich gefragt, wo ich schwächer als die Japaner<br />
bin. Daher war die <strong>Juni</strong>oren-WM sehr wichtig.<br />
Wie gehen Sie in Ihre erste Meistersaison?<br />
Ruhig, nirgendwo hin hetzen, meine Sache machen,<br />
nichts forcieren.<br />
Wie sind Sie zum Eiskunstlauf gekommen?<br />
Natürlich war es die Initiative meiner Eltern.<br />
Aber meine ältere Schwester ist Eis gelaufen<br />
und ich habe gern zugeschaut und wollte das<br />
auch machen. So kam es. Meine Schwester Lisa<br />
ist drei Jahre älter als ich. Sie hat erst Einzelund<br />
dann Synchronlauf gemacht. Als sie 16 war,<br />
hat sie aufgehört und jetzt studiert sie.<br />
Was ist Ihre erste Erinnerung ans Eislaufen?<br />
Wahrscheinlich als ich zu Kirill Anatolievitch gewechselt<br />
bin, denn das war ein großer Schritt für<br />
mich. Meine Mutter hat mich gefragt ‚willst du<br />
weitermachen, ist es dir ernst‘ und ich entschied<br />
für mich selbst, dass ich es will und es mir gefällt.<br />
Ich ging zu Kirill Anatolievitch und fing an<br />
ernsthafter zu trainieren. Ich war acht Jahre alt.<br />
Wie wichtig ist es für einen Läufer, „seinen“<br />
Trainer zu finden?<br />
Der Trainer ist offensichtlich ein wichtiger Teil,<br />
denn wir arbeiten die ganze Zeit zusammen, wir<br />
sind eins. Mir gefällt seine Ruhe und sein<br />
Selbstvertrauen. Wenn ich das übernehmen<br />
könnte, wäre alles gut. Natürlich ist er erfahrener<br />
als ich und weiß, was zu tun ist.<br />
Sie waren der einzige Spitzenläufer in der<br />
Gruppe, dann ist Anton Shulepov dazu<br />
gekommen. Wie ist es, mit einem Konkurrenten<br />
zu trainieren?<br />
Für mich ist das einfacher, denn ich habe jemanden<br />
neben mir und selbst wenn ich mental nicht<br />
so gut drauf bin, treibt es mich an, meinen Konkurrenten<br />
zu sehen. Es ist auch lustiger, vorher<br />
war es ein wenig langweilig (im Training).<br />
Wer sind Ihre Freunde?<br />
Ich möchte mit allen befreundet sein. Wir sind
9<br />
Wie haben Eisläufer die<br />
Zwangspause überbrückt?<br />
Von Mitte März bis Ende April waren fast alle Eishallen der Welt geschlossen,<br />
niemand konnte dort trainieren. Die DEU verschickte für ihre Kaderläufer zielgerichtete<br />
Athletikwochenpläne, damit sie auf dem Trockenen die Form halten können.<br />
Anfang <strong>Mai</strong> öffneten einige Hallen mit Einschränkungen<br />
wieder, aber bis Ende <strong>Mai</strong> konnten<br />
nur wenige Läufer intensiv trainieren. In<br />
Deutschland war dies zunächst in Oberstdorf<br />
und Berlin ausschließlich für DEU-Kaderläufer<br />
erlaubt. Aber nur fünf Sportler durften gleichzeitig<br />
auf dem Eis sein, obwohl die Eisfläche<br />
auch mit dem nötigen Sicherheitsabstand viel<br />
mehr erlaubt hätte. In Oberstdorf durften die<br />
Paarläufer und Rostislav Sinicyns Eistanzpaare<br />
nicht zusammen trainieren, sondern nur getrennt,<br />
also keine Hebungen, <strong>Pirouette</strong>n und zusammen<br />
getanzte Schrittfolgen üben, sondern<br />
nur parallele Schrittfolgen. Elena Pavlova und<br />
Ruben Blommaert sind übrigens von Berlin nach<br />
Oberstdorf umgezogen und werden dort in erster<br />
Linie bei Ex-Paarläufer Florian Just trainieren,<br />
weil Blommaerts Verlobte eine hauptberufliche<br />
Stelle beim Deutschen Skiverband nahe<br />
München angenommen hat. Nicole Schott zeigte<br />
für Sportdeutschland-TV einmal auf der Iso-<br />
Matte zu Hause eine Stunde lang Konditionsund<br />
Streckungstraining. In Berlin war das Training<br />
wieder anders, dort durften auch Paarlauf-<br />
nur auf dem Eis Rivalen. Ich verbringe Zeit mit<br />
den anderen Jungs, mit denen ich in der Eislauf-Akademie<br />
trainiere.<br />
Was möchten Sie nach Ihrer aktiven Karriere<br />
machen?<br />
Ich möchte Trainer werden. Ich kann nicht<br />
ohne Eiskunstlauf sein, ich will immer auf dem<br />
Eis und in dieser Umgebung sein. Ich liebe es<br />
einfach. Mir gefällt alles – die Sprünge mag<br />
ich natürlich am liebsten, aber ich genieße<br />
auch einfach das Laufen und die <strong>Pirouette</strong>n.<br />
Wie beschreiben Sie sich selbst in ein paar<br />
Worten?<br />
Ich bin ein bescheidener, ruhiger Mensch.<br />
Was wären Sie, wenn Sie kein Eiskunstläufer<br />
wären?<br />
Das ist schwer zu sagen. Ich war etwa zwei<br />
Jahre alt, als ich mit dem Eislaufen anfing. Ich<br />
kann mir mein Leben nicht ohne Eislaufen<br />
vorstellen.<br />
Vielen Dank für das Interview und alles<br />
Gute für die neue Saison.<br />
Mit Andrei Mozalev sprach Tatjana Flade. •••<br />
elemente geübt werden. Nur zehn namentlich<br />
zuvor aufgeführte Personen durften in die abgeschlossene<br />
Halle, also in der Regel Läufer mit<br />
Haupttrainer, aber zum Beispiel nicht einmal<br />
DEU-Vizepräsident Reinhard Ketterer, der in<br />
denselben Berliner Hallen jahrzehntelang gearbeitet<br />
hatte. Romy Oesterreich sprach mit der<br />
»<br />
<strong>Pirouette</strong>.<br />
Romy Oesterreich:<br />
„Wir sind für die überschaubare Zahl der<br />
Bundeskaderläufer relativ zufrieden. Es ist<br />
ein schöner Saisonbeginn, weil<br />
«<br />
es noch nicht<br />
so hektisch ist, sondern wir ziemlich entspannt<br />
trainieren können und viel Platz haben.<br />
Und alle machen auch gut mit. Wir haben<br />
auch Mentaltraining gemacht und daran<br />
gearbeitet, dass sich die Läufer besser und<br />
als Team verstehen. Aber jetzt (Ende <strong>Mai</strong>)<br />
kommen auch die Schulen und das Eishockey<br />
wieder und zwei Hallen sind offen, da wird<br />
das Risiko größer. Denn jetzt stehen Eltern<br />
und Sportler mehr zusammen und man weiß<br />
natürlich nie, wer sich an die Regeln hält<br />
und wer etwas leichtsinnig ist.“<br />
Die Dortmunder Eishalle war geschlossen, so<br />
dass auch Katharina Müller und Tim Dieck nicht<br />
dort trainieren konnten. Aber es gelang im <strong>Mai</strong>,<br />
zwei andere Eishallen in NRW (Dinslaken und<br />
Willingen) ausfindig zu machen, die geöffnet<br />
waren und in denen sie etwas trainieren konnten,<br />
aber nur mit viel Fahrerei. Mit Haupttrainerin<br />
Angelika Krylova in Moskau haben sie vereinbart,<br />
dass sie entweder wieder nach Russland zu<br />
ihr fliegen, wenn dies wieder erlaubt ist. Oder<br />
Krylova kommt mit einem oder zwei ihrer Paare<br />
für ein paar Wochen nach Deutschland, falls dies<br />
früher möglich ist. In einer TV-Sendung über<br />
Probleme von Sportstätten-Gaststätten in Köln<br />
war zu sehen, dass Nargiz Süleymanova ganz alleine<br />
in der Kölner Halle trainierte, weil sie dort<br />
die einzige Kaderläuferin ist. Nathalie Weinzierl<br />
wollte nach langer Verletzungspause eigentlich<br />
Anfang April wieder beim Frühlingspokal in Egna<br />
starten und muss nun ihr Comeback verschieben.<br />
Lea Johanna Dastich ist ebenfalls wieder gesund<br />
und wollte im März in Luxemburg starten, aber<br />
auch das fiel ins Wasser. Die Sporthilfe versicherte<br />
den Spitzensportlern, dass die monatlichen<br />
Unterstützungsgelder weiterhin zuverlässig<br />
auf ihrem Konto landen würden. Aber die<br />
selbtsständigen Trainer hatten oft nur geringe<br />
Einkünfte durch Online-Unterricht, wenn überhaupt<br />
und mussten daher Anträge auf staatliche<br />
Überbrückungsgelder stellen.<br />
„Bleibt im Verein“<br />
Auch Eisläufer in anderen Ländern hatten wenig<br />
Trainingsmöglichkeiten. Viele posteten Videos<br />
von ihrem Trockentraining oder wurden richtig<br />
kreativ. Österreichische und französische Läufer<br />
appellierten an die Mitglieder der Eislauffamilie,<br />
in ihrem Sportverein zu bleiben und nicht zu<br />
kündigen, um ein paar Euro zu sparen und damit<br />
den Konkurs zu riskieren. Denn diese Vereine<br />
haben jahrelang viel für Läufer, Freunde und<br />
Angehörige getan und werden dies weiterhin<br />
tun, wenn sie die Krise überleben und die laufenden<br />
Kosten zahlen können.<br />
Auch originelle Videos waren zu sehen: Die Österreicherin<br />
Olga Mikutina ließ sich in einem<br />
Kaufhaus filmen, während sie an einem Regal<br />
mit Spagat vorbeitanzt und dabei mit ihrem Fuß<br />
eine Riesenpackung Toilettenpapier angelt und<br />
in ihren Einkaufswagen balanciert. Alexei Yagudin<br />
zeigte auf Inlinern zur Originalmusik und im<br />
Originalkostüm sein berühmtes Winter-KP aus<br />
dem Jahr 2002 in einer Garageneinfahrt ein<br />
bisschen Clownesk-ungeschickt. Von hinten<br />
sieht man eine Frau mit der Frisur seiner damaligen<br />
Trainerin Tatiana Tarasova, die sein Programm<br />
bejubelt. Der kanadische Einzelläufer<br />
Roman Sadovsky drehte ein drei Minuten langes<br />
Video mit Musik, Worten und künstlerischem<br />
Anspruch, in dem er seine augenblicklichen Gefühle<br />
darstellt. Der Oberstdorfer Kanadier Gary<br />
Beacom lief einen Mond auf Inlinern auf dem<br />
leeren Parkplatz der Nebelhornbahn mit Blick<br />
auf die geschlossene Eishalle von Oberstdorf.<br />
Der US-Fernsehsender NBC drehte am ersten<br />
Tag der Wiedereröffnung der Hertz-Eishalle von<br />
Marina Zueva in Estero nahe Naples in Südwest-Florida<br />
(siehe <strong>Pirouette</strong> September 2019)<br />
und man sah, dass ihre Läufer begeistert auf<br />
dem Eis waren. Sie und die französischen Eistänzer<br />
Julia Wagret und Piere Souquet wurden<br />
kurz interviewt.<br />
Andere waren in der Krisenbekämpfung aktiv:<br />
Nathan Chen sagte in einem Interview, seine<br />
ältere Schwester Janice sei Wissenschaftlerin,<br />
die in einem Laboratorium in einem Team an<br />
einem Impfstoff gegen den Virus arbeite. Eistänzerin<br />
<strong>Mai</strong>a Shubutani, die im vergangenen<br />
Winter selbst wegen einer Krebserkrankung im<br />
Krankenhaus lag, sammelte Geld für Beschäftigte<br />
in Gesundheitsberufen. Alle aktiven Läufer<br />
hoffen, dass sie bald wieder Wettbewerbe laufen<br />
können. <br />
Klaus-Reinhold Kany<br />
Besuchen Sie<br />
die <strong>Pirouette</strong><br />
auf Facebook<br />
Krisenüberbrückung der Eisläufer
10<br />
News<br />
<strong>No</strong>rbert Schramm (rechts) mit Bernhard Hoëcker in<br />
„Wer weiß denn sowas“ . Quelle: DasErste.de<br />
<strong>No</strong>rbert Schramm wurde 60<br />
Am 7. April wurde der aus Nürnberg stammende<br />
und während seiner ISU-Karriere in Oberstdorf<br />
lebende <strong>No</strong>rbert Schramm 60 Jahre alt.<br />
Von 1982 bis heute ist er der bekannteste und<br />
erfolgreichste Eiskunstläufer der alten Bundesrepublik,<br />
ein richtiger Star. 1982 und 1983 wurde<br />
er Europameister und in beiden Jahren auch<br />
Zweiter der WM (jeweils hinter Scott Hamilton).<br />
Seine Programme waren für die damalige Zeit<br />
überaus kreativ und ein bisschen ausgeflippt. Er<br />
beherrschte alle Dreifachsprünge außer dem<br />
Axel, den damals noch kaum jemand zeigte,<br />
aber die Pflichtfiguren liebte er ebenso wenig<br />
wie viele andere künstlerische Läufer. Eine<br />
olympische Medaille 1984 gewann er nicht,<br />
weil die damaligen deutschen Offiziellen ihn ein<br />
bisschen fallenließen und mehr die nationalen<br />
Konkurrenten unterstützten. Denn er hatte wenige<br />
Monate vor Olympia seinen langjährigen<br />
Trainer und Bundestrainer Erich Zeller verlassen<br />
und war auch nicht mehr ganz in der Topform<br />
wie 1982 und 1983. In einem Interview mit<br />
dem Spiegel erzählte er kürzlich, dass der deutsche<br />
IOC-Funktionär Thomas Bach (heute IOC-<br />
Präsident) am Tag vor dem Wettbewerb bei den<br />
Olympischen Spielen im Deutschen Haus in Sarajevo<br />
zu seinen Eltern kam und ihnen sagte, er<br />
werde Platz neun belegen. Genauso kam es<br />
dann auch. Die folgende WM, bei der er sich<br />
hätte revanchieren können, beendete er mit einem<br />
Knall. Nach der zweiten Pflichtfigur, mit<br />
deren Bewertung er nicht einverstanden war,<br />
ging er zur Schiedsrichterin Sonia Bianchetti,<br />
verbeugte sich und sagte ihr, er höre jetzt auf.<br />
Anschließend war er viele Jahre lang als Showläufer<br />
erfolgreich, als Harlekin, als Tango-Franz,<br />
bei Holiday on Ice, beim russischen Eiszirkus und<br />
vielen anderen Gelegenheiten. Er begann ein Betriebswirtschaftsstudium<br />
in Augsburg. Dann leitete<br />
er Eisshows, viele Jahre lang in Rust und<br />
anderswo, aber mit oft berechtigter Kritik eckte<br />
er auch öfter an und wollte sich nicht verbiegen<br />
lassen. Durch Gesichtslähmungen ab Silvester<br />
1997 war er jahrelang gesundheitlich gehandicapt.<br />
Privat war er zweimal verheiratet und geschieden.<br />
Die DEU versuchte vergeblich, ihn als<br />
Lehrgangsleiter zu integrieren. Er wanderte auf<br />
dem Jakobsweg, reiste zwei Jahre durch Südamerika,<br />
lebte drei Jahre lang als Fotograf in<br />
New York, war in einem Jahr im Dschungelcamp<br />
und kehrte wieder nach Deutschland zurück.<br />
Seit einigen Jahren arbeitet er für eine Immobilienagentur<br />
im niederbayrischen Deggendorf,<br />
lebt aber in Oberstdorfs Nachbarort Sonthofen.<br />
Bruno Massot wieder Vater<br />
Olympiasieger Bruno Massot und Ehepartnerin<br />
Sophie wurden am 19. <strong>Mai</strong>, also neun Tage<br />
später als berechnet, zum zweiten Mal Eltern.<br />
Nach dem Sohn Louka kam diesmal Tochter<br />
Charlie. Die Familie will demnächst umziehen<br />
und Massot arbeitet nicht mehr in der kalten<br />
Eishalle von La-Chaux-de-Fonds, sondern bereits<br />
in dem erst wenige Jahre alten und geheizten<br />
Trainingszentrum in der Swatch- und<br />
Rolex-Stadt Biel (französisch Bienne) direkt an<br />
der Sprachgrenze zwischen der deutsch- und<br />
der französischsprachigen Schweiz.<br />
Ruben Rosic verlässt DEU<br />
Die DEU-Geschäftsstelle muss schon wieder<br />
einen neuen Mitarbeiter suchen. Nach gut<br />
eineinhalb Jahren verließ Ruben Rosic die<br />
DEU und wird Geschäftsführer des Bayrischen<br />
Eissportverbandes. Bis eine NachfolgerIn gefunden<br />
und eingearbeitet ist, schrieb die DEU,<br />
könne sich die Bearbeitung von Unterlagen in<br />
den nächsten Monaten verzögern.<br />
Neues spanisches<br />
Eistanzpaar<br />
Die ISU hat nach Angaben des spanischen Eissportverbandes<br />
einem neuen Eistanzpaar grünes<br />
Licht mit der üblichen Freigabe-Bescheinigung<br />
gegeben. Erika Riera und der aus Weißrussland<br />
stammende Raman Balanovich trainieren in<br />
Lyon bei Olivier Schoenfelder und planen, in der<br />
kommenden Saison für Spanien zu starten.<br />
Neues tschechisches Paar<br />
Zhuk/Bidar<br />
Nachdem Russland die Paarläuferin Elizaveta<br />
Zhuk freigegeben hat, kann sie in der kommenden<br />
Saison nach Angaben des tschechischen<br />
Verbandes mit dem tschechischen Partner<br />
und früheren <strong>Juni</strong>orenweltmeister Martin<br />
Bidar international starten. Das Paar wird in<br />
der Mozer-Schule in Moskau trainieren.<br />
Soucisse/Firus wechseln<br />
zu Carol Lane<br />
Das kanadische Eistanzpaar Carolane Soucisse<br />
und Shane Firus, im Januar Dritte der nationalen<br />
Meisterschaften, wechselt von Montreal<br />
nach Scarborough bei Toronto in die Schule<br />
von Carol Lane. Zunächst waren sie für die<br />
WM in Montreal erstes Ersatzpaar, aber zwei<br />
Wochen zuvor wurden sie für dieses dann abgesagte<br />
Event doch noch nominiert. Denn der<br />
ursprünglich nominierte Nikolaj Sörensen und<br />
dessen Partnerin Laurence Fournier Beaudry<br />
erkannten, dass sie nach seiner Knieoperation<br />
vom Herbst 2019 noch nicht wieder fit genug<br />
für die WM waren. Soucisse und Firus schrieben<br />
im Facebook, von einem großen emotionalen<br />
Hoch nach der kurzfristigen <strong>No</strong>minierung<br />
seien sie in ein Tief gefallen, als die WM<br />
abgesagt wurde. Bei Carol Lane (mit ihrem<br />
Spitzenpaar Gilles/Poirier) wollen sie sich nun<br />
auf Olympia 2022 vorbereiten, so schrieben sie.<br />
Charlie Bilodeau hört auf<br />
Der kanadische Paarläufer Charlie Bilodeau (26)<br />
hat seine Karriere unerwartet beendet und sich<br />
damit auch von seiner letzten Partnerin Lubov<br />
Iliushechkina getrennt, mit der er eine Saison<br />
lang zusammengelaufen war. Für die ausgefallene<br />
WM waren sie erster Ersatz. Bilodeau schrieb<br />
sehr ausführlich, seine Entscheidung sei felsenfest<br />
und werde viele überraschen, auch seine<br />
Partnerin und Trainer Richard Gauthier. „Ich verabschiede<br />
mich vom Eiskunstlaufen und beginne<br />
ein neues Kapitel in meinem Leben. Ich war einfach<br />
unglücklich, hatte keine Motivation mehr,<br />
sogar psychologische Störungen und fühle mich<br />
jetzt endlich befreit vom Stress.“ Mit seiner früheren<br />
Partnerin Julianne Séguin war Bilodeau<br />
Zweiter der <strong>Juni</strong>oren-WM 2015 geworden und<br />
bei drei großen WM (Plätze 8, 11 und 22) und<br />
den Olympischen Spielen 2018 (Rang 9) gestartet.<br />
Nach einer Saison ohne Partnerin hatte er<br />
im Frühjahr 2019 mit Lubov Iliushechkina angefangen.<br />
Diese schrieb, sein plötzliches Karriereende<br />
sei „wie ein Messerstich in meinen<br />
Rücken“, denn sie habe keine Ahnung gehabt<br />
und wollte mit ihm zu den Olympischen Spielen<br />
2022, die ihre ersten Spiele gewesen wären.<br />
McNamara/Carpenter<br />
beenden Laufbahn<br />
Das US-amerikanische Eistanzpaar Lorraine<br />
McNamara und Quinn Carpenter hat zum Saisonende<br />
seine gemeinsame Karriere beendet.<br />
Mehr als 14 Jahre sind sie zusammengelaufen,<br />
was für amerikanische Verhältnisse selten ist. Sie<br />
haben immer in der Schule von Alexei Kiliakov in<br />
Wheaton/Maryland trainiert. Ihre größten Erfolge<br />
waren der Gewinn der <strong>Juni</strong>oren-WM 2016, drei<br />
Medaillen bei den <strong>Juni</strong>orenfinales 2014, 2016<br />
und 2017, ein vierter Platz bei der Vier-Kontinente-Meisterschaft<br />
2018 und ein dritter Platz beim<br />
Grand Prix 2018 in Helsinki. Wegen der außerordentlich<br />
starken Konkurrenz in den USA konnten<br />
sie sich für keine WM qualifizieren und landeten<br />
im Januar <strong>2020</strong> bei den US-Meisterschaften auf<br />
Platz sechs. McNamara sucht nach einem neuen<br />
Partner, während Carpenter sich um einen zukünftigen<br />
Hauptberuf kümmern will.<br />
Plutowska/Flémin beenden<br />
Karriere<br />
Das für Polen laufende Eistanzpaar Justyna Plutowska<br />
und Jérémie Flémin (ein Franzose) hat<br />
seine Karriere beendet. Zuletzt haben sie in der<br />
Eistanzschule von Montreal (IAM) trainiert, aber<br />
der erhoffte Leistungssprung blieb aus. Bei den<br />
beiden vergangenen Europameisterschaften belegten<br />
die zweimaligen Zweiten der polnischen<br />
Meisterschaften (hinter Kaliszek/Spodyryev) jeweils<br />
Platz 22 und erreichten somit nicht das<br />
Finale. Bei der WM sind sie nie gestartet und<br />
waren auch für Montreal nur Ersatz. Plutowska<br />
kehrte in ihre Heimat nach Polen zurück und<br />
Flémin will jetzt Shows in den USA laufen.
Joan Slater gestorben<br />
Die britische Eistanztrainerin Joan Slater ist<br />
am 14. April im Alter von etwas über 80 Jahren<br />
(das genaue Alter ist nicht bekannt) gestorben.<br />
Die Mutter des Eistänzers und Eurosportkommentators<br />
Nicky Slater und ihr Bruder<br />
John Slater waren in den Jahren 1952 und<br />
1953 Eistanzweltmeister vor dem bekannteren<br />
Duo Westwood/Demmy, außerdem startete<br />
Joan auch im Paarlaufen und als Einzelläuferin<br />
und tourte nach ihrer Amateurkarriere mehrere<br />
Jahre mit den Ice Capades vor allem durch<br />
<strong>No</strong>rdamerika. 1960 begann sie eine eindrucksvolle<br />
Trainerkarriere, in der sie jedes Alter unterrichtete.<br />
Ihre bekanntesten Schüler waren<br />
Karen Barber/Nicky Slater, Sharon Jones/Paul<br />
Askham sowie Sinead und John Kerr, die sie<br />
viele Jahre lang aufbaute und bis zu ersten internationalen<br />
Erfolgen betreute (bevor sie zu<br />
Evgeni Platov wechselten). Sinead Kerr<br />
schrieb: „Joan Slater war nicht nur eine Trainerin,<br />
sondern gehörte zur Familie.“ Bruder<br />
John fügte hinzu: „Sie war auch unser Mentor.<br />
Wie oft haben wir in ihrem Haus gewohnt. Sie<br />
nahm sich eines nur mäßig begabten Jungen<br />
mit fragwürdigen Trainingsgewohnheiten an<br />
und machte ihn in sieben Jahren zu einem<br />
Olympiateilnehmer. Sie war höllisch anspruchsvoll,<br />
aber man wusste immer, dass sie<br />
sich um uns kümmerte.“<br />
Ron Ludington bei<br />
der Aufnahme in die<br />
Halle of Fame 1999<br />
Quelle: privat<br />
Trainer Ron Ludington<br />
gestorben<br />
Der früher sehr bekannte und erfolgreiche<br />
Paarlauftrainer Ron Ludington ist am 14. <strong>Mai</strong><br />
mit 85 Jahren an plötzlichen Herzproblemen<br />
gestorben. Nach dem Gewinn der olympischen<br />
Paarlauf-Bronzemedaille im Jahr 1960 mit seiner<br />
späteren Ehefrau Nancy hatte er zunächst<br />
in Detroit und dann in Wilmington, Delaware<br />
als Trainer begonnen. Dabei hatte er im ersten<br />
Jahr großes Glück: Den Flug zur in Prag geplanten<br />
WM 1961 konnte er sich nicht leisten,<br />
denn damals mussten die Trainer ihre Reisekosten<br />
noch selbst bezahlen. Daher blieb er zu<br />
Hause und entkam dem Absturz des Flugzeuges<br />
in Belgien, bei dem das gesamte US-Team<br />
starb, auch sein Paarlaufpaar und sein früherer<br />
Trainer. Seit den 1980er Jahren war er Cheftrainer<br />
in den Trainingshallen der nahen Universität<br />
von Newark/Delaware, zwischen New<br />
York und Washington. Dieses Trainingszentrum<br />
machte er zu einem der führenden in den USA,<br />
vor allem weil er schon früher als andere das<br />
Know-how der Universität für sein Training<br />
nutzte. Etwa 25 Läufer, vor allem Paare, führte<br />
er bis zu Olympischen Spielen, darunter allein<br />
acht Läufer aus verschiedenen Ländern in Sarajevo<br />
1984 und sechs im Jahr 1988. Insgesamt<br />
arbeitete er 59 Jahre als Trainer.<br />
Seine bekanntesten Duos waren die Geschwister<br />
Carruthers (Silber in Sarajevo 1984) und das<br />
Paar Urbanski/Marval. In Newark trainierten<br />
(zum Teil bei anderen Trainern) auch die Einzelläufer<br />
Johnny Weir und Kimmie Meissner, die<br />
Weltmeisterin von 2006 sowie die Eistänzer<br />
Spitz/Gregory, Semanick/Gregory und Fox/Dalley.<br />
Bis zur Corona-bedingten Schließung der Halle<br />
im März <strong>2020</strong> unterrichtete er und hatte in der<br />
Haupthalle einen eigenen Sessel am Rande der<br />
Bande. Die <strong>Pirouette</strong> hatte die universitätseigenen<br />
Eishallen von Newark in Delaware viele Jahre<br />
lang jeden Sommer besucht, bis die Bedeutung<br />
des Zentrums nachließ. Ludingtons letzter<br />
Spitzenpaarläufer war Nathan Bartholomay, der<br />
mit Felicia Zhang Platz 12 bei den Olympischen<br />
Spielen 2014 belegte, aber zu dieser Zeit schon<br />
in Florida bei Jim Peterson trainierte. Er schrieb:<br />
„Ron hatte einen riesigen Schatz an Kenntnissen<br />
für jeden, der bei ihm trainierte. Ich schätze<br />
mich sehr glücklich, dass ich bei ihm von 2006<br />
bis 2012 trainieren konnte. In diesen Jahren<br />
habe ich das Meiste gelernt.“<br />
11<br />
News<br />
Joan Slater, hier mit Sinead und John Kerr<br />
Quelle: Facebook<br />
Dr. Klaus-Dieter Kwiet<br />
gestorben<br />
Der einstige Eistänzer und spätere Arzt Dr.<br />
Klaus-Dieter Kwiet ist am 8. April mit 57 Jahren<br />
gestorben. Als <strong>Juni</strong>oren waren er und seine<br />
Schwester Elke ein sehr vielversprechendes<br />
Eistanzpaar. Sie starteten bei der <strong>Juni</strong>oren-<br />
WM und waren in der Meisterklasse in den<br />
Jahren 1979-1981 Zweite und Dritte der<br />
Deutschen Meisterschaften. Aber dann beendeten<br />
sie ihre Karriere, weil sie sich auf ihr<br />
Studium konzentrierten und häufig Meinungsverschiedenheiten<br />
auf dem Eis austrugen.<br />
Er wurde Preisrichter, beendete diese Tätigkeit<br />
aber noch unter dem 6,0-System wieder.<br />
Später wurde er alkoholkrank, hatte andere<br />
gesundheitliche Beschwerden und musste<br />
seinen Beruf aufgeben.<br />
Finnische Synchrontrainerin<br />
wieder im Amt<br />
Die finnische Synchrontrainerin Mirjami Penttinen<br />
war im Januar von ihrem Verband für ein<br />
Jahr suspendiert worden, weil sie sich gegenüber<br />
den Läuferinnen des Teams Unique zu hart benommen<br />
habe, sie wegen ihres Gewichtes beschimpft<br />
habe, vulgär geworden sei und erniedrigende<br />
Aktionen befohlen habe. Daher sollen Läuferinnen<br />
an Ess- und psychologischen Störungen<br />
leiden. Aber im April schrieb ihr Verein, der Helsinki<br />
Ice Skating Club, sieben Wochen Sperre seien<br />
genug, man wolle ihr eine neue Chance geben<br />
und in der kommenden Saison dürfe sie wieder<br />
arbeiten. In den sieben Wochen habe sie „inhumane<br />
Hassmails“ erhalten, schrieb der Verein,<br />
und verwies auf die „Fair Play“-Broschüre des<br />
Olympischen Komitees, derzufolge eine zweite<br />
Chance möglich sein soll. Penttinen habe ihre<br />
Trainingsmethoden jetzt geändert. Der Eislaufverband<br />
kritisierte die Entscheidung des Clubs und<br />
schrieb, man sehe die Vergehen der Trainerin immer<br />
noch so schwerwiegend wie im Januar. Man<br />
werde überlegen, den Verein aus dem Verband<br />
auszuschließen. In diesem Fall hätte das durch<br />
den zweiten nationalen Platz für die WM qualifizierte<br />
Team nicht an der Synchron-WM teilnehmen<br />
können. Bevor eine Entscheidung getroffen<br />
wurde, sagte die ISU jedoch die Synchron-WM in<br />
Lake Placid wegen des Coronavirus ab. Die Reaktion<br />
von Eltern auf die Entscheidung des Vereins<br />
waren sehr unterschiedlich: Einige begrüßten,<br />
dass Penttinen wieder arbeiten dürfe, andere waren<br />
entsetzt. Eine Läuferin, so berichtete das finnische<br />
Fernsehen, sei aus dem Club und dem<br />
Team ausgetreten.<br />
Anzeige<br />
In Schweden gibt es ein ähnliches Problem:<br />
Die führende schwedische Synchrontrainerin<br />
Andrea Dohany, die viele Jahre lang die mehrfachen<br />
Weltmeister<br />
Team Surprise trainiert<br />
hatte, ist schon<br />
länger unter Beschuss<br />
und wurde im April in<br />
den Medien kritisiert,<br />
weil sie zu hart und<br />
laut mit ihren Läuferinnen<br />
umgegangen<br />
sein soll. krk
12<br />
Margarita Drobiazko & Povilas Vanagas<br />
Portrait<br />
Portrait: Wenn aus einer „temporären“ Partnerschaft 30 Jahre werden<br />
Margarita Drobiazko & Povilas Vanagas<br />
tanzen noch immer<br />
übers Eis<br />
Sie waren anders, sie waren einzigartig<br />
und sie schrieben Eiskunstlauf-Geschichte:<br />
Die Eistänzer Margarita Drobiazko<br />
und Povilas Vanagas sind die ersten und<br />
bislang einzigen Eisläufer Litauens, die mit<br />
Bronze bei der EM und WM im Jahr 2000<br />
Medaillen bei einer ISU Meisterschaft gewinnen<br />
konnten. Das Paar hörte 2002 mit<br />
dem Wettkampfsport auf, aber sie kehrten<br />
zurück, um 2006 bei ihren fünften Olympischen<br />
Spielen zu starten und holten eine<br />
weitere Bronzemedaille bei der EM in diesem<br />
Jahr. Nach der WM beendeten sie ihre<br />
Wettkampfkarriere endgültig und treten<br />
seitdem vorwiegend in Russland in Shows<br />
und Eismusicals auf. In Litauen produzieren<br />
sie außerdem ein eigenes Schaulaufen.<br />
Povilas Vanagas, dessen Mutter Lilija Vanagiene<br />
eine ehemalige Eiskunstläuferin war und später<br />
Trainerin und Verbandsfunktionärin wurde, war<br />
Einzelläufer in Litauen und wechselte später<br />
zum Eistanz. Die Trainerin Tatiana Tarasova<br />
brachte ihn 1989 in Moskau mit der Russin<br />
Margarita Drobiazko zusammen, aber die Läufer<br />
dachten damals, dass ihre Partnerschaft nicht<br />
von Dauer sein würde. Tatsächlich sind sie nun<br />
seit fast 31 Jahren auf dem Eis ein Paar und seit<br />
20 Jahren miteinander verheiratet.<br />
Im Rückblick nennen sie ihre ersten Olympischen<br />
Spiele 1992 in Albertville als ein besonderes<br />
Highlight. „Ich hatte sehr viele patriotische<br />
Gefühle damals. Ich bin nur im Eiskunstlauf<br />
geblieben, weil Litauen unabhängig wurde<br />
und sich für mich theoretisch die Chance ergab,<br />
bei den Olympischen Spielen zu starten“, sagte<br />
Vanagas. „Ich wollte eigentlich zwei Jahre später<br />
(nach den Spielen) aufhören und Rita wusste<br />
das. Wir wurden temporär ein Paar und jetzt<br />
laufen wir immer noch zusammen. Es gibt im<br />
Leben nichts Beständigeres als das Temporäre“,<br />
fuhr er fort.<br />
Ihre erste EM- und WM-Medaille im Jahr 2000<br />
(mit einer ihrer bekanntesten Küren zu „Spente<br />
le Stelle“, gesungen von Emma Shapplin) ist<br />
eine andere liebgewordene Erinnerung. „Die<br />
glücklichsten Momente waren unsere ersten Podestplätze<br />
bei der EM in Wien und dann in Nizza<br />
(bei der WM). Und dann natürlich auch, als<br />
wir 2006 zurückkamen und eine Medaille bei<br />
der EM holten“, erinnerte sich Drobiazko. „Zurückzukehren<br />
war eine sehr ernste Entscheidung<br />
für uns und wir wussten nicht, was wir zu er-<br />
Bei der Eisshow<br />
„Carmen“ 2019<br />
Foto: Flade
warten hatten. Das (Wertungs-) System hatte<br />
sich geändert, alles war anders. Wir hätten 15.<br />
oder 20. werden können. Aber wir kamen nicht<br />
umsonst zurück, sondern wir gewannen Medaillen.<br />
Für Litauen war das eine große Sache, denn<br />
wir wissen nicht, wann unser Land wieder Läufer<br />
haben wird, die Medaillen holen.“<br />
Bei der WM 2002 belegten Drobiazko/Vanagas<br />
einen umstrittenen vierten Platz, und Eistanzkollegin<br />
Albena Denkova aus Bulgarien (die<br />
2006 und 2007 mit Maxim Staviski Weltmeisterin<br />
wurde) organisierte einen Läufer-Protest mit<br />
38 Unterschriften gegen die von vielen als ungerecht<br />
empfundene Entscheidung, ihnen keine<br />
Medaille zuzuerkennen, der allerdings zu nichts<br />
führte. Nach einem respektablen siebten Rang<br />
bei den Olympischen Spielen 2006 in Turin<br />
kehrten die Litauer in die Show zurück. Der<br />
Übergang fiel ihnen nicht schwer.<br />
Tatsächlich war das Duo bei den Fans immer<br />
sehr beliebt und bereits während der Wettkampfzeit<br />
bei Shows gern gesehen. Sie traten<br />
international auf, auch in Deutschland. Dann<br />
startete Ilia Averbukh, der mit seiner Partnerin<br />
Irina Lobacheva einer der härtesten Konkurrenten<br />
von Drobiazko/Vanagas war, seine Projekte,<br />
die den Eiskunstlauf in Russland populärer als je<br />
zuvor machten. Er begann mit einer Schaulauftournee,<br />
dann kamen die berühmte „Ice Age“<br />
TV-Show und schließlich die Eismusicals. Drobiazko<br />
und Vanagas, die mittlerweile 48 und 49<br />
Jahre alt sind, hätten nicht geglaubt, dass sie so<br />
lange auftreten würden. „Wir dachten, dass wir<br />
zwei, drei Jahre lang in Shows laufen und das<br />
war’s“, sagte die Tänzerin. „Dann dachte ich, es<br />
wird schwer sein zu laufen, wenn du erst einmal<br />
über 30 bist und wenn du über 40 bist, kommst<br />
du morgens gar nicht mehr aus dem Bett. Aber<br />
zum Glück ist das nicht passiert. Wir dachten<br />
auch, dass die Leute uns mit der Zeit vergessen,<br />
wir werden nicht mehr eingeladen, aber stattdessen<br />
wurde es mehr und mehr“, ergänzte sie.<br />
Vor der Corona-Krise<br />
traten die Litauer in<br />
etwa 150 Shows im<br />
Jahr auf. „Manchmal,<br />
wenn ich zu Hause<br />
bin, würde ich gern<br />
etwas anderes tun,<br />
aber dann kommt ein<br />
neues interessantes<br />
Angebot rein und du<br />
willst es machen“,<br />
sagte Drobiazko. Ihre<br />
Show in Litauen liegt<br />
ihnen besonders am<br />
Herzen, weil sie ihrem<br />
Land etwas zurückgeben<br />
wollen. Sie sagen<br />
auch, dass sie Glück<br />
hatten und von<br />
schweren Verletzungen<br />
oder gesundheitlichen<br />
Problemen verschont<br />
wurden.<br />
„Die Showkarriere gefällt<br />
mir besser als die<br />
Wettkampfzeit“, meinte Vanagas. „Du kannst<br />
dich besser ausdrücken und es kostet weniger<br />
Nerven. Du hast eine bessere Verbindung mit<br />
dem Publikum und für mich ist es interessanter,<br />
Shows zu sehen als Wettkämpfe. Wenn ich einen<br />
Wettbewerb anschaue, dann sehe ich dieses<br />
weiße Licht, die Anspannung, die Nervosität<br />
und ich empfinde das als unangenehm. Ich<br />
wünsche mir, die Atmosphäre wäre mitfühlender,<br />
damit es sich nicht wie eine schreckliche<br />
Prüfung anfühlt.“<br />
Dennoch verfolgen die Eistänzer die Wettbewerbe<br />
und sind an den aktuellen Entwicklungen im<br />
Sport interessiert. „Ich mag all diese Regeln<br />
nicht, die es heute gibt, und ich habe die Nase<br />
voll davon, ständig dieselben Hebungen, Schrittfolgen<br />
und Twizzles zu sehen. Ich sehne mich<br />
nach Programmen, wie sie Torvill/Dean, Klimova/Ponomarenko<br />
und die Duchesnays gelaufen<br />
sind“, kritisierte Drobiazko. Aber sie äußert auch<br />
Lob: „Wir haben Paare wie Gabriella Papadakis/<br />
Guillaume Cizeron, sie sind einfach überirdisch.<br />
Sie sind einzigartig. Und nun sind Sinitsina/<br />
Katsalapov an sie herangekommen, was mich<br />
sehr glücklich macht, denn dieses Paar gefällt<br />
mir sehr gut. Gott sei Dank gibt es Paare, die<br />
trotz dieser Regeln ihren eigenen Stil haben.“<br />
Das ISU-Wertungssystem hat nach Vanagas’<br />
Auffassung insgesamt mehr Positives als Negatives<br />
gebracht. Die<br />
Margarita Drobiazko<br />
und Povilas Vanagas<br />
im Jahr 1994<br />
Bei der Nebelhorn Trophy 20<strong>05</strong><br />
Fotos: Krauter<br />
Programme seien<br />
komplexer, die Hebungen<br />
akrobatischer geworden.<br />
„Allerdings<br />
haben wir auf der<br />
künstlerischen Seite<br />
verloren, weil so viele<br />
Elemente und Übergänge<br />
gemacht werden<br />
müssen, dass die<br />
schauspielerischen Fähigkeiten<br />
und das Berührende<br />
an den Programmen verloren gegangen<br />
sind. Nur sehr wenige, die Besten in der<br />
Welt, können das erhalten.“<br />
Drobiazko und Vanagas choreografieren nur gelegentlich<br />
Programme für andere Läufer, weil sie<br />
dafür zu wenig Zeit haben. Sie hatten jedoch<br />
Freude daran, in Averbukhs Kinder-TV-Projekt<br />
Programme für die Teilnehmer aufzubauen.<br />
Dennoch wollen sich weiterhin auf die eigene<br />
Showkarriere konzentrieren. „Warum sollten wir<br />
ein Auto stoppen, das fährt?“, fragte Vanagas.<br />
„Wenn ein Rad abfällt, können wir überlegen, zu<br />
welcher Werkstatt wir gehen oder ob wir das<br />
Auto wechseln müssen.“<br />
Seine Ehefrau lachte. „Wir laufen schon so lange<br />
in den Shows, dass sich die Dinge, die ich<br />
gerne machen würde, mit der Zeit geändert haben.<br />
Ich wollte mal Innenarchitektin werden,<br />
dann Designerin für Sportkleidung und dann<br />
dachten wir, wir organisieren Shows. Alles<br />
hängt davon ab, wie unsere finanzielle Situation<br />
sein wird, wenn wir mit den Shows aufhören.<br />
Am liebsten würde ich mich nur um herrenlose<br />
Katzen und Hunde kümmern, wenn ich kein<br />
Geld verdienen müsste.“<br />
Die kinderlosen Eistänzer haben einige Straßenkatzen<br />
und -hunde adoptiert, die sie in ihrem<br />
Haus bei Moskau betreuen. Tatjana Flade<br />
13<br />
Margarita Drobiazko & Povilas Vanagas<br />
Portrait
14<br />
Yuma Kagiyama<br />
Portrait<br />
Foto: Flade<br />
Portrait:<br />
Yuma Kagiyama<br />
springt ins Rampenlicht<br />
Der Japaner Yuma Kagiyama hat in der abgelaufenen Saison gleich einen doppelten<br />
Durchbruch gefeiert – bei den <strong>Juni</strong>oren und in der Meisterklasse.<br />
Der Teenager machte auf sich aufmerksam, als<br />
er bei seinen zwei <strong>Juni</strong>oren Grand Prix Gold und<br />
Silber gewann. Damit qualifizierte er sich das<br />
erste Mal für das <strong>Juni</strong>orenfinale, wo er Rang<br />
vier belegte. Das sollte der einzige Wettbewerb<br />
der Saison bleiben, bei dem er keine Medaille<br />
gewann. Kagiyama, der am 5. <strong>Mai</strong> seinen 17.<br />
Geburtstag feierte, sicherte sich den Titel bei<br />
der Japanischen <strong>Juni</strong>orenmeisterschaft und holte<br />
Bronze in der Meisterklasse. In Lausanne bei<br />
den Olympischen Jugendspielen blieb er in der<br />
Erfolgsspur und gewann vor den Russen Andrei<br />
Mozalev und Daniil Samsonov, die seine Hauptkonkurrenten<br />
in der Saison waren. Mal war er<br />
vor ihnen, mal hinter ihnen. In Seoul debütierte<br />
der Japaner bei der Vier-Kontinente-Meisterschaft<br />
in der Meisterklasse und ergatterte mit<br />
sehr guten Leistungen in einem starken Feld<br />
Bronze. „Ich hätte mir nie vorstellen können,<br />
dass ich hier eine Medaille hole, und ich bin<br />
noch im Schockzustand. Ich habe sehr hart gearbeitet,<br />
so ist dieses Resultat eine gute Belohnung,<br />
aber ich bin immer noch sehr überrascht“,<br />
kommentierte der Teenager in Seoul.<br />
Nach diesen Erfolgen fuhr Kagiyama als ein<br />
Top-Favorit zur <strong>Juni</strong>oren-WM nach Tallinn.<br />
Er gewann das KP knapp vor Mozalev, aber<br />
nach drei Fehlern in der Kür musste er sich<br />
mit Silber begnügen. „Im Einlaufen hatte ich<br />
das Gefühl, dass mein Körper und mein Geist<br />
nicht richtig miteinander verbunden waren und<br />
ich hatte etwas Mühe. Ich war ein wenig nervös<br />
und das führte zu den Fehlern“, erklärte<br />
der Japanische <strong>Juni</strong>orenmeister. Aber er kann<br />
auf eine sehr gute Saison zurückblicken und ist<br />
motiviert für die Zukunft. „Das ist die erste<br />
Saison, in der ich einen Vierfachen (Toeloop)<br />
im Programm hatte und das war ziemlich erfolgreich.<br />
Er war eigentlich von Anfang<br />
an recht stabil. Über die Saison<br />
hinweg habe ich meine<br />
Positionen in den <strong>Pirouette</strong>n<br />
verbessert und ebenso<br />
mich läuferisch und im<br />
Ausdruck gesteigert.<br />
Bei jedem Wettbewerb<br />
habe ich etwas<br />
gelernt, auf das ich<br />
aufbauen konnte“,<br />
analysierte der<br />
Läufer. „Jeder<br />
Wettbewerb hat<br />
mich mental<br />
stärker<br />
gemacht.“<br />
International in Erscheinung getreten war Kagiyama<br />
erst in der Vorsaison 2018/19 und das<br />
habe ihn stark motiviert, sagte er. „In der vergangenen<br />
Saison startete ich das erste Mal im<br />
<strong>Juni</strong>oren Grand Prix und auch erstmals gegen<br />
internationale Läufer. Das hat mich motiviert<br />
und ich wollte besser werden. Ich habe hart<br />
trainiert und den vierfachen Toeloop gelernt.“<br />
Der Dritte der Vier-Kontinente-Meisterschaft ist<br />
spritzig auf dem Eis, hat gute läuferische Fähigkeiten<br />
und schöne Sprünge. Der Eiskunstlauf<br />
liegt Kagiyama offenbar im Blut, denn sein Vater<br />
Masakazu war ein erfolgreicher Sportler, der<br />
1989 bei der <strong>Juni</strong>oren-WM Bronze gewann,<br />
dreimal Japanischer Meister wurde und bei den<br />
Olympischen Spielen 1992 und 1994 dabei war.<br />
In Albertville belegte er Platz 13 und zwei Jahre<br />
später in Lillehammer wurde er Zwölfter. Danach<br />
schlug der heute 49-Jährige eine Trainerkarriere<br />
ein. Sein Sohn ist sein bisher erfolgreichster<br />
Schüler. „Mein Vater hat sehr viel Erfahrung<br />
und gibt sie an mich weiter. Er erzählt<br />
mir, wie er sich bei Wettbewerben gefühlt hat.<br />
Das ist nur positiv, ich habe nie irgendwelchen<br />
Druck verspürt“, sagte Kagiyama junior.<br />
Er wuchs einfach so in den Sport hinein. „Am<br />
Anfang arbeitete mein Vater auf dem Eis, während<br />
ich nur um ihn herum spielte. Als ich dann<br />
richtig mit dem Eislaufen anfing, hat es mir<br />
Spaß gemacht und ich wollte mehr lernen und<br />
ernsthaft trainieren“, erinnerte er sich. Seine ältere<br />
Schwester und der jüngere Bruder dagegen<br />
wurden keine Eiskunstläufer. „Nachdem ich zu<br />
den <strong>Juni</strong>oren aufgestiegen war, wollte ich an<br />
die Spitze kommen. Vielleicht bin ich ein Spätstarter“,<br />
erzählte er und lachte. Am besten gefallen<br />
ihm die Sprünge und vor allem das Gefühl,<br />
einen Vierfachen zu stehen.<br />
Kagiyama trainiert heute in Yokohama bei seinem<br />
Vater. „Ich bekomme keine Sonderbehandlung,<br />
sondern ich fühle mich gleichberechtigt<br />
neben den anderen Schülern. Mein Vater ist<br />
nicht zu streng, aber wenn es mal einen schwierigen<br />
Moment gibt, wenn er sich aufregt, dann<br />
ist er ein bisschen unheimlich. Dabei geht es<br />
ums Eislaufen. Aber in der letzten Zeit habe ich<br />
hart trainiert und deshalb ist das schon lange<br />
nicht mehr passiert“, meinte er mit einem Lächeln.<br />
Der Schüler ist der einzige Läufer auf seinem<br />
Niveau in seiner Trainingsgruppe, aber es<br />
macht ihm nichts aus. „Die jüngeren Läufer<br />
kommen nach und sie sind ziemlich gut. Ich hoffe,<br />
dass wir uns gegenseitig motivieren. Es könnte<br />
eine gute Idee sein, mit anderen Läufern auf<br />
demselben Niveau unter Wettkampfbedingungen<br />
zu trainieren – vielleicht eine Woche lang.“<br />
Masakazu Kagiyama erlitt 2018 einen Schlaganfall<br />
und hat sich noch nicht vollständig davon<br />
erholt. Er reiste in der vergangenen Saison nur<br />
zu Wettbewerben in Japan, nicht jedoch ins<br />
Ausland. Dort betreute die Choreografin Misao<br />
Sato den <strong>Juni</strong>or. Yuma blieb aber mit dem Vater<br />
in Kontakt. „Vor dem Wettbewerb hat er mir<br />
eine Nachricht geschickt und ich habe versucht,<br />
an seine Worte zu denken. Nach der Kür (in Tallinn)<br />
habe ich meinen Vater kontaktiert und er<br />
sagte mir, dass ich recht gut gelaufen sei. Er<br />
sagte auch, dass es jetzt an der Zeit sei, zu entspannen<br />
und eine Pause zu machen“, verriet der<br />
Läufer. Doch er denkt natürlich bereits an die<br />
kommende Saison. „Ich möchte gern den vierfachen<br />
Salchow in mein Programm aufnehmen.<br />
Ich möchte beide Programme wechseln“, kündigte<br />
er an. Der 17-Jährige will nun komplett in<br />
die Meisterklasse aufsteigen und freute sich darauf.<br />
„Der größte Unterschied zu den <strong>Juni</strong>oren<br />
ist die Erfahrung, die die Meisterklasseläufer<br />
haben. Sie machen viel mehr Wettbewerbe. Ich<br />
denke, dass ich noch nicht genug Wettkampferfahrung<br />
habe. Ich hoffe, dass ich viel mehr<br />
Wettbewerbe laufen kann und ein Spitzenläufer<br />
werde“, sagte Kagiyama.<br />
Zur Spitze gehört er eigentlich jetzt schon, wie<br />
er bewiesen hat. Japan hat in dem fröhlichen,<br />
aufgeschlossenen Teenager ein weiteres großes<br />
Talent. <br />
Tatjana Flade
Französische<br />
Neuordnung mit<br />
Hindernissen<br />
Nathalie Péchalat hatte nach ihrer<br />
Wahl zur französischen Verbandspräsidentin<br />
einen Start voller<br />
Hindernisse. Die Sporttageszeitung<br />
L’Equipe veröffentlichte auch nach<br />
der Wahl viele Artikel. Außerdem gab<br />
sie dem TV-Kommentator Paul Peret<br />
zwei größere Interviews. Auf diese<br />
beiden Quellen stützt sich diese Zusammenfassung<br />
in erster Linie.<br />
Wegen der in Frankreich sehr strengen Bewegungseinschränkungen<br />
wegen der Corona-Pandemie<br />
durfte Péchalât bis Mitte <strong>Mai</strong> kein einziges<br />
Mal das Verbandsbüro betreten, weil es<br />
mehr als einen Kilometer von zu Hause entfernt<br />
liegt. Daher konnte sie viele Dokument noch<br />
gar nicht einsehen. Damien Boyer-Gibaud, einer<br />
ihrer letztlich nicht angetretenen Gegenkandidaten<br />
und Chef eines Eistanzclubs, zweifelte<br />
die Wahl mehrfach an. Zum ersten weil die<br />
Versammlung wegen des einen Tag zuvor verkündeten<br />
Versammlungsverbotes von mehr als<br />
100 Personen illegal sei (die <strong>Pirouette</strong> berichtete).<br />
Als feststand, dass nur etwa 90 Personen<br />
im Raum waren, ergänzte er seine Zweifel mit<br />
der Behauptung, die Wahl hätte wegen des Corona-Virus<br />
überhaupt nicht stattfinden dürfen,<br />
weil nicht alle Wahlberechtigten bereit gewesen<br />
seien, anzureisen und sich dem Risiko einer<br />
Ansteckung auszusetzen. Als auch dieses Argument<br />
abgelehnt wurde, kritisierten er und sein<br />
Anwalt, dass die Wahl nicht geheim gewesen<br />
sei, weil es keine Wahlkabinen und keine geschlossenen<br />
Umschläge gab. Aber der neue Verbandsanwalt<br />
sagte, die Wahl sei geheim gewesen,<br />
weil der anwesende <strong>No</strong>tar verkündet habe,<br />
die Vereinsvertreter sollten ihre Wahlzettel falten<br />
und erst dann in die Urne werfen. Dies bestreitet<br />
Boyer-Gibaud, einen Ton-Mitschnitt<br />
scheint es nicht zu geben. Ein vom Verband beauftragter<br />
Professor für Sportrecht sagte, im<br />
Wahlgesetz stünde nicht ausdrücklich, das<br />
Wahlkabinen und verschließbare Umschläge<br />
notwendig seien. Wenn man die Zettel falte<br />
und daher niemand sehen könne, wer wen gewählt<br />
habe, sei die Wahl geheim und damit<br />
rechtmäßig. Außerdem war sie die einzige verbliebene<br />
Kandidatin.<br />
Ex-Präsident Didier Gailhaguet nahm seinen<br />
Rücktritt nicht klaglos hin. Er beauftragte einen<br />
Anwalt, ihn in einem Verfahren gegen das Ministerium<br />
zu vertreten. Seine Behauptung: Die<br />
Ministerin Roxana Maracineanu habe seinen<br />
Kopf schon gefordert, als die Missbrauchsvorwürfe<br />
noch nicht bewiesen waren, und habe<br />
daher rechtswidrig gehandelt. Nur die daraufhin<br />
folgende Medienkampagane gegen ihn habe ihn<br />
dazu gezwungen, „das Handtuch zu werfen“. Er<br />
forderte 300.000 Euro Schadenersatz. Außerdem<br />
weigere er sich, wie die Zeitung „Le Monde“ am<br />
14. <strong>Mai</strong> schrieb, seine Mitgliedschaft im Nationalen<br />
Olympischen Komitee aufzugeben.<br />
Erstes Thema: Missbrauch<br />
Foto: Brajon<br />
Erstes Arbeitsgebiet von Péchalat war die Aufarbeitung<br />
der Missbrauchsfälle. Hierfür sollten<br />
ihr sämtliche Vereine in einem Fragebogen berichten,<br />
ob es Vorfälle gab. Oberstes Ziel sei,<br />
dass die Eltern wieder Vertrauen in die Trainer<br />
gewinnen und bereit sind, ihre Kinder trainieren<br />
zu lassen. Insgesamt wurden in den letzten 30<br />
Jahren 18 französische Trainer und andere Betreuer<br />
beschuldigt, Läuferinnen misshandelt zu<br />
haben. Gilles Beyer wurde suspendiert, gegen<br />
ihn läuft eine gerichtliche Untersuchung, weil er<br />
noch 2014 und 2015 die Einzelläuferin Nadjma<br />
Mahamoud und ihre Mutter belästigt haben<br />
soll. Dieser Fall ist anders als die früheren Vergehen<br />
noch nicht verjährt. Einige weitere Verfahren<br />
laufen ebenfalls. Das französische Fernsehen<br />
hat aus seinem Archiv einige Filmbeiträge<br />
aus Sportnachrichten aus den Jahren 1997 und<br />
2003 ausgegraben, in denen über einen Prozess<br />
gegen den Eislauftrainer Pascal Delorme aus<br />
Nancy berichtet wird. Eltern klagen an, er habe<br />
sechs junge Mädchen missbraucht. Einige sprachen<br />
in den Beiträgen darüber, Eltern kommen<br />
zu Wort, auch der Angeklagte wird befragt. Die<br />
Eltern kritisieren, dass der Verband vor dem Prozess<br />
nichts gegen ihn unternommen habe.<br />
Als Vizepräsidentin des Verbandes nominierte<br />
Péchalat die frühere Shorttrackerin Stéphanie<br />
Bouvier. Für den Vorstand nominierte sie außerdem<br />
für den Kunstlauf den Jungtrainer Yoann<br />
Deslot, für Eistanz Pernelle Carron, für das Synchronlaufen<br />
Anne-Sophie-Druet und für die anderen<br />
Sportarten weitere Personen, zum Beispiel<br />
die Schatzmeisterin, die schon unter Gailhaguet<br />
arbeitete und eine „neutrale Buchhaltungsexpertin“<br />
sei. Die Stelle eines Eventmanagers wurde<br />
ebenso ausgeschrieben wie die eines Presseund<br />
Kommunikationsreferenten. Der bisherige<br />
DTN (Directeur Technique National), der als Verwaltungsbeamter<br />
die Verbindung zum Ministerium<br />
herstellt und eine Art Oberchef ist, will<br />
nicht mehr für den Verband arbeiten und soll<br />
durch einen vom Ministerium ernannten Nachfolger<br />
ersetzt werden.<br />
Die Kommentatorentätigkeit bei Eurosport hat<br />
Péchalat aufgegeben, ebenso ihre Aktivität in<br />
der französischen Anti-Doping-Kommission.<br />
Falls wieder ein Sommertraining erlaubt ist, will<br />
sie ihr bereits vor der Wahl vertraglich vereinbartes<br />
Trainer-Engagement in Mégève auf eine<br />
Woche verkürzen, aber nicht ganz streichen,<br />
weil Eltern bereits vor Monaten Hotels bezahlt<br />
hatten, damit ihre Kinder mit ihr arbeiten können.<br />
Sie werde sich hauptberuflich und ganztags<br />
um ihre neue Aufgabe kümmern. Didier Lucine<br />
aus Annecy, eine Art Sprecher der französischen<br />
Trainer, sagte, sie sei mit Abstand die<br />
beste Kandidatin gewesen. Sie sei kompetent,<br />
intelligent, kenne die Eislaufszene und habe einen<br />
Management-Abschluss einer französischen<br />
Hochschule. Sie habe niemandem etwas versprochen<br />
und mit ihr werde es keine Kumpeloder<br />
„Spezlwirtschaft“ geben. Übrigens sei sie<br />
kürzlich beim Präsidenten des Skiverbandes in<br />
Annecy gewesen, um sich bei ihm zu informieren,<br />
wie man einen Verband führt, der mehrere<br />
Sportarten umfasst.<br />
Aber Péchalat sagte auch, dass ein „Damoklesschwert“<br />
über ihr hänge, falls ihre Wahl für ungültig<br />
erklärt werde und alle Arbeit umsonst sei.<br />
Sie wolle neue Sponsoren finden und daher auch<br />
Events organisieren. Der Grand Prix solle, falls<br />
gesetzlich erlaubt, wieder in Grenoble stattfinden,<br />
denn das habe sich bewährt. Die <strong>Juni</strong>oren-<br />
WM im Synchronlaufen solle im März 2021 wie<br />
geplant in Angers abgehalten werden. Die WM<br />
2022 sei eigentlich in Montpellier geplant, aber<br />
man müsse auch an das Pariser Publikum denken.<br />
Denn dorthin könnten eventuelle Sponsoren,<br />
die in Paris sitzen, ihre Kunden leichter einladen<br />
als in das fast 1.000 Kilometer entfernte<br />
Montpellier. Nicht thematisiert wurde im Interview,<br />
dass die große Accor Hotels Arena (früher<br />
POPB) in Paris-Bercy seit der Renovierung für<br />
den Verband zu teuer ist. Dieses Geld müsste<br />
wohl ein Sponsor bezahlen, falls man die WM in<br />
Paris abhalten will. Klaus-Reinhold Kany<br />
15<br />
Nathalie P´chalat 60 Tage im Amt
16<br />
Wettbewerbe der kommenden Saisons<br />
Unvollständige Liste<br />
geplanter Wettbewerbe<br />
Die noch nicht vollständige Liste der<br />
geplanten nationalen und internationalen<br />
Wettbewerbe steht in dieser Saison<br />
unter ganz besonderem Vorbehalt. Denn<br />
niemand weiß Ende <strong>Mai</strong>, ob die Wettbewerbe<br />
überhaupt stattfinden können und<br />
wenn ja, unter welchen Bedingungen<br />
(siehe Seite 4). Daher sind sämtliche Termine<br />
mit noch weniger Gewähr als sonst.<br />
Die ISU hat bis zum Redaktionsschluss dieses<br />
Heftes am 27. <strong>Mai</strong> zwar die geplanten Termine<br />
der <strong>Juni</strong>oren Grand Prix, Grand Prix und Challenger<br />
Wettbewerbe veröffentlicht, aber noch<br />
keine weiteren. Viele Verbände wissen vor allem<br />
aus finanziellen Gründen noch gar nicht, ob sie<br />
die üblichen Wettbewerbe überhaupt einplanen<br />
können. Die Slowakei hat ihre beiden Wettbewerbe<br />
in Kosice und Bratislava schon Mitte <strong>Mai</strong><br />
abgesagt, obwohl das Land verhältnismäßig wenige<br />
Corona-Fälle hat. Aber eine Verbandsvertreterin<br />
schrieb der <strong>Pirouette</strong>, das Reisen mit<br />
Quarantäne für Überseeläufer sei zu kompliziert.<br />
Kanada sagte den ersten <strong>Juni</strong>oren Grand Prix<br />
am 26. <strong>Mai</strong> ab. Die ISU hat immerhin am 26.<br />
<strong>Mai</strong> alle Verbände gefragt, ob sie Mitte Oktober<br />
kurzfristig <strong>Juni</strong>oren Grand Prix als Ersatz organisieren<br />
wollen. Internationale Nachwuchswettbewerbe<br />
sind noch gar nicht bekannt.<br />
Ungünstig ist, dass die Bavarian Open erstmals<br />
nicht im Februar gleichzeitig mit den Vier-Kontinente-Meisterschaften<br />
stattfinden sollen, sondern<br />
parallel zu den Europameisterschaften in<br />
Zagreb. Das bedeutet, dass keine für die EM<br />
qualifizierten Läufer am Start sein werden,<br />
höchstens die Ersatzläufer. Der Heiko-Fischer-<br />
Pokal liegt später als sonst. Die Challenger-<br />
Wettbewerbe der Synchronteams liegen für viele<br />
Synchronteams zu früh und zu dicht beieinander,<br />
denn in diesem Frühjahr und Sommer<br />
blieb viel zu wenig Zeit, um die Programme aufzubauen,<br />
wenn sie überhaupt auf das Eis durften.<br />
Allerdings können sie wie die Eistänzer dieselben<br />
Programme wie in der vergangenen Saison<br />
zeigen. <br />
krk<br />
<strong>2020</strong><br />
26.08. – 29.08. <strong>Juni</strong>oren Grand Prix in<br />
Richmond (Kanada)<br />
abgesagt<br />
02.09. – <strong>05</strong>.09. <strong>Juni</strong>oren Grand Prix in<br />
Košice (Slowakei), abgesagt<br />
09.09. – 12.09. <strong>Juni</strong>oren Grand Prix in<br />
Budapest (Ungarn), ohne<br />
Paare<br />
09.09. – 13.09. Challenger: Asian Open<br />
Trophy in Peking (China),<br />
ohne Paare<br />
<strong>2020</strong><br />
16.09. – 18.09. Challenger: Nepela<br />
Memorial in Bratislava,<br />
Slowakei, abgesagt<br />
16.09. – 19.09. <strong>Juni</strong>oren Grand Prix in<br />
Shin-Yokohama (Japan),<br />
ohne Paare<br />
17.09. – 19.09. Challenger: Autumn<br />
Classic in Oakville,<br />
Ontario, Kanada<br />
18.09. – 20.09. Dreitannen Cup in Olten<br />
(Schweiz)<br />
23.09. – 26.09. <strong>Juni</strong>oren Grand Prix in<br />
Ostrava (Tschechische<br />
Republik)<br />
23.09. – 26.09. Challenger: Nebelhorn<br />
Trophy in Oberstdorf<br />
30.09. – 03.10. <strong>Juni</strong>oren Grand Prix in<br />
Taschkent (Usbekistan)<br />
07.10. – 10.10. <strong>Juni</strong>oren Grand Prix in<br />
Ljubljana (Slowenien),<br />
ohne Paare<br />
08.10. – 11.10. Challenger: Finlandia<br />
Trophy in Espoo (Finnland)<br />
09.10. – 11.10. Ticino Cup in Bellinzona<br />
(Schweiz)<br />
10.10. – 11.10. Ruhr Cup in Essen<br />
15.10. – 17.10. Challenger: Budapest Trophy<br />
(Ungarn), ohne Paare<br />
23.10. – 25.10. Westfalen Cup in Dortmd.<br />
23.10. – 25.10. Grand Prix: Skate America<br />
in Las Vegas (USA)<br />
23.10. – 25.10. Lentia Cup in Linz<br />
23.10. – 25.10. Montalin Cup in Chur<br />
(Schweiz)<br />
29.10. – 01.11. Challenger: Denis Ten<br />
Memorial in Almaty<br />
(Kasachstan)<br />
30.10. – 01.11. Hessenpokal in Frankfurt<br />
30.10. – 01.11. Grand Prix: Skate Canada<br />
in Ottawa (Kanada)<br />
30.10. – 01.11. Trophée Romand in<br />
Lausanne (Schweiz)<br />
06.11. – 08.11. Grand Prix: Cup of China<br />
in ??? (Ort noch offen)<br />
06.11. – 08.11. Eulach Cup in Winterthur<br />
(Schweiz)<br />
07.11. Christmas Cup in<br />
Bremerhaven<br />
12.11. – 15.11. Challenger: Warschau Cup<br />
(Polen), ohne Paare<br />
12.11. – 15.11. Züri-Leu Cup in Zürich-<br />
Oerlikon (Schweiz)<br />
13.11. – 15.11. Grand Prix: Internationaux<br />
de France evtl. in Grenoble<br />
(Frankreich)<br />
13.11. – 15.11. Dom-Pokal in der Eishalle<br />
Lentpark in Köln<br />
20.11. – 22.11. Eiscup in Innsbruck<br />
20.11. – 22.11. Grand Prix: Rostelecom<br />
Cup in Moskau (Russland)<br />
<strong>2020</strong><br />
21.11. <strong>No</strong>rdbergpokal in Bergkamen<br />
(NRW)<br />
21.11. – 22.11. Eisemann-Pokal in Stuttgart<br />
21.11. – 22.11. Lugano Cup (Schweiz)<br />
23.11. – 30.11. Challenger: Inge Solar Trophy<br />
in Innsbruck (Österreich),<br />
ohne Paare<br />
27.11. – 29.11. Grand Prix: NHK Trophy in<br />
Japan, Ort noch offen<br />
27.11. – 29.11. Montfort Cup in Feldkirch<br />
(Österreich)<br />
27.11. – 29.11. EVBN Cup in Grindelwald<br />
(Schweiz)<br />
02.12. – <strong>05</strong>.12. Challenger: Golden Spin in<br />
Zagreb (Kroatien)<br />
03.12. – 06.12. Flimser Trophy (Schweiz)<br />
<strong>05</strong>.12. Nikolauspokal in<br />
Möhnesee (NRW)<br />
10.12. – 12.12. Österreichische Staatsmeisterschaften<br />
in Linz<br />
10.12. – 13.12. Finale in Peking (China),<br />
Test-Event für Olympia 22<br />
11.12. – 13.12. Deutsche Nachwuchs- und<br />
<strong>Juni</strong>orenmeisterschaften<br />
in Dortmund<br />
12.12. – 13.12. Coupe de Tramelan<br />
(Schweiz)<br />
12.12. – 13.12. Schweizermeisterschaften<br />
(Elite) in Luzern<br />
17.12. – 19.12. Deutsche Meisterschaften<br />
in Hamburg (Volksbank<br />
Arena)<br />
17.12. – 20.12. Championnat Romand in<br />
St. Imier (Schweiz)<br />
2021<br />
09.01. – 10.01. Fanny Elßler Cup in<br />
Eisenstadt (Österreich)<br />
09.01. – 10.01. Tenini-Graf Cup in<br />
Wetzikon (Schweiz)<br />
15.01. – 17.01. Kasermandl Laufen in<br />
Dornbirn (Österreich)<br />
15.01. – 17.01. Coupe neuchàteloise in<br />
Neuchàtel (Schweiz)<br />
16.01. Waldstadtpokal in Iserlohn<br />
(NRW)<br />
16.01. – 17.01. Schweizer <strong>Juni</strong>orenmeisterschaften<br />
in Bulle<br />
21.01. – 23.01. La Coupe du Rhone in<br />
Monthey (Schweiz)<br />
23.01. – 24.01. Montafoner Schlittschuh<br />
in Schruns (Österreich)<br />
25.01. – 31.01. Europameisterschaften in<br />
Zagreb (Kroatien)<br />
25.01. – 31.01. Bavarian Open in<br />
Oberstdorf<br />
29.01. Wiehlcup in Wiehl (NRW)<br />
30.01. – 31.01. Hippolyt Cup in St. Pölten<br />
(Österreich)<br />
30.01. – 31.01. Coupe Prévòtoise in<br />
Moutier (Schweiz)<br />
30.01. – 31.01. Urdorfer Kürkonkurrenz<br />
(Schweiz)<br />
04.02. Ina-Bauer-Pokal in Krefeld<br />
<strong>05</strong>.02. – 07.02. Schweizer Nachwuchsmeisterschaft<br />
in Basel
17<br />
2021<br />
06.02. – 07.02. Baden-Württembergische<br />
Meisterschaften in<br />
Mannheim<br />
08.02. – 14.02. Vier-Kontinente-Meisterschaften<br />
in Sydney<br />
(Australien)<br />
11.02. – 14.02. NRW-Landesmeisterschaften<br />
in Dortmund<br />
12.02. – 14.02. Schweizer Jugendmeisterschaft<br />
in Rapperswil<br />
19.02. Quirinuspokal in Neuss<br />
25.02. – 28.02. Deutschlandpokal in Erfurt<br />
25.02. – 28.02. Challenge Cup in Den Haag<br />
26.02. – 28.02. Ice-Trophy in Biel<br />
(Schweiz)<br />
01.03. – 07.03. <strong>Juni</strong>oren-WM in Harbin<br />
(China)<br />
<strong>05</strong>.03. – 07.03. Heiko-Fischer-Pokal in<br />
Stuttgart<br />
<strong>05</strong>.03. – 07.03. Feldkirch Trophy<br />
(Österreich)<br />
12.03. – 14.03. Dom-Pokal in Köln<br />
19.03. – 21.03. Haydn Pokal in Eisenstadt<br />
(Österreich)<br />
20.03. Grafschafter Cup in Moers<br />
(NRW)<br />
22.03. – 28.03. Weltmeisterschaften in<br />
Stockholm (Schweden)<br />
26.03. – 28.03. Wolf Cup in St. Pölten<br />
(Österreich)<br />
27.03. Niedersächsische<br />
Meisterschaften<br />
28.03. Marietta Marik-Pokal in<br />
Bielefeld<br />
2022<br />
10.01. – 16.01. Europameisterschaften in<br />
Tallinn (Estland)<br />
? Vier-Kontinente-Meisterschaften:<br />
bis jetzt kein<br />
Bewerber<br />
04.02. – 20.02. Olympische Spiele in Peking<br />
(China)<br />
07.03. – 13.03. <strong>Juni</strong>oren-WM in Sofia<br />
(Bulgarien)<br />
21.03. – 27.03. Weltmeisterschaften in<br />
Montpellier oder Paris<br />
(Frankreich)<br />
Die <strong>Pirouette</strong> auf Facebook<br />
Synchronwettbewerbe <strong>2020</strong>/2021<br />
04.12. Challenger: Asia Trophy in<br />
Hongkong<br />
10.12. – 13.12. Challenger: Irvine,<br />
Kalifornien (USA)<br />
17.12. – 19.12. Challenger: Danzig (Polen)<br />
14.01. – 17.01. Challenger: Turku (Finnland)<br />
21.01. – 23.01. Challenger: Salzburg<br />
(Österreich)<br />
20.01. NRW-Sys-Trophy in Neuss<br />
12.03. – 14.03. <strong>Juni</strong>oren-WM in Angers<br />
(Frankreich)<br />
26.03. – 27.03. Mixed Age Trophy in Basel<br />
(Schweiz)<br />
08.04. – 10.04. Weltmeisterschaften in<br />
Zagreb (Kroatien)<br />
Synchronwettbewerbe 2022<br />
17.03. – 19.03. <strong>Juni</strong>oren-WM in Innsbruck<br />
(Österreich)<br />
07.04. – 09.04. Weltmeisterschaften in<br />
Hamilton (Kanada)<br />
Neues aus aller Welt<br />
Nicole Bobek Mutter<br />
Die US-Einzelläuferin Nicole Bobek, inzwischen<br />
42, wurde im März Mutter eines Sohnes namens<br />
Alejandro. Sie war eine schillernde Persönlichkeit,<br />
die auf dem Eis mit guter Ausstrahlung<br />
glänzte und eine beeindruckende<br />
Kombination aus dreifachem Lutz und dreifachem<br />
Toeloop beherrschte, als das noch selten<br />
war. Aber sie war auch unstet und wechselte<br />
fast jedes Jahr ihren Trainer. Ihr größter Erfolg<br />
war die Bronzemedaille bei der WM 1995, als<br />
sie von Richard Callaghan trainiert wurde.<br />
Später kam sie mehrfach mit dem Gesetz in<br />
Konflikt und wurde 2010 wegen Drogenhandels<br />
verurteilt. Im Januar 2017 heiratete sie den<br />
Zirkusartisten Pedro Santos Lopez, trat auch im<br />
Zirkus auf, lebt jetzt in Florida und arbeitet<br />
dort in der Eishalle in der Kleinstadt Lake<br />
Worth in untergeordneter Position. krk<br />
Falschmeldung zu<br />
Alexandra Stepanova<br />
Mehrere internationale Nachrichtenagenturen,<br />
darunter die deutsche dpa und die niederländische<br />
ANP, haben im April die Falschmeldung<br />
verbreitet, dass die russische Eistänzerin Alexandra<br />
Stepanova wegen Dopingvergehen gesperrt<br />
worden sei und ihre seit 2018 gewonnenen<br />
Medaillen zurückgeben müsse. Sie beriefen<br />
sich dabei auf die russische Anti-Dopingagentur<br />
RUSADA. Tatsächlich hatte die RUSADA auf<br />
ihrer Webseite die Sperre einer Sportlerin namens<br />
Alexandra Stepanova bekanntgegeben,<br />
dabei handelte es sich jedoch um eine gleichnamige<br />
Leichtathletin und die Meldung war<br />
unter der korrekten Überschrift „Leichtathletik“<br />
veröffentlicht. Der russische Verband publizierte<br />
eine Richtigstellung auf seiner Webseite. Die<br />
Eistänzerin Stepanova bezeichnete die Falschmeldungen<br />
in der russischen Presse als „verantwortungslos“.<br />
Die dpa und ANP zogen ihre<br />
Artikel zurück und korrigierten sie, nachdem<br />
die <strong>Pirouette</strong> sie auf den Fehler aufmerksam<br />
gemacht hatte. Da war sie allerdings schon in<br />
vielen Medien wie z.B. dem ZDF Videotext und<br />
dem ORF erschienen. Wer als erster schlecht<br />
recherchierte und die Meldung auf den Markt<br />
brachte, die andere offenbar ohne Prüfung einfach<br />
übernahmen, ist nicht klar.<br />
Alexander Zhulin zum<br />
dritten Mal Vater<br />
Der ehemalige russische Eistänzer und heutige<br />
Spitzentrainer Alexander Zhulin wurde Anfang<br />
April zum dritten Mal Vater. Er und seine dritte<br />
Ehefrau Natalia Mikhailova, eine ehemalige<br />
Schülerin, freuten sich über die Geburt ihrer<br />
zweiten gemeinsamen Tochter, die sie Elena<br />
nannten. Aus der Ehe mit Tatiana Navka hat<br />
Zhulin eine erwachsene Tochter, Sasha (20). Die<br />
zweite Tochter Ekaterina ist sieben Jahre alt.<br />
Robin Szolkowy in den<br />
USA auf Eis gelegt<br />
Robin Szolkowy war in den USA nach Schließung<br />
der Eishallen in Kalifornien Mitte März<br />
wie Trainerkollegen in Deutschland und aller<br />
Welt auf Eis gelegt. „Seit sieben Wochen bin<br />
ich ohne Einkommen, denn ich erhalte ja nur<br />
Geld, wenn ich als Trainer Stunden geben<br />
kann“, sagte der 40-Jährige der „Freien Presse“<br />
Chemnitz im <strong>Mai</strong>. Aber schon davor erfüllten<br />
sich die Hoffnungen nicht, den Paarlauf in den<br />
USA auszubauen. „Ich war in der ganzen Zeit<br />
nur einmal mit zwei potenziellen Kandidaten<br />
drei Tage unterwegs. Es gibt viele gute Ideen<br />
und es ist einiges geplant. Aber bis jetzt wurde<br />
auch hier zu wenig umgesetzt“, kommentierte<br />
der fünfmalige Weltmeister, der seit <strong>No</strong>vember<br />
als freiberuflicher Trainer arbeitete<br />
und Privatstunden gab. Im März wollte er eigentlich<br />
nach Europa kommen und dort neue<br />
Jobmöglichkeiten ausloten, aber die Pandemie<br />
machte diese Pläne zunichte. Seinen Optimismus<br />
verliert der zweimalige Olympia-Dritte<br />
dennoch nicht: „Vielleicht arrangiere ich mich<br />
weiter in den USA, gebe noch mal Gas. Ich<br />
weiß es momentan nicht. Aber ich bin ein<br />
Stehaufmännchen.“ <br />
tat<br />
Erscheinungstermin<br />
der nächsten <strong>Pirouette</strong>:<br />
Anfang August<br />
Wir bitten um Beachtung: Sämtliche Eislauf-<br />
Events wurden wegen Corona abgesagt. Daher<br />
erscheint unsere Sommerausgabe Juli/August<br />
etwas später als gewohnt. Das genaue Datum<br />
der Veröffentlichung steht noch nicht fest.<br />
News
18<br />
Bundeskaderliste <strong>2020</strong>/2021<br />
Die neue DEU-Kaderlisten<br />
Die DEU will in ihrer neuen Kaderliste wieder sowohl tatsächliche<br />
große Talente fördern als auch einige, die eigentlich<br />
nicht alle Kriterien erfüllt haben, bei denen aber die<br />
Aussicht besteht, dass sie dies in der beginnenden Saison tun.<br />
Natürlich steht diesmal alles noch mehr unter dem Vorbehalt,<br />
dass auch Wettbewerbe unter guten Bedingungen und nach<br />
intensiver Vorbereitung stattfinden dürfen, bei denen sie ihr<br />
Können zeigen können.<br />
Seit den Deutschen Meisterschaften sei er nicht wieder gelaufen und<br />
habe noch nicht entschieden, ob er noch einmal anfangen will. Shari<br />
Koch und Christian Nüchtern haben sich nach längerer Überlegung getrennt,<br />
sind aber weiterhin auf der Kaderliste, weil sie neue Partner suchen.<br />
Amanda Peterson und Maximilian Pfisterer konnten im NK1 bleiben,<br />
nachdem sie die Punktzahlen für den Perspektivkader nicht geschafft<br />
haben. Zwei andere Berliner Eistänzer in Berlin wollten ein Probetraining<br />
machen, sobald ihre Partner anreisen dürfen.<br />
Endgültig nicht mehr im Kader sind Aljona Savchenko und Bruno Massot,<br />
die somit keine Anti-Doping-Tests mehr ablegen müssen. In der Meisterklasse<br />
fehlen Lutricia Bock und Catalin Dimitrescu. Beide konnten die<br />
notwendigen Punktzahlen bei weitem nicht erreichen. Dimitrescu schrieb<br />
der <strong>Pirouette</strong> auf Nachfrage Anfang <strong>Mai</strong>, er mache zurzeit ein mehrmonatiges<br />
bezahltes Praktikum in der Schweiz für sein Informatik-Studium.<br />
Kader Name Haupttrainingsort Haupttrainer/in<br />
Damen<br />
PK Lea Johanna Dastich Mannheim Pötzsch<br />
PK Kristina Isaev Mannheim Sczypa<br />
PK Nicole Schott Oberstdorf Huth<br />
EK Nathalie Weinzierl Mannheim Pötzsch<br />
NK1 Aya Hatakawa Oberstdorf Just<br />
NK1 Ann-Christin Marold Linz Jaschek/Haider<br />
NK1 Nargiz Süleymanova Köln Zubkova<br />
NK1 Anastasia Steblyanka Mannheim Pötzsch<br />
NK2 Aurelie Beier Dortmund Dieck<br />
NK2 Sophia Gienger Regensburg Dedovic<br />
NK2 Marielen Hirling Stuttgart Unger<br />
NK2 Ina Jungmann Dortmund Gnilozoubova<br />
NK2 Hanna Pfaffenrot Dortmund Gnilozoubova<br />
NK2 Olesia Ray Dortmund Gnilozoubova<br />
NK2 Maria-Aimée Renné Berlin Oesterreich<br />
NK2 Janne Salatzki Berlin Herrmann<br />
NK2 Fiona Wiens Neuwied Zimmer<br />
Herren<br />
PK Paul Fentz Berlin Oesterreich<br />
PK Jonathan Heß Mannheim Sczypa<br />
PK Thomas Stoll Berlin Striegler<br />
NK1 Denis Gurdzhi Dortmund Gnilozoubova<br />
NK1 Kai Jagoda Berlin Machon<br />
NK1 Nikita Starostin St. Petersburg Kulibanova<br />
NK1 Louis Weissert Dortmund Dieck<br />
NK2 Davide Calderari Oberstdorf Fajfr<br />
NK2 Tim England Erfurt England<br />
NK2 Leon Kraiczyk Regensburg Dedovic<br />
NK2 Linus Mager Oberstdorf Fajfr<br />
NK2 Arthur <strong>Mai</strong> Berlin Machon<br />
Paare<br />
PK Minerva Hase Berlin Oesterreich<br />
PK <strong>No</strong>lan Seegert Berlin Oesterreich<br />
PK Annika Hocke Berlin Rex<br />
PK Robert Kunkel Berlin Rex<br />
PK Elena Pavlova Oberstdorf Just<br />
PK Ruben Blommaert Oberstdorf Just<br />
EK Talisa Thomalla Berlin ---<br />
NK1 Letizia Roscher Chemnitz Scheibe<br />
NK1 Luis Schuster Chemnitz Scheibe<br />
NK2 Daniela Muntean Berlin Rex<br />
NK2 Artem Rotar Berlin Rex<br />
Die beste deutsche <strong>Juni</strong>orin Nargiz Süleymanova ist jetzt im Nachwuchskader<br />
1 und ist jetzt auch finanziell besser abgesichert als bisher. Denn<br />
DEU-Vizepräsident Reinhard Ketterer sagte der <strong>Pirouette</strong>, er habe ein neues<br />
Finanzierungsprojekt für besondere Talente gestartet. Er und andere Offizielle<br />
wollen gutverdienende ehemalige Läuferinnen und Läufer ansprechen,<br />
für die die DEU früher jahrelang finanziell viel getan hat. Man will<br />
sie fragen, ob sie nicht als großzügige Mäzene für einzelne Läufer in Aktion<br />
treten wollen, ähnlich wie dies die Alumni, also ehemaligen Absolventen<br />
von Hochschulen in den USA tun, die anschließend eine lukrative Karriere<br />
gemacht haben und nun als Dank größere Summen an ihre frühere<br />
Universität spenden. Erfolg hatte Ketterer als erstes bei dem ehemaligen<br />
Deutschen Eistanzmeister Hendryk Schamberger, der als Arzt in der<br />
Schweiz gut verdient und ab sofort Nargiz Süleymanova sponsoren will<br />
und ihr zum Beispiel ein Aufenthalt bei einem Spitzenchoreografen, ein<br />
Trainingslager oder andere Eislaufkosten bezahlen will. Gespräche mit weiteren<br />
Besserverdienern will Ketterer in naher Zukunft führen - eine glänzende<br />
Idee angesichts der geringen Finanzmittel der DEU mangels anderer<br />
Sponsoren als der Bundeswehr. Nikita Starostin durfte nach dem geplanten<br />
und ausgefallenen Wettbewerb von Mitte März in Luxemburg nicht<br />
zurück nach Russland und war dann einige Zeit bei dem Choreografen<br />
Adam Solya in Belgien. Die DEU konnte mit viel Aufwand erreichen, dass<br />
beide im <strong>Mai</strong> über die Grenze nach Oberstdorf fahren konnten und er dort<br />
trainieren kann, bis er wieder nach St. Petersburg darf. Denn in Belgien<br />
sind alle Eishallen noch länger geschlossen. Klaus-Reinhold Kany<br />
Kader Name<br />
Haupttrainingsort Haupttrainer/in<br />
Eistanzen<br />
PK Shari Koch Berlin Caruso<br />
PK Christian Nüchtern Berlin Caruso<br />
PK Katharina Müller Moskau Krylova<br />
PK Tim Dieck Moskau Krylova<br />
PK Jennifer Janse van R. Oberstdorf Sinicyn<br />
PK Benjamin Steffan Oberstdorf Sinicyn<br />
EK Charise Matthaei Berlin ---<br />
NK1 Lea Enderlein Berlin Caruso<br />
NK1 Malte Brandt Berlin Caruso<br />
NK1 Viktoriia Lopusova Dortmund Schulz<br />
NK1 Asaf Kazimov Dortmund Schulz<br />
NK1 Lara Luft Oberstdorf Sinicyn<br />
NK1 Stephano V. Schuster Oberstdorf Sinicyn<br />
NK1 Amanda Peterson Berlin Caruso<br />
NK1 Maximilian Pfisterer Berlin Caruso<br />
NK1 Anne-Marie Wolf Chemnitz Hilpert<br />
NK1 Max Liebers Chemnitz Hilpert<br />
NK2 Daria Grimm Oberstdorf Sinicyn<br />
NK2 Michail Savitskyi Oberstdorf Sinicyn<br />
NK2 Alexia Kruk Berlin Caruso<br />
NK2 Jan Eisenhaber Berlin Caruso<br />
NK2 Lilia Schubert Chemnitz Hilpert<br />
NK2 Kieren Wagner Chemnitz Hilpert<br />
Synchronlaufen<br />
? Team Berlin 1 Berlin Hofmann
19<br />
Neues aus<br />
Russland<br />
Ende März schlossen die Eishallen in<br />
Russland, die Läufer stellten wie überall<br />
auf Trockentraining um. Einige kamen dabei<br />
auf kreative Ideen, zum Beispiel Lisa<br />
Tuktamysheva, die mit ihre Choreographen<br />
Juri Smekalov online und live per Internet<br />
eine neue Kür zu japanischer Musik einstudierte.<br />
Die Musik komponierte der russische<br />
Musiker Bkhima Iunusov extra für das<br />
Projekt, wie die Läuferin der <strong>Pirouette</strong> in<br />
einem Telefon-Interview berichtete.<br />
Ihr neues KP zu „Spartakus“ konnte Tuktamysheva<br />
noch vor den Schließungen mit Anna<br />
Cappellini und Luca Lanotte in Italien aufbauen.<br />
»<br />
Alexandra Trusovas Trainerwechsel von Eteri<br />
Tutberidzes Gruppe zu Evgeni Plushenko machte<br />
Schlagzeilen. Das erste Interview gab Trusova<br />
»<br />
der Autorin dieses Artikels.<br />
Alexandra Trusova:<br />
„Ein Trainerwechsel ist ein verantwortungsvoller<br />
Schritt. Nur hier in Russland löst diese<br />
Frage so viele Emotionen, Diskussionen, sogar<br />
Anklagen und Beschimpfungen aus. Diese<br />
Emotionen kommen wahrscheinlich daher,<br />
weil Eiskunstlauf in unserem Land so populär<br />
ist. Jeder Sportler analysiert sein Potenzial<br />
und die Situation um ihn herum, und damit<br />
meine ich nicht nur den Sport. Meine Gedanken<br />
brachten mich zu dem Schluss, dass<br />
die Zeit für den nächsten Schritt gekommen<br />
ist, den nächsten Schritt vorwärts. Ich habe<br />
mich entschieden, mit Evgeni Viktorovitch<br />
(Plushenko) zu arbeiten, nicht weil er ein<br />
großartiger Sportler ist, obwohl man das<br />
nicht vergessen sollte. Für mich ist er vor allem<br />
eine herausragende Persönlichkeit. Außerdem<br />
ist er eine zutiefst künstlerische Person,<br />
was mich anzieht.“<br />
«<br />
Mit Trusova wechselte Trainer Sergei Rozanov<br />
zu Plushenkos Schule. Dieser Trainer hatte erfolgreich<br />
mit ihr und anderen Läuferinnen der<br />
Gruppe gearbeitet. Plushenko kündigte an, dass<br />
er sich voll auf die Aufgabe als Trainer konzentrieren<br />
werde. Nach Trusovas Wechsel überschlugen<br />
sich die Spekulationen, wer noch die<br />
Schule verlasse, aber Europameisterin Aliona<br />
Kostornaia, Vize-Europameisterin Anna Shcher-<br />
»<br />
Lisa Tuktamysheva:<br />
„Das war Juris Idee und ich habe mich sehr<br />
gefreut, dass ich die erste war, die online mit<br />
ihm etwas gestaltet. Ich hatte ein paar<br />
Zweifel, schon so früh meine Choreographie<br />
und Musik bekannt zu geben. Aber dann<br />
entschied ich, dass das nicht schlimm ist,<br />
sondern sehr interessant und kreativ. So etwas<br />
gab es noch nicht. Wir haben uns (auf<br />
dem Video) sehr gut gesehen und gemeinsam<br />
online die Bewegungen gestaltet – er<br />
zeigte etwas und ich habe es nachgemacht.<br />
Dazu hatten wir live Zuschauer dabei, die<br />
uns geschrieben haben, welche Bewegungen<br />
wir nehmen sollen. Alle haben bei unserer<br />
Kür mitgemacht. Aber es war<br />
«<br />
nicht so einfach,<br />
denn wenn du alle Emotionen reinbringst,<br />
haust du den Fernseher um (lacht).<br />
Juri gab mir den Schlüssel zu seinem Studio<br />
und die Endversion der Kür konnte ich dort<br />
auf dem Boden komplett tanzen. Meine Trainer<br />
Alexei Nikolaevitch (Mishin) und Tatiana<br />
Nikolaevna (Prokofieva) waren mit dem Resultat<br />
zufrieden.“<br />
Mikhail Kolyada<br />
beim Trockentraining<br />
zu Hause<br />
Lisa Tuktamysheva<br />
tanzt ihre neue Kür<br />
im Studio<br />
Fotos: privat<br />
bakova und andere wiesen die Gerüchte zurück.<br />
Kostornaia und Shcherbakova posteten immer<br />
mal wieder Videos von ihrem Training und<br />
streamten ein gleichzeitiges Work-out auf Instagram.<br />
Dabei beantworteten sie Fragen der<br />
Fans. Kostornaia erzählte, dass sie die Zeit für<br />
die Schule nutze. „Am Anfang der Quarantäne<br />
war da noch ein gewisser Enthusiasmus, jetzt<br />
wollen wir nur noch schnell aufs Eis“, meinte<br />
Shcherbakova. Der Wunsch wurde den Läuferinnen<br />
Ende <strong>Mai</strong> erfüllt, als die Trainingsbasis<br />
in <strong>No</strong>vogorsk für sie und andere Läufer aus<br />
Moskau und St. Petersburg öffnete. Alle wurden<br />
auf Corona getestet und waren zunächst regelrecht<br />
kaserniert.<br />
Europameister Dmitri Aliev, der unter anderem<br />
bei Trainer Evgeni Rukavitsin auf der Datscha<br />
trainierte und ansonsten nach eigener Auskunft<br />
sich vor allem um seinen Hund kümmerte, und<br />
die Schüler von Alexei Mishin wollten Anfang<br />
<strong>Juni</strong> in das Trainingszentrum in Kislovodsk im<br />
Kaukasus fahren. Die Paarlauf-Europameister<br />
Alexandra Boikova/Dmitrii Kozlovskii ließen das<br />
Trainingslager in <strong>No</strong>vogorsk aus, da sich Boikova<br />
auf ihre Abschlussprüfung an der Schule<br />
vorbereitete, wie Tamara Moskvina sagte.<br />
Ziemlich ausgebremst sah sich Mikhail Kolyada,<br />
der nach der krankheitsbedingt verpassten Saison<br />
durchstarten wollte. Der „<strong>Pirouette</strong>“ schrieb<br />
er, dass er sich nicht unterkriegen lasse.<br />
Mikhail Kolyada:<br />
„Ich trainiere alleine und mache Kraftübungen<br />
für verschiedene Muskeln und die Statik,<br />
aber natürlich fehlt mir die dynamische<br />
Arbeit sehr und ich möchte endlich<br />
«<br />
aufs Eis.<br />
Es gibt etwas Positives - ich habe mit Dascha<br />
(seiner Frau) mit Acroyoga angefangen<br />
und hätte nie gedacht, dass das so viel Spaß<br />
macht. Dascha hilft mir, mit der schwierigen<br />
Situation zurecht zu kommen. Zu zweit ist<br />
es uns niemals langweilig – wir machen<br />
Sport, lernen, lesen, schauen Filme. Die jetzige<br />
Situation hilft, sich selbst zu verstehen<br />
und es ist Zeit, die Fragen zu beantworten,<br />
die man im ‚normalen‘ Leben nicht angeht.<br />
Man kann in Ruhe darüber nachdenken, wie<br />
es weitergeht.“<br />
Evgenia Medvedeva war im April nach Japan<br />
gereist, um sich nach eigenen Angaben auf eine<br />
Show vorzubereiten und weil sie Sorge hatte,<br />
nicht mehr dorthin reisen zu können. Allerdings<br />
war absehbar, dass die Show abgesagt werden<br />
würde, was dann auch so kam. Die zweimalige<br />
Weltmeisterin blieb in Japan, gerüchteweise,<br />
weil sie dort auf Trainingsmöglichkeiten hoffte.<br />
Das wiederum erzürnte einige Japaner, die die<br />
russische Botschaft aufforderten, ihre Staatsbürgerin<br />
nach Hause zu schicken.<br />
Der erste bekannte Corona-Fall im russischen<br />
Eiskunstlauf betraf Olympiasiegerin Tatiana<br />
Navka, die sich aber schnell erholte. Ihr Ehemann,<br />
Regierungssprecher Dmitri Peskov, musste<br />
länger im Krankhaus bleiben, bevor er als geheilt<br />
entlassen wurde. Tatjana Flade<br />
Neues aus Russland
20<br />
Das Übel der dreifachen Sprünge<br />
Diskussion 1985<br />
Diskussionen über Sprünge der Damen gab es schon vor 35 Jahren<br />
Uwe Prieser<br />
Seit zwei Jahren springen mehrere russische<br />
Läuferinnen und eine Amerikanerin,<br />
überwiegend zwischen 13 und 16<br />
Jahre alt, im Wettbewerb regelmäßig<br />
vierfach. Seitdem wird vermehrt darüber<br />
diskutiert, ob man die Altersgrenze für die<br />
Meisterklasse erhöhen oder Vierfachsprünge<br />
bei den Damen einschränken<br />
oder sogar ganz verbieten soll. Ein Blick in<br />
die jüngere Eislaufgeschichte zeigt, dass<br />
es in den 1980er Jahren eine ähnliche<br />
Diskussion gab. Allerdings ging es damals<br />
darum, ob Läuferinnen dreifach springen<br />
oder sich mit Doppelsprüngen begnügen<br />
sollen. Heute sind die Dreifachsprünge<br />
außer dem Axel für Läuferinnen mit internationalem<br />
Niveau auch dann selbstverständlich,<br />
wenn sie schon 20 oder 25 Jahre<br />
alt sind. Könnte es daher sein, dass in<br />
20 oder 30 Jahren Vierfachsprünge so<br />
selbstverständlich sind wie heute die<br />
Dreifachen? Man wird es sehen.<br />
Die <strong>Pirouette</strong> hat einen Artikel von 1985<br />
zum Thema Dreifachsprünge der Damen<br />
in „Die Zeit“ gefunden und druckt ihn hier<br />
ungekürzt nochmals ab. Geschrieben hat<br />
damals Uwe Prieser, der damals zeitweise<br />
bei dpa, zeitweise als freier Journalist,<br />
später als Pressesprecher der DEU aktiv<br />
war und inzwischen im Ruhestand ist.<br />
Die im Text erwähnte Anna Kondrashova<br />
(damals noch anders geschrieben) ist die<br />
heute in Estland aktive Trainerin Anna<br />
Levandi. Wir haben die alte Rechtschreibung<br />
beibehalten.<br />
krk<br />
Das Übel der dreifachen Sprünge<br />
Was Eiskunstläuferinnen mit fünfzehn auf dem Eis können, können sie mit zwanzig<br />
nicht mehr · Von Uwe Prieser, erschienen in „Die Zeit“ am 1. März 1985<br />
Wenn Anna Kondraschowa ihre Kür läuft, dann<br />
verwandelt sich Musik in Schlittschuhschritte<br />
und Tanzfiguren. Sie sagt, sie vergäße dann alles<br />
um sich herum. Dann stürzt sie bei einem Dreifachsprung,<br />
und die schöne Illusion ist hin, und<br />
Anna Kondraschowa wird wieder nicht Weltmeisterin.<br />
Die letzte Eiskunstläuferin, der es gelang,<br />
die Grazie mit dem Erfolg zu verbinden, ist vor<br />
neun Jahren als Weltmeisterin abgetreten: die<br />
Amerikanerin Dorothy Hamill. Die Eisprinzessin,<br />
diese romantische Kunstfigur des Sports, ist seither<br />
immer bläßlicher geworden. Dorothy Hamill<br />
war die letzte Weltmeisterin, die keinen Dreifachsprung<br />
in ihrer Kür hatte. Mit ihrem Rücktritt<br />
begann ein neuer, athletischer Abschnitt im Eiskunstlauf<br />
der Damen: die Zeit der Dreifachsprünge<br />
– gut 15 Jahre später als bei den Männern.<br />
Damit einher ging ein erschreckender Verlust an<br />
Ausdruckskraft und Stil, kurz an Schönheit. Die<br />
Internationale Eislauf-Union reagierte darauf im<br />
vergangenen Jahr mit einer Regeländerung, die<br />
die Anzahl der erlaubten Dreifachsprünge während<br />
einer Kür reduzierte, „um die Schönheit des<br />
Eislaufs zu fördern“. Das war nicht genug.<br />
Winter für Winter stirbt in den Damen-Wettbewerben<br />
der internationalen Meisterschaften die<br />
Schönheit an den Dreifachsprüngen. Vor der Pubertät<br />
erlernt, gelingen Dreifachsprünge den Eislaufmädchen<br />
von 13 oder 14 Jahren scheinbar<br />
mühelos. Winter für Winter hofft die Eislaufwelt<br />
vergeblich, es werde endlich eine Läuferin nachwachsen,<br />
die Erfolg und Grazie wieder verbindet.<br />
Doch wenn aus den Schlittschuh-Hüpfemädchen<br />
von wenig über 80 Pfund junge Frauen geworden<br />
sind und das wirkliche Eiskunstlaufen anfangen<br />
könnte, dann haben sie plötzlich das<br />
Springen verlernt. Katarina Witt, die Olympiasiegerin<br />
aus der DDR, lieferte kürzlich bei der Europameisterschaft<br />
in Göteborg das jüngste Beispiel.<br />
<strong>No</strong>ch nie lief die nunmehr 19jährige, die<br />
mit 15 in die Weltklasse gesprungen war, so<br />
schön und ausdrucksstark. Und noch nie war sie<br />
so wackelig bei ihren Dreifachsprüngen.<br />
Denise Biellmann, Weltmeisterin aus der<br />
Schweiz, die <strong>Pirouette</strong>n wie einen Spagat im<br />
Stehen drehte, beherrschte als 15jährige fünf<br />
der sechs verschiedenen Eislaufsprünge dreifach<br />
und war damit den Männern ebenbürtig. Als sie<br />
1981, inzwischen 19 Jahre alt, endlich Weltmeisterin<br />
wurde und zu Stil und persönlichem<br />
Ausdruck gefunden hatte, schaffte sie mit Ach<br />
und Krach gerade noch zwei Dreifache. Ihre<br />
Zeit, so hieß es für sie damals wie heute für Katarina<br />
Witt, sei abgelaufen. Dabei hätte sie erst<br />
anfangen müssen. (Hinweis der <strong>Pirouette</strong>: Katarina<br />
Witt war in den Jahren 86 - 88 nochmals<br />
sehr erfolgreich und wurde 1988 Olympiasiegerin<br />
und 1987 und 88 Weltmeisterin. Aber das<br />
konnte der Autor noch nicht wissen.)<br />
Tiffany Chin, das neue Schlittschuh-Wunderkind<br />
aus den USA, sprang vor zwei Jahren sogar den<br />
dreifachen Axel, der in Wahrheit eine dreieinhalbfache<br />
Drehung in der Luft verlangt und in<br />
der Welt von weniger als einem halben Dutzend<br />
Männern beherrscht wird. Jetzt ist Tiffany Chin<br />
fast 19. Statt aller sechs verschiedenen Dreifachsprünge<br />
springt sie nur noch die beiden leichtesten<br />
sicher. Seit Jahren wird bei Trainern und<br />
Funktionären im internationalen Eiskunstlauf<br />
eine Frage verdrängt: Sind ausgewachsene Eiskunstläuferinnen<br />
auf Grund ihrer Körperkonstitution<br />
für Dreifachsprünge überhaupt geeignet?<br />
0,6 bis 0,7 Sekunden befindet sich eine Läuferin<br />
bei einem Dreifachsprung in der Luft. Das verlangt<br />
großen Krafteinsatz beim Absprung, hohe<br />
Rotationsgeschwindigkeit, ein günstiges Last-<br />
Kraft-Verhältnis. Alles das hat eine 14jährige<br />
Eisläuferin, wenn sie, wie es die Regel ist, seit<br />
acht Jahren mit methodischem Training aufgebaut<br />
worden ist. Alles das verliert sie mehr oder<br />
weniger, wenn sich ihr Körper verändert.<br />
Oberarme und Oberschenkel werden bei den<br />
Sprüngen als Schwungelemente eingesetzt. Nach<br />
der Pubertät nimmt ihr Umfang gewöhnlich zu.<br />
Das Verhältnis von Fettgewebe zu Muskelmasse<br />
verändert sich zuungunsten der Muskulatur, und<br />
damit verändert sich auch das Last-Kraft-Verhältnis<br />
nachteilig. Sportlerinnen, die dies mit forciertem<br />
Krafttraining ausgleichen, finden gar<br />
nicht erst zum Eiskunstlauf, sondern gehen eher<br />
zur Leichtathletik. Im übrigen wäre in der<br />
24-Stunden-Trainingswoche (mitunter 30 Stunden)<br />
einer Eiskunstläuferin für ein solches Krafttraining<br />
auch keine Zeit. Der vorher spindelförmige<br />
Körper des jungen Mädchens bekommt Busen<br />
und Po. Die Drehachse der Teilschwerpunkte des<br />
Körpers stimmt nun nicht mehr wie vorher mit<br />
der Drehachse des Sprungs überein. Der Effekt<br />
bei der Rotation eines Dreifachsprungs ist dann<br />
dem eines nicht ausgewuchteten Autoreifens<br />
vergleichbar. Die Drehung ist nicht mehr harmonisch,<br />
die Sicherheit des Körpergefühls kommt<br />
abhanden. Folge: technische Unsicherheit, Stürze,<br />
Kürvorträge, in denen soviel Streß auf den<br />
Sprüngen liegt, daß die Läuferinnen die Zeit zwischen<br />
den Sprüngen mit einstudierten Arm- und
21<br />
Körperbewegungen überbrücken, die persönlichen<br />
Stil suggerieren sollen, während die eigentliche<br />
Konzentration vollständig auf die Dreifach-<br />
Sprünge gerichtet ist. 70 bis 80 Prozent der Trainingszeit<br />
gehen für die Sprünge drauf. Häufig<br />
entwickeln Choreographen einen Küraufbau, der<br />
unter der athletischen und damit auch nervlichen<br />
Überlastung im Wettkampf so gut wie nie zu einem<br />
persönlichen Stil ausgebaut werden kann. Es<br />
ist kein Zufall, daß seit Jahren die tänzerisch<br />
schönsten Küren von Läuferinnen gezeigt werden,<br />
die bei der Medaillenvergabe leer ausgehen.<br />
Vor fast zehn Jahren triumphierte die Eislaufwelt:<br />
Dorothy Hamill wird die letzte Weltmeisterin<br />
ohne Dreifachsprung sein. Es ist so gekommen,<br />
doch dieser Fortschritt ist fragwürdig geworden.<br />
Im Kunstturnen würde kein Mensch auf<br />
die Idee verfallen, die Frauen um eines athletischen<br />
Fortschritts willen an den Ringen oder am<br />
Parallelbarren turnen zu lassen, weil die Beherrschung<br />
dieser Geräte ihre Körperkräfte überfordert.<br />
Statt dessen wurden frauenspezifische Geräte<br />
geschaffen: Schwebebalken, Stufenbarren.<br />
Trotz aller heute gezeigten Dreifachsprünge gelten<br />
die beiden Amerikanerinnen Peggy Fleming,<br />
Ende der sechziger Jahre, und Janet Lynn, Anfang<br />
der siebziger Jahre, als unerreichte Ideale<br />
des Eiskunstlaufs der Damen. Anna Kondraschowa<br />
und Tiffany Chin sind im vergangenen Winter<br />
von der Technischen Kommission der Internationalen<br />
Eislauf-Union als jene Läuferinnen<br />
bezeichnet worden, die dieses Ideal erreichen<br />
könnten. Die 19 Jahre alte Moskauerin jedoch<br />
muß den Luxus, Musik in Schlittschuhschritte<br />
und Tanzfiguren zu verwandeln, mit erhöhtem<br />
Sturzrisiko bezahlen. Und die auf Dreifachsprünge<br />
fixierten Preisgerichte entmutigen seit Jahren<br />
jene Läuferinnen, die die Grazie in die Eisarena<br />
zurückbringen wollen. Ein Dreifachsprung zu<br />
wenig oder ein Sturz zuviel – und sie erhalten<br />
nicht einmal in der B-<strong>No</strong>te für den künstlerischen<br />
Wert ihrer Kür den Lohn, weil sich die B-<br />
<strong>No</strong>te nach der A-<strong>No</strong>te für den sportlichen Inhalt<br />
richtet. Die Schönheit stirbt an den Sprüngen.<br />
Fleur Maxwell bei der<br />
EM 2016 in Bratislava<br />
Foto: Carmichael<br />
Was macht eigentlich…<br />
Fleur Maxwell?<br />
Die bis 2017 für Luxemburg gestartete Läuferin<br />
mit sehr ansprechendem Laufstil, aber<br />
Schwächen bei den Sprüngen musste wegen<br />
einer Hüftverletzung ihre Eislaufkarriere aufgeben,<br />
auch als Profi, und konnte auch nicht<br />
mehr bei der Nebelhorn Trophy 2017 versuchen,<br />
sich für Olympia 2018 zu qualifizieren.<br />
Ihr größter Erfolg war die Teilnahme als einzige<br />
Luxemburgerin an den Olympischen<br />
Spielen 2006, wo sie Platz 24 belegte und somit<br />
das Finale erreichte. Nach längerer Entschlusslosigkeit<br />
und einigem Hin und Her zog<br />
die inzwischen 31 Jahre alte Läuferin im Dezember<br />
2019 nach New York um, weil dort<br />
ihre Lebensgefährtin lebte, wie die Klatschtageszeitung<br />
New York Post Anfang April<br />
schrieb. Dort eröffnete sie nach Beratung mit<br />
einigen „Influencern“, wie sie heute genannt<br />
werden, ein Modegeschäft mit dem Namen<br />
Body by Fleur. Drei Monate später musste sie<br />
ihr Geschäft wegen des Coronavirus schließen.<br />
Um wenigstens etwas Geld zu verdienen,<br />
gibt sie seitdem online Konditionstrainingskurse<br />
und Ballettstunden in ihrem Studio.<br />
aus Russland stammen und viel Sinn für den<br />
Eiskunstlauf hatten, den Grand Prix in seiner<br />
Stadt. Er machte in der Lobby spontan einige<br />
Sprünge auf dem Trockenen nach, die er gerade<br />
bei Läufern gesehen hatte. Das beobachtete zufällig<br />
die Startrainerin Tatiana Tarasova und<br />
sprach ihn und seine Eltern an. Sie fragte, ob er<br />
nicht regelmäßig trainieren will und schickte<br />
ihn zu Vitaly Schulz. Später wurde dann Martina<br />
Dieck seine Haupttrainerin, und Jahre später<br />
traf er im Sommertraining in Russland Tarasova<br />
wieder. Zunächst waren die Fahrten von Gelsenkirchen<br />
nach Dortmund immer sehr aufwändig,<br />
weil dies 45 Minuten dauerte und beide Eltern<br />
berufstätig waren. Als er 10 Jahre alt war,<br />
zog die Familie nach Dortmund, so dass er alleine<br />
zur Halle gehen konnte. Er kam in den<br />
Bundeskader, zeichnete sich vor allem durch die<br />
Sprünge aus, probierte auch den 4T, wurde<br />
Fünfter bei den Olympischen Jugendspielen<br />
2012 sowie im selben Jahr Deutscher <strong>Juni</strong>orenmeister.<br />
Letzter Höhepunkt war Platz 3 in der<br />
Meisterklasse der Deutschen Meisterschaften<br />
2016. Aber dann musste er vor allem wegen<br />
schon jahrelang akuter Rückenprobleme aufhören.<br />
Im Herbst 2019 lief er mit Nadine Klein in<br />
der Fernsehshowreihe „Dancing on Ice“. Viele<br />
Prominenten hätten, so sagte er jetzt, unterschätzt,<br />
wie schwer ein gutes Laufen auf dem<br />
Eis sei. Für April <strong>2020</strong> waren Shows in Mexiko<br />
bei „Illusions on Ice“ geplant. Der Flug war<br />
schon gebucht, aber die Shows wurden wegen<br />
der Coronakrise abgesagt. Er hofft, dass sie im<br />
<strong>No</strong>vember <strong>2020</strong> nachgeholt werden.<br />
News<br />
Als die amerikanische Weltmeisterin Elaine Zayak,<br />
die als 15jährige ebenfalls alle Dreifachsprünge<br />
beherrschte und später ihr Sprungvermögen<br />
stark eingebüßt hatte, vor drei Jahren<br />
von Peggy Fleming wegen ihres Mangels an<br />
Ausdruckskraft kritisiert wurde, schmollte sie:<br />
„Die hat gut reden, die brauchte damals ja auch<br />
bloß den Doppelaxel zu springen.“<br />
„Anlagebedingte körperliche Unterschiede zwischen<br />
Damen und Herren“, so schreibt der ehemalige<br />
deutsche Weltklasseläufer Sepp Schönmetzler<br />
in seiner Doktorarbeit „Biomechanische<br />
Analyse von Küren und Sprungtechniken beim<br />
Eiskunstlaufen“, „machen den Axel zum Problemsprung<br />
der weiblichen Eiskunstläufer,... die<br />
immer wieder Schwierigkeiten mit dem Doppelaxel<br />
haben.“ Die Vielfalt des Eiskunstlaufs mit<br />
<strong>Pirouette</strong>n, Schritten, Kombinationen ist groß<br />
genug, um auf Dreifachsprünge bei den Damen<br />
zu verzichten. Im Paradewettbewerb Eistanz<br />
gibt es überhaupt keine Sprünge. Doch eine Eiskunstläuferin<br />
ohne Grazie, das ist wie Romeo<br />
und Julia ohne Leidenschaft. <br />
•••<br />
Niko Ulanovsky im<br />
Jahr 2015<br />
Foto: Flade<br />
Was macht eigentlich…<br />
Niko Ulanowsky?<br />
Im April war der Dortmunder Einzelläufer Niko<br />
Ulanovsky (23) Gast in der Talkshow von Christian<br />
Oberfuchshuber und erzählte aus seinem Leben.<br />
Als er fünf Jahre alt war, besuchte der gebürtige<br />
Gelsenkirchener mit seinen Eltern, die<br />
Joannie Rochette<br />
bei Art on Ice 2014<br />
Foto: Kolb<br />
Was macht eigentlich…<br />
Joannie Rochette?<br />
Die sechsfache Kanadische Meisterin im Einzellauf<br />
machte während der Olympischen Spiele<br />
von 2010 in Vancouver besondere Schlagzeilen,<br />
als sie mit starken Nerven eine Bronzemedaille<br />
gewann, obwohl ihre erst 55 Jahre alte Mutter<br />
Thérèse zwei Tage vor dem Kurzprogramm<br />
plötzlich an einem Herzinfarkt verstorben war.<br />
Im Jahr zuvor war Joannie Zweite der WM geworden.<br />
Dies waren ihre beiden größten sportlichen<br />
Erfolge. Nach einigen Jahren mit Shows<br />
begann sie 2014 ein Medizinstudium in Montreal,<br />
das sie im April <strong>2020</strong> abschloss. Seitdem<br />
arbeitet die inzwischen 34-Jährige als Ärztin in<br />
einem Kranken- und Pflegeheim in Montréal,<br />
das auch Corona-Patienten beherbergt. krk
22<br />
Die nächste Generation auf dem Eis<br />
Die nächste Generation<br />
auf dem Eis<br />
Maxim Naumovs Eltern Evgenia Shishkova und<br />
Vadim Naumov waren erfolgreiche Paarläufer<br />
und die Weltmeister im Jahr 1994. Nach ihrer<br />
aktiven Karriere zogen sie wie viele russische<br />
oder ehemals sowjetische Läufer in den 90ern in<br />
die USA, weil sie dort Verdienstmöglichkeiten<br />
hatten, während Russland zunächst in einer<br />
Wirtschaftskrise versank.<br />
Eiskunstlauf ist eine Familienangelegenheit für viele Sportler, die in der vergangenen<br />
Saison international gestartet sind. Allein bei der <strong>Juni</strong>oren-WM in Tallinn<br />
waren vier Söhne ehemaliger erfolgreicher Eiskunstläufer am Start, darunter die<br />
drei US-Herren Ilia Malinin, Maxim Naumov und Andrew Torgashev (die außerdem<br />
alle russischer Abstammung sind). Dazu kam der Silbermedaillengewinner Yuma<br />
Kagiyama aus Japan (siehe Portrait Seite 14). In vielen Fällen werden oder wurden<br />
die jungen Läufer von ihren Eltern sogar trainiert.<br />
mitnimmt. „Wir versuchen diese Balance zwischen<br />
Eltern und Trainer auf der einen und Sohn<br />
und Schüler auf der anderen Seite zu finden.<br />
Jetzt, da ich älter werde, verstehe ich viele Dinge,<br />
die sie mir gesagt haben. Jetzt ergibt alles<br />
einen Sinn. Ich bin froh über alle Entscheidungen,<br />
die sie für mich getroffen haben“, fährt der<br />
US-<strong>Juni</strong>orenmeister fort.<br />
Andrew Torgashev wurde bis vor zwei Jahren<br />
ebenfalls von seinen Eltern trainiert. Seine aus<br />
Odessa kommende Mutter Ilona Melnichenko<br />
war 1987 <strong>Juni</strong>orenweltmeisterin im Eistanz und<br />
sein Vater Artem Torgashev gewann bei der <strong>Juni</strong>oren-WM<br />
im selben Jahr Silber im Paarlauf. Er<br />
arbeitet heute in Florida. Der Trainerwechsel<br />
nach Colorado Springs zu Christy Krall war eine<br />
gemeinsame Entscheidung der Familie. „Ich<br />
denke, ich habe mit meinen Eltern als Trainer<br />
alles erreicht, was wir erreichen konnten. In<br />
Florida war ich der einzige Läufer auf hohem<br />
Niveau, in Colorado bin ich einer von vielen.<br />
Meine Mutter arbeitet aber immer noch mit mir<br />
an den Eislauffertigkeiten“, erklärte er. Er sieht<br />
es als großen Vorteil an, dass seine Eltern Eiskunstläufer<br />
waren. „Sie verstehen, was du<br />
durchmachst. Ob du sehr gute oder sehr harte<br />
Tage hast – sie sind immer für dich da. Sie verstehen<br />
den Sport und die ganze Arbeit, die du<br />
hineinsteckst. Der Vorteil ist, dass sie dir am<br />
nächsten stehen, was manchmal auch ein<br />
Ilia Malinin mit Mutter und Choreografin Tatjana<br />
Malinina und Trainer Roman Skorniakov, Foto: Flade<br />
Erste Schritte auf dem Eis: Maxim Naumov mit seinen<br />
Eltern 2004, Foto: privat<br />
Ilia Malinin ist der Sohn der Vier-Kontinente-<br />
Meisterin von 1999, Tatiana Malinina, und des<br />
Olympiateilnehmers Roman Skorniakov. Beide<br />
kamen aus Russland, starteten jedoch für Usbekistan.<br />
Malinin findet, dass es ein Vorteil ist,<br />
von den Eltern trainiert zu werden. „Ich denke,<br />
es ist viel einfacher so, denn ich kann so viel<br />
Trainingszeit mit ihnen bekommen, wie ich<br />
brauche.“ Der 15-Jährige empfindet keinen besonderen<br />
Druck aufgrund der Erfolge seiner Eltern:<br />
„Für mich ist das eine Gelegenheit, von ihnen<br />
zu lernen. Sie erzählen mir manchmal von<br />
den Fehlern, die sie im Wettkampf gemacht haben<br />
und sagen mir, dass ich nicht dieselben<br />
Fehler machen soll. Ich habe das Gefühl, dass<br />
ich ihre Tradition fortsetze, denn sie waren bei<br />
den Olympischen Spielen und der WM dabei.“<br />
Andrew Torgashev, Foto: Flade<br />
Maxim Naumov mit Eltern heute, Foto: Flade<br />
„Meine erste Erinnerung ans Eislaufen ist, wie<br />
meine Eltern mich als ich drei Jahre alt war, das<br />
erste Mal in die Eishalle gebracht haben. Ich erinnere<br />
mich, wie ich ihre Hände hielt und gleiten<br />
konnte“, sagt Maxim Naumov. Seine Eltern<br />
sind bis heute seine Trainer, was der 18-Jährige<br />
für einen großen Vorteil hält, weil sie ihn so gut<br />
kennen. Aber es gibt auch stressige Momente,<br />
wenn die Familie Probleme vom Eis nach Hause<br />
Andrew Torgashev mit seinen Eltern und früheren Trainern Ilona Melnichenko und Artem Torgashev, Foto: privat
Nachteil sein kann“, sagt der 19-Jährige. Auch<br />
er spürt keinen extra Druck. „Ich habe definitiv<br />
darüber nachgedacht, aber der Gedanke ist<br />
nicht ständig präsent und kontrolliert mich, weil<br />
ich weiß, dass meine Eltern stolz auf mich sein<br />
werden, egal was kommt. Ich mache diesen<br />
Sport und verfolge diese Karriere für mich selbst<br />
und weil ich es will“, fügt er hinzu.<br />
Der aktuell prominenteste Sportler aus einer<br />
Eislauffamilie ist der russische Eistänzer Ivan<br />
Bukin, der mit Alexandra Stepanova bisher vier<br />
Medaillen bei der EM gewonnen hat. Sein Vater<br />
Andrei ist der Eistanz-Olympiasieger von 1988<br />
und auch seine Mutter Elena Vasiuk war Eistänzerin.<br />
„Mein Papa wollte gar nicht, dass ich Eiskunstlauf<br />
mache. Meine Oma hat mich in die<br />
Eishalle gebracht“, verrät Bukin. „Meine Mutter<br />
wollte, dass ich Einzelläufer werde, aber als<br />
man mir vorschlug, zum Eistanz zu wechseln,<br />
habe ich zugestimmt. Ehrlich gesagt, war ich<br />
kein guter Springer“, erinnert sich der 26-Jährige.<br />
Anders als viele andere Eisläufer-Kinder<br />
wurde er nie von seinen Eltern trainiert, denn<br />
sie arbeiteten stets in Igor Bobrins Eistheater.<br />
„Ich bin sehr stolz auf meinen Vater. Ich habe<br />
mir angeschaut, wie er und Natasha (Natalia<br />
Bestemianova) gelaufen sind, und sie hatten<br />
sehr viel Tempo und liefen wunderschön“, ergänzt<br />
Bukin.<br />
Ivan Bukin mit seinem Vater Andrei, dem Olympiasieger<br />
im Eistanzen 1988, Foto: privat<br />
Witzigerweise ist einer seiner Konkurrenten Anthony<br />
Ponomarenko, Sohn von Marina Klimova<br />
und Sergei Ponomarenko, der Eistanz-Olympiasieger<br />
von 1992, die in den 1980er Jahren Rivalen<br />
von Bestemianova/Bukin waren. Anthony<br />
Ponomarenko wurde in den USA geboren und<br />
startet für die USA mit Christina Carreira. Anfänglich<br />
trainierten ihn seine Eltern, seit einigen<br />
Jahren ist er jedoch bei Igor Shpilband.<br />
Im russischen Eistanz gibt es zwei weitere international<br />
aktive Kinder von ehemaligen Läufern:<br />
Jonathan Guerreiro, Olympiateilnehmer<br />
mit Tiffany Zagorski, ist der Sohn von Svetlana<br />
Liapina, die 1985 und 1986 Silber und Bronze<br />
bei der <strong>Juni</strong>oren-WM im Eistanz gewann. Sie<br />
ist heute Trainerin, aber betreut nicht ihren<br />
Sohn. Annabelle Morozov dagegen, die Tochter<br />
des Olympia-Teilnehmers und heute bekannten<br />
Trainers Nikolai Morozov, ist stolz darauf, dass<br />
sie bei ihrem Vater trainiert. „Ich habe Glück,<br />
dass mein Papa mein Trainer ist. Ich denke, er<br />
ist der beste Trainer, den es gibt, denn er kann<br />
mit Einzelläufern, Paaren und Eistänzern arbeiten,<br />
was sehr selten ist. Selbst wenn ich dazwischen<br />
mit anderen Trainern arbeite, vergesse<br />
ich nie, was mein Vater mir sagt.“ Annabelle<br />
Morozov tritt mit Andrei Bagin international an<br />
und belegte mit ihm Platz vier bei der Russischen<br />
Meisterschaft <strong>2020</strong>.<br />
Viele der Läufer der zweiten Generation haben<br />
einen russischen Hintergrund, aber nicht alle.<br />
Auch in Deutschland wird man bei international<br />
aktiven Läufern fündig: Tim Diecks Vater<br />
Frieder war Eistänzer und seine Mutter Martina<br />
(geborene Fuchs) war Einzelläuferin und ist<br />
heute Trainerin. Eistänzer Maximilian Pfisterers<br />
Vater Peter war einst ebenfalls Eistänzer. Heute<br />
nicht mehr aktiv sind Peter und Martin Liebers,<br />
deren Vater Mario fünfmal Vize-Meister der<br />
DDR war und von 1976 bis 1980 bei Europaund<br />
Weltmeisterschaften startete. Und die<br />
Tochter von Olympiasiegerin Anett Pötzsch,<br />
Claudia Rauschenbach, war einst Paarläuferin<br />
mit Robin Szolkowy.<br />
Der EM-Dritte von 2019, Matteo Rizzo, ist Sohn<br />
von Walter Rizzo und Brunhilde Bianchi, die als<br />
Eistänzer bei Europameisterschaften liefen.<br />
Walter Rizzo ist bis heute im Trainerteam seines<br />
Sohnes. „Ich bin wirklich in einer Eislauffamilie<br />
groß geworden. Ich habe verschiedene Sportarten<br />
ausprobiert wie Fußball, Schwimmen, Basketball<br />
und Tennis. Aber am Ende hat mir Eislaufen<br />
sehr viel Spaß gemacht“, sagt der Italiener.<br />
„Es ist leichter, wenn du deine Familie bei<br />
dir hast. Ich bin sehr dankbar dafür“, ergänzt er.<br />
Jonathan Guerreiro & Tiffany Zagorski (links) und Ivan Bukin & Alexandra Stepanova bei der EM Graz <strong>2020</strong>, Foto: Flade<br />
In Australien brachte die Eistänzerin und Olympiastarterin<br />
Monica McDonald ihren Sohn<br />
Brendan und ihre Tochter Chantelle zum Eiskunstlauf.<br />
Brendan, der bei zwei Olympischen<br />
Spielen am Start war, ist Einzelläufer, während<br />
Chantelle inzwischen zum Eistanz wechselte.<br />
Die US-Paarlaufmeisterin von 2019, Ashley<br />
Cain-Gribble, ist die Tochter von Peter Cain, der<br />
als Paarläufer für Australien startete und mit<br />
seiner Schwester Elizabeth 1976 Bronze bei der<br />
<strong>Juni</strong>oren-WM gewann. Der Este Arlet Levandi<br />
war bei den Olympischen Jugendspielen und im<br />
<strong>Juni</strong>oren Grand Prix dabei. Seine Mutter Anna<br />
Kondrashova gewann 1984 WM-Silber sowie<br />
mehrere EM-Medaillen für die Sowjetunion.<br />
Sein Vater Aller ist übrigens ein ehemaliger<br />
nordischer Kombinierer und Bronzemedaillengewinner<br />
bei den Olympischen Spielen 1988.<br />
Schließlich kommt der US-Eistänzer Jean-Luc<br />
Baker, der mit Kaitlin Hawayek 2018 Vier-Kontinente-Meister<br />
wurde, aus einer Eislauffamilie.<br />
Seine Mutter Sharon Jones vertrat Großbritannien<br />
bei den Olympischen Spielen 1988 und<br />
sein Vater Stephen war Paarläufer auf internationalem<br />
Niveau.<br />
Tatjana Flade<br />
Ermittlungen gegen Fajfr<br />
eingestellt<br />
Die Tageszeitung taz schrieb am 19. <strong>Mai</strong>,<br />
dass die Staatsanwaltschaft Kempten die Ermittlungen<br />
gegen Trainer Karel Fajfr wegen<br />
Misshandlung gegen den Eisläufer Isaak<br />
Droysen eingestellt hat, weil sie nicht bewiesen<br />
werden können. Nur wegen einer Ohrfeige<br />
soll Fajfr eine Geldbuße zahlen, erklärte<br />
Fajfrs Anwalt. Die taz schrieb über die Ermittlungen:<br />
„Während manche stark Partei<br />
für den erfolgreichen Trainer ergriffen und<br />
behaupteten, so etwas würde der nie tun,<br />
solidarisierten sich andere mit dem Sportler<br />
und bestätigten einzelne Tatvorwürfe. Fajfr<br />
ist wegen seiner harten Trainingsmethoden<br />
umstritten. Einige Sportler wie die frühere<br />
deutsche Meisterin Annette Dytrt engagierten<br />
ihn gerade, weil sie genau so eine harte<br />
Hand brauchten.“<br />
Weiter schrieb die taz: „Beendet ist der Vorgang<br />
mit dem Strafbefehlsantrag aber noch<br />
lange nicht, und das nicht allein, weil es sich<br />
lediglich um einen Antrag der Staatsanwaltschaft<br />
handelt. Beide Seiten wollen die Entscheidung<br />
der Staatsanwaltschaft nicht hinnehmen.<br />
Fajfra Anwalt sagte der taz: „Sollte<br />
wegen des einzig verbleibenden Vorwurfs, einer<br />
angeblichen Ohrfeige, ein Strafbefehl ergehen,<br />
wird unser Mandant hiergegen Einspruch<br />
einlegen. Eine Ohrfeige hat es niemals<br />
gegeben.“ Claus Bohnenberger, der Anwalt<br />
des früheren Sportlers Isaak Droysen,<br />
hat angekündigt, bei der Generalstaatsanwaltschaft<br />
in München Beschwerde gegen<br />
die Einstellung des Verfahrens zu den anderen<br />
Tatvorwürfen einzulegen. Offen ist auch<br />
noch eine Zivilklage Fajfrs gegen seinen früheren<br />
Schüler Droysen am Landgericht Köln<br />
wegen Verleumdung. Fajfr fordert finanzielle<br />
Entschädigung wegen der aus seiner Sicht<br />
nicht zutreffenden Behauptungen, die sein<br />
Sportler in zahlreichen Medien erhob und die<br />
sein Ansehen geschädigt hätten.“ krk<br />
23<br />
Die nächste Generation auf dem Eis
24<br />
Olga Sevastianovas Unfall<br />
Olga Sevastianovas Unfall<br />
Im Schatten einer<br />
spektakulären Show<br />
Die russische Eis-Akrobatin Olga<br />
Sevastianova kämpft nach ihrem<br />
lebensgefährlichen Unfall bei den<br />
Olympischen Jugendspielen um einen<br />
Weg zurück in ein normales Leben.<br />
Olga Sevastianova freute sich auf diesen Dienstag,<br />
den 7. Januar <strong>2020</strong>. Zwei Tage vor der Eröffnungsfeier<br />
der Olympischen Jugendspiele in<br />
Lausanne war in der Vaudoise Eishalle eine Generalprobe<br />
angesetzt. Für die 35 Jahre alte Eis-<br />
Akrobatin, die an einem Ring in fünf Meter<br />
Höhe über dem Eis schwebend ihre spektakulären<br />
Kunststücke zeigte, sollte das ein Highlight<br />
ihrer Showkarriere werden – ein großer Auftritt,<br />
vielleicht ein Türöffner für weitere interessante<br />
Engagements.<br />
Mit ihrem Ehemann Sergei überprüfte sie morgens<br />
ihre Ausrüstung, danach hatte das Paar<br />
noch Zeit vor dem Beginn der Probe und unternahm<br />
einen Ausflug zum Genfer See, genoss das<br />
wunderschöne Bergpanorama. Alles schien perfekt.<br />
Doch der Tag endete für Sevastianova in einer<br />
Katastrophe. Bei der Generalprobe verlor sie<br />
den Halt, als das Seil aus noch nicht geklärter<br />
Ursache ruckte, und stürzte vor den Augen ihrer<br />
kleinen Tochter und ihres Mannes aus etwa fünf<br />
Metern Höhe ungeschützt auf das harte Eis und<br />
fast in den Tod. Im Krankenhaus diagnostizierten<br />
die Ärzte einen Leberriss, innere Blutungen und<br />
zahlreiche Knochenbrüche – allein fünf Gesichtsknochen<br />
waren gebrochen. Sie retten der<br />
Artistin mit einer Operation das Leben, versetzten<br />
sie in ein künstliches Koma. „Ich erinnere<br />
mich an den Moment, als ich dort stand und auf<br />
meinen Auftritt wartete, aber an den Absturz<br />
selbst erinnere ich mich nicht“, sagte Sevastianova<br />
der „<strong>Pirouette</strong>“ in einem exklusiven Interview.<br />
„Die Ärzte sagen, das ist normal, eine<br />
Schutzfunktion unseres Gehirns. Ich denke, ich<br />
lag fünf oder sieben Tage im Koma. Dann stieg<br />
der Schädelinnendruck und sie mussten eine<br />
Trepanation (Schädelbohrung) vornehmen und<br />
ein Stück Schädelknochen entfernen.“ Neun Wochen<br />
lang lag die Frau in der Klinik.<br />
Der schreckliche Unfall wirft auch ein Schlaglicht<br />
auf die Situation von Akrobaten wie Sevastianova,<br />
die das Publikum mit atemberaubenden<br />
Kunststücken begeistern und traditionelle<br />
Eisshows bereichern. Die Veranstalter<br />
schmücken sich damit, aber das Risiko bleibt oft<br />
bei den Darstellern. Denn ausreichend versichert<br />
war die Russin offenbar nicht. Ihre Freunde<br />
sammelten über die Plattform Go Fund Me<br />
Spenden, um die horrende Krankenhausrechnung<br />
zu bezahlen. „Ich denke, das war das erste<br />
Mal, dass nicht mein Auftraggeber eine Versicherung<br />
für mich abgeschlossen hatte“, sagte<br />
Sevastianova, die früher unter anderem im Europapark<br />
Rust und beim Zirkus Flic Flac in<br />
Deutschland sowie bei Holiday on Ice auftrat.<br />
„Meine Versicherung bezahlte nur einen kleinen<br />
Teil. Wir bekamen eine riesige Unterstützung,<br />
dafür werde ich bis an mein Lebensende dankbar<br />
sein. Sogar Fremde halfen finanziell, schickten<br />
Geschenke für die Kinder, eine Bekannte von<br />
Bekannten ließ Sergei bei sich wohnen, während<br />
ich im Krankenhaus lag“, erzählte die Eis-<br />
Künstlerin unter Tränen.<br />
Im Stich gelassen fühlte sie sich dagegen zunächst<br />
vom Internationalen Olympischen Komitee,<br />
in dessen Auftrag die Schweizer Produktionsfirma<br />
Carré (Art on Ice) einen Teil der Eröffnungsfeier<br />
organisierte. Am Tag des Unfalls habe<br />
ein Schweizer TV-Sender die anwesenden Vertreter<br />
des IOCs gefilmt, aber keiner der Offiziellen<br />
habe auch nur ein Wort über das Unglück<br />
verloren, obwohl sie davon wussten, berichtete<br />
Sevastianova. Nachdem Schweizer Medien den<br />
Fall aufgegriffen hatten, entschieden das IOC<br />
und die Organisatoren der Jugendspiele, sich an<br />
den Reha-Kosten zu beteiligen. „Wir wollten eigentlich<br />
nicht an die Öffentlichkeit gehen“,<br />
meinte die Artistin. Aber die hohen Rechnungen<br />
hätten ihr keine andere Wahl gelassen.<br />
Olga Sevastianova und Ehemann im Krankenhaus<br />
Fotos: privat<br />
Das Unglück wird vermutlich ein gerichtliches<br />
Nachspiel haben. Es laufen noch polizeiliche Ermittlungen<br />
zur Unfallursache und ob jemand<br />
Schuld trägt, wie Sevastianovas Rechtsanwältin<br />
Elza Reymond der „<strong>Pirouette</strong>“ mitteilte. Diese<br />
strafrechtliche Untersuchung werde voraussichtlich<br />
noch einige Monate dauern. Inwiefern<br />
der Auftraggeber Art on Ice eine Versicherungspflicht<br />
gehabt hätte, wird wohl ebenfalls ein<br />
Gericht klären müssen, aber eine Klage wurde<br />
noch nicht eingereicht. „Art on Ice behauptet,<br />
sobald ich in den Fall involviert war, hätte das<br />
die Firma davon abgehalten, eine Geste finanzieller<br />
Unterstützung zu zeigen“, schrieb Reymond.<br />
„Weder Olga noch ich haben finanzielle<br />
Hilfe von Art on Ice abgelehnt und tatsächlich<br />
gab es keinerlei derartigen Angebote.“ Art on<br />
Ice-Sprecherin Gabriela Buchs nahm auf Anfrage<br />
der <strong>Pirouette</strong> Stellung zu dem Vorfall:<br />
»<br />
Gabriela Buchs:<br />
„Art on Ice und Olga hatten im Vorfeld ein<br />
Auftragsverhältnis für den entsprechenden<br />
Event vereinbart. Der Vertrag hat klar Rechte,<br />
Pflichten definiert. Unser Auftragsverhältnis<br />
definiert Kranken- wie Unfallversicherung und<br />
diese ist in der Verantwortung des Künstlers“,<br />
teilte Buchs mit. Man sei von dem Unfall sehr<br />
betroffen und habe die Artistin und ihre Familie<br />
vom ersten Moment an unterstützt, sowohl<br />
organisatorisch vor Ort als auch finanziell,<br />
ohne zu zögern und auf freiwilliger Basis.<br />
„Leider wurde diese Hilfe unterbunden, sobald<br />
Olgas Anwalt involviert wurde. Aufgrund der<br />
Komplexität der Rechtslage war es uns nicht<br />
möglich, uns weiter an einer finanziellen Unterstützung<br />
zu beteiligen. Die Untersuchung<br />
ist immer noch nicht abgeschlossen, weshalb<br />
wir die Einzelheiten des Unfalls nicht kennen“,<br />
schrieb Buchs. „Wir stehen noch immer<br />
in regelmäßigem Kontakt mit<br />
«<br />
der Familie Sevastianova.<br />
Unsere Gedanken und unser Mitgefühl<br />
gehen an sie. Es liegt ein langer Weg<br />
der Rehabilitation vor ihr, und wir bedauern,<br />
dass wir nicht mehr tun können, denn erst<br />
das Ergebnis der offiziellen Untersuchung<br />
wird es uns ermöglichen, zu entscheiden,<br />
welche weiteren Maßnahmen wir ergreifen<br />
können, um sie zu unterstützen.“
25<br />
Spendensammlung für Olga Sevastianova:<br />
www.gofundme.com/f/<br />
help-olga-get-her-life-back<br />
Generell ist die Absicherung von Artisten, die ihr<br />
Geld mit gefährlichen Shownummern verdienen,<br />
ein heikles Thema. Mehrere von der <strong>Pirouette</strong><br />
befragte Showveranstalter in Deutschland wollten<br />
keine Auskunft darüber geben, wie sie ihre<br />
Akrobaten absichern. Nur der Europapark Rust<br />
erklärte, dass sich selbstständige Künstler in Eigenverantwortung<br />
versichern müssen, was auch<br />
Vertragsbestandteil sei. Angestellte Künstler seien<br />
dagegen automatisch versichert. Allerdings<br />
bietet nicht einmal jede Versicherung Policen<br />
an. Die Allianz teilte zwar mit, dass sich bei ihr<br />
Zirkusartisten und Angehörige anderer Hochrisiko-Berufe<br />
gegen Unfälle und Berufsunfähigkeit<br />
versichern können. Aber billig ist das nicht - abhängig<br />
von den Risiken des Jobs werden Aufschläge<br />
erhoben.<br />
Dreieinhalb Monate nach jenem schicksalshaften<br />
Dienstag ist Sevastianova wieder zu Hause<br />
in Sankt Petersburg, mit ihrem Mann Sergei<br />
und ihren zwei Kindern, dem neun Jahre alten<br />
Mikhail und der drei Jahre jüngeren Sofia. Sie<br />
ist auf Hilfe angewiesen, kann ihre rechte<br />
Hand, die bei dem Sturz zerschmettert wurde,<br />
nur eingeschränkt benutzen, sieht doppelt. Aktuell<br />
kann die Eisläuferin, die in der Ukraine<br />
geboren wurde und im Alter von einem Jahr<br />
mit ihrer Familie nach St. Petersburg umzog,<br />
wegen der Corona-Pandemie nicht einmal dringend<br />
notwendige Reha-Maßnahmen wahrnehmen.<br />
Sevastianova gibt nicht auf und hofft auf<br />
die Rückkehr in ein normales Leben. „Es gibt<br />
immer Hoffnung. Die Ärzte in der Schweiz haben<br />
mir gesagt, dass die Wiederherstellung<br />
etwa eineinhalb Jahre dauern wird, auch die<br />
Sehfähigkeit. Aber ich werde sicher nicht mehr<br />
in der Luft (als Akrobatin) arbeiten können.<br />
Meine rechte Hand wird bestenfalls zu 50 Prozent<br />
wieder funktionsfähig sein. Die Hand erholt<br />
sich nicht so schnell, wie ich es möchte.<br />
Vor allem die Beweglichkeit des Gelenks ist<br />
nicht, wie sie sein sollte“, sagte die 35-Jährige.<br />
Sie überlegt, zukünftig als Eiskunstlauftrainerin<br />
tätig zu sein, denn sie hat eine abgeschlossene<br />
Trainerausbildung. Seit ihrer Kindheit stand sie<br />
auf dem Eis und als sie zehn Jahre alt war, gaben<br />
ihre Eltern sie in das St. Petersburger Kinder-Eisballett.<br />
Ihre ersten internationalen Aufritte<br />
hatte sie mit elf und seitdem war ihr Leben<br />
untrennbar mit Shows verbunden. Nun<br />
muss sie sich umorientieren und ist dazu auch<br />
bereit. Doch die Rückkehr in ein normales Leben<br />
ist noch ein langer Weg. Tatjana Flade<br />
Olga Sevastianovas Unfall<br />
Sarah Abitbol<br />
Ein so langes Schweigen<br />
Eine Buchanalyse von Klaus-Reinhold Kany<br />
Ende Januar dieses Jahres erschien in Frankreich das Buch<br />
„Un si long silence“ (Ein so langes Schweigen), in dem die<br />
einstige Paarläuferin Sarah Abitbol ihren Trainer Gilles Beyer<br />
anklagt, sie als Jugendliche häufig misshandelt und vergewaltigt<br />
zu haben. Das Werk löste eine große Welle von Zeitungsartikeln,<br />
Fernsehsendungen, weitere Veröffentlichungen<br />
und sogar eine Parlamentsdebatte aus. Eine Reihe anderer<br />
missbrauchter Sportlerinnen ging daraufhin ebenfalls<br />
an die Öffentlichkeit. Mitte Februar musste der langjährige<br />
Verbandspräsident Didier Gailhaguet zurücktreten. Man<br />
warf ihm unter anderem vor, nicht nur diesen einen, sondern<br />
weitere Trainer gedeckt und wohl wenig oder nichts<br />
gegen den gängigen Missbrauch im Verband unternommen<br />
zu haben.<br />
Die inzwischen 44 Jahre alte Abitbol, die Ende März <strong>2020</strong> wieder<br />
in die USA zurückkehrte, beginnt mit einem Tagebuch aus dem<br />
Jahr 1990, in dem sie mit vier verschiedenen Abkürzungs-Buchstaben<br />
zusammenfasst, was Beyer ihr an welchem Tag angetan<br />
hat (belästigt, angefasst, gelutscht und geschlafen). Im ganzen<br />
Werk nennt sie ihn Monsieur O, siezt ihn und spricht ihn immer<br />
wieder direkt an. Weder ihr jetziger Ehepartner Jean-Louis Lacaille<br />
noch ihre Mutter seien begeistert gewesen, als Abitbol<br />
ihnen vor etwa zwei Jahren sagte, dass sie ein Buch über ihre<br />
Geschichte schreiben wollte. Ihr ehemaliger Paarlaufpartner
26<br />
Sarah Abitbol<br />
Buchrezension<br />
Stéphane Bernadis, der jetzt ein Restaurant in<br />
Miami betreibt, fürchtete um ihre Zukunft. Sie<br />
selbst klagt Beyer an, dass sie noch immer<br />
Angst habe, wenn sie ihre Wohnung verlasse,<br />
Aufzug fahre, durch Tiefgaragen gehe und bei<br />
vielen anderen Gelegenheiten. Sie sei bei Therapeuten<br />
gewesen und könne seitdem wenigstens<br />
alleine mit dem Auto fahren und einkaufen<br />
gehen. Sie fragt, wie vielen anderen Mädchen<br />
er sich genähert habe. Den Anblick eines<br />
nackten Mannes könne sie immer noch nicht<br />
ertragen, nicht einmal den ihres jetzigen Ehemannes.<br />
Sie habe praktisch nie zu jemandem<br />
auf Französisch sagen können: „Je t’aime“ (Ich<br />
liebe dich). In Englisch sei das viel leichter, weil<br />
Beyer immer nur Französisch mit ihr gesprochen<br />
habe. Auch das (französische) Wort „violer“<br />
für „vergewaltigen“ habe sie Jahrzehnte<br />
lang nicht aussprechen können.<br />
Im Kapitel 2 erzählt sie von ihrer Kindheit ab<br />
dem 5. Lebensjahr im westfranzösischen Nantes,<br />
der ersten Trainerin, dem Wechsel nach Paris,<br />
der ihren Eltern große Opfer abverlangt, zum<br />
Beispiel den Verkauf der Eigentumswohnung.<br />
Sie spricht von der Schule, dem geliebten Pariser<br />
Trainer Jean-Christophe Simond und den<br />
ersten Wettbewerben als Einzelläuferin. Als sie<br />
13 ist, wird Simond vom Cheftrainer Beyer entlassen<br />
und muss in die Provinz nach Nizza. Abitbol<br />
versteht nicht warum. Auf Nachfrage der<br />
<strong>Pirouette</strong> sagt der inzwischen nicht mehr als<br />
Trainer aktive Europameister von 1981, dass er<br />
bei den damaligen Spitzenläufern Abitbol, Laetitia<br />
Hubert und Laurent Tobel zu beliebt geworden<br />
war und außerdem Beyer nachts im Mädchenzimmer<br />
eines früheren Ferienlagers erwischt<br />
hatte. Beyer verbietet Abitbol einen<br />
Wechsel nach Nizza, denn dann würde sie nicht<br />
mehr gefördert. Beyer übernimmt das Trockentraining,<br />
zwingt die Mädchen, die Beine extrem<br />
zu spreizen, und stellt sich immer so, dass er<br />
dazwischen blicken kann. Keine Läuferin mag<br />
das, aber niemand sagt etwas. Lange Hosen wie<br />
für die männlichen Läufer sind nicht erlaubt,<br />
außerdem bekommen sie Klapse auf den Po.<br />
Im Sommertraining im westfranzösischen La Roche-sur-Yon<br />
1990, als sie 14 ist, eskaliert die Situation.<br />
Beyer kommt unter dem Vorwand, er<br />
müsse aufpassen, dass die Mädchen nicht in das<br />
Jungenzimmer einen Stock tiefer gehen, jede<br />
Nacht in das Mädchenzimmer und vergeht sich<br />
an Abitbol. Sie riecht seine Parfumsorte und ist<br />
seitdem dagegen allergisch. Im Buch klagt sie ihn<br />
an, warum er das tue, obwohl er verheiratet sei<br />
und seine Ehefrau ein paar Zimmer weiter<br />
schläft. Aber damals war sie gelähmt vor Angst,<br />
ließ alles über sich ergehen und beschreibt es<br />
recht drastisch und ausführlich. Später missbrauchte<br />
Beyer sie mehrfach in der Tiefgarage,<br />
den Umkleidekabinen und einem leeren Zimmer<br />
der Eishalle Sonia Henie in Paris mit Liege, zu<br />
dem nur er einen Schlüssel hatte. Sie bringt es<br />
nicht über das Herz, ihre Eltern einzuweihen, weil<br />
sie ihren Traum weiterleben wollte, einmal so erfolgreich<br />
wie ihr Idol Katarina Witt zu werden.<br />
Aber „mein innerer Motor steht still“, schreibt sie.<br />
Als der Verband eine Paarlaufsichtung macht,<br />
meldete sie sich sofort an, weil für die Paare<br />
nicht Beyer zuständig war, sondern Jean-Rolland<br />
Racle, Mit ihm kam sie gut zurecht und erfuhr<br />
erst viele Jahre später, dass er andere Läuferinnen<br />
missbrauchte. Auf ihre Initiative lief sie<br />
dann von 1992 bis 2003 mit Stéphane Bernadis,<br />
der sie gut behandelte, „wie ein Feder hob“ und<br />
mit harter Arbeit eine einmalige Chance sah,<br />
trotz zunächst mangelnder Eleganz Karriere zu<br />
machen. Einige Jahre war das Duo auch glücklich<br />
privat liiert. Mit ihm gewann sie sieben<br />
EM-Medaillen und 2000 eine WM-Medaille.<br />
Auch ihn weihte sie nicht in ihre Vergangenheit<br />
ein. Einige Anekdoten aus dieser Zeit gibt sie<br />
zum Besten, spricht zum Beispiel über den dreifachen<br />
Wurfaxel, über korrupte Preisrichter und<br />
das Messerattentat auf Bernadis bei der WM<br />
2000 in Nizza.<br />
Ausführlich behandelt sie ihren Achillessehnenriss<br />
eine Woche vor Beginn der Olympischen<br />
Spiele 2002 in den USA. Der Verband habe eine<br />
fachlich ungeeignete Ärztin gehabt, die sie nur<br />
dank einer privater Liaison behandeln durfte.<br />
Ein hoher Verbandsvertreter, den sie nicht namentlich<br />
nennt (als sie das Buch schrieb, waren<br />
noch alle fest im Sattel) habe ihr gesagt, sie<br />
müsse schweigen und dürfe so lange nicht zurück<br />
nach Frankreich zur kurzfristigen Behandlung,<br />
bis die französische Preisrichterin (Marie<br />
Reine Le Gougne) für Olympia ausgelost war.<br />
Dies gelte, obwohl bei einem Achillessehnenriss<br />
schnell gehandelt werden muss, um Spätschäden<br />
zu vermeiden. Er sei kaum an ihrer Verletzung<br />
interessiert gewesen, sondern nur an der<br />
Politik. Denn er erklärte ihr, diese Preisrichterin<br />
sollte beim Gold im Paarlaufen für die Russen<br />
und gegen die Kanadier stimmen, damit beim<br />
Tanzen als Gegenleistung die Litauerin für die<br />
Franzosen Anissina/Peizerat stimmte. Diese Geschichte<br />
löste bekanntlich den Preisrichterskandal<br />
von Salt Lake City aus. Im französischen<br />
Krankenhauszimmer habe Bernadis tagelang<br />
auf dem Boden übernachtet und ihr beigestanden,<br />
aber vom Verband habe sich nie jemand<br />
gemeldet. Man fand heraus, dass die ungeeignete<br />
Ärztin ihr bei den ersten leichten<br />
Schmerzen eine falsche Cortisonspritze gegeben<br />
habe, die den Sehnenriss zwei Tage später<br />
noch förderte.<br />
Abitbol und Bernadis kamen ein Jahr später<br />
noch einmal in Form und holten bei der EM<br />
2003 Silber. Didier Gailhaguet habe ihnen beim<br />
Empfang mit den Worten gratuliert, er habe<br />
schon immer gewusst, dass sie wieder in Form<br />
kommen. Abitbol schreibt sarkastisch, das habe<br />
er aber ein Jahr lang vergessen zu sagen, als sie<br />
eine schwere Zeit durchmachten. Bei der WM<br />
2003 hatte sie eine Panikattacke und brach die<br />
Kür zunächst ab, ließ sich dann aber vom Trainer<br />
überreden, noch einmal von vorne anzufangen.<br />
Dann beendeten sie ihre ISU-Karriere und<br />
liefen, privat kein Paar mehr, einige Jahre bei<br />
Holiday on Ice und in anderen Shows. Eine Holiday-Show<br />
in Deutschland im September 2004<br />
brach sie nach erneuter Panikattacke ab. Sie<br />
hatte Selbstmordgedanken, aber ein befreundeter<br />
Tischtennisspieler richtete sie wieder auf.<br />
Schließlich erzählte sie ihm und ihren Eltern alles,<br />
die ganz entsetzt waren, weil sie Beyer voll<br />
vertraut hatten. Aber die Taten waren schon<br />
verjährt, so dass eine gerichtliche Klage keinen<br />
Sinn machte. Vorher hatte sie aus Scham geschwiegen.<br />
Sie lief später wieder mit Bernadis in Shows,<br />
weigerte sich aber, bei den Galas der Trophée<br />
Bompard mitzumachen, die Beyer moderierte.<br />
Sie stellte eine eigene Konkurrenzshow namens<br />
„Rèves de Glace“ (Träume auf dem Eis) auf kleinen<br />
Eisflächen in Stadtzentren auf die Beine.<br />
Dort lernte sie den neun Jahre jüngeren Paarläufer<br />
Jean-Louis Lacaille kennen, in den sie<br />
sich verliebte und den sie 2010 heiratete. 2011<br />
wurde Tochter Stella geboren. Etwa ab 2012 begann<br />
das Paar mit Projekten in Miami. 2016 sah<br />
sie Beyer zufällig in einem Restaurant in Paris<br />
mit einer ganz jungen Eisläuferin. Dies bestätigte<br />
ihre Idee, ein Buch zu schreiben, um andere<br />
Läuferinnen zu warnen. Sie traf die Einzelläuferin<br />
Laetitia Hubert, die wohl ebenfalls jahrelang<br />
von Beyer misshandelt worden war und als Trainerin<br />
in Albertville arbeitet. Aber diese wollte<br />
die ganze Geschichte nicht öffentlich machten,<br />
weil sie zu viel Stress fürchtete. Die #MeToo-<br />
Bewegung und die Enthüllungen im Fall des<br />
Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein ermutigten<br />
sie zusätzlich, das Schweigen zu brechen,<br />
zuletzt auch noch die vom Verband vertuschte<br />
Affäre von Morgan Ciprès. Ihr Schlusssatz:<br />
Sie wolle sich nicht rächen, sondern verhindern,<br />
dass andere Mädchen und ihre Tochter<br />
Stella Ähnliches erleiden müssten.<br />
„Un si long silence“ ist als Taschenbuch<br />
im Verlag Plon in Frankreich unter der ISBN<br />
978-2-259-28264-2 erschienen und kostet<br />
17 Euro. Auf Nachfrage der <strong>Pirouette</strong> schrieb<br />
Sarah Abitbol, eine Übersetzung in die deutsche<br />
Sprache sei wohl nicht geplant, aber<br />
vielleicht eine englischsprachige Version,<br />
falls sich ein Verlag und ein/e qualifizierte/r<br />
Übersetzer/in finden.<br />
Empfehlenswert!<br />
Webseite mit vielen Interviews, Fotos<br />
und Reportagen, die in der <strong>Pirouette</strong> nicht<br />
untergebracht werden konnten.<br />
Scan<br />
mich!<br />
www.figureskating-online.com
27<br />
Worüber das<br />
Eis schweigt<br />
Alexei Mishins Erinnerungen<br />
Alexei Mishin ist einer der bekanntesten und erfolgreichsten<br />
Eiskunstlauftrainer der Welt. Auch im Alter von mittlerweile<br />
79 Jahren ist er als Trainer aktiv und hat Freude an der Arbeit mit<br />
Topläufern wie Elizaveta Tuktamysheva, aber auch mit Kindern<br />
und Jugendlichen.<br />
Alexei Mishin<br />
Buchrezension<br />
Seinem Buch „Worüber das Eis schweigt“ stellt<br />
Mishin voran, dass es nicht über ihn, sondern<br />
über die Welt des Eiskunstlaufs sei, in die er vor<br />
mehr als 60 Jahren eintrat. Damit hat er die<br />
komplette Entwicklung des modernen Eiskunstlaufs<br />
nicht nur verfolgt und begleitet, sondern<br />
auch maßgeblich gestaltet. Darüber ist in diesem<br />
Buch einiges zu erfahren. Den ersten Teil widmet<br />
der Autor seiner Jugend und seiner sportlichen<br />
Karriere. Geboren wurde er im März 1941 in Sevastopol<br />
auf der Krim, also wenige Monate bevor<br />
Deutschland im Zweiten Weltkrieg die Sowjetunion<br />
angriff, in eine Lehrerfamilie. Die Mutter<br />
unterrichtete Russisch, der Vater war Hochschullehrer<br />
für Mathematik und Physik. Mishin<br />
erinnert sich, dass Puffer aus Kartoffelschalen in<br />
Kriegszeiten eine Delikatesse waren. Und als sein<br />
Vater auf Fronturlaub einmal Schokolade mitbrachte,<br />
wusste der kleine Junge nicht einmal,<br />
was das war. Später zog die Familie für einige<br />
Jahre nach Tiflis in Georgien und schließlich<br />
nach St. Petersburg. Als Jugendlicher trieb Mishin<br />
allerlei Unfug, im Winter schnallte er sich<br />
Kufen unter und ließ sich von Lastwagen über<br />
die Straße ziehen. Dieser und andere Streiche<br />
führten dazu, dass die Eltern den 15-Jährigen<br />
zum Eislauftraining schickten, damit er von der<br />
Straße wegkam. „Zwei Umstände führten zu<br />
meiner zukünftigen sportlichen Spezialisierung.<br />
Erstens liebt es mein Vater selbst in seiner Jugend,<br />
mit meiner Mutter Eis zu laufen (….).<br />
Zweitens hatte der Vater Kufen gekauft.“ Die<br />
montierte er selbst auf gewöhnliche Halbschuhe.<br />
Die Anfänge waren also mehr als bescheiden,<br />
aber Mishin, der mit Stolz vermerkt, dass seine<br />
erste Trainerin eine Schülerin des legendären<br />
ersten russischen Eiskunstlauf-Olympiasiegers<br />
Nikolai Panin-Kolomenkin war, zeigte Talent. Als<br />
Einzelläufer brachte er es in die nationale Spitze,<br />
aber der Durchbruch gelang ihm als Paarläufer<br />
mit Tamara Moskvina. Dabei begannen sie ihre<br />
gemeinsame Karriere erst im „fortgeschrittenen“<br />
Alter von 24 Jahren. Seine größten Erfolge feierte<br />
das Duo 1969, als sie Medaillen bei der EM<br />
und WM gewannen und bei der sowjetischen<br />
Meisterschaft gar Gold vor den damaligen Stars<br />
Belusova/Protopopov. Nach der erfolgreichen<br />
Saison begann Mishin seine Karriere als Wissenschaftler<br />
(er ist heute Professor) und Trainer.<br />
Bereits als Läufer hatte er großes Interesse an<br />
den biomechanischen Abläufen im Eiskunstlauf.<br />
Sein Vater, der Physiker, half ihm dabei, den<br />
Kern zu erkennen, dass<br />
belebte und unbelebte<br />
Körper letztendlich<br />
denselben mechanischen<br />
Gesetzen unterliegen.<br />
Schon früh<br />
bastelten Vater und<br />
Sohn eine Kamera,<br />
mit deren Hilfe sie<br />
Trainingsprozesse<br />
aufzeichneten und<br />
analysierten. In einem<br />
Kapitel des<br />
Buchs geht Mishin<br />
auf seine theoretischen Grundlagen<br />
des Eiskunstlaufs ein, die er auch in mehreren<br />
Fachbüchern vermittelt. Von Anfang an lag sein<br />
Augenmerk auf der Entwicklung der Sprünge.<br />
Seine Rotations- und andere Übungen, seine<br />
Methodik und von ihm entwickelte Trainingsgeräte<br />
fanden ihren Weg in die Welt.<br />
Mit seinem typischen Humor berichtet der Trainer<br />
von seiner ersten Reise in die USA zu Trainer<br />
Carlo Fassi im Jahr 1972, auf der er den<br />
Läufer Sergei Tchetverukhin begleitete. Danach<br />
aber erhielt Mishin ein Ausreiseverbot und durfte<br />
seine Schüler nicht zu Meisterschaften und<br />
den Olympischen Spielen 1976 begleiten. Die<br />
Funktionäre hatten offenbar Sorge, dass er sich<br />
ins Ausland absetzen würde.<br />
Der Trainer schreibt ausführlich über seine bekanntesten<br />
Schüler. Alexei Urmanov war sein<br />
erster Läufer, der einen Vierfachsprung erlernte<br />
und sein erster Olympiasieger. Mishin hätte ihm<br />
noch mehr Medaillen und Titel zugetraut, wenn<br />
er sich nicht 1997 bei der WM an der Leiste<br />
verletzt hätte. Der Coach hebt Alexei Yagudins<br />
kämpferische Qualitäten hervor. Den meisten<br />
Raum gibt Mishin seinen Lieblingsschülern Evgeni<br />
Plushenko und Lisa Tuktamysheva. Er erzählt<br />
von ihren Siegen und Niederlagen und<br />
was seiner Meinung nach dahintersteckte. Warum<br />
aber Tuktamysheva nach ihrem Triumph<br />
2015 drei Jahre lang den Anschluss an die Spitze<br />
verlor, kann auch der Maestro nicht erklären.<br />
Er lobt sie für ihre Klugheit, Persönlichkeit und<br />
ihr sportliches Talent. Mishin würdigt Plushenko<br />
als einen großartigen Sportler, Künstler und<br />
Menschen, der sich ihm gegenüber stets korrekt<br />
verhielt und verhält. Interessant ist die Schilderung<br />
der Rivalität zwischen Yagudin und Plushenko.<br />
Der Leser erfährt<br />
auch etwas über das Privatleben Mishins,<br />
der seine ehemalige Schülerin Tatiana Oleneva<br />
heiratete und mit der er bis heute ein erfolgreiches<br />
berufliches und privates Tandem bildet. Die<br />
zwei Söhne des Paares spielten allerdings Tennis<br />
und sind heute Tennislehrer.<br />
Stets aktiv und jung geblieben, denkt Mishin<br />
nicht an den Ruhestand: „Mein Plan ist denkbar<br />
einfach. Morgens aufwachen und sich gut<br />
fühlen. Anziehen, frühstücken, ins Auto springen<br />
und zur Eishalle fahren. In die Programme,<br />
Sprünge, <strong>Pirouette</strong>n, Erfolge und Niederlagen<br />
der Schüler eintauchen. Zu Wettbewerben fahren.<br />
Dissertations-Manuskripte lesen, ein Kapitel<br />
in meinen Memoiren schreiben. Auf die<br />
Datscha fahren (…) Bäume pflanzen (…) Tennis<br />
spielen, ins Fitnesszentrum gehen und sich dabei<br />
ein neues Trainingsgerät ausdenken (…)<br />
Und wenn am Ende dann noch eine Medaille<br />
herausspringt, ist das toll.“ Sein Vater, der 95<br />
wurde, habe gesagt, es gebe keine Alten, sondern<br />
nur Langlebige.<br />
Fazit: Mishins Erinnerungen sind eine spannende<br />
Zeitreise von den Anfängen des sowjetischen<br />
Eiskunstlaufs (Zeiten, die heute so<br />
fern erscheinen, aber deren Spuren nicht<br />
verwischt sind) bis in die Gegenwart. Der legendäre<br />
Trainer schreibt interessant und humorvoll.<br />
Schüler und Weggefährten kommen<br />
ebenfalls zu Wort. Das Buch (318 Seiten,<br />
mit Farb- und schwarz-weiß Fotos, ISBN<br />
978-5-04-088686-9) ist aktuell nur auf<br />
Russisch erhältlich, aber eine englische<br />
Übersetzung ist in Arbeit. Tatjana Flade
28<br />
Die Grundfiguren<br />
Eislaufgeschichte<br />
Dr Carl Korper von Marienwerth<br />
Das Eiskunstlaufen besteht aus Grundfiguren,<br />
die die Basis jedes Programms<br />
bilden und auf die sich alle Elemente zurückführen<br />
lassen. Dies erkannte im Jahr<br />
1881 der Autor des ersten Lehrbuchs der<br />
„Wiener Schule“, Rechtsanwalt Dr. Karl<br />
Korper von Marienwerth (1840-1911).<br />
Korper gehörte 1867 zu den Mitbegründern<br />
und fungierte ab 1875 als Präsident<br />
des Wiener Eislauf-Vereins. Er war geteilter<br />
Sieger im vom 6. bis 7. Januar 1872<br />
ausgetragenen ersten europäischen Eiskunstlauf-Wettbewerb<br />
– dem „Internationalen<br />
Eissporttag“.<br />
In seinem im Jahr 1881 im Verlag „Alfred<br />
Hölder“ erschienenen Werk „Spuren auf dem<br />
Eise“ definierte er Bogen, Schlangenbogen,<br />
Dreier, Doppeldreier und Schlingen als Grundfiguren.<br />
Der Gegendreier galt damals als „verkehrter<br />
Dreier“ und bildete noch eine Sonderform<br />
des Dreiers. Wende und Gegenwende<br />
wurden erst zu anerkannten Grundfiguren,<br />
als der zweifache Europameister Eduard Engelmann<br />
(1864-1944) diese in Großbritannien<br />
für das Gruppenlaufen von Figurenkombinationen<br />
entwickelten Drehungen am Beginn<br />
der 1890er Jahre in Wien erfolgreich propagierte.<br />
Als erster Läufer vermochte Gilbert<br />
Fuchs (1871-1952), diese ab 1895 „einkantig“,<br />
also ohne Kantenwechsel, auszuführen.<br />
Bis zu diesem Zeitpunkt setzen sie sich aus<br />
der Kombination von Kreisbogen mit Dreier<br />
und Schlangenbogen zusammen. Entsprechend<br />
der Kanten ein- und auswärts, der<br />
Richtungen vor- und rückwärts und des ausführenden<br />
Fußes links und rechts werden jeweils<br />
acht Arten der Grundfiguren unterschieden.<br />
Die Grundfiguren erhielten Kreisform<br />
und wurden als Achter oder mit Schlangenbogen<br />
als Paragraphen ausgeführt. Auf<br />
diese Weise entstand ein ganzes System von<br />
Kombinationsfiguren.<br />
Als Praxistest wurde das „Internationale<br />
Preis-Figuren-Eislaufen“ vom 21. – 23. Januar<br />
1882 in Wien veranstaltet, das aus drei Abteilungen<br />
bestand. Neben dem Vorführen einer<br />
Spezialfigur und dem „Einzellaufen ohne<br />
programmmäßige Beschränkung“ (Kür) mussten<br />
23 Figuren auf jedem Fuß mit dreimaliger<br />
Wiederholung dargeboten werden. Jeder einzelnen<br />
Figur wurde in der Ausschreibung eine<br />
Wertquote zwischen 1 und 5 zugeordnet. Diese<br />
mussten mit der vergebenen <strong>No</strong>te im Spektrum<br />
1 bis 3 multipliziert werden. Die Gesamtpunktzahl<br />
entschied über die Platzierung in diesem<br />
Wettbewerbsteil. Die Ausschreibung ging als<br />
„Wiener Programm“ in die Geschichte ein und<br />
bildete im Jahr 1890 die Basis der Wettlauf-<br />
Ordnung des Deutsch-Österreichischen Eislaufverbandes,<br />
die man auch für die ersten ISU-<br />
Wettbewerbe nutzte. Diese bildete die Verhandlungsgrundlage<br />
eines 1895 vom 2. ISU-Kongress<br />
eingesetzten Ausschusses zur Ausarbeitung eines<br />
international verbindlichen Regelwerks.<br />
Dem Ausschuss gehörten Tibor von Földváry<br />
(Budapest), Robert Holletschek (Troppau), Dr.<br />
Oskar Bohn (Berlin), Ivor Hult (Stockholm) und<br />
Karl Fillunger (Wien) an, alles Personen aus den<br />
oberen Schichten der Gesellschaft. Die Meinung<br />
von Edgar Syers (London) sollte eingeholt werden.<br />
Die im Jahr 1897 beschlossene Wettlaufordnung<br />
der ISU enthielt ein Verzeichnis von 69<br />
Pflichtfiguren mit Wertzahlen.<br />
Eine andere Verbindung von Grundfiguren stellen<br />
Spezialfiguren (wie Sterne, Glocken, Kreuze,<br />
Blüten, Buchstaben), Schritte (z.B. Engländer,<br />
Amerikaner, Choctaw, Mohawk) und Schrittfolgen<br />
(z.B. Reben, Tänze) dar. Auch die Kürelemente<br />
basieren auf den Grundfiguren. So bestehen<br />
<strong>Pirouette</strong>n aus fortgesetzt ausgeführten<br />
Mini-Schlingen. Selbst Sprünge sind eigentlich<br />
in der Luft ausgeführte Figuren bzw. Schritte.<br />
Die Herausbildung der<br />
Bogen<br />
Älteste Grundfigur ist der Bogen als fortgesetztes<br />
Gleiten auf einer Kante der Kufe. Die Entwicklung<br />
war an die Einführung eines Schlittschuhmodells<br />
mit in einer Holzsohle eingelassenen<br />
Eisenkufe im 13. Jahrhundert in den Niederlanden<br />
gebunden. Im Gegensatz zu den bisher<br />
verwendeten Knochengleitern erlaubte die Eisenkufe<br />
einen Abstoß mittels Abdruck von der<br />
Kante der Kufe. Der Einsatz von Stöcken zur<br />
Fortbewegung entfiel. Man reihte damals hauptsächlich<br />
flache Bogen mit Fußwechsel aneinander.<br />
Diese Bogenfolgen werden noch heute als<br />
„holländern“ bezeichnet. Die kurze Kufenauslegung<br />
behinderte aber das Rückwärtslaufen.<br />
Schlangenbogen und Dreier<br />
Der Schlangenbogen sowie der Dreier vorwärts<br />
auswärts wurden im ersten bekannten Eislauflehrbuch<br />
der Welt „A Treatise on Skating“ (Abhandlung<br />
über das Eislaufen) von Robert Jones<br />
dokumentiert. Es erschien im Jahr 1772 im Verlag<br />
William Cole London und war Zeugnis des<br />
grazilen „Kavalierstils“ mit Beschreibungen von<br />
Figuren, Figurenkombinationen, Elementen wie<br />
Mond, Fechter, Spirale und Manövern (z.B. Salu-<br />
tieren) sowie von Ausführungsbestimmungen.<br />
Das Laufen von Figuren und die Darbietung<br />
von Elementen als eine „Gentle Art“ bildete<br />
einen Code über die gesellschaftliche Stellung<br />
und diente der Abgrenzung vom volkstümlichen<br />
Eislaufen. Mit seinem Lehrbuch gilt Jones<br />
als Erfinder und erster Promoter des Figurenlaufens<br />
auf dem Eis. Die Ausführung eines<br />
Schlangenbogens – Jones spricht von einer<br />
„serpentine line“ – beeinhaltet einen Wechsel<br />
der Bogenart einwärts auf auswärts oder umgekehrt<br />
in fortgesetzter Laufrichtung. Bei einem<br />
Dreier erfolgt ein Wechsel der Laufrichtung<br />
durch eine halbe Drehung auf einem<br />
Bein von vorwärts nach rückwärts über die<br />
Spitze oder von rückwärts nach vorwärts über<br />
die Ferse mit Kantenwechsel. Jones bezeichnete<br />
den Dreier auf Grund seines Spurenbilds<br />
als „figure of a heart on one leg“. Robert Jones<br />
wurde um 1740 als Sohn eines Schneiders<br />
in <strong>No</strong>rdwales geboren. Als Enthusiast für<br />
Feuerwerke und Schießpulver erhielt er das<br />
Angebot, Mitglied der Royal Artillery in der<br />
Kaserne von Woolwich zu werden, und stieg<br />
zum Lieutenant gesellschaftlich auf. Im Juli<br />
1772 endete seine steile Laufbahn, als Jones<br />
im Old Bailey für sexuellen Missbrauch an einem<br />
dreizehnjährigen Jungen zum Tode verurteilt<br />
und im Newgate-Gefängnis inhaftiert<br />
Eiskunstlauf-Pionier<br />
Henry Eugene Vandervell
wurde. Aufgrund seiner großen Popularität als<br />
Eislauf-Propagandist begnadigte ihn König<br />
George III. am 12. September 1772 unter der<br />
Bedingung, dass er das Land verlässt. Jones<br />
lebte daraufhin in Südfrankreich. Am 06. Dezember<br />
1788 berichtete die „Times“, dass Jones<br />
als Söldner in der Türkei in Erscheinung<br />
trat, wo er bei einem Militäreinsatz ums Leben<br />
gekommen sein soll. Das von Jones erfundene<br />
Schlittschuhmodell, bei dem neben Riemen<br />
ein Absatzsporn zur besseren Befestigung<br />
diente, wurde von der Firma „Riccard‘s Manufactory“<br />
vermarktet.<br />
Doppeldreier und Schlinge<br />
Die Ausführung von weiteren Figuren war an<br />
Veränderungen der Kufengestaltung gebunden.<br />
Als führender Exponent des Figurenlaufes und<br />
Gründungsmitglied der „Oxford Skating Society“<br />
stellte Henry Boswell im Jahr 1837 den ersten<br />
speziell für das Figurenlaufen entwickelten<br />
„Holz-Eisen-Schlittschuh“ vor. Die Laufschiene<br />
seines „Club Skates“ war bis zu dem Absatzende<br />
verlängert, erhöht und leicht gekrümmt. Boswell<br />
soll sämtliche Bogenarten, Formen des Dreiers,<br />
den um 1825 entwickelten Doppeldreier und die<br />
als „kanadische Erfindung“ bezeichnete Schlinge<br />
29<br />
Eislaufgeschichte Die Grundfiguren<br />
Robert Jones<br />
Die Schlittschuhe von Robert Jones, Quellen: www.skateguard1.blogspot.com<br />
Grundfiguren des Eiskunstlaufens<br />
beherrscht haben. Die Schlinge ist eine Drehung<br />
auf einem Fuß auf einer Kante um 360°<br />
mit schlingenförmigem Spurenbild ohne Richtungswechsel.<br />
Boswell gilt als der erste Eislauf-Professional,<br />
der sich auf den ab 1841<br />
neu entwickelten Londoner Eisersatz-Bahnen,<br />
die man Glaciarium nannte, produzierte.<br />
Der Doppeldreier wurde erstmalig vom<br />
Präsidenten des 1830 gegründeten<br />
Glasgower Eislauf-Vereins, George Anderson<br />
(1819-1896), in seinem 1852 unter<br />
dem Pseudonym Cyclos erschienenen<br />
Buch „The Art of Skating“ als „United<br />
Three“ beschrieben. Er beinhaltet eine<br />
Kombination eines Vorwärts- mit einem<br />
Rückwärts-Dreier.<br />
Wende, Gegenwende,<br />
Gegendreier<br />
Auch die Grundfiguren Wende, Gegenwende<br />
und Gegendreier wurden in den<br />
Eislauf-Clubs in Großbritannien ausgearbeitet,<br />
die das Gruppenlaufen von Kombinationsfiguren<br />
pflegten. Dieses verlangte nach<br />
Entwicklung immer neuer Figuren und Schritte,<br />
was sich vor allem Henry Eugene Vandervell<br />
(1824-1908) zur Aufgabe machte. Die<br />
Das „Club Skate“-Modell von Henri Boswell<br />
Quelle: Henry Eugene Vandervell & Thomas Maxwell<br />
Witham „A System of Figure Skating“ (1869)<br />
von ihm entwickelte Systematik des Eislaufs<br />
stellte die erste definierte Theorie und Methodik<br />
des Eislaufens sowie einen Versuch<br />
dar, Ordnung ins „eislauftechnische Chaos“<br />
zu bringen. Das „Vandervellsche System“<br />
wurde 1869 in seinem mit Thomas Maxwell<br />
Witham verfassten Lehrbuch „System<br />
of Figure-Skating“, Verlag „Mac<br />
Millan and Co“, vorgestellt. Mehrere<br />
überarbeitete Auflagen folgten bis<br />
1897. Vandervell und Witham waren<br />
Mitglieder im Skating-Club London. Sie analysierten<br />
sämtliche bekannte Figuren nach:<br />
Bogenarten, Bogenkombinationen, Gruppenfiguren,<br />
Schlingen und Schritten („Alternating<br />
Movements“). Elemente, die nicht<br />
dem Konzept des „English Figuring“ entsprachen,<br />
erschienen abgewertet im Kapitel<br />
„<strong>No</strong>ndescript Figures“. Sie zeichneten<br />
Spurenbilder und definierten Ausführungsbestimmungen.<br />
In die überarbeiteten<br />
Auflagen flossen aktuelle britische<br />
Figureninnovationen, aber auch<br />
im Ausland erfundene Elemente und<br />
Figuren über Auswertung von Lehrbüchern<br />
ein. Die Erstausgabe 1869 enthält<br />
im Kapitel „Alternating Movements“ eine<br />
erste Beschreibung der um 1860 von Vandervell<br />
erfundenen Gegenwende. Vandervell
30<br />
Grundfiguren des Eiskunstlaufens<br />
Eislaufgeschichte<br />
arbeitete als Börsenmakler und lebte in großem<br />
Wohlstand in der Aldridge Road 28. Nach dem<br />
Tod seiner ersten Frau heiratete Vandervell im<br />
Jahr 1869 die 26 Jahre jüngere Fanny Thornton,<br />
mit der er fünf Kinder hatte. Vandervell war<br />
langjähriger Vorsitzender des Ice Figure Committee‘s<br />
der National Skating Association – des<br />
1879 gegründeten, weltweit ersten Eislauf-Landesverbandes.<br />
Zu seinen weiteren Verdiensten<br />
gehört die Entwicklung und Einführung von<br />
dreistufigem Testlaufen (Gold / Silber / Bronze)<br />
- die Vandervell-Tests - im Jahr 1880. Für seine<br />
Verdienste als „Eiskunstlauf-Pionier“ wurde<br />
Vandervell im Jahr 2015 posthum in die „Hall of<br />
Fame“ des Eiskunstlaufs berufen.<br />
Die Wende wurde um 1878 bis 1881 durch die<br />
Studenten Montague Sneade Monier-Williams<br />
(1860-1931) und Winter Randall Pidgeon<br />
(1860-1926) ausgearbeitet. Sie gehörten dem<br />
1880 gegründeten „Oxford University Skating<br />
Club“ an. Die Wende beinhaltet einen Wechsel<br />
der Laufrichtung durch eine halbe Drehung auf<br />
einem Fuß in Richtung des Einlaufbogens ohne<br />
Kantenwechsel. Einlauf- und Auslaufbogen sind<br />
entgegengesetzt. 1883 wurde die Wende - damals<br />
als „Three Quarter Turn“ bezeichnet - in<br />
Monier-Williams Lehrbuch „Combined Figure<br />
Skating“ dokumentiert. Bei der Gegenwende erfolgt<br />
der Wechsel der Laufrichtung entgegen<br />
der Richtung des Einlaufbogens ohne Kantenwechsel.<br />
Monier-Williams eröffnete eine Arztpraxis<br />
im Londoner Stadtteil Onslow Gardens<br />
und arbeitete später in der Chelsea Clinic of<br />
Physical Education. 1927 zog er sich in die berühmte<br />
Künstlergemeinde Collioure in den Pyrenäen<br />
zurück und führte danach die von Émile<br />
Coué entwickelte therapeutische Behandlungsmethode<br />
der Autosuggestion in Großbritannien<br />
ein. Monier-Williams war Mitglied im Wimbledon<br />
Skating Club und wirkte zudem als Vizepräsident<br />
der National Skating Association.<br />
Winter Randall Pidgeon führte nach dem Ingenieurstudium<br />
eine Bürstenfabrik in London und<br />
kurz vor dem Ersten Weltkrieg mit großem Erfolg<br />
die „British Vacuum Cleaner Company Ltd.“<br />
Er war zudem ein berühmter Erfinder. Eine Influenzmaschine<br />
– ein elektrostatischer Generator,<br />
der zur Spannungserzeugung das Prinzip<br />
der Trennung elektrischer Ladungen durch Influenz<br />
nutzt - trägt seinen Namen. Pidgeon<br />
lebte mit seiner Frau Mary Constance Heap in<br />
South Paddington und gehörte ebenfalls zu den<br />
angesehensten Mitgliedern im Wimbledon Skating<br />
Club. 1892 veröffentlichte er in Zusammenarbeit<br />
mit Montagu Sneade Monier-Williams<br />
und Arthur Dryden das Lehrbuch „Figure-<br />
Skating Simple and Combined“.<br />
Den Gegendreier entdeckte Thomas Maxwell<br />
Witham auf Rollschuhen. Der Gegendreier bezeichnet<br />
den Wechsel der Laufrichtung durch<br />
eine halbe Drehung auf einem Fuß von vorwärts<br />
nach rückwärts über die Spitze oder von rückwärts<br />
nach vorwärts über die Ferse mit Kantenwechsel<br />
entgegen der Drehrichtung des Einlaufbogens.<br />
Im Jahre 1880 dokumentierte Witham<br />
seine Erfindung mit einer entsprechenden Spurenbildzeichnung<br />
in der Zeitschrift „The Field“.<br />
Thomas Maxwell Witham war ein Jurist und<br />
wurde im Jahr 1857 durch die Anwaltskammer<br />
Middle Temple als Barrister (eine Version von<br />
Anwalt) zugelassen.<br />
Bis 1990 bildete die Pflicht einen Bestandteil<br />
des Wettkampfprogramms im Einzellaufen.<br />
Nach deren Abschaffung spielen die Grundfiguren<br />
heute vor allem in der geforderten Schrittfolge<br />
eine wichtige Rolle. Die Anzahl verschiedenartiger<br />
Drehungen pro Fuß kombiniert in einem<br />
Cluster bilden Features zur Levelvergabe.<br />
Weitere Kriterien sind die Ausführung der Figuren<br />
im Takt sowie zur Interpretation der Musik<br />
mittels Einbindung in plastische Verfahren, was<br />
eine enorme Erhöhung des Schwierigkeitsgrads<br />
darstellt. Die Erfinder der Grundfiguren würden<br />
über diese Komplexität staunen.<br />
<br />
Dr. Matthias Hampe<br />
Neues aus aller Welt<br />
Neues Paar Knierim/Frazier<br />
Wie schon im Aprilheft der <strong>Pirouette</strong> vermutet,<br />
laufen Alexa Knierim und Brandon Frazier nach<br />
dreitägigem Probetraining kurz vor der Schließung<br />
aller Eishallen als neues US-amerikanisches<br />
Paarlaufpaar zusammen. Knierim war bis<br />
Februar <strong>2020</strong> mit ihrem Ehemann Chris Knierim<br />
gestartet, der nach offensichtlich nicht überwind<br />
baren Sprungschwächen nach der Vier-<br />
Kontinente-Meisterschaft das Handtuch warf.<br />
Privat versteht sich das seit 2016 verheiratete<br />
Paar aber weiterhin sehr gut. Frazier war bis zu<br />
den US-Meisterschaften <strong>2020</strong> mit Haven<br />
Denney gelaufen und bis Februar <strong>2020</strong> auch<br />
privat mit ihr liiert, aber auch sie konnte seit einer<br />
schweren Verletzung vor einigen Jahren keine<br />
beständige Leistung mehr bringen und spielte<br />
ohnehin mit dem Gedanken, ihre Karriere zu<br />
beenden. Frazier, ein alter Kumpel von Chris<br />
Knierim aus gemeinsamen Trainingsjahren in<br />
Colorado Springs, zog von Florida nach Irvine in<br />
Kalifornien und das neue Paar wird bei Jenni<br />
Meno, Todd Sand und Chris Knierim trainieren.<br />
Ziel sind natürlich die Olympischen Spiele 2022.<br />
Getrennt hat sich dagegen das US-Paar Nica Digerness<br />
und Danny Neudecker aus Colorado<br />
Springs, Sechste bei Skate America 2018, aber<br />
nur Neunte der US-Meisterschaften <strong>2020</strong>.<br />
Kritik an Scott Moir<br />
Der kanadische Eistänzer Scott Moir wurde im<br />
April in den sozialen Medien und im Fernsehsender<br />
CBC heftig kritisiert, weil er die Corona-<br />
Quarantäneregel gebrochen habe. Statt zu Hause<br />
in Kanada sei er in Tampa, Florida gewesen.<br />
Aber der zweifache Eistanz-Olympiasieger antwortete<br />
seinen Kritikern, er habe keinen Urlaub<br />
gemacht. Stattdessen sei er bei seiner Verlobten<br />
Jackie Mascarin gewesen, die in Tampa als medizinische<br />
Assistentin in einer Lungen- und Coronaklinik<br />
arbeite. Er habe den Haushalt geführt,<br />
eingekauft und für sie gesorgt, wenn sie<br />
nach ihrer täglichen Arbeit erschöpft gewesen<br />
sei. „Sie ist eine von den Heldinnen, über die<br />
zurzeit so viel gesagt wird. Und als ihr Lebensgefährte<br />
sollte ich sie dabei unterstützen. Ich<br />
habe in Tampa die Quarantäneregeln eingehalten<br />
und halte sie auch in Kanada ein.“<br />
Eigentlich sollte Moir an der Eröffnungszeremonie<br />
der WM in Montreal teilnehmen, aber als<br />
die WM abgesagt wurde, habe er sich entschlossen,<br />
zu seiner Verlobten zu reisen. Ende<br />
April kehrte das Paar nach Kanada zurück. Moir<br />
habe laut CBC betont, er sei nicht mit dem<br />
Flugzeug, sondern die etwa 2000 Kilometer lange<br />
Strecke in zwei Tagesfahrten mit dem Auto<br />
zurück nach Kanada gereist. Moir: „Wir sind Kanadier<br />
und sind bald wieder zu Hause.“ Seine<br />
Tanzpartnerin Tessa Virtue war seit März bei ihrem<br />
Freund und Hockeyspieler Morgan Rielly in<br />
Vancouver. <br />
Eishalle als Leichenhaus<br />
Nicht nur in Madrid, wie im Aprilheft der <strong>Pirouette</strong><br />
berichtet, sondern auch anderswo dienen<br />
geschlossene Eishallen zurzeit als Leichenaufbewahrungsstätten,<br />
wenn mehr Menschen<br />
als sonst sterben und die üblichen Kühlhäuser<br />
der Beerdigungsinstitute überfüllt sind. Denn<br />
sie sind kalt, so dass die Körper in den Särgen<br />
nicht so schnell verwesen. Neuestes Beispiel ist<br />
das „Gardens Ice House“ in der Kleinstadt Laurel<br />
im Bundesstaat Maryland (zwischen Philadelphia<br />
und Washington), in dem mehr als<br />
1.000 Menschen an dem Coronavirus gestorben<br />
sind. In anderen Jahren hatte hier stets im <strong>Juni</strong><br />
der erste kleine nationale Eistanzwettbewerb<br />
der neuen Saison stattgefunden, die Chesapeake<br />
Open. Igor Shpilbands Paare sind dort oft<br />
ihre neuen Programme erstmals vor einer US-<br />
Jury gelaufen.<br />
Weihnachtsmärchen <strong>2020</strong><br />
Die Berliner Vereine suchen Besetzungen der<br />
Haupt- und Nebenrollen für das Weihnachtsmärchen<br />
<strong>2020</strong>, in der Hoffnung, dass sie es im<br />
Spätherbst dieses Jahres auch aufführen dürfen.<br />
Der Neusser Verein hat dagegen sein alle zwei<br />
Jahre stattfindendes Weihnachsmärchen abgesagt,<br />
weil zu wenig Zeit bleibe, um es nach der<br />
Wiedereröffnung der Halle einzustudieren. Vereinschef<br />
Ulrich Giesen sagte, dem Verein gingen<br />
dadurch mindestens 40.000 Euro Einnahmen<br />
verloren.<br />
Isabella Tobias wurde<br />
Mutter<br />
Die amerikanische Eistänzerin Isabella Tobias Lites<br />
(28), die mit ihrem letzten Tanzpartner Ilia<br />
Tkachenko von 2015 bis Ende 2017 für Israel<br />
gestartet war (unter anderem Vierte der EM<br />
2017 und 12. der WM 2017) und vorher mit anderen<br />
Partnern für andere Länder gelaufen war,<br />
und ihr Ehepartner wurden am 12. März Eltern<br />
eines Sohnes namens James Alvan Lites. Die Familie<br />
lebt inzwischen in Dallas, Texas. Tkachenko<br />
arbeitet seit 2018 als Assistenztrainer von<br />
Marina Zueva, zunächst in Canton bei Detroit<br />
und seit dem Frühjahr 2019 in der Hertz Arena<br />
in Estero nahe Naples in Südwest-Florida. krk
<strong>Pirouette</strong>: Wie haben Sie die WM-Absage<br />
aufgenommen?<br />
Victoria: Am Anfang waren wir natürlich sehr<br />
enttäuscht, denn wir hatten so viel Zeit und<br />
Kraft in die Vorbereitung der WM investiert.<br />
Aber wir verstehen, dass sich das (Coronavirus)<br />
so schnell ausgebreitet hat und leider alles geschlossen<br />
wurde.<br />
Wie kommen Sie mit der aktuellen Situation<br />
in der Corona-Krise zurecht?<br />
Nikita: Die ersten zwei Wochen sind wir auf die<br />
Datscha gefahren und haben uns dort erholt.<br />
Das war wie ein Urlaub, denn in Moskau stieg<br />
die Zahl der Infizierten stark an und uns war<br />
klar, dass das lange dauern wird. Nach zwei<br />
Wochen sind wir nach Hause zurückgekehrt und<br />
haben langsam angefangen, etwas zu tun. Vika<br />
hat sich ein Laufband gekauft und hat damit<br />
angefangen zu trainieren. Ich habe auch Übungen<br />
gemacht, so gut ich konnte. Wir haben viel<br />
Musik gehört (für eine neue Kür). Wir saßen<br />
nicht tatenlos herum, sondern haben versucht,<br />
uns persönlich weiterzuentwickeln, etwas Neues<br />
für uns zu entdecken, zu lesen, etwas anzuschauen<br />
und den Eiskunstlauf nicht zu vergessen.<br />
Es ist natürlich eine schwierige Situation.<br />
Das Schwierigste war, voneinander und von den<br />
Freunden und Eltern getrennt zu sein. In Moskau<br />
wurde ein elektronischer Passierschein eingeführt<br />
und Vika und ich konnten höchstens<br />
zusammen in ein Geschäft fahren, mit Masken<br />
und Handschuhen natürlich. Aber moralisch<br />
bauen wir uns damit auf, dass wir uns sagen, es<br />
wird alles gut werden. Das Gute ist, dass es im<br />
Internet alles Mögliche gibt, viele interessante<br />
Sachen und man kann ein neues Hobby entdecken.<br />
Ich habe zum Beispiel die Wirtschaft und<br />
die Märkte studiert, womit man sich später im<br />
Leben mal befassen könnte. Ich habe mich aber<br />
auf nichts festgelegt.<br />
Victoria: Ich habe angefangen mehr zu lesen.<br />
Victoria Sinitsina &<br />
Nikita Katsalapov<br />
»Der Kopf schaltet sich ein und du<br />
denkst nicht nur an Eiskunstlauf«<br />
Victoria Sinitsina und<br />
Nikita Katsalapov<br />
bei der EM in Graz<br />
Foto: Flade<br />
Ich habe mir auch einige Gedanken gemacht,<br />
was ich später machen könnte, aber mehr verrate<br />
ich noch nicht. Der Kopf schaltet sich ein,<br />
es ist mehr Zeit, du denkst nicht nur an den Eiskunstlauf,<br />
sondern auch über andere Dinge<br />
nach, über dein Leben und darüber, was du später<br />
machen willst. Daraus kann man sehr viel<br />
Positives ziehen.<br />
Sie konnten also gar nicht zusammen<br />
trainieren?<br />
Nikita: Nein, denn die meiste Zeit sind wir nicht<br />
zusammen.<br />
Wie sieht es mit Online-Training aus?<br />
Victoria: Ich habe ein paar Online-Trainings gemacht,<br />
aber nur für die Familie. Ich mag das<br />
nicht online machen, ich kann das nicht so weitergeben<br />
und zeigen oder selbst so trainieren.<br />
Ich habe daher vor allem alleine zu Hause trainiert,<br />
getanzt und sogar Choreographie gemacht,<br />
aber das war schwieriger.<br />
Ende <strong>Mai</strong> begann für Läufer des Nationalteams<br />
ein Trainingslager in <strong>No</strong>vogorsk bei<br />
Moskau, aber Sie lassen es aus. Warum?<br />
Nikita: Wie ich es verstehe, wird man dort auf<br />
eine bestimmte Zeit in Quarantäne gesperrt,<br />
man darf nicht raus und alles ist sehr streng.<br />
Ehrlich gesagt, wir haben uns so entschieden,<br />
weil wir nicht eingesperrt werden wollten. Wir<br />
hoffen, dass sich die Regeln hier in der Stadt<br />
bald lockern oder wir fahren in ein anderes Trainingslager,<br />
auch ohne Eis, und machen mehr<br />
Athletiktraining. Es ist eine schwierige Frage,<br />
aber wir haben uns dafür entschieden, dieses<br />
erste Trainingslager auszulassen. Wir haben<br />
jetzt noch keine Informationen, wann wir wieder<br />
voll auf dem Eis trainieren können.<br />
Wie schwer wird es, nach so einer langen<br />
Eis-Pause wieder in Form zu kommen?<br />
Nikita: Ich kann von mir sagen, dass ich schon<br />
einige schwere Verletzungen hatte. Jetzt kann<br />
ich wenigstens zu Hause trainieren und etwas<br />
machen und ich fühle mich gut dabei. Aber es<br />
Die Eistanz-Europameister Victoria Sinitsina (25) und Nikita<br />
Katsalapov (28) trafen sich mit der „<strong>Pirouette</strong>“ per Videoschalte<br />
aus ihren Wohnungen in Moskau. Katsalapov hatte gerade einen<br />
Zahnarztbesuch hinter sich, bei dem ein Zahn gezogen wurde,<br />
war aber trotzdem gerne bereit zum Interview.<br />
gab Zeiten, da lag ich nur oder saß ich nur herum,<br />
wie als ich an der Schulter operiert wurde.<br />
Da habe ich lange Zeit ausgesetzt, acht Monate.<br />
Wir haben schon einige Schwierigkeiten durchgemacht<br />
und denken, dass wir uns in Form halten<br />
und hoffen, dass es nicht so schwer sein<br />
wird. Denn wir haben jetzt immer die Möglichkeit<br />
etwas zu machen und müssen nicht nur<br />
herumsitzen. Am Anfang ist es immer schwierig,<br />
die neuen Programme zusammenzubekommen,<br />
die neuen Elemente. Dieser Prozess ist immer<br />
schwer. Urlaub ist jedenfalls nicht geplant.<br />
Sie haben sich dafür entschieden, Ihren<br />
erfolgreichen Rhythmustanz zu „Singin‘ in<br />
the Rain“ zu behalten. Warum?<br />
Victoria: Erstens werden wir sehr wenig Zeit haben,<br />
um ein neues Programm vorzubereiten.<br />
Zweitens ist dieses Programm so gut gelungen<br />
und passt so zu uns, dass wir es mit Vergnügen<br />
laufen. Es unterstreicht uns, es gefällt uns sehr<br />
gut. Vielleicht kann man etwas noch Besseres<br />
finden, aber eine ganze Saison ist damit (mit<br />
diesem Thema) vergangen und viel Musik ist<br />
schon verwendet worden und mir scheint, es<br />
wäre schwierig, etwas Besseres für uns zu finden.<br />
Die Kostüme wollen wir unbedingt wechseln,<br />
denn wir möchten doch etwas Neues hereinbringen,<br />
um den Charakter aufzufrischen.<br />
Was können Sie uns über Ihre Kür verraten?<br />
Nikita: Wir haben erst vor kurzem alle gemeinsam<br />
damit begonnen, die Ideen für die Kür zu<br />
diskutieren. Wir sind jetzt noch mitten in dem<br />
Prozess und haben uns noch nicht endgültig für<br />
eine Idee entschieden.<br />
Was möchten Sie Ihren Fans sagen?<br />
Victoria: Wir sind alle zusammen in dieser<br />
Situation. In dieser Zeit muss man zusammenhalten<br />
und sich unterstützen und an sich<br />
arbeiten.<br />
Vielen Dank für das Interview und alles Gute!<br />
Mit Victoria Sinitsina und Nikita Katsalapov<br />
sprach Tatjana Flade. <br />
•••<br />
31<br />
Victoria Sinitsina & Nikita Katsalapov<br />
Interview
Dieses Virus infiziert<br />
auch die Pressefreiheit<br />
Im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie wird die Pressefreiheit in vielen Ländern<br />
massiv eingeschränkt. Regierungen erhalten Sondervollmachten, <strong>No</strong>tstandsgesetze<br />
erschweren die Berichterstattung und es drohen hohe Strafen für angebliche<br />
Falschnachrichten. Damit Menschen sich und andere effektiv vor der Verbreitung des<br />
Virus schützen können, brauchen sie umfassende und unabhängige Informationen.<br />
Erfahre mehr unter reporter-ohne-grenzen.de/corona<br />
<strong>Pirouette</strong>-Online Webshop<br />
Scan<br />
mich!<br />
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GANZJÄHRIG GANZTÄGIG<br />
EISKUNSTLAUFPATCHTRAINING<br />
daily figureskating all year from<br />
8am until 6pm<br />
03/2019<br />
Die <strong>Pirouette</strong> auf Facebook<br />
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