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INTERVIEW DES MONATS<br />
<strong>planet</strong> <strong>toys</strong> 17<br />
DAS LIEFERKETTEN-<br />
GESETZ WIRD KOMMEN<br />
Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller bezeichnet Politiker, die sich mit den Nöten und<br />
Sorgen der ärmsten Länder der Welt beschäftigen, als „Menschen mit Herz“. Er will nicht nur<br />
sein Lieferkettengesetz endlich verabschiedet sehen, sondern auch Amazon & Co. in die Verantwortung<br />
nehmen.<br />
Herr Minister, was halten Sie vom Prinzip<br />
der Freiwilligkeit bei der Einhaltung<br />
der Menschenrechte? Den Deutschen<br />
Verband der Spielwarenindustrie haben<br />
Sie doch ausdrücklich dafür gelobt, dass<br />
er sich seit Jahren für menschenwürdige<br />
Arbeit und Nachhaltigkeit entlang<br />
der Lieferketten einsetzt, und die deutschen<br />
Unternehmen seien viel weiter<br />
als einige Verbandsgeschäftsstellen!<br />
Dr. Gerd Müller: Genauso ist es – viele<br />
Unternehmen gehen selbst voran. Mit der<br />
neu gegründeten Fair Toys Organisation<br />
entsteht jetzt eine Brancheninitiative für<br />
faire Spielzeugproduktion. Darüber freue<br />
ich mich sehr. Zehn Unternehmen sind<br />
schon beigetreten, darunter Fischertechnik,<br />
Zapf, HABA, Sigikid und der<br />
Plüsch-Hersteller Heunec. Sie müssen<br />
konkrete Schritte für menschenwürdige<br />
Arbeitsbedingungen nachweisbar umsetzen.<br />
Und sie verpflichten sich, dass<br />
auch bei Zulieferern im Ausland existenzsichernde<br />
Löhne gezahlt werden.<br />
Das ist ein Riesenschritt nach vorn! Wir<br />
haben durch die EU-Spielzeugrichtlinien<br />
zu Recht strenge Regeln, etwa zu<br />
Schadstoffen. Wer will schon giftiges<br />
Spielzeug für seine Kinder? Das Gleiche<br />
muss jetzt Schritt für Schritt auch<br />
für die Arbeitsbedingungen gelten. Es<br />
kann nicht länger sein, dass noch immer<br />
Kinder für unser Spielzeug arbeiten<br />
müssen. Oder die Arbeiterin in Asien 14<br />
Stunden am Tag, sechs Tage die Woche<br />
für einen Stundenlohn von weniger als<br />
40 Cent schuftet.<br />
Einen ähnlichen Ansatz verfolgen Sie<br />
im Textilbereich mit dem staatlichen<br />
Siegel „Grüner Knopf“.<br />
G.M.: Das stimmt. Wir haben im Herbst<br />
2019 angefangen. Textilfirmen müssen<br />
46 anspruchsvolle Sozial- und Umweltstandards<br />
erfüllen – von A wie Abwassergrenzwerte<br />
bis Z wie Zwangsarbeitsverbot.<br />
Im ersten Halbjahr 2020 wurden<br />
bereits 50 Millionen Kleidungsstücke<br />
mit dem Grünen Knopf verkauft. Das<br />
sind 1,5 bis drei Prozent Marktanteil –<br />
eine solide Entwicklung mitten in der<br />
»Mit der neu gegründeten<br />
Fair Toys Organisation entsteht<br />
jetzt eine Brancheninitiative<br />
für faire Spielzeugproduktion.<br />
Darüber freue<br />
ich mich sehr.«<br />
DR. GERD MÜLLER<br />
Bundesentwicklungsminister<br />
© BMZ Pool /Janine Schmitz<br />
Coronakrise. Das deutsche Bio-Siegel<br />
startete mit zwei Prozent. Heute kennt<br />
es jeder. Immer mehr kaufen Bio, weil<br />
ihnen Nachhaltigkeit wichtig ist. Ich bin<br />
optimistisch, dass es beim Grünen Knopf<br />
genauso sein wird. Kleidung mit dem<br />
Grünen Knopf gibt es mittlerweile für<br />
jeden Geschmack und Geldbeutel. Einzelhändler<br />
wie Lidl, Tchibo, Kaufland und<br />
Aldi machen mit. Aber auch Outdoor-<br />
Firmen wie Jack Wolfskin, Vaude oder<br />
Branchenpioniere wie Hess Natur und<br />
Trigema. Das zeigt: Unser Siegel kommt<br />
an. Das Gleiche wünsche ich der Fair<br />
Toys Initiative.<br />
Das heißt, Freiwilligkeit funktioniert?<br />
G.M.: Ein Wandel zu mehr Nachhaltigkeit<br />
geht nicht über Nacht. Es braucht Pionierfirmen,<br />
die vorangehen. Deswegen<br />
sind freiwillige Initiativen so wichtig. Sie<br />
zeigen: Es geht. Und sie machen anderen<br />
Mut, mitzumachen. Aber nur mit<br />
Freiwilligkeit erreicht man nie alle. Das<br />
zeigen die letzten 50 Jahre. Deswegen<br />
brauchen wir verbindliche Grundstandards,<br />
die für alle gelten. Wie das Verbot<br />
der Kinderarbeit. 75 Millionen Kinder<br />
schuften weltweit unter ausbeuterischen<br />
Bedingungen in Steinbrüchen, Textilfabriken<br />
oder auf Kaffeeplantagen – auch<br />
für unsere Produkte. Es kann nicht länger<br />
sein, dass sich einige anstrengen<br />
und andere ohne Rücksicht auf Menschenrechte<br />
produzieren. Und sich so<br />
noch Wettbewerbsvorteile verschaffen.<br />
Märkte brauchen klare Regeln. Deshalb<br />
schlagen Arbeitsminister Heil und ich<br />
ein Lieferkettengesetz vor, das gleiche<br />
Spielregeln für alle schafft.<br />
Es sei Zeit zu handeln, so Ihre Worte.<br />
Wird das Lieferkettengesetz tatsächlich<br />
noch in dieser Legislaturperiode<br />
kommen?<br />
G.M.: Ja, da bin ich optimistisch. Trotz<br />
des Widerstands einiger Verbände<br />
werden wir ein solches Gesetz noch in<br />
dieser Legislaturperiode beschließen<br />
– um Kinderarbeit endlich zu stoppen<br />
und Menschenrechtsstandards für deutsche<br />
Produkte sicherzustellen. 75 % der<br />
Deutschen, die Verbraucherzentralen<br />
und fast 100 Unternehmen und jetzt auch<br />
70 Ökonomen fordern ein solches Gesetz:<br />
„Made in Germany“ soll nicht nur<br />
für gute Qualität stehen, sondern auch<br />
für faire Produktion.<br />
Einstimmig haben die Sozial- und Arbeitsminister<br />
der EU-Staaten kürzlich<br />
für ein europäisches Lieferkettengesetz<br />
votiert. Sie haben das begrüßt. Muss<br />
die Bundesregierung trotzdem vorpreschen,<br />
nur weil es im Koalitionsvertrag<br />
steht, oder sollten wir nicht erst auf<br />
Brüssel warten, um eventuelle Wettbewerbsverzerrungen<br />
zu vermeiden?