11.02.2021 Aufrufe

Pflanzenfreund

Gärten, Gartenmenschen und Pflanzen – eine geradezu unerschöpfliche Quelle für spannende und manchmal auch explosive Geschichten. Seit 1900 verbindet die Zeitschrift «Pflanzenfreund» die Begeisterung fürs Gärtnern mit dem Verständnis für die Natur, wobei sich Inhalt und Optik im Laufe des Jahrhunderts immer wie- der gewandelt haben. Zuletzt im Sommer 2019, als wir das Magazin einer umfassenden Erfrischungs- kur unterzogen haben.

Gärten, Gartenmenschen und Pflanzen – eine geradezu unerschöpfliche Quelle für spannende und manchmal auch explosive Geschichten. Seit 1900 verbindet die Zeitschrift «Pflanzenfreund» die Begeisterung fürs Gärtnern mit dem Verständnis für die Natur, wobei sich Inhalt und Optik im Laufe des Jahrhunderts immer wie- der gewandelt haben. Zuletzt im Sommer 2019, als wir das Magazin einer umfassenden Erfrischungs- kur unterzogen haben.

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<strong>Pflanzenfreund</strong><br />

Februar 2021, Nr. 2<br />

informiert, reflektiert, inspiriert, engagiert – seit 1900<br />

<strong>Pflanzenfreund</strong><br />

24<br />

Dürrenmatt und<br />

die Laubpuster<br />

20<br />

Unter der<br />

Oberfläche<br />

CHF 7.80<br />

02<br />

9 772673 276006<br />

30<br />

Bodeninitiativen –<br />

Stimmungsbarometer


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Garten-Center Meier | Kreuzstrasse 2 | 8635 Dürnten<br />

Tel. 055 251 71 71 | Öffnungszeiten: Mo – Fr 8.30 – 18.30 Uhr l Sa 8 – 17 Uhr<br />

www.meier-ag.ch | www.gartenfragen.ch


EDITORIAL<br />

Spatenstich<br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Im neuen Jahr ist der <strong>Pflanzenfreund</strong> auf dem Weg, sich vom Kunden- zum unab hängigen<br />

Gartenmagazin zu entwickeln. Zu einer Zeitschrift mit Ecken und Kanten, in<br />

der auch unbequeme Gartenthemen wie der Einsatz von chemischen Pflanzen schutzmitteln<br />

angesprochen werden.<br />

Denn, was haben Gartenwerkzeuge (ab Seite 18) mit der Pestizid-Debatte (ab Seite 30)<br />

gemeinsam? Und warum sind die kommenden Initiativen rund um Pestizide und<br />

Trinkwasser Inhalt dieser Ausgabe? Fachleute schätzen, dass fünf bis zehn Prozent aller<br />

schweizweit verkauften Pestizide in Privatgärten eingesetzt werden. Also, das Thema<br />

geht auch uns etwas an.<br />

Den schönen Seiten des Balkongärtnerns widmet sich die Bloggerin Melanie Öhlenbach,<br />

die seit 2014 auf www.kistengruen.de über das Gartenleben auf sechs Quadratmetern<br />

berichtet. Sie wird uns mit Tipps und Erfahrungen durchs ganze Jahr begleiten<br />

(Seite 17). Buchstäblich in die Tiefe geht unsere neue Kolumnistin Angelika Ertl. Bei der<br />

österreichischen Biogärtnerin und ORF-Moderatorin dreht sich alles um unser Erd -<br />

reich (Seite 15).<br />

Eine gute Basis ist auch für das Gedeihen einer Zeitschrift wichtig. Dank der Unterstützung<br />

der Ernst Meier AG und den bisherigen, treuen Abonnent*innen konnten<br />

wir den <strong>Pflanzenfreund</strong> behutsam neu ausrichten. An den vielen engagierten und<br />

moti vierenden Rückmeldungen unserer Leserschaft sind wir gewachsen. Jetzt wagen<br />

wir den Schritt in die freie Medienlandschaft: Ab März 2021 wird der <strong>Pflanzenfreund</strong><br />

in der ganzen deutschsprachigen Schweiz an rund 3500 Verkaufspunkten und Kiosken<br />

er hältlich sein. Trotzdem würden wir uns freuen, wenn Sie unser Engagement mit<br />

einem Jahresabonnement für Fr. 48.– unterstützen. Im Abo kostet eine Ausgabe nur<br />

Fr. 4.80 anstatt Fr. 7.80 am Kiosk – und Sie erhalten das Magazin direkt nach Hause.<br />

Da wir den Austausch unter <strong>Pflanzenfreund</strong>en schätzen, werden wir im Sommer<br />

speziell für interessierte Abonnent*innen schweizweit Exkursionen zum Thema<br />

Tier-Pflanzen-Interaktionen anbieten. Weitere Projekte rund um das Thema Nachhaltigkeit<br />

für Garten-, Balkon- und Terrassenbesitzer*innen sind in Vorbereitung.<br />

Fortsetzung folgt …<br />

Auf ein fruchtbares, erfülltes neues Gartenjahr.<br />

Ihre Redaktion<br />

Tanja Keller<br />

redaktion@pflanzenfreund.ch<br />

PS: Für mich persönlich ist ganz klar:<br />

Ich werde im Juni 2x JA in die Urne werfen.<br />

ZUM TITELBILD Einen Anfang<br />

machen, den Boden sanft vorbereiten<br />

für Neues. Die Grabgabel steht<br />

stellvertretend für alle Gartenwerkzeuge,<br />

die wir in dieser Ausgabe<br />

vorstellen – und sinnbildlich<br />

für den Tatendrang, den wir in<br />

verschiedenen Artikeln thematisieren.<br />

(Foto: © alamy)<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 3


30


Neue<br />

Rubrik<br />

17<br />

Impressum<br />

«<strong>Pflanzenfreund</strong>», 121. Jahrgang,<br />

Nr. 2 (Februar 2021), Preis: Fr. 7.80,<br />

erscheint 10x jährlich<br />

Auflage 25 000 Exemplare<br />

Herausgeber<br />

Verlag «<strong>Pflanzenfreund</strong>»,<br />

c/o Ernst Meier AG, Kreuzstrasse 2,<br />

8635 Dürnten, www.pflanzenfreund.ch<br />

Geschäftsleiter/Verleger<br />

Erwin Meier-Honegger<br />

Verlagsleiter Jean-Pierre Ritler,<br />

jpr@pflanzenfreund.ch<br />

Redaktionsleiterin Tanja Keller,<br />

redaktion@pflanzenfreund.ch<br />

Redaktionelle Mitarbeit<br />

Ivo Eugster (Text und Bild),<br />

Carmen Hocker (Text und Produktion)<br />

Anzeigen KünzlerBachmann Verlag AG,<br />

Olaf Aperdannier, Tel. +41 71 314 04 79,<br />

o.aperdannier@kueba.ch<br />

Abonnement<br />

www.pflanzenfreund.ch/abo,<br />

Jahres abonnement Fr. 48.–. Adressänderungen<br />

an info@pflanzenfreund.ch<br />

Gestaltung/Layout<br />

Claudia Neuenschwander<br />

Lithographie Media Concept Schweiz AG,<br />

Eschenbach SG<br />

Korrektorat Schellenberg Druck AG,<br />

Pfäffikon ZH<br />

Druck PMC, Oetwil am See ZH<br />

Papier Refutura GSM FSC ® , (100 % Altpapier,<br />

«Blauer Engel» zertifiziert)<br />

40<br />

Inhalt<br />

INSPIRATIONEN<br />

6 Blattwerk<br />

ARBEITEN IM<br />

FEBRUAR<br />

10 Saisontipps<br />

15 Kolumne<br />

16 Saat- und<br />

Pflanzkalender<br />

GÄRTNERN<br />

OHNE GARTEN<br />

17 Pflanzenglück auf<br />

kleinem Raum<br />

26<br />

GASTKOMMENTAR<br />

24 Dürrenmatt und<br />

die Laubpuster<br />

FAUNA IM FOKUS<br />

38 Kellerassel<br />

ENGAGEMENT<br />

40 Lass uns reden.<br />

Über den Boden.<br />

GRÜNE AGENDA<br />

48 Ausflugstipps<br />

STANDPUNKT<br />

WISSEN<br />

49 Entscheiden dürfen<br />

18 Die Unentbehrlichen<br />

20 Unter der Oberfläche<br />

26 Wenn Gartengeräte<br />

erzählen könnten<br />

30 Zwischen Schock -<br />

starre und Wertewandel<br />

38<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 5


1<br />

3<br />

5<br />

6 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH<br />

6


2<br />

7<br />

2<br />

Inspirationen<br />

Blattwerk<br />

4<br />

1 Gewöhnliche Akelei<br />

(Aquilegia vulgaris)<br />

2 Weidenblättrige Birne<br />

(Pyrus salicifolia ’Pendula’)<br />

3 Zierlicher Frauenmantel<br />

(Alchemilla epipsila)<br />

4 Echter Salbei<br />

(Salvia officinalis)<br />

5 Blutstorchschnabel<br />

(Geranium sanguineum<br />

var. striatum)<br />

6 Polsternelke<br />

(Dianthus gratianopo -<br />

litanus ’Eydangeri’)<br />

7 Gemeine Felsenbirne<br />

(Amelanchier rotundifolia)<br />

Verführerisch sehen sie aus, die Blütenfotos in<br />

Katalogen und Onlineshops. Vor allem im Winter,<br />

wenn der Garten ruht und wir uns nach Farben<br />

und Düften sehnen. Kaum verwunderlich, dass<br />

wir Rosen, Stauden und Gehölze oft nach ihren<br />

Blüten auswählen. Dabei ist es ihr Laub, das viele<br />

Monate im Jahr dem Garten Struktur verleiht.<br />

Schaut man genauer hin, entdeckt man, wie die<br />

Grüntöne der verschiedenen Pflanzen changieren<br />

und wie abwechslungsreich ihre Texturen sind.<br />

Manche Blätter, wie die «Ohren» des Wollziests<br />

(Stachys byzantina), mag man geradezu streicheln,<br />

so flauschig-filzig sind sie. Helle Laubtöne,<br />

wie die graugrünen Blätter der weidenblättrigen<br />

Birne (Pyrus salicifolia ’Pendula’), bringen Licht<br />

in den Garten und bilden schöne Kontraste, zum<br />

Beispiel vor einer dunklen Hecke. In den letzten<br />

Jahren haben Gärtnereien übrigens begonnen, in<br />

ihren Onlineshops nicht nur die Blüten zu zeigen,<br />

sondern auch Fotos von Laub, Herbstfärbung<br />

und Samenständen. Texte und Bilder: Carmen Hocker<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 7


INSPIRATIONEN<br />

Blattwerk<br />

Mediterrane Polster<br />

Ihre Blätter sind meist silbrig bis grün,<br />

teils nadlig und manchmal pelzig. Thymian,<br />

Lavendel und Salbei bilden im milden<br />

Klima rund ums Mittelmeer grössere Büsche<br />

und verholzen. Deshalb werden sie auch<br />

«Halbsträucher» genannt. Bei uns ist es ratsam,<br />

durch regelmässigen Schnitt bodennahe<br />

junge Triebe zu fördern, damit die Pflanzen<br />

weniger anfällig für Frost sind. Beim Sommerschnitt<br />

nach der Blüte wird Lavendel zu<br />

einer lockeren Halbkugel geformt, die über<br />

den Winter stehen bleibt. Im Frühjahr, wenn<br />

die ersten Knospen austreiben, erfolgt ein<br />

kräftiger Rückschnitt auf 10 bis 15 cm, der<br />

das Wachstum anregt. Dieselbe Schnittregel<br />

gilt für Heiligenkraut, Currykraut und Salbei.<br />

Detaillierte Tipps finden Sie im Ratgeber<br />

«Pflanzenschnitt» von Hansjörg Haas,<br />

GU Verlag 2017, ISBN 978-3-8338-6352-3<br />

Blüten Nebensache<br />

Duft, Farbe und Form der Blüten. All<br />

das sind Kriterien bei der Auswahl<br />

von Rosen. Aber das Laub? Ist das<br />

nicht Nebensache? Wer sich im Frühling<br />

schon einmal über die kahlen<br />

Triebe einer Rose geärgert hat, sollte<br />

weiterlesen. Bibernellrosen (Rosa<br />

spinosissima) zum Beispiel entfalten<br />

ihr gefiedertes Laub schon früh (siehe<br />

Foto oben). Ebenso die Moschata-Hybriden,<br />

zu denen der Klassiker ’Trier’<br />

zählt, aber auch neuere Züchtungen<br />

wie ’Twins’ und ’Jean Stephenne’. Allen<br />

gemein ist, dass sie von Natur aus<br />

gesund sind und keinerlei Pflanzenschutz<br />

benötigen. Sollten sie Läuse<br />

haben, einfach abwarten, bis sich<br />

Nützlinge einfinden. Nach zwei<br />

Wochen ist der Spuk meist vorbei.<br />

Duftes Laub<br />

Das Geruchsempfinden ist etwas sehr Persönliches. Nicht<br />

umsonst heisst es umgangssprachlich «jemanden nicht<br />

riechen können». Auch im Garten lassen sich unterschiedliche<br />

Noten erschnuppern, die von Blüten und Blättern<br />

verströmt werden. Letztere sind in der Regel ausdauernder.<br />

Meist wird der Duft erst bei Berührung frei, im Vorbeistreifen<br />

oder beim Reiben der Blätter. Durch Trocknen<br />

lassen sich die Aromen konservieren, weshalb sie sich für<br />

Räucherungen eignen. Blattdufter werden in vier Hauptgruppen<br />

eingeteilt: Terpentin (Rosmarin, Kiefernadeln),<br />

Kampfer- und Eukalyptus (Salbei, Lavendel, Thymian),<br />

Minze (Pelargonien) und Schwefel (Senf, Zwiebel).<br />

So zart die Blüten des Mutterkrauts (Tanacetum parthenium),<br />

so herb ist sein Duft. Deshalb besser nicht in der<br />

Nähe von Terrassen und Sitzplätzen pflanzen.<br />

8 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


Vorwiegend grün<br />

Vorgärten liegen meist<br />

auf der Nordseite des<br />

Hauses. Als ob das nicht<br />

schon herausfordernd<br />

genug wäre, sind sie oft<br />

auch noch handtuchklein.<br />

Grund genug, sich für<br />

Blattschmuckstauden zu<br />

entscheiden, die über viele<br />

Monate grüne Teppiche<br />

bilden, von Zeit zu Zeit<br />

erhellt durch kurze<br />

Blütenintermezzi.<br />

SECHS BLATTSCHÖNHEITEN FÜR DEN SCHATTEN<br />

Buch-<br />

Tipps<br />

Schattengarten<br />

Die Pflanzen,<br />

die Jahreszeiten,<br />

die Stimmungen<br />

Lenzrosen<br />

Helleborus<br />

Um ihre Blüten zu betrachten,<br />

müsste man sich eigentlich<br />

auf den Boden legen. Ihre<br />

wintergrünen, dekorativen<br />

Blätter haben dagegen<br />

Fernwirkung.<br />

Falsche Alraune<br />

Tellima grandiflora<br />

Eine eher unbekannte<br />

Blattschmuckstaude mit<br />

grünen Glöckchenblüten.<br />

Das Laub der Sorte ’Purpurteppich’<br />

hat eine schöne<br />

Herbstfärbung.<br />

Salomonsiegel<br />

Polygonatum multiflorum<br />

Eine einheimische Wildstaude<br />

mit überhängenden<br />

Blattwedeln und weissen<br />

Glöckchenblüten. In den<br />

Hintergrund pflanzen, da<br />

das Laub früh einzieht.<br />

Beth Chatto,<br />

DVA 2011<br />

ISBN 978-3-421-<br />

03808-1<br />

Schattenstauden<br />

Die dunkle Seite<br />

Ihres Gartens<br />

Katrin Lugerbauer,<br />

Ulmer Verlag 2017<br />

ISBN 978-3-8001-<br />

0831-2<br />

Elfenblume<br />

Epimedium<br />

Die wintergrünen Arten<br />

bilden mit ihrem herzförmigen<br />

Laub unter Gehölzen<br />

dichte Teppiche. Im Frühjahr<br />

spriessen zarte Blüten.<br />

Dreiblattspiere<br />

Gillenia trifoliata<br />

Feingliedriges Laub, das<br />

sich im Herbst orangerot<br />

verfärbt. Mit Frühlingsblühern<br />

kombinieren, da<br />

sie relativ spät austreibt.<br />

Ruprechtskraut<br />

Geranium robertianum<br />

Ein wilder, filigraner<br />

Überraschungsgast im<br />

Garten: Einjährig, ausbreitungsfreudig,<br />

aber leicht<br />

im Zaum zu halten.<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 9


Arbeiten<br />

im Februar<br />

Saisontipps<br />

KRIBBELN IM<br />

GRÜNEN DAUMEN ...<br />

Was darf jetzt schon im Freien gepflanzt werden?<br />

Nun hat das lange Warten endlich ein Ende. Die<br />

ersten Gemüsesorten für die kommende Saison<br />

können im Frühbeetkasten ausgesät und gepflanzt<br />

werden. Darin sind die Samen und Jungpflanzen<br />

vor möglichen Spätfrösten geschützt und es kann<br />

bis zu drei Wochen früher geerntet werden.<br />

Warme Füsse<br />

Vorangetrieben wird das Wachstum durch eine<br />

wärmende Bodenschicht aus Pferdemist oder halbverrottetem<br />

Kompost, die gleichzeitig als Nährstofflieferant<br />

dient. Auf diese Wärmepackung folgt eine<br />

Schicht Aussaaterde.<br />

WEISSER FLAUM<br />

Warum schimmelt Blumenerde?<br />

Zuerst einmal: Herzliche Gratulation!<br />

Wenn sich auf der Erde ein weissflaumiger<br />

Belag bildet oder anderweitig<br />

Pilze aus dem Erdreich der Zimmerpflanzen<br />

spriessen, ist das ein gutes<br />

Zeichen. Ihre Erde ist biologisch<br />

aktiv und lebendig. Ein Segen für alle<br />

Pflanzen.<br />

Der Grund für das Auftreten von<br />

Schimmel- und Hutpilzen ist das<br />

üppige Vorhandensein von wertvollem<br />

organischem Material in der<br />

Erde. Im Zusammenspiel mit Feuchtigkeit<br />

bietet dies den Pilzen einen<br />

optimalen Nährboden. Sobald die<br />

Pilze das organische Material verdaut<br />

haben, verschwinden sie genauso<br />

schnell, wie sie gekommen sind. Für<br />

ältere Pflanzen stellen solche Pilze<br />

keine Gefahr dar. Lediglich junge<br />

Pflanzen konkurrieren mit dem Pilz<br />

um Nährstoffe. Dies kann sie in ihrer<br />

Entwicklung hemmen.<br />

Geeignete Gemüsesorten<br />

Für eine Frühaussaat sind Schnitt- und Pflücksalat,<br />

Zuckererbsen, Karotten, Radieschen, Spinat, Rucola<br />

und natürlich Kohl, Kohlrabi, Randen und Lauch<br />

zur Voranzucht geeignet.<br />

Ein Frühbeetkasten findet nicht nur im Frühjahr<br />

zur Voranzucht Verwendung. Im Frühsommer können<br />

in ihm wärmebedürftige Gemüsesorten (Tomaten<br />

Paprika, Auberginen) herangezogen und im<br />

Herbst/Winter winterhartes Gemüse (Nüsslisalat,<br />

Winterspinat, Endiviensalat) kultiviert werden.<br />

Selbstverständlich beschränkt sich die Aufzucht<br />

nicht auf Gemüsepflanzen. Auch zur Aussaat von<br />

(Schnitt-)Blumen eignet er sich sehr gut.<br />

10 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


ARBEITEN IM FEBRUAR<br />

Saisontipps<br />

GRETCHENFRAGEN UM<br />

DIE ORCHIDEENPFLEGE<br />

Wer hat die Deutungshoheit?<br />

Fragen zur Pflege von Orchideenpflanzen<br />

werden zuweilen mit fast religiösem Eifer<br />

diskutiert. Darum sei der Begriff «Gretchenfrage»<br />

an dieser Stelle gerechtfertigt. In Johann<br />

Wolfgang von Goethes Tragödie Faust<br />

stellt Margarete, genannt Gretchen, die Frage:<br />

«Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?<br />

Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich<br />

glaub, du hältst nicht viel davon.» Hier also<br />

des <strong>Pflanzenfreund</strong>s «Orchideenreligion»:<br />

Knospe oder Blüte?<br />

Beim Kauf von Orchideenpflanzen stellt sich<br />

immer die Frage: Entscheide ich mich für<br />

jene Pflanzen mit vielen Knospen oder für<br />

jene mit den bereits offenen Blüten?<br />

Der neue Standort ist entscheidend.<br />

Kommt die Pflanze nach dem Kauf an einen<br />

eher dunklen Standort, unbedingt jene<br />

Pflanze mit vielen offenen Blüten nehmen.<br />

Je düsterer der Standort, desto mehr geschlossene<br />

Knospen werden abgestossen. An<br />

einem optimalen Standort direkt am Fenster<br />

öffnen sich hingegen alle Knospen und sie<br />

dürfen sich für eine knospige Pflanze entscheiden,<br />

die umso länger blühen wird.<br />

Blinde Passagiere mitgekauft?<br />

Kurze Zeit nachdem ich eine neue Orchideenpflanze<br />

bekommen habe, wurden alle meine anderen<br />

Pflanzen von Schädlingen befallen. Wurden<br />

die Schädlinge mit der neuen Pflanze eingeschleppt?<br />

Ja, das kann sein. Viele Schädlinge (z. B.<br />

Woll-, Schmier- und Schildläuse) werden<br />

erst dann sichtbar, wenn sie geschlechtsreif<br />

werden. Im Jungstadion sind sie mikroskopisch<br />

klein und quasi unsichtbar. Somit<br />

können Sie als «blinde Passagiere» zu Ihnen<br />

nach Hause gelangen. Daher ist es durchaus<br />

empfehlenswert, neue Orchideen vorsorglich<br />

zwei Mal im Abstand von fünf Tagen<br />

mit einem Spray gegen Schädlinge zu behandeln.<br />

Bremsen oder Gas geben?<br />

Wie viel und welcher Dünger ist in den<br />

unterschiedlichen Entwicklungsstadien<br />

angebracht?<br />

Pflanzen sind wie Menschen: Bezüglich<br />

Nährstoffen ist ein Einheitsbrei unpassend.<br />

Unsere Nährstoffbedürfnisse sind nach einem<br />

verregneten Sonntag auf dem Sofa vor<br />

dem Fernseher andere, als nach einem sportlichen<br />

Sonntagsspaziergang im Sonnenschein.<br />

Die blühende Orchideenpflanze ist<br />

eine Hochleistungssportlerin und hat einen<br />

entsprechend hohen Nährstoffbedarf. In<br />

dieser Phase sind regelmässige Gaben des<br />

speziellen Orchideenblütendüngers wichtig.<br />

Nach der Blüte kommt die Ruhephase, in<br />

welcher ab und zu etwas Orchideenblattnahrung<br />

angebracht ist.<br />

Wurzelschnitt oder Umtopfen?<br />

Wann ist es an der Zeit, einer älteren Orchideenpflanze<br />

ein Umtopfen zu gönnen?<br />

Dann, wenn sämtliche Wurzeln bereits über<br />

den Topfrand wachsen. Der optimale Zeitpunkt<br />

fürs Umtopfen ist das Frühjahr. Dabei<br />

werden abgestorbene und verfaulte Wurzeln<br />

vorsichtig abgeschnitten; die «saftigen»<br />

Luftwurzeln reagieren auf einen Schnitt eher<br />

empfindlich. Nach dem Um topfen sollte<br />

die Orchideenpflanze weder gegossen noch<br />

getaucht werden. Stattdessen besprühen<br />

Sie das Substrat die nächsten zwei bis drei<br />

Wochen täglich mit Regen wasser.<br />

Alle Bilder: © mauritius images<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 11


RASEN RECHEN<br />

Ist die schützende Schneedecke auf dem<br />

Rasen geschmolzen, kann auch schon zum<br />

Rechen gegriffen werden. Kehren Sie altes<br />

Laub von Ihrem Rasen zusammen, damit<br />

wieder Luft zur Grasnarbe gelangt. Durch<br />

das Rechen lösen sich auch miteinander verklebte<br />

Grashalme. So haben es Rasenschimmelpilze<br />

schwerer, Fuss zu fassen. Bleiben<br />

Sie aber weiterhin behutsam beim Betreten<br />

des Rasens, solange er noch nicht im Wachstum<br />

ist. So vermeiden Sie unschöne Brandstellen.<br />

Erst bei moderaten Temperaturen ist<br />

eine erste Düngung im Jahr vorzunehmen.<br />

© Adobe Stock<br />

SCHATTENSEITEN<br />

Frostrisse an Baumstämmen vermeiden<br />

Schlimmer als die Kälte ist für<br />

Baumstämme die Wintermorgensonne:<br />

Brennen die ersten Sonnenstrahlen<br />

eines Februarmorgens auf<br />

den gefrorenen Baumstamm, zerreisst<br />

es ihn. Darum ist es besonders im<br />

Februar wichtig, Baumstämme zu<br />

schattieren. Empfehlenswert ist<br />

ein Weissanstrich oder eine schützende<br />

Ummantelung (Vlies oder Jute).<br />

Geschickt haben es jene gemacht,<br />

die bei der Baumpflanzung den<br />

Stützpfahl auf der Südostseite des<br />

Baumstamms platziert haben, sodass<br />

dieser den Stamm schattiert.<br />

© mauritius images<br />

RHABARBER «FORCIEREN»<br />

Der Rhabarberkuchen ist nicht mehr weit ...<br />

Um dieses Jahr noch früher in den Genuss<br />

eines saftigen Kuchens zu kommen, kann<br />

Rhabarber unter einem Bleichtopf «forciert»<br />

werden. Auf diese Weise ist er um mindestens<br />

drei Wochen früher reif.<br />

Hierfür kommen spezielle, hohe Terracottagefässe<br />

ins Spiel. Über die Rhababerspitzen<br />

gestülpt, erwärmt sich die Luft im Gefäss<br />

schneller und die Dunkelheit treibt das<br />

Wachstum an. Nach sechs bis acht Wochen<br />

sind unter diesem Gefäss lange, feine pinkfarbene<br />

Rhabarberstängel mit blassen<br />

Blättern gewachsen. Diese eignen sich bereits<br />

zum Verzehr. Probieren Sie es aus; der<br />

gebleichte Rhabarber wird Sie mit seinem<br />

süsslichem Geschmack überraschen.<br />

© shutterstock<br />

12 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


ARBEITEN IM FEBRUAR<br />

Saisontipps<br />

GEGEN FERNWEH<br />

Ein Kapernstrauch selbst gezogen<br />

Jetzt, da niemand weiss, wann die nächsten<br />

Ferien im Süden möglich sind, hilft der eigene<br />

Kapernstrauch gegen Fernweh. Warum<br />

Kapern? Oleander- oder Zitruspflanzen<br />

hat jeder. So langweilig! Mit dem eigenen<br />

Kapernstrauch hat man die Ohs und Ahs<br />

auf sicher – spätestens dann, wenn sich die<br />

ersten Kapernblüten öffnen.<br />

So geht’s:<br />

1<br />

Legen Sie die Samen für zwölf Stunden<br />

in ein lauwarmes Wasserbad.<br />

2<br />

Es folgt eine zweimonatige Ruhephase<br />

in einer Plastiktüte im Kühlschrank.<br />

Kapernsamen sind Kaltkeimer. Für die<br />

weitere Entwicklung benötigen sie einen<br />

Kältereiz.<br />

3<br />

Anschliessend kommen die Samen<br />

noch einmal für zwölf Stunden in ein<br />

lauwarmes Bad.<br />

4<br />

In Anzuchtschalen, 1 cm tief gesetzt und<br />

ein wenig mit Substrat bedeckt, ruhen<br />

die Samen für weitere zwei bis drei Monate.<br />

Voraussetzung für eine erfolgreiche<br />

Keimung sind eine Umgebungstemperatur<br />

von 20 °C und umsichtige Wassergaben.<br />

5<br />

Ab Mai dürfen die jungen Kapernpflanzen<br />

an einem sonnigen Platz im Freien<br />

weiterkultiviert werden.<br />

© iStock<br />

©mauritius images<br />

THEORETISCH<br />

SIND SÄULEN ÄPFEL<br />

PFLEGELEICHT<br />

Ganz ohne Schnitt geht es jedoch nicht<br />

Die Werbung gaukelt einem vor, dass Säulenapfelbäume<br />

überhaupt nicht geschnitten werden müssen.<br />

Dies stimmt so nicht. Doch die gute Nachricht<br />

ist: Das Schneiden ist keine Hexerei.<br />

In der Theorie wächst das Fruchtholz direkt am<br />

Stamm, die blattlosen Seitentriebe (Internodien)<br />

sind auf ein Minimum verkürzt und die Spitzenförderung<br />

ist hervorgehoben. In der Realität bildet<br />

auch ein Säulenapfel, wenn auch nicht so stark wie<br />

Kronen bildende Apfelbäume, Seitentriebe aus. Ein<br />

pflegender Schnitt erhält die schlanke und ranke<br />

Form des Bäumchens. Zudem begünstigt ein jährliches<br />

Auslichten einen gleichbleibend hohen Ertrag.<br />

Längere Seitentriebe (mehr als 20 cm Länge)<br />

werden im Februar und im Juni auf eine Länge von<br />

15 cm gekürzt. Um mögliche Konkurrenztriebe sogleich<br />

im Keim zu ersticken, entfernen Sie mit dem<br />

Fingernagel an den Triebspitzen sitzende Seitenknospen.<br />

Um das Höhenwachstum in Schach zu<br />

halten, wird die Spitze oberhalb einer Astverzweigung<br />

gekürzt.<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 13


ARBEITEN IM FEBRUAR<br />

Saisontipps<br />

ICH HABE EINEN GARTEN GEERBT! WAS NUN?<br />

Fünf Gründe, warum Geduld wichtig ist.<br />

© GAP Gardens<br />

Die Aufregung ist in jedem<br />

Falle gross; egal, ob einen die<br />

zahlreichen Ideen überfordern<br />

oder einem die Ideen<br />

fehlen. Die Gestaltung des<br />

ersten eigenen Gartens ist<br />

ein emotionales Projekt. Das<br />

Angebot zu diesem Thema<br />

in Magazinen, Fachliteratur,<br />

Gartencentern, im TV und<br />

auf Social Media ist überwältigend.<br />

Die unendlichen<br />

Möglichkeiten bringen einen<br />

zum Träumen. Um sie zu<br />

verwirklichen, sollte man<br />

gut planen und vielleicht<br />

auch Unterstützung einer<br />

Fachperson suchen.<br />

Aber das Allerwichtigste<br />

und Wertvollste ist ein Jahr<br />

Geduld zur Beobachtung.<br />

Ein neuer Garten muss unbedingt<br />

zuerst einmal über<br />

die vier Jahreszeiten hinweg<br />

erfahren und beobachtet<br />

werden, um sich ein Bild<br />

von den Gegebenheiten zu<br />

machen.<br />

Wie verläuft der Schatten?<br />

Wo stört die Sonne<br />

im Hochsommer?<br />

Der vermeintlich optimale<br />

Platz für den Sitzplatz entpuppt<br />

sich plötzlich als<br />

nicht so praktisch. Er ist zu<br />

zugig, die Sonne scheint in<br />

einem lästigen Winkel oder<br />

der bestehende Schattenbaum<br />

sorgt mit Blütenblättern<br />

in der schönsten Jahreszeit<br />

für Mühsal und verunmöglicht<br />

den Genuss am<br />

Esstisch.<br />

Wie verhält sich das<br />

Erdreich nach einem<br />

Dauerregen?<br />

Für die prächtige Wunschpflanze<br />

ist schnell der<br />

schönste Standort bestimmt.<br />

Aber wie verhält sich dort<br />

der Boden, wenn es einmal<br />

einen Monat ohne Unterbruch<br />

regnet? Die wertvolle<br />

Pflanze serbelt plötzlich dahin,<br />

weil sie im stehenden<br />

Untergrundwasser ersäuft.<br />

Welche Pflanzen gedeihen<br />

momentan gut,<br />

welche nicht?<br />

Wenn ein älterer Garten<br />

übernommen wird, ist das<br />

Beobachten der bestehenden<br />

Pflanze wertvoller als<br />

© mauritius images<br />

jede Bodenprobe. Die Pflanzen<br />

«erzählen» einem ziemlich<br />

offensichtlich, wie das<br />

Erdreich beschaffen ist. Davon<br />

lässt sich die Platzierung<br />

von Neupflanzen am<br />

besten ableiten und man<br />

erkennt, wo vor der Neupflanzung<br />

zuerst Bodenarbeit<br />

nötig ist.<br />

Mut zur Mischung!<br />

Egal, ob jemand an den<br />

Klimawandel glauben mag<br />

oder nicht: Alle Pflanzen<br />

sind von den klimatischen<br />

Bedingungen momentan<br />

herausgefordert – manche<br />

sogar überfordert. Pflanzenempfehlungen<br />

sind heute<br />

nicht mehr so eindeutig<br />

möglich wie früher. Die<br />

einzige Möglichkeit zur Vermeidung<br />

von Überraschungen<br />

ist der Verzicht auf Einheitshecken<br />

und -pflanzungen.<br />

Haben Sie Mut zur<br />

kunterbunten Mischpflanzung.<br />

Sie allein ist Garant<br />

für eine «pflanzentechnisch»<br />

sorgenlose Gartenzukunft.<br />

Wie viel Zeit möchte<br />

ich investieren?<br />

Machen Sie sich auch Gedanken,<br />

ob Sie sich gerne<br />

mit Pflanzen beschäftigen<br />

und wie viel Zeit Sie für die<br />

Pflege Ihres Gartens aufbringen<br />

möchten. Pflanzen haben<br />

unterschiedliche Ansprüche<br />

an Boden, Pflege<br />

und Schnitt. So kann ein Gemüsebeet,<br />

das fast rund ums<br />

Jahr bestellt wird, zeitintensiver<br />

sein als ein gut etabliertes<br />

Staudenbeet. Letzteres<br />

benötigt in der kalten<br />

Jahreszeit vielleicht nur ein<br />

wenig Winterschutz und im<br />

Frühjahr einen Schnitt.<br />

14 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


Kolumne<br />

Erdreich<br />

AUS DEM DORNRÖSCHEN-<br />

SCHLAF WECKEN<br />

Rückschnittzeit im Staudengarten<br />

Ende Februar werden im Staudengarten Blütenstände<br />

und Stängel geschnitten, die über den<br />

Winter der Fauna als Nahrung und Unterschlupf,<br />

und der Flora als Win terschutz dienten.<br />

Staudenschnitt<br />

Alle vertrockneten, abgestorbenen Stängel der<br />

krautigen Pflanzen werden bodennah in einer<br />

Höhe von 5 bis 10 cm abgeschnitten. Weiter geht<br />

es mit der Gartenschere an die Triebspitzen. Behutsam<br />

erfolgt hier der Schnitt bis zu den schlafenden<br />

Knospen. Dieser Rückschnitt treibt einen buschigen<br />

Wuchs voran, verhindert ein zu kräftiges Höhenwachstum<br />

und bietet den Neutrieben mehr<br />

Licht und Luft.<br />

Ziergräserschnitt<br />

Auch die immergrünen Gräser erwachen durch<br />

einen sanften Schnitt der dürren Halme aus ihrem<br />

Dornröschenschlaf. Da die wärmenden Sonnenstrahlen<br />

ungehindert zum Herz der Pflanze dringen<br />

können, ist der Neuaustrieb umso kräftiger.<br />

Sommergrüne Gräser wie Chinaschilf, Rutenhirse<br />

und Pampasgras erhalten ihren bodennahen<br />

Schnitt erst im April. Hier eilt der Schnitt nicht,<br />

da sie erst später im Frühjahr austreiben.<br />

Nach dem Schnitt<br />

Rechtzeitig vor dem Austrieb werden die Stauden<br />

und Gräser gedüngt. Empfehlenswert sind organische<br />

Dünger wie Kompost, ’OrBrun’ oder ’Bionika<br />

Schwarzerde’. Diese strotzen nicht nur vor Nährstoffen,<br />

sie verbessern auch den Boden, sorgen für einen<br />

harmonischen Wasser- und Lufthaushalt und<br />

aktivieren müde Böden. Voraussetzung für die Düngergaben<br />

ist ein schnee- und frostfreier Boden.<br />

Vor gar nicht allzu langer Zeit<br />

durfte der Boden noch Boden<br />

sein und sich in seiner eigenen<br />

Geschwindigkeit regenerieren.<br />

In der Geschichte der Menschheit<br />

ist die Ausbeutung unserer<br />

Lebensgrundlage ein sehr junges<br />

Geschehen. Vor nunmehr<br />

200 Jahren warnte Alexander<br />

von Humboldt schon vor den<br />

Folgen der Ausbeutung an<br />

Menschen und Tieren. Er war<br />

sicher einer der ersten Klimaschützer.<br />

Einer der grossen Naturforscher,<br />

der den Regenwurm Tag<br />

und Nacht beobachtete, war<br />

Charles Darwin. Er erkannte,<br />

dass es in der Erde ein Bodenpersonal<br />

gibt und dass Humus<br />

ein endliches Gut ist.<br />

Stellen Sie sich vor: In einer<br />

Handvoll Erde sind so viele<br />

Mikroorganismen wie auf<br />

dieser Welt Menschen leben.<br />

Unvorstellbar. Dies gilt es zu<br />

achten und zu bewahren.<br />

Umso wichtiger ist es,<br />

Humus wieder als Hebel zu<br />

sehen. Er ist der grösste CO2-<br />

Speicher des Planeten. In ihm<br />

werden weltweit Millionen<br />

Tonnen Kohlenstoff gebunden.<br />

Auch ist der Boden eng mit<br />

unserer Gesundheit verwo -<br />

ben – wir sind Teil der Umwelt<br />

und nicht umgeben von ihr.<br />

Der bekannte Anthroposoph<br />

Rudolf Steiner und Hans Peter<br />

Rusch, Mikrobiologe und Vordenker<br />

der ökologischen Landwirtschaft,<br />

stellten Folgendes<br />

fest: Jene Bakterien, die wir im<br />

Rachenraum haben, finden<br />

wir in der oberen Bodenschicht<br />

und jene Bakterienkulturen,<br />

die wir im Darm haben, sind in<br />

der Humusschicht nachweisbar.<br />

FAZIT: Wir sind unzertrennbar<br />

mit dem Boden verbunden.<br />

In Österreich war letztes Jahr<br />

das Sachbuch Nummer 1: Das<br />

leise Sterben. Dr. Martin Grassberger<br />

hat darin eindrücklich<br />

beschrieben, wie wichtig es ist,<br />

unsere Nahrungsmittel in lebendigen<br />

Böden heranzuziehen.<br />

Damit wird unser Immunsystem<br />

gestärkt und die natürliche<br />

Vielfalt im Darm stärkt<br />

uns.<br />

Und lassen wir die anthroposophischen<br />

Gedanken einfliessen,<br />

dann steht fest: Aus der<br />

Erde kommendes, leben diges,<br />

biologisches Essen macht uns<br />

gesund, vital und eigenständig<br />

denkend.<br />

Autorin:<br />

Angelika Ertl<br />

Den Nährboden für ihre Leidenschaft<br />

bildete der elterliche<br />

Gartenbaubetrieb, den sie leitet.<br />

Angelika Ertl ist ORF Biogärtnerin,<br />

Autorin und Unternehmerin.<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 15


ARBEITEN IM FEBRUAR<br />

Saisontipps<br />

Mondkalender<br />

Hier finden Sie monatlich eine gekürzte<br />

Version aus dem Appenzeller «Saatund<br />

Pflanzkalender 2021 – Gärtnern<br />

nach Mondlauf und Tierkreiszeichen».<br />

Februar<br />

Montag 1 12 h •<br />

Dienstag 2 •<br />

Mittwoch 3 • 15 h • •erdnah<br />

Donnerstag 4 • •18.37<br />

Freitag 5 • 18 h<br />

Samstag 6<br />

Sonntag 7 !<br />

Montag 8 ! •<br />

Dienstag 9<br />

Mittwoch 10 2 h •<br />

Donnerstag 11 • ● 20.06<br />

Freitag 12 • 8 h •<br />

Samstag 13 •<br />

Sonntag 14 • 17 h<br />

Montag 15<br />

Dienstag 16<br />

Mittwoch 17 4 h<br />

Donnerstag 18 •erdfern<br />

Freitag 19 17 h • •19.48<br />

Samstag 20 •<br />

Sonntag 21 !<br />

Montag 22 • 5 h •<br />

Dienstag 23 ! •<br />

Mittwoch 24 • 13 h<br />

Donnerstag 25<br />

Freitag 26 18 h<br />

Samstag 27 ○ 9.17<br />

Sonntag 28 20 h •<br />

Die Pflanzen werden in vier Gruppen<br />

eingeteilt: Erde – Wurzel, Licht – Blüte,<br />

Wasser – Blatt, Wärme – Frucht. Im<br />

Kalender finden Sie die Zeichen dafür,<br />

welche Tage für welche Pflanzenart<br />

besonders güns tig sind:<br />

Zu den Wurzelpflanzen gehören<br />

z. B.: Radieschen, Randen, Sellerie,<br />

Schwarzwurzeln, Karotten, Rettich,<br />

Kartoffeln und Zwiebeln.<br />

• Zu den Blattpflanzen gehören z. B.:<br />

Alle Blattsalatsorten, Spinat, Lauch,<br />

Kohlarten und Blattkräuter.<br />

• Zu den Blütenpflanzen gehören<br />

z. B.: Alle Blumen.<br />

Zu den Fruchtpflanzen gehören<br />

z. B.: Erbsen, Bohnen, Tomaten,<br />

Gurken, Zucchetti, Kürbisse, alle<br />

Getreidearten, Obstbäume und<br />

Beerensträucher.<br />

! Achten Sie besonders auf die kritischen<br />

Tage.<br />

Die grün markierten Kalendertage<br />

sind besonders günstige Pflanztage<br />

zum Säen, Setzen,<br />

Umtopfen (absteigender Mond).<br />

Mondzeichen<br />

○ Vollmond<br />

• Letztes Viertel<br />

● Neumond<br />

• Erstes Viertel<br />

• Obsigend, aufsteigend<br />

• Nidsigend, absteigend<br />

• Abstand zur Erde<br />

1. bis 7., 24. bis 28. Im Nidsigend ist<br />

allgemein eine gute Zeit, um Balkonpflanzen,<br />

ungeschützt überwinterte Rosen,<br />

Obstbäume, Reben und Sträucher<br />

zu schneiden. Für den Rebenschnitt<br />

sollte der Boden schon gut abgetrocknet<br />

sein. Für Fruchtpflanzen Fruchttage<br />

vorziehen. Zum Schneiden von Blütensträuchern<br />

eignen sich Blütentage, die<br />

sich auch für die Aussaat der frühen<br />

Sommerblumen auf der Fensterbank<br />

oder im Gewächshaus empfehlen.<br />

1. bis 12h, 28. bis 20h Wurzeltage bei<br />

abnehmendem Mond und nidsigend:<br />

Wurzelgemüse und Wurzelkräuter in<br />

Saatschale im Gewächshaus säen.<br />

3. Mond erdnah: Günstig zum Düngen.<br />

3. 15h bis 5. 18h, 24. bis 13h Blatttage<br />

im Nidsigend: Blattgemüse in Saatschalen<br />

im Gewächshaus säen.<br />

6., 24. ab 13h bis 26. 18h Fruchttage<br />

im Nidsigend: Zucchetti, Tomaten etc.<br />

in Saat schale im Gewächshaus säen.<br />

9. bis 22. Im Obsigend Pfropfreiser und<br />

Stecklinge schneiden. Besonders günstig<br />

sind die Widder-Tage (Frucht tage<br />

vom 14. 17h bis 16.).<br />

11. Neumond im Obsigend: Kranke<br />

und von Schädlingen befallene Pflanzen<br />

zurückschneiden.<br />

27. Vollmond: Zimmerpflanzen<br />

düngen.<br />

7., 8., 21., 23. Kritische Tage.<br />

Saat- und<br />

Pflanzkalender<br />

→ verlagshausschwellbrunn.ch<br />

16 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


© Kerstin Rolfes<br />

Gärtnern ohne Garten<br />

Pflanzenglück<br />

auf kleinem Raum<br />

Die meisten Menschen sind überrascht, wenn sie hören, dass<br />

ihr Garten nur sechs Quadratmeter gross ist. Melanie Öhlenbach<br />

stört das nicht. Im Gegenteil, sie liebt ihr kleines Paradies<br />

und würde es nicht gegen eine Parzelle eintauschen.<br />

Zum Gärtnern braucht es keinen Garten. Tomaten,<br />

Salate, Erdbeeren, Bohnenkraut und Schnittlauch<br />

wachsen auch auf Balkon und Terrasse. Ab dieser<br />

Ausgabe gebe ich Ihnen Tipps, wie Sie Gemüse,<br />

Obst und Kräuter anbauen können – mitten in der<br />

Stadt oder anderswo auf kleinstem Raum.<br />

Was machen Sie eigentlich mit einer Kartoffel,<br />

die frisch austreibt? Selbst wenn sie zum Essen<br />

nicht mehr taugt: Wegwerfen müssen Sie sie nicht.<br />

Ich habe eine solche Kartoffel mal in einen Kübel<br />

mit Erde gesteckt. Einfach so. Aus Neugier. Und siehe<br />

da: Im Sommer konnte ich tatsächlich ein halbes<br />

Kilo winziger Knollen ernten. Aus einer Kartoffel,<br />

die sonst im Müll gelandet wäre.<br />

Im Sommer 2013 war das. In jenem Jahr erntete<br />

ich auch meine ersten Tomaten. Mit ’Rote Murmel’<br />

und ’Golden Currant’ hatte ich zwei pflegeleichte,<br />

reichtragende Wildsorten erwischt, die mich endgültig<br />

davon überzeugten: Leckeres Gemüse anbauen<br />

– das schafft jede*r! Und es klappt sogar ohne<br />

Garten.<br />

Inzwischen wachsen mehr als 50 Sorten Gemüse,<br />

Kräuter, Obst, Blumen und Wildpflanzen auf meinem<br />

Stadtbalkon. Gerade mal sechs Quadratmeter<br />

ist er gross, der Platz reicht eigentlich nie. Denn<br />

jede Saison entdecke ich aufregende neue und alte<br />

Sorten: blaue Kartoffeln, unverwüstlichen Schnittknoblauch,<br />

essbare Chrysanthemen und, und, und.<br />

Meine Erfahrungen und Entdeckungen teile ich<br />

auf meinem Blog Kistengrün. Wissen weitergeben<br />

ist aber nicht nur persönliche Leidenschaft. Als<br />

freiberufliche Journalistin schreibe ich Bücher<br />

übers Balkongärtnern sowie Beiträge für Zeitungen<br />

und Magazine. In der Radiosendung «Grüner<br />

wird’s nicht» bei Bremen Eins gebe ich freitags<br />

(bis März nur am 1. Freitag im Monat) ab 11 Uhr<br />

Tipps fürs nachhaltige Gärtnern.<br />

Bei meinen Vorträgen freue ich mich, dass sich immer<br />

mehr Menschen für das Gärtnern in Kisten<br />

und Kübeln begeistern – ob auf Fensterbank, Balkon<br />

oder Terrasse. Probieren Sie es einfach mal aus!<br />

Irgendwas wächst immer. Manchmal sogar aus einer<br />

gekeimten Kartoffel.<br />

Noch mehr Lesenswertes unter:<br />

→ www.kistengruen.de<br />

Februar-Tipp<br />

Pflanzen Sie austreibende<br />

Zwiebeln und Knoblauch<br />

in einen Blumentopf<br />

auf der Fensterbank.<br />

Halten Sie die Erde leicht<br />

feucht. In den kommenden<br />

Wochen können Sie<br />

mehrfach würziges Grün<br />

schneiden. Für selbstgemachten<br />

Kräuterquark<br />

verwenden.<br />

Mein Stadtbalkon.<br />

Kosmos, 2020.<br />

ISBN 978-3440167755<br />

Grüner geht’s nicht.<br />

Nachhaltig gärtnern<br />

auf dem Balkon.<br />

Kosmos, 2021.<br />

ISBN 978-3440171103<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 17


Wissen<br />

Die Unentbehrlichen<br />

Lockern, krümeln, schneiden, giessen und jäten: Diese Werkzeuge<br />

bringen den Garten in Bestform. Sie sollten in keinem Schopf<br />

fehlen. Hochwertige Qualitätsprodukte gehen uns dabei mitunter<br />

ein Leben lang zur Hand. Text: Roland Grüter<br />

DOPPELGRABEGABEL<br />

Grelinette, Broadfork oder<br />

Spatengabel<br />

Dieses Gerät schont das<br />

Boden leben – und vor allem<br />

durch lüftet es das Erdreich,<br />

ohne das natur gegebene Ordnungssystem<br />

umzupflügen.<br />

SAUZAHN<br />

Sogenannte Kultivatoren<br />

haben die Auf gabe,<br />

die obere Bodenschicht<br />

schonend zu lockern und<br />

zu belüften – denn auch<br />

die Wurzeln der Pflanzen<br />

sind auf Sauerstoff angewiesen.<br />

KRÄUEL<br />

Krail, Kreil, Krell, Kralle, Reisser,<br />

Dunghaken, Vierzahn<br />

Vier Zacken für ein Halleluja!<br />

Dieses Gerät lockert im Frühling<br />

die Bodenoberfläche schonend<br />

und rücksichtsvoll – kommt un -<br />

ter anderem in der Vorbereitung<br />

des Saatbettes zum Einsatz.<br />

JÄTWERKZEUG<br />

Wo der Boden gesund ist,<br />

wachsen auch Beikräuter.<br />

Mit der Rosengabel lassen<br />

sie sich zielgenau aus den<br />

Beeten heben.<br />

Mit der Pendelhacke<br />

schabt man sie vom Kies<br />

ab, ohne den Belag zu<br />

schädigen und damit<br />

offene Flächen für neues<br />

Beikraut zu schaffen.<br />

18 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


WISSEN<br />

Die Unentbehrlichen<br />

DAMENSPATEN<br />

oder Schaufel<br />

Am Anfang des Gartenglücks<br />

klafft oft ein Loch – darin versenken<br />

wir Pflanzen. Hier<br />

kommen Spaten und Schaufel<br />

zum Einsatz, im Unterhalt sollte<br />

man sie möglichst wenig<br />

einsetzen.<br />

WIEDEHOPF-<br />

HACKE<br />

Zwei auf einen Schlag –<br />

sie vereint Axt und Hacke.<br />

Ein Werkzeug für Arbeiten<br />

in stark durchwurzelten<br />

Böden. Die Erde wird mit<br />

der Hacke aufgebrochen<br />

und die Wurzeln mit<br />

der Axt gekappt.<br />

GIESSKANNE<br />

SCHERE<br />

Taugliche Modelle kosten<br />

zwar deutlich mehr als Billigprodukte,<br />

dafür halten<br />

sie uns ein Leben lang die<br />

Treue. Gilt es grossgewachsene<br />

Büsche in Form zu<br />

halten, muss eine Astschere<br />

her.<br />

MESSER<br />

Eine scharfe Klinge ist nötig,<br />

um Stauden im Frühling zu<br />

kürzen oder im Sommer Blumen<br />

für die Vase zu schneiden.<br />

Im Garten gibt es unzählige<br />

Gründe, das Messer<br />

zu zücken. Gut, findet es in<br />

jeder Tasche Platz.<br />

Wasser ist im Garten eine<br />

kostbare Ressource – und sollte<br />

sparsam eingesetzt werden.<br />

Wo es aber nötig ist, kommt<br />

die Kanne zum Tragen. Kunststoffmodelle<br />

sind übrigens<br />

leichter als metallene.<br />

Bilder: © Andermatt Biogarten AG, © Hortima AG (Grosshandel), Wytor AG, Sneeboer, Adobe Stock, Manufactum<br />

RECHEN<br />

Sie sind die behutsamen Saubermacher<br />

im Garten – einerseits<br />

räumen sie im Herbst<br />

Laub weg, andererseits lassen<br />

sie Beete aussehen wie frisch<br />

gemachte Betten. Damit darin<br />

die Saatreihen schnurgerade<br />

gelingen.<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 19


Leguminosen wie Soja<br />

bilden stickstoffreiche<br />

Knöllchenbakterien.<br />

20 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


Unter der<br />

Oberfläche<br />

Im Untergrund unserer Gärten kreucht und fleucht es ohne<br />

Ende. Das Edaphon – das Bodenleben – ist ein fein abgestimmtes<br />

Zusammenspiel von Billionen von Mikro- und Makroorganismen.<br />

Wer dessen Regeln kennt und unterstützt, wird reich belohnt. Und<br />

hat weniger Arbeit. Text: Roland Grüter<br />

© Shutterstock<br />

Die meisten Hobbygärtnerinnen und -gärtner<br />

sind davon überzeugt, sich mit grosser<br />

Sorgfalt um die Böden ihrer Paradiese zu<br />

kümmern – indem sie diesen regelmässig<br />

(hoffentlich) biologischen Dünger zuführen<br />

und von chemischen Keulen absehen. Zwar<br />

sind solche Anstrengungen lobenswert:<br />

Doch sie zielen am Erdreich vorbei und dienen<br />

vor allem den darin wachsenden Pflanzen.<br />

Dabei wären die Böden ebenfalls auf<br />

Fürsorge angewiesen, nur wissen das die<br />

meisten grünen Däumlinge nicht. Stattdessen<br />

tragen sie jedes einzelne welke Blatt aus<br />

ihren Gärten. Sie hacken, graben oder schichten<br />

darin die Erde um, als wären sie im Tiefbau<br />

beschäftigt – und übersehen geflissentlich,<br />

dass sie mit diesen Eingriffen eine naturgegebene<br />

Kraft schwächen, die ihnen die<br />

Arbeit enorm erleichtern und vor allem bereichern<br />

würde: das Edaphon, das Bodenleben.<br />

Denn unter der Erdoberfläche wirkt ein<br />

minutiös aufeinander abgestimmter Mikround<br />

Makrokosmos, der Grundlage für gesunde<br />

Pflanzen ist. «Das Bewusstsein, dass der<br />

Boden ein eigenständiges, komplexes Biotop<br />

ist, erwacht erst langsam», sagt die österreichische<br />

Biogärtnerin Angelika Ertl. Sie selber<br />

beschäftigt sich seit 20 Jahren intensiv mit<br />

ökologischen Themen im Garten.<br />

Eine Handvoll Erde voller Leben<br />

Also schauen wir erst genau hin, was sich<br />

unterhalb der Gartenschuhe zuträgt – und<br />

es trägt sich beeindruckend viel zu. Allein<br />

eine einzige Handvoll Bodenerde vereint<br />

mehr Lebewesen als die Weltbevölkerung:<br />

darunter Pilze, Einzeller, Fadenwürmer, Bakterien<br />

und viele andere Mikroorganismen.<br />

Gemäss Biologen leben in 30 Zentimetern<br />

Tiefe auf einem Quadratmeter rund 50 Asseln,<br />

80 Regenwürmer, eine Million Fadenwürmer<br />

und Wimpertierchen, eine Milliarde<br />

Pilze und eine Billion Bakterien. «Wir können<br />

also behaupten: Unter unseren Füssen<br />

tobt das Leben», bilanzieren die Wissenschaftler<br />

mit Blick auf die Vielfalt. Mehr als<br />

zurecht.<br />

Die Vertreter der Mikro-, Meso- und Makrofauna<br />

leben mit- aber oft genug auch voneinander.<br />

Das erklärte Ziel des stetigen Fressens<br />

und Gefressenwerdens: Abgestorbenes<br />

organisches Material – Pflanzenreste, Laub,<br />

die unzähligen Insektenkadaver – zu zersetzen<br />

und dieses in Nährstoffe für Pflanzen<br />

umzuwandeln. Die Erdbewohner stehen<br />

hierfür untereinander in engem Kontakt –<br />

ein Dialog, in den selbst Pflanzen eingeschlossen<br />

sind. An deren Wurzeln wachsen<br />

feine Haare, die ebenfalls von Mikroorganismen<br />

bevölkert sind. Diese signalisieren ihren<br />

umliegenden Kollegen, wenn ihre Wirtspflanze<br />

Nährstoffe braucht und sogar welche.<br />

Diese liefern die verlangten Stoffe an<br />

und erhalten im Gegenzug von der Pflanze<br />

Zuckerstoffe. «Dieser Austausch ist komplex<br />

und höchst beeindruckend», sagt Angelika<br />

Ertl. «Er ist sozusagen der Schlüssel des<br />

Gärtnerglücks.»<br />

Müde Böden beleben<br />

Was also tun, wenn der Boden mehr Matsch<br />

als Paradies ist? Wie sehen taugliche Wellnesskuren<br />

für den Boden aus? Angelika Ertl<br />

hat vergangenes Jahr die wichtigsten<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 21


WISSEN<br />

Unter der Oberfläche<br />

© Erhard Possin<br />

Bodenlebewesen in 30 cm-Tiefe (pro m2)<br />

Massnahmen in ihrem Ratgeber «Das grosse<br />

Boden-ABC» zusammengetragen. Zu den<br />

bewährten Methoden gehört das Mulchen:<br />

das Aufschichten von pflanzlichem Schnittgut<br />

auf der Erdoberfläche, ob getrocknet<br />

oder frisch. Auch das Einbringen von halbverrottetem<br />

Kompost oder organischem<br />

Dünger (Hornspäne) gehört dazu. Oder<br />

Gründüngungen, die der Erde Stickstoff geben<br />

und deren Strukturen verbessern. Dabei<br />

kommen vor allem Leguminosen wie Lupinen,<br />

Wicken, Erbsen, Bohnen und Kleearten<br />

zum Einsatz. Besonders hilfreich ist Gründüngung,<br />

wenn sie das Einbringen von<br />

Kompost oder das Mulchen ergänzt. Denn<br />

nur Böden mit ausgeglichenem Klima, reichlich<br />

Grobporen und viel Laubstreu können<br />

Schauplätze eines reichen Bodenlebens sein.<br />

«Viele Gärtner meinen, ihr Glück liege alleine<br />

bei den Pflanzen», sagt Angelika Ertl.<br />

«Dabei liegt es im Boden selber: Wenn der<br />

Boden nichts zu bieten hat, kann die Pflanze<br />

darin nicht gedeihen.»<br />

Nahrung für Bodenlebewesen<br />

Gemeinhin simulieren alle Massnahmen,<br />

Pflanzliche Mikroorganismen<br />

Bakterien<br />

50 g 1 000 000 000 000<br />

Strahlenpilze<br />

50 g 10 000 000 000<br />

Pilze<br />

100 g 1 000 000 000<br />

Algen<br />

1 g 1 000 000<br />

Tierische Mikroorganismen<br />

Geisseltierchen<br />

500 000 000 000<br />

Wurzelfüsser<br />

10 g 100 000 000 000<br />

Kleintiere<br />

Wimpertierchen<br />

1 000 000<br />

Rädertiere<br />

0,01 g 25 000<br />

Fadenwürmer<br />

1 g 1 000 000<br />

Milben<br />

1 g 100 000<br />

Springschwänze<br />

0,6 g 50 000<br />

Grössere Kleintiere<br />

Borstenwürmer<br />

2 g 10 000<br />

Schnecken<br />

1 g 50<br />

Spinnen<br />

0,2 g 50<br />

Asseln<br />

0,5 g 50<br />

Vielfüssler<br />

4,5 g 300<br />

Käfer und Larven<br />

1,5 g 100<br />

Zweiflüglerlarven<br />

1 g 100<br />

übrige Kerbtiere<br />

1 g 150<br />

Regenwürmer<br />

40 g 80<br />

© mauritius images<br />

© flora press<br />

Links: So vielschichtig ist<br />

das Leben im Untergrund.<br />

Unten: Ein Springschwanz<br />

22 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


© mauritius images<br />

Buch-<br />

Tipps<br />

Links: Bokashierte Gemüsereste<br />

führen dem<br />

Boden Nährstoffe zu.<br />

Rechts: Grünschnitt als<br />

Mulch im Gemüsebeet.<br />

Unten: Den Boden behutsam<br />

bearbeiten, um<br />

die Bodenorganismen<br />

nicht zu stark zu stören.<br />

© GAP Gardens<br />

Angelika Ertl, Oliva<br />

Verlag, 2019: Hilfreiche<br />

Tipps, wie man das<br />

«natürliche Bodenpersonal»<br />

– Mikroorganismen,<br />

Pilze & Co. –<br />

im Garten nutzt und<br />

wie Pflanzen davon<br />

profitieren.<br />

die auf das Erdgut zielen, die Mechanismen<br />

der Natur. Sie wollen dem Edaphon Nahrung<br />

zuführen, das Schwungrad des Erdlebens<br />

antreiben. Dafür werden meist organische<br />

Stoffe auf die Erde gelegt oder sachte in<br />

die oberste Schicht eingearbeitet. «Die Natur<br />

bohrt ja auch keine Löcher, um Nährstoffe<br />

in die Tiefe zu bringen», sagt Angelika Ertl.<br />

«Diese Aufgabe erledigt die Bewohnerschaft<br />

und sie erledigt sie überzeugend.» Ausgelaugte<br />

Böden peppt die Gartenfachfrau mit<br />

fermentierten oder bokashierten Gemüseresten<br />

auf. Diese lässt sie in speziellen Behältern<br />

und unter Ausschluss von Sauerstoff<br />

verrotten. Der Handel bietet ebenfalls diverse<br />

Produkte an, die das Leben im Untergrund<br />

aufwerten wollen. Dazu zählen beispielsweise<br />

Terra-Preta-Produkte (eine Mischung<br />

aus Pflanzenkohle und natürlichem<br />

Dünger) oder Lösungen mit sogenannten<br />

Effektiven Mikroorganismen. Diese Booster<br />

funktionieren langfristig jedoch nur, wenn<br />

man sie mit anderen Methoden kombiniert,<br />

etwa mit Mulchen.<br />

Das Gartenlatein greift also tiefer als vermutet.<br />

Das nachhaltige Hegen des Bodens<br />

beginnt übrigens mit Gelassenheit. Wer<br />

im Herbst das Laub liegen lässt, weniger<br />

oder gar nicht zum Spaten greift und die<br />

Natur möglichst ungestört walten lässt,<br />

leistet einen wichtigen Beitrag dazu. Allenfalls<br />

lohnt es sich, den Boden zu untersuchen,<br />

um zu garantieren, dass es den Billionen<br />

Erdbewohnern an nichts mangelt und<br />

damit das naturgegebene Gleichgewicht gewahrt<br />

bleibt. Danach aber heisst es: Zurücklehnen<br />

und die Wunder der Natur wirken<br />

lassen. Diese sind höchst effizient, auch<br />

ohne menschliche Regie.<br />

Brunhilde Bross-Burkhardt,<br />

Haupt Verlag,<br />

2017: Die Agrarwissenschaftlerin<br />

und versierte<br />

Gemüsegärtnerin gibt<br />

Antworten auf Fragen<br />

der Bodenbestimmung,<br />

der Bearbeitung und<br />

Pflege.<br />

Blaise Leclerc, Stocker<br />

Leopold Verlag, 2019:<br />

Ein Standardwerk, in<br />

dem die Autoren beschreiben,<br />

wie die komplexen<br />

Vorgänge im Boden<br />

ablaufen und welche<br />

Möglichkeiten der<br />

Bearbeitung es gibt.<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 23


Gastkommentar<br />

Dürrenmatt und<br />

die Laubpuster<br />

Zum Autor<br />

Jörg Pfenningschmidt aus<br />

Hamburg schreibt für das<br />

deutsche Gartenmagazin<br />

«Kraut und Rüben», ist Staudenplaner<br />

und Autor des<br />

Buches «Hier wächst nichts».<br />

Eine humorvolle Abrechnung<br />

mit dem vermeintlichen Versprechen<br />

des Pflegeleichten,<br />

der Ökowohlfühlwelt, Easy-<br />

Gardening-Ratgebern und<br />

Gartenarchitekten.<br />

Text: Jörg Pfenningschmidt Die Schweiz hat mich als gärtnernden Hamburger dreifach<br />

geprägt: Friedrich Dürrenmatt bewegte meinen Geist, Lindt & Sprüngli formten<br />

meinen Körper und Felco 2 begleitet mich im Garten. Immer. In einem Köcher aus<br />

Leder hinten rechts am Gürtel. Ist sie nicht da, werde ich nervös und unglücklich.<br />

Es gibt kaum etwas Konservativeres als Gartenwerkzeug. Womit arbeiteten Menschen<br />

im Schatten der Pyramiden, in mittelalterlichen Klostergärten oder in den Parks<br />

des Sonnenkönigs? Spaten, Krail, Hacke. Genau wie heute. Die Namen mögen sich<br />

ändern, das Werkzeug bleibt das gleiche. Alle Versuche, in den letzten hundert Jahren<br />

neue Gartengeräte einzuführen, sind kläglich gescheitert. Erinnern Sie sich noch<br />

an die Gartenkralle? Ein eigenartiges Gerät, mit dem durch Drehen in der Erde Unkrauthacken<br />

und Bodenlockern angeblich mühelos und ohne Schweiss gelingen<br />

sollten. Heute verstauben unnütze Gartenkrallen in den dunklen Ecken von Gerätehäuschen,<br />

denn natürlich hat dieses alberne Gerät nie funktioniert. Hätte es funktioniert,<br />

hätten die Sumerer es bereits benutzt.<br />

Einer der grossen Vorteile von guten Gartengeräten ist ihr völliges Desinteresse an<br />

der Digitalisierung. Es gibt weder smarte Schubkarren, die schlauer sind als ich, noch<br />

Laubrechen 2.0. Keine Handschaufel hat mich bisher vor Inbetriebnahme nach dem<br />

achtstelligen Sicherheitscode gefragt oder die Zusammenarbeit verweigert, weil ein<br />

Update benötigt wurde. Und ich möchte darum bitten, dass das auch so bleibt. Gnade<br />

euch Gott, ihr schlauen IT-Spezialisten, wenn ihr auf die Idee kommen solltet, an<br />

so etwas zu basteln! Ich weiss, wo ihr wohnt und ich habe eine schwere Plattschaufel!<br />

Was aber braucht man wirklich im Garten? Nicht viel, wie ich bei mir und all meinen<br />

gärtnernden Kollegen beobachtet habe. Man braucht: 1. Eine Schubkarre, bei der<br />

es schön wäre, wenn sie keinen platten Reifen hätte. 2. Einen Spaten. Geschärft. Ja, das<br />

geht und erleichtert die Arbeit. 3. Kleine, stabile Handschaufel und kleine Gartenhacke.<br />

Bitte in grauenhaften Leuchtfarben. Teures Kleinwerkzeug in edlem British Racing<br />

Green habe ich zu dutzenden im Laub verloren und nie wieder gefunden. 4. EINE<br />

gute, scharfe Rosenschere und eine scharfe Klappsäge, statt zehn stumpfe Billigknipser<br />

aus dem Baumarkt. 5. Eine Wiedehopfhaue. Eine Seite des Kopfes mit einer Hacke, die<br />

andere mit einer runden Schneide. Mit einer Wiedehopfhaue kann man Böden aufreissen,<br />

Wurzeln und Stromkabel durchtrennen, Uhren reparieren und viele andere<br />

tolle Dinge tun.<br />

All diese sinnvollen, preiswerten und haltbaren Dinge werden in den Gärten meiner<br />

Nachbarschaft tunlichst gemieden. Man kauft lieber Häcksler, Puster, Hochdruckreiniger,<br />

Brenner und Motorhacken, als hätte man bis Jahresende die Alpen besenrein zu<br />

übergeben. Oft sind die Geräteschuppen dann grösser als der Garten. Und all das<br />

wegen der Zeitersparnis. Sie hätten Dürrenmatt lesen sollen, die Laubpuster dieser<br />

Welt: «Man sollte mehr Zeit in die Arbeit als Arbeit in die Zeit stecken.»<br />

24 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH<br />

© alamy


Wenn Gartengeräte<br />

erzählen könnten<br />

Gartenwerkzeuge gibt es, seit es kultivierte Gärten gibt. Was die Designvorstellungen<br />

der Moderne mit ihnen zu tun haben, ist ebenfalls Teil der Geschichte.<br />

Ein Blick auf den unterschätzten Kosmos der Gartengeräte. Text: Judith Supper<br />

«Es ist das Gesetz aller organischen und anorganischen,<br />

aller physischen und metaphysischen<br />

(…) Dinge, (…) dass das Leben in seinem<br />

Ausdruck erkennbar ist, dass die Form<br />

immer der Funktion folgt.» Etwa 125 Jahre<br />

ist es her, dass der «Vater der Hochhäuser»,<br />

der amerikanische Architekt Louis Sullivan,<br />

diese Aussage machte. Und mit der «Form<br />

folgt Funktion»-Lehre eine Ästhetik ins Leben<br />

rief, die im Bauhaus seine Blütezeit hatte<br />

– und noch heute Bedeutung hat. Keine<br />

ästhetischen Gestaltungsprinzipien, dafür<br />

eine Form, die sich konsequent aus der<br />

Funktion ergibt: Wer hätte gedacht, dass sich<br />

die besten Beispiele dafür im Gartenschuppen<br />

verbergen?<br />

Wofür war der Gurkenstrecker gut?<br />

Es dauerte lange, bis Gartenwerkzeuge so ergonomisch<br />

und gelenkschonend gestaltet<br />

waren wie heute. Und doch: Teils haben die<br />

Jahrzehnte, die Jahrtausende kaum Spuren<br />

an Schaufeln, Spaten oder Rechen hinterlassen.<br />

Denn ihre Funktion blieb immer gleich:<br />

Erdreich von einem Ort zum anderen schaufeln,<br />

Löcher graben, Heu zusammenrechen.<br />

26 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


WISSEN<br />

Wenn Gartengeräte erzählen könnten<br />

Links: Über die Jahrhunderte hat sich die Form der Werkzeuge nur<br />

geringfügig gewandelt. Und doch gab es zu jeder Zeit auch Kuriositäten.<br />

Unten: Im 19. Jahrhundert liess man in England die Gurken in Glas -<br />

behältnisse wachsen. Diese waren mit einer Öse an dem Stützgerüst befestigt,<br />

an dem auch die Gurke wuchs. So gelangen perfekt gerade Gurken.<br />

© Karin Götz<br />

© mauritius images<br />

Erst wenn im grossen Buch der Gartenkultur<br />

ein neues Kapitel aufgeschlagen wurde oder<br />

findige Geister Geräte entwickelten, deren<br />

Form optimaler zur Funktion passte – oder<br />

weil man die Geräte schlicht nicht mehr<br />

brauchte – gab es Neuerungen. Wer kennt<br />

heute noch den Melonenheber oder den Astabstecher?<br />

Oder weiss, wofür ein Gurkenstrecker<br />

gut ist?<br />

Aus Revolutionen geboren<br />

Der Blick in den Gartenschuppen erfasst<br />

ein buntes Allerlei. Ast-, Garten- und Heckenscheren,<br />

Schaufeln, Spaten, Mistgabeln,<br />

Einfach-, Doppel- und Dreifachhacken, Sauzähne,<br />

Garten-, Okulier- und Unkrautmesser,<br />

Äxte, Beile, Kettensägen, Rasenmäher<br />

und -kantenstecher, Sensen, Sicheln, Spitzhacken<br />

– und vielleicht einen Trinkbecher<br />

mit längst vergessenem Inhalt. Jedes Gerät<br />

erzählt eine Geschichte, nicht nur die individuelle<br />

seiner Herstellungsart. Wovon<br />

die Gartengeräte berichten können, ist eng<br />

mit der Kultur und dem Werdegang des<br />

Menschen verbunden, mit seinen Errungenschaften,<br />

Nöten, seinem Erfindergeist. Und<br />

seiner Liebe zum Garten und der Pflanzenwelt,<br />

die erst dann richtig erblüht, wenn<br />

sie mit Hingabe – und dem richtigen Gerät –<br />

gepflegt wird.<br />

Wovon wohl Spaten, Schere und Giess -<br />

kanne erzählen würden? Wohl davon, wie<br />

sich ihre Form im Laufe der Jahrhunderte<br />

wandelte, wie sie aus Revolutionen geboren<br />

wurden und davon, dass klassisches Design<br />

zeitlos und schön ist.<br />

Gärtner-High-Heels<br />

«Gleich wie ein Soldat ohne Waffen nicht<br />

fechten kann, also kann auch kein Gärtner<br />

seine Arbeit ohne das dazugehörige Werkzeug<br />

nicht verrichten», schreibt der französische<br />

Agronom Louis Liger. «Der Gärtner<br />

muss den Anfang machen mit dem Grabscheid<br />

und Spaten: Denn das ist das erste<br />

Stücke, mit dem er wohl umzugehen und es<br />

zu führen lernen muss.» Es ist das Jahr 1716.<br />

Der Spaten ist längst ein alter Hase inmitten<br />

der herrschaftlichen Gärten des französischen<br />

Adels. Bereits in der Steinzeit, um<br />

4000 v. Chr., hatte man Spaten aus Holz für<br />

Grabarbeiten eingesetzt. Zu Louis Ligers<br />

Zeit erlebt er eine Renaissance. Um sie dauerhafter<br />

zu machen, werden Spaten mit verschraubten,<br />

am Holzgriff befestigten Eisenbändern<br />

geschmiedet. Sehr zum Verdruss<br />

von Podologen und Gärtnern, denn wann<br />

immer ein Loch zu graben ist, schneidet das<br />

Metall schmerzhaft in den Gärtnerfuss. Also<br />

biegt man die scharfe Oberkante um, sodass<br />

sich eine breitere Fläche bildet. Oder stattet<br />

die Gärtner mit Eisenplatten aus, die sie unter<br />

ihre Stiefel oder Holzschuhe schnallen<br />

können. Gärtner-High-Heels Marke «Klobig»<br />

gewissermassen.<br />

2500 Spatenformen<br />

Auftritt industrielle Revolution. Ihre mit<br />

Koks befeuerten Hochöfen gebären Ende des<br />

18. Jahrhunderts unzählige neue Spatenblätter.<br />

Jede Region, jede Stadt, teils jeder Vorort<br />

brüstet sich mit einem eigenen Spaten. Allein<br />

in Deutschland sind es 1928 insgesamt<br />

2500 verschiedene Formen, wie die Broschüre<br />

«Aus der Geschichte der Gartenwerkzeuge»<br />

des Gartenhistorikers Clemens Alexander<br />

Wimmer wissen lässt. Ähnlich divers<br />

Von links nach rechts: Spatengriffe in<br />

verschiedenen Formen – Flachgriff,<br />

Knopfgriff, T-Griff, D-Griff, Spaltgriff<br />

© Heinrich Steinmetz, 1930<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 27


WISSEN<br />

Wenn Gartengeräte erzählen könnten<br />

Dachau<br />

die Spatengriffe. Holländischer D-, Spaltund<br />

Hohlgriff, der in England und Deutschland<br />

beliebte D-Griff, französischer Knopfgriff:<br />

Oft ist es eine Frage der Nationalität,<br />

welche Form wo zu finden ist. 1931 wird es<br />

dem Reichsverband des deutschen Gartenbaus<br />

zu bunt, Rationalisierungen müssen<br />

her. Also entwickelt er einen Normspaten,<br />

der die Tiefe des Stahlblechs, seine Wölbung<br />

und Länge, die Auftrittsfläche, Befestigung,<br />

Nietenanzahl, Stiellänge und -form definiert.<br />

«Nach 1950», so Clemens Alexander<br />

Wimmer, «verschwand die Vielfalt».<br />

Aber wer heute einen Spaten sucht, darf<br />

sich wieder austoben. Ergonomische, rückenschonende<br />

Spaten gibt es, Spaten für<br />

Männer, für Frauen, für kleine und für grosse<br />

Menschen, Spaten aus Tropenholz oder<br />

aus heimischem Lärchenholz – und vieles<br />

mehr. Ganz abgesehen vom kulturellen Kontext.<br />

Spaten zieren Fantasy-Spielkarten und<br />

sind Teil von Halloween-Kostümen – auch<br />

Elsass<br />

Weinsberg<br />

Rott<br />

Leipzig<br />

wenn der Gartenbezug hier nicht an erster<br />

Stelle steht. Schliesslich gibt es eine zweite<br />

Berufsgruppe, die ständig mit dem Spaten<br />

hantiert: den Totengräber.<br />

Von der Guillotine inspiriert<br />

Auch der Werdegang der Rosen- oder Gartenschere<br />

hat makabre Seiten. Ihre Geschichte<br />

geht auf den französischen Aristokraten<br />

Marquis Bertrand de Molleville (1744–<br />

1818) zurück. Im frühen 19. Jahrhundert<br />

muss der königstreue französische Geheimpolizist<br />

nach England fliehen, nachdem er –<br />

andere hatten nicht so viel Glück – während<br />

der Wirren der Französischen Revolution<br />

nur knapp der Guillotine entkommen ist.<br />

Ob es stimmt, dass die Klingen des Tötungswerkzeugs<br />

den Marquis als Inspiration für<br />

seine Gartenschere gedient haben? 1814<br />

kehrt er mit seinem neuen Werkzeug nach<br />

Frankreich zurück – es war eine Sensation!<br />

Schon vor Mollevilles Erfindung hatten<br />

europäische Gärtner diverse Formen von<br />

Scheren, Messern oder Schnabelhaken genutzt,<br />

um kleine Zweige abzuschneiden. De<br />

Mollevilles neue Gartenschere wird schnell<br />

in ganz Kontinentaleuropa populär. Schon<br />

bald entstehen Variationen mit neuen Klingenformen<br />

und verbessertem Mechanismus.<br />

Nur die Gärtner Grossbritanniens sind über<br />

die französische Erfindung «not amused».<br />

Bis sie namhafte Gartenautoritäten überzeugen<br />

können, sind Traditionalisten der Meinung:<br />

«Das ist doch nur für Damen geeignet!»<br />

© Heinrich Steinmetz, 1930<br />

Dollendorf<br />

Schuh<br />

Aurich<br />

Kassel<br />

Kirchheim<br />

Lüneburg<br />

Hellweg<br />

Spreewald<br />

Lützenburg<br />

Weser<br />

Frankfurt<br />

Bremen<br />

Oberschlesien<br />

Ansbach<br />

Minden<br />

Berg<br />

Frankfurt Lothringen Rothenburg Nürnberg<br />

Eine Frage der Nationalität<br />

Frankreich und Grossbritannien hatten bei<br />

einem weiteren Gartengerät unterschiedliche<br />

Vorstellungen. Stein des Anstosses war<br />

die ehrbare, etwas gluckenhafte Giesskanne.<br />

Vom späten Mittelalter bis Anfang des<br />

18. Jahrhunderts wurden im Innen- und<br />

Aussenbereich Steinguttöpfe mit perforierten<br />

Böden verwendet. Die Idee dahinter ist<br />

Stoff aus dem Physikunterricht: Ein Topf mit<br />

einem daumengrossen Loch in der Oberseite<br />

wird in Wasser getaucht. Er füllt sich durch<br />

die Löcher im Boden. Legt man den Daumen<br />

über den Deckel, spritzt kein Wasser heraus<br />

– der Unterdruck macht’s unmöglich. Hebt<br />

man den Daumen, fliesst es ungehemmt.<br />

Seit etwa 1850 sind die Giesskannen aus<br />

Metall, wie wir sie heute noch kennen, in<br />

Gebrauch. Davon gibt es zwei Grundformen:<br />

die sogenannte «Englische Form» mit run-<br />

28 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


© Carmen Hocker/PF<br />

© Marion Nickig<br />

Links: Messer und<br />

Scheren gehören zum<br />

Standard-Sortiment<br />

eines Gärtnerhaushalts.<br />

Rechts: Bei den<br />

Giesskannen gibt es<br />

zwei Grundformen:<br />

die ovale aus Frankreich<br />

(oben) und die<br />

runde aus England<br />

(unten).<br />

© Carmen Hocker/PF<br />

Anzeige<br />

dem Korpus, Querbügel und hinterem Bügel<br />

und die «Französischen Form» mit ovalem<br />

Korpus und durchgehendem Längsbügel.<br />

«Die eher unpraktische Form mit rundem<br />

Korpus und Querbügel ist möglicherweise<br />

auf die Entwicklung aus Eimern zurückzuführen»,<br />

vermutet Inge Burkhardt im<br />

Gartenmagazin der Staudengärtnerei Gaißmayer.<br />

Die ovale Form hat Vorteile. Man<br />

kann die schweren Kannen leichter tragen –<br />

weil näher am Körper – und auch mit nur<br />

Gartengeräte aus Kupfer<br />

Erfahren Sie mehr: www.kupfergartengeraete.ch<br />

Wytor AG<br />

Diezikonerstr.10 • 8637 Laupen ZH<br />

Tel. +41 (0)55 266 19 11<br />

info@wytor.ch<br />

einer Hand giessen. Die runde Form konnte<br />

sie nicht völlig ersetzen; die Briten sind<br />

eben Traditionalisten.<br />

Diverse Spezialformen haben sich entwickelt,<br />

sogar faltbare Giesskannen. Kultcharakter<br />

haben die Giesskannen der britischen<br />

Manufaktur Haws. Noch heute schwören<br />

Fans auf sie. Manch einer fragt sich, ob er<br />

seine unter Staunässe leidenden Pflanzen<br />

wohl einfach zu viel giesst – weil’s mit der<br />

kultigen Kanne so viel Spass macht.<br />

Museen gegen das Vergessen<br />

Die grosse Vielfalt an Gartengeräten ist Teil<br />

unserer Kultur- und Menschheitsgeschichte.<br />

Und wie aller guten Geschichten, sollte<br />

man sich ihrer erinnern. Gegen das Vergessen<br />

helfen das Deutsche Gartenbaumuseum<br />

in Erfurt, das Museum der Gartenkultur in<br />

Illertissen oder das Österreichische Gartenbaumuseum<br />

in Wien. Und wer ein Faible<br />

für Giesskannen hat: Seit 2011 gibt es in der<br />

Stadt Giessen (D) ein Giesskannenmuseum.<br />

Es wurde als Mitmachprojekt im Rahmen<br />

der Landesgartenschau gegründet.<br />

Weitere Informationen:<br />

→ www.giesskannenmuseum.de<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 29


© mauritius images<br />

Sauberes Quellwasser und blühende Ackerbegleitflora<br />

sind Sinnbilder für eine intakte Umwelt. Dass deren<br />

langfristige Qualität von einem schonungsvollen<br />

Umgang abhängt, war Wissenschaftlern und Biolandbaupionieren<br />

schon vor vielen Jahrzehnten bewusst.<br />

Zwischen Schockstarre<br />

und Wertewandel<br />

Im Sommer 2021 stimmen wir über zwei Initiativen ab, die sich für eine Schweiz<br />

ohne synthetische Pestizide einsetzen. Der entfachte Diskurs erinnert an die<br />

Gründung des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) vor über vierzig<br />

Jahren. Als Wissenschaftler damals die konventionelle Düngungslehre hinterfragten,<br />

mussten sie sich so manche Polemik gefallen lassen. Im Spannungsfeld zwischen<br />

Wirtschaftsinteressen, Konsumgewohnheiten und der Notwendigkeit, die Bodenfruchtbarkeit<br />

und -gesundheit langfristig zu sichern, gibt es auch heute keine<br />

simplen Antworten – aber Hoffnungsschimmer. Text: Carmen Hocker<br />

Ein Blick zurück ins Jahr 1974. Am Forschungsinstitut<br />

für biologischen Landbau<br />

(FiBL) in Oberwil hat sich eine illustre Runde<br />

zusammengefunden: der ETH-Pflanzenphysiologe<br />

Philippe Matile, der ETH-Agraringenieur<br />

Jean-Marc Besson, der Biolandbaupionier<br />

Hardy Vogtmann, der Landwirt<br />

Fritz Baumgartner und Nationalrat Heinrich<br />

Schalcher. Sie stehen kurz davor, einen Langzeitfeldversuch<br />

zu lancieren, um der Frage<br />

nachzugehen «Ist Biolandbau machbar –<br />

oder nehmen die Erträge – unter dem natürlichen<br />

Unkraut- und Schädlingsdruck –<br />

tatsächlich ab, wie Skeptiker mutmassen?»<br />

Biologisch versus konventionell<br />

Gut vierzig Jahre später gilt der sogenannte<br />

DOK-Versuch ( Info-Box S. 34) der FiBL-<br />

30 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


WISSEN<br />

Zwischen Schockstarre und Wertewandel<br />

© FiBL<br />

Links: Auf den Feldern des<br />

DOK-Versuchs in Therwil<br />

werden seit 1978 der biologisch-dynamische<br />

(D),<br />

der organisch-biologische<br />

(O) und der konventionelle<br />

(K) Anbau von Ackerkulturen<br />

wie Weizen, Kartoffeln,<br />

Mais, Soja oder Klee am<br />

selben Standort verglichen.<br />

Rechts: Mineralisch gedüngte<br />

Böden verschlämmen<br />

stärker als biologisch<br />

bewirtschaftete. Bei Starkregen<br />

bleibt das Wasser<br />

an der Oberfläche stehen,<br />

oder fliesst ober flächlich<br />

ab, was zu Bodenabschwemmung<br />

führen<br />

kann, wie hier auf einem<br />

Maisfeld.<br />

Wissenschaftler als weltweit bedeutendster<br />

Langzeitfeldversuch zum Vergleich von biologischen<br />

und konventionellen Anbausystemen.<br />

Fazit ist, dass die biologisch bewirtschafteten<br />

2Böden noch immer produktiv<br />

sind und die Erträge über alle Kulturen hinweg<br />

auf hohem Niveau stabil bleiben. Im<br />

Schnitt liegen sie um nur 20 % tiefer als im<br />

konventionellen Anbau, bei 50 % weniger<br />

Aufwand an Energie und Düngemitteln: «Im<br />

Vergleich zum konventionellen System setzt<br />

das biologische 86 % weniger Pflanzenschutzmittel<br />

(Aktivsubstanz) ein, das biodynamische<br />

98 % weniger», erklärt Agronom<br />

und Biologe Dr. Paul Mäder, der seit 1987<br />

am FiBL arbeitet und das Departement für<br />

Bodenwissenschaften leitet. Langfristig betrachtet<br />

hat der Boden aber nicht nur die<br />

Aufgabe ertragreich zu sein. Er erbringt auch<br />

sogenannte Ökosystemdienstleistungen<br />

wie sauberes Trinkwasser, Erosionsschutz<br />

und Biodiversität: «Oberirdische Diversität<br />

bedeutet auch unterirdische – und umgekehrt.<br />

» So ist die Oberflächenstruktur beim<br />

Bioverfahren rauer, krümeliger, es gibt mehr<br />

Regenwurmlosungen und der Boden hat<br />

eine höhere Kapazität, Wasser zu speichern.<br />

Die poröse Struktur und das aktive Bodenleben<br />

tragen dazu bei, dass sowohl Starkregenereignisse<br />

als auch Hitzeperioden besser<br />

verkraftet werden. Anders bei konventionell<br />

bewirtschafteten Flächen. Bodenorganismen,<br />

die unter anderem für die Bildung der<br />

Aggregate, der Krümel, verantwortlich sind,<br />

reagieren empfindlich auf chemisch-synthetische<br />

Dünge- und Pflanzenschutzmittel.<br />

Gibt es weniger Bodenorganismen, ist der<br />

Boden nicht so locker und durchlüftet. Hinzu<br />

kommt, dass die Mineralteilchen des<br />

Düngers verschlämmen, sodass die Oberfläche<br />

eher glatt ist. Bei Starkregen bleibt das<br />

Wasser an der Oberfläche stehen, oder fliesst<br />

oberflächlich ab, was zu Bodenabschwemmung<br />

führen kann. Bei Trockenheit bildet<br />

sich eine Kruste, die Tone schrumpfen und<br />

es entstehen Risse. Die Böden sind weniger<br />

gut vor Erosion geschützt.<br />

Ein Bergkanton geht eigene Wege<br />

Trotz des fundierten Wissens um die Vorteile<br />

des Biolandbaus betrug im Jahr 2018 –<br />

laut Angaben der Vereinigung Schweizer<br />

Biolandbauorganisationen BioSuisse – der<br />

Marktanteil von Biolebensmitteln nur rund<br />

11 %. Der Anteil der biologisch bewirtschafteten<br />

Landwirtschaftsflächen lag im Schnitt<br />

bei 15 %. Obwohl die Tendenz steigend ist,<br />

überwiegt in der Schweiz die konventionelle<br />

Landwirtschaft bei Weitem. Eine Ausnahme<br />

bildet der Kanton Graubünden, dessen Biofläche<br />

65 % beträgt. Dass der Bergkanton die<br />

Weichen schon vor Jahrzehnten anders gestellt<br />

hat, führt der promovierte Agrarökonom<br />

Gianluca Giuliani unter anderem auf<br />

das Engagement der Mitarbeiter der bündnerischen<br />

landwirtschaftlichen Beratung<br />

zurück: «Schon vor zwanzig, dreissig Jahren<br />

gab es dort Menschen, die sich die Frage<br />

stellten, wie sich die Region nachhaltig entwickeln<br />

könnte», erklärt der Mitgründer des<br />

Agrar- und Regionalökonomischen Beratungsbüros<br />

Flury & Giuliani. Ein Impuls sei<br />

die steigende Nachfrage nach Bioprodukten<br />

von Zürcher Reformhäusern gewesen. Und<br />

Direktzahlungen an jene Landwirte, die ihre<br />

Weideflächen weniger intensiv bewirtschaf-<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 31


© Ivan Previsdomini<br />

© Tourismusverband Puschlav<br />

Links: Die teils steilen Weideflächen im Val Poschiavo<br />

werden extensiv bewirtschaftet. Oben: Frauen bei der<br />

Beerenernte – die Bewirtschaftung erfolgt mit viel<br />

Handarbeit. Rechts: Typisch für die Region sind die kleinteiligen<br />

Terrassen, die zum UNESCO-Welterbe zählen.<br />

teten, indem sie zum Beispiel ihre Wiesen<br />

zu einem späteren Zeitpunkt mähten, damit<br />

die Wildblumen zur Blüte gelangen konnten,<br />

um sich zu versamen.<br />

Mosaiksteine fügen sich zusammen<br />

Wie so oft ist es ein Zusammenspiel verschiedener<br />

Faktoren, das zum Erfolg führt.<br />

Beispielhaft ist das Val Poschiavo im äussersten<br />

Südosten Graubündens. Die rund 4300<br />

Einwohner zählende Region steht kurz davor,<br />

die 100 %-Marke an Bioflächen zu erreichen.<br />

Giuliani, Sohn eines Käsers und Landwirts<br />

aus Poschiavo, hat die Verbindung zu<br />

seiner Heimat trotz des Studiums und der<br />

Arbeit in Zürich immer gepflegt. So war es<br />

für ihn selbstverständlich, eine Gruppe engagierter<br />

Landwirte und Gemeindevertreter<br />

dabei zu unterstützen, die Region weiterzuentwickeln<br />

und die gesetzlichen Grundlagen<br />

zu nutzen: Basierend auf der staatlichen<br />

Strukturverbesserungsverordnung lancierten<br />

sie gemeinsam Projekte, um alle Bereiche<br />

der Wertschöpfungskette zu verbessern,<br />

von der Produktion bis zu einer gemeinsamen<br />

Logistik- und Vermarktungsplattform.<br />

Tourismus didaktisch<br />

Nicht alle waren von Anfang an begeistert.<br />

Solche Prozesse brauchen Zeit. Manche<br />

mussten erst die Erfolge der anderen sehen,<br />

um sich überzeugen zu lassen: «Das Interesse<br />

der Touristen an lokal und biologisch produzierten<br />

Lebensmitteln – meist Gäste aus<br />

dem urbanen Milieu – brachten die letzten<br />

Skeptiker zum Umdenken», erzählt Giuliani.<br />

Doch selbst eine anfänglich monetäre Motivation<br />

kann zur Annäherung ans Thema<br />

führen: «Die heutige Generation Landwirte<br />

ist stolz darauf, fast verloren gegangenes<br />

Wissen anzuwenden. Einige Bauern betreiben<br />

im Tal zum Beispiel wieder Ackerbau<br />

mit angepassten alten Sorten von Wintergerste,<br />

-weizen und Buchweizen.» Ganz so<br />

idyllisch wie es in den Köpfen mancher<br />

Städter erscheinen mag, ist jedoch auch die<br />

Welt im Val Poschiavo nicht. Dass die<br />

100%-Marke noch nicht vollständig erreicht<br />

wurde, liegt nicht nur an ein paar eigenwilligen<br />

Hobbylandwirten. Einer der Letzten,<br />

der hadert, ist der Beerenproduzent Nicolò<br />

Paganini. Ein Teil seiner Flächen liegt auf<br />

den Terrassen, die zum UNESCO-Welterbe<br />

zählen und an der Strecke der rhätischen<br />

Bahn liegen. Zu gerne würde er rein biologisch<br />

wirtschaften. Doch wie soll er mit der<br />

asiatischen Kirschessigfliege umgehen, die<br />

ihre Eier in intakte Beeren legt und diese<br />

damit zum Faulen bringt? Fallen allein reichen<br />

nicht aus und engmaschige Netze würden<br />

das Bild der Postkartenlandschaft stören.<br />

Nun versucht er, die Umstellung auf Bio<br />

Schritt für Schritt umzusetzen, allfällige<br />

Ernteausfälle werden aus dem Projekttopf<br />

kompensiert: «Die Welt ist komplexer als<br />

man sich das vorstellen mag. Viele Bauern<br />

suchen selbstständig nach Lösungen, aber es<br />

braucht Zeit», gibt Giuliani zu bedenken.<br />

Seine Erfahrung aus diesem Projekt ist, dass<br />

die praktizierenden Bauern grundsätzlich<br />

32 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


WISSEN<br />

Zwischen Schockstarre und Wertewandel<br />

© mauritius images<br />

Oben: In einem kleinen Land wie der Schweiz grenzen<br />

landwirtschaftliche Flächen oft unmittelbar an Fliessgewässer<br />

von grosser ökologischer Bedeutung.<br />

© Tourismusverband Puschlav<br />

«Offenbar verarmt die Erde nicht, wenn der Bauer das unsicht -<br />

bare Leben in seinem Boden durch kunstvoll richtige organische<br />

Düngung in optimaler Aktivität erhält.» Philippe Matile, 1966<br />

einen grossen Gestaltungswillen haben,<br />

sofern sie sich in einem dies fördernden<br />

Umfeld bewegen können, wie im Fall von<br />

Nicolò Paganini.<br />

Sonderstellung oder Vorbild<br />

Kann eine Region wie Val Poschiavo als Modell<br />

für die ganze Schweiz dienen? – eine<br />

Frage, auf die es keine einfache Antwort gibt.<br />

Was die Erfolgsgeschichte von Val Poschiavo<br />

zeigt ist, dass am Anfang immer engagierte<br />

Menschen stehen, die mit ihrer Überzeugung<br />

und Energie buchstäblich Berge versetzen<br />

möchten. Damit sie ihre Vision Wirklichkeit<br />

werden lassen können, benötigen sie<br />

entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen<br />

und Unterstützung von allen Seiten:<br />

angefangen bei den landwirtschaftlichen<br />

Akteuren, über den Handel bis hin zu den<br />

Konsumenten, die voraussichtlich im Juni<br />

2021 die Möglichkeit haben, über zwei Initiativen<br />

abzustimmen: Die «Initiative für sauberes<br />

Trinkwasser» und die «Initiative für<br />

eine Schweiz ohne synthetische Pestizide».<br />

Eine Besonderheit in einem kleinen Land<br />

wie der Schweiz ist, dass die landwirtschaftlichen<br />

Flächen oft unmittelbar an Fliessgewässer<br />

grenzen, die von grosser ökologischer<br />

Bedeutung sind: «Sensible Organismen wie<br />

wirbellose Tiere werden schon durch geringe<br />

Konzentrationen geschädigt, die Lebensgemeinschaften<br />

in Ackerbaugebieten sind<br />

nachweislich verarmt und gesetzlich zulässige<br />

Grenzwerte werden vielerorts überschritten»,<br />

berichtet Dr. Christian Stamm, stellvertretender<br />

Abteilungsleiter Umweltchemie<br />

an der EAWAG Dübendorf, an einem Vortrag<br />

der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft<br />

Winterthur im Herbst 2020. In Bezug auf<br />

das Grundwasser stellt er fest, dass die Belastung<br />

im Einflussgebiet landwirtschaftlicher<br />

Flächen ebenfalls erhöht ist. Ein wesentlicher<br />

Unterschied zu den Fliessgewässern ist,<br />

dass die Reaktionszeit bedeutend länger ist.<br />

Veränderungen im Grundwasser treten erst<br />

nach Jahren bis Jahrzehnten zutage.<br />

1. Trinkwasserinitiative:<br />

Ansatz Direktzahlungen<br />

Diese Initiative fordert, dass die Subventionen<br />

an die Landwirtschaft nur für Bewirtschaftungsweisen<br />

ausgerichtet werden, welche<br />

die Gesundheit und die Umwelt nicht<br />

gefährden und das Trinkwasser nicht verschmutzen.<br />

Direktzahlungen wären an den<br />

bereits gesetzlich geforderten ökologischen<br />

Leistungsnachweis gebunden sowie an folgende<br />

zusätzliche Bedingungen: Erhalt der<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 33


Biodiversität, eine pestizidfreie Produktion<br />

und ein Tierbestand, der mit dem auf dem<br />

Betrieb produzierten Futter ernährt werden<br />

kann. Landwirtschaftsbetriebe, die Antibiotika<br />

in der Tierhaltung prophylaktisch einsetzen<br />

oder deren Produktionssystem einen<br />

regelmässigen Einsatz von Antibiotika nötig<br />

macht, würden von Direktzahlungen ausgeschlossen<br />

werden. «Um Qualität, Ertrag und<br />

Einkommen nachhaltig zu sichern, würden<br />

Bäuerinnen und Bauern mit Bildung, Forschung<br />

und Investitionshilfen unterstützt<br />

werden. In Anbetracht der komplexen Sachlage<br />

beträgt die Übergangsfrist acht Jahre»,<br />

führt Franziska Herren, Mitinitiantin der<br />

Initiative, aus. Unterstützt wird sie von<br />

4aqua (www.4aqua.ch), einer Interessengemeinschaft,<br />

in der sich über 140 Wissenschaftler*innen<br />

und Fachleute zusammengeschlossen<br />

haben.<br />

Die Kurzfassung des Initiativtextes hat<br />

im Vorfeld der Abstimmungen zu missverständlichen<br />

Vereinfachungen geführt. Eine<br />

Kontroverse ist zum Beispiel um das Thema<br />

Tierfutter entfacht. So sind auf der Website<br />

www.trinkwasserinitiative-nein.ch, die vom<br />

Schweizer Bauernverband (SBV) betrieben<br />

wird, Zitate mehrerer Landwirte zu lesen, in<br />

denen sie von der Unmöglichkeit sprechen,<br />

ihr Futter ausschliesslich selbst zu produzieren.<br />

Das ist aber keine Bedingung der Initiative.<br />

Im Argumentarium heisst es, dass Betriebe<br />

weiterhin regional untereinander Futtermittel<br />

und Hofdünger austauschen bzw.<br />

gemeinsam nutzen sollen und können, auch<br />

in Form von Betriebsgemeinschaften.<br />

2. Initiative für eine Schweiz<br />

ohne synthetische Pestizide:<br />

Ansatz Verbot und Inklusion<br />

Sie fordert das Verbot von synthetischen<br />

Pestiziden und umfasst neben der Landwirtschaft<br />

auch private und gewerbliche Anwendende<br />

sowie die öffentliche Hand. Um eine<br />

Gleichberechtigung der Schweizer Landwirtschaft<br />

zu erreichen, haben die Initianten<br />

auch Importprodukte wie Früchte, Gemüse<br />

und Getreide vollumfänglich eingeschlossen.<br />

Bis heute ist beispielsweise der Import<br />

von Lebensmitteln mit Chlorothalonil-Rückständen<br />

noch erlaubt, während das Fungizid<br />

seit 1. Januar 2020 in der Schweiz aufgrund<br />

möglicher Gesundheitsgefährdung verboten<br />

wurde. Die Initiative sieht eine Übergangsfrist<br />

von zehn Jahren vor.<br />

Um der Landwirtschaft eine schrittweise<br />

Umstellung zu ermöglichen und allen Beteiligten<br />

genügend Zeit zu geben, die notwendigen<br />

Massnahmen für einen Verzicht auf<br />

synthetische Pestizide zu ergreifen, sehen<br />

beide Initiativen eine Übergangsfrist vor.<br />

Die politischen Akteure sind aufgerufen,<br />

das Landwirtschafts- und Ernährungssystem<br />

zu überarbeiten und die relevante Gesetzgebung<br />

anzupassen. Parallel dazu fordern<br />

die Initianten die Forschung dazu auf, eine<br />

Landwirtschaft zu entwickeln, die mehr<br />

Rücksicht auf die Biodiversität und die<br />

menschliche Gesundheit nimmt.<br />

Unsere Lebensgrundlage bewahren<br />

Vielleicht sollten wir die Natur als Vorbild<br />

nehmen, deren Zusammenhänge komplex<br />

und auf vielfältige Weise miteinander<br />

verbunden sind. Auch wenn wir nicht alles<br />

erklären können, ist sicher, dass wir dabei<br />

sind, unsere Lebensgrundlage – Wasser, Boden<br />

und Luft – mehr und mehr zu zerstören.<br />

Welche Mengen an Pestiziden zu welchen<br />

Auswirkungen führen, ist im Grunde unerheblich.<br />

Es besteht Handlungsbedarf. Und es<br />

gibt Lösungsansätze. Die FiBL-Wissenschaftler<br />

Adrian Müller und Christian Schader haben<br />

2017 im Fachmagazin «Nature Commu-<br />

DOK-VERSUCH<br />

Weltweit der bedeutendste Langzeitfeldversuch zum Vergleich biologischer und konventioneller<br />

Anbausysteme. In einem praxisnahen Versuchsdesign werden am FiBL<br />

(Forschungsinstitut für biologischen Landbau) seit 1978 der biologisch-dynamische<br />

(D), der organisch-biologische (O) und der konventionelle (K) Anbau von Ackerkulturen<br />

wie Weizen, Kartoffeln, Mais, Soja oder Klee am selben Standort verglichen. Während<br />

der biologisch-dynamische Anbau mit kompostiertem Mist arbeitet, kommt im<br />

organisch-biologischen Anbau auch frisches Material zur Bodenbelebung zum Einsatz.<br />

Der DOK-Versuch ist aus der Zusammenarbeit zwischen Forschungsanstalten,<br />

dem Bundesamt für Landwirtschaft und dem FiBL entstanden. → www.fibl.org<br />

34 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


WISSEN<br />

Zwischen Schockstarre und Wertewandel<br />

nications» einen Artikel veröffentlicht,<br />

in dem sie aufzeigen, dass Biolandbau die<br />

Welt ernähren könnte, sofern man Foodwaste<br />

und Fleischkonsum reduzieren könnte.<br />

Zwei Kernpunkte, die ohne gesellschaftlichen<br />

Wertewandel wohl nicht möglich<br />

sind. Letzterer betrifft deshalb jeden und<br />

jede von uns. Wollen wir weiterhin Fortschritt<br />

um jeden Preis? Konsum ohne Rücksicht<br />

auf die Folgen? Oder sind wir bereit, etwas<br />

zu ändern? Überall auf der Welt schliessen<br />

sich Menschen zusammen, die etwas<br />

bewegen möchten und beziehen Stellung.<br />

So schreibt der Autor Stéph Donse im australischen<br />

Online-Gartenmagazin «The planthunter»:<br />

«Wir müssen auf individueller<br />

Ebene beginnen: mit unserer eigenen Beziehung<br />

und Liebe zur Natur (…) Wenn wir<br />

uns selbst als Hüter betrachten, dann ist die<br />

halbe Arbeit getan.» Damit das Engagement<br />

jedes Einzelnen Früchte tragen kann, benötigen<br />

wir aber angepasste gesetzliche Rahmenbedingungen,<br />

wie sie beispielsweise in<br />

den Initiativen gefordert werden.<br />

Initiative für sauberes<br />

Trinkwasser:<br />

→ www.trinkwasserinitiative.ch<br />

Initiative für eine<br />

Schweiz ohne synthetische<br />

Pestizide:<br />

→ www.lebenstattgift.ch<br />

Stimmungsbarometer<br />

Als weiteren Impuls für die eigene Entscheidungsfindung hat der «<strong>Pflanzenfreund</strong>»<br />

drei Organisationen um Stellungnahme gebeten. Weiterführende Informationen<br />

finden Sie auf den jeweiligen Websites.<br />

© FiBL<br />

KLEINBAUERN-VEREINIGUNG<br />

«Wir unterstützen die Zielrichtung beider Initiativen,<br />

bevorzugen jedoch den Umsetzungsweg der<br />

Pestizidinitiative. Im Gegensatz zur Trinkwasserinitiative<br />

nimmt die Pestizidinitiative nicht nur die<br />

Landwirtschaft in die Pflicht, sondern alle<br />

bisherigen Pestizidanwender. Neben<br />

den Bäuerinnen müssten somit<br />

auch die öffentliche Hand, der<br />

Gartenbau, die SBB sowie alle<br />

privaten Gartenbesitzerinnen<br />

auf synthetische Pestizide verzichten.<br />

Das Anwendungsverbot<br />

beschränkt sich zudem<br />

nicht nur auf die inländische<br />

Landwirtschaft, auch Importe<br />

wären davon betroffen. Heute<br />

dürfen beispielsweise Produkte mit<br />

Chlorothalonil-Rückständen importiert<br />

werden – obwohl dieses Mittel in der<br />

Schweiz auf den 1. Januar 2020 verboten wurde.<br />

Die Schweizer Landwirtschaft kann auf Pestizide<br />

verzichten. Wer an der Umsetzbarkeit der Pestizidinitiative<br />

zweifelt, vergisst oftmals, dass diese nur<br />

längerfristig fordert, was Biobäuerinnen und Biobauern<br />

schon heute umsetzen. Die Initiative sieht<br />

ausserdem eine Übergangsfrist von zehn Jahren<br />

vor. Wichtige Zeit also, um die Forschung auf die<br />

neuen Voraussetzungen auszurichten. Im Gegensatz<br />

zur konventionellen Landwirtschaft ist in der<br />

Forschung für den Biolandbau schon länger klar,<br />

dass der Pflanzenschutz mehrdimensional weiterentwickelt<br />

werden muss. Das betrifft beispielsweise<br />

auch die Pflanzenzüchtung,<br />

die mechanische Unkrautbekämpfung<br />

und die Förderung von Nützlingen.<br />

Nur mit gesunden Böden<br />

kann unsere Ernährung auch<br />

für die Zukunft gesichert werden.<br />

Es braucht jetzt ein Umdenken<br />

in der Landwirtschaft<br />

und der gesamten Bevölkerung<br />

hin zu einer vielfältigen, ökologischen<br />

Bewirtschaftung von landwirtschaftlichen<br />

Flächen, Gärten und<br />

Grünanlagen. Die Schäden, welche durch<br />

die Pestizidanwendung angerichtet werden, gefährden<br />

die Resilienz der Schweizer Landwirtschaft<br />

und unsere natürlichen Ressourcen. Und sie kommen<br />

die Allgemeinheit längerfristig teurer zu stehen.»<br />

→ www.kleinbauern.ch<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 35


© Kurt Graf<br />

«Unterschiedliche Lösungsansätze bestehen zwischen<br />

den beiden Initiativen, gleichwohl sie dasselbe<br />

Ziel verfolgen: Eine Landwirtschaft ohne synthetische<br />

Pestizide. Die «Initiative für sauberes Trinkwasser»<br />

beinhaltet aber kein Verbot, sondern sieht<br />

die Streichung der Direktzahlungen für nicht pestizidfreie<br />

Betriebe vor. In Branchen wie dem<br />

Wein- oder Obstbau kann dies zu einer<br />

weiteren Intensivierung führen, um<br />

den Wegfall der Direktzahlungen<br />

zu kompensieren. Der gravierendste<br />

Punkt jedoch sind die<br />

Importe: Während im Inland<br />

eine «saubere» Schweizer<br />

Landwirtschaft gefordert wird,<br />

bleiben die Lebens- und Futtermittelimporte,<br />

die oft pestizidverschmutzt<br />

sind, unangetastet.<br />

Bereits heute ist die hiesige Landwirtschaft<br />

durch den Grenzhandel finanziell<br />

stark unter Druck – denn die<br />

Produktion ist im Ausland viel billiger. Das einseitige<br />

Pestizidverbot würde diese Differenz verschärfen.<br />

Der Mehraufwand, z.B. bei den Arbeitskräften,<br />

wird in keinster Weise berücksichtigt, sondern an<br />

den Markt delegiert. Das ist ungenügend und deshalb<br />

lehnt Uniterre diese Initiative ab.<br />

UNITERRE<br />

Die Initiative «für eine Schweiz ohne synthetische<br />

Pestizide» dagegen behandelt die zentrale Frage<br />

der Importe und sieht vor, dass auch Produkte aus<br />

dem Ausland – für Lebens- und Futtermittel – frei<br />

von Pestiziden sind. Zugleich fordert sie ein Verbot<br />

für synthetische Pestizide nicht nur in der Landwirtschaft,<br />

sondern auch in der Pflege von<br />

Landschaft, Grünflächen und öffentlichen<br />

Räumen. Die Umsetzung dieser<br />

Initiative wäre für die Bäuerinnen<br />

und Bauern sehr anspruchsvoll,<br />

denn auch hier fehlen finanzielle<br />

Begleitmassnahmen, die den<br />

erheblichen Mehraufwand bei<br />

der Produktion abfedern könnten.<br />

Ferner müssten Lösungen,<br />

unter anderem mithilfe einer gezielten<br />

Forschung und selbstverständlich<br />

unter Ausschluss von<br />

Gentechnikverfahren, gefunden und<br />

umgesetzt werden. Uniterre unterstützt<br />

die Ziele dieser Initiative für eine ökologische<br />

Landwirtschaft und erhofft sich einen breiten Dialog<br />

mit der Gesellschaft über die Herausforderungen<br />

eines solchen Projektes.»<br />

→ www.uniterre.ch<br />

36 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


WISSEN<br />

Zwischen Schockstarre und Wertewandel<br />

SCHWEIZER BAUERNVERBAND<br />

«Wir lehnen beide Initiativen ab. Die Trinkwasserinitiative<br />

erachten wir als reine Mogelpackung. Mit<br />

sauberem Wasser hat sie nichts zu tun. Ihr einziger<br />

Ansatzpunkt sind die Direktzahlungen. Direktzahlungen<br />

erhalten nur jene Bauernbetriebe, die den<br />

sogenannten ökologischen Leistungsnachweis<br />

einhalten. Dieser umfasst über das Gesetz<br />

hinausgehende Anforderungen<br />

wie zum Beispiel, dass jeder Betrieb<br />

eine Mindestfläche für die<br />

Förderung der Biodiversität ausscheidet.<br />

Die Initiative will diese<br />

nun an weitere einschneidende<br />

Bedingungen knüpfen.<br />

Ganz ohne Pflanzenschutzmittel<br />

ist eine Landwirtschaft, die<br />

vom Verkauf ihrer pflanzlichen<br />

Kulturen lebt, nicht möglich. Denn<br />

trotz Vorsorgemassnahmen können<br />

je nach Wetter Krankheiten oder Schädlinge<br />

die Ernten massiv reduzieren oder zu<br />

einem Totalausfall führen. Um unseren Bedarf an<br />

Essen zu decken, müssten wir also mehr importieren.<br />

Da ausländische Produkte aber weniger nachhaltig<br />

produziert sind, ist der Effekt für die Umwelt<br />

gesamthaft negativ. Für Betriebe mit anfälligen Spezialkulturen<br />

wie Obst, Reben oder Gemüse sind die<br />

Direktzahlungen nicht so wichtig. Sie würden ganz<br />

darauf verzichten. Damit müssten sie auch den<br />

ökologischen Leistungsnachweis nicht mehr einhalten.<br />

Die Volksinitiative «Für eine Schweiz ohne synthetische<br />

Pestizide» will den Einsatz von synthetischen<br />

Pestiziden verbieten. Es dürften<br />

auch nur noch Lebensmittel eingeführt<br />

werden, die ohne produziert<br />

worden sind. Die Schweizer Bevölkerung<br />

könnte nur noch Bioprodukte<br />

pflanzlicher Herkunft<br />

kaufen und ihre Ausgaben fürs<br />

Essen würden sich folglich<br />

stark erhöhen.<br />

Die Landwirtschaft nimmt<br />

die von den Initiativen angesprochenen<br />

Themen ernst und<br />

anerkennt Handlungsbedarf. Die<br />

Antworten auf die Herausforderungen<br />

sind bereits in Umsetzung. Die Konsumentinnen<br />

und Konsumenten selbst haben es ebenfalls<br />

in der Hand, indem sie vermehrt besonders nachhaltig<br />

produzierte Lebensmittel kaufen und so deren<br />

Absatz ankurbeln.»<br />

→ www.sbv-usp.ch<br />

© mauritius images<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 37


Fauna im Fokus<br />

Kellerassel<br />

Sie haben Kiemen wie Wassertiere und viele Beine wie Gliederfüsser. Im Garten tragen sie<br />

zur Humusbildung bei und spielen eine wichtige Rolle in der Nahrungskette. Im Haus sind sie<br />

kein Schädling, sondern eine Art Zeigertier. Text: Stefan Ineichen, Bild: Thomas Otto<br />

Alles Leben auf dem Festland stammt<br />

letztlich aus dem Wasser: Vor Urzeiten<br />

waren unsere Vorfahren Fische –<br />

und die Ahnen der Kellerasseln waren<br />

Krebse. Asseln zählen denn auch<br />

nicht zu den Insekten, sondern zu<br />

den Krebstieren. Wie bei Wassertieren<br />

üblich erfolgt ihre Atmung teilweise<br />

noch über Kiemen – Kellerasseln<br />

sind auf eine hohe Luftfeuchtigkeit<br />

angewiesen. Wir finden sie an<br />

feuchten Stellen unter Steinen, im<br />

Falllaub und im Kompost, im morschen<br />

Holz, unter Pflanztöpfen, in<br />

Moospolstern, Pflanzenresten oder<br />

Mauerritzen.<br />

Zusätzlich zu den Kiemen verfügen<br />

die auf dem Land lebenden Asseln<br />

auch über die Fähigkeit, Sauerstoff<br />

aus der Luft zu gewinnen. Die lungenartigen<br />

Organe, die sie zur Luftatmung<br />

befähigen, befinden sich auf<br />

der Körperunterseite bei den Hinterleibsfüssen.<br />

Asseln haben viele Beine:<br />

Jedes der sieben Brustsegmente ist<br />

mit einem kräftigen Beinpaar versehen,<br />

während die sechs schmäleren<br />

Segmente am Körperende beinartige<br />

Anhängsel tragen, die nicht der Fortbewegung<br />

dienen.<br />

Kellerasseln ernähren sich vorwiegend<br />

von abgestorbenen, vermoderten<br />

Pflanzenteilen, auch morschem<br />

Holz und Pilzen. Damit tragen sie<br />

zum Abbau von organischem Material<br />

und zur Bildung von Humus bei.<br />

Und sie spielen eine wichtige Rolle in<br />

den Nahrungsketten im Garten, da<br />

sie von Spinnen, Kröten, Vögeln,<br />

Mäusen, Spitzmäusen und Igeln gefressen<br />

werden. Asseln sind keine<br />

Einzelgänger. Oft sind neben den ausgewachsenen,<br />

schiefergrau gefärbten<br />

Tieren, weissliche Jungtiere zu finden,<br />

die wie verkleinerte Ausgaben ihrer<br />

voll entwickelten Artgenossen aussehen.<br />

Ihre ersten Tage verbringen die<br />

Larven in einem Brutbeutel an der<br />

Körperunterseite des Weibchens, in<br />

dem zuvor dreissig bis achtzig befruchtete<br />

Eier herangereift sind. Die<br />

Larven, die nach rund einem Monat<br />

schlüpfen, verweilen noch zwei Wochen<br />

in dieser geschützten Bauchtasche,<br />

bevor sie sich vom Muttertier<br />

lösen. Kellerasseln häuten sich über<br />

ein Dutzend Mal, bis sie ihre volle<br />

Grösse erlangen. Sie können sich<br />

mehrmals vermehren und ein Alter<br />

von zwei Jahren erreichen.<br />

Normalerweise richten Kellerasseln<br />

keinen Schaden an. Sie verbreiten<br />

keine Krankheiten und ziehen vermodernde<br />

Pflanzenteile lebenden<br />

Gewächsen oder Frischfutter vor. Sie<br />

machen sich kaum an kühl und trocken<br />

gelagertem Gemüse oder Obst<br />

zu schaffen – am ehesten noch an<br />

Kartoffeln, mit Vorliebe an faulen. Ins<br />

Innere von Gebäuden gelangen sie<br />

durch undichte Türen und Fenster<br />

oder über Kletterpflanzen an der Fassade.<br />

Wenn sie sich im Keller oder anderen<br />

Räumen wohlfühlen, kann dies<br />

ein Hinweis auf eindringendes Wasser<br />

sein – eine Gefahr, die nicht gebannt<br />

wird, wenn die Asseln beseitigt<br />

werden.<br />

Die Kellerassel ist nicht die einzige<br />

Asselart, die an Land lebt. Die Rollassel,<br />

deren ebenfalls gräulicher Panzer<br />

dicker, glatter und glänzender ist als<br />

jener der Kellerassel, besiedelt trockenere<br />

Lebensräume. Sie hat fast vollständig<br />

von Kiemen- auf Luftatmung<br />

umgestellt und kann sich bei Störungen<br />

oder Trockenheit wie ein Gürteltier<br />

zu einer Kugel zusammenrollen.<br />

Bilder zum Thema unter:<br />

→ www.pflanzenfreund.ch/faunaimfokus<br />

Der Biologe Stefan Ineichen<br />

arbeitet als Dozent an der<br />

ZHAW Wädenswil im Studiengang<br />

Umweltingenieur wesen.<br />

Zu seinen Forschungsschwerpunkten<br />

zählen Stadtfauna, Natur geschichte<br />

der Stadt und Glühwürmchen.<br />

In dieser Serie teilt er sein Wissen<br />

über die spannende Tierwelt<br />

vor unserer Haustür.<br />

38 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


WISSEN<br />

Fauna im Fokus<br />

DIE KELLERASSEL<br />

Porcellio scaber<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 39


Engagement<br />

Lass uns reden.<br />

Über den Boden.<br />

40 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


ENGAGEMENT<br />

Lass uns reden. Über den Boden.<br />

Neben Luft und Wasser ist<br />

der Boden unsere wichtigste<br />

Lebensgrundlage. Das gesamte<br />

Leben unserer Erde ist abhängig<br />

von einer zirka 3o Zentimeter<br />

dicken Humusschicht,<br />

dem Oberboden. Nur wenn<br />

dieser fruchtbar und lebendig<br />

ist, kann der Boden unsere<br />

Ernährung sichern. Doch wie<br />

gehen wir mit dem Boden um,<br />

dass wir seine Lebendigkeit<br />

er halten, und sind wir wirklich<br />

auf dem richtigen Weg?<br />

Text: Inga Laas und Jeremias Lütold,<br />

Bilder: Brachland Bio Beeren & Obst<br />

Der Einsatz von synthetischen Pflanzenschutzmitteln<br />

und Düngern stört<br />

das Bodenleben und bedroht die<br />

Reinheit unseres Grundwassers. Forscher<br />

der Universität Bonn (D) kamen<br />

zu dem Schluss, dass die intensive<br />

Landwirtschaft, wie wir sie seit der<br />

Agrarindustrialisierung kennen, für<br />

die Volkswirtschaft eine Minusrechnung<br />

darstellt. Langfristig kostet uns<br />

der stattfindende drastische Rückgang<br />

der Bodenfruchtbarkeit und der<br />

biologischen Bodenvielfalt ein Vermögen.<br />

Mit der Verarmung unserer<br />

Böden geht einher, dass sie ein verringertes<br />

Wasserspeichervermögen<br />

aufweisen und anfälliger für Erosion<br />

sind.<br />

Weltweit gibt es ganz unterschiedliche<br />

Gründe für den Kulturlandverlust.<br />

Steht auch die Schweizer Landwirtschaft<br />

vor einem Bodenproblem?<br />

«Ja sicher, aber es müsste keines<br />

sein. Und die Frage ist doch warum?»,<br />

kommt Jürg Raths vom Hof Brachland<br />

in Bubikon gleich zur Sache.<br />

«Was in Millionen von Jahren gewachsen<br />

ist, bringt der Mensch seit<br />

Ende des 19. Jahrhunderts in Gefahr.<br />

Verstärkt durch den Einsatz von synthetischen<br />

Spritz- und Düngemitteln,<br />

wie sie seit dem 2. Weltkrieg eingesetzt<br />

werden.»<br />

Heute müssen wir einen Verlust von<br />

30 % der gesamten Nutzfläche eingestehen<br />

und erkennen, was das Bundesamt<br />

für Landwirtschaft schon<br />

2014 festgehalten hat: «Die langfristige<br />

Fruchtbarkeit von landwirtschaftlichen<br />

Böden in der Schweiz ist infrage<br />

gestellt. Obwohl wir mit dem Umweltschutzgesetz<br />

Art. 1 + 2 und dem<br />

Gewässerschutzgesetz Art. 6 die gesetzlichen<br />

Grundlagen haben, liegen<br />

die Gewässerbelastungen vielerots<br />

über den Grenzwerten. Weiter wie<br />

bisher ist also keine Option», sagt<br />

Raths.<br />

Ohne Humus kein Leben<br />

Vor fünfzehn Jahren begann Raths<br />

seinen Landwirtschaftsbetrieb in<br />

Bubikon aufzubauen. Kernstück ist<br />

eine 70 Aren umfassende Strauchbeeren-<br />

und Obstanlage – nach neuestem<br />

Stand der Anlagentechnik und den<br />

Richtlinien von Bio Suisse. Nach wenigen<br />

Jahren schon fiel das Fazit aber<br />

ernüchternd aus. Der Boden unter<br />

den mit Plastikfolie gemulchten Beerenkulturen<br />

präsentierte sich leblos.<br />

Die landwirtschaftlich<br />

genutzte Fläche wird auf<br />

dem Brachland in Bubikon<br />

auch als Lebensraum<br />

verstanden und trägt zur<br />

nachhaltigen Ökologie bei.<br />

Erosion, Versteppung,<br />

Versalzung, Versiegelung<br />

und Übernutzung<br />

kosten allein die<br />

Mitgliedsländer der<br />

EU jährlich<br />

38 Milliarden<br />

Euro.<br />

(TEEB-Report 2010)<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 41


Neben den Früchten in den Anlagen und<br />

an den Hochstammbäumen, findet sich<br />

überall auf dem Hof auch viel Wildobst.<br />

Vögel und kleine Säugetiere finden so<br />

auch im Winter Nahrung.<br />

Messungen ergaben einen so geringen<br />

Humusanteil, dass der teils kümmerliche<br />

Zustand der Beeren kaum<br />

verwunderlich schien. Der Hof Brachland<br />

drohte seinem Namen alle Ehre<br />

zu machen. Wichtige Impulse von<br />

Angestellten sowie seine eigenen Beobachtungen<br />

liessen Jürg Raths umdenken.<br />

Von nun an lag der Fokus auf<br />

dem Boden, und der Betrieb erlebte<br />

eine grundlegende Revitalisierung.<br />

Aktuelle Messungen beweisen einen<br />

maximalen Humusgehalt von 10,4 %<br />

in der Beerenanlage, was weit über<br />

den üblichen Werten liegt.<br />

Regenerative Landwirtschaft<br />

Der Fokus auf die Bodenbiologie<br />

macht das Zusammenspiel der Obstund<br />

Beerenkulturen mit den Prozessen<br />

der Bodenspähre eindrücklich<br />

sichtbar. Ganz im Sinne der regenerativen<br />

Landwirtschaft konnte die Bodenfruchtbarkeit<br />

gesteigert werden<br />

und die Abhängigkeit von Hilfsstoffen<br />

beschränkt sich auf selbst gemachte<br />

«Tees» und vereinzelte Einsätze<br />

mit biologischen Spritzmitteln.<br />

Das etwas spezielle Brachland in Bubikon<br />

bringt gute Erträge und Früchte<br />

von hervorragender Qualität hervor.<br />

Die Förderung des Bodenlebens und<br />

die Schliessung der Nährstoff- und<br />

Wasserkreisläufe hat zum Ziel, den<br />

Boden über die Bewirtschaftung langfristig<br />

aufzubauen. Zu den Grundsätzen<br />

zählt, den Boden ständig durchwurzelt<br />

und bedeckt zu lassen, die<br />

Bodenbearbeitung minimal zu hal -<br />

ten und die Biodiversität zu fördern,<br />

was die Integration von Nutz- und<br />

Wildtieren in das Agrarökosystem<br />

einschliesst. Für Jürg Raths entspricht<br />

der Kern der regenerativen Landwirtschaft<br />

einer Selbstverständlichkeit:<br />

«Heute wissen wir ja, mit welchen<br />

Einbussen an Bodenqualität wir die<br />

gleichförmigen Höchsternten eingefahren<br />

haben. Einiges, was wir<br />

heute anwenden, findet sich in den<br />

Grundsätzen des bio-dynamischen<br />

Anbaus, in Begriffen wie Permakultur<br />

oder in Agroforstsystemen wieder.<br />

In der regenerativen Landwirtschaft<br />

kommt u.a. wieder ein vorindustrielles<br />

Wissen zum Zuge. Wir müssen<br />

uns in der Landwirtschaft davon<br />

verabschieden, Güterproduktion zu<br />

betreiben. Stattdessen müssen wir<br />

dazu beitragen, unsere agrarischen<br />

Ökosysteme zu pflegen und intakt<br />

zu halten.»<br />

Labor Futur<br />

Wer den Obst- und Beerenhof in<br />

Bubikon besucht, taucht mitten ins<br />

Labor Zukunft ein. Mit den Mitteln<br />

und dem Wissen von Gestern entsteht<br />

eine berechtigte Hoffnung auf<br />

die Ernährungssicherheit von Morgen.<br />

Eutrophe, d. h. zu stark mit Mineralien<br />

angereicherte Gewässer und<br />

Grünflächen, pestizidbelastetes<br />

Trinkwasser, verdichtete und ausgelaugte<br />

Böden sind das Ergebnis einer<br />

intensiven Agrarkultur. Allerdings hat<br />

die Intensivierung der Landwirtschaft<br />

auch die Basis für den technologischen<br />

Fortschritt des 20. Jahrhunderts<br />

gelegt. Die Obst- und Beerenanlage<br />

auf dem Brachland ist ein in sich<br />

geschlossenes Ökosystem, in dem die<br />

Kulturen indirekt – über den Boden –<br />

gestärkt werden. Denn aus einem leblosen<br />

Substrat kann kein neues Leben<br />

entstehen und sich etablieren. Klingt<br />

logisch und die Vielfalt auf dem Hof<br />

erscheint als die schlüssige Folge davon.<br />

Mittlerweile stehen die Beerenkulturen<br />

auf den Dämmen mit einer<br />

Mulchschicht aus Rasenschnitt, teilweise<br />

Pilzsubstrat und feinem Häcksel.<br />

Unter den Beerenruten leuchtet<br />

der Mangold und im Frühjahr die<br />

42 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


ENGAGEMENT<br />

Lass uns reden. Über den Boden.<br />

Vogelmiere und vieles mehr. Meerrettich,<br />

Knoblauch und Zwiebel übernehmen<br />

die Rolle des Fungizids.<br />

Obwohl Kupferspritzungen teilweise<br />

auch im Demeter-Anbau zugelassen<br />

wären, sind sie für Raths seit Betriebsbeginn<br />

ein «No-Go». Nicht ohne einzuwenden,<br />

dass auch seine Pflanzen<br />

manchmal Geduld und Heilung brauchen<br />

und dass keineswegs immer alles<br />

tadellos läuft. «Aber Pflanzen können<br />

sich sehr gut selber helfen – man<br />

muss wissen, wie man sie dabei unterstützt»,<br />

führt Raths nachdenklich<br />

an. «Es ist vor allem der gesunde,<br />

nährstoffreiche Boden, in Wechselwirkung<br />

mit Mischkulturen und<br />

Kohlmeisen picken<br />

die Schädlinge weg<br />

und zeigen Früchte mit<br />

Schädlingsbefall an.<br />

Marienkäfer sind<br />

treue Helfer<br />

im Kampf gegen<br />

Läuse.<br />

Nützlingen, die den Pflanzen helfen,<br />

sich aus eigener Kraft zu erholen.<br />

Und es braucht viel Musse wie auch<br />

Geduld, nicht einzugreifen.»<br />

Für eine möglichst sanfte Bodenbearbeitung<br />

verzichtet Raths vollständig<br />

auf das Umpflügen des Bodens<br />

und vermeidet damit den Strukturbruch<br />

der oberen Bodenschicht. Mit<br />

der zurückhaltenden Bodenbearbeitung<br />

wird das Bodenleben minimal<br />

gestört und die bodeneigenen Prozesse<br />

maximal unterstützt.<br />

Die Vielfalt der Erzeugnisse vom<br />

Brachland spiegelt die Vielfalt des Agrarökosystems<br />

auf dem Betrieb wider.<br />

Die Beeren und Früchte werden, neben<br />

dem Gemüse und weiteren Produkten,<br />

in den Biofachgeschäften der<br />

Region und zunehmend direkt an<br />

Kunden verkauft.<br />

Die Agrarpolitik kommt<br />

in Bewegung<br />

Die gegenwärtige Situation der<br />

Schweizer Landwirtschaft weckt<br />

Zweifel. Die Bodenbelastungen durch<br />

synthetische Dünger und Pestizide<br />

sind hoch, deren Rückstände in un-<br />

Helfende Hände, gute Ideen und Vorschläge sind<br />

immer willkommen. Auf dem Brachland wird eine<br />

offene Gesprächs- und Begegnungskultur gelebt.<br />

serem Trinkwasser ebenso. Mit der<br />

Trinkwasser-Initiative und der Pestizid-Initiative<br />

soll dies geändert werden<br />

– mit unterschiedlichen Massnahmen.<br />

Der Zustandsbericht zu den<br />

Schweizer Böden des Bundesamtes<br />

für Umwelt von 2017 hält fest, dass<br />

die Qualität unseres Trinkwassers direkt<br />

von intakten und belebten Böden<br />

abhängt.<br />

Jürg Raths unterstützt beide Initiativen<br />

und sieht sich in der Stossrichtung<br />

bestätigt. Er sagt, «Die Annahme<br />

der Initiativen ist ein Muss – damit<br />

wir nicht den Boden unter unseren<br />

Füssen verlieren. Wir sollten uns fragen,<br />

woher unser Essen kommt und<br />

wie der Boden behandelt wird, der<br />

unsere Lebensmittel hervorbringt.»<br />

Ein intakter und belebter Boden ist<br />

die Zielsetzung der regenerativen<br />

Landwirtschaft. Ein Boden, der die<br />

benötigten Nährstoffe zur Verfügung<br />

stellt, ohne übernutzt zu werden. Ein<br />

gesunder Boden, der von synthetischen<br />

Dünge- und Pflanzenschutzmitteln<br />

verschont bleibt.<br />

Fruchtbarer Boden ist endlich –<br />

und deshalb unendlich kostbar!<br />

Wer sich einbringen und<br />

für die Schweizer Böden<br />

stark machen möchte,<br />

kann eine Patenschaft für<br />

die Bodenfruchtbarkeit<br />

abschliessen oder direkt<br />

das Brachland tatkräftig<br />

als Nachhaltigkeitspionier<br />

oder auch finanziell<br />

unterstützen:<br />

→ www.bodenfruchtbarkeit.bio<br />

→ www.bio-beeren-obst.ch<br />

PS: Der Hof Brachland<br />

und weitere Landbesitzer<br />

müssen sich aktuell gegen<br />

ein grosses Bauprojekt behaupten.<br />

Darum wurde die<br />

IG Pro Brach-Fuchsbühl<br />

gegründet. Mehr dazu auf:<br />

→ www.brach-fuchsbuehl.ch<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 43


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Garten-Center Meier<br />

Winter ade!<br />

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FRÜHLINGSERWACHEN<br />

Pirmin Rutz, Chef-Florist<br />

«Blütenreich» Meiers Blumenladen<br />

Nach einem dunklen Winter ist das Erblühen<br />

von Frühlingsblumen fast wie ein Erwachen<br />

aus einem langen Schlaf. Und der<br />

Frühling hat jetzt einiges zu bieten: Tulpen,<br />

Narzissen, Ranunkeln, Hyazinthen und viele<br />

mehr. In kräftigen Farbtönen über farbenfrohe<br />

Mischungen bis hin zu klarem Weiss<br />

blüht es jetzt schon wieder überall – im Blumenladen<br />

«Blütenreich» und beim Saisonflor.<br />

Auch die neue Gartensaison wird eingeläutet.<br />

Zwar kann noch längst nicht alles<br />

draussen im Beet oder Topfgarten ausgesät<br />

werden. Doch auf der Fensterbank, an einem<br />

kühlen Platz im Haus oder im Frühbeet<br />

geht so einiges. Achten Sie dabei immer auf<br />

die Temperaturwünsche auf der Samenpackung.<br />

Für die Aussaat im Haus eignen<br />

sich zum Beispiel Tomaten, Lauch, Salat, Pak<br />

Choi, Gartenkresse oder Lemongras. Und<br />

als Faustregel für draussen: Alles, was für<br />

den März im Freien zur Aussaat geeignet ist,<br />

kann auch bereits Anfang bis Mitte Februar<br />

geschützt, d. h. im Gewächshaus oder unter<br />

Folie ausgesät werden. Freuen Sie sich<br />

mit uns auf «frischen Wind» in Haus und<br />

Garten.<br />

Herzlichst,<br />

Ihr Pirmin Rutz<br />

Garten-Center Meier<br />

Gärtnerei – Gartengestaltung –<br />

Gastronomie<br />

Kreuzstrasse 2, 8635 Dürnten<br />

Tel. 055 251 71 71<br />

gartencenter@meier-ag.ch<br />

→ www.meier-ag.ch<br />

Öffnungszeiten<br />

Mo–Fr 8.30–18.30 Uhr | Sa 8–17 Uhr<br />

Oben: Die Tulpen im<br />

«Blütenreich» stammen<br />

natürlich aus unserer<br />

eigenen Gärtnerei – und<br />

machen sich auch gut<br />

zum Valentinstag.<br />

44 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


Aktuelle Angebote<br />

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Bildet weisse, duftende Blüten<br />

bis in den März hinein.<br />

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gelben Blütenkelchen eine der<br />

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Zimmerpflanze des Monats.<br />

Leuchtende Blüten in Weiss,<br />

Rosa, Rot oder Pink-Violett.<br />

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Frühe Blüten und Nahrung<br />

für Insekten, die bereits an<br />

den ersten sonnigen Tagen<br />

unterwegs sind.<br />

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an Pfirsich und Nektarinen.<br />

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viel Zeit oder keinen<br />

grünen Daumen haben.<br />

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PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 45


Immer<br />

informiert.<br />

Meiers Garten-<br />

Newsletter<br />

Unser kostenloser Garten-Newsletter informiert<br />

Sie 10 bis 15 Mal im Jahr über naturnahe Gartenpflege,<br />

Gartenkurse, inspirierende Veranstaltungen, neue Blumen-,<br />

Rosen-, Obst- und Gemüsesorten. Nützliche Informationen<br />

für viel Freude im Garten, auf der Terrasse und dem Balkon.<br />

Einfach anmelden auf<br />

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> mehr lesen<br />

Garten-Center Meier | Kreuzstrasse 2 | 8635 Dürnten<br />

Tel. 055 251 71 71 | Öffnungszeiten: Mo – Fr 8.30 – 18.30 Uhr l Sa 8 – 17 Uhr<br />

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IMMER GUT BERATEN!<br />

Als Konsequenz auf den Bundesratsentscheid<br />

vom 13. Januar verzichten wir bis Ende Februar<br />

komplett auf die Durchführung von Garten -<br />

kursen. Damit Sie für Ihre Gartenarbeiten den -<br />

noch immer «Up to Date» sind, veröffentlichen<br />

wir auch online regelmässig neue Beiträge<br />

und Posts zu den relevanten Gartenthemen.<br />

Besuchen Sie uns.<br />

www.gartenkurse.ch<br />

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46 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


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Garten-Center Meier<br />

Tipp<br />

ORCHIDEEN-UMPFLANZAKTION<br />

3. bis 16. Februar 2021<br />

Alle zwei Jahre sollten Orchideen in neues Substrat<br />

gepflanzt werden. Während unserer Februar-Aktion vom<br />

3. bis 16. Februar übernehmen unsere Gärtner*innen<br />

das für Sie – Arbeit und Substrat kostenlos.<br />

!<br />

Vorsicht: Pflanzen bei Kälte gut einpacken.<br />

Keine voll blühenden Orchideen mitbringen.<br />

Datum: 3. bis 16. Februar 2021<br />

Ort: Garten-Center Meier, Abteilung Zimmerpflanzen<br />

Infos: www.gartenkurse.ch<br />

Anzucht-<br />

Tipp!<br />

Mini-Gewächshaus<br />

Das Zimmergewächshaus für professionelle<br />

Anzuchtergebnisse! Das Maximus Complete 3.0 LED von<br />

Romberg ist für die Aussaat und die Stecklingsvermehrung<br />

gleichermassen geeignet. Mit Beleuchtung, Heizmatte,<br />

Thermostat, Umluftventilator, Zeitschaltuhr und<br />

77 Quelltabletten. Masse L x B x H 59 x 39 x 27 cm. Es ist<br />

derzeit das grösste Zimmergewächshaus auf dem Markt.<br />

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PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 47<br />

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Grüne Agenda<br />

Ausflugstipps<br />

FREIER GARTENEINTRITT<br />

Landhaus Ettenbühl<br />

Einschränkungen machen erfinderisch. Die Gastgeber von<br />

Landhaus Ettenbühl haben sich entschieden, ihre Gärten<br />

den ganzen Winter hindurch kostenfrei zu öffnen, um<br />

Erholungssuchenden ein sicheres Ausflugsziel zum Auftanken<br />

und Geniessen zu bieten.<br />

Zur Blütezeit reisen Rosenliebhaberinnen aus ganz<br />

Deutschland und der Schweiz ins südbadische Bad Bellingen,<br />

das nur eine halbe Autostunde von Basel entfernt<br />

liegt. Im Winter ist es ruhiger, aber auch dann sind die<br />

weitläufigen Gärten ein Ort der Musse.<br />

Da das Restaurant aufgrund der Corona-Massnahmen<br />

geschlossen bleiben muss, gibt es kleine Soul-Food-<br />

Speisen wie Eintöpfe, Cream Tea und Kuchen «to go».<br />

→ www.landhaus-ettenbuehl.de<br />

© StockSnap<br />

WERKSTATTTAG IM<br />

PFLANZENLABOR<br />

Samstag, 13., oder Sonntag, 14. Februar 2021<br />

«Nature is not a place to visit. It is home», steht auf<br />

der Website von Giovina Nicolai, Dipl. Drogistin<br />

HF und Galenikerin. Mit diesem Zitat des amerikanischen<br />

Schriftstellers und Umweltaktivisten Gary<br />

Snyder kommt die Achtsamkeit zum Ausdruck,<br />

mit der die Bernerin der Natur und den Pflanzen<br />

begegnet. Ihr umfassendes Wissen gibt sie in ihren<br />

Kursen weiter. Ein Werkstatttag ist der Wüstenlilie<br />

Aloe vera gewidmet, die bei vielen auf der Fensterbank<br />

wächst.<br />

Für Giovina Nicolai bedeutet<br />

ein Blatt der Aloe vera Naturkosmetik<br />

pur. In diesem eintägigen<br />

Kurs lernen die Teilnehmerinnen<br />

fundiertes Hintergrundwissen<br />

und praktische<br />

Anwendungen für den Alltag.<br />

Kosten: CHF 60.– (inkl. Kursmaterial<br />

und Tee)<br />

Details und Anmeldung:<br />

→ www.pflanzenlabor.ch<br />

STADTBAUM UNTER DRUCK<br />

Stadtgärtnerei Zürich<br />

Gut 110 000 Bäume prägen das Stadtbild. Können wir uns Zürich ohne<br />

sie überhaupt vorstellen? Das Grün im städtischen Grau trägt zu unserem<br />

Wohlbefinden bei. Bäume filtern Feinstaub, produzieren Sauerstoff<br />

und kühlen das Stadtklima spürbar. Insbesondere alte Bäume sind Lebensraum<br />

für zahlreiche Tierarten wie Vögel, Falter und Käfer. Bäume<br />

sind auch Zeitzeugen und Kulturgut.<br />

Die Ausstellung stellt zehn typische Stadtbäume vor. Ihre Besonderheiten<br />

und ihre Bedeutung stehen stellvertretend für alle anderen<br />

Grünanlagen-, Strassen- und Hinterhofbäume. Welche Zukunft haben<br />

Stadtbäume und damit verbunden unsere Lebensqualität? sind Fragen,<br />

auf welche die Austellungsmacher Antworten gesucht haben.<br />

Rahmenprogramm und Öffnungszeiten auf:<br />

→ www.stadt-zuerich.ch/stadtgaertnerei<br />

Aufgrund aktueller COVID-Situation Änderungen vorbehalten.<br />

48 FEBRUAR 2021 | PFLANZENFREUND.CH


STANDPUNKT<br />

© Adobe Stock<br />

Entscheiden dürfen<br />

Als ich meine ersten Erfahrungen mit der<br />

Übernahme von Verantwortung im Familienunternehmen<br />

machte, beklagte ich mich<br />

einmal über die Bürde, andauernd entscheiden<br />

zu müssen. Soll in eine neue Technologie<br />

investiert werden? Soll der Stab über<br />

einer bestimmten Mitarbeiterin oder einem<br />

bestimmten Mitarbeiter gebrochen werden?<br />

Soll ein Produkt aus dem Sortiment verbannt<br />

werden? Soll von einem Lieferanten<br />

zu einem anderen gewechselt werden?<br />

Mein Gegenüber sah mich verständnislos<br />

an und entgegnete mir eindringlich, dass es<br />

doch ein absolutes Privileg sei, entscheiden<br />

zu «dürfen». Statt mich selbst zu bemitleiden,<br />

solle ich gefälligst an all jene denken,<br />

welche nicht mitentscheiden können. Letztere<br />

hätten Grund, sich zu beklagen. Diejenigen,<br />

die Entscheidungen fällen «dürfen»,<br />

sollten sich ihres Privilegs bewusst sein.<br />

Wenn sich meine Stirn heute ob einer<br />

kniffligen Entscheidung in Falten legt, denke<br />

ich an diese Konversation zurück: Entscheiden<br />

«dürfen» – wie bin ich ob dieser unternehmerischen<br />

Freiheit doch privilegiert.<br />

Gleichzeitig erinnere ich mich an die Feststellung<br />

des französischen Philosophen<br />

Albert Camus, dass es nicht die Privilegien<br />

sind, aus welchen die Freiheit besteht, sondern<br />

aus Pflichten. Und mit Pflichten eng<br />

ver woben ist immer auch Verantwortung.<br />

Bezüglich der anstehenden Initiativen um<br />

Pestizide und Trinkwasser beschert uns unser<br />

freiheitliches Demokratiesystem wieder<br />

einmal ein besonders kontroverses Wechselbad<br />

aus Privileg und Pflicht. In Bezug auf<br />

diese beiden Initiativen stehe ich als Gärtner<br />

natürlich besonders in der Verantwortung,<br />

mich pflichtbewusst mit dem Thema auseinanderzusetzen.<br />

So befasse ich mich seit der<br />

Einreichung der beiden Initiativen Anfang<br />

2018 intensiv mit deren Ansinnen.<br />

Im Branchenverband JardinSuisse gingen<br />

die Meinungen in den unterschiedlichen<br />

Fachgruppen um Zustimmung oder Ablehnung<br />

der Initiativen auseinander. Schlussendlich<br />

hat sich JardinSuisse zusammen<br />

mit anderen Verbänden der «Interessengemeinschaft<br />

Zukunft Pflanzenschutz» angeschlossen.<br />

Deren Argumente gegen die Initiativen<br />

kann ich sowohl aus privater als auch<br />

gärtnerischer Perspektive und Erfahrung<br />

PFLANZENFREUND.CH | FEBRUAR 2021 49


STANDPUNKT<br />

Entscheiden dürfen<br />

absolut nachvollziehen. Diese geht davon<br />

aus, dass es der Wissenschaft gelingt, auch<br />

ökologisch sinnvolle, chemische Pflanzenschutzmittel<br />

zu entwickeln.<br />

Ich traf mich auch mit Ulrich Veith, dem<br />

zunächst erfolgreichen Initianten des Referendums<br />

für eine pestizidfreie Gemeinde im<br />

Südtirol. Vom «Malser Wunder» war damals<br />

die Rede. Doch das Wunder ward nicht<br />

Wirklichkeit. Das lokale Pestizidverbot wurde<br />

für null und nichtig erklärt, schlicht, weil<br />

die Gemeinde für diese – allein vom Staat zu<br />

regelnde – Umweltschutzfrage nicht zuständig<br />

sei. An einem tristen Novembertag erzählte<br />

mir Ulrich Veith, damals noch Bürgermeister<br />

von Mals, beim Mittagessen die<br />

eindrückliche Geschichte um das hehre Ansinnen<br />

und den politischen Klüngel. Im Anschluss<br />

an dieses Gespräch hätte ich sowohl<br />

der Trinkwasser- als auch der Pestizidinitiative<br />

sofort zugestimmt.<br />

Trotz unzähligen Gesprächen mit unterschiedlichsten,<br />

engagierten Menschen, bin<br />

ich zutiefst gespalten. Ich weiss nicht mehr,<br />

was ich abstimmen soll und würde mich am<br />

liebsten enthalten. Mein Pflichtbewusstsein<br />

in Anlehnung an die erwähnte Aussage von<br />

Albert Camus wird mich jedoch zur Urne<br />

führen. Denn der bewusste Mensch ist, wie<br />

Camus schreibt, «Herr seiner Tage» und seines<br />

Schicksals Schmied. Und wie ich mich<br />

kenne, werde ich wohl für beide Initiativen<br />

ein «Nein» in die Urne legen. Einerseits aus<br />

meinem freiheitlichen Empfinden heraus.<br />

Und andererseits als verbindliche Verantwortung<br />

an meine Gärtnerpflicht, alles daran<br />

zu setzen, die Ziele der Initiativen trotzdem<br />

umzusetzen.<br />

Erwin Meier-Honegger<br />

ist Co-Geschäftsleiter<br />

der Firma Ernst Meier<br />

AG, Gärtner und setzt<br />

sich leidenschaftlich für<br />

seinen Berufsstand ein.<br />

Er ist international in<br />

zahlreichen Gremien<br />

aktiv und pflegt einen<br />

kritischen Blick auf seine<br />

Branche. In seinen<br />

Artikeln und Kommentaren<br />

nimmt er kein<br />

Blatt vor den Mund.<br />

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ganze Jahr<br />

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Workshops, Ausflüge<br />

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Oder Talon ausgefüllt senden an: Verlag «<strong>Pflanzenfreund</strong>», Kreuzstrasse 2, 8635 Dürnten<br />

□ Jahresabo 10 Ausgaben für Fr. 48.– □ Probeabo 4 Ausgaben für Fr. 19.– (Preise inkl. Versand)<br />

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Datum / Unterschrift


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Erzherzog Ludwig Salvator<br />

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den RHS Wisley Gardens<br />

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07.06. - 13.06.<br />

Irland<br />

die grüne Garteninsel,<br />

27.07. - 03.08.<br />

Japan<br />

Land der Gärten,<br />

30.10. - 10.11.<br />

Buchung & Kontakt:<br />

Oliva Reisen GmbH<br />

c/o Frau Doris Weber<br />

Rebenweg 33<br />

CH-8303 Bassersdorf<br />

Tel.: 044 888 75 63<br />

doris.weber@olivareisen.ch<br />

www.olivareisen.ch


Frühlingsgefühl<br />

Für Verliebte ist der Valentinstag<br />

jedes Jahr aufs Neue ein fester<br />

Bestandteil im gemeinsamen<br />

Kalender. Schenken Sie frische<br />

Tulpen aus unserer eigenen<br />

Gärtnerei. Ihre Farbenvielfalt<br />

sorgt nicht nur am Tag der Liebenden<br />

für Frühlingsgefühle. Wenn<br />

die Natur wieder langsam erwacht,<br />

bringen sie frischen Duft ins Haus.<br />

Ein farbenfroher Blumenstrauss<br />

aus Meiers Blumenladen – dem<br />

«Blütenreich» – lässt garantiert<br />

Frühlingsgefühle aufkommen.<br />

Narzissen 'Tête-à-tête'<br />

im Weidenkörbli<br />

Mit ihren zarten dunkelgelben<br />

Blütenkelchen ist<br />

sie – als Arrangement im<br />

natürlichen Weidenkorb<br />

gepflanzt – einer der<br />

schönsten Frühlingsboten.<br />

Fr. 62.–<br />

Primula obconica<br />

Die Becherprimel ist<br />

eines der blütenreichsten<br />

Primelgewächse – auch<br />

für drinnen.<br />

Fr. 7.80<br />

Garten-Center Meier | Kreuzstrasse 2 | 8635 Dürnten<br />

Tel. 055 251 71 71 | Öffnungszeiten: Mo – Fr 8.30 – 18.30 Uhr l Sa 8 – 17 Uhr<br />

www.meier-ag.ch | www.gartenfragen.ch

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