01.02.2021 Aufrufe

Prima Magazin - Ausgabe Februar 2021

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ARMUT<br />

IM FOKUS<br />

gebraucht und hier bekommt sie Unterstützung,<br />

wenn sie organisatorisch nicht<br />

weiterkommt.<br />

Helga G. hat Ziele. Die Ausbildung zur<br />

Pflegeassistentin hat sie vor vier Jahren<br />

gemacht. Den Traumberuf hat sie nicht<br />

ausüben können, weil ihre Gelenke nicht<br />

mitgespielt haben. Gearbeitet hat sie aber<br />

immer. „Und wenn es ein Putzjob war.“<br />

Jetzt will sie unbedingt die Ausbildung zur<br />

Behindertenfachbetreuerin machen. „Aber<br />

das geht nur, wenn das AMS die Ausbildungskosten<br />

übernimmt.“ Dass ihr Berufswunsch,<br />

der mehr Einkommen und ihr<br />

und ihren Kinder ein sorgenfreieres Leben<br />

ermöglichen würde, eventuell wieder am<br />

Geld scheitern könnte, nimmt sie geduldig<br />

hin. Dann schließt sie kurz die Augen und<br />

meint leise: „Aber ich weiß, dass es diesmal<br />

klappen wird.“<br />

Corona hat vieles verschlimmert. Die<br />

Stimmung daheim habe sich verschlechtert.<br />

Der Begriff Homeschooling stößt ihr bitter<br />

auf. Laptop, Internetanschluss – das alles<br />

sind Kostentreiber und wenn man mehr<br />

daheim ist, geht auch die Kühlschranktür<br />

öfters auf. „Man braucht einfach mehr<br />

Geld für Lebensmittel“, sagt sie. Und fügt<br />

gleich hinzu: „Aber meine Kinder leiden<br />

nicht darunter. Da schau ich schon.“<br />

„Nicht genieren – Hilfe annehmen!“<br />

Helga G. hat ihr eigenes System, um zu<br />

sparen. „Am Monatsanfang zahle ich alle<br />

Fixkosten weg. Was übrig bleibt, heb ich<br />

ab und mit dem muss ich auskommen.<br />

Zur Bank gehe ich zwischendurch nie.<br />

Wenn mir vom Einkaufen Geld übrigbleibt,<br />

gebe ich es gleich in eine Spardose.<br />

Da kommt schon einiges zusammen.“<br />

Hätte sie ihre Freundinnen nicht, wäre<br />

es schwieriger durchzukommen, sagt sie.<br />

„Wir helfen uns gegenseitig. Ohne sie<br />

wäre ich aufgeschmissen.“ Selbstorganisation<br />

ist wichtig. Aufstehen und handeln!<br />

Das kann sie jeder Frau raten, die auch<br />

an der Grenze lebt. „Hilfe annehmen und<br />

sich nicht genieren, wenn man zum Sozialmarkt<br />

geht oder andere Stellen aufsucht.<br />

Und vor allem zum AMS schauen“, sagt<br />

sie. Es ist wichtig, Arbeit zu haben oder<br />

eine Ausbildung zu machen. Dadurch ist<br />

sie zu Mamas Küche gekommen. Und das<br />

ist für sie hoffentlich die Brücke auf dem<br />

langen, schweren Weg zu ihrem Traumjob<br />

– und um von der Armutsgrenze weiter<br />

wegzurücken.<br />

„Armut ist oft versteckt. Aber es gibt Hilfe.<br />

Daher bitte keine Scheu vor der Behörde!“<br />

Burgenlands Landtagspräsidentin Verena Dunst<br />

ist auch ehrenamtliche Präsidentin der<br />

Volkshilfe Burgenland<br />

Ab wann ist man arm?<br />

Die Armutsgefährdungsschwelle liegt bei einem Ein-Personen-<br />

Haushalt bei 1.286 Euro, bei einem Erwachsenen mit einem Kind<br />

bei 1.671 Euro monatlich. Aber Armut ist immer sehr individuell.<br />

Man muss sich die jeweilige Situation anschauen. Und Armut versteckt<br />

sich oftmals. Wir haben im Burgenland etwa 6.000 Kinder,<br />

die in Familien leben, die armutsgefährdet sind.<br />

Nun sind ja Frauen oft an der Armutsgrenze, weil sie nur teilzeitbeschäftigt<br />

und auch noch Alleinerzieherinnen sind.<br />

Alleinerziehende Mütter und Väter – und das sind über 10.000 im Burgenland – sind oft<br />

sehr nahe dran, dass sie das alleine nicht schaffen können. Als Alleinerziehender kann man<br />

schwer einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen und Fakt ist: Arbeit schützt vor Armut. Daher<br />

ist es so wichtig, auf Systeme bauen zu können – also Hilfe bei der Kinderbetreuung etc.<br />

Was meinen Sie mit Systeme?<br />

Viele Frauen haben eine Scheu davor, zur Behörde – wie zur Jugendwohlfahrt – zu gehen,<br />

weil sie dann nicht mehr anonym sind. Diese Angst möchte ich ihnen nehmen. Bei den Behörden<br />

laufen die Kompetenzen zusammen und letztlich auch die Geldflüsse. Daher mein<br />

Appell: Bitte nicht zurückschrecken. Das bedeutet für Alleinerzieherinnen ganz konkret die<br />

Botschaft: Es gibt Hilfe, wenn man sich an die Behörde wendet.<br />

Was sind denn nun die Armutsfallen?<br />

An erster Stelle steht sicherlich der Arbeitsplatz. Arbeit schafft Einkommen. Die zweite<br />

Armutsfalle ist der Bereich, wenn es ums Wohnen geht. Was kann man sich leisten? Und<br />

im dritten Bereich geht es um Mobilität und Kostentreiber wie Energie. Aber es gibt für alle<br />

Bereiche Fördermöglichkeiten und Zuschüsse. Man muss sich bitte nur melden.<br />

Ältere Frauen sind ja oft in einem Abhängigkeitsverhältnis, weil sie sich in erster Linie<br />

um die Familie gekümmert haben, vielleicht keine Ausbildung – in manchen Fällen<br />

nicht einmal einen Führerschein – haben. Wo kann man ansetzen?<br />

Es gibt auch hier viele Qualifizierungsförderungen. Das AMS hat einiges möglich gemacht.<br />

Auch für eine 52-Jährige muss eine Ausbildung möglich sein und sie ist es auch. Das Pensionsalter<br />

wird nach oben gehen und daher ist es immer wichtig, sich weiterzubilden.<br />

Viele Frauen haben ihr Selbstbewusstsein verloren und in Qualifizierungsmaßnahmen wie<br />

bei Mamas Küche lernen sie wieder das Selbststeuern ihres Lebens. Manche haben vor<br />

vielen Jahren Kompetenzen erworben, die heute nicht mehr in die Zeit passen. Das heißt,<br />

man muss diese Kompetenzen in die heutige Zeit bringen. Und sie müssen oft auch erst<br />

lernen, sich selber und den Tag zu organisieren.<br />

Ihr Appell an die Frauen:<br />

Auf sich selber achten! In vielen Bereichen des Lebens, aber unbedingt auch darauf, dass<br />

man ein eigenes Einkommen erzielt. Einkommen macht unabhängig und macht<br />

Leben erst möglich. Wenn Frauen den Mut und die Courage haben, können sie<br />

sich super gegenseitig unterstützen. Daher ganz wichtig: Selbstorganisation.<br />

Und bitte die Zeit nutzen, wenn man jetzt zuhause ist. Bei uns, bei der Volkshilfe,<br />

hat im Jänner eine Frau in der Hauskrankenpflege eine Anstellung bekommen.<br />

Sie hat im Zuge des Pflegemodells im Burgenland ihren Angehörigen<br />

begleitet und sich hier viele Kompetenzen erworben. Auch das ist möglich.<br />

In der online-Version<br />

des Interviews finden Sie<br />

auch die Ergebnisse zur<br />

Umfrage „Corona<br />

und Kinderarmut“:<br />

www.prima-magazin.at<br />

Rubrik: Im Fokus<br />

FEBER <strong>2021</strong><br />

15

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!