Prima Magazin - Ausgabe Februar 2021
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ARMUT<br />
IM FOKUS<br />
gebraucht und hier bekommt sie Unterstützung,<br />
wenn sie organisatorisch nicht<br />
weiterkommt.<br />
Helga G. hat Ziele. Die Ausbildung zur<br />
Pflegeassistentin hat sie vor vier Jahren<br />
gemacht. Den Traumberuf hat sie nicht<br />
ausüben können, weil ihre Gelenke nicht<br />
mitgespielt haben. Gearbeitet hat sie aber<br />
immer. „Und wenn es ein Putzjob war.“<br />
Jetzt will sie unbedingt die Ausbildung zur<br />
Behindertenfachbetreuerin machen. „Aber<br />
das geht nur, wenn das AMS die Ausbildungskosten<br />
übernimmt.“ Dass ihr Berufswunsch,<br />
der mehr Einkommen und ihr<br />
und ihren Kinder ein sorgenfreieres Leben<br />
ermöglichen würde, eventuell wieder am<br />
Geld scheitern könnte, nimmt sie geduldig<br />
hin. Dann schließt sie kurz die Augen und<br />
meint leise: „Aber ich weiß, dass es diesmal<br />
klappen wird.“<br />
Corona hat vieles verschlimmert. Die<br />
Stimmung daheim habe sich verschlechtert.<br />
Der Begriff Homeschooling stößt ihr bitter<br />
auf. Laptop, Internetanschluss – das alles<br />
sind Kostentreiber und wenn man mehr<br />
daheim ist, geht auch die Kühlschranktür<br />
öfters auf. „Man braucht einfach mehr<br />
Geld für Lebensmittel“, sagt sie. Und fügt<br />
gleich hinzu: „Aber meine Kinder leiden<br />
nicht darunter. Da schau ich schon.“<br />
„Nicht genieren – Hilfe annehmen!“<br />
Helga G. hat ihr eigenes System, um zu<br />
sparen. „Am Monatsanfang zahle ich alle<br />
Fixkosten weg. Was übrig bleibt, heb ich<br />
ab und mit dem muss ich auskommen.<br />
Zur Bank gehe ich zwischendurch nie.<br />
Wenn mir vom Einkaufen Geld übrigbleibt,<br />
gebe ich es gleich in eine Spardose.<br />
Da kommt schon einiges zusammen.“<br />
Hätte sie ihre Freundinnen nicht, wäre<br />
es schwieriger durchzukommen, sagt sie.<br />
„Wir helfen uns gegenseitig. Ohne sie<br />
wäre ich aufgeschmissen.“ Selbstorganisation<br />
ist wichtig. Aufstehen und handeln!<br />
Das kann sie jeder Frau raten, die auch<br />
an der Grenze lebt. „Hilfe annehmen und<br />
sich nicht genieren, wenn man zum Sozialmarkt<br />
geht oder andere Stellen aufsucht.<br />
Und vor allem zum AMS schauen“, sagt<br />
sie. Es ist wichtig, Arbeit zu haben oder<br />
eine Ausbildung zu machen. Dadurch ist<br />
sie zu Mamas Küche gekommen. Und das<br />
ist für sie hoffentlich die Brücke auf dem<br />
langen, schweren Weg zu ihrem Traumjob<br />
– und um von der Armutsgrenze weiter<br />
wegzurücken.<br />
„Armut ist oft versteckt. Aber es gibt Hilfe.<br />
Daher bitte keine Scheu vor der Behörde!“<br />
Burgenlands Landtagspräsidentin Verena Dunst<br />
ist auch ehrenamtliche Präsidentin der<br />
Volkshilfe Burgenland<br />
Ab wann ist man arm?<br />
Die Armutsgefährdungsschwelle liegt bei einem Ein-Personen-<br />
Haushalt bei 1.286 Euro, bei einem Erwachsenen mit einem Kind<br />
bei 1.671 Euro monatlich. Aber Armut ist immer sehr individuell.<br />
Man muss sich die jeweilige Situation anschauen. Und Armut versteckt<br />
sich oftmals. Wir haben im Burgenland etwa 6.000 Kinder,<br />
die in Familien leben, die armutsgefährdet sind.<br />
Nun sind ja Frauen oft an der Armutsgrenze, weil sie nur teilzeitbeschäftigt<br />
und auch noch Alleinerzieherinnen sind.<br />
Alleinerziehende Mütter und Väter – und das sind über 10.000 im Burgenland – sind oft<br />
sehr nahe dran, dass sie das alleine nicht schaffen können. Als Alleinerziehender kann man<br />
schwer einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen und Fakt ist: Arbeit schützt vor Armut. Daher<br />
ist es so wichtig, auf Systeme bauen zu können – also Hilfe bei der Kinderbetreuung etc.<br />
Was meinen Sie mit Systeme?<br />
Viele Frauen haben eine Scheu davor, zur Behörde – wie zur Jugendwohlfahrt – zu gehen,<br />
weil sie dann nicht mehr anonym sind. Diese Angst möchte ich ihnen nehmen. Bei den Behörden<br />
laufen die Kompetenzen zusammen und letztlich auch die Geldflüsse. Daher mein<br />
Appell: Bitte nicht zurückschrecken. Das bedeutet für Alleinerzieherinnen ganz konkret die<br />
Botschaft: Es gibt Hilfe, wenn man sich an die Behörde wendet.<br />
Was sind denn nun die Armutsfallen?<br />
An erster Stelle steht sicherlich der Arbeitsplatz. Arbeit schafft Einkommen. Die zweite<br />
Armutsfalle ist der Bereich, wenn es ums Wohnen geht. Was kann man sich leisten? Und<br />
im dritten Bereich geht es um Mobilität und Kostentreiber wie Energie. Aber es gibt für alle<br />
Bereiche Fördermöglichkeiten und Zuschüsse. Man muss sich bitte nur melden.<br />
Ältere Frauen sind ja oft in einem Abhängigkeitsverhältnis, weil sie sich in erster Linie<br />
um die Familie gekümmert haben, vielleicht keine Ausbildung – in manchen Fällen<br />
nicht einmal einen Führerschein – haben. Wo kann man ansetzen?<br />
Es gibt auch hier viele Qualifizierungsförderungen. Das AMS hat einiges möglich gemacht.<br />
Auch für eine 52-Jährige muss eine Ausbildung möglich sein und sie ist es auch. Das Pensionsalter<br />
wird nach oben gehen und daher ist es immer wichtig, sich weiterzubilden.<br />
Viele Frauen haben ihr Selbstbewusstsein verloren und in Qualifizierungsmaßnahmen wie<br />
bei Mamas Küche lernen sie wieder das Selbststeuern ihres Lebens. Manche haben vor<br />
vielen Jahren Kompetenzen erworben, die heute nicht mehr in die Zeit passen. Das heißt,<br />
man muss diese Kompetenzen in die heutige Zeit bringen. Und sie müssen oft auch erst<br />
lernen, sich selber und den Tag zu organisieren.<br />
Ihr Appell an die Frauen:<br />
Auf sich selber achten! In vielen Bereichen des Lebens, aber unbedingt auch darauf, dass<br />
man ein eigenes Einkommen erzielt. Einkommen macht unabhängig und macht<br />
Leben erst möglich. Wenn Frauen den Mut und die Courage haben, können sie<br />
sich super gegenseitig unterstützen. Daher ganz wichtig: Selbstorganisation.<br />
Und bitte die Zeit nutzen, wenn man jetzt zuhause ist. Bei uns, bei der Volkshilfe,<br />
hat im Jänner eine Frau in der Hauskrankenpflege eine Anstellung bekommen.<br />
Sie hat im Zuge des Pflegemodells im Burgenland ihren Angehörigen<br />
begleitet und sich hier viele Kompetenzen erworben. Auch das ist möglich.<br />
In der online-Version<br />
des Interviews finden Sie<br />
auch die Ergebnisse zur<br />
Umfrage „Corona<br />
und Kinderarmut“:<br />
www.prima-magazin.at<br />
Rubrik: Im Fokus<br />
FEBER <strong>2021</strong><br />
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