Mind-Mag 140
Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.
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LESERBRIEFE<br />
Leserbrief zu „Anmerkungen<br />
zur Heilpraktiker-<br />
Prüfung“, MinD-<strong>Mag</strong> 139<br />
Diese Polemik greift ins Leere<br />
Lieber Bernd Springer,<br />
dein Leserbrief hat recht gemischte<br />
Gefühle hervorgerufen.<br />
Deine Motivation war die<br />
Sorge um den Patienten? Das alles<br />
hat einerseits sicherlich eine<br />
Berechtigung, andererseits ist<br />
es sehr oberflächlich und undifferenziert.<br />
Zu deinen einzelnen<br />
Punkten:<br />
1. Ja, Heilpraktiker ist kein Ausbildungsberuf.<br />
Es wird geprüft,<br />
ob der Antragsteller eine Gefahr<br />
für die Volksgesundheit<br />
(die Formulierung hat sich inzwischen<br />
etwas geändert) darstellt.<br />
Das heißt: Der Antragsteller<br />
muss die Gesetze des Infektionsschutzgesetzes<br />
und so weiter<br />
kennen. Und er muss danach<br />
handeln können. Von „keinerlei<br />
Kompetenzen“ zu sprechen<br />
ist grotesk.<br />
2. Die Heilpraktikerschulen, die<br />
das in der Tat oft irreführenderweise<br />
„Ausbildung“ nennen,<br />
sind Paukkurse, in denen Pathologie,<br />
Anatomie, Psychiatrie et<br />
cetera relativ detailliert vermittelt<br />
werden. Das Wissen geht in<br />
den meisten Disziplinen weit<br />
über das Vorklinikum des Medizinstudiums<br />
hinaus. (Die wissenschaftlichen<br />
Fächer wie Biologie,<br />
Chemie fehlen indes.)<br />
3. Die schriftliche Prüfung ist<br />
ein Multiple-Choice-Test. Es<br />
gibt allerdings unterschiedliche<br />
Multiple-Choice-Tests. Hier<br />
wird die schwierigste Form eingesetzt,<br />
mit mehreren möglichen<br />
Antworten und/oder Antwortkombinationen.<br />
75 Prozent<br />
richtige Antworten heißt bestanden.<br />
Die Antworten differieren<br />
vom Schwierigkeitsgrad<br />
sehr; das mittelt sich bei 60 Fragen<br />
aus. Von vier Ärzten, denen<br />
ich eine Prüfung vorgelegt habe<br />
(unter anderem meinem Bruder,<br />
einem Chefarzt), hätte keiner<br />
die Prüfung bestanden.<br />
4. Es gibt keinen festgelegten<br />
Fragenkatalog: in der Tat! Und<br />
das ist auch eines der wenigen<br />
Dinge, die bei der Heilpraktiker-Prüfung<br />
wirklich gut und<br />
sinnvoll sind. Eine Fragenkatalog,<br />
den es nur auswendig zu<br />
lernen gälte, wäre ja eine Farce.<br />
Die mündliche Prüfung ist aufgrund<br />
ihrer Subjektivität problematisch;<br />
nein, eigentlich nicht<br />
„Subjektivität“, sondern oft einfach<br />
Willkür.<br />
5. Ja. Und was sagt das über das<br />
Heilpraktikerwesen?<br />
6. Das Bestehen der Heilpraktiker-Prüfung<br />
gibt einem die Erlaubnis<br />
zu behandeln, nicht<br />
aber die Qualifikation. Ohne<br />
Qualifikation zu behandeln ist<br />
nach wie vor strafbar.<br />
7. Bist du Arzt oder in einem<br />
ähnlichen Beruf tätig oder hast<br />
dich aus Interesse näher mit Medizin<br />
beschäftigt? Wenn nicht,<br />
biete ich dir eine Wette an, dass<br />
du es nie und nimmer in „wenigen<br />
Wochen“ (vier, sechs, acht?)<br />
schaffst, auch nur die schriftliche<br />
Prüfung zu bestehen.<br />
8. Der Vergleich Facharzt/Heilpraktiker<br />
(gerade Prüfung bestanden)<br />
ist polemisch und natürlich<br />
völlig absurd. Wenn,<br />
dann wär es mit dem AiP zu vergleichen.<br />
9. Darüber weiß ich nichts.<br />
10. „Schulmedizin“ wird ganz<br />
unterschiedlich gebraucht; ja,<br />
freilich, es gibt diese Esos, die<br />
es ganz schlimm finden, wenn<br />
etwas tatsächlich empirisch erforscht<br />
wurde. Die meisten dürften<br />
das nicht sein. Da scheint<br />
mir eher eine Dualität gesehen<br />
zu werden: Schulmedizin – Alternative<br />
(Placebo?) Medizin.<br />
„Evidenzbasierte Medizin“ mit<br />
„Schulmedizin“ gleichzusetzen<br />
… uiuiui, da würd ich doch noch<br />
mal nachlesen.<br />
Kurzum: Diese Heilpraktikerpolemik<br />
greift ins Leere. Banalitäten,<br />
alte (und zutreffende)<br />
Argumente aus der Mottenkiste;<br />
die wirkliche Problematik<br />
nicht einmal angesprochen und<br />
eine ausgedachte Umfrage mit<br />
Quatschergebnissen.<br />
Nun ist es keineswegs so, dass<br />
ich dem Heilpraktikerwesen<br />
nicht eher kritisch gegenüberstünde.<br />
Den Großteil der oft angewandten<br />
Methoden halte ich<br />
für teils unsinnig, teils für gefährlich<br />
und Heilerfolge im Wesentlichen<br />
dem Placeboeffekt zu<br />
verdanken.<br />
Placebo ist aber eines der effektivsten<br />
Heilmittel.<br />
Was ich am Heilpraktikerwesen<br />
und vor allem an der Prüfung<br />
problematisch finde: Das<br />
Verständnis der wissenschaftlichen<br />
Methode und rationales<br />
Denken, Verantwortungsgefühl<br />
und Bewusstsein der eigenen<br />
Grenzen werden nicht oder völlig<br />
unzureichend geprüft.<br />
Herzliche Grüße,<br />
Aljoscha Long<br />
54 | mind magazin <strong>140</strong>/februar 2021