Mind-Mag 140
Die Zeitschrift von Mensa in Deutschland (MinD), des deutschen Ablegers der weltweiten Hochbegabten-Organisation Mensa.
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EIN M VON NEBENAN<br />
hoch emotional und dramatisch<br />
mit dem ganzen Orchester. Für<br />
die Inszenierung in Essen haben<br />
wir das sogar noch gesteigert.<br />
Das ist es, was mich am<br />
Singen fasziniert.<br />
Das hat man wohl auch gespürt:<br />
Für den „Werther“ wurde<br />
ich von der Bastille-Oper in Paris<br />
eingeladen, das war eine große<br />
Sache. Ab da ging es mit meiner<br />
Karriere steil bergauf.<br />
Das war also der Wendepunkt<br />
in deiner Karriere?<br />
Ja, das kann man sagen. Davor<br />
war ich ein vielversprechendes<br />
Nachwuchs-Talent und nun war<br />
ich auf einmal der „Rising Star“.<br />
Das war eine verrückte Zeit, das<br />
Interesse an meiner Person war<br />
groß. In der Pariser Oper wurde<br />
angerufen: „Wer ist dieser Abdellah<br />
Lasri?“ Es lief richtig gut,<br />
ich hatte tolle Angebote und<br />
Verträge.<br />
Gibt es einen Bühnen-<br />
Moment, an den du dich<br />
besonders gerne erinnerst?<br />
Oh ja, das war diese eine Werther-Inszenierung<br />
in Paris. Wir<br />
waren alle so verbunden, die<br />
Künstler untereinander, Sänger<br />
und Orchester, aber auch<br />
wir auf der Bühne mit dem Publikum.<br />
Es waren an diesem<br />
Abend ungefähr 3.000 Menschen<br />
im Saal und trotzdem war<br />
da eine so starke Verbindung!<br />
Ich glaube nicht an Übersinnliches,<br />
aber diese Energie zwischen<br />
uns, das war magisch. Wir<br />
haben uns alle gefühlt, so kann<br />
man es vielleicht am Besten beschreiben.<br />
Wir waren so ergriffen,<br />
dass wir auf der Bühne geweint<br />
haben. Das war schon ein<br />
sehr besonderer Moment.<br />
Deine Karriere lief also richtig<br />
gut. Es ist dann aber in letzter<br />
Zeit etwas ruhiger um dich<br />
geworden. Was war der Grund?<br />
Ich bekam plötzlich Probleme<br />
mit meiner Stimme. Vermutlich<br />
wollte mein Körper mir damit<br />
etwas sagen.<br />
Mein Lebenstraum war es,<br />
mich mit meiner Kunst auszudrücken,<br />
zu reisen, mit vielen<br />
verschiedenen Orchestern zu<br />
arbeiten. Die Realität sieht aber<br />
leider etwas anders aus: Wenn<br />
du in der Opernwelt bestehen<br />
und deinen Lebensunterhalt<br />
damit verdienen willst, musst<br />
du schon ein bisschen „fake“<br />
sein. Man muss sehr diplomatisch<br />
agieren und teilweise wird<br />
viel Politik im Verborgenen gemacht.<br />
„Es ist nicht immer objektiv<br />
nachvollziehbar, warum<br />
der eine Sänger die Rolle<br />
bekommt und der andere<br />
nicht. Letztendlich zählt<br />
eben nicht nur die Technik,<br />
sondern das Potential, das<br />
die Leute in einem sehen.“<br />
Das mag ich überhaupt nicht.<br />
Im Endeffekt ging es eben nicht<br />
vorrangig um die Musik, wie ich<br />
es mir mit viel Idealismus ausgemalt<br />
hatte. Das habe ich sehr<br />
lange nicht sehen wollen, und<br />
dann kamen eben die ersten<br />
körperlichen Probleme.<br />
Wie bist du damit umgegangen?<br />
Ich habe mir eine Auszeit genommen<br />
und hatte das erste<br />
Mal seit langer Zeit die Gelegenheit<br />
zu reflektieren. Ja, ich war<br />
ganz oben angekommen, habe<br />
in vielen der großen Opernhäuser<br />
gespielt. Finanziell war das<br />
natürlich genial, aber wenn ich<br />
ehrlich zu mir war, war ich im<br />
tiefsten Innersten nicht zufrieden.<br />
Es gab immer seltener besondere<br />
Momente und immer mehr<br />
Routine. Es war sehr schwer,<br />
sich das einzugestehen, und ich<br />
habe lange versucht, mich damit<br />
abzufinden, dass es nicht<br />
jedesmal ein großes emotionales<br />
Feuerwerk gibt, wenn ich auf<br />
der Bühne stehe. Aber unterbewusst<br />
habe ich mich nach dieser<br />
Intensität gesehnt.<br />
Da ich auch privat eine schwierige<br />
Zeit durchlebt habe, bin ich<br />
letztendlich in eine depressive<br />
Phase gerutscht. Das war sehr<br />
heftig, vor ungefähr einem Jahr<br />
hatte ich den Tiefpunkt erreicht.<br />
Glücklicherweise habe ich das<br />
nun hinter mir gelassen, seit<br />
September geht es bergauf, und<br />
mittlerweile geht es mir wieder<br />
richtig gut, auch stimmlich.<br />
Das Singen ist nach wie vor<br />
meine Passion, aber heute weiß<br />
ich: Ich muss nicht singen, um<br />
zufrieden zu sein! Meine Einstellung<br />
zum Glück und zum<br />
Glücklich-Sein hat sich total<br />
verändert. Glück bedeutet für<br />
mich, schöne und wahrhaftige<br />
Momente zu schaffen und mit<br />
meinen echten Freunden zu teilen.<br />
Was meinst du: Welche Rolle<br />
hat deine Hochbegabung in<br />
deinem Lebenslauf und vielleicht<br />
auch besonders in dieser<br />
schwierigen Phase gespielt?<br />
Ich kann mir gut vorstellen, dass<br />
die Depression durch die Hoch-<br />
34 | mind magazin <strong>140</strong>/februar 2021