OM_02_2021_1
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
HAMMELSPRÜNGE<br />
WARM UMS HEIMWERKERHERZ<br />
Im Anfang war das Wort „Wärme“. Und das Wort „Wärme“ war beim<br />
Heimwerkergott. Und das Wort „Wärme“ war Heimwerkergott.<br />
Im Anfang war „Wärme“ beim Heimwerkergott. Und alles ist durch<br />
das Wort „Wärme“ geworden.<br />
Allerdings ist noch viel mehr durch das<br />
Wort „Wärme“ nichts geworden oder<br />
irreparabel kaputt gegangen. Wenig ist<br />
reparabel kaputt gegangen.<br />
Im Grunde stand ein einfacher Gedanke am<br />
Anfang. Die vier Wände unseres Heims (es<br />
sind in Wirklichkeit mehr) sollten in einem<br />
wärmeren Farbton gestrichen werden, um es<br />
noch heimeliger zu machen. Im Anschluss<br />
wollten wir auch die Möblierung überdenken,<br />
um auch auf diese Weise unserem Zuhause<br />
mehr Wärme zu verleihen.<br />
Mein Freund Freddy meinte: „Besonders viel<br />
Wärme erhält man ja bei Möbelstücken, wenn<br />
man sie verbrennt.“ Dabei brachte er mit<br />
seinem Gesicht unzweifelhaft zum Ausdruck,<br />
dass es ein Gewinn wäre, wenn unsere<br />
Kleider- und Wohnzimmerschränke einer hohen<br />
Hitzebehandlung unterzogen würden. Ich<br />
beneidete ihn, einerseits um seine Möbel,<br />
andererseits um seine Fähigkeit, mit seinem<br />
Gesicht mehr zu sagen als tausend Worte.<br />
Am 4. Januar kaufte ich eimerweise weiße Farbe.<br />
Zuvor wollte ich Abdeckfarbe käuflich erwerben.<br />
Aber es wurde nichts beim Abdecker.<br />
Am 4. Januar kaufte ich eimerweise weiße<br />
Farbe und flaschenweise Abtönfarbe.<br />
Die mischte ich im Verhältnis … oder nein …<br />
die mischte ich verhältnismäßig miserabel.<br />
Aus dem Altrosa für eine Wohnzimmerwand<br />
wurde ein Mehr-Altrosa, dann ein Sehr-Altrosa,<br />
danach ein Zu-sehr-Altrosa.<br />
Da ich nicht auf den Kopf gefallen bin, hatte<br />
ich sofort eine Lösung, also keine chemische<br />
Lösung, sondern eine Problemlösung.<br />
Ich musste meiner Mischfarbe lediglich mehr<br />
Weiß zufügen. In Ermangelung größerer Behälter<br />
nahm ich einen dieser großen grünen Gartenabfallsäcke<br />
und schüttete dort den kompletten<br />
Eimer mit Zu-sehr-Altrosa hinein und fügte zwei<br />
Eimer Reinweiß hinzu.<br />
Vielleicht sollte ich an dieser Stelle Folgendes<br />
erwähnen: Wir hatten gerade alles im Wohnzimmer<br />
geputzt und das Parkett abschleifen<br />
lassen. Diese Arbeit (und das damit verbundene<br />
gezahlte Geld für diese Handwerkstätigkeit)<br />
hätten wir uns sparen können.<br />
Ja, der Gartenmüllsack, nun, er war … wie<br />
soll ich sagen … er war wie ich: nicht<br />
ganz dicht. Das hatte ich – wie Sie sich<br />
denken können – nicht sofort gemerkt.<br />
Das Farbmischen war so anstrengend,<br />
Von Winfried Hammelmann,<br />
Oberneulander,<br />
Redakteur und Autor<br />
dass ich eine längere Pause gemacht hatte<br />
und mich mit Kaffee und übrig gebliebenem<br />
Weihnachtslebkuchen zu meiner Frau gesellte.<br />
Als ich wieder runter ins Wohnzimmer ging,<br />
hatten sich nicht nur die Lichtverhältnisse<br />
seltsam verändert, es machte auch ein ungewöhnlich<br />
schmatzendes, fast platschendes<br />
Geräusch, als mein linker Schuh den Boden<br />
des Flurs berührte.<br />
Als ich begriffen hatte, was da passiert war,<br />
setzte ich ein Lächeln auf und sagte mir: „Das<br />
ist nur die Farbe, halb so wird.“ Dann kam ich<br />
zu mir, und nur mit großer Mühe konnte ich<br />
mich davon abhalten, mich anzubrüllen. Ich<br />
wollte das Chaos beseitigen, ohne dass meine<br />
Frau es mitbekommt. Was für ein Quatsch.<br />
Das Geräusch meiner Schuhe erinnerte an das<br />
Wort „Quatsch“. Und so quatschwatete ich<br />
durchs Wohnzimmer Richtung Farbsack. Der<br />
war annähernd leer, die Wandfarbe hatte sich<br />
auf dem Fußboden verteilt. Irre lachend brabbelte<br />
ich vor mich hin: „Aus Wasser wird Wein,<br />
aus Wandfarbe Bodenfarbe. Ein Wunder.“<br />
Ich musste was tun. Schnell. Und was macht<br />
ein Autor, der sich handwerklich betätigt?<br />
Er überlegt, ob ihm noch andere Wörter einfallen,<br />
die das Wort „Schnell“ sinnvoll ergänzen:<br />
Schnell. Sofort. Flugs. Flink. Rasch. Rapide.<br />
Rasend. Inzwischen stand ich im Küchenbereich.<br />
Küche und Wohnzimmer sind bei uns<br />
ein Raum. Heureka! Ich rannte zurück zum<br />
Sack, um ihn in den Garten zu schmeißen<br />
und um dann mit Handfeger und Schaufel die<br />
Farbe vom Boden zu entfernen. Leider rutschte<br />
ich dabei aus. Ich konnte mich gerade noch<br />
an der Gardine festhalten, musste aber mit ansehen,<br />
wie die lange Gardinenstange nachgab,<br />
durchs halbe Zimmer flog, dabei zwei wertvolle<br />
Likörgläser, drei noch wertvollere Wandteller<br />
und einen wertlosen Kerzenhalter nebst brennender<br />
Kerze zerstörte. Die Kerze landete auf<br />
dem dicken Film aus Farbe auf dem Boden. Ich<br />
gackerte. Autoren gackern gerne, wenn ihnen<br />
was Blödes einfällt, auffällt oder hinfällt. Ich<br />
gackerte also, denn aufgrund des Films, der<br />
sich aufgrund der Farbe auf dem Boden bildete,<br />
kam mir das Wort „Farbfilm“ in den Sinn.<br />
Andere würden sagen: in den Unsinn.<br />
„Gott sei Dank“, flüsterte ich vor mich hin:<br />
„Die Farbe brennt nicht.“<br />
Ich versuchte aufzustehen, kam wieder ins<br />
Rutschen, versuchte es noch einmal und<br />
plumpste wieder hin. Dann bekam ich den<br />
Großbildfernseher zu greifen. Aus der Liegehaltung<br />
kam ich in eine Skifliegerposition (auf<br />
der Schanze, vor dem Flug).<br />
Ich versuchte, mich aufzurichten, um dann zu<br />
spüren, dass diese Riesenglotze plötzlich<br />
nachgab. Es kam mir vor wie eine Zeitlupensequenz<br />
in einem Film, die mir genug Zeit für<br />
einen klaren Gedanken ließ:<br />
Fernseher können Leben zerstören.<br />
Tatsächlich war es genau anders herum: Ich<br />
habe das TV-Gerät zerstört. Es war an den<br />
Kamin geprallt, größtenteils zur Seite gekippt,<br />
um dann das kleine Jugendstiltischchen zu<br />
demolieren.<br />
Inzwischen hatte es sich die Kerze zwischen<br />
Boden und Wand bequem gemacht. Und –<br />
anders als die Farbe – war die Tapete leicht<br />
entzündlich. Und so loderten Flammen an den<br />
Wänden. Aber es gelang mir, mit Hilfe der<br />
Schaufel, immer wieder Farbe an die feurige<br />
Wand zu klatschen und den Brand zu löschen.<br />
Durch die „Bodenfarbe“ zu waten brachte das<br />
Gleichgewicht … sagen wir … ins Ungleichgewicht.<br />
Ich fühlte mich wie betrunken.<br />
Und da fiel mir etwas ein. Ich hatte mal einen<br />
großen Rotweinfleck auf einem weißen Hemd.<br />
Tja, Autoren können auch sehr praktisch sein,<br />
handwerklich begabt sein, wäscheerfinderisch<br />
sein. Es war mir gelungen, es hinzubekommen,<br />
dass man den rosaroten Fleck nicht mehr<br />
sieht. Ich hatte sorgfältig Rotwein über das<br />
ganze Hemd geschüttet. (Man nennt<br />
mich seither auch Homo Färber.)<br />
Und jetzt wusste ich, was im<br />
Wohnzimmer zu tun war.<br />
Die nächste Ausgabe vom OBERNEULAND MAGAZIN erscheint am Freitag, 26.<strong>02</strong>.2<strong>02</strong>1 – Redaktionsschluss: <strong>02</strong>.<strong>02</strong>.2<strong>02</strong>1<br />
106 OBERNEULAND