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ProArte im Internet: www.proarte.de - Hamburgische Staatsoper

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OPER WIEDERAUFNAHME<br />

›LOHENGRIN‹<br />

■ »Als Symbol <strong>de</strong>r Fabel kann ich nur festhalten: die Berührung einer übersinnlichen<br />

Erschein ung mit <strong>de</strong>r menschlichen Natur, und die Un mög -<br />

lichkeit <strong>de</strong>r Dauer <strong>de</strong>rselben«, beschrieb Richard Wagner 1846 einem<br />

Freund <strong>de</strong>n Handlungskern seiner Oper »Lohengrin«, an <strong>de</strong>r er gera<strong>de</strong><br />

arbeitete. Für das Libretto benutzte er verschie<strong>de</strong>ne Motivvorlagen, darunter<br />

Wolfram von Eschenbachs »Parzival«-Epos und die »Deutsche Mytho -<br />

logie« <strong>de</strong>r Brü <strong>de</strong>r Gr<strong>im</strong>m. Im März 1848 hatte Wagner die Partitur vollen<strong>de</strong>t,<br />

doch die Aufführung in Dres<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> abgesagt, da ihm die Leitung<br />

<strong>de</strong>s Königlichen Theaters seine politischen Aktivitäten übelnahm. Es kam<br />

noch schl<strong>im</strong>mer: er wur<strong>de</strong> wegen seiner Teilnahme an <strong>de</strong>r Dres<strong>de</strong>ner Mai -<br />

Re vol te steckbrieflich gesucht und floh nach We<strong>im</strong>ar zu seinem Freund, <strong>de</strong>m<br />

dortigen Hof kapellmeister Franz Liszt. Die Ur auf führung <strong>de</strong>s »Lohengrin«,<br />

die nun 1850 unter Liszt in We<strong>im</strong>ar stattfand, konnte Richard Wagner trotz<strong>de</strong>m<br />

nicht miterleben. Denn zu jener Zeit befand er sich bereits <strong>im</strong> Zürcher<br />

Exil. In kürzester Zeit spielten viele <strong>de</strong>utsche Büh nen das Werk, was <strong>de</strong>n<br />

Komponisten zu <strong>de</strong>r Be merkung veranlasste, er sei wohl <strong>de</strong>r einzige Deut -<br />

sche, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n »Lohengrin« noch nicht gesehen habe.<br />

Nicht ins mittelalterliche Brabant, son<strong>de</strong>rn in ein Klassenz<strong>im</strong>mer <strong>de</strong>r<br />

Wilhelmi nischen Zeit verlegten Regisseur Peter Konwitschny und Bühnen -<br />

bildner Helmut Bra<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Hamburger Produktion die Hand lung <strong>de</strong>s<br />

»Lohengrin«. Die Jungen und Mädchen, die sich <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer tummeln,<br />

sind König Heinrich, Heerufer, Elsa, Ortrud, Telramund, sächsische,<br />

thüringische, brabantische Soldaten, E<strong>de</strong>lfräulein, Pagen und Dienerinnen.<br />

Die Akteure tragen Schuluniformen und drücken sich in enge Holzbänke.<br />

Der weihevolle Ton, <strong>de</strong>r sonst häufig auf Wagners Bühne herrscht, wird<br />

durch diese Konzeption völlig aufgelöst. Problematische Züge <strong>de</strong>s Werkes,<br />

wie markiges Schwer ter rasseln, nationale Drohgebär<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r martialische<br />

Chor gesänge wer<strong>de</strong>n entlarvt als das, was sie sind: Kraftgebaren politisch<br />

Un mündiger. Durch diesen Kunstgriff bekommt Richard Wagners die Revo -<br />

lution von 1848 gedanklich vorwegnehmen<strong>de</strong> Oper verblüffen<strong>de</strong> Klarheit.<br />

Der Wankelmut <strong>de</strong>r Massen, die innerhalb kurzer Zeit bereit sind, verschie -<br />

<strong>de</strong>nen Herrschaften zuzujubeln, wird so plausibel, <strong>de</strong>nn nur Halb wüchsigen<br />

kann man solch ein Verhalten in einer Gesellschaft nachsehen. In <strong>de</strong>r Welt<br />

<strong>de</strong>r Jugendlichen sind Utopien noch glaubhaft. Das romantische Märchen<br />

10 | Journal 1<br />

»Hamburg hat fraglos<br />

mit diesem ›Lohengrin‹<br />

eine Perle <strong>im</strong> Reper -<br />

toire.«<br />

FRANKFURTER RUNDSCHAU.<br />

»Die Inszenierung ist in<br />

ihrer Konzeption, in<br />

ihrer brillanten Solistenund<br />

Chorführung ein<br />

Meis ter werk heutigen<br />

Musiktheaters.«<br />

TZ MÜNCHEN<br />

»Es hat seit langem<br />

keine klügere und fesseln<strong>de</strong>re<br />

Aufführung<br />

dieser Oper gegeben.«<br />

TEXTE UND ZEICHEN NDR<br />

Für einen Moment wird unsere<br />

Sehnsucht gestillt<br />

Die aufsehenerregen<strong>de</strong> »Lohengrin«-Deutung von Peter Konwitschny kehrt nach Hamburg zurück<br />

mit <strong>de</strong>m von Elsa herbeigeträumten Ritter wird zu einer nachvollziehbaren<br />

Erfahrungs welt, ohne dass <strong>de</strong>r Kern verschleiert wird: nämlich <strong>de</strong>r Ver -<br />

such, die Utopie zur Wirklichkeit zu machen. »Es han<strong>de</strong>lt sich um die Suche<br />

nach Nähe und bedingungslosem Vertrauen«, erklärte Kon witschny, »wir<br />

haben es hier mit unreifen Menschen zu tun, die große Sehnsucht nach etwas<br />

haben, aber nicht wissen, wie sie das leben sollen. Die Jugendlichen erleben<br />

die erste Liebe, phantasieren über die Zukunft, und <strong>de</strong>r einzige Erwachsene,<br />

Lohengrin, sehnt sich, nach<strong>de</strong>m er Verant wor tung übernommen hat, in die<br />

Kindheit zurück«.<br />

Die bei<strong>de</strong>n Welten lassen sich nicht vereinbaren, so <strong>de</strong>r Regisseur, Lohen -<br />

grin strebt die Bewahrung <strong>de</strong>s Kindlichen <strong>im</strong> Erwachsen sein an, wäh rend<br />

die Kin<strong>de</strong>r von Brabant endlich erwachsen wer<strong>de</strong>n wollen. Der Gralsritter<br />

kommt zu <strong>de</strong>r bitteren Er kenntnis, dass wahres Ver trauen zwischen romantisch<br />

Lieben<strong>de</strong>n nicht gelingen kann.<br />

In <strong>de</strong>n von Konwitschny und seinem Dramaturgen Werner Hintze verfassten<br />

Notizen zur Konzeption ist zu lesen: »Das Heilige, o<strong>de</strong>r um es mit<br />

weniger religiös besetzten Begriffen auszudrücken, das Ganz An<strong>de</strong>re, die<br />

Utopie, kommt für einen Moment auf uns zu. Für einen Moment wird unsere<br />

Sehnsucht gestillt. Das Stück wird dann zeigen, dass ein Moment eben<br />

nur ein Moment ist. Die Zeit schafft die Enttäuschung. Denn dieses Ganz<br />

An<strong>de</strong>re ist eben nur darum das Ganz An<strong>de</strong>re, weil es nicht die Realität ist.<br />

… Die Handlung zeigt <strong>de</strong>n Versuch, die Utopie mit <strong>de</strong>r Realität in Einklang<br />

zu bringen. Ein Versuch, <strong>de</strong>r scheitern muss.«<br />

Publikum und Presse zeigten sich überwiegend begeistert von dieser un -<br />

gewöhnlichen Lesart <strong>de</strong>r berühmten Oper. Der Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ham bur -<br />

ger Richard-Wagner-Verban<strong>de</strong>s Werner Hahn schrieb über die Hamburger<br />

Inszenie rung: »Konwitschnys Perso nenführung hat ihre Wurzeln <strong>im</strong><br />

Mensch lichen, das <strong>im</strong>mer zwei Seiten hat. Gerührt haben mich die zarten<br />

Züge <strong>de</strong>r Liebe, von <strong>de</strong>nen wäh rend <strong>de</strong>s so genannten Brautchores die<br />

Handlungen <strong>de</strong>r Klassen kamera<strong>de</strong>n zeugen. Da wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Turnhalle Ge -<br />

schenke überreicht und Kissen zurechtgerückt, da wird das Brautbett mit<br />

Matten bereitet und behutsam Abschied genommen. Das ist <strong>im</strong> guten Sinne<br />

eine rühren<strong>de</strong> Szene, die <strong>im</strong> Bil<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gesamtkonzeption bleibt. … Es war<br />

ein einzigartiger ›Lohengrin‹ und ein einzigartiges Theater«. ■ AC

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