Magazin GARCON - Essen, Trinken, Lebensart Nr. 56
Für alle, die über den Jahreswechsel etwas zu Schmökern haben möchten - der neue GARCON ist da! Wir führten Tagebuch im November, waren kurz vor dem Lockdown noch im Cafe Baier, Restaurant Exodus und Hawker, Sake bekommt eine Lobby, Frau Bünger macht(e) Mittag, stellen Bücher über Hühner und legendäre Dinner vor, Anais schwärmt von der Roscoff-Zwiebel, wir besuchten Weide-Ei-Mann Johannes Habel und Feinkostproduzentin Ricarda Farnbacher, waren wieder unterwegs in Brandenburg – diesmal Uckermark – z.B. bei einer Mosterei und einer Zuckerblütenmanufaktur, Marcus Fuhrmann erzählt über Spitzkohl, haben Neues aus der Toskana und blättern mit Sven Kernemann-Mohr in alten Kochbüchern... Und – wenn auch wiederholt – nochmal 100000000 Dank an unsere Unterstützer! GARCON - Essen, Trinken & Lebensart - im Web, in der garcon24-APP und natürlich auch als Print-Magazin.
Für alle, die über den Jahreswechsel etwas zu Schmökern haben möchten - der neue GARCON ist da!
Wir führten Tagebuch im November, waren kurz vor dem Lockdown noch im Cafe Baier, Restaurant Exodus und Hawker, Sake bekommt eine Lobby, Frau Bünger macht(e) Mittag, stellen Bücher über Hühner und legendäre Dinner vor, Anais schwärmt von der Roscoff-Zwiebel, wir besuchten Weide-Ei-Mann Johannes Habel und Feinkostproduzentin Ricarda Farnbacher, waren wieder unterwegs in Brandenburg – diesmal Uckermark – z.B. bei einer Mosterei und einer Zuckerblütenmanufaktur, Marcus Fuhrmann erzählt über Spitzkohl, haben Neues aus der Toskana und blättern mit Sven Kernemann-Mohr in alten Kochbüchern...
Und – wenn auch wiederholt – nochmal 100000000 Dank an unsere Unterstützer!
GARCON - Essen, Trinken & Lebensart - im Web, in der garcon24-APP und natürlich auch als Print-Magazin.
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AUSGABE NR. 56 | 2020 | 6 €
ESSEN, TRINKEN & LEBENSART
CAFÉ BAIER | EXODUS | HAWKER | FRAU BÜNGER MACHT MITTAG | PIECHAS BIOBUFFET
SPILLING | JONATHAN KARTENBERG | JOHANNES HABEL | RICARDA FARNBACHER | BUBAR
FUHRMANNS FRÜCHTEKORB | UNTERWEGS IN BRANDENBURG: UCKERMARK
Für alle
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MISE EN PLACE
Liebe Freunde,
wenn dieser Mann sich zu Wort meldet, dann hat er auch was zu
sagen. Olivier Roellinger, Jahrgang 1955, einer der besten Köche
Frankreichs, berühmt für seine Fischküche und 2006 mit drei
Michelin-Sternen ausgezeichnet.
Fünf Jahre später schloss er sein Restaurant „Les Maisons
de Bricourt”. Roellingers Begründung: „Die Sterneküche ist ein
sehr enges, geschlossenes System. Es diktiert deine Lebensweise.
Ich wollte diesem System entfliehen und zurück zu mehr
Einfachheit und Natürlichkeit.” Danach wurde es ruhiger um den
Starkoch, der 2009 zum Vizepräsidenten der internationalen Vereinigung von Relais & Châteaux gewählt
wurde. In dieser Funktion äußerte sich Olivier Roellinger jetzt zu einem Thema, das längst aktuell ist und
mit Sicherheit immer bedeutsamer wird: Die Corona-Krise und die Zukunft der Gastronomie.
„Covid-19 wird die Gastronomie auf eine Form der raffinierten Einfachheit konzentrieren, die vom gesunden
Menschenverstand getragen wird”, erklärte er. „Kochen wird mehr denn je davon leben, Natur in
Kultur zu verwandeln.” Gedanken, über die in einer hoffentlich nicht allzu fernen Nach-Corona-Zeit auch
hierzulande noch viel zu reden sein wird...
„Wenn alle Restaurants geschlossen sind, weshalb eröffnen
wir nicht selber eins?”, dachten sich Dávid Turczi und Vangelis
Badiartakis. Und weil die beiden Männer Spieleentwickler von
Beruf sind, setzten Sie ihre Idee flugs in die Tat um. Das Ergebnis
heißt Kitchen Rush und ist ein „kreatives Echtzeitspiel” (so die
Verlagsmitteilung) für die ganze Familie, das lange Lockdown-
Abende verkürzt und von der Jury „Spiel des Jahres 2020” immerhin
hohes Lob in Form einer Empfehlung erhielt.
Ich wünsche Ihnen Kraft, bleiben Sie gesund und achten Sie
auf sich und Ihre Lieben. Ihre
Yvonne Weinlich
info@bildart-verlag.de
INHALT
MISE EN PLACE
TITEL
„Aber bitte keine Fotos!”
Die Gastronomen Annette Baier und
Peter-Michael Krech
Hawker Bar + Kitchen:
24 Ein Besuch vor dem Lockdown.
GARCON-TAGEBUCH
Dinner for none 6
29 Tage im November
LOKALTERMIN
Berliner Teller 24
Knusperschnitzel mit Gruyère,
vor dem Lockdown serviert im Hawker
Sake Embassy Germany 30
Lobby für Nippons Nationalgetränk
10
„Aber bitte keine Fotos!”:
Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech.
Buchhandlung Geistesblüten 38
Legendäre Dinner – eine Empfehlung
GESCHMACKSSACHEN
Seltenes Früchtchen 40
Liebeserklärung an den Spilling
À la Piecha 44
Convenience vom Allerfeinsten
AnaÏs Causse empfiehlt: 46
Oignons de Roscoff
Frau Bünger macht Mittag 32
Lunchtime bei Cora und Claudia
Großmarkt Berlin 37
Gespräch mit Ocke Pinks,
Niederlassungsleiter, Deutsche See GmbH
Seltenes Früchtchen:
40 Liebeserklärung an den Spilling.
Kostproben 48
KOPFSALAT
Jonathan Kartenberg 50
Fix und digital
Eine virtuelle Speisekammer geht online
4 GARÇON
GTS
Großküchentechnik &
Service GmbH
Planung
Montage
Kundendienst
Notdienst
Ihr zuverlässiger Partner für:
Frau Bünger macht Mittag:
32 Lunchtime bei Cora und Claudia
Ilona Scholl und Nicole Grossmann 52
Verdiente Ehrung für starke Frauen
Johannes Habel 54
Der Eiermann aus Falkenhagen
Kochgruppen, Herde, Kombidämpfer,
Bratplatten, Kochkessel, Fritteusen u.v.m.
Gewerbe-Geschirrspülmaschinen
Tiefkühl- und Kühlanlagen
Arbeits- und Spültische
Ricarda Farnbacher 64
Wenn schon kein Catering, dann Feinkost
KULINARISCHE EXKURSION
Unterwegs in Brandenburg 73
Petznick | Potzlow | Grünheide | Gerswalde
46
AnaÏs Causse empfiehlt:
Oignons de Roscoff.
Pietrasanta | Toskana 94
Zu Gast in Pierluigi Bizzarris Fishing Lab
RUBRIKEN
Fuhrmanns Früchtekorb 102
Spitzkohl
Berliner Marktnischen 106
Crêpes und Galettes von Bubar
Kulinarische Nachlese 108
Garcon-Quiz | Impressum 110
73
Unterwegs in Brandenburg:
Stippvisite in der Uckermark.
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GARCON-TAGEBUCH Dinner for none — 29 Tage im November
Dinner for none
29 TAGE IM NOVEMBER EIN GARCON-TAGEBUCH
www.dieter-fuhrmann.de
Montag, 2. November 2020, 5.00 Uhr
„Schwarzer Mittwoch”, so nennt Marcus Fuhrmann (Bild oben Mitte)
den 28. Oktober 2020. Es ist der Tag, an dem Bund und Länder
neue Maßnahmen verkünden, um den Anstieg der Corona-Infektionen
zu bremsen – darunter die Schließung aller gastronomischen
Betriebe in Deutschland im November.
Fuhrmann ahnt, was dieser Beschluss für sein Unternehmen bedeutet,
das zu fast 100 Prozent sein Geld mit Obst und Gemüse für
Bars, Bistros, Cafés und Restaurants verdient.
Am ersten Tag des gastronomischen November-Lockdowns ist
die Ahnung Realität. In Fuhrmanns Halle auf dem Berliner Groß-
***
Dienstag, 3. November 2020, 12.00 Uhr
Mittwoch, 4. November 2020, 10.00 Uhr
Das Internet erlebt seit zwei Tagen einen Eatstorm sondersgleichen. alle Berliner Gastronomen sind überzeugt, mit Take-away-Offerten
Hunderte Restaurants – vom Sternetempel bis zur Suppenschmiede relevante Umsätze erzielen zu können. „Es rechnet sich nicht”, sagt
– stellen ihre Außer-Haus-Angebote online. Spitzenkoch Tim Raue etwa Jonathan Kartenberg, Inhaber des eins44 in Neukölln und des
und sein Lieferservice FUH KIN GREAT bieten ihre „essbaren Strei-
Irma La Douce in der Potsdamer Straße.
markt – um 5.00 Uhr morgens normalerweise ein Ort wuseliger Geschäftigkeit
– sind am 2. November nur wenige Mitarbeiter tätig,
und von den 25 Kühltransportern des Großhandelsunternehmens
gehen an diesem Tag lediglich sechs auf Tour. „In Kitas, Krankenhäusern
und Kantinen wird zum Glück noch gekocht”, sagt Marcus
Fuhrmann, „außerdem haben einige Restaurants für ihre To-go-Offerten
Ware bestellt.” Wie hoch der Umsatzverlust Ende November
sein wird, darüber will er nicht spekulieren. Offen ist an diesem
Montag auch, ob Großhändlern als mittelbar durch den Lockdown
Betroffenen – ähnlich wie den Gastronomen – ein Teil des wegbrechenden
Umsatzes ersetzt wird.
dings leider nicht möglich”, teilt der Verband mit, „deshalb haben
Ein Brief des Berliner Hotel- und Gaststättenverbandes an seine wir mit der Kanzlei Härting Kontakt aufgenommen.” Rechtsanwalt
Mitgliedsbetriebe verweist auf die Möglichkeit, per Eilantrag gerichtlich
gegen die Schließung ihrer Lokale im November vorzuwaltungsgericht
Berlin gekippt hatte, erklärt: „Wir schätzen die Er-
Nico Härting, der die im Juni verordnete Sperrstunde vor dem Vergehen.
„Ein Musterverfahren seitens des DEHOGA Berlin ist aller- folgsperspektiven als nicht aussichtslos ein.”
***
cheleinheiten für die Seele” sogar deutschlandweit an. Doch nicht
6 GARÇON
Dinner for none — 29 Tage im November GARCON-TAGEBUCH
Dienstag, 10. November 2020, 14.00 Uhr
Dr. Dominic Hörauf, Sprecher des Verwaltungsgerichtes Berlin,
gibt die Entscheidung der Richter bekannt: Die Eilanträge von 22
Berliner Gastronomen gegen die coronabedingten Schließungen
ihrer Bars und Restaurants werden zurückgewiesen.
Die Verordnung des Berliner Senats, mit der die Schließungen
der Betriebe angeordnet wurde, beruhe „auf einer verfassungskonformen
Rechtsgrundlage, die Aussage, Gaststätten trügen nicht
wesentlich zur Verbreitung der Pandemie bei, ist nicht haltbar”,
gibt der Gerichtssprecher den Beschluss der Kammer wieder. Eine
nicht unerhebliche Rolle dabei dürfte wohl die Tatsache gespielt
haben, dass etwa im Bezirk Neukölln, wo drei der 22 Antragsteller
ihre Restaurants betreiben, die Inzidenz mit 332 Fällen pro 100.000
Einwohner bundesweit einen Spitzenwert erreicht hat.
„Wir werden uns die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in
Ruhe ansehen und überlegen, ob wir Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht
einlegen”, so Rechtsanwalt Prof. Nico Härting, der die
22 Berliner Gastronomen vertreten hatte, noch am gleichen Tag.
***
www.die-eselin-von-a.de
Donnerstag, 12. November 2020, 16.00 Uhr
Stippvisite in der Eselin von A., dem gemütlichen Kiezlokal in der
Charlottenburger Schloßstraße. Inhaber Harry Wolleschak (Bild
oben Mitte) zeigt seine jüngsten Errungenschaften: ein großes
transparentes Plastikzelt mit zwei Heizstrahlern im Garten und drei
Luftreiniger im Restaurant, alles angeschafft, bevor der gastronomische
November-Lockdown beschlossen wurde. „Ich hoffe natürlich,
dass sich die Investition noch auszahlt”, sinniert Wolleschak.
Weil der 54-Jährige jedoch nicht nur ein erfahrener Gastronom,
sondern auch ein grenzenloser Optimist ist, hält er sich nicht lange
sternten Berliner Herden gelernt hat und sein Stellvertreter Lorenzo
Roig Meine (Bild unten links) setzen bei ihren To-go-Offerten
auf Bodenständiges und beweisen dabei, dass traditionell nicht
gleich bieder sein muss.
Die Gäste honorieren das. Stolz zeigt Wolleschak die Lobeshymnen
in seinem Facebook-Account und bestätigt: „Es läuft besser
als wir erwarten konnten.” Dennoch: Selbst 50 Außer-Haus-Essen
an diesem Tag sind natürlich kein Äquivalent für ein ausgebuchtes
Restaurant. Und so fragt man sich auch in der Eselin von A., wie
lange Geld, Geduld und Nerven noch reichen.
mit Grübeleien auf. Seit einer Woche setzt er voll und ganz aufs
To-go-Geschäft. Zwischen Mittwoch und Sonntag bietet das Eselin-Team
um Harry Wolleschak, dessen Tochter Alexa und Bruder
Enrico fünf Vorspeisen, sieben Hauptgerichte und ein Dessert an
– etwa Backfisch mit Kartoffelsalat, Hirschgulasch mit Klößen, Königsberger
Klopse mit Kartoffelpüree.
Es gibt Gänsebraten (bis Weihnachten auf Vorbestellung), klassisch
mit Rot- und Grünkohl, Kartoffelklößen und Sauce sowie
Ente. Küchenchef Lorenz Becker, der sein Handwerk einst an be-
Übrigens: Schützenhilfe beim Kampf um ihre Existenz bekommen
die Gastronomen vom Düsseldorfer Handelsriesen METRO
Deutschland. Das Unternehmen startet am 17. November 2020
eine Kampagne, deren Ziel es ist, möglichst viele Menschen zu
animieren, das Weihnachtsessen in diesem Jahr nicht selbst zu
kochen, sondern beim Profi zu bestellen. Motto: Gönnt eurer heimischen
Küche eine Pause und helft damit dem Gastgewerbe, das
besonders hart von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen
ist. #GönntEurerKücheEinePause
GARÇON
7
GARCON-TAGEBUCH Dinner for none — 29 Tage im November
Freitag, 13. November 2020, 19.00 Uhr
Der November-Lockdown lässt die Premiere platzen. Angezeigt für
diesen Freitag ist die Eröffnung eines neuen Restaurants auf dem
EUREF-Campus in Schöneberg. Thomas Kammeier und Olaf Rode
(Bilder unten, v. li.), das Dream-Team früherer Hugos-Jahre, annon-
ciert eine trendbewusste Grillküche und ein innovatives Konzept, das
– wenn wir die Presseaussendungen richtig verstanden haben – ein
bisschen an das Ikarus im Salzburger Hangar-7 erinnert. Übrigens: Benannt
ist das neue Restaurant nach einer automobilen Legende der
1930er – THE CORD. Statt Cord live gibt’s nun erstmal Cord to go.
Dienstag, 17. November 2020, 10.00 Uhr
***
Berliner Allround Autovermietung diese Bezeichnung verdient. Be-
Die Corona-Pandemie brachte nicht nur Abstandsregeln und Maskenpflicht,
sondern auch viele neue Wortschöpfungen – eine davon gegründeten Unternehmens (Bild u. Mitte), einen Post abgesetzt:
reits Ende Oktober hatte Emile Weisner, Geschäftsführer des 1983
ist der „virale Hit”. So jedenfalls bezeichneten Zeitungen die Solidaritätsaktion
des Friseurmeisters Ulrich Ullmayer aus Landau, der zweiten Lockdowns kostenlos bis zu 30 PKW zur Verfügung.”
„Wir wollen helfen und stellen Berliner Gastronomen für die Zeit des
seinen Gastronomie-Kunden Gratis-Haarschnitte spendet und ihnen Schnell meldeten sich 21 Betriebe, darunter das Kreuzberger
Essensgutscheine abkauft, um sie Weihnachten zu verschenken. Nobelhart&Schmutzig, das Charlottenburger Stella Alpina, die Trattoria
Vale un Peccato sowie das Bahadur in Wilmersdorf. Ihr Kom-
Sollten die Erfinder des „viralen Hits” mit ihrer Benennung etwas
ganz und gar Positives meinen, dann hätte sicher auch die Aktion der mentar: Coole Idee und Tausend Dank.
Donnerstag, 20. November 2020, 18.00 Uhr
***
seine Crew (darunter Restaurantleiterin Sabine Panzer und Somme-
Auch Arne Ankers (Bild unten Mitte) Restauranteröffnung in der Charlottenburger
Grolmanstraße 53/54 an diesem Donnerstag ist – coro-
bieten Brikz-Menü-Boxen mit allen Zutaten für drei oder vier Gänge
lière Maria Rehermann, beide bekannt aus seligen Reinstoff-Zeiten)
nabedingt – lediglich ein Start ins Take-away-Geschäft. Der 35-jährige sowie den nötigen Kochanleitungen und harren nun der Dinge, die
Schleswig-Holsteiner Sternekoch (2014 bis 2019 im Pauly-Saal) und da kommen werden.
8 GARÇON
Dinner for none — 29 Tage im November GARCON-TAGEBUCH
Sonntag, 22. November 2020, 11.30 Uhr
Bilder wie diese (oben re. und li.) gibt es in diesem Jahr nicht. Die
FuturEins UG, Organisator der Next Organic, hatte bereits Anfang
November mitgeteilt, dass die traditionelle Veranstaltung in diesem
Jahr als Online-Event via ZOOM ausgerichtet wird. Das klappt
an diesem Sonntag sowohl beim Eröffnungstalk mit Renate Künast
als auch bei den Podiumsdiskussionen gut. Auch die Next Organic
Startup Awards 2020 werden online verliehen. Die Jury ehrt vier junge
Unternehmen – zwei davon kommen aus Berlin. Neben der Hamburger
Stieleis-Manufaktur Tofte und dem niedersächsischen Unternehmen
Suur (Herstellung fermentierter Gemüseprodukte) werden
Tiny Farms Berlin (Produktion und Vermarktung von Biogemüse) sowie
das Berliner Restaurant FREA ausgezeichnet. Der Publikumspreis
geht an Food Tracks aus Münster (Bäckerei-Controlling).
Montag, 23. November 2020, 10.00 Uhr
***
haben. Seitdem wird geplant und gebaut, im kommenden Jahr soll
Von sich reden macht das FREA auch am Tag darauf. Es wird bekannt,
dass dessen Inhaber Jasmin Martin und David Johannes Su-
der vegane Küche mit regionalen Bio-Produkten offeriert, ganzheit-
das zweite Restaurant des Paares öffnen – als ein kulinarischer Ort,
chy (Bild u. links) das seit Oktober geschlossene Restaurant Alpenstueck
inklusive der früheren Alpenstueck-Manufaktur übernommen er keinen Müll produziert, sondern den Abfall
lich organisiert ist und Genuss mit Nachhaltigkeit verbindet, indem
kompostiert.
Montag, 30. November 2020, 7.30 Uhr
Wir sind am letzten Arbeitstag im November noch einmal zu Gast
bei Marcus Fuhrmann. Der Obst- und Gemüsegroßhändler weiß inzwischen,
dass der gastronomische Lockdown mit diesem Tag nicht
beendet ist. Die wirtschaftlichen Folgen nennt er dramatisch: „Im
***
Vergleich zum Vorjahr hatten wir im November 2020 einen Umsatzverlust
von 75 bis 80 Prozent.” Und obwohl ein Viertel seiner Mitarbeiter
Kurzarbeitergeld bezieht, liegen die monatlichen Kosten bei
über 40.000 Euro. Ausgleichszahlungen hat er bisher nicht bekommen.
„Unsere Rücklagen sind bereits mehr als halbiert”, sagt er.
GARÇON
9
TITEL Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech
„Aber bitte keine Fotos!”
DIE GASTRONOMEN ANNETTE BAIER UND PETER-MICHAEL KRECH
VON JÖRG TEUSCHER
10 GARÇON
Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech TITEL
Keine Frage, die Um- und Abspannwerke der Bewag üben seit ihrem
Bau in den 1920er Jahren einen eigentümlichen Reiz auf die
meisten Betrachter aus. Achtunddreißig dieser „Kathedralen der
Elektrizität” ließ Hans Heinrich Müller (1879-1951), Architekt und
damaliger Baudirektor der Berliner Städtischen Elektrizitätswerke
Aktiengesellschaft, einst errichten – aus roten Klinkern gemauerte
Solitäre, die zwar ziemlich sakral anmuteten, aber ausschließlich
einem elektrotechnischen Zweck dienten. Das erste dieser
Abspannwerke entstand zwischen 1924 und 1926 am Kottbusser
Ufer in Kreuzberg, das heute Paul-Lincke-Ufer heißt.
1989 wurde es stillgelegt, später umgebaut. Seit 2002 sind hier
diverse Kreativfirmen ansässig, jahrelang diente es als Eventlocation,
ein Restaurant zog ein. Ende Mai 2002 berichtete ich – damals
für den Sender Freies Berlin – über das Festival „resonant wave”,
das in der riesigen Transformatorenhalle viel Furore machte. Gut
drei Monate später schrieb ich über das Restaurant des Hauses,
das – nomen est omen – zu dieser Zeit den Namen H. H. Müller trug.
Obwohl das inzwischen 18 Jahre her ist, erinnere ich mich gut
an Annette Baier und Peter-Michael Krech, die Inhaber der außergewöhnlichen
Location am Paul-Lincke-Ufer. Die Begegnung blieb
mir auch deshalb im Gedächtnis, weil die beiden es damals strikt
ablehnten, sich fotografieren zu lassen. „Andere sind wichtiger”,
erklärten sie und schickten ihren Küchenchef Thomas Kurt vor...
Vor vier Monaten traf ich Annette Baier und Peter-Michael
Krech wieder. Und auch da hieß es gleich: „Aber bitte keine Fotos.”
So strikt wie vor 18 Jahren klang es allerdings zum Glück nicht.
GARÇON
11
TITEL Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech
Peter-Michael Krech
Inhaber Restaurant Exodus
Berlin-Charlottenburg
Peter-Michael Krech und Annette Baier gehen inzwischen privat
wie gastronomisch getrennte Wege, sind aber immer noch freundschaftlich
verbunden und unterstützen sich geschäftlich, wo immer
es nötig ist. „Wir sind ein Team geblieben”, sagt Krech.
Der 63-jährige Berliner ist Architekt von Beruf, erste Liga in seiner
Branche, ein Mann also, der gut zu tun hat. Dennoch leistet er
sich immer wieder mal einen Ausflug ins Gastro-Business – damals,
als wir uns kennenlernten, war es das Kreuzberger Umspannwerk
– jetzt ist es das Charlottenburger Restaurant EXODUS.
Zwei Jahre dauerte der Umbau der Vinoteca Filou, in denen Krech
die Mischung aus Burgverlies und Backsteingrotte in ein modernes
Restaurant verwandelte. Der Name „EXODUS by Aviv Moshe” lässt
es vermuten – hier grüßt eine israelische Brasserie mit der Küche des
östlichen Mittelmeeres und einer Form der Gastlichkeit wie sie etwa
in Tel Aviv zelebriert wird. Aviv Moshe übrigens ist einer der bekanntesten
Köche Israels und Krechs Partner fürs Kulinarische.
12 GARÇON
Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech TITEL
Annette Baier
Inhaberin Café Baier
Berlin-Steglitz
Als Annette Baier 2014 die Schloßstraßeninstitution Le Café übernahm,
(die Umbenennung in Café Baier erfolgte erst ein Jahr später),
lag ein ziemlich bewegtes Leben hinter der heute 57-Jährigen.
Geboren in Großenhain bei Dresden, Abitur. Kunststudium, Abbruch.
Tischlerlehre, Abschluss. 1984 Flucht nach West-Berlin.Jobs
in einem Fitnessstudio und in einer Intarsienwerkstatt, dann ein Jahr
Australien. Nach ihrer Rückkehr heuerte sie im Architekturbüro von
Peter-Michael Krech an. Der hatte Anfang der 1990er das Atalante
in der Neuköllner Richardstraße gebaut, sie führte das Lokal, das
damals mit seinen Esskultur-Veranstaltungen – Literaturlesungen
mit Menübegleitung – für Aufmerksamkeit sorgte.
Annette Baier folgte Krech ins Kreuzberger Umspannwerk und managte
dort das Restaurant H. H. Müller. Sie holte 2003 Matthias Gleiß
als Küchenchef ins Boot – „ein Glücksfall” – und auch für einige Zeit
Ilka Bessin als Restaurantleiterin. „Ein Missgriff, aber als Cindy aus
Marzahn hat sie dann ja doch noch ihre Berufung gefunden.”
GARÇON
13
TITEL Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech
Annette Baier lud uns ein, ihr Café zu besuchen.
Wir vereinbarten einen Termin.
„Mittwoch, 21. Oktober?” Passt. „Wenn Sie
können, kommen Sie um sieben.”
Den Grund für das sündhaft frühe Treffen
erklärt uns die Inhaberin beim Weg in
die Keller-Katakomben der hochherrschaftlichen
Jugendstilvilla am Zusammenfluss
von Schloß- und Zimmermannstraße mit
entwaffnend-charmanter Offenheit: „Ich
wollte, dass Sie das Herzstück unseres
Cafés kennenlernen.”
Das Herzstück besteht aus mehreren
gefliesten Räumen mit relativ geringer
Deckenhöhe, in denen zu dieser Zeit eine
fast andächtige Betriebsamkeit herrscht.
„Stress verdirbt nicht nur den Charakter, sondern
auch den Kuchen”, erklärt uns Bajwa
Zakaullah, genannt „Zaka”, Bäcker und Konditor
mit Meisterbrief (Bild li. Mitte).
Der 60-Jährige ist für das Brot und die
Brötchen zuständig, für Mohn- und Zimtschnecken,
Croissants und natürlich für
eins der gebackenen Markenzeichen des
Cafés, die Buchteln, ein Wiener Germteiggebäck
(Germ, österr.: die Hefe; germeln:
nach Hefe schmecken), das später mit Vanillesauce
serviert wird.
In einer anderen Stube werkeln die Konditorinnen
Milka Budiša und Helena Schembera
(Bild li. unten, v.re.) an täglich einem
Dutzend Kuchen- und Tortenklassikern.
14 GARÇON
Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech TITEL
GARÇON
15
TITEL Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech
Und dann gibt es da noch ein ganz besonderes
Schmankerl: Crumble, der im Grunde
ein Streuselkuchen ohne Boden ist und im
Café Baier – gäbe es ihn mal nicht – wahrscheinlich
einen Gästeaufstand auslöste.
Ohne Corona würde der Sturm um neun
beginnen. Nicht auf das Kuchenbuffet,
sondern zu allererst auf den Zeitungsständer.
Neue Zürcher, FAZ, Tagesspiegel und
Süddeutsche sind zuerst weg, was einige
Rückschlüsse auf die Provenienz der Gäste
zulässt.
Anwälte, Geschäftsleute, Künstler und
Wissenschaftler kommen regelmäßig in
das stilvolle Refugium in der ersten Etage,
das Sehen-und-Gesehenwerden-Publikum
bevorzugt die Etablissements in Mitte oder
Prenzlauer Berg. Den vielen Stammgästen
– Annette Baier spricht von immerhin 60
Prozent – ist das nur recht, sie bevorzugen
Rückzugsorte ohne Tamtam und Tralala.
Deshalb feiern sie „ihr” Café Baier, dessen
ursprüngliche Atmosphäre und all die
gutbürgerlichen Offerten auch als wahres
Schloßstraßen-Idyll.
CAFÉ BAIER
Schloßstraße 26
12163 Berlin-Steglitz
Tel. 030 - 22 02 27 04
www.cafe-baier.com
16 GARÇON
Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech TITEL
Im Service: Niko Dordevic.
Am Tresen: Cristina Biro.
In der Küche: Sven Bork.
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17
TITEL Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech
Abschied von Annette Baier und einer Adresse,
um die Steglitz zu beneiden ist. Eilige
Fahrt nach Charlottenburg, um zwölf ist
Lunchtime im EXODUS, natürlich mit Handdesinfektion,
Namensliste und Abstand.
Noch ahnt keiner, dass sieben Tage später
für lange Zeit nichts mehr gehen wird.
Peter-Michael Krech bittet zum Rundgang
durch ein Restaurant, das schon als
Örtlichkeit interessant ist. Die stärksten
Faktoren an diesem wohltuend schlicht
möblierten Lokal: die bunten Murano-
Leuchten und die großen Ölbilder von Susanne
Platte – Thema Movement, die Welt
in Bewegung. „Sie sind dem Namen unseres
Restaurants verpflichtet”, sagt Krech.
Kurzes Nachdenken, dann fügt er hinzu:
„EXODUS, das ist die Flucht in eine bessere
Welt.”
Nach seinem Engagement ausgerechnet
für dieses Projekt befragt, verweist der
Berliner Architekt auf seine israelischen
Geschäftspartner, seine Freundschaft mit
Aviv Moshe, dem bekannten Spitzenkoch
aus Tel Aviv und auf seinen familiär jüdischen
Hintergrund.
„Außerdem ist die Levante-Küche in
Berlin schwer angesagt”, ergänzt er. Man
muss es ihm und seinen Partnern lassen:
Mit dem EXODUS haben sie einen feinen
Allzeit-Treffpunkt etabliert, der in jeder
Hinsicht in die Zeit passt.
18 GARÇON
Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech TITEL
Servicechefin Anna Triltsch.
Mitarbeiterin Sarah Schulz.
GARÇON
19
TITEL Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech
Die EXODUS-Küche ist das Reich von Küchenchefin
Shany Zahov Zaubermann und
ihrem Stellvertreter Dor Oren (Bild oben v.
re.). Die 25-jährige Shany stammt aus Afula,
einer Stadt im Norden Israels und war
nach ihrer Ausbildung Souschefin bei Aviv
Moshe in dessen Restaurant Messa, einer
der angesagtesten kulinarischen Adressen
in Tel Aviv.
Dor Oren, 29, aufgewachsen in Rishon
Leziyyon, ein paar Kilometer südlich von
Tel Aviv, absolvierte seine Kochlehre in
Freiburg und hätte auch die nächsten Jahre
im schönen Breisgau verbracht, wenn
da nicht der dringende Ruf aus der Hauptstadt
gewesen wäre.
„Das EXODUS by Aviv Moshe ist für jeden
Koch aus Israel eine Herausforderung, für
die sich ein Umzug lohnt”, sagt er.
Die EXODUS-Küche ist eine moderne
Mischung aus mediterranen, israelischen
und arabischen Elementen, wie sie in vielen
Metropolen der Welt en vogue ist: intensive
Aromen, mutige Würzung, kreative Arrangements.
Wir reservieren für den 28. Oktober …
EXODUS BY AVIV MOSHE
Bleibtreustraße 7
10623 Berlin-Charlottenburg
Tel. 030 - 31 01 44 49
www.exodusberlin.com
20 GARÇON
Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech TITEL
GARÇON
21
TITEL Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech
Wie geht es Ihnen, Herr Krech?
Ich bin gesund und habe als Architekt in Berlin und Brandenburg
gut zu tun, aber darauf zielt Ihre Frage sicher nicht ab, oder?
Doch, ich wüsste aber auch gerne, wie es um das EXODUS steht.
Obwohl wir eigentlich keine Take-away-Angebote machen wollten, haben
wir uns nun doch dafür entschieden und bieten seit Mitte November
dienstags bis sonntags von 12.00 bis 18.00 Uhr zwölf Gerichte an,
etwa unser legendäres Hummus mit Fleisch- oder Pilzragout sowie
Brownies und Plätzchen aus unserer Weihnachtsbäckerei.
Weshalb haben Sie sich so entschieden?
Wirtschaftlich macht es wenig Sinn, aber es geht mir und meinen
Partnern um die Motivation unserer Mitarbeiter. Zehn Köche und
Kellner sind in Kurzarbeit, können aber von ihrem Kurzarbeitergeld
kaum leben, und die Servicekräfte haben nicht mal das. Wir schaffen
mit unserer Aktion also die Möglichkeit des Zuverdiensts für
unsere Mitarbeiter, und außerdem zeigen wir, dass es uns noch gibt.
Die fixen Kosten des Restaurants finanzieren Sie mit der staatlichen
November- bzw. Dezemberhilfe?
Miete, Energie, Versicherungen usw. bezahlen meine Partner und
ich privat, weil diese Hilfen für uns nicht relevant sind. Wir haben
das EXODUS im Februar 2020 eröffnet, es gibt also keinen Vorjahresumsatz,
den wir für eine Berechnung heranziehen könnten.
Der Lockdown wird andauern, machen Sie sich Sorgen um die
Existenz des EXODUS?
Wir kämpfen darum, dass es unser Restaurant auch nach dem gastronomischen
Lockdown noch gibt. Sorgen mache ich mir eher um
den Zustand der Gesellschaft. Ich las kürzlich in einer Studie des
Instituts für Demoskopie Allensbach darüber, wie das gesellschaftliche
Klima in dieser Pandemie-Zeit in den Keller gerutscht ist, dass
Aggressivität und Egoismus zunehmen und das gesellschaftliche
Klima kälter wird. Das vor allem bereitet mir Sorgen.
Danke für das Gespräch, Herr Krech und hoffentlich bis bald.
22 GARÇON
Die Gastronomen Annette Baier und Peter-Michael Krech TITEL
Auch an Sie die Frage, wie geht es Ihnen, Frau Baier?
Wie schon? Schäbige Novembertage mit Regenschauern, kaltem
Wind und grimmig blickenden Maskenträgern auf der Schloßstraße,
dazu das geschlossene Café, das hebt nicht gerade die Stimmung.
Wie oft waren Sie in den Lockdown-Tagen in Ihrem Café?
Jeden Tag. Wir haben den Fußboden in der Backstube neu fliesen
lassen, da musste viel geputzt werden. Ich habe Stühle repariert,
an der Speisenkarte für das nächste Frühjahr gebastelt, die Buchhaltung
auf Vordermann gebracht, solche Sachen eben.
Ist die so genannte Novemberhilfe schon auf Ihrem Konto?
Nein, auch kein Abschlag. Einzig die GEMA hat siebzig oder achtzig
Euro zurücküberwiesen, weil wir ja jetzt keine Musik spielen.
Ihre Konditoren, Köche und Kellner sind in Kurzarbeit?
Ja, 15 Mitarbeiter bekommen Kurzarbeitergeld.
Sie bieten Kuchen und Torten to go an?
Auf kleiner Flamme seit dem ersten Adventswochenende. Vor allem
kommen Stammgäste, die auf ihre Buchteln oder ihren Käsekuchen
nicht verzichten wollen. Ein Geschäft ist das natürlich nicht,
aber wir können wenigstens zeigen, dass es uns noch gibt.
Bars, Cafés und Restaurants müssen bis zum 10. Januar geschlossen
bleiben. Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Zukunft
Ihres Cafés und der Gastronomie überhaupt?
Wenn es wirklich hilft, die Pandemie einzudämmen, ok. Im übrigen
glaube ich auch nicht, dass wir im Januar wieder öffnen dürfen, mir
erscheint der Februar oder März wahrscheinlicher. Wir werden das
überleben – mit Hilfe der November- und Dezemberhilfen des Staates
und unserer Rücklagen aus besseren Zeiten.
Und die Gastronomie generell?
Ich weiß es nicht. Manche sprechen von einem Insolvenz-Tsunami
im kommenden Frühjahr, andere sehen nur eine kleine Pleitewelle
auf die Branche zurollen. Warten wir es ab.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Baier und Ihnen alles Gute.
GARÇON
23
LOKALTERMIN Berliner Teller
Berliner Teller
VOR DEM LOCKDOWN SERVIERT IM HAWKER
Berlin-Charlottenburg, Schlüter-/Ecke Goethestraße. Jahrzehntelang
ging es hier eher bieder bürgerlich zu, schlichtes Ambiente,
einfaches Essen, die Laune des Chefs spiegelte die wirtschaftliche
Lage des Ladens. Dann kam Patricia Strickland und
mit ihrem ausgeschlafenen Konzept viel frischer Wind.
Nach einem Umbau, bei dem nur wenige Steine auf den anderen
blieben, eröffnete sie Anfang September das Hawker: originell,
witzig, appetitanregend.
Die Gerichte der Herbstkarte pendelten geschmacklich zwischen
leichter Eleganz und kraftvoller Klassik, kleine Ausflüge in
modische Trends inklusive. Uns überzeugte der Old School Shrimp
Cocktail aus Bio-Garnelen und einer abgefahrenen amerikanischen
Chili-Tomaten-Meerrettich-Sauce ebenso wie der vegetarische
Portobello-Burger mit knusprig gebackenem Ziegenkäse,
einer genialen Kräuter-Limonen-Sauce und belgischen Fritten.
Zum Berliner Teller allerdings küren wir das Hawker-Knusperschnitzel
– ein paniertes und kross ausgebackenes Kalbsschnitzel,
gratiniert mit Gruyère und Bresaola, das mit einer
hausgemachten BBQ-Sauce und einer herbstlichen Raw-Gemüse-
Beilage serviert wird. Formidable!
24 GARÇON
Berliner Teller LOKALTERMIN
H
A
W
Ich fürchte, es wird noch etliche Zeit vergehen, bis wir
wieder zu einer Normalität zurückkehren können, und ich
hoffe, es wird eine Normalität sein, wie wir sie kennen, in
der es Spaß macht, Freunde zu treffen, Restaurants zu besuchen,
unbeschwert zu genießen. Darauf warten wir nun.
Wir geben jedenfalls nicht auf.
Patricia Strickland, Inhaberin Hawker
Eigentlich wollte die Deutsch-Amerikanerin Patricia Strickland, geboren
in Mannheim, aufgewachsen in San Francisco, Kunststudium
in London, Interior Designerin in Amsterdam, Boston und Berlin,
eine Galerie eröffnen. Die Räume der ehemaligen Weinbar in der
Charlottenburger Schlüterstraße erschienen ihr geeignet – ausreichend
groß und hell genug. Die schäbige Einrichtung störte sie
nicht, eine Angelegenheit für Entrümpelungsfirmen.
„Als die ersten Pläne gezeichnet waren, kam meine Tochter Chiara
ins Spiel”, erzählt die 56-Jährige, „und zwar mit der Frage, ob
man hier auch einen Kaffee trinken könne.” Weil Kunst und Kulinarik
ja irgendwie Schwestern sind, wurden die Pläne neu gezeichnet
und aus der Kaffee-Idee wurde ein komplett kulinarischer Ort.
Patricia Strickland holte die Einrichtungsprofis Veronika Polak
und Stephan Falke ins Boot, und in fast zweijähriger Arbeit entstand
das Hawker, eine Mischung aus Bar und Bistro mit edlem,
aber gemütlichem Ambiente und sympathischer Atmosphäre.
K
E
Gastgeberin Patricia Strickland mit Tochter Chiara, v.li.
R
GARÇON
25
LOKALTERMIN Berliner Teller
Es gab eine – coronabedingt – kleine Eröffnungsfeier, ein „Friends
and Family Dinner”, und alle, die kamen, waren sich einig: Was Patricia
Strickland und ihre Berater hier innenarchitektonisch gezaubert
haben, verzaubert. Ein gekonntes Spiel zwischen Authentizität
und Moderne, schwere Eichenbalken an den Tresen, die Tische aus
gegossenen Bronzeplatten mit Schriftgravuren, die jede einzelne
zum Unikat machen, belgische Designerlampen, alles in Szene gesetzt
mit Edelstahlinstallation by Patricia Strickland herself.
Ja, das Hawker ist ein wirklich heißer Tipp für Menschen, die
dem Leben gerne ein paar Besonderheiten abringen wollen, ein
höchst erfreulicher Zugang an der Berliner Bar- und Bistrofront.
Normalerweise reicht das, um erfolgreich in die Spur zu kommen.
„Doch was ist schon normal in diesem Jahr?”, Patricia Strickland
zuckt mit den Schultern.
Es bleiben der detailversessenen Künstlerin nur wenige Wochen,
um ihr Konzept zu optimieren und die Hawker-Mannschaft
26 GARÇON
Berliner Teller LOKALTERMIN
zu trainieren, dann macht Ende Oktober der erneute Gastronomie-
Lockdown alle Pläne zunichte. Dass sie nicht die Einzige in der
Stadt ist, die es so trifft, hilft da nur wenig.
Ein gutes Dutzend weiterer Gastrostarts verzeichnet die Chronik
für das Coronajahr 2020: Bereits im Juli eröffneten Möllers Köttbullar
und das Osterberger. Es folgten Lode van Zuylen und Stijn Remi
mit dem REMI im Suhrkamp Verlagshaus in der Torstraße, das hoch
gehandelte Naturweinbistro Hinterland und das 12seasons, das einige
Hauptstadtblätter zur „spannendsten Eröffnung des Herbstes”
hochjazzten. Selbst mitten im November-Lockdown meldete die
Branche noch Startschüsse – etwa für Arne Anker und das Brikz
(s. Seite 8) und für Zuzanna Stern und ihr DECOrestaurant.
Am letzten Dienstag im Oktober treffen wir uns noch einmal mit
Patricia Strickland. Sie weiß, was sie in den nächsten Wochen erwartet
und ahnt, was danach folgt. Doch sie beklagt sich nicht, schimpft
nicht, seufzt nicht mal. „Wir kommen wieder”, sagt sie nur.
Patricia Strickland im Gespräch mit ihren Küchenbau- und
Einrichtungsprofis Veronika Polak und Stephan Falke, v. li.
GARÇON
27
LOKALTERMIN Berliner Teller
Küchenchef Sibusiso Mntambo.
Köchin Alina Balaboiu.
Das hoffen natürlich auch ihre Mitarbeiter, die nun in Kurzarbeit
sind. Ab Februar oder März 2021 wollen sie endlich zeigen, was
sie draufhaben. Das Credo: Gutes ganz einfach, Streetfood deluxe.
Dafür stehen der 34-jährige Südafrikaner Sibusiso Mntambo
aus Durban und Alina Balaboiu, 26, aus Bukarest. Beide haben ihr
Handwerk von der Pike auf gelernt und waren kulinarisch schon
ein bisschen auf der Welt unterwegs bevor sie vor einem Jahr nach
Berlin kamen.
Ihre erste Speisenkarte zwischen Eröffnungsparty und Lockdownschließung
machte bereits deutlich, wo die Reise hingehen
soll – Fancy Mac&Cheese, Rainbow Grainbowl und ein Hawker Burger
belegen, dass es essensmäßig hier ziemlich anglophil zugeht.
Wenn Patricia Strickland im nächsten Jahr ihr Lokal erneut öffnen
darf, werden auch die Konzentration auf regionale Bio-Produkte
und auf deren verlässliche Zubereitung im „Canteen-Style” bleiben.
Und hoffentlich auch das Knusperschnitzel (s. Seite 24)…
28 GARÇON
Berliner Teller LOKALTERMIN
Barchef Adam Tudoret.
Keine Frage, der schräg in den Raum gestellte meterlange Bartresen
ist ein point d’exclamation im architektonischen Sinn, ein Blickfang,
der davon kündet, dass es im Hawker auch um Genuss aus
dem Cocktailshaker oder dem Rührglas geht. Das macht die Bar
zu einem guten Ort für erste Dates und für Leute in Runterkomm-
Laune, ein Platz zum Besoffenwerden ist sie jedenfalls nicht.
Der Chef hinter dem Tresen heißt Adam Tudoret, ein 26-jähriger
Franzose aus Paris, dessen Weltläufigkeit mehr überrascht als
seine sympathische Lockerheit und sein handwerkliches Können.
Natürlich ist Tudoret über alle internationalen Getränketrends
bestens informiert, spricht auch ganz gern darüber, nimmt sich dabei
aber nicht sonderlich wichtig. Auch das ist ein guter Zug.
Sein Signature Drink heißt Schlüter 75: Gin, Sherry Fino, Erdbeergeist,
Gurkenauszug, Basilikum, aufgegossen mit Champagner.
Nicht zu sauer, nicht zu süß, süffig, kräftig, sexy. Und ein bisschen
tipsy macht er auch ...
HAWKER BAR+KITCHEN
Schlüterstraße 75
10625 Berlin-Charlottenburg
Tel. 030 - 85 60 80 00
www.hawkerbarandkitchen.de
GARÇON
29
LOKALTERMIN Sake Embassy
K
A
N
P
Natürlich mit Abstand: Gruppenbild der Sake-Botschafter.
Klein, klein, das war noch nie die Sache von Alexander van Hessen – weder als
er 2012 die Berlin Food Week ins Leben rief noch in diesem Jahr, als er die Sake
Embassy Germany aus der Taufe hob.
Die Aktion fand natürlich zum richtigen Zeitpunkt statt und hatte den passenden
Rahmen – der bekannte Netzwerker überlässt auch da nichts dem Zufall.
Also trafen sich am 1. Oktober 2020, dem World Sake Day, der in Japan den Beginn
der Sake-Produktion einläutet, Kenner des Nippon-Nationalgetränks in der
Botschaft Japans. S.E. Takeshi Yagi sprach das Grußwort, Alexander van Hessen
zelebrierte den Gründungsakt, der selbstverständlich mit einem Becher feinsten
Premium-Sakes besiegelt wurde. Kanpai!
A
I
Grußwort: S.E. Takeshi Yagi, Botschafter Japans in Deutschland.
30 GARÇON
Sake Embassy LOKALTERMIN
Sake ist nicht nur Männersache:
Yoshiko Ueno-Müller, Sake & Shochu Academy Europe.
Neben Alexander van Hessen als Präsident gehören sechs weitere
Persönlichkeiten dem Gründungsvorstand der Sake Embassy Germany
an: Alexander Angelus (Japanische Botschaft), Dr. Bastian
Schwithal (GO-Sake), Arnd-Henning Heissen (Bar-Manager), Herbert
Schmitz (Schröder+Schömbs PR), Jörg Müller (Ueno Gourmet)
und Yoshiko Ueno-Müller (Sake & Shochu Academy Europe).
Das ist geballte Sake-Kompetenz, keine Frage.
Dennoch vermisst man solche Koryphäen wie Dagmar Maas (Nihon
Mono) und Susanne Rost-Aoki (Sake Kontor), die der Embassy
nicht nur weitere Expertise, sondern auch noch mehr weiblichen
Glanz verliehen hätten.
Gleiches gilt natürlich auch für Mokoto Watanabe (Restaurant
Zenkichi), die beste Beziehungen zu japanischen Mikrobrauereien
unterhält und viel Erfahrung mit Sake als Essensbegleiter hat – im
Mutterland des Reisweins übrigens absolut unüblich.
Jedenfalls hat die Sake-Botschaft, wie es heißt, „der erste Non-
Profit-Branchenverband in Deutschland, der sich ausschließlich
mit japanischer Trinkkultur befasst”, im nächsten Jahr viel vor.
Um Gastronomen, Hoteliers, aber auch ganz normalen Gernetrinkern
im Land von Bier und Wein das Thema Sake näherzubringen,
ist beispielsweise vom 1. bis 7. Oktober 2021 eine Sake Week
Berlin geplant, die ab 2022 auch in Düsseldorf und Frankfurt am
Main stattfinden soll.
SAKE EMBASSY GERMANY E.V.
Torstraße 171
10115 Berlin-Mitte
Tel. 0178-84 60 227
kanpai@sake-embassy.com
GARÇON
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LOKALTERMIN Frau Bünger macht Mittag
ZWÖLF UHR MITTAGS
LUNCHTIME BEI CORA UND CLAUDIA
VON JÖRG TEUSCHER
Frau Bünger macht Mittag LOKALTERMIN
Auch die meisten Bilder für diesen Bericht haben wir vor dem gastronomischen
Lockdown Ende Oktober aufgenommen und entschieden,
sie dennoch beizubehalten. Denn allzuviel hat sich bei „Frau
Bünger macht Mittag” in der Charlottenburger Niebuhrstraße trotz
Corona nicht geändert.
Sicher, der Speiseraum ist geschlossen, und auch die Stühle vor
der Tür mussten weichen – aber das sind Äußerlichkeiten. Das Wesentliche
ist geblieben: die Mittagsofferten (natürlich nur to go) und
etwas, das in dieser Zeit genauso wichtig ist wie warmes Essen – ein
Lächeln und ein freundliches Wort. Danke, Cora und Claudia.
Mirella „Cora” Bünger und Claudia Schulz sind alte Bekannte. Über
die Blitzkarriere der Müslimacherin Mirella Bünger – verheiratet übrigens
mit Jens-Uwe Bünger, Berlins erstem Fleischsommelier – und
ihre Manufaktur „Gold-Körner” berichteten wir schon vor drei Jahren.
Die erste Begegnung mit Claudia Schulz liegt noch länger zurück, sie
war fast 20 Jahre lang Serviceleiterin im legendären „Adnan”…
Mirella „Cora” Bünger.
Claudia Schulz.
GARÇON
33
LOKALTERMIN Frau Bünger macht Mittag
Mirella Bünger, gelernte Konditorin und Claudia
Schulz, Tierarzthelferin von Beruf, kennen sich
seit über zwanzig Jahren.
Beide sind Gerneesserinnen, Fitnessliebhaberinnen
und Hundenärrinnen – wenn all das
zusammenkommt, dann läuft man sich selbst in
einer Stadt wie Berlin schon mal über den Weg,
allemal wenn die Leidenschaften vorwiegend in
Charlottenburg und Zehlendorf gepflegt werden.
Ach ja, und beide haben einen Faible fürs
Gastronomische. Immer mal wieder redeten sie
darüber, dass man was gemeinsames machen
müsse – café- oder bistromäßig, wie man in Berlin
sagt – bis es dann ganz schnell ging.
Mirella Bünger entdeckte das leerstehende
ehemalige „Körnercafe” in der Niebuhrstraße,
Bünger-Küchenchef Daniel Danial.
ein Anruf, Claudia Schulz war begeistert. Eine
geneigte Hausverwaltung sah das Vorhaben
wohlwollend, und auch Herr Bürger sprach noch
ein Wörtchen mit, ebenfalls ein positives.
Die beiden tatkräftigen Frauen hübschten
den Laden auf und feierten am 15. Juni 2020
Eröffnung. Und im Kiez sprach sich schnell herum,
dass die „Niebuhr Nummer eins” neuerdings
eine erste Adresse für ein richtiges Mittagessen
ist, das hält, was es verspricht und ohne die häufig
übliche Verfeinerung bis zur Geschmacklosigkeit
auskommt.
Star-Schreiber Thomas Platt adelte die Bünger-Mittags-Offerte
schon ein paar Tage nach
der Eröffnung mit dickem Lob und dem Hinweis,
dass der Kartoffel-Gurkensalat mit geschmälz-
34 GARÇON
Frau Bünger macht Mittag LOKALTERMIN
ten Zwiebeln einer der besten der Stadt sei. Die
exzellente Kreation bereiten Mirella Bünger und
Claudia Schulz in ihrer kleinen Bistro-Küche übrigens
nach einem alten Alpenlandrezept selbst
zu, ebenso wie diverse weitere Salate und etliche
Süßspeisen.
Alle anderen Gerichte werden in Meister Büngers
Neulandfleischerei in der Westfälischen
Straße (s. auch Seite 49) täglich frisch gekocht
und mittags geliefert.
Der Mann, der für beides zuständig ist, heißt
Daniel Danial, hat sich sein kulinarisches Rüstzeug
im Grill Royal und im Pauly Saal geholt und
beweist mit seinen Suppen, Eintöpfen, Gemüse-,
Fisch- und Schmorgerichten ganz am Rande
auch noch, dass Spitzenköche nicht nur das ku-
linarische Kunsthandwerk à la Austerncarpaccio
in Planktonvinaigrette beherrschen, sondern
auch durchaus in der Lage sind, eine ordentliche
Rinderbrust mit Meerrettichsoße zuzubereiten.
Die wöchentliche Frau-Bünger-macht-Mittag-
Speisenkarte gibt es natürlich online – täglich
werden drei verschiedene Gerichte angeboten,
und – auch das ist ein guter Zug – die To-go-
Behältnisse sind wiederverwendbar.
FRAU BÜNGER MACHT MITTAG
Niehbuhrstraße 1
10623 Berlin-Charlottenburg
Tel. 030 - 49 96 78 55
frau.buenger.macht.mittag@web.de
GARÇON
35
LOKALTERMIN Frau Bünger macht Mittag
Was ich von ‚Frau Bünger macht Mittag‘ halte? Ich zeige es
Ihnen: Beide Daumen hoch, das steht für lecker, fair und
freundlich und auch dafür, dass Extrawünsche – Pasta
statt Kartoffeln oder Rot- statt Rosenkohl – klaglos erfüllt
werden. Also, dieses Bistro ist eine Bereicherung für unseren
Kiez. Es hebt die Kultur im Kiez, Nostalgie- und Glücksgefühle
inklusive. Was, frage ich Sie, will man mehr?
Karin Lewin, Verkäuferin
Ich bin Schreinermeister und komme aus Salzburg. Ein
Auftrag, hier, gleich um die Ecke, einige historische Fenster
zu restaurieren, hat mich hergeführt. Auf der Suche
nach einem Pausenimbiss entdeckte ich dieses Beisl,
das mich total begeistert. Es gibt alles, was der Mensch
mittags braucht: eine warme Suppe, Schnitzi und Gulasch
und einen superfreundlichen Service.
Shimon Weber, Restaurator
‚Frau Bünger macht Mittag‘ hat das Zeug, eine gastronomische
Institution in dieser Gegend zu werden. Erstens, weil
frische Offerten um diese Zeit hier eher die Ausnahme sind
und zweitens, weil Qualität und Preis absolut stimmen – gar
nicht zu reden davon, dass dieses Lokal ein kulinarischer Ort
ist, auf den sich offenbar jeder einigen kann.
Volker Diehl, Galerist
36 GARÇON
GARCON-GESPRÄCH
Ocke Pinks, Jahrgang 1971, gebürtiger Nordfriese, wuchs auf der
Insel Föhr auf und absolvierte nach dem Schulabschluss eine Ausbildung
als Koch. Nach verschiedenen Stationen in deutschen und
ausländischen Spitzenrestaurants folgte er 1995 einem Ruf des
Berliner Estrel Hotels. Neun Jahre stand er hier am Herd, die letzten
sechs davon als Küchenchef. 2005 wechselte Ocke Pinks zur
Deutsche See GmbH, hierzulande die Nummer Eins bei der Vermarktung
und Verarbeitung von Fisch und Meeresfrüchten. Seit
zehn Jahren ist der 49-Jährige nun als Regional- und Niederlassungsleiter
Berlin für das Bremerhavener Unternehmen tätig.
www.deutschesee.de
GARCON IM GESPRÄCH MIT...
OCKE PINKS: REGIONAL- UND NIEDERLASSUNGSLEITER BERLIN, DEUTSCHE SEE GMBH
Wie sind Sie bisher durch die Krise gekommen, Herr Pinks?
Ich bin ein robuster Norddeutscher und gehöre auch zu keiner Risikogruppe.
Dennoch habe ich das Virus schon zu einer Zeit sehr
ernst genommen, als viele noch dachten, Corona sei ein Gespenst,
das bald wieder weg ist. Deshalb waren für mich schon im Frühjahr
Abstand, Maske und Hygiene keine Ermessensfragen, und das
habe ich auch hier in der Niederlassung entsprechend kommuniziert
und durchgesetzt.
Welche Auswirkungen hatte die Schließung von Restaurants im
Frühjahr und im November auf das Geschäft ihrer Niederlassung?
Natürlich ist der gastronomische Lockdown an der Deutsche See
GmbH nicht spurlos vorübergegangen, auch nicht an der Berliner
Niederlassung. Im Gegensatz zu anderen Herstellern beliefern
wir jedoch nicht nur Gastronomie und Hotellerie, sondern wir sind
auch Partner des stationären und mobilen Einzelhandels sowie
von Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen und ähnlichen Einrichtungen.
Damit konnten Sie die Umsatzeinbußen durch den Lockdown in
der Gastronomie ausgleichen?
Nicht völlig. Ende Oktober, vor dem November-Lockdown also,
hatten wir einen merkbar geringeren Umsatz im Vergleich zum
gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Womit rechnen Sie bis zum Ende des Jahres, nachdem entschieden
ist, dass die Restaurants auch im Dezember nicht öffnen dürfen?
Ich setze auf unsere Online-Offerten, die sich schon vor der
Corona-Pandemie zu einer wichtigen Säule unseres Geschäfts
entwickelt haben. Wir haben unseren Shop inzwischen zu einem
großen virtuellen Online-Marktplatz ausgebaut, den wir mit einem
entsprechenden Service verbinden – eigene Kühlfahrzeuge, kompetente
Fahrer, Just-in-time-Lieferungen, Rezepte usw.
Alle Welt setzt derzeit auf Online-Plattformen, Wissenschaftler
sprechen sogar davon, dass wir am Ende der Krise ein verändertes
Bild des Einkaufsverhaltens in Deutschland sehen werden.
Teilen Sie diese Meinung?
Ich sehe es so, dass der Trend zum Lebensmitteleinkauf online
selbst in einem Land der Digitalisierungsskeptiker wie Deutschland
schon vor der Corona-Krise eingeläutet wurde, durch die Krise
allerdings extrem beschleunigt wird.
Welche Konsequenzen hat das für Ihre Branche?
Der Lebensmittelhandel, gleich ob Einzel- oder Großhandel, muss
meiner Meinung nach das organisieren, was uns Unternehmen
wie Zalando in der Modebranche schon lange vormachen. Also:
eine benutzerfreundliche App, ein interessantes Design und eine
praktische, nachhaltige, regional organisierte Lieferung. Lassen
Sie mich bitte das auch noch sagen: Wir sind bei Deutsche See in
dieser Frage schon recht gut aufgestellt. Und wir schärfen unser
Profil auch bei anderen Fragen – beispielsweise der Veränderung
des Ernährungsverhaltens in der Zukunft – auch da wirkt übrigens
Corona als Katalysator.
Corona als Handelsmodernisierer und Ernährungsveränderer?
Irgendwie schon, zumindest ein Weckruf, sich mit solchen Herausforderungen
wie der Organisation eines zeitgemäßen Lieferservices
oder mit modernen Lebensmittelautomaten zu beschäftigen.
Sie tun das?
Ja, wir arbeiten an Konzepten, die weit in die Zukunft blicken.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pinks.
GARÇON 37
LOKALTERMIN Buchhandlung Geistesblüten
Die Gastgeber:
Vor rund zwei Jahren eröffneten Christian
Dunker und Marc Iven am Walter-Benjamin-Platz
in Charlottenburg ihre Buchhandlung
„Geistesblüten”, die schnell zu
einem Ort für „literarische Delikatessen”
avancierte. Eine solche ist zweifellos der
Bildband „Legendäre Dinner”, der Ende
September hier Premiere hatte – im Freien
und mit Abstand.
VERDIENTE AUFMERKSAMKEIT
NOTIZEN ÜBER EINE BESONDERE BUCHVORSTELLUNG
Die Herausgeberin:
Anne Petersen, 46, Journalistin und –
nach beruflichen Stationen u. a. bei Welt
am Sonntag und BRIGITTE – Redaktionsleiterin
des in Hamburg erscheinenden
Magazins SALON, nutzte die Gelegenheit
gern, ihren historisch wie kulinarisch interessanten,
unterhaltsam geschriebenen
und aufwändig gestalteten Legendäre-
Dinner-Titel vorzustellen.
Die Künstlerin:
Die Amerikanerin Ruth Rosenfeld, an
der Rubin Academy of Music in Tel Aviv
sowie der Berliner Hochschule „Hanns
Eisler” ausgebildete Künstlerin und seit
2017 Ensemblemitglied der Schaubühne,
begleitete die Buchpräsentation und bewies
lesend, singend und spielend wie
geistesanregend und seelenerwärmend
Kunst live in solchen Zeiten sein kann.
38 GARÇON
Smart Tools
for Chefs!
Das Geburtstagsessen von Johann Wolfgang
von Goethe 1815, das Hochzeitsmenü
von Prinzessin Elizabeth und Prinz
Philipp 1947, das Staatsbankett beim Besuch
von Angela Merkel bei Barack Obama
2011 – diese und weitere 17 legendäre
Dinner sind Gegenstand dieses Buches,
das wir wärmstens weiterempfehlen. Weil
es Geschichte transparent macht, indem es
Geschichten erzählt und sich mit dem beschäftigt,
was rund um diese Dinner sozusagen
hinter den Bühnen ablief. Und weil es
der Gefahr, dabei langweilig oder geschwätzig
zu werden, erfolgreich widersteht.
„Legendäre Dinner” ist interessant, lehrreich
und unterhaltsam und – der Untertitel
„Unvergessliche Rezepte berühmter Gastgeber”
sagt es – ein Kochbuch ist es auch.
Es enthält 92 Rezepte, von denen – so das
Versprechen der Herausgeberin – immerhin
39 leicht nachzukochen sind.
GEISTESBLÜTEN
Walter-Benjamin-Platz 2
10629 Berlin-Charlottenburg
Tel. 030 - 49 96 17 92
www.geistesblueten.com
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GESCHMACKSSACHEN Spilling
FRÜCHTCHEN
SELTENES
EINE LIEBESERKLÄRUNG AN DEN SPILLING
VON JÖRG TEUSCHER
40 GARÇON
Spilling GESCHMACKSSACHEN
Erst wochenlange Trockenheit, dann stundenlanger Starkregen –
der Klimawandel lässt grüßen und macht vor allem Gemüsebauern
und Obstproduzenten zunehmend Sorgen.
Aber auch für Hobbygärtner ist er eine riesige Herausforderung.
„Durch die Wetterextreme verändern sich unsere Gärten seit einigen
Jahren spürbar”, bestätigt Petra Pelz, eine der bekanntesten
Landschaftsarchitektinnen Deutschlands. Für die Bundesgartenschau
2021 in Erfurt gestaltet die Magdeburgerin deshalb einen
Klimawandel-Schaugarten. Außerdem bietet sie Online-Kurse zum
Thema an: www.petra-pelz.com
Hier erfährt man zum Beispiel, dass neben Bergminze, Lavendel,
verschiedenen Asternarten sowie Gingko, Kornelkirsche und Wacholder
auch eine Reihe alter Gemüse- und Obstsorten mit außergewöhnlichen
Wetterereignissen besser klarkommen, weil sie klimawandelfester
sind als die hochgezüchteten neuen Turbo-Sorten,
die heute in den meisten Gärten anzutreffen sind.
Ein Beispiel ist der Spilling, eine schon zu Römerzeiten bekannte
Pflaumensorte, die noch vor 100 Jahren in Deutschland, Österreich
und der Schweiz in Form unzähliger Lokalsorten weit verbreitet
war, dann aber zunehmend aus der Landschaft verschwand – trotz
des intensiven Aromas ihrer mal gelben, mal blauen, mal rot-gelben
Früchte. Wie so oft bei alten Obstsorten war auch der Spilling
für den industriellen Anbau ungeeignet.
Ob mein Nachbar, ein Mann mit erheblicher gärtnerischer Kompetenz,
auch den geschmacklichen Wert des Spillings kannte, als
er vor rund zehn Jahren ein winziges Exemplar des Steinobstgewächses
pflanzte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall entwickelte es sich
im Laufe der Zeit zu einem stattlichen Baum und wurde eine Zierde
des Gartens. Er blüht bereits im zeitigen Frühjahr und trug zumindest
im vorigen Jahr viele Früchte (s. Bilder auf dieser Seite). Der
daraus gekochte Fruchtaufstrich überzeugte selbst Marmeladenmuffel
wie mich.
GARÇON
41
GESCHMACKSSACHEN Spilling
Wenn es um alte Sorten geht, um historische Obst- oder Gemüseraritäten,
ist Georg Rixmann ein viel gefragter Spezialist. Seit 1996
betreibt der 65-jährige Gärtner gemeinsam mit seiner Partnerin
Sabine Schwalm im Storchendorf Linum einen 28-Hektar-Hof und
macht vor allem mit dem Anbau von 150 Kürbissorten von sich reden.
Doch das ist nicht alles. Bei einem Besuch Ende Oktober auf
seinem Anwesen zeigt er uns stolz die neuesten Errungenschaften
Rixmannscher Sortenerhaltung: die aus Westfrankreich stammende
Ochsenherzkarotte; die Albina Vereduna, eine weißfleischige Rübe,
viele alte, seltene Apfel-, Birnen- und Tomatensorten.
Als wir auf unser eigentliches Thema, den Spilling kommen, holt
Rixmann einige Gläser aus dem Marmeladen-Regal seines Hofladens:
„Spillinge kann ich Euch jetzt nur in dieser Form bieten.” Sabine
Schwalm hat aus der diesjährigen Ernte rund 70 Gläser eines
klassisch-guten Aufstrichs gekocht wie man ihn sich für das Frühstücksbrötchen
nur wünschen kann.
RIXMANNS HOF
Nauener Straße 23a
16833 Linum
Tel. 033922 - 505 71
www.gemuese-und-obst.de
42 GARÇON
„Wahrscheinlich handelt es sich bei unseren
Spillingsbäumen um eine Wildform
des Gubener Spillings”, mutmaßt Georg
Rixmann, „der intensiv-fruchtige, beinahe
parfümartige Duft und der unglaublich delikate
Geschmack der Früchte lassen diesen
Schluss jedenfalls zu.”
Er zeigt uns ein gerade erschienenes Buch:
Die alten Obstsorten – Geschichten, Rezepte
und Anbautipps. „Echt spannend”, sagt
er noch – als präsentiere er einen Krimi.
Autorin des Bandes (DuMont Buchverlag
Köln) ist Sofia Blind. Die 56-jährige Literaturübersetzerin
und Hobbygärtnerin
lebt im pfälzischen Lahntal inmitten eines
10.000 Quadratmeter großen Gartens, dessen
größter Teil eine Streuobstwiese ist
– über dreißig Hochstämme, alte Sorten,
Champagner-Renette etwa, Schöner aus
Bath oder Große Grüne Reneklode.
Das mag für Sofia Blind wohl auch den
Ausschlag gegeben haben, sich ein Jahr
lang intensiv mit dieser Materie zu beschäftigen
und dieses Buch zu schreiben,
das nicht nur wunderbar lesenswert, sondern
auch opulent und schön gemacht ist.
Auf 192 Seiten und in sieben Kapiteln
(Äpfel, Aprikosen und Pfirsiche, Beeren, Birnen,
Kirschen, Pflaumen, seltene Obstarten)
übersichtlich gegliedert, porträtiert die
Autorin 54 seltene Sorten und benennt
weitere 113 mit kurzen Beschreibungen –
dennoch ergibt das Ganze, wie sie sagt, „nur
ein Best of einer beinahe uferlosen Materie”.
Die aus historischen Quellen gespeiste
Datenbank alter Obstsorten des Bundes für
Umwelt und Naturschutz umfasst derzeit
beispielsweise 1.424 Apfel-, 1.016 Birnen-,
324 Kirschen- und 251 Pflaumensorten.
In die letzte Kategorie gehört auch der
Spilling, dem Sofia Blind ein eigenes Kapitel
widmet. „Die sogenannten ‚Primitivpflaumen‘,
zu denen der Spilling gehört”,
schreibt sie dort, „sind für naturnahe Gärten
und Streuobstwiesen ideal: aromastark,
robust und seit Jahrhunderten an die lokalen
Klimabedingungen angepasst.”
GESCHMACKSSACHEN À la Piecha
À LA PIECHA
„Wir kochen die Komponenten,
du stellst dir daraus dein Gericht zusammen.”
44 GARÇON
À la Piecha GESCHMACKSSACHEN
BioBuffet-Inhaberin Ulrike Piecha, Mi. und ihre Köche Marcus Wolf, li. und Paulo Jorge.
„Eine Rinderroulade bitte.” Der junge Mann am Tresen des BioBuffets
in der Marheinekemarkthalle zeigt auf einen der vielen Vakuumbeutel
in der Auslage. „Gerne”, sagt Buffet-Chefin Ulrike Piecha,
„mit Kartoffelpüree und Rotkohl?” „Nee, ist mir zu normalo”, erwidert
der Kunde, „lieber mit Polenta und Ratatouille.” So oder so
ähnlich laufen die meisten Dialoge und so oder so ähnlich haben
sich Ulrike Piecha und ihre Köche das auch gedacht als sie Anfang
November ihre neue Produktlinie präsentierten.
„Wir hatten zuerst Singlehaushalte und Kleinfamilien im Blick,
außerdem Leute, die im Homeoffice arbeiten und auch sonst alle,
die wenig Zeit zum Kochen haben oder keinen Bock”, so die 41-jährige
Ulrike Piecha. Immer mittwochs kocht sie gemeinsam mit
ihrem Team und vakuumiert portionsweise: Kartoffel- und Süßkartoffelpüree,
Sellerie-Apfel-Creme, Rotkohl, Sauerkohl, Ratatouille,
Rinderroulade, Schweinebraten, Tafelspitz, Ossobuco vom Hirsch,
Risotto mit Portobello. „Unsere Kunden können unter diesen und
etlichen anderen Komponenten wählen und sich ein Gericht selbst
zusammenstellen”, erklärt sie den Vorteil ihrer To-go-Offerte.
„Dazu kommen weitere”, ergänzt Piecha, „etwa, dass man die Vakuumbeutel
gut und gerne ein paar Tage im Kühlschrank aufbewahren
oder auch einfrieren kann, ohne dass der Inhalt Schaden nimmt.”
Wir testeten geschmortes Rinderherz, Rotkohl und Kartoffelpüree.
Die drei Vakuumbeutel sind in Minutenschnelle im heißen Wasserbad
erwärmt – aufschneiden, anrichten, fertig. Das Gericht ist geschmacklich
absolut stimmig, das Rinderherz tadellos geschmort,
das Kartoffelpüree wie zu Großmutters besten Zeiten, der Rotkohl
aromasatt nach einem Rezept von Michael Hoffmann zubereitet.
Fazit: Piechas Home Menue – da kannste nicht meckern.
PIECHAS BIOBUFFET
Marheinekeplatz 15
10961 Berlin-Kreuzberg
Tel. 030 - 69 00 43 53
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GARÇON
45
GESCHMACKSSACHEN Crema di Nocciola
Anaïs Causse, 42, ist gebürtige Berlinerin. Nach dem Abitur an
der Goethe-Oberschule in Steglitz studierte sie Arabistik und Islamwissenschaften,
merkte aber zunehmend, dass das nicht ihr
Ding ist. Sie verabschiedete sich von der Freien Universität und
einer möglichen akademischen Laufbahn, heuerte bei Feinkost-
Lindner an und absolvierte eine Ausbildung zur Fachfrau für Systemgastronomie.
2003 stieg sie in das Feinkostgeschäfts ihres Vaters ein.
2014 folgte ihre jüngere Schwester Noémie und übernahm den
Onlineshop, aus „Maître Philippe” wurde „Maître Philippe & Filles”
– ein Spezialitätenhandel, der beste Beziehungen vor allem
nach Frankreich pflegt und kulinarisch wie atmosphärisch zu den
ersten Adressen der Branche in Berlin zählt.
Für Garcon schreibt Anaïs Causse regelmäßig über ihre exquisiten
Spezereien und deren Produzenten.
www.maitrephilippe.de
OIGNONS DE ROSCOFF,
S'IL VOUS PLAÎT
VON ANAÏS CAUSSE
Beinahe wäre dieser Artikel über die legendären Zwiebeln aus
Roscoff nicht zustande gekommen. Ausgerechnet in diesem ohnehin
schon verflixten Jahr wurden sie von einem Pilz heimgesucht,
der allgemein als Botrytis cinerea bekannt ist und die Grauschimmelfäule
verursacht.
Übrigens: Des einen Freud, des anderen Leid. Die Winzer im Bordeaux
freuen sich über Botrytisbefall, denn nur so kann der Sauternes,
der teuerste Weißwein der Welt, gekeltert werden.
Die Gemüsebauern in der Bretagne jedoch können darauf liebend
gern verzichten, denn Botrytis führt zu nicht unerheblichen
Ernteverlusten. Eine befallene Zwiebel wird bei der Lagerung weich
und faulig – und dadurch ungenießbar. Der Befall lässt sich bei der
Ernte kaum erkennen, deswegen können auch nicht alle kranken
Zwiebeln aussortiert werden. Und so kommt es schon mal vor,
dass sich in den schönen, geflochtenen Zwiebelzöpfen in diesem
Jahr auch mal ein faules Exemplar versteckt. Zum Glück hielt sich
das bis jetzt allerdings in Grenzen.
Was macht die Roscoff-Zwiebel nun so besonders, dass ich ihr
einen ganzen Artikel widme? Sie schmeckt natürlich gut. Sagen-
46 GARÇON
Crema di Nocciola GESCHMACKSSACHEN
Zwiebelfelder im Département Finistère an der bretonischen Nordküste.
haft gut sogar. Sie ist nicht scharf, sondern eher zart, fast süßlich.
Sie ist knackig und saftig, besticht mit ihrer unverwechselbaren
rosa Farbe – das Auge isst schließlich mit – und ist mit ihrem hohen
Anteil an den Vitaminen A, B und C sehr gesund. Das wussten
seinerzeit übrigens auch die Seefahrer, wenn sie von Roscoff, einer
kleinen Hafenstadt im Finistère, dem westlichsten Zipfel der Bretagne,
auf große Fahrt gingen. Immer waren Zwiebeln als Proviant
mit an Bord. Und nicht zuletzt lässt sie sich ausgezeichnet lagern,
bei guten Bedingungen bis zu neun Monate.
Die lange Haltbarkeit der Knollen liegt sowohl in ihrer Natur als
auch daran, dass sie bereits im August von Hand geerntet werden
und – vom Kraut befreit – danach zwei Wochen lang auf den Feldern
in der Sonne trocknen. Anschließend werden sie geputzt und
zu Zöpfen geflochten, um das Austreiben zu verhindern.
Unsere Zwiebeln stammen von der Ferme de Kergus, einem in
den 1850er Jahren gegründeten Zehn- Hektar-Familienbetrieb, den
die Geschwister Tiphaine und Eric Quemener – sie ist 31 und hat
eine Handelsschule besucht, er 34 und diplomierter Landwirt – in
vierter Generation bewirtschaften.
Bereits ihr Urgroßvater baute neben Kohl, Kartoffeln und Spargel
die berühmten Roscoff-Zwiebeln an. Er gehörte, ebenso wie ihr
Großvater und auch noch ihr Vater Marcel, zu den „Johnnies”. Das
war die Sammelbezeichnung der Briten für alle bretonischen Bauern,
die einst mit kleinen Booten über den Ärmelkanal segelten, um
in England Zwiebelzöpfe zu verkaufen. „Johnnies deshalb”, so Tiphaine
Quemener, „weil die Engländer die bretonischen Vornamen
Yann und Yannick nicht aussprechen konnten.”
Das ist natürlich längst Geschichte. Heute reißen sich Feinschmecker
in der halben Welt um die Roscoff-Zwiebeln, die seit
2009 das AOC- und seit 2013 auch das AOP-Siegel tragen (AOC
steht für Appellation d´Origine Contrôlée, das ist eine kontrollierte
Herkunftsbezeichnung, die nur in Frankreich gilt – AOP dagegen
steht für Appellation d´Origine Protégée, bedeutet geschützte Herkunftsbezeichnung
und ist das europäische Pendant zum nationalen
AOC-Siegel).
Als ich noch nach einem besonderen Tipp für die Verarbeitung
der Roscoff-Zwiebeln frage, kommt Tiphaine Quemener ins
Schwärmen: „Im Winter sind sie allerbestens geeignet, um daraus
ein wunderbares Confit zuzubereiten.” Dafür schwitzt sie die kleingeschnittenen
Zwiebeln in Olivenöl an, fügt etwas Honig hinzu und
schmeckt alles mit Salz und Pfeffer ab. Das Confit könne man zu
allem essen, zu Käse, rotem Fleisch und Fisch. Am besten passe es
aber zu Galettes, den salzigen Crêpes aus Buchweizenmehl. „Ich
bin Bretonin”, sagt sie, „natürlich schmeckt es so am besten.”
Fröhliche Zwiebelbauern: Tiphaine und Eric Quemener.
GARÇON
47
FINDE DEINEN GIN
91
Punkte
BAR- & SPIRITS GUIDE
KOSTPROBEN
Fünf Supermarkt- und Discounterketten beherrschen 90 Prozent des Lebensmittelhandels
in Deutschland. In den Regalen aromaverstärkte Fertiglebensmittel,
plastikverschweißter Billigkäse, geschmacksuniforme Industrieware.
Nicht nur, aber größtenteils.
Die verbleibende Zehn-Prozent-Nische haben engagierte Genusshandwerker,
kenntnisreiche Feinkosthändler und Onlineverkäufer mit ihrem Gegenentwurf
zur Mas senware der Lebensmittelindustrie be setzt: manufakturell
hergestellte Aufstriche; Würste, die nicht aus der Schlachtfabrik kommen;
handgefertigte Schokoladen, haus gemachte Liköre, Konser ven ohne E-Zusätze,
vieles in Bioqualität. Das meiste ist teurer als Supermarktware gleichen
Namens, aber eben auch gesünder, nachhaltiger und geschmackvoller.
Vier Kostproben dessen, was wir in den letzen Wochen entdeckten, probierten
und als kulinarisch bemerkenswert empfanden, servieren wir Ihnen
auf der folgenden Seite.
Wer – wie die rheinische Privatkellerei van Nahmen –
seit 90 Jahren Obstsäfte presst, der weiß, was er tut.
Und so ist auch dieses aromatisch anspruchsvolle,
feinherbe Getränk kein Zufallstreffer, sondern Ergebnis
stetig gewachsener Qualitätsansprüche und ebensolcher
handwerklicher Erfahrung. Kein Wunder also, dass
3-Sterne-Köche wie Sven Elverfeld in Wolfsburg und
Kevin Fehling in Hamburg diesen prickelnden Frucht-
Secco gerne als alkoholfreien Aperitif empfehlen.
Preis: 8,96 Euro / 0,75 l
FrischeParadies KG
Morsestraße 2
10587 Berlin-Charlottenburg
Tel. 030 – 39 08 15 23
www.frischeparadies.de
Die Boudin basque gilt als Königin der Blutwürste.
Die Spezialität aus dem französischen Baskenland
besticht durch ihre feine Würzung und eine raffinierte
Aromatik, die durch die Verarbeitung von Karotten
und Lauch zustande kommt. Wir entdeckten die Boudin
basque am Stand von Lionel Ringeisen auf dem
Wochenmarkt an der Schöneberger Akazienstraße
und folgten dem Tipp des gebürtigen Elsässers, sie
zu braten und mit Jakobsmuscheln zu servieren. Wow!
Preis: 7,90 Euro / 190 g
OleoGustus
u.a. Wochenmarkt an der Akazienstraße
10823 Berlin-Schöneberg
Donnerstag, 12.00-18.00 Uhr
Tel. 0157 – 57 50 40 55
Alles für Jeden:
Profi- oder
Hobbykoch.
...und was wir nicht haben,
vermissen Sie nicht!
Metzgermeister und Fleischsommelier Jens-Uwe Bünger
hat mit seiner Mannschaft nicht nur eine neue
Bratwurstkultur in Berlin etabliert, das Team produziert
auch Weißwürste (jeden Donnerstag frisch),
die sich mit den besten Kreationen weiß-blauer Wurstmacherkunst
durchaus messen können. Büngers helle
Brühwürste (hell, weil kein Nitrit-Pökelsalz verwendet
wird) punkten mit feinem Kalbfleisch, kräftigem Speck,
frischer Petersilie und perfekt abgestimmter Würzung.
Preis: 27,00 Euro / kg (ca. 1,75 Euro/Stück)
Bünger – Der Fleischsommelier
Westfälische Straße 53
10711 Berlin-Wilmersdorf
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www.fleischerei-buenger.de
Wenn schon die Bars geschlossen sind, dann liefern
wir eben die Cocktails servierfertig nach Hause – das
ist die Unternehmensidee von The Bottled Bar. Die
Gründer taten sich mit einigen der besten Bartender
Berlins zusammen, die erdachten fünf süffige, flaschenabfülltaugliche
Kreationen – fertig. Unser Favorit: Fancy
Rum Punch by Oliver Ebert (Bar Becketts Kopf), karibisch
fruchtig, vanillig, mit einem Schuss Oolong Tee. Nur noch
auf Eis gießen und genießen!
Preis: 22,00 Euro / 500 ml
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Auguststraße 2
10117 Berlin-Mitte
Tel. 030 – 53 15 41 14
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KOPFSALAT Jonathan Kartenberg
Kartenbergs Coup
Eine virtuelle Speisekammer geht online
VON JÖRG TEUSCHER
Der 28-jährige gebürtige Berliner Jonathan Kartenberg gehört zu jener Generation von Gastronomen, die
immer für eine Überraschung gut ist. Im späten November 2019 zum Beispiel, der Gault-Millau hatte sein
Neuköllner Restaurant eins44 gerade zum fünften Mal in Folge in die Berliner Top-Thirty gehievt – Grund
genug, die Beine mal hochzulegen und sich einen Champagner zu gönnen – tat er genau das Gegenteil
und verblüffte die Branche mit der Eröffnung des Irma La Douce in der Potsdamer Straße.
Ein weiterer Paukenschlag folgte im Mai des Corona-Jahres 2020 mit der Aktion Achilles. Kartenberg
lotste den zweifach besternten Spitzenkoch aus seinem herdlosen Kämmerlein in die eins44-Küche und
verkündete: „Mit Daniel Achilles richten wir uns in den kommenden Monaten thematisch neu aus.”
Das klappte auch ganz gut und kam auf den richtigen Weg – bis Ende Oktober der Lockdown alles
wieder stoppte. Kartenberg ahnte, dass es bei den November-Schließungen nicht bleiben würde und
nutzte die gewonnene Zeit. Er kramte eine Idee hervor, die ihn schon länger umtrieb und begann, sie zu
realisieren. Wenn er darüber spricht, merkt man, er will es wissen. Jetzt. Und ohne Wenn und Aber.
50 GARÇON
Jonathan Kartenberg KOPFSALAT
www.the-good-taste.de – jede Wette, diese Adresse
wird Furore machen, davon sind wir dermaßen überzeugt, dass
wir sie schon mal ein bisschen größer gedruckt haben.
www.the-good-taste.de, dahinter stecken Jonathan Kartenberg
und ein Team von Fotografen, Juristen, Textern und Webdesignern
und das Projekt eines Online-Marktplatzes für Produkte aus Berliner
Restaurants und von anderen kleinen Herstellern.
„Corona zeigt”, so der 28-Jährige, „wie antiquiert Gastronomen,
Manufakturbetreiber und Lebensmittelunternehmer hierzulande
arbeiten und wie dringend sich die Branche mit Digitalisierung
beschäftigen muss.” Kartenberg ist nun den ersten Schritt
gegangen und hat eine Plattform geschaffen, auf der jeder Kleinproduzent
seine Produkte anbieten und logistisch abwickeln kann.
„Denken Sie sich diese Plattform wie einen großen Marktplatz,
auf dem viele dieser kleinen Produzenten einen eigenen virtuellen
Warten auf bessere Zeiten: Das Irma La Douce...
...und das eins44.
Stand haben,” sagt er, „wir stellen lediglich die Plattform zur Verfügung
und sorgen damit für den Rahmen, der eine sichere Abwicklung
des Geschäfts garantiert, das immer direkt zwischen dem
Erzeuger und dem Kunden zustande kommt.”
Kartenberg und seine Mitstreiter fungieren dabei als eine Art
Marktwächter, die ein Auge darauf haben, dass alle geschäftlichen
Regeln eingehalten werden (dafür kassieren sie dann eine Umsatzprovision)
und kümmern sich um notwendige Laborprüfungen, um
Label, Verpackung, Werbung, Lagerung und Logistik.
„Wir starten am 26. oder 27. Dezember mit rund 50 Produkten
von zwölf Gastronomen”, macht er die Sache konkret und hofft natürlich,
dass schnell weitere Berliner Gastronomen mit interessanten
Produkten hinzukommen.
„The good taste” könnte tatsächlich ein großer Wurf werden,
wenn viele dem Angebot folgen, gemeinsam neue Wege zu gehen.
GARÇON
51
KOPFSALAT Ilona Scholl und Nancy Grossmann
STARKE FRAUEN...
(...und ein weniger starkes Buch)
Warum, fragt man sich, musste der
Gault-Millau 2021 jetzt erscheinen?
Als Entscheidungshilfe für einen
festtäglichen Restaurantbesuch
ist das Buch wertlos, weil eh alle
Restaurants geschlossen sind (was
brav auch bei jeder Einkehrstätte
vermerkt ist) und als Bettlektüre für
lange Dezemberabende gibt es gewiss
spannenderes. Warum also?
Bernd Matthies, unangefochtene
Nummer eins der hauptstädtischen
Berufsesser und Restauranttester, fragt sich das auch:
„Brauchen wir gerade jetzt neue Restaurantführer? Nein, dürfte
die aktuelle Antwort lauten. Aus Sicht der bei Burda angesiedelten
Redaktion des Gault-Millau sieht die Sache natürlich anders aus:
Können wir die neue Ausgabe ausfallen lassen, wo wir uns doch
gerade erst im Mai mit viel Trara eingekauft haben? Das konnten
sie wohl nicht, und nun ist ein neuer Guide erschienen, mit dem
vermutlich niemand glücklich ist.”
Wir sind es vor allen Dingen deshalb nicht, weil erstmals in der
Gault-Millau-Geschichte deutschlandweit nur 500 Restaurants getestet
und (ebenfalls neu) mit 15 bis 19,5 Punkten bewertet wurden.
Weitere 500 Restaurants tauchen als so genannte Gault-Millau-Empfehlungen
auf – versehen mit textlichen Banalitäten, die
selbst drittklassige Agenturen besser verfassen.
Da wimmelt es nur so von „begehrten Adressen”, „coolen Orten”
und „smarten Lokalen”, in denen je nach attributivem Gusto
eine aromenstarke, authentische, kontrastreiche und moderne
Regionalküche serviert wird oder eben eine Regionalküche mit
marktfrischen Zutaten.
Ach ja, ein leidlich versierter Korrektor hätte dem Ganzen sicher
gut getan, aber das nur am Rande, weil 39,90 Euro eben schon mal
eine preisliche Ansage sind, für die man gern eine entsprechende
Gegenleistung hätte.
„Sagen wir so”, resümiert Bernd Matthies, „das Ding ist mit der
heißen Nadel gestrickt worden, und der konkurrierende Gusto liegt
sicher besser mit seiner Ankündigung, den neuen Print-Guide auf
das Frühjahr zu verschieben.”
Gefreut haben wir uns über die Wahl von Ilona Scholl (Tulus Lotrek,
Bild u. li.) zur „Gastgeberin des Jahres 2021” und von Nancy Grossmann
(Rutz, Bild o. re.) zur „Sommelière des Jahres 2021”. Herzlichen
Glückwunsch, und wir zitieren mit Freude aus den Laudationes:
„Ilona Scholl ist ein Musterbeispiel einer Gastgeberin”, schreibt der
Gault-Millau über die 37-Jährige, „die dafür sorgt, dass sich ihre Gäste
umsorgt und willkommen fühlen, wie kaum irgendwo sonst.” Und
über Nancy Grossmann, 36, heißt es: „Ohne eitle Selbstdarstellung
gelingt es ihr, die komplexen Teller von Marco Müller kongenial zu
begleiten und sich dabei lieber auf ihre Gäste einzustellen, statt eine
önologische Doktrin durchzuziehen.” Chapeau!!
52 GARÇON
QUADRIGA
2020
5
JAHRE
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HANDAUFZUGSUHR
limitiert auf 149 Stück
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Kurfürstendamm 170
10707 Berlin
KOPFSALAT Johannes Habel
54 GARÇON
Johannes Habel KOPFSALAT
world_record_egg
IM INTERNET ENTDECKT: DIE GANZE WELT LIEBT EIER
VON JÖRG TEUSCHER
Zehn Jahre Instagram: 54,9 Millionen Likes und 3,3 Millionen
Kommentare – das ist seit Gründung der inzwischen mit mehr
als einer Milliarde Nutzer größten Bildplattform der Social-
Media-Welt ein einsamer Rekord. Welches Bild, fragt man sich,
ist dermaßen frech, niedlich, witzig oder originell, dass es als
meistgeliktes Bild aller Instagram-Zeiten gilt? Die Antwort ist
ebenso erstaunlich wie verwunderlich: Weder ein Hollywood-
Megastar noch ein Guy-Savoy-Superfood sind so sensationell
instagramable – nein, es ist ein Ei, ein ganz und gar normales
Hühnerei, das im Strom der Bilder an die Spitze trieb.
Das Produkt mehr oder weniger glücklicher Hühner wird aber
nicht nur im digitalen Universum gefeiert, auch die gute alte analoge
Welt singt ihm Lobeshymnen.
Seit die Luxemburger Sterneköchin Léa Linster gemeinsam mit
dem Kölner Cartoonisten Peter Gaymann vor sechs Jahren ihre
„Huhnglaublichen Rezepte” unters Volk brachte, gab es eine regelrechte
Koch- und Sachbuchschwemme zum Thema. Angeheizt
wurde der Titel-Kampf sicher auch dadurch, dass eine Reihe prominenter
Zeitgenossen die Hühnerhaltung als Hobby entdeckte.
Unter der Flut von Neuerscheinungen, die in letzter Zeit das
– Achtung, neudeutsch! – Homefarming mit Hühnern und die
Selbstversorgung mit Eiern (oder heißt es inzwischen Selfsupplying?)
propagierten, gehören auch einige wirklich ansprechende
und durchaus empfehlenswerte Bücher (s. Seite 54).
Wer jedoch das Glück von Manuela von Perfall und Jessica
Jungbauer, mit Hühnern zu leben (Callwey Verlag München) aus
Mangel an Land und Zeit nicht teilen kann, trotzdem aber gern
die wunderbaren Eierspeisen von Kathrin Fritz und Martina Meier
(AT Verlag Aarau und München) auf dem Teller hätte, was,
bitte, tut der?
Die Antwort führt natürlich nicht zum Supermarktregal, sondern
auf Berliner Wochenmärkte in Charlottenburg, Friedrichshain,
Schöneberg und Zehlendorf und dort zu einem Mann namens
Johannes Habel und seinen Ständen.
GARÇON
55
KOPFSALAT Johannes Habel
Der Mann mit dem Huhn, das ist Johannes Habel. Jahrgang 1961,
gebürtiger Münchner, aber das hört man nicht. Konditorlehre in Garmisch-Partenkirchen,
Zeitsoldat beim Gebirgsjägerbataillon 234 in
Mittenwald, Sanitätsunteroffizier. Arbeit als Patissier in Überlingen
und im Berliner InterContinental. Ausbildung zum Hotelkaufmann,
später zum Immobilienfachmann. Nach dem Mauerfall Projektentwickler
für Einzelhandelsimmobilien in den neuen Bundesländern,
danach für Biogasanlagen.
2012 wieder eine berufliche Neuorientierung. Landwirtschaftslehre
und Abschluss als Landwirtschaftsmeister. „Mein Schlüsselerlebnis
war ein Praktikum in einem Mastbetrieb mit 200.000 Hühnern”,
erzählt er, „als ich das gesehen hatte, waren die Würfel gefallen.”
Johannes Habel zog nach Falkenhagen im Landkreis Märkisch-
Oderland, pachtete Wiesen und Weiden und begann, Hühner zu
halten – in allem das ganze Gegenteil der brutalen Tiernutzungsindustrie,
die er erlebt hatte.
Das war vor sieben Jahren, in denen sich Habel inzwischen einen
Namen gemacht hat – sowohl was das „animal welfare”, das viel
strapazierte Tierwohl angeht, als auch was Güte und Geschmack
seiner Produkte betrifft. Und – weil er nicht müde wird, darüber
zu reden, was Hühner wirklich glücklich macht. Kein Wunder, dass
der 59-Jährige mit dem Hühner-Guru Paolo Parisi verglichen wird.
Der Mann mit dem Ei, das ist Paolo Parisi, 63, ein paar Jahre älter
als Johannes Habel also. Er wuchs in Genua auf und hat – ähnlich
wie Habel – ein bewegtes Leben hinter sich: Medizinstudium,
Abbruch kurz vor dem Physikum, Arbeit als Staubsaugervertreter,
später als Verkäufer für medizinische Geräte.
2004 Umzug aufs Land, Usigliano di Lari, westliche Toskana, ein
Ort, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, (Garcon besuchte
ihn dort, s. Heft 50/2018). Hier betätigte er sich als Olivenbauer
und Schweinezüchter, 2008 dann kam er auf das Huhn. „Es war ein
Experiment”, sagt er. Eins aber, das funktionierte.
Die Haltung in fußballfeldgroßen Sandgruben mit Schattenbäumen
und einem mobilen Stall, die Fütterung mit einem Brei aus
Getreideschrot und Ziegenmilch und die daraus resultierende geschmackliche
Güte der Eier machten Parisi bekannt.
Inzwischen ist der Mann eine Berühmtheit. Italienische Spitzenköche
reißen sich ebenso wie eine Reihe ihrer Kollegen in Frankreich
und Österreich um diese Eier und zahlen Höchstpreise bis
zu drei Euro pro Stück (Im Hofverkauf auf seiner Azienda übrigens
kostete 2018 ein Ei 0,90 Euro.). Parisis einziges Problem – er kann
die Nachfrage kaum bedienen.
Davon ist Johannes Habel, sein deutsches Pendant, noch ein
Stück weit entfernt, obwohl seine Weide-Eier in puncto Geschmack
denen von Paolo Parisi durchaus ebenbürtig sind.
56 GARÇON
Johannes Habel KOPFSALAT
Berlin-Charlottenburg, Wochenmarkt auf dem Karl-August-Platz:
Mittwoch, 8.00 – 13.00 Uhr
Samstag, 8.00 – 14.00 Uhr
Berlin-Schöneberg, Wochenmarkt auf dem Wittenbergplatz:
Dienstag, 9.00 – 15.00 Uhr
Berlin-Schöneberg, Wochenmarkt an der Akazienstraße:
Donnerstag, 12.00 – 18.00 Uhr
Berlin-Friedrichshain, Wochenmarkt auf dem Boxhagener Platz:
Samstag, 9.00 – 15.30 Uhr
Dass Johannes Habel seine Weide-Eier ausschließlich auf Berliner
Wochenmärkten verkauft, ist kein cleveres Marketing künstlich erzeugten
Mangels, sondern einzig und allein der Tatsache geschuldet,
dass weder Bio-Groß- noch Bio-Einzelhandel auch nur annähernd
bereit waren, adäquate Preise für seine Eier zu zahlen. „25
Cent pro Stück hat mir ein Händler geboten”, erklärt Habel seine
Wochenmarktpräsenz, „das hätte bei meiner Art der Haltung und
Fütterung nicht mal einen Teil der Kosten gedeckt.”
Die Kunden loben den Geschmack der Weide-Eier und haben kein
Problem mit dem Stückpreis von 70 Cent. Und auch seine Hühnerbrühe
findet viele Liebhaber. „Ich kaufe sie, weil sie alles übertrifft, was
ich bisher probiert habe”, erklärt eine junge Frau auf dem Markt an der
Akazienstraße. „Dafür sind zehn Euro pro Glas allemal gerechtfertigt.”
GARÇON
57
KOPFSALAT Johannes Habel
Kern all dieser Preis-Fragen ist die einfache Wahrheit, dass zwischen
den Ansprüchen an die Landwirtschaft und ihre Erzeugnisse und der
Zahlungsbereitschaft vieler Kunden noch immer Welten liegen. „Das
lässt sich nur ändern, wenn das Gute zur Norm wird”, philosophiert
Johannes Habel und lädt uns ein, das Gute in Augenschein zu nehmen.
Falkenhagen liegt im Brandenburger Naturschutzgebiet Matheswall,
Schmielen- und Gabelsee. Hier, inmitten einer hügeligen Endmoränenlandschaft,
hat Habel an verschiedenen Ecken insgesamt 50
Hektar Land gepachtet, auf denen er derzeit rund 1.000 Hühner und
eine kleine Galloway-Herde hält – zehn Muttertiere und ihre Kälber.
Unser erster Gedanke: viel Land für wenig Tier. Wie bei Paolo Parisi.
„Hühner brauchen Auslauf, jede Menge Grün, Platz zum Scharren,
Sandbäder, Schattenbäume”, so Habel, ganz in seinem Element.
58 GARÇON
Johannes Habel KOPFSALAT
Und – Duplizität des Richtigen – auch der Brandenburger Bio-Bauer
benutzt mobile Ställe, die zwar kleiner sind als die seines italienischen
Kollegen, aber dem gleichen Zweck dienen – sie immer
dann zu versetzen, wenn an einem Ort das Grün und die Kräuter zur
Neige gehen. So funktionieren Hühnerparadiese.
Nichts von der quälenden Enge der Massentierhaltung, nichts
von Turbohennen, die auf Höchstleistung getrimmt sind und –
Minimum – 300 Eier im Jahr legen müssen.
Die dritte Gemeinsamkeit mit dem Branchenprimus in der Toskana:
Habels Lohmann-Hühner sind, wie die Livorneser von Paolo Parisi,
Zweinutzungshühner, Tiere, die Eier und Fleisch liefern. Auch das
gilt in der industriellen Haltung als No-Go. Profitabel sind Hühner
nur, wenn sie einem Zweck dienen – Eier legen oder Fleisch geben.
GARÇON
59
KOPFSALAT Johannes Habel
In der Folge sind die mageren männlichen Nachkommen der zur
Eierproduktion eingesetzten Hühner für die Industrie nutzlos. Die
Folge ist bekannt: Jedes Jahr werden in Deutschland rund 40 Millionen
männliche Küken am ersten Lebenstag geschreddert oder
mittels CO 2 vergast. Ein Gesetz soll nun endlich diese Praxis verbieten
– ab 2022. Keine Frage, dass sich in Habels Hühnerhaufen
auch Hähne tummeln, ebenso wie in dem von Parisi. Das zu wissen,
macht übrigens nicht nur Hühner glücklich.
So schließt sich der Kreis. Glückliche Hühner legen eben auch
fantastische Eier. Habels „Mädels” – so nennt er sie tatsächlich
– legen rund 220, 230 im Jahr in die mit Dinkelspelzen gefüllten
Einstreunester. Cremefarben und mit einem Aroma, das an frische
Nüsse und grünes Gras erinnert...
60 GARÇON
Johannes Habel KOPFSALAT
Hallmann-&-Klee-Küchenchefin Rosa Beutelspacher und Köchin Jana Wegner, v.re.
Habels Kunden sind neben Six-Pack-Käufern auf Berliner Wochenmärkten
vor allem Bäcker, Köche und Konditoren, die sich nicht
damit abgeben, dass Bio-Eier, woher auch immer, a priori gute Eier
sind. Zu dieser Kategorie der Produktfetischisten – Motto: Nur das
Beste ist für uns gut genug – gehören etwa die Bäckerei Albatross,
das Café Neumanns, Du Bonheur sowie Samys Berliner Pfannkuchen
Café. Und auch eine unserer kulinarischen Lieblingsadressen
– das Hallmann & Klee am Böhmischen Platz in Neukölln – verarbeitet
ausschließlich Habels Weideeier. „Auf rund 500 Stück pro
Woche hat sich das etwa im Oktober summiert”, so Rosa Beutelspacher,
die 38-jährige Küchenchefin. Und wir sagen: Zwei Eier,
pochiert, dazu Fassbutter, Spinat und vielleicht noch ein bisschen
Bacon von Kumpel & Keule – besser kann der Tag nicht beginnen.
HALLMANN & KLEE
Böhmische Straße 13
12055 Berlin-Neukölln
Tel. 030 - 23 93 81 86
www.hallmann-klee.de
GARÇON
61
KOPFSALAT Johannes Habel
Am 3. Oktober 2020 angereist aus Berlin-Wilmersdorf: Robert Ringmayer, li., Pate des Huhns Edeltraut.
Ein Nachsatz ist nötig. Johannes Habel liebt seine Hühner und sorgt
sich um ihr Wohl. Damit das für seine Kunden nicht nur ein Werbespruch
ist, lädt er mehrmals im Jahr zum „Tag der offenen Weide”
ein. „Jeder kann sich dann ein Bild davon machen, dass bei uns die
Hühnerwelt in Ordnung ist”, so Habel.
Robert Ringmayer, den wir beim letzten Termin am 3. Oktober
in Falkenhagen trafen, bestätigt das: „Nehmen Sie nur mal die viel
beschworene Freilandhaltung”, so der 35-jährige Berliner, „ein Begriff,
der freie Bewegung in ländlicher Umwelt suggeriert, oft aber
nur wenig Auslauf in karger Umgebung bedeutet, meist ohne schützende
Bäume und Sträucher. Hier haben die Hühner das alles.”
Deshalb ist Ringmayer auch Hühnerpate, einer von 147 übrigens...
Informationen zu den Patenschaften unter www.weideei.de
62 GARÇON
KOPFSALAT Ricarda Farnbacher
Diese Fotos und noch etliche andere mit ähnlichen Motiven sind auf Ricarda Farnbachers iPad
gespeichert und immer abrufbar, wenn Kunden beispielsweise wissen wollen, was sich hinter einer
Waldorfsalat-Interpretation verbirgt oder wie das Beef Tatar im Tramezzini-Mantel angerichtet wird.
Ricarda Farnbacher ist Cateringunternehmerin, eine der besten ihrer Branche in Berlin. Eine, die nicht
nur Häppchen serviert, sondern Ausgefallenes in ausgefallenem Rahmen präsentiert und besondere
Anlässe besonders inszeniert. Dennoch hieß es auch bei ihr in diesem Jahr: Rien ne va plus.
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Ricarda Farnbacher KOPFSALAT
„Jammern bringt nichts”
ZU GAST BEI DER CATERINGUNTERNEHMERIN RICARDA FARNBACHER
VON JÖRG TEUSCHER
GARÇON
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KOPFSALAT Ricarda Farnbacher
Ricarda Farnbacher ist eine kluge und beredte Frau, hat aber die Angewohnheit,
manches Wichtige in Redundantem zu verstecken. „Das Leben
ist, was man daraus macht” ist so ein Satz, sogar eine Art Lebensmotto.
Die 36-Jährige stammt aus Starnberg in Oberbayern, studierte Politikwissenschaften
in Wien und Potsdam und wollte Bürgermeisterin, Diplomatin
oder Jounalistin werden. Nach dem Diplom wäre sicher alles möglich
gewesen, doch – wie das Leben so spielt – es kam ganz anders. „Ich bin
ins Eventmanagement reingerutscht”, beschreibt sie das Ergebnis ihrer
Findungsphase.
Sie machte sich schnell einen Namen in einer Branche, die nach 100 Prozent
Improvisation klingt, aber 99 Prozent Perfektion verlangt. 2015 schließlich
gründete sie ihre eigene Firma: Ricarda Farnbacher Event-Catering-Location.
Und wurde zunehmend gefragter, weil sie konsequent auf Qualität und
Ricarda Farnbacher und ihre Mitarbeiterin Thandiwy Degli Esposti, kurz Thandi, v. re.
66 GARÇON
Ricarda Farnbacher KOPFSALAT
Individualität setzte. „Früher kam es darauf an, eine möglichst opulente Tafel
aufzufahren, heute dagegen stehen die Güte der Speisen, die Dekoration,
der Service, aber auch das ganze Drumherum mehr im Mittelpunkt. Die Kunden
wollen maßgeschneiderte Konzepte und keine Stangenware.”
Ricarda Farnbacher lieferte, Adidas, Ebay, Google & Co. jubelten. „2019
war unser bestes Jahr”, sagt sie, „250 Veranstaltungen, B2B-Events, Mottopartys,
Themenessen, alles, von superkrass bis bodenständig.”
Auch 2020 lief gut – bis zum März, dann folgte der Absturz, nicht nur für ihr
Unternehmen, die ganze Fest- und Feierbranche lag über Nacht am Boden. „Der
schlimmste Downgrade, den Du Dir vorstellen kannst.”
Wir sitzen in ihrem Garten in Pankow, 800 Quadratmeter, alte Obstbäume,
Gemüse- und Kräuterbeete. Basis für ein neues Business. Ricarda Farnbacher
entschied, ins Feinkostgeschäft einzusteigen.
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KOPFSALAT Ricarda Farnbacher
Produktionsküchen heißen die mehr oder weniger professionell ausgestatteten
Speisenzubereitungsstätten von Cateringfirmen im Fachjargon. Die
von Ricarda Farnbacher befindet sich in der Greifswalder Straße und ist
mit allem bestückt, was ein modernes Unternehmen ihrer Branche heute
benötigt, um up to date zu sein.
Normalerweise war in den Wochen vor Weihnachten hier der Teufel los.
„Weihnachtszeit war Feierzeit”, sagt die Unternehmerin, „das hieß Vollgas täglich,
manchmal auch nachts.” Jetzt allerdings: Still ruht der See. Oder fast.
Küchenchef Alex Gross und sein Stellvertreter Colin Seffer entwickeln und
produzieren die Feinkost, die höchsten Ansprüchen genügen soll. Beste Grundprodukte,
deren Verarbeitung in kleinen Chargen, geschmacklich stimmig,
nachhaltig, verkaufbar”, bringt der 35-jährige Gross die Sache auf den Punkt.
„Trial and error”, fügt sein Kollege hinzu, „nicht alles passt immer gleich.”
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Ricarda Farnbacher KOPFSALAT
Küchenchef Alex Gross und Sous Chef Colin Seffer, v. li.
Inzwischen gibt es unter dem Label FARNKOST ein gutes Dutzend Spezialitäten,
die keinen Vergleich scheuen müssen (s. Seite 70). Ricarda Farnbacher
bietet sie auf dem Wochenmarkt am Kollwitzplatz und im eigenen Onlineshop
an. „Natürlich sind die Umsätze kein Vergleich etwa zu dem, was wir
mit der Party einer IT-Firma verdienen würden, aber es hält uns erstmal über
Wasser.” Die Unternehmerin gibt sich kämpferisch. „Wir schaffen das!”
FARNKOST
Stargarder Straße 17
10437 Berlin-Prenzlauer Berg
info@ricardafarnbacher.de
www.ricardafarnbacher.de
GARÇON
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KOPFSALAT Ricarda Farnbacher
Farnkost ist die Feinkostmarke der Catering-Unternehmerin
Ricarda Farnbacher.
Die aus frischen, saisonalen Produkten
nachhaltig hergestellten Delikatessen gibt
es samstags auf dem Wochenmarkt am
Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg und im
Online-Shop www.farnkost.com
70 GARÇON
Bitte trinken Sie verantwortungsvoll. | DRINKiQ.com
Die Bezeichnung ZACAPA und damit verbundene Logos sind Markenzeichen. © Rum Creation & Products, Inc. 2016
Prignitz
Ruppiner Seenland
Uckermark
Wer in der Mark reisen will, der muß zunächst
Liebe zu Land und Leuten mitbringen,
mindestens keine Voreingenommenheit.
Er muß den guten Willen haben, das
Gute gut zu finden, anstatt es durch krittliche
Vergleiche totzumachen. Der Reisende
in der Mark muß sich ferner mit einer feineren
Art von Natur- und Landschaftssinn
ausgerüstet fühlen. Es gibt gröbliche Augen,
die gleich einen Gletscher oder Meeressturm
verlangen, um befriedigt zu sein.
Diese mögen zu Hause bleiben.
Fläming
Dahme-Seenland
Spreewald
Unterwegs
in Brandenburg
PETZNICK — PETERSDORF — POTZLOW
GERSWALDE — GRÜNHEIDE
VON JÖRG TEUSCHER
Barnimer Land
Seenland Oder-Spree
Es ist mit der märkischen Natur wie
mit machen Frauen. ‚Auch die häßlichste‘
— sagt das Sprichwort — ‚hat immer noch
sieben Schönheiten!‘ Ganz so ist es mit
dem Lande zwischen Oder und Elbe; wenige
Punkte sind so arm, daß sie nicht auch
ihre sieben Schönheiten hätten. Man muß
sie nur zu finden verstehen. Wer das Auge
dafür hat, der wag es und reise.
Lausitzer Seenland
Elbe-Elster-Land
Havelland
Theodor Fontane
Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Die Grafschaft Ruppin
Vorwort zur zweiten Auflage, Berlin 1864
GARÇON
73
KULINARISCHE EXKURSION Uckermark
Grumsin, über 3.000 Mooren und einer Vielzahl an seltenen Tieren
und Pflanzen bis zum Nationalpark Unteres Odertal im Osten, einer
weitgehend intakten Flussauenlandschaft.
Die Schönheiten des Landstrichs im Norden Brandenburgs entdeckten
nach der Wende auch viele Berliner. Wer es sich leisten
konnte, kaufte hier ein Ferienhaus oder zog gleich ganz aufs Land
– Entschleunigung, Alternativen zu den Einengungen der Großstadt,
Nachhhaltigkeit, ein Leben am Rande der Konsumkultur, der
Trend zur Uckermark ist ungebrochen.
Neben dem Tourismus sind Landwirtschaft und Lebensmittelhandwerk
die Geldbringer in der Region. Der Uckerkaas aus Bandelow
ist inzwischen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt,
genauso die fruchtigen Spezialitäten der Apfelgräfin Daisy von Arnim
aus Lichtenhain und die feinen Obstweine von Edda Müller und
Florian Profitlich aus Kraatz. In Schönermark brennt Cornelia Bohn
einen respektablen Whisky, und in Blankensee presst Saskia Gräfin
Hahn ein ganz besonderes Mohnöl.
Wir besuchten bei unserem Uckermark-Trip im September 2020
Obstbauern in Grünheide und Pilzzüchter in Petznick, trafen in Petersdorf
einen guten alten Bekannten, verabschiedeten uns in Gerswalde
von dem Glut-und-Späne-Meister Michael Wickert, der den
Ort in Richtung Schwarzwald verlassen wird und hörten von der
Zuckerblütenproduzentin Anja Merkel in Potzlow, wie Corona eine
kleine Manufaktur kaputt macht.
Die Uckermark kennt viele Superlative, objektive wie subjektive.
Zur ersten Kategorie gehört die Tatsache, dass sie der größte Landkreis
Deutschlands ist, immerhin genauso groß wie das Saarland,
das kleinste deutsche Bundesland, wenn man Berlin, Hamburg
und Bremen außen vor lässt. Fakt ist auch, dass sie zu den am
dünnsten besiedelten Gegenden der Republik zählt, ein wald- und
seenreicher, aber menschenarmer Flecken, lediglich 53 Einwohner
leben hier auf einem Quadratkilometer.
Was das Subjektive, die Eindrücke also betrifft – mich verzaubert
diese Landschaft immer wieder neu, wenn ich in der Uckermark
unterwegs bin. Stille Alleen, gesäumt von Buchen und Linden
und manchmal auch von knorrigen Obstbäumen, weite Niederungen,
sanfte Hügelgebiete, idyllische Seen, 400 insgesamt, sagen
die Touristiker. Pittoreske Dörfer, prachtvolle Herrenhäuser, kleine
Kirchen von schlichter Schönheit.
Die Uckermärker sind stolz auf stille Badestellen und ruhige
Angelplätze und auf mehr als 1.000 Kilometer Wanderwege. Einer
der reizvollsten ist der 2009 eingeweihte und vom Deutschen Wanderverband
mit dem sperrigen Titel „Qualitätswanderweg wanderbares
Deutschland” bedachte Märkische Landweg. 217 Kilometer
lang, führt er durch den Naturpark Uckermärkische Seen, im Nordwesten
zwischen Boitzenburg, Lychen und Templin gelegen, durch
das UNESCO-Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin mit seinen
uralten Eichen, dem zum Weltnaturerbe gehörenden Buchenwald
74 GARÇON
Uckermark KULINARISCHE EXKURSION
GARÇON
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KULINARISCHE EXKURSION Uckermark
Der promovierte Biologe Andreas Kirbach
und Manuel Gross, Mechatroniker von
Beruf (Bild v. li.), stammen zwar nicht aus
der Uckermark, sind aber seit einiger Zeit
hier zu Hause. Aus einer Zufallsbekanntschaft
wurde Freundschaft, aus gleichen
Interessen ein gemeinsames Unternehmen.
Im August 2019 gründeten Kirbach
und Gross in Petznick vor den Toren Templins
eine Zuchtpilzfarm, deren Name
Programm ist: Frische Kappen...
„Hest nüscht sehen,
kast nüscht seggen.”
(Uckermärker Redensart)
Der 56-jährige Maik Fritsch stammt aus
Templin, ist also ein waschechter Uckermärker.
Wer es nicht hört, der schmeckt
es auf jeden Fall, denn Fritsch, Koch von
Beruf, gilt als ausgewiesener Kenner der
regionalen Küche seiner Heimat und als
ebensolcher Könner bei der Zubereitung
solcher Traditionsgerichte wie Hechtfrikassee,
Rehlungwurst, Rinderzungenkadümzel
oder eben Nudelsuppe mit Plum
und Speck...
76 GARÇON
Uckermark KULINARISCHE EXKURSION
Als die diplomierte Landschaftsarchitektin
Anja Merkel vor elf Jahren begann, in
ihrem Potzlower Garten essbare Blüten
anzubauen und ein Verfahren entwickelte,
die Botanicals zart zu verzuckern, gab
es jede Menge Lob. Die Marketinggesellschaft
pro agro zeichnete Merkels filigrane
süße Pretiosen aus, das Biosphärenreservat
Schorfheide-Chorin verlieh sein
Prüfzeichen, Konditoren aus halb Europa
jubelten. Doch dann kam Corona...
Er liebte die Uckermark-Landschaft, die
Sommerwochenenden in Gerswalde, sein
kleines Glut-&-Späne-Gartenlokal auf dem
Gelände der ehemaligen Schlossgärtnerei.
Und die Gäste liebten ihn und seine
Räucherkunst. Viele Berliner kamen jedes
Wochenende nur wegen Michael Wickerts
Fischplatten nach Gerswalde. Trotzdem hat
sich der 45-Jährige nun entschieden, die
Uckermark Richtung Baden-Württemberg
zu verlassen...
Dr. med. Michael Weber, 53, ist Facharzt
für Anästhesiologie und Chef der international
tätigen Hire a Doctor Group, einer
Zeitarbeitsfirma für Ärzte mit Sitz
in Berlin. Vor einigen Jahren erwarb der
gebürtige Potsdamer und bekennende
Uckermark-Fan eine defizitäre Mosterei
sowie einige Streuobstwiesen in der Region
seiner Träume, gründete die Firma
UMBIO und produziert seitdem erstklassige
Obstsäfte...
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KULINARISCHE EXKURSION Uckermark
Begehrt
ANDREAS KIRBACH UND MANUEL GROSS PRODUZIEREN UCKERMÄRKISCHES UMAMI
78 GARÇON
Uckermark KULINARISCHE EXKURSION
Frühsommer auf dem Kollwitzmarkt. Corona war da, aber doch
fern, Touristen und viel Schicki und Micki flanierten, hier ein Häppchen,
dort ein Schwätzchen.
Mitten in all dem fröhlichen Marktgewusel ein junger Mann
hinter einem kleinen Stand, vor sich ein paar Körbe mit Austernseitlingen
und Shiitakepilzen. Makellose Ware, aber keine Kunden.
Dann und wann ein bisschen geheucheltes Interesse: Astrein, aber
wir waren schon einkaufen. Endlich mal kein Schau-, sondern ein
Kauflustiger, ein älterer Herr mit weiblicher Begleitung und beide
offensichtlich mit dem Thema sehr vertraut.
Das Gespräch drehte sich um Substratproduktion, Myzelentwicklung
und Fruchtkörperbildung, der junge Mann hinter dem Tresen
erzählte von seinem und seines Geschäftspartners Start ins
Pilzzuchtgeschäft, von ihren Erfahrungen und Zielen. Der ältere
Herr kaufte eine Tüte Shiitake, und wir hörten – neugierig geworden
– das, worüber Andreas Kirbach, so der Name des Verkäufers,
bisher nicht gesprochen hatte: „Weil die Restaurants, unsere wichtigsten
Kunden, monatelang geschlossen waren, hatten wir die Idee
mit diesem Marktstand”, so Kirbach, „Not macht eben erfinderisch.”
Was das Besondere an ihren Pilzen sei, wollten wir wissen. Es
folgte eine Einladung nach Petznick, einem 118-Einwohner-Dörfchen
vor den Toren Templins am Rande des Biosphärenreservats
Schorfheide-Chorin.
Andreas Kirbach und Manuel Gross empfangen uns auf dessen
Grundstück, das auch ihre Edelpilzfarm beherbergt. Im August
2019 gegründet, ist die Anlage noch ein „Farmchen”, aber sie soll
wachsen – trotz Corona. Kirbach, 43, stammt aus Görlitz, studierte
an der Freien Universität Biologie und promovierte mit dem Thema
„Navigation und Kommunikation von Honigbienen” zum Dr. rer. nat.;
der 37-jährige Gross ist in Parchim gebürtig, der Ausbildung zum
Mechatroniker folgte eine über zehnjährige Tätigkeit in der Medizintechnik
– für beide war die Pilzzucht also Neuland.
Dr. Andreas Kirbach und Manuel Gross, v.li.
GARÇON
79
KULINARISCHE EXKURSION Uckermark
Dennoch schafften sie es schnell, sich in die fremde Materie einzufuchsen.
„So kompliziert ist die Sache nun auch nicht”, erklären
sie, „man braucht ein sauberes Substrat aus einheimischen Laubhölzern
und entsprechende Pilzbrut, mit der das Substrat geimpft
wird, dann wachsen die Pilze. Wichtig ist es, in jeder Phase für die
richtige Luftfeuchtigkeit und Temperatur zu sorgen und für die
notwendigen Lichtverhältnisse.”
Derzeit wachsen in ihrer Anlage Austern- und Kräuterseitlinge sowie
Shiitake, die sagenhaften chinesischen Umami-Lieferanten. Dazu
gibt es Weiße Buchenpilze sowie Pioppini, die Südlichen Ackerlinge,
die in Italien wegen ihres maronenähnlichen Aromas als Delikatesse
gelten. „Solange wir auf die Gastronomie-Kunden verzichten müssen,
ist eine Erweiterung der Sortenvielfalt natürlich kein Thema”, sagt
Andreas Kirbach. Dafür verschicken die beiden Züchter seit Anfang
November Frisch- und Trockenpilze auch an Otto Normalverbraucher
(bei Interesse: mail@frischekappen.de).
80 GARÇON
Uckermark KULINARISCHE EXKURSION
Das Berliner Szenerestaurant 2019...
... war vor der Pandemie der beste Kunde der Frische Kappen GbR.
Auch Andreas Kirbach und Manuel Gross hoffen auf ein baldiges
Ende des Lockdowns. „Unsere wichtigsten Abnehmer sind eben Berliner
Küchenchefs, und wenn deren Herde kalt bleiben, haben wir ein
Problem”, sagt Kirbach und verweist auf das Frühjahr. „Als Bandol
sur mer, Mrs. Robinson´s, Barra, FREA, Otto und andere Kunden keine
Pilze brauchten, weil sie geschlossen waren, hatten wir über 80
Prozent weniger in der Kasse.” Kirbach und Gross traten die Flucht
nach vorn an und mieteten einen Stand auf dem Kollwitzmarkt in
Prenzlauer Berg. Hier lernten wir die beiden kennen...
FRISCHE KAPPEN
Henkinshainer Weg 11
17268 Templin OT Petznick
Tel. 0151 - 23 60 69 55
www.frischekappen.de
www.coldehoern.de
Manuel Gross und FREA-Küchenchef Yahir Franco.
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KULINARISCHE EXKURSION Uckermark
Verblüht
ANJA MERKEL WILL DIE ZUCKERBLÜTENHERSTELLUNG AUFGEBEN
82 GARÇON
Uckermark KULINARISCHE EXKURSION
Landschaftsarchitektin und Unternehmerin Anja Merkel.
Den Tipp für einen Besuch in Potzlow, einem 500-Einwohner-Dörfchen
rund zehn Kilometer südlich von Prenzlau, bekamen wir von
Heidrun Lange. Genauer gesagt, wir entnahmen ihn ihrem lesenswerten
Buch „Uckermark – Die 99 besonderen Seiten der Region”.
Wir folgten also den Spuren der Journalistin nach Potzlow Ausbau
– das sind ein gutes Dutzend hübsch herausgeputzter Landhäuser
mit viel Grün drumherum.
Am Anwesen mit der Nummer 6a weist ein Schild den Weg:
Obstgarten Uckermark GbR. Das ist der Name der Firma von Anja
Merkel. Der freundlichen Begrüßung folgt eine ernüchternde Erklärung.
„Corona hat unser Geschäft zum Erliegen gebracht”, sagt die
52-Jährige, „wenn kein Wunder geschieht, geben wir auf.”
Anja Merkel, gebürtige Berlinerin, studierte in Dresden Landschaftsarchitektur
und zog gemeinsam mit ihrem Mann 2008 in
die Uckermark. Ein Jahr später begann sie, essbare Blüten zu verzuckern.
„Was so einfach klingt, war es natürlich nicht”, gab sie
damals in einem Interview zu Protokoll, „ich musste viel recherchieren,
experimentieren und investieren bis das Ergebnis für mich
und vor allem für die Kunden zufriedenstellend war.”
Köche, Konditoren und Patissiers waren dann weit mehr als nur
das. Sie lobten, dass die Hornveilchen-, Kornblumen-, Lavendel-,
Süßdolden- oder Wildrosenblüten – nachdem Anja Merkel ihre
Hand angelegt hatte – Form und Farbe behielten, dass durch den
Zucker ihre Aromen deutlich intensiviert wurden und dass das alles
ohne chemische Farb- und Hilfsstoffe erreicht wurde.
Zu Anja Merkels Kunden zählten das Berliner Sternerestaurant
Facil, Guido Fuhrmanns Werkstatt der Süße, das Tortenstudio Luca
sowie weitere Konditoren, sogar in Österreich und der Schweiz. Die
Zuckerblüten machten Schlagzeilen, Anja Merkel erhielt Auszeichnungen,
die Blütenwelt schien in bester Ordnung. Doch dann – siehe
oben. Nun basteln die Landschaftsarchitektin und ihr Mann,
Bauleiter von Beruf, an einer neuen Unternehmensidee.
GARÇON
83
KULINARISCHE EXKURSION Uckermark
Abgefüllt
MICHAEL WEBER UND SEIN TEAM STELLEN SUPER-SÄFTE HER
84 GARÇON
Uckermark KULINARISCHE EXKURSION
„Zumutung”, das ist noch die freundlichste Bezeichnung für die Verbindung
zwischen Grünheide und dem Rest der Welt. Die meisten
greifen tiefer in die Wortschatzkiste der Deftigkeiten. „Wer nicht
muss, der lässt´s”, sagen die Einheimischen trocken. Wir müssen.
Immerhin weisen Schilder links und rechts der kopfsteingepflasterten
Buckelpiste zuverlässig den Weg: UMBIO – GUTES AUS DER
UCKERMARK.
Das so Benannte liegt auf einer Anhöhe und sieht auf den ersten
Blick ziemlich unspektakulär aus. Produktionshallen und ein großer
Hof, viel Beton, der Charme des Zweckmäßigen. Hunderte Apfelbäume
und Haselnusssträucher ringsum lassen das Areal freundlicher
wirken, der weite Blick ins Uckermärker Land und der freundliche
Empfang durch eine junge Frau heben den ersten Eindruck schließlich
vollends auf.
Louise Friedländer (Bild S. 84, u., li.) stammt aus Köln und war,
bevor sie zu UMBIO kam, in der Modebranche tätig. Dann entschied
sie sich für das wirklich Wichtige im Leben. Dem Praktikum in der
Uckermark wird ein Studium an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung
in Eberswalde folgen – Fachrichtung Ökolandbau.
Die 33-Jährige serviert routiniert die UMBIO-Fakten, man merkt,
sie ist den Umgang mit Journalisten gewohnt. Wir notieren: UMBIO
bewirtschaftet 22 Hektar, größtenteils Streuobstwiesen, auf denen
über 100 alte und einige neuere Apfelsorten wachsen. Altländer
Pfannkuchenapfel, Landsberger Renette, Rheinischer Bohnapfel, Jakob
Fischer, Signe Tillisch, Kaiser Wilhelm, Boskop, Gelber Richard,
rund 1.000 Hochstämme. Dazu Birnen, Pflaumen, Süßkirschen, Hasel-
und Walnüsse. Gemüseanbau. Eigene Bienenvölker.
„In unserer Mosterei werden wir in diesem Jahr schätzungsweise
20.000 Liter Apfelsaft pressen”, sagt Louise Friedländer und fügt
hinzu: „Mit dem Kauf unterstützen Sie die Pflege unserer Streuobstwiesen
und die Neuanlage und leisten einen wichtigen Beitrag zur
Erhaltung alter Obstsorten.” Wir haben verstanden und kaufen.
GARÇON
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KULINARISCHE EXKURSION Uckermark
Am Sortierband: Karola Feistel und Viktoria Mokretsova, v.re.
An der Saftpresse: Julian Schiller und Nikolas Bohrisch, v. re.
Chef der Bio-Mosterei ist der 33-jährige Uckermärker Nikolas
Bohrisch, zupackend und wortkarg. Seine Mitarbeiter sind Studenten.
„Ökolandbau Eberswalde, die wissen, wie’s läuft”, Bohrischs
höchste Form der Anerkennung.
Außerdem erfahren wir, dass hier das Obst mit einer traditionellen
Packpresse gepresst wird, nicht die modernste Technik, aber eine,
die die beste Saftqualität liefert. Wir hören, dass der Saft nicht gefiltert
wird, also naturtrüb bleibt, um seinen typischen Geschmack zu
erhalten und dass er besonders schonend pasteurisiert wird. „Damit
das Aroma drinbleibt”, wie Bohrisch sagt.
„Kommen Sie doch zum Mosterei-Tag”, schlägt Louise Friedländer
vor, dann haben wir genug Zeit, um Ihre Fragen zu beantworten,
und dann ist auch Herr Doktor Weber da.” Wir überlegen – ein
zweites Mal die Buckelpisten-Zumutung? – und verabreden uns
mit Herrn Doktor Weber schließlich in Berlin. Michael Weber, Dr.
med. und Inhaber von UMBIO hat sein Büro auf einem Gewerbehof
Mosterei-Chef Nikolas Bohrisch.
86 GARÇON
Uckermark KULINARISCHE EXKURSION
in Prenzlauer Berg und ist im Hauptberuf Geschäftsführer der Hire
a Doctor Group (s. Seite 77 re. unten). „Zwei Tage in der Woche bin
ich in Berlin, ansonsten arbeite ich in der Uckermark.”
Der 53-Jährige erwarb 2015 die damals defizitäre Mosterei, investierte
kräftig und fügte dem Mostgeschäft weitere Standbeine hinzu.
„UMBIO produziert, veredelt und vertreibt inzwischen außer den
Bio-Premium-Säften auch Honig von unseren Bienen, Wildbret von
Tieren, die auf Bio-Flächen oder in den Uckermark-Wäldern erlegt
wurden und – natürlich saisonal – Lammfleisch von Bio-Lämmern.”
UMBIO – GUTES AUS DER UCKERMARK
Am Gutshof 1
17291 Oberuckersee OT Grünheide
Tel. 039863 - 63 90 75
www.umbio.de
www.coldehoern.de
Dr. Michael Weber: „Wir sind überzeugte Cuvée-Fans, weil wir die geschmackliche Harmonie lieben.”
GARÇON
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KULINARISCHE EXKURSION Uckermark
Unverhofft
EIN WIEDERSEHEN MIT DEM KÜCHENCHEF MAIK FRITSCH
88 GARÇON
Uckermark KULINARISCHE EXKURSION
Petersdorf, 90 Einwohner, liegt rund zehn Kilometer südöstlich von
Templin nahe des Lübbesees und gehört zu jenen Winzlingsdörfern,
die bei einer Uckermarktour normalerweise links liegen bleiben.
Wir machten uns dennoch auf den Weg.
Auf der Suche nach authentischen Klassikern der Uckermärker
Regionalküche hatten wir einen Tipp bekommen: Maik’s Hofwirtschaft
in Petersdorf. Der Name steht für die Sache. Vor der ehemaligen
LPG-Lagerhalle sind Tische, Stühle und einige Sonnensegel
aufgebaut, Tafeln informieren, was hier serviert wird: Hecht im
Speckmantel, Wildschweinleber, Wrukensuppe, Zwiebelkuchen.
Dann kommt Maik – und wir staunen nicht schlecht. Der Mann
ist ein alter Bekannter. Kennengelernt hatten wir Maik Fritsch vor
sieben Jahren, damals stand er im Ringenwalder Gasthof zur Eisenbahn
am Herd, ein gebürtiger Uckermärker, der die Traditionsrezepte
seiner Heimat zubereitete und die Frage nach seinem Kochstil
kopfschüttelnd mit einem Wort beantwortete: "Uckermärkisch".
Dann kredenzte er uns Rinderzungenkadümzel, Rehlungwurst und
Kloppschinken mit Suernudeln und lieferte gratis dazu eine kleine
Einführung in das Uckermärker Küchenplatt. Die Kartoffel zum
Beispiel heißt zwischen Prenzlau und Templin Nudel, Riewnudeln
sind demnach geriebene Kartoffeln, also Kartoffelpuffer und Suernudeln
Buttermilchkartoffeln. Kadümzel schließlich hat nichts mit
Nudeln zu tun – dahinter verbirgt sich ein feines Frikassee - mal
aus Kaninchenfleisch, mal aus Rinderzunge.
Fritschs Regionalofferte passte in die Zeit, der Hamburger FEIN-
SCHMECKER sang Lobeshymnen, die hauptstädtischen Tageszeitungen
stimmten ein und am Ende stand sogar die Nominierung
zum Brandenburger Meisterkoch 2013. Wie gesagt, das ist sieben
Jahre her, in denen es für Maik Fritsch nicht nur bergauf ging.
Seine damalige Partnerin zog zurück nach Berlin, er verließ das
Ringenwalder Eisenbahn-Gasthaus, ging als Koch nach Petersdorf
und schaffte es hier immerhin zum kulinarischen Geheimtipp.
GARÇON
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KULINARISCHE EXKURSION Uckermark
Ausgeräuchert
MICHAEL WICKERT VERLÄSST GERSWALDE
90 GARÇON
Uckermark KULINARISCHE EXKURSION
Die Uckermark wird häufig mit dem Saarland verglichen. Viel haben
der größte Landkreis und das kleinste Bundesland allerdings
nicht gemeinsam – eigentlich außer der Größe gar nichts. Die
gewaltigsten Unterschiede gibt es in Genussfragen. Während im
Saarland französisches Savoir-vivre und damit die Wertschätzung
guter Küche schon immer eine wichtige Rolle spielte, herrscht in
der Uckermark von alters her die kulinarische Kargheit Preußens.
Und während sich zwischen Saarbrücken und Weiskirchen gleich
ein halbes Dutzend erstklassiger Gourmetadressen drängelt, muss
man zwischen Prenzlau und Templin selbst eine passable Landhausküche
mit der Lupe suchen.
Das mag wohl auch der Grund dafür sein, dass – wenn von der
kulinarischen Uckermark die Rede ist – meist zuerst Gerswalde genannt
wird. Die 1.600-Einwohner-Gemeinde ist ein beliebtes Ausflugsziel
mit vielen Sehenswürdigkeiten. Das ehemalige Schloss
derer von Arnim beherbergt heute ein Jugendheim mit handwerklichen
Ausbildungsstätten; die Ruine der mittelalterlichen Wasserburg
wurde in den 1990ern aufwändig saniert; es gibt ein Fischereimuseum,
eine Heimatstube, eine Wehrkirche, und es gibt den
Großen Garten.
Man findet ihn auf dem Gelände der früheren Schlossgärtnerei,
und er gilt mit seinen gastronomischen Angeboten – dem Café
„Zum Löwen”, der Bar „Paradieschen” und dem Gartenlokal „Glut
und Späne” – als das kulinarische Nonplusultra der Uckermark.
Tatsächlich Furore macht hier aber nur Michael Wickert. Inzwischen
muss man sagen „machte”, denn Wickert wird am Jahresende
seine Zelte in Brandenburg abbrechen, doch dazu später.
Der 40-jährige Agrar- und Fischereiwissenschaftler, der während
seines Studiums auf Fischfarmen in Australien, Brasilien,
Südafrika und der Schweiz forschte und nach dem Studium zwei
Jahre lang eine Forellenzucht in der Normandie leitete, kam – via
Markthalle Neun – 2016 nach Gerswalde.
Michael Wickert, Süßwasserfisch-Spezialist und Autor:
Im Frühjahr erscheint sein Fischräucherbuch (Ulmer Stuttgart).
GARÇON
91
KULINARISCHE EXKURSION Uckermark
Hier etablierte er seine Fischräucherei und ein Fischbistro, und hier
wäre er auch gern geblieben, doch der Klimawandel machte seine
beruflichen Pläne zunichte.
Wickert hatte sich vorgenommen, selbst eine Fischerei zu betreiben,
aber die Tatsache, dass rund um Gerswalde in kurzer Zeit
drei Fischereibetriebe schließen mussten, ließ ihn nachdenklich
werden. „In der Region wird es immer wärmer und trockener”, berichtet
er, „dadurch verlieren die Seen viel Wasser – der Wasserspiegel
des Gelandsees rund 20 Kilometer südlich von Gerswalde
beispielsweise, ist in den letzten drei Jahren um 70 Zentimeter
gesunken. Das sind 70 Millionen Liter Wasser weniger.” Er spricht
über die Folgen, über das Algenwachstum, das begünstigt wird und
über die steigende Bildung von Geosmin, einer Substanz, die einen
modrigen Geschmack verursacht. „Da kannst du räuchern soviel
du willst, der bleibt.” Im Süden, etwa im wasserreichen Schwarzwald,
hofft er nun auf bessere Bedingungen für sein Vorhaben.
92 GARÇON
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KULINARISCHE EXKURSION Toskana
„Immaginamo la gastronomia
in nuovo modo”
DER GASTRONOMISCHE VISIONÄR PIERLUIGI BIZZARRI
VON JÖRG TEUSCHER
94 GARÇON
Toskana KULINARISCHE EXKURSION
„Immaginamo la gastronomia in nuovo modo”, sagt
Pierluigi Bizzarri selbstbewusst, „wir denken die Gastronomie
neu.” Seit der 43-jährige Unternehmer aus der
toskanischen Provinzhauptstadt Pistoia vor fünf Jahren
sein erstes Restaurant eröffnete, gilt er als gastronomischer
Visionär. Sein jüngstes Projekt ist ein kettentaugliches
Fischrestaurant mit bisher drei Standorten.
Ende September – die Restaurants in Italien waren mit
Auflagen geöffnet – besuchten wir das Fishing Lab in
Pietrasanta und erfuhren Erstaunliches.
GARÇON
95
KULINARISCHE EXKURSION Toskana
Città d’arte e culinaria, Stadt der Kunst und der Kulinarik, so wirbt Pietrasanta
um Touristen. Und die kommen Jahr für Jahr in Scharen in das
Städtchen in der nördlichen Toskana, bevölkern die schmalen Gassen
und bestaunen den berühmten Campanile. Wer das Gewusel auf der
Piazza Duomo und in den Straßencafés dort schon einmal erlebt hat,
wird das Bild des fast menschenleeren Marktplatzes für ein Foto-Fake
halten. Aber es ist im Spätsommer des Coronajahres 2020 Realität.
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Toskana KULINARISCHE EXKURSION
Dass Ende September die Straßen und Plätze in Pietrasanta weit
weniger bevölkert sind als in den Vor-Corona-Jahren, liegt zuerst
daran, dass kaum noch ausländische Touristen die Stadt besuchen.
Die Italiener sind unter sich. Die meisten halten die Hygienegebote
ein und wirken dabei ziemlich entspannt. Uns verwundert, dass die
Abstandsregel mit lediglich einem Meter viel geringer als in Deutschland
ist. Dafür tragen hier mehr Menschen Maske, obwohl es keine
generelle Maskenpflicht gibt. Die wird von der italienischen Regierung
erst am 8. Oktober angeordnet – allerdings mit vielen Ausnahmen.
Die bei einem Verstoß angedrohten Bußgelder betragen
übrigens saftige 400 bis 1.000 Euro, das ist ein Vielfaches dessen,
was in deutschen Städten angezeigt ist.
Wir sind unterwegs zu einem erst wenige Wochen zuvor eröffneten
Restaurant, das in der gastronomisch eher konservativen Toskana
neue Wege gehen will. Dafür steht der Name seines Betreibers:
Pierluigi Bizzarri, den sie in Italien il visionario nennen, den Visionär..
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KULINARISCHE EXKURSION Toskana
Und täglich grüßt das Meerestier? Im Fishing Lab in Pietrasanta
bestimmt. In diesem modern möblierten und zum Glück auch nicht
fischereifolkloristisch überdekorierten Lokal kommt – bis auf ganz
wenige Ausnahmen – ausschließlich Fisch auf die Teller. Zuerst
allerdings gibtʼs Speisenkarte, Besteck und Serviette, desinfiziert
und eingeschweißt in einen Plastikbeutel. Der wird am Tisch aufgeschnitten
und der Gast entnimmt, was er braucht (Bild u. re.).
Die Speisenkarte, die man sich auch auf das iPhone laden kann,
funktioniert nach dem Baukastensystem. Motto: Der Gast stellt
sich sein Menü selbst zusammen: Schalen- und Krustentiere gibt
es einzeln zum Stückpreis, ebenso Sushi. Poke Fish ist eine Bowl
mit Reis und Gemüse – welcher Fisch dazu serviert wird, entscheidet
wiederum der Gast. Außerdem können die meisten Gerichte
auch als halbe Portionen geordert werden. Ein Konzept, vor allem
für junge Leute gedacht. „Più easy, più smart”, nennt es der Manager,
ein Motto, das sicher keine Übersetzung braucht.
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Toskana KULINARISCHE EXKURSION
Tommaso Cantini ist der Marketing-Chef der PB srl, so das Kürzel für
die gastronomische Unternehmung von Pierluigi Bizzarri und dessen
Sprecher. „Wenn unser Fishing-Lab-Konzept hier in Pietrasanta und in
Florenz erfolgreich ist, wollen wir expandieren”, sagt der 37-Jährige
und fügt hinzu: „Wir haben zum Beispiel Berlin im Blick.” Wie gesagt,
das Gespräch fand Ende September statt. Jetzt, nach dem erneuten
Lockdown in Italien, spricht Cantini nur noch von „Existenzsicherung”.
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KULINARISCHE EXKURSION Toskana
Der Cacciucco, die traditionelle Fischsuppe der Toskana, ist ein beliebtes
Weihnachtsessen in den Küstenorten der Region. Er muss aus fünf
Fischsorten gekocht werden, für jedes „C” im Namen eine Sorte – also
etwa Drachenkopf, Knurrhahn, Meeräsche, Petermännchen und Rotbarbe.
Außerdem sind Heuschreckenkrebse und einige Miesmuscheln
wichtig. „Weil die Beschaffung der Zutaten und die Zubereitung ziemlich
aufwändig sind, gibt es bei uns Cacciucco to go”, so Tommaso Cantini
aus dem Fishing Lab in Pietrasanta Anfang Dezember telefonisch.
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Toskana KULINARISCHE EXKURSION
Der Marketingchef des Fishing Lab klingt nicht eben optimistisch,
wie auch, angesichts der Verordnungen, die Italiens Premier Giuseppe
Conte kürzlich für die Feiertage verkündete. So dürfen die
Italiener vom 21. Dezember bis zum 7. Januar ihre jeweilige Wohnregion
nur in Notfällen verlassen, und am 25. und 26. Dezember
sowie am Neujahrstag gilt das Verbot sogar für die Gemeindegrenzen.
Zudem appellierte Conte an alle Italiener, am besten auch auf
den „cenone” zu verzichten, das traditionelle weihnachtliche Festessen
mit der ganzen Familie.
„Es wird eine völlig andere Weihnacht, als wir es gewohnt sind”,
kommentiert Tommaso Cantini die Einschränkungen. Andere formulieren
weniger moderat. So ist in Italien immer öfter vom „natale blindato”
die Rede, vom „gepanzerten (also überwachten) Weihnachten”.
Auf die Zukunft des Fishing Lab und anderer Projekte seines Unternehmens
angesprochen, reagiert Cantini so, wie die meisten Menschen
derzeit: „Vediamo come sará.” Man wird sehen.
FISHING LAB
Piazza della Repubblica 2
I-55045 Pietrasanta
Tel. +39 0584 – 15 40 007
www.fishinglab.it
GARÇON 101
RUBRIKEN Fuhrmanns Früchtekorb
Wenn in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern die weißen
7,5-Tonnen-Kühltransporter mit dem Zeichen der Kirsche Hotels,
Restaurants, Kantinen, Krankenhäuser und Kitas ansteuern, heißt es
bei den Küchenchefs dort meist kurz und knapp: Fuhrmann kommt.
Mit Dieter und Marcus Fuhrmann lenkte jahrelang eine Vater-Sohn-
Doppelspitze die Geschicke des renommierten Fruchtgroßhandels mit
Sitz auf dem Berliner Großmarkt an der Beusselstraße. Nach dem plötzlichen
Tod seines Vaters im Mai 2020 trägt nun Marcus Fuhrmann die
alleinige Verantwortung für das 1977 gegründete Unternehmen.
Der 55-Jährige trat nach seinem BWL-Studium in Bochum und einem
Intermezzo als Tennistrainer 1996 in die Firma seines Vaters ein, absolvierte
eine Großhandelsausbildung und lernte die Besonderheiten des
Geschäfts mit Obst, Gemüse, Kartoffeln und Kräutern von der Pike
auf. Sein unternehmerisches Credo fasst er heute so zusammen: Zu-
Marcus Fuhrmann.
verlässigkeit, unbedingte Serviceorientierung und ein ausgeprägtes
Bewusstseins für Qualität. Dem fühlen sich auch die 28 „Fuhrmänner”
verpflichtet, die ihre Kunden täglich mit rund 500 Produkten beliefern
– von A wie Artischocke bis Z wie Zitronengras. Für unser Magazin
stellt Marcus Fuhrmann seine „Früchtchen” vor.
Heute: Spitzkohl
FUHRMANNS FRÜCHTEKORB
KOHLDAMPF AUF KOHLKOPF
VON MARCUS FUHRMANN
Es gibt glamouröseres Gemüse als den
Spitzkohl – kein Wunder, dass die Kopfkohlart
hierzulande jahrzehntelang als altbackenes
Kraut verschrieen war und im Ranking
der beliebtesten Gemüsesorten über einen
Platz in der letzten Reihe nicht hinauskam.
Das änderte sich, als Coleslaw, die amerikanische
Variante des Krautsalats und das
koreanische Kimchi die deutschen Küchen
eroberten. Kohl liegt inzwischen im Trend,
Spitzkohl insbesondere.
Vor allem jüngere Köche entdecken den
kulinarischen Allrounder, der mit seiner
zarten Struktur, einem feinen, ganz und
gar nicht kohligen Geschmack sowie reichlich
gesunden Inhaltsstoffen punktet. So
enthalten die kegelförmigen, blassgrünen
Köpfe neben reichlich Mineralstoffen jede
Menge der Vitamine C, B1 und B2, viel Betacarotin
und Eisen.
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Fuhrmanns Früchtekorb RUBRIKEN
Der weiße Spitzkohl ist eine besondere Variante des gleichfarbigen
runden Kopfkohls, allerdings mit feineren Blattrispen, zarteren Blättern
und – wie gesagt – einem milderen Geschmack. Ob er durch
Mutation entstand oder durch Züchtung, blieb bisher im Dunkeln.
Tatsache ist dagegen, dass bereits die antiken Hochkulturen
den Kopfkohl kannten und um seine Heilkraft wussten. Der griechische
Philosoph Aristoteles beispielsweise aß das Gemüse, um die
Auswirkungen übermäßigen Alkoholgenusses zu mildern. Und der
römische Staatsmann Cato hielt es sogar für ein probates Mittel
gegen die Pest, empfahl aber auch die Wundheilung durch Auflegen
von Kohlblättern – eine Methode, die sich bis ins 19. Jahrhundert
hielt. Aus dieser Zeit stammt auch die älteste Abbildung eines
Spitzkohls, die ich während meiner Kohlrecherche entdeckte – veröffentlicht
1876 in einem Katalog der Erfurter Saatgutfirma Ernst
Benary und dort mit dem Begriff „Spitzes Filderkraut” bezeichnet.
Diese Benennung des Spitzkohls geht auf ein traditionelles Anbaugebiet
in der Nähe von Stuttgart zurück – die Fildern. Dort, auf
einer fruchtbaren Hochebene, wird seit über 500 Jahren Kohl angebaut,
sogar ein Denkmal rühmt die regionale Spezialität.
Den Wert der spitzen Variante des Filderkrauts beschrieb übrigens
erstmals 1772 der Bernhäuser Pfarrer Bischoff: „Was das weiße
Spitzkraut besonders geschätzt macht, ist seine feine Zartheit in
den Blättern und überhaupt ein besserer Wohlgeschmack, worin es
sich von dem in anderen Gegenden Gepflanzten auszeichnet.”
Dennoch wurde mit der Industrialisierung der Gemüseverarbeitung
im 19. Jahrhundert auf den Fildern (und nicht nur dort) immer
weniger Spitzkohl angebaut, weil die Konservenindustrie runde
Köpfe verlangte, die sich maschinell besser verarbeiten ließen. Die
Folge: Die Anbaufläche von Spitzkohl sank auf den Fildern auf bescheidene
40 Hektar. Um es vor dem endgültigen Aussterben zu
bewahren, holte Slow Food das Filder-Spitzkraut 2005 in seine Arche
des Geschmacks.
Die Krautmarie von Filderstadt:
Ein Hoch aufs „Haible” (schwäbisch für Kohlkopf).
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RUBRIKEN Fuhrmanns Früchtekorb
Es wurde gerettet, und auch in anderen Regionen – Schleswig-
Holstein, Nordrhein-Westfalen und Bayern sind neben Baden-Württemberg
die größten deutschen Kohlanbauer – wächst inzwischen
wieder mehr Spitzkohl. Gemessen an dem, was unsere Nachbarn
kultivieren, sind die 1.200 Hektar, auf denen in Deutschland das
Gemüse angebaut wird, allerdings Peanuts (die Weißkohl-Anbaufläche
insgesamt beträgt hierzulande übrigens rund 5.600 Hektar).
Und so handeln wir neben heimischer Ware auch Spitzkohl aus
den Niederlanden und Frankreich. Tendenz steigend. Das hat – ich
habe anfangs schon darauf hingewiesen – damit zu tun, dass sowohl
das Kohlgemüse im Allgemeinen als auch der Spitzkohl im
Besonderen ihr muffiges Image zunehmend ablegen.
Jüngere Köche kennen die Abneigung ihrer kulinarischen Väter
gegenüber jeglicher Art Kohl nicht. Sie interpretieren das Gemüse
neu, und ihre Gäste sind überrascht, wie vielseitig und modern
eben auch der Spitzkohl sein kann.
Ich erinnere mich zum Beispiel gut an einen Klassiker meines Freundes
Thomas Kammeier, der vor Jahren im Restaurant Hugos eine
Brandenburger Landente mit Holunderbeeren und Spitzkohl servierte.
Neueren Datums ist ein Gericht, das ich im Café im Literaturhaus
in der Fasanenstraße probiert habe: gepökeltes Eisbeinragout,
Jakobsmuschel, Petersilienwurzel, Spitzkohl und Mango-Chutney,
(Bild oben re.), ein Mix, der für mich absolut stimmig war.
Ja, was bleibt noch? Natürlich Kimchi. Als Fan der asiatischen
Esskultur liebe ich die scharfe koreanische Kohlzubereitung (Bild
unten li.) ganz besonders, auch wenn sie für europäische Geschmacksnerven
vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig ist. Und
auch dem Barbecue-must-have, dem Coleslaw, kann ich durchaus
etwas abgewinnen – am besten mit einer leichten Mayonnaise und
geriebenen Karotten zubereitet (Bild Mitte).
www.dieter-fuhrmann.de
104 GARÇON
www.dieter-fuhrmann.de
RUBRIKEN Berliner Marktnischen
Berlin-Wedding 1926: Der Toppmarkt.
Wochenmärkte haben in Berlin eine lange
Tradition. Der erste urkundlich erwähnte
Markt ist der Spandauer, bereits im Stadtgründungsdokument
vom 7. März 1232 wird
er genannt. Im benachbarten Berlin sind
der Molkenmarkt und der 1728 von Friedrich
Wilhelm I. per Kabinettsbeschluss
ge schaffene Gendarmenmarkt die wichtigsten
öffentlichen Verkaufsplätze für
Butter, Eier, Honig, Käse, Korn und Wolle.
Deren Zahl stieg mit der Zeit zunehmend,
so gab es 1882 innerhalb der Stadtgrenzen
19 Wochenmärkte mit rund 10.500
Marktständen, die jedoch mit dem Bau
der Markthallen wieder verschwanden.
1952, die meisten Markthallen waren
zerstört, forderte der Regierende Bürgermeister
Ernst Reuter: „Vor's Rathaus gehört
ein Markt!“ Er meinte das Rathaus
Schöneberg und beendete mit seinem
Machtwort eine jahrelange Diskussion um
den wichtigsten Wochenmarkt Berlins.
Heute gibt es wieder rund 120 Wochenmärkte
in Berlin – nicht nur vor Rathäusern
– die sich wachsender Beliebtheit erfreuen.
Unter der Rubrik „Marktnischen“
stellt Garcon Händler vor, deren Offerten
auch eine weite Anreise wert sind.
BERLINER MARKTNISCHEN
ENTDECKUNGEN ZWISCHEN ARMINIUSHALLE UND MAYBACHUFER
„C’est ce qu’on fait de mieux”, nuschelt ein Mann mit vollem Mund. Das ist
zwar nicht die feine französische Art, aber wo er Recht hat, da hat er Recht.
Es gibt in Berlin nichts Besseres. Die Galette Complète von Nicolas Janiaud
punktet mit den nussigen Aromen des Buchweizens und dem Duft des sanft
schmelzenden Gruyère, der mit dem Bio-Ei eine perfekte Verbindung eingeht.
Seit sieben Jahren ist Nicolas Janiaud eine
feste Größe auf dem Karl-August-Platz.
Man kennt sich, man grüßt sich. Bonjour,
Bubar! Bubar? Der 39-Jährige winkt ab.
„Eine lange Geschichte.” Wir haben Zeit.
„Weil ich mich als junger Mann nur ungern
rasiert habe, nannte mich mein Onkel ‚Barbu‘,
der Bärtige. Und weshalb wurde daraus
Bubar? „Nach dem Jurastudium wurde
ich Rechtsanwalt und musste mich natürlich
rasieren, da hat er einfach die Silben
vertauscht.”
Sie sind Anwalt? „Schon, aber das ist unwichtig,
ich bin völlig unwichtig. Wichtig sind hier
nur die Crêpes und Galettes, compris?”
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Berliner Marktnischen RUBRIKEN
Maître Nicolas Janiaud und Mitarbeiterin Audrey Baicry.
Seine Crêperie ist ein schmuckloser Sprinter mit Seitenklappe, keine
blau-weiß-roten Papierfähnchen, keine Bildchen von Saint-Malo, kein
Asterix, kein Obelix, nichts. „Das ist ein Imbisswagen und kein Folkloreladen”,
sagt Janiaud, während er sein mise en place beendet.
Punkt sieben kommt der erste Kunde: „Mein Frühstück bitte.”
Natürlich weiß der Crêpier, was der Mann wünscht. Beurre Sucre,
kurz Beursuc, das Original, ein Crêpe, nur mit Butter und Zucker.
Schon zehn Minuten später geht es Schlag auf Schlag – Crêpe,
Crêpe, Crêpe, mit geraspelter Schokolade, hausgemachtem Karamell,
manchmal auch mit Maronencreme.
Die Galette-Jünger sind am frühen Morgen noch in der Unterzahl,
erst gegen acht ist Herzhaftes gefragt und dann meist „complete”,
also mit Schinken, Ei und Käse, das volle Programm.
„Die Güte des Galettes hängt von den Grundprodukten ab”, doziert
Nicolas Janiaud, „vor allem vom Mahlgrad des Buchweizenmehls,
aus welchen Sorten es geschmischt wurde und dass es frisch ist.
Und natürlich davon, dass der Crêpier sein Handwerk versteht.” Er,
Janiaud, versteht es, weil er es bei einem Meister gelernt hat. „Ein
Jahr lang bei Johann Joncour in Plomelin!”
2013 kam er nach Berlin, klapperte alle Wochenmärkte ab und
entschied sich schließlich für den Karl-August-Platz. „Wegen der
Kunden und wegen der Kollegen.” Er unterbricht das Gespräch und
wendet sich seiner Crêpe-Platte und dem dünnflüssigen Teig zu, den
er mit Hilfe eines Teigrechens aufträgt. Nun ist er doch wieder ein
bisschen Anwalt, einer für den guten Geschmack.
Crêpes und Galettes
auf dem Wochenmarkt am Karl-August-Platz
10627 Berlin-Charlottenburg
wenn nicht coronabedingt anders angeordnet:
Mittwoch, 8.00-13.00 / Samstag, 8.00-14.00 Uhr
GARÇON 107
RUBRIKEN Kulinarische Nachlese
Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr, v.re.
„Trotz Internet und Fernsehküche – Kochbücher
werden immer ein Kulturgut blei-
aus dem Ruhrpott nach Berlin und be-
Die beiden Männer zogen im Januar 2010
ben”, davon sind Johannes Mohr und Swen treiben seitdem in einem restaurierten
Kernemann-Mohr überzeugt.
Altbau-Souterrain in Berlin-Mitte, in der
Nähe des Rosenthaler Platzes, Deutschlands
vermutlich größtes, auf jeden Fall
aber Berlins einziges Kochbuchantiquariat.
Rund 60.000 Titel aus zweieinhalb
Jahrhunderten umfasst ihre Bibliotheca
Culinaria. Neben bibliophilen Ausgaben,
etwa von Auguste Escoffier, stehen büttengedruckte
Originale, handgeschriebene
Unikate, kulinarische Enzyklopädien,
Magazine und Zeitschriften, Promikochbücher
von Sophia Loren bis Vico Torriani,
Kriegs- und Nachkriegskochbücher.
„Das Stöbern in diesem Fundus ist für
uns immer auch eine Art besonderer Geschichtsstunde”,
sagen die Antiquare.
Nun stöbern Johannes Mohr und Swen
Kernemann-Mohr sozusagen auch öffentlich.
Für Garcon blättern sie in Kochbüchern
aus vergangenen Zeiten und notieren,
was sie dabei bewegt.
KULINARISCHE NACHLESE
IN ALTEN KOCHBÜCHERN GEBLÄTTERT
VON JOHANNES MOHR UND SWEN KERNEMANN-MOHR
DIE KÜCHE
Zeitschrift für Kochkunst und Tafelwesen,
Küchentechnik und -organisation
Halbmonatsschrift des
Internationalen Verbandes der Köche
Sitz Frankfurt am Main
31. Jahrgang (gebunden)
Frankfurt am Main 1927
Preis (antiquarisch): 160,00 Euro
108 GARÇON
Kulinarische Nachlese RUBRIKEN
sen”, Arthur Remmler erklärte die Kunst
des Tranchierens und würdigte den Beruf
des Trancheuers...
Besonders interessierte uns ein Artikel,
der mit „Türkische Spiessbraterei” überschrieben
ist und die Abbildung eines Dönerspießes
zeigt, wie er 1927 in türkischen
Restaurants in Deutschland in Betrieb war.
macht uns auch nicht schlauer – einig sind
sich alle lediglich darin, dass er in Berlin
seine Deutschland-Premiere hatte.
Wann exakt und wo genau, da streiten
sich die Geister. „Den ersten Döner-Spieß
in Berlin gab es Ende der sechziger Jahre
als Tellergericht im vornehmen Restaurant
Istanbul in der Knesebeckstraße”, wird beispielsweise
Ahmet Yeter zitiert, Besitzer
einer Dönerbude in der Görlitzer Straße.
In Betracht kommen aber auch Ibrahim
Keyif, der 1969 in der Potsdamer Straße
einen Döner-Imbiss eröffnete und Kör-
Bilâl, der mit seiner Familie 1971 in der
Adalbert-/Ecke Oranienstraße ins Kebap-
Geschäft einstieg.
Wenn da nicht DIE KÜCHE wäre, würden
wir sagen: wann exakt und wo genau – frag
doch den Döner. Aber weil es die Fundgrube
gibt, können wir nun wenigstens eine
Die Küche ist eine Fundgrube. Wir meinen
natürlich nicht den Ort der Speisenzubereitung,
sondern DIE KÜCHE.
Dabei handelt es sich um die Zeitschrift
für Kochkunst und Tafelwesen, Küchentechnik
und -organisation, die vom Internationalen
Verband der Köche in Frankfurt
am Main einst herausgegeben wurde. Das
24-Seiten-Blatt erschien von 1899 bis 1934
(außer zwischen 1914 und 1918) zweimal im
Monat, also 24 Zeitschriften jährlich.
Die konnte man sammeln und zum Preis
von 2,30 Reichsmark – eine Ausgabe kostete
übrigens 0,50 Reichsmark – ebenfalls
beim Frankfurter Köcheverband „in rotem,
lichtechtem Leinen” binden lassen.
In der Regel findet man DIE KÜCHE
heute meist in diesen gebundenen Jahrgangsausgaben,
wobei es – aus welchen
Gründen auch immer – seltene und weniger
seltene Jahrgänge gibt. In den Regalen
unseres Kochbuchantiquariats stehen
übrigens sechzehn Jahrgänge und, wie gesagt,
sie sind für historisch wie kulinarisch
Interessierte tatsächlich eine Fundgrube.
Für diese Kolumne haben wir den Jahrgangsband
1927 herausgesucht. Da gibt es
zum Beispiel einen Bericht über das Silvester-Menü
im Hotel Adlon. Küchenmeister
Alfred Borcke und seine Mannschaft kochten
damals für 819 Gäste – Preis pro Menü
40 Reichsmark: „Feinster Malossol Astrachan
Caviar; Klare echte Schildkrötensuppe;
Helgoländer Hummer kalt mit Sauce
Ravigote; Hamburger Stubenküken, gefüllt
mit Gänseleber und frischen Périgordtrüffeln;
Salat Hedda; Adlon-Eisüberraschung;
Feingebäck; Käse; Pfannkuchen.”
Der Autor Franz Carl Mack schrieb einen
vielteiligen „Baedeker unserer Süss-Spei-
1927! Bisher wären wir jede Wette eingegangen,
dass der Dönerkebap frühestens
in den 1960ern mit den ersten türkischen
Gastarbeitern nach Deutschland kam.
Das Büchlein „Aufgespießt – Wie der
Döner über die Deutschen kam”, erschienen
1996 im Hamburger Rotbuch Verlag,
dieser beiden weltbewegenden Fragen beantworten.
Wann der Döner nach Deutschland
kam? 1927! Wo genau seine Wiege
stand, das bleibt uns allerdings auch unsere
Fundgrube schuldig.
Übrigens: Sicher hätte sich vor über 90 Jahren
kein Prophet der Welt vorstellen können,
welchen Siegeszug der Dönerkebap antreten
würde. Inzwischen gab es manches
Update in der Gentrifizierung des Döners.
Das jüngste: die Dönerbowl, erfunden im
Charlottenburger Restaurant Ø27. Aber das
ist schon eine andere Geschichte…
BIBLIOTHECA CULINARIA
Zehdenicker Straße 16
10119 Berlin-Mitte
Tel. 030 – 47 37 75 70
www.bibliotheca- culinaria.de
GARÇON 109
GARCON-QUIZ
VERLAG UND REDAKTION
Bild Art Media Verlag
Inh. Yvonne Weinlich
Marzahner Promenade 26
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HERAUSGEBER
Yvonne Weinlich (V.i.S.d.P.)
REDAKTION
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Hans-Jürgen Bergs, Heiko Gralki, Marc Steyer,
Wolf-Dietrich Strobel
Jens Englert, Stefanie Hartmann (Praktikanten)
AUTOREN UND KOLUMNISTEN
Uwe Ahrens, Anaïs Causse, Hans Diener,
Stephan Falke, Marcus Fuhrmann,
Swen Kernemann-Mohr, Shoko Kono,
Dagmar Maas, Johannes Mohr,
Rafael Neitzsch, Jörg Teuscher,
Thorsten Tonski, Christian Zeltner
GRAFIK UND LAYOUT
Diana Putzu (diana.putzu@freenet.de)
TITELBILD
Marie Geißler
www.mariegeissler.de
Jährlich kaufen die Deutschen 95.000
Tonnen frische Ananas – das sind rund
74 Millionen Stück. Hinzu kommen schätzungsweise
58.000 Tonnen Ananas in Dosen
und eine nicht unerhebliche Menge
Ananassaft – die exotische Frucht ist ein
Massenprodukt geworden.
Das war natürlich nicht immer so. Als
die ersten Ananas vor 270 Jahren in Berlin
auftauchten, waren sie noch eine dekorative
Attraktion auf den feinen Tafeln des
Adels und der reichen Bürger.
Im Jahr 1810 wurden Ananaspflanzen
in Töpfen als Weihnachtsgeschenk angeboten,
die ersten Ananasrezepte finden
sich in Marie Schreibers „Kochbuch für
den Bürgerlichen Haushalt” von 1839, und
von einem berühmten Berliner ist überliefert,
dass er sich unter großer Anteilnahme
der Öffentlichkeit erfolgreich mit der
Ananaszucht beschäftigte.
Wir wollen wissen, um welche Persönlichkeit
es sich handelt:
A den Schauspieler Ludwig Devrient?
B den Baumeister Carl von Gontard?
C den Verleger Friedrich Nicolai?
Ihre Antwort bitte an:
Bildart Media Verlag
Redaktion GARÇON
Marzahner Promenade 26
12679 Berlin
E-Mail: info@bildart-verlag.de
Die Gewinne, drei wertvolle Kochbücher, werden
unter den Teilnehmern verlost, die die Frage richtig
beantwortet haben.
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Einsendeschluss: 10. Februar 2021.
Die Gewinne werden per Post zugesandt.
FOTOS UND ILLUSTRATIONEN
Heiko Gralki, Jörg Teuscher, Archiv Garçon,
Archiv EUREF Campus, The Cord (1/S.8 o. Mitte),
Jonathan Mortimer (1/S.8 u. Mitte), Gute Kulturen
GmbH Hitzacker (1/S.9 Mitte li.), Tiny Farms UG
Berlin (1/S.9 Mitte), Restaurant FREA (1/S.9 u. li.),
Sake Embassy Germany/Bernhard Steinmann
(4/S.30, S.31 o.), Prestel Verlag/Jonas von der
Hude (2/S.39), Ferme de Kergus (2/S.47), RUTZ/
Pia Negri (1/S.52 o.), Bloomsbury Publishing/Elisa
Cunningham (Illustrationen S.54, 58-61), Ricarda
Farnbacher privat (4/S.64), PB srl (1/S.95).
ANZEIGEN
Yvonne Weinlich, Heiko Gralki, Henriette Jüngelanzeigen@bildart-verlag.de
DRUCK
www.pingoprint.de
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Zu beziehen im Zeitschriftenhandel oder im Abonnement.
Einzelheftbestellung: Jedes Heft kostet
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und Zukunft. Sie beruft sich mit ihren Bauernbroten auf
alte bayerische Tradition.
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gleichzeitig ihr zukunftsorientiertes Engagement für einen
sorgsamen Umgang mit der Natur und deren Ressourcen.
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Geschmack um so besser sind, je natürlicher die Herstellungsweise
ist. Das bedeutet, was heute selten ist, sich Zeit
zu nehmen – für den natürlichen Verlauf des Sauerteigs
und für den langsamen, aufwändigen Backvorgang.
Aus diesem Grund verzichtet die Hofpfisterei beim Brotbacken
auf künstliche oder chemische Lebensmittelzusatzstoffe
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Der Dreistufen-Sauerteig der Hofpfisterei wird nach alter
handwerklicher Tradition hergestellt und mit langer Reifezeit
geführt. Es dauert 24 Stunden bis der Teig fertig ist. Dieser
lange Vorgang harmonisiert die natürliche Entwicklung der
Hefen und der Milch- und Essigsäuren zu dem typischen
feinen Geschmack und garantiert Genuss und Natürlichkeit.
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Prenzlauer Berg: Schönhauser Allee 118 a, Schöneberg: Ansbacher Straße 21,
Nollendorfstraße 8, Spandau: Carl-Schurz-Straße 33, Steglitz: Schloßstraße 107,
Tempelhof: Manfred-von-Richthofen-Straße 10, Rheinstraße 12,
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