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Sagen des klassischen Altertums (Gustav Schwab)

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<strong>Gustav</strong> <strong>Schwab</strong> – <strong>Sagen</strong> <strong>des</strong> <strong>klassischen</strong> <strong>Altertums</strong><br />

mischte sich unter die vordersten Reihen der Kämpfenden, reizte den Turnus mit Geschossen und forderte<br />

ihn zum Kampfe heraus. Turnus eilte der Täuschenden entgegen und warf die Lanze nach ihr, da wandte<br />

jene den Tritt und bot ihm den Rücken. Mit gezogenem Schwerte, unter höhnischem Rufe, folgte Turnus<br />

und merkte nicht, daß er schon die Schlachtlinie verlassen hatte. Zunächst am Strande lag eines der<br />

etrurischen Schiffe; dorthin warf sich das fliehende Bild <strong>des</strong> Äneas und schien sich zagend in seine<br />

Schlupfwinkel zu verbergen. Nicht langsamer folgte Turnus, sprang über die Brücke und faßte Fuß auf dem<br />

Vorderverdeck. Jetzt hatte Juno ihren Zweck erreicht. Kaum hatte Turnus den Bord berührt, so riß sie das<br />

Seil ab und ließ das Schiff von der gerade zurückrollenden Ebbe hinaus in die See tragen.<br />

Inzwischen tobte der rechte Äneas im Kampfe fort und begehrte umsonst nach dem entfernten Feind.<br />

Sein Schattenbild aber verließ den Winkel, in dem es sich geborgen, und flatterte, von Turnus ungesehen, in<br />

die Luft. Als dieser seinen Feind nicht fand und vom Meereswirbel dahingerissen wurde, schaute er nach<br />

dem Lande zurück, ratlos und ohne Dank für seine Rettung. »Allmächtiger Vater«, rief er, die Hände gen<br />

Himmel erhebend, »hieltest du mich so großer Schande würdig, wolltest du mich so hart bestrafen? Alle<br />

meine Freunde habe ich im grausamen To<strong>des</strong>kampf zurückgelassen; wie kehr ich zu ihnen zurück? O daß<br />

der Meeresabgrund sich unter mir auftäte, daß die Winde mein Schiff an einer Klippe zerschellten!« Erst<br />

gedachte er sich ins Schwert zu stürzen und hatte es schon aus der Scheide gezogen, doch ein Versuch, zu<br />

den Seinigen zurückzukehren, deuchte ihm für diese selbst ersprießlicher, und so sprang er, gewaffnet wie<br />

er war, ins Meer. Aber Juno trieb die Wellen ihm entgegen. Der Strom nahm ihn mit sich fort; und erst bei<br />

seiner Vaterstadt Ardea spülten ihn die Wellen ans Land.<br />

Die Schlacht vor den Lagermauern wütete fort. Die Trojaner waren im Vorteile und jauchzten. Aber der<br />

vertriebene König von Agylla, der Etrusker Mezentius, der wil<strong>des</strong>te Bun<strong>des</strong>genosse der Rutuler, der bisher<br />

bei der Hinterhut gehalten hatte, brach jetzt vor und stürzte sich auf die Feinde. Als die Etrusker ihren<br />

Todfeind herankommen sahen, stürmten sie in ihrem alten Hasse alle auf den einen los und bedrängten ihn<br />

von allen Seiten mit ihren Geschossen. Er aber stand wie ein Fels im Meere fest und streckte Etrusker und<br />

Phrygier, wer ihm nahte, zu Boden. Bald war der Kampf wieder ins Gleiche gesetzt; schon konnten sich die<br />

Trojaner nicht mehr Sieger nennen. Mezentius hatte eine Gasse in die Feinde gebrochen, und furchtbar<br />

schritt seine hohe Gestalt in den mächtigen Waffen einher. Da ward Äneas, der inzwischen auf der andern<br />

Seite <strong>des</strong> Treffens getobt hatte, den furchtbaren Feind aus der Ferne gewahr, ließ plötzlich vom Gefechte ab<br />

und kehrte sich ihm entgegen. Dieser aber hemmte seinen Schritt auf Schußweite von seinem Gegner,<br />

ergriff mit der Linken die Hand seines Sohnes Lausus, der ihm schon lang an der Seite gestritten hatte, hob<br />

mit der Rechten den Wurfspieß, schwenkte ihn in den Lüften und rief: »Wohlan, du mein Arm, der du von<br />

jeher mein Gott warst, denn ich kenne keinen andern, und du mein Speer, jetzt gilt's! Du aber, mein Sohn<br />

Lausus, sollst das lebendige Siegeszeichen über diesen Räuber werden, wenn du mir in der erbeuteten<br />

Prachtrüstung <strong>des</strong>selben prangest!« Nun warf er den zischenden Wurfspieß seinem Gegner zu; dieser aber<br />

prallte vom Schilde <strong>des</strong> Äneas zurück und traf den Antores, einen edlen argivischen Auswanderer, der mit<br />

Euander nach Italien gekommen war und nun zusammensinkend seinem fernen griechischen Vaterlande<br />

einen Seufzer der Sehnsucht zuschickte. Darauf schleuderte auch Äneas seinen Speer ab. Der durchbohrte<br />

den dreifachen Erzschild <strong>des</strong> Fein<strong>des</strong> und fuhr diesem in die Weiche. Als Äneas das Blut <strong>des</strong> Etruskers<br />

fließen sah, riß er erfreut sein Schwert von der Hüfte und drang wütend auf den Bebenden ein. Gespießt von<br />

der Lanze und entkräftet, zog sich Mezentius mit dem durchbohrten Schilde zurück. Tränen rollten seinem<br />

guten Sohne Lausus aus den Augen, als er den Vater verwundet sah; er brach mit seinem Schilde vor und<br />

lief dem Trojaner, der schon mit seiner Rechten zum tödlichen Streich ausholte, unter die drohende Klinge,<br />

indem er dem Vater die Schutzwaffe vorhielt. Ihm folgten seine Genossen mit großem Geschrei, und alle<br />

schleuderten Geschosse, so daß Äneas mitten in seinem Grimm stillehalten und sich mit seinem Schilde<br />

bedecken mußte. Von Lanzen umhagelt, rief er dem Lausus zu: »Wahnsinniger, was rennest du in den Tod?<br />

Deine Liebe betrügt dich über deine Kräfte!« Als aber Lausus nicht wich, verdoppelte sich der Grimm <strong>des</strong><br />

Helden, und nun rannte ihm Äneas das Schwert, tief eintauchend, mitten durch den Leib; es hatte den Weg<br />

ohne Mühe durch den leichten Schild und den goldgestickten Rock <strong>des</strong> Jünglings, das Kunstwerk der<br />

zärtlichen Mutter, gefunden. Aber als Äneas in das erbleichende Antlitz <strong>des</strong> sterbenden Knaben sah, da<br />

erbarmte ihn sein, und das Bild der kindlichen Liebe durchbebte sein eigenes Vaterherz. Er reckte die Hand<br />

nach dem Sinkenden aus und rief. »Unglückseliger Jüngling, du hättest eine bessere Gabe von mir für dein<br />

rühmliches Tun verdient! Deine leichte Rüstung und dein Goldkleid, <strong>des</strong>sen du dich freutest, soll nicht von<br />

dir genommen werden. Wie du bist, sollst du bei deinen Vätern schlafen dürfen, und so wenigstens sollst du<br />

innewerden, daß du einem großmütigen Feind erlegen bist!« So sprach Äneas, hob ihn selbst von der Erde<br />

empor, daß das schmucke Lockenhaar nicht von Staub und Blute besudelt würde, und ermahnte seine<br />

erschrockenen Genossen, den Leichnam in Empfang zu nehmen.<br />

Der verwundete Mezentius hatte sich in<strong>des</strong>sen an den Tiberstrand gerettet und stillte, an einen<br />

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