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Hölderlins Handschriften ... eine Interimsausstellung im Literaturmuseum der Moderne

Schiller, Hölderlin, Kerner, Mörike ... Für das Schiller-Nationalmuseum erarbeiten wir zur Zeit ein neues Ausstellungskonzept. Daher sind kurz vor dem Corona-Lockdown im März 2020 vier Schriftsteller – Schwaben von Geburt und Autoren von Weltrang – vorläufig ins Literaturmuseum der Moderne umgezogen. Wir haben Dinge eingepackt, die ihre poetisch besonderen Seiten zeigen: Friedrich Schillers Spiele, Justinus Kerners Tintenklecksbilder und die eigenwilligen Aufschreibesysteme von Friedrich Hölderlin und Eduard Mörike. Einige dieser Dinge stecken im Museum noch in Umzugskisten und können von den Besucher*innen selbst entdeckt werden. Andere haben wir auf Werkstatt-Tischen ausgepackt, nach Themen sortiert und durch Kommentare vernetzt. Beides haben wir nun in Hefte übersetzt, um neugierig auf das reale Museum zu machen und es zugleich für alle Besucher*innen auch in den digitalen Raum hinein zu öffnen. #SchillerFreiSpiel #Hölderlin2020

Schiller, Hölderlin, Kerner, Mörike ...

Für das Schiller-Nationalmuseum erarbeiten wir zur Zeit ein neues Ausstellungskonzept. Daher sind kurz vor dem Corona-Lockdown im März 2020 vier Schriftsteller – Schwaben von Geburt und Autoren von Weltrang – vorläufig ins Literaturmuseum der Moderne umgezogen. Wir haben Dinge eingepackt, die ihre poetisch besonderen Seiten zeigen: Friedrich Schillers Spiele, Justinus Kerners Tintenklecksbilder und die eigenwilligen Aufschreibesysteme von Friedrich Hölderlin und Eduard Mörike.

Einige dieser Dinge stecken im Museum noch in Umzugskisten und können von den Besucher*innen selbst entdeckt werden. Andere haben wir auf Werkstatt-Tischen ausgepackt, nach Themen sortiert und durch Kommentare vernetzt. Beides haben wir nun in Hefte übersetzt, um neugierig auf das reale Museum zu machen und es zugleich für alle Besucher*innen auch in den digitalen Raum hinein zu öffnen.

#SchillerFreiSpiel #Hölderlin2020

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1<br />

Höl<strong>der</strong>lin s<br />

and-<br />

chriften<br />

… <strong>eine</strong> <strong>Inter<strong>im</strong>sausstellung</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>Literaturmuseum</strong><br />

<strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne


Vorab und<br />

zuerst


3<br />

Schiller, Höl<strong>der</strong>lin, Kerner, Mörike ...<br />

Für das Schiller-Nationalmuseum erarbeiten wir zur Zeit<br />

ein neues Ausstellungskonzept. Daher sind kurz vor<br />

dem Corona-Lockdown <strong>im</strong> März 2020 vier Schriftsteller –<br />

Schwaben von Geburt und Autoren von Weltrang – vorläufig ins<br />

<strong>Literaturmuseum</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne umgezogen. Wir haben Dinge<br />

eingepackt, die ihre poetisch beson<strong>der</strong>en Seiten zeigen:<br />

Friedrich Schillers Spiele, Justinus Kerners Tintenklecksbil<strong>der</strong><br />

und die eigenwilligen Aufschreibesysteme von<br />

Friedrich Höl<strong>der</strong>lin und Eduard Mörike.<br />

Einige dieser Dinge stecken <strong>im</strong> Museum noch in Umzugskisten<br />

und können von den Besucher*innen selbst entdeckt werden.<br />

An<strong>der</strong>e haben wir auf Werkstatt-Tischen ausgepackt, nach<br />

Themen sortiert und durch Kommentare vernetzt. Beides –<br />

den Inhalt <strong>der</strong> Umzugskisten und die vorübergehende Ordnung<br />

<strong>der</strong> Dinge aus <strong>der</strong>en Nachlass – haben wir nun in digitale<br />

Hefte übersetzt, um neugierig auf das reale Museum zu<br />

machen und es zugleich für alle Besucher*innen auch in den<br />

digitalen Raum hinein zu öffnen.<br />

#SchillerFreiSpiel<br />

Schiller war <strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong> großes Vorbild. Schon <strong>der</strong> 12-jährige Stiftschüler<br />

ist fasziniert vom „Räuber“-Ton und übt ihn wenig später in Gedichten ein:<br />

„Sieh! er lauscht, schnaubend Tod – / Ringsum schnarchet <strong>der</strong> Hauf, / Des Mordes<br />

Hauf, er hörts, er hörts, <strong>im</strong> Traume hört‘ ers, / Ich irre, Würger, schlafe,<br />

schlafe.“ 1793 bewahrt <strong>der</strong> elf Jahre ältere Schiller den frisch examinierten<br />

Tübinger Theologie-Studenten vor <strong>eine</strong>r verhassten Tätigkeit als Pfarrer und<br />

vermittelt ihn als Hauslehrer nach Jena, was jedoch nicht gut geht. Höl<strong>der</strong>lin<br />

verlässt Jena und Schiller antwortet nur noch spärlich und dann gar nicht mehr.<br />

– Für unser Projekt Fehlt Ihnen / Dir Schiller? (geför<strong>der</strong>t vom Ministerium<br />

für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg <strong>im</strong> Rahmen des Impulsprogramms<br />

„Kunst trotz Abstand“) suchen wir Ihre und D<strong>eine</strong> Lieblingsexponate.<br />

Über <strong>eine</strong> Mail an uns mit <strong>eine</strong>r kurzen Begründung (museum@dla-marbach.de)<br />

freuen wir uns sehr.


5


7<br />

Höl<strong>der</strong>lin<br />

Hands<br />

schriften<br />

Friedrich <strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong> Gedicht-<br />

<strong>Handschriften</strong> gehören zu<br />

den meist interpretierten<br />

<strong>der</strong> Literaturwissenschaft.<br />

Höl<strong>der</strong>lin selbst veröffentlichte<br />

s<strong>eine</strong> Gedichte nie als<br />

Sammlung, son<strong>der</strong>n nur verstreut<br />

in Almanachen und Zeitschriften.<br />

Viele blieben<br />

Fragment. Im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

wurden gerade diese fragmentarischen<br />

Gedichte zum Inbegriff<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Poesie. Die<br />

<strong>Handschriften</strong> sch<strong>eine</strong>n das<br />

konkrete, begreifbare Gegenstück<br />

zu den ‚dunklen‘<br />

Gedichten.


Der Literaturwissenschaftler<br />

Walter Benjamin zitiert in<br />

<strong>eine</strong>m Text über Höl<strong>der</strong>lin den<br />

romantischen Schriftsteller<br />

Novalis: „Jedes Kunstwerk<br />

hat ein Ideal a priori, <strong>eine</strong><br />

Notwendigkeit bei sich, da<br />

zu sein.“ Benjamin nennt das<br />

die „innere Form“ des Gedichts.<br />

So etwas wie diese „innere<br />

Form“ scheint in <strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong><br />

Manuskripten an die Oberfläche<br />

zu kommen. Der Text entwickelt<br />

sich nicht nur auf<br />

dem Papier, son<strong>der</strong>n tatsächlich<br />

auch aus dem Papier heraus.<br />

zwei Entwürfe <strong>der</strong> Hymne Tinian<br />

(1800/01): Höl<strong>der</strong>lin steckt<br />

mit einzelnen Wörtern wie „Wohlduftend“,<br />

„Sonnenvögel“, „Welttheil“<br />

(vom Höl<strong>der</strong>lin-Editor Friedrich<br />

Beißner als „Ke<strong>im</strong>wörter“ bezeichnet)<br />

und halben Versen wie „Süß ists<br />

zu irren / In heiliger Wildniß“ auf<br />

dem Papier allmählich das Gedicht<br />

ab, als ob er <strong>eine</strong> verborgene<br />

Struktur freilegen würde.


9<br />

‚körperliche‘, durch das Streichen<br />

sichtbar gemachte fest umrissene<br />

Gestalt <strong>eine</strong>r Gedichtstrophe in<br />

<strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong> Der Lorbeer (1788, überarbeitet<br />

<strong>im</strong> Februar 1789).<br />

von Verehrern in drei Teile geschnittenes<br />

und <strong>im</strong> Archiv wie<strong>der</strong><br />

zusammengefügtes Doppelblatt<br />

aus <strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong> Hyperion-Manuskript<br />

(1797/99, vorletzte Fassung). In<br />

diesem Roman kämpfen die Helden<br />

für das Vaterland (in diesem Fall:<br />

Griechenland) und die Freiheit<br />

und erkennen enttäuscht, wie <strong>im</strong><br />

Krieg aus ihren Idealen ein<br />

Kampf um Macht statt um Gleichheit<br />

wird. Höl<strong>der</strong>lin verwendete dafür<br />

sogar das passende Papier aus<br />

Frankreich – entstanden zur Zeit<br />

<strong>der</strong> Französischen Revolution, das<br />

mit <strong>eine</strong>m beson<strong>der</strong>en Wasserzeichen<br />

versehen worden ist: <strong>der</strong> phrygischen<br />

Mütze <strong>der</strong> Jakobiner und <strong>der</strong><br />

Inschrift PRO PATRIA LIBERTATE<br />

(in Anspielung auf Sallusts Bellum<br />

Catilinae: „Nos pro patria, pro<br />

libertate, pro vita certamus;<br />

illis supervacaneum est pugnare pro<br />

potentia paucorum“, „Wir kämpfen<br />

um Vaterland, um Freiheit, um Leben;<br />

jene drängt nichts, für die Macht<br />

einiger weniger zu kämpfen“).


Locken von Höl<strong>der</strong>lin<br />

Wie bei Schiller und Mörike<br />

sind die Dinge aus <strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong><br />

Nachlass in <strong>eine</strong>n sozialen<br />

Rahmen eingebunden: Sie sind<br />

Freundschafts- und Liebesgaben,<br />

die das Leben mit <strong>der</strong><br />

Poesie verweben. Im Fall<br />

von Höl<strong>der</strong>lin tun sie das mit<br />

Pathos und Tragik und nicht<br />

mit Ironie und Spiel.<br />

Das berühmteste Beispiel für diese<br />

Art von ‚social media’ ist die<br />

Widmung „Wem sonst als Dir“, die<br />

Höl<strong>der</strong>lin 1799 mit roter (jetzt<br />

braun gewordener) Tinte für Susette<br />

Gontard in ein Exemplar des Hyperion<br />

geschrieben hat. Die Widmung spielt<br />

auf die Romanstelle an, an <strong>der</strong><br />

Hyperion dem Marmordenkmal des Dichters<br />

Homer <strong>eine</strong> Locke opfert. „Wem<br />

sonst, als dir?“ ruft Hyperion nach<br />

<strong>eine</strong>r langen Pause: „Wir sprachen<br />

kein Wort, wir berührten uns nicht,<br />

wir sahen uns nicht an, so gewiß von<br />

ihrem Einklang schienen alle Gemüter<br />

in diesem Augenblicke, so über<br />

Sprache und Äußerung schien das zu<br />

gehen, was jetzt in ihnen lebte.“<br />

Höl<strong>der</strong>lin und dann auch Susette<br />

Gontard, die drei Jahre später mit<br />

33 Jahren stirbt, unterstreichen<br />

<strong>im</strong> Buch Stellen, die sich auf sie<br />

beide beziehen: Diot<strong>im</strong>a ist Susette,<br />

Hyperion Höl<strong>der</strong>lin. Das Verhältnis<br />

findet <strong>im</strong> Verborgenen statt. Vorne <strong>im</strong><br />

Buch steht <strong>eine</strong> offizielle Widmung:<br />

„Der Einfluss edler Naturen ist<br />

dem Künstler so nothwendig, wie das<br />

Tagslicht <strong>der</strong> Pflanze, und so wie<br />

das Tagslicht <strong>der</strong> Pflanze sich<br />

wie<strong>der</strong> findet, nicht wie es selbst<br />

ist, son<strong>der</strong>n nur <strong>im</strong> bunten irdischen<br />

Spiele <strong>der</strong> Farben, so finden edle<br />

Naturen nicht sich selbst, aber<br />

zerstreute Spuren ihrer Vortrefflichkeit<br />

in den mannigfaltigen Anstalten<br />

und Spielen des Künstlers.<br />

Der Verfasser“.


11<br />

1807 wird Höl<strong>der</strong>lin mit <strong>der</strong> Diagnose<br />

„unheilbar wahnsinnig“ in <strong>der</strong><br />

Tübinger Schr<strong>eine</strong>rfamilie Z<strong>im</strong>mer<br />

zur Pflege untergebracht. Die überlieferten<br />

Gedichte, die er dort in<br />

<strong>eine</strong>m Turmz<strong>im</strong>mer oberhalb des Neckars<br />

schreibt, sind an<strong>der</strong>s als s<strong>eine</strong><br />

frühen gere<strong>im</strong>t. Sie wie<strong>der</strong>holen nicht<br />

nur Silben- und Akzent-Folgen,<br />

son<strong>der</strong>n auch den Klang <strong>der</strong> Wörter,<br />

was bei den kurzen Zeilen für<br />

den Effekt sorgt, als bringe sich<br />

die Sprache selbst hervor – unabhängig<br />

von <strong>eine</strong>r Person, welche ihr<br />

Bedeutung und St<strong>im</strong>me gibt. Die späten<br />

dieser ich-losen ‚Automaten‘-Texte<br />

schrieb Höl<strong>der</strong>lin auf Wunsch s<strong>eine</strong>r<br />

Besucher als Geschenk für diese auf.<br />

Viele wie<strong>der</strong>holen Motive und Wörter<br />

wie ‚Sommer‘, ‚Frühling‘, ‚Herbst‘,<br />

‚Winter‘, ‚Aussicht‘, ‚Herz‘,<br />

‚Mann‘, ‚Kind‘, ‚Freund‘, ‚Mensch‘<br />

und ‚Seele‘, die Datierung <strong>der</strong> Texte<br />

steht außerhalb <strong>der</strong> Realität, ebenso<br />

<strong>der</strong> ‚Verfassername‘ ‚Scardanelli‘:<br />

Der Sommer<br />

Freundschaftsband, vermutlich<br />

1804 anlässlich <strong>der</strong> Hochzeit von<br />

<strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong> geliebter Cousine<br />

Eberhardine Blöst mit <strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong><br />

Bru<strong>der</strong> Carl Gock von den Geschwistern<br />

angefertigt (Henriette/<br />

Heinrike ist die Schwester<br />

von Höl<strong>der</strong>lin, Louis <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong><br />

von Eberhardine).<br />

Die Tage gehn vorbei mit sanffter Lüffte Rauschen,<br />

Wenn mit <strong>der</strong> Wolke sie <strong>der</strong> Fel<strong>der</strong> Pracht vertauschen,<br />

Des Thales Ende trifft <strong>der</strong> Berge Dämmerungen,<br />

Dort, wo des Stromes Wellen sich<br />

hinabgeschlungen.<br />

Der Wäl<strong>der</strong> Schatten sind umhergebreitet,<br />

Wo auch <strong>der</strong> Bach entfernt hinuntergleitet<br />

Und sichtbar ist <strong>der</strong> Ferne Bild in Stunden,<br />

Wenn sich <strong>der</strong> Mensch zu diesem Sinn gefunden.<br />

Lotte Z<strong>im</strong>mer notierte auf das ausgestellte<br />

Blatt <strong>im</strong> Juli 1842, ein Jahr vor <strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong> Tod:<br />

„vor einigen Tagen schrieb Er dieses, unterschreibt<br />

aber <strong>im</strong>mer diesen Namen /[Scardanelli], und lebt in<br />

s<strong>eine</strong>n Gedanken, <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> 18ten Jahrhun<strong>der</strong>t.


<strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong> späte Gedichte<br />

haben sich erhalten, weil<br />

Freunde und Bewun<strong>der</strong>er sie<br />

gesammelt o<strong>der</strong> auch abgeschrieben<br />

haben – fasziniert<br />

von <strong>der</strong>en Spannung zwischen<br />

Schönheit, Unverständlichkeit<br />

und Sinnlosigkeit.<br />

„Pallaksch!“ soll <strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong><br />

Lieblingswort gewesen sein,<br />

das er gebrauchte, wenn „er<br />

sich die Mühe nicht nehmen<br />

wollte, nachzudenken, ob<br />

Ja o<strong>der</strong> Nein zu sagen wäre“.<br />

Justinus Kerner, <strong>der</strong> als<br />

20-jähriger Medizinstudent<br />

Höl<strong>der</strong>lin 1806/07 betreut<br />

hat, lässt 1811 den wahnsinnigen<br />

Dichter Hol<strong>der</strong><br />

<strong>im</strong> grotesken Schattenspiel-<br />

Roman Reiseschatten als<br />

Verkörperung <strong>der</strong> absoluten<br />

Poesie auftreten: „ha! ha!<br />

ha! tanzt! das ist ja die<br />

Musik!


13<br />

1822 besuchte <strong>der</strong> 18-jährige Theologiestudent<br />

Wilhelm Waiblinger<br />

erstmals Höl<strong>der</strong>lin, 1827 schrieb<br />

er die erste Biografie: Friedrich<br />

Höl<strong>der</strong>lin’s Leben, Dichtung und<br />

Wahnsinn. Darin erzählt er, wie<br />

Höl<strong>der</strong>lin von sich und mit an<strong>der</strong>en<br />

sprach („Ich, mein Herr, bin<br />

nicht mehr von demselben Namen,<br />

ich heiße nun Killalus<strong>im</strong>eno. Oui,<br />

Eure Majestät“), sang („In welcher<br />

Sprache, dass konnte ich nie<br />

erfahren, so oft ich es auch hörte;<br />

aber er that es mit überschwenglichem<br />

Pathos“) und dachte („gewöhnlich<br />

laut“, „<strong>im</strong> Wi<strong>der</strong>streit zwischen<br />

Nein und Ja“, „Kamalattasprache“).<br />

Waiblingers Mitstudenten Eduard<br />

Mörike und Johannes Mährlen besuchten<br />

Höl<strong>der</strong>lin ebenfalls. Der erste<br />

begutachtete, sammelte die <strong>Handschriften</strong>,<br />

bezeugte <strong>der</strong>en Echtheit<br />

und versuchte <strong>der</strong>en Entstehungsprozess<br />

nachzuempfinden. Mörike bewahrte<br />

auch das von den Freunden Johann<br />

Georg Schr<strong>eine</strong>r und Rudolph Lohbauer<br />

am 27.7.1823 „gleichsam wehmüthig<br />

spielend miteinan<strong>der</strong> auf <strong>eine</strong>n Wisch<br />

Papier“ gezeichnete Höl<strong>der</strong>lin-Porträt<br />

auf, ebenso ein Relief-Porträt<br />

von Susette Gontard von unbekannter<br />

Herkunft.


Seht ihr den Kern des<br />

Lichts ins blaue Weltall<br />

gesteckt? Wolken! ihr Blätter<br />

von Azur und Gold! Jetzt<br />

dehnt er sich, jetzt ist er<br />

Knospe, – spring auf! nun<br />

wogt es, nun strömt es,<br />

Farbe, Licht und Ton, die<br />

duften aus dem Kelche aus – –<br />

es atmen die Berge, die<br />

Täler und Klüfte, und saugen<br />

und trinken mit Ungestüm.“


15<br />

Johannes Mährlen schrieb ein Gedicht ab, das<br />

Höl<strong>der</strong>lin <strong>eine</strong>m an<strong>der</strong>en Studenten als Gegengabe<br />

für <strong>eine</strong> Pfeife Tabak geschenkt hat, Aussicht:<br />

Wenn Menschen fröhlich sind, ist dieses vom Gemüte,<br />

Und aus dem Wohlergehn, doch aus dem Felde kommet,<br />

Zu schaun <strong>der</strong> Bäume Wuchs, die angenehme Blüte,<br />

Da Frucht <strong>der</strong> Ernte noch den Menschen wächst und frommet.<br />

Gebirg umgibt das Feld, vom H<strong>im</strong>mel hoch entstehet<br />

Die Dämmerung und Luft, <strong>der</strong> Ebnen sanfte Wege<br />

Sind in den Fel<strong>der</strong>n fern, und über Wasser gehet<br />

Der Mensch zu Örtern dort die kühn erhöhten Stege.<br />

Erinnerung ist auch dem Menschen in den Worten,<br />

Und <strong>der</strong> Zusammenhang <strong>der</strong> Menschen gilt die Tage<br />

Des Lebens durch zum Guten in den Orten,<br />

Doch zu sich selber macht <strong>der</strong> Mensch des Wissens Frage.<br />

Die Aussicht scheint Ermunterung, <strong>der</strong> Mensch erfreuet<br />

Am Nutzen sich, mit Tagen dann erneuet<br />

Sich sein Geschäft, und um das Gute waltet<br />

Die Vorsicht gut, zu Dank, <strong>der</strong> nicht veraltet.<br />

Erstausgabe von <strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong> Gedichten<br />

(1826 herausgegeben von Gustav<br />

Schwab und Ludwig Uhland), die <strong>der</strong><br />

Schwab-Sohn Christoph Theodor <strong>im</strong><br />

Februar 1841 Höl<strong>der</strong>lin mit <strong>der</strong><br />

Widmung „Dem Verfasser als Zeichen<br />

s<strong>eine</strong>r Verehrung und Liebe“ schenken<br />

wollte – Höl<strong>der</strong>lin schrieb in den<br />

Band allerdings nur vorne und hinten<br />

etwas hinein, unterschrieb mit<br />

‚Scardanelli‘ und gab ihn zurück:<br />

Überzeugung<br />

Als wie <strong>der</strong> Tag die Menschen hell umsch<strong>eine</strong>t,<br />

Und mit dem Lichte, das den Höh’n entspringet,<br />

Die dämmernden Erscheinungen ver<strong>eine</strong>t,<br />

Ist Wissen, welches tief <strong>der</strong> Geistigkeit gelinget.


17


<strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong> Texte und Dinge, die<br />

wir als bedruckte Plexiplatten<br />

in Umzugskisten gepackt haben –<br />

auf den 18 Plattenhüllen finden<br />

sich jeweils die Kommentare. >>


Höl<strong>der</strong>lin<br />

treich-H1Ichbild<br />

19


1788 schreibt <strong>der</strong> 18-jährige Höl<strong>der</strong>lin sein Gedicht<br />

Der Lorbeer ins R<strong>eine</strong>, in dem er Klopstock, Goethe<br />

und Edward Young (die großen Erneuerer <strong>der</strong> Lyrik zu<br />

s<strong>eine</strong>r Zeit) bewun<strong>der</strong>t und ihnen nacheifern möchte:<br />

Laßt michs sagen, Spötter! laßt michs sagen –<br />

Sterben würd’ ich, dieser Mann zu sein,<br />

Martern wolt’ ich dulden, so zu klagen,<br />

Höllenqualen, so zu Gott zu schrein.<br />

Im April 1789 streicht er diese Strophe sorgfältig<br />

aus und ersetzt sie durch ein bescheideneres<br />

Selbstbild, das auch ohne „ich“ funktioniert:<br />

Ha! <strong>der</strong> Wonne! ferne nur zu stehen<br />

Lauschend ihres Liedes Flammenguß,<br />

Ihres Geistes Schöpfungen zu sehen<br />

Warlich! es ist H<strong>im</strong>melsvorgenuß.<br />

Aber still! die goldne Bubenträume<br />

Hört in ihrer Nacht die Zukunft nicht –<br />

Schon so manche Früchte schöner Ke<strong>im</strong>e<br />

Logen grausam mir ins Angesicht.<br />

O vieleicht, daß diese Bitterkeiten –<br />

Dacht’ ich – stärker bilden d<strong>eine</strong>n Geist!<br />

Daß die Stille höher d<strong>eine</strong> Saiten<br />

St<strong>im</strong>mt, zu mänlichen Gesang dich reißt!<br />

Euch zu folgen, Große! – Werd ichs können?<br />

Wirds einst stärker, eures Jünglings Lied?<br />

Soll ich in die Schranken hinzu rennen [ergänzt: Bahn, zum Ziel zu rennen,]<br />

Dem diß Auge so entgegenglüht.<br />

Lieber Gott! wie oft ich schwacher dachte,<br />

Wie ichs tröstete das arme Herz<br />

Wenn ich Nächte kummervoll durchwachte,<br />

O so oft, so oft in m<strong>eine</strong>m Schmerz,<br />

Wann <strong>der</strong> Stolz verächtlich nie<strong>der</strong>schaute,<br />

Wan <strong>der</strong> Eitle m<strong>eine</strong>r spottete,<br />

Dem vor m<strong>eine</strong>n Sittensprüchen graute,<br />

Wenn oft selbst – mich floh – <strong>der</strong> Edlere;<br />

Nein! ich wolte nichts auf dieser Erden!<br />

Dulden all’ <strong>der</strong> Welt Verfolgungen<br />

Jedes Drangsaal, jegliche Beschwerden,<br />

All des Nei<strong>der</strong>s bittre Schmähungen – –<br />

Wann mein Yung in dunkeln Einsamkeiten<br />

Rings versammelnd s<strong>eine</strong> Todte wacht,<br />

H<strong>im</strong>mlischer zu st<strong>im</strong>men s<strong>eine</strong> Saiten<br />

Für Begeistrungen <strong>der</strong> Mitternacht – –<br />

Ha! <strong>der</strong> Wonne! ferne nur zu stehen<br />

Lauschend ihres Liedes Flammenguß,<br />

Ihres Geistes Schöpfungen zu sehen<br />

Warlich! es ist H<strong>im</strong>melsvorgenuß.<br />

Wann ein Klopstok in des Tempels Halle<br />

S<strong>eine</strong>m Gott das Flammenopfer bringt<br />

Und in s<strong>eine</strong>r Psalmen Jubelschalle<br />

H<strong>im</strong>melan sich s<strong>eine</strong> Seele schwingt –<br />

Dank dir! aus dem schna<strong>der</strong>nden Gedränge<br />

Nahmst du mich, Vertraute! Einsamkeit!<br />

Daß ich glühend von dem Lorbeer singe,<br />

Dem so einzig sich mein Herz geweiht.<br />

Der Lorbeer. 1789.


SH1<br />

21


Höl<strong>der</strong>lin<br />

Wort-<br />

23<br />

insel-<br />

lan<br />

H 2


Höl<strong>der</strong>lin steckt mit einzelnen Wörtern wie „Wohlduftend“,<br />

„Sonnenvögel“ und „Welttheil“ und halben Versen wie<br />

„Süß ists zu irren / In heiliger Wildniß“ allmählich s<strong>eine</strong><br />

Hymne Tinian (1800/01) ab. Die Südseeinsel Tinian ist<br />

für Höl<strong>der</strong>lin wie für den französischen Philosophen Jean-<br />

Jacques Rousseau Inbegriff ursprünglicher Natur.


SH2<br />

25


Höl<strong>der</strong>lin<br />

entstehungs-<br />

ext-<br />

ein-<br />

H 3<br />

27sicht


Eduard Mörike kopiert 1846 die Ode Heidelberg („Lange lieb<br />

ich dich schon …“) aus <strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong> „Concept mit sämmtlichen<br />

Correcturen“ für s<strong>eine</strong>n Freund Wilhelm Hartlaub: „Es wird<br />

Dich unterhalten in die Entstehung dieses Stücks hineinzusehn,<br />

wie es sich nach u. nach gereinigt hat, Gedanke u. Ausdruck<br />

<strong>im</strong>mer klarer u. kräftiger wurde. Es ist theils mit <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong><br />

theils mit dem Bleistift geschrieben; die halbverwischten<br />

Züge des letzten sind nur eben noch lesbar“.


SH3<br />

29


Höl<strong>der</strong>lin<br />

Dop<br />

pel-<br />

H 4<br />

anrufung<br />

31


Be<strong>im</strong> Jova!<br />

Die Anrufungsformel ,o‘ ist <strong>eine</strong>s von <strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong><br />

wichtigsten Gedichtwörtern. Sie erinnert an den<br />

Ursprung des Gedichts <strong>im</strong> Gebet. Im zweiten Entwurf<br />

s<strong>eine</strong>r Ode Ermunterung (1800) stellt Höl<strong>der</strong>lin <strong>der</strong><br />

Anrufung „O Hoffnung“ noch <strong>eine</strong>n Schwur auf den<br />

O Hoffnung! bald, bald singen die Haine nicht<br />

Des Lebens Lob allein, denn es ist die Zeit,<br />

Daß aus <strong>der</strong> Menschen Munde sich sie, die<br />

Schönere Seele, sich neuverkündet,<br />

hebräischen Namen Gottes (Jehovah, Jahwe o<strong>der</strong> auch<br />

Jova) voran und setzt s<strong>eine</strong>n eigenen Namen als<br />

Gegenstück an das Ende.<br />

Dann lieben<strong>der</strong> <strong>im</strong> Bunde mit Sterblichen<br />

Das Element sich bildet, und dann erst reich,<br />

Bei frommer Kin<strong>der</strong> Dank, <strong>der</strong> Erde<br />

Brust, die unendliche, sich entfaltet<br />

Und unsre Tage wie<strong>der</strong>, wie Blumen, sind,<br />

Wo sie, des H<strong>im</strong>mels Sonne, sich ausgetheilt<br />

Im stillen Wechsel sieht und wie<strong>der</strong><br />

Froh in den Frohen das Licht sich<br />

findet,<br />

Und er, <strong>der</strong> sprachlos waltet und unbekannt<br />

Zu künftiges bereitet, <strong>der</strong> Gott, <strong>der</strong> Geist<br />

Im Menschenwort, am schönen Tage<br />

Kommenden Jahren, wie einst, sich ausspricht.<br />

Höl<strong>der</strong>lin.


SH4<br />

33


Höl<strong>der</strong>lin<br />

H 5<br />

Freiheitsasser-<br />

zeichen<br />

35


Von Verehrern auseinan<strong>der</strong>geschnittenes Doppelblatt von<br />

<strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong> Hyperion (1797/99, vorletzte Fassung), auf<br />

französischem Papier mit <strong>der</strong> phrygischen Mütze <strong>der</strong> Jakobiner<br />

und <strong>der</strong> Inschrift PRO PATRIA LIBERTATE als Wasserzeichen<br />

(in Anspielung auf Sallusts Bellum Catilinae: „Nos pro<br />

patria, pro libertate, pro vita certamus; illis supervacaneum<br />

est pugnare pro potentia paucorum“ – ‚Wir kämpfen um<br />

Vaterland, um Freiheit, um Leben; jene drängt nichts, für<br />

die Macht einiger weniger zu kämpfen‘).<br />

Für Vaterland, Griechenland und Freiheit kämpfen auch die<br />

Romanhelden, die enttäuscht erkennen, wie <strong>im</strong> Krieg aus<br />

ihren Idealen ein Kampf um Macht, nicht um Gleichheit wird.


SH5<br />

37


Höl<strong>der</strong>lin<br />

39<br />

H 6<br />

Liebes-<br />

wahrheit


Als 1799 <strong>der</strong> zweite Band des Hyperion erscheint, lässt Höl<strong>der</strong>lin<br />

für s<strong>eine</strong> ,Diot<strong>im</strong>a‘ Susette Gontard die Broschur mit dem ersten<br />

Band von 1797 zusammenbinden und den Deckel innen mit rotem<br />

Papier beziehen. Er schreibt zwei Widmungen hinein, in die Mitte<br />

vor den zweiten Teil das berühmte „Wem sonst als Dir“, korrigiert<br />

sorgfältig Fehler, unterstreicht mit Tinte ihm wichtige Stellen<br />

wie „Du bewahrst die heilige Flamme, du bewahrst <strong>im</strong> Stillen<br />

das Schöne, dass ich es wie<strong>der</strong>finde bei dir“ und erläutert in<br />

<strong>eine</strong>m Brief:<br />

Hier unsern Hyperion, Liebe!<br />

Ein wenig Freude wird diese<br />

Frucht unserer seelenvollen Tage<br />

Dir doch geben. Verzeih mirs,<br />

daß Diot<strong>im</strong>a stirbt. Du erinnerst<br />

Dich, wir haben uns ehmals<br />

nicht ganz darüber vereinigen<br />

können. Ich glaubte, es wäre,<br />

<strong>der</strong> ganzen Anlage nach,<br />

nothwendig. Liebste! alles, was<br />

von ihr und uns, vom Leben<br />

unseres Lebens hie und da gesagt<br />

ist, n<strong>im</strong>m es wie <strong>eine</strong>n Dank,<br />

<strong>der</strong> öfters um so wahrer ist,<br />

je ungeschikter er sich ausdrükt.<br />

Susette Gontard zeichnet mit Bleistift weitere Stellen an, die nur<br />

für sie best<strong>im</strong>mt sch<strong>eine</strong>n. Die letzte davon: „Auch wir, auch wir<br />

sind nicht geschieden, Diot<strong>im</strong>a und die Thränen um dich verstehen<br />

es nicht“.


SH6<br />

41


Höl<strong>der</strong>lin<br />

43<br />

Sparsamchreiben<br />

H 7


„Mein Herz erweiterte sich<br />

in all den Erwartungen<br />

deß, das ich sehen und hören<br />

werde.“ Anfang Juni 1788<br />

darf <strong>der</strong> 18-jährige<br />

Höl<strong>der</strong>lin von Maulbronn aus<br />

nach Bruchsal, Heidelberg,<br />

Mannhe<strong>im</strong> und Speyer reisen<br />

– s<strong>eine</strong>r Mutter schickt er<br />

das Reisetagebuch als Beleg<br />

und <strong>eine</strong> Auflistung <strong>der</strong><br />

Kosten:<br />

Liebste Mamma! Hier ein Stük m<strong>eine</strong>s Reisetagebuchs. Sie<br />

müssen eben vorlieb nehmen mit dem Gesudel, ich schriebs oft<br />

halb <strong>im</strong> Schlaf, eh ich zu Bette gieng. Ich denke noch <strong>im</strong>mer mit<br />

Vergnügen an die, obschon kurze fünftägige, doch weite Reise.<br />

Ich reiste von Mannhe<strong>im</strong> aus noch weiter nach Frankenthal –<br />

wie Sie nächstens hören werden. Für Also tausend Dank, liebste<br />

Mamma, für das mir gemachte Vergnügen. Ich habe Ihnen<br />

versprochen, alles aufzuschreiben – hier ist es. // In Bruchsaal<br />

Zeche – – – – – 43 cr / Fahrlohn über den Rhein – – – – 8 cr /<br />

Zu Rheinhausen Zeche – – – – 7 cr. / Wie<strong>der</strong> Fahrlohn über den<br />

Rhein – – – 24 cr. / In <strong>der</strong> Mannhe<strong>im</strong>er Comedie – – – – 48 cr. /<br />

Dem Mannhe<strong>im</strong>er Peruqieu – – – – 24 cr. / Zu Frankenthal<br />

zahlt ich die Zeche – – – 1 f 58 cr. / Zu Speier Trinkgeld<br />

– – – – 36 cr. / Dem Speirer Peruqieu – – – – 24 cr. /<br />

Von Speier zurük nahm ich ein Pferd – – – 1 f 30 cr. / In<br />

Bruchsaal für den Mann Zeche – – – 15 cr / Für das Pferd <strong>im</strong><br />

Hinabreisen – – – 2 f / Mit Kleinigkeiten – – – – – 1 f. //<br />

Summa 10 f 17 cr. // Blum zahlte auf <strong>der</strong> Reise die meiste Zeche,<br />

wie Sie sehen werden – ich kam also herrlich davon. Wenn ich<br />

nur auch mündlich erzählen könte. Sagen Sie dem lieben Carl,<br />

in <strong>der</strong> Fortsezung komme viel vor von großen Schiffen, mit<br />

Seegeln, und Mastbäumen. Er soll sich nur recht freuen. Denken<br />

Sie, liebste Mamma, ich war nicht ganz wohl, eh’ ich abreiste,<br />

nahm noch den Abend vorher Arznei zu mir – habe mich aber<br />

so gesund gereißt, daß mirs je<strong>der</strong>mann ansieht. Ich habe noch<br />

viel zu thun. Ich schließe also mit <strong>der</strong> Versicherung, daß ich sei<br />

Ihr gehorsamster Sohn Höl<strong>der</strong>lin.


SH7<br />

45


Höl<strong>der</strong>lin<br />

47<br />

aufnahme<br />

H 8<br />

Pass-


Am 28. September 1802 ließ sich<br />

Höl<strong>der</strong>lin vom „Herzoglich<br />

Wirtembergischen Oberamt Nürtingen“<br />

<strong>eine</strong>n Pass für <strong>eine</strong> vierwöchige<br />

Reise über Blaubeuren und Ulm nach<br />

Regensburg ausstellen: „Statur 6F<br />

hoch, braune Haare, hohe Stirne,<br />

braune Augbraunen, braune Augen<br />

gerade Nase, rötliche Wangen,<br />

mittelmäßiger Mund, schmale Lippen,<br />

angelaufene Zähne, brauner<br />

Bart, rundes Kinn, länglichstes<br />

Angesicht, breite Schultern und<br />

ohne Gebrechen, 32 Jahre alt“.


SH8<br />

49


Höl<strong>der</strong>lin<br />

artenaus-<br />

ichter-<br />

H 9<br />

51


Vier von <strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong> Besuchern <strong>im</strong> Tübinger Turm – vorne links:<br />

Rudolf Lohbauer, in dessen Gartenhaus am Tübinger Österberg<br />

sich <strong>der</strong> Freundeskreis traf und <strong>der</strong> die Tuschzeichnung 1823<br />

angefertigt hat, mit entblößter Brust und <strong>eine</strong>r Art phrygischer<br />

Mütze, hinten links Eduard Mörike mit umkränztem Krempenhut,<br />

daneben Wilhelm Waiblinger mit Pfeife und Schiffermütze, vorne<br />

rechts Ernst Friedrich Kauffmann.


SH9<br />

53


Höl<strong>der</strong>lin<br />

H 10<br />

Achtehn<br />

55


„Hoel<strong>der</strong>lin in s<strong>eine</strong>m 18ten Jahr“<br />

von s<strong>eine</strong>m Jugendfreund Immanuel<br />

Gottlieb Nast gezeichnet.


SH10<br />

57


Höl<strong>der</strong>lin<br />

Zweiundieb-<br />

ig<br />

H 11<br />

59


Höl<strong>der</strong>lin 1842 gezeichnet von<br />

Louise Keller.


SH11<br />

61


Höl<strong>der</strong>lin<br />

H 12<br />

aktehler<br />

63


Eduard Mörike schreibt aus <strong>Höl<strong>der</strong>lins</strong> Handschrift<br />

<strong>eine</strong> wohl um 1809 entstandene, von ihm auf 1823/24<br />

datierte „metrische Poesie“ ab und prüft das<br />

alkäische Strophenmaß (je zwei Mal elf, ein Mal neun<br />

und ein Mal zehn Silben). „Von Krankheitsspuren<br />

fällt am stärksten das unwillkührliche Abreißen <strong>der</strong><br />

schwungvollen Reflexion, bei dem jähen Eintreten<br />

des landschaftlichen Bildes, in <strong>der</strong> zweiten Strophe<br />

auf. Und bei „Herunter, wo <strong>der</strong> Obstbaum blühend<br />

darüber steht“ sind zwei Silben „überzählig“.<br />

Wenn aus dem H<strong>im</strong>mel hellere Wonne sich<br />

Herabgießt, <strong>eine</strong> Freude den Menschen kommt,<br />

Daß sie sich wun<strong>der</strong>n über manches<br />

Sichtbares, Höheres, Angenehmes,<br />

Wie tönet lieblich heil’ger Gesang dazu!<br />

Wie lacht das Herz in Lie<strong>der</strong>n die Wahrheit an,<br />

Daß Freudigkeit an <strong>eine</strong>m Bildniß (- -)<br />

Über dem Stege beginnen Schaafe<br />

Da, wo des Stromes regsame Wellen sind,<br />

Daß <strong>eine</strong>r, <strong>der</strong> vorüber des Weges kommt,<br />

Froh hinschaut, da erhebt <strong>der</strong> Berge<br />

Sanfte Gestalt und <strong>der</strong> Weinberg hoch sich.<br />

Den Zug, <strong>der</strong> fast in dämmernde Wäl<strong>der</strong> geht,<br />

Die Wiesen aber, welche mit lautrem Grün<br />

Bedekt sind, sind wie jene Haide,<br />

Welche gewöhnlicherweise nah ist<br />

Zwar gehn die Treppen unter den Reben hoch<br />

Herunter, wo <strong>der</strong> Obstbaum blühend darüber steht<br />

Und Duft an wilden Heken weilet,<br />

Wo die verborgenen Veilchen sprossen.<br />

Dem dunkeln Walde. Da, auf den Wiesen auch<br />

Verweilen diese Schaafe. Die Gipfel, die<br />

Umher sind, nakte Höhen sind mit<br />

Eichen bedeket und seltnen Tannen.<br />

Gewässer aber rieseln herab und sanft<br />

Ist hörbar dort ein Rauschen den ganzen Tag;<br />

Die Orte aber in <strong>der</strong> Gegend<br />

Ruhen und schweigen den Nachmittag durch.


SH12<br />

65


Höl<strong>der</strong>lin<br />

67<br />

H 13<br />

1<br />

Lebenselodie


Stundenlang soll Höl<strong>der</strong>lin <strong>im</strong> Turm auf dem Klavier<br />

das Liebesduett „Nel cor più non mi sento“ aus<br />

Giovanni Paisiellos Oper La molinara (1788) variiert<br />

haben:<br />

Mich fliehen alle Freuden<br />

Ich sterb vor Ungeduld<br />

An allen m<strong>eine</strong>n Leiden<br />

Ist nur die Liebe schuld<br />

Es quält und plagt mich <strong>im</strong>merhin<br />

Ich weiß vor Angst nicht mehr wohin<br />

Wer hätte das gedacht?<br />

Die Liebe, ach, die Liebe<br />

hat mich soweit gebracht<br />

Ich weiß wohl was mir fehlet<br />

Ich sterbe fast vor Leid<br />

Was mich am Herzen quälet<br />

Ist d<strong>eine</strong> Sprödigkeit<br />

Du drehst dich nach dem Winde<br />

Tust wie ein Wetterhahn<br />

Drum komm mein Kind, geschwinde<br />

Die Liebe, ach, die Liebe<br />

Die Lieb ist schuld daran<br />

Da nicht überliefert ist, ob Höl<strong>der</strong>lin Paisiellos<br />

Duett spielte (hier in <strong>eine</strong>r Aufnahme mit Elisabeth<br />

Verlooy und Fritz Wun<strong>der</strong>lich mit freundlicher<br />

Genehmigung des SWR) o<strong>der</strong> Ludwig van Beethovens<br />

Sechs Variationen über das Duett „Nel cor più non<br />

mi sento“ aus <strong>der</strong> Oper „La molinara“, (hier in<br />

<strong>eine</strong>r Aufnahme von Michael Tsalka mit freundlicher<br />

Genehmigung von Brillant Classics) haben wir<br />

beides auf Schallplatte gebrannt.


SH13<br />

69


Höl<strong>der</strong>lin<br />

71<br />

H 14<br />

2<br />

Lebenselodie


Stundenlang soll Höl<strong>der</strong>lin <strong>im</strong> Turm auf dem Klavier<br />

das Liebesduett „Nel cor più non mi sento“ aus<br />

Giovanni Paisiellos Oper La molinara (1788) variiert<br />

haben:<br />

Mich fliehen alle Freuden<br />

Ich sterb vor Ungeduld<br />

An allen m<strong>eine</strong>n Leiden<br />

Ist nur die Liebe schuld<br />

Es quält und plagt mich <strong>im</strong>merhin<br />

Ich weiß vor Angst nicht mehr wohin<br />

Wer hätte das gedacht?<br />

Die Liebe, ach, die Liebe<br />

hat mich soweit gebracht<br />

Ich weiß wohl was mir fehlet<br />

Ich sterbe fast vor Leid<br />

Was mich am Herzen quälet<br />

Ist d<strong>eine</strong> Sprödigkeit<br />

Du drehst dich nach dem Winde<br />

Tust wie ein Wetterhahn<br />

Drum komm mein Kind, geschwinde<br />

Die Liebe, ach, die Liebe<br />

Die Lieb ist schuld daran<br />

Da nicht überliefert ist, ob Höl<strong>der</strong>lin Paisiellos<br />

Duett spielte (hier in <strong>eine</strong>r Aufnahme mit Elisabeth<br />

Verlooy und Fritz Wun<strong>der</strong>lich mit freundlicher<br />

Genehmigung des SWR) o<strong>der</strong> Ludwig van Beethovens<br />

Sechs Variationen über das Duett „Nel cor più non<br />

mi sento“ aus <strong>der</strong> Oper „La molinara“, (hier in<br />

<strong>eine</strong>r Aufnahme von Michael Tsalka mit freundlicher<br />

Genehmigung von Brillant Classics) haben wir<br />

beides auf Schallplatte gebrannt.


SH14<br />

73


Höl<strong>der</strong>lin<br />

1<br />

75<br />

H 15<br />

ichtchrif


In s<strong>eine</strong>r Geburtsstadt Lauffen hat Höl<strong>der</strong>lin wahrscheinlich<br />

in zwei Fensterscheiben Verse geritzt – als<br />

Neunjähriger Verse des Schriftstellers Ludwig Hölty<br />

(„Wer wolte sich mit Grillen plagen, / Solange Lenz<br />

und Jugend blühn, / Wer wolt in s<strong>eine</strong>n Blüthen Tagen /<br />

Die Stirn in düstre Falten ziehn?“), die er dann<br />

später kommentierte:<br />

(Abb. 1940er-Jahre, Dietrich E. Sattler,<br />

die Fensterscheiben sind nach Kriegsende<br />

1945 verloren gegangenen).<br />

Wo, wo seyd Ihr?<br />

Seyd Ihr ganz verschwunden?<br />

Euch, euch sucht mein thränenvoller Blick,<br />

Süße, unaussprechlich süße Stunden,<br />

Kehrt, o kehret doch zu mir zurück.


SH15<br />

77


Höl<strong>der</strong>lin<br />

79<br />

2H 16<br />

ichtchrif


Höl<strong>der</strong>lin hat wie<strong>der</strong>holt mit Schrifterscheinungen<br />

gespielt: Im ,Homburger Folioheft‘ hat er die Verse<br />

„Und <strong>der</strong> H<strong>im</strong>mel wird wie <strong>eine</strong>s Mahlers Haus / Wenn<br />

s<strong>eine</strong> Gemählde sind aufgestellet“ mit <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> ohne<br />

Tinte ins Papier geritzt (Abb.: „Stadt Bad Homburg<br />

v.d.Höhe, Depositum <strong>der</strong> Württembergischen Landesbibliothek,<br />

Höl<strong>der</strong>lin-Archiv, Homburger Folioheft,<br />

Homburg F., Blatt 40).


SH16<br />

81


Buchannahme-<br />

Höl<strong>der</strong>lin<br />

H 17<br />

verweigerung<br />

83


Es ist <strong>eine</strong> Behauptung <strong>der</strong> Menschen, daß Vortrefflichkeit<br />

des innern Menschen <strong>eine</strong> interessante Behauptung wäre.<br />

Es ist <strong>der</strong> Überzeugung gemäß, daß Geistigkeit menschlicher<br />

Innerheit <strong>der</strong> Einrichtung <strong>der</strong> Welt tauglich wäre.<br />

Scardanelli.<br />

Als Christoph Schwab <strong>im</strong> Februar 1841 Höl<strong>der</strong>lin<br />

ein Exemplar <strong>der</strong> ersten Ausgabe s<strong>eine</strong>r Gedichte<br />

(1826 von Gustav Schwab und Ludwig Uhland<br />

herausgegeben) schenken will, gibt dieser das<br />

Geschenk zwei Mal zurück – und schreibt hinter<br />

ein Gedicht und vorne <strong>eine</strong>n Spruch hinein.<br />

Überzeugung<br />

Als wie <strong>der</strong> Tag die Menschen hell umsch<strong>eine</strong>t,<br />

Und mit dem Lichte, das den Höh’n entspringet,<br />

Die dämmernden Erscheinungen ver<strong>eine</strong>t,<br />

Ist Wissen, welches tief <strong>der</strong> Geistigkeit gelinget.


SH17<br />

85


Höl<strong>der</strong>lin<br />

87<br />

H 18<br />

öl<strong>der</strong>lin<br />

deal


Der 22-jährige Höl<strong>der</strong>lin schenkte das von s<strong>eine</strong>m Freund Franz Carl Hiemer<br />

gemalte Pastell <strong>im</strong> Oktober 1792 s<strong>eine</strong>r Schwester Heinrike als Hochzeitsgeschenk.<br />

Ihr Urteil über das ihr „liebe“ Bild: Es fehle „viel zur Aehnlichkeit“.<br />

Dennoch wurde Hiemers Porträt <strong>im</strong> 20. Jahrhun<strong>der</strong>t zum Höl<strong>der</strong>lin-Bild schlechthin.


SH18<br />

89


Impressum<br />

Ausgewählt haben die Umzugsstücke<br />

Julia Schnei<strong>der</strong>,<br />

Verena Staack und Heike<br />

Gfrereis, die sie auch<br />

kommentiert und zusammen<br />

mit Diethard Keppler und<br />

Andreas Jung <strong>im</strong> Raum angeordnet<br />

und gestalterisch<br />

gefasst hat. Die Exponatfotografien<br />

stammen von Chris<br />

Korner und Jens Tremmel,<br />

die restauratorische Betreuung<br />

oblag Enke Huhsmann,<br />

Susanne Bœhme und Anaïs Ott,<br />

die Redaktion und Organisation<br />

Vera Hildenbrandt,<br />

Dietmar Jaegle, Lea Kaiser,<br />

Martin Kuhn, Tamara Meyer<br />

und Janina Schindler.<br />

Die Aussttellung „Schiller,<br />

Höl<strong>der</strong>lin, Kerner, Mörike“<br />

wurde <strong>im</strong> Februar 2020 <strong>im</strong><br />

<strong>Literaturmuseum</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne<br />

eröffnet und ist dort bis<br />

zur Wie<strong>der</strong>eröffnung des<br />

Schillers-Nationalmuseums<br />

Anfang 2023 zu sehen.<br />

Gestaltung und<br />

Ausstellungsfotografie<br />

dieser Publikation:<br />

Diethard Keppler und<br />

Andreas Jung<br />

Text:<br />

Heike Gfrereis<br />

© 2020 Deutsches<br />

Literaturarchiv Marbach

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