28ZOOmHardcoreim HerzenEin Blick in die Vergangenheit mit Dolf HermannstädterDer Augsburger Dolf Hermannstädter ist einechter Hardcore- und Punk-Pionier. Er traf vieleder angesagtesten Bands auf ihren Europatouren,reiste schon früh in die USA und ist seit 35 JahrenHerausgeber des Fanzines „Trust“. Seit 1998 lebtder 55-Jährige in Bremen.Von Walter Sianos.Foto: Markus Krapf
ZOOm29Dolf, wo fangen wirdenn bei dir an?Oder anders gefragt:Was war dein erstesprägendes Musikereignis?Ich glaube, es war1982 am Friedberger Baggersee,dort fand ein Open-Air u. a. mit den AugsburgerPunk-Bands Stalinorgelund Ameisensäure statt. Abermeine allererste Berührungmit Punk etwas früher in derR1, der heutigen Bert-Brecht-Realschule. Wir durften damalszum Musikunterricht eineSchallplatte mitbringen und dalief dann auch ein Song von denSex Pistols. Ich konnte die Musikgar nicht richtig einordnen, abersie hatte eine unheimliche Strahlkraftauf mich. Ich kann mich nocherinnern, dass ich ziemlich sauer war,als die Stunde vorbei war und ich meine Platte nicht mehr vorspielen konnte.Was hattest du im Gepäck?Den Soundtrack von der Rocky Horror Picture Show. Am Kö hingenauch schon die ersten Punks ab und die sahen auch so aus, wie man es vonder Bravo kannte. Das hat mich fasziniert, aber die wirkten so gefährlich, dassich mich gar nicht hingetraut habe (lacht). An meine erste Berührung miteinem Fanzine kann ich mich allerdings noch sehr gut erinnern, die war imGovi-Schallplattenladen in der Welserpassage. Im Regal lagen verschiedeneZeitschriften aus, eine davon hatte ein wildes Artwork und sah eher wie eineSchülerzeitung aus. Das Cover hat mich angesprochen, beim ersten Reinlesenlas ich „Fucking Bullshit!“ Das fand ich so cool, dass ich sie mir gekauft habe.Es war das „Antz”, ein Augsburger Punk-Fanzine und von da an gab es für michkein Halten mehr. Sehr prägend war später dann auch meine Freundschaft mitder Augsburger Punkband Inferno.Da sind wir schon beim Thema. „Er hing sowieso immer mit uns rum,konnte weder singen noch ein Instrument spielen, also musste er ebendie Organisation übernehmen”, hat Inferno-Gitarrist Archie mal überdich gesagt...Genau so war es. Wir haben zusammen Bier getrunken, sind auf Konzertegefahren und nach und nach habe ich die organisatorischen Aufgaben übernommenund wurde deren Manager.Inferno waren über Jahre die bekannteste und erfolgreichste Punk-Bandaus Augsburg. In einem Interview haben sie mal gesagt, dass sie selbergar nicht wussten, ob sie nun Punk oder Hardcore spielen. Hauptsacheschnell. Wann haben sich Punk und Hardcore gesplittet?Punk war Anfang der 80er Jahre für mich oft zu verdrogt, versoffen,destruktiv und aggressiv. Es war ein gewalttätiger Mist mit guten Wurzeln. DieHardcore-Bewegung hatte dieselben Roots, aber hier wurde der ganze negativeScheiß umgewandelt. So hat sich der europäische Hardcore in eine positive,aufklärerische und politische Bewegung entwickelt, die noch dazu Power hatteund viel Spaß machte.Was waren damals deine Hotspots in Augsburg?Die Punkszene traf sich im Juze in Kriegshaber. Manchmal gingen wirauch ins Ice, aber das war mir etwas zu discomäßig und auch zu teuer. Späterhat sich der Siedlerhof im Bärenkeller zum Treffpunkt entwickelt. Der Ladenwar alternativ, die Preise waren fair.Was war Punk für dich? Lebensgefühl oder Widerstandsform? Oderbeides?Es war erst einmal eine Art Selbstfindung. Und es war schon deshalb geil,weil es die Eltern und viele andere nicht gut fanden. Durch Punk habe ichmeinen Teenager-Freundeskreis verloren, weil er meinen Weg nicht mitgegangenist. Ich bin mit Punk sozusagen aus den Kinderschuhen herausgewachsenund habe quasi noch mal einmal bei Null anfangen.Die 80er und 90er Jahre waren auch in Augsburg geprägt von Jugendbewegungen.Von Punks, Skinheads, Rockabillies, Mods und Poppern bishin zu New Romantics war so ziemlich alles vertreten. Warum gibt esheute die klassischen Jugendbewegungen kaum noch?Das ist eine gute Frage, die man bestimmt universitär behandeln müsste,wenn es nicht schon gemacht wird. Du hast Recht, das ist auch meine Wahrnehmung,die klassischen Jugendbewegungen gibt es gar nicht mehr, was wohlprimär mit der Digitalisierung und den sozialen Netzwerken zusammenhängt.Dein Managerjob bei Inferno war der erste Schritt. Im Laufe der Jahrehast du dann so ziemlich die komplette Crème de la Crème der US-Bands kennengelernt. Das war sicher eine spannende Zeit.Absolut spannend! Mit Inferno habe ich begonnen, Netzwerke zuknüpfen und zwar nicht nur bundesweit, sondern in Europa, den USA und imRest der Welt. Meine Hauptantriebsfeder war es immer, neue und interessanteMenschen kennenzulernen. Im Laufe der Jahre sind viele Brieffreundschaftenund Bekanntschaften entstanden und das Trust-Magazin hat die Kontakte dannnatürlich noch unheimlich beschleunigt.Auf das Trust kommen wir gleich noch zu sprechen. Du hattest das Vergnügen,u. a. Größen wie Fugazi, No Means No, At The Drive In, VictimsFamily, Chumbawamba oder Alice Donut kennenzulernen.Europa war in den 80ern und 90ern nicht so, wie man es heute kennt. DerKontinent war durchzogen von Grenzen, bei jedem Übergang musste manseinen Pass vorzeigen, jedes Land hatte eine andere Währung und man musste„Punk war in den 80ern eingewalttätiger Mist mit guten Wurzeln.“mit mehreren Geldbörsen reisen. Und da war dann noch der Eiserne Vorhang,wenn man nach Berlin wollte, musste man die Transitstrecke durch die DDRnehmen. Reisen nach Polen und weiter in den Osten waren echte Abenteuer,heute ist Europa dagegen ein Traum.Wenn man mit Bands reist, erlebt man Dinge, die man in keinem Reisebürobuchen kann.Absolut, alleine was an den Grenzübergängen erlebt wurde, war sowasvon skurril. Vom kompletten Entladen des Busses bis hin zum Ausziehen mitBlick in alle Körperöffnungen ... Manchmal ging es nur weiter, wenn man dieGrenzer mit einer Stange Marlboro und einer Pulle Jack Daniels vom DutyFree Shop bestochen hat. Das war eben eine ganz andere Art des Reisens, manhat einen ganz anderen Zugang und bekommt auch einen anderen Blick aufdie jeweilige Gesellschaft.Gibt es einen weißen Fleck auf deiner Europakarte?Seltsamerweise Portugal. Ansonsten glaube ich, war ich so ziemlich überallim damaligen Europa und 1986 auch erstmals in den USA. Zuerst in New