Neue Szene Augsburg 2020-12
Stadtmagazin für Augsburg
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Raphael Brandmiller (40) ist schon seit seiner Jugend politisch aktiv und war lange Jahre Vorsitzender des
Augsburger Stadtjugendrings. Von der SPD wechselte er 2011 zu den Grünen. Bei den Kommunalwahlen im März
hat es der Geschäftsführer der Augsburger Lehmbaugruppe dann aber nicht als Kandidat der Grünen, sondern
über einen ungewöhnlichen Weg in den Stadtrat geschafft. Als Frontman des Vereins Generation AUX
wurde er in das Gremium gewählt und bildet nun zusammen mit den Grünen eine Fraktionsgemeinschaft.
Von Markus Krapf
Raphael, ich gratuliere zur Wahl in den Stadtrat
und auch zur Fraktionsgemeinschaft mit
den Grünen. Bist du dadurch eigentlich Teil
der Augsburger Stadtregierung?
Dankeschön. Nein, Teil der Stadtregierung bin
ich nicht, die besteht aus der Oberbürgermeisterin
und den Referenten. Aber ich werde zur Regierungskoalition
gezählt. Diese hat 36 Stimmen: die
der Oberbürgermeisterin, 20 Stadträte der CSU,
14 von den Grünen und eben ich von Generation
AUX.
Nach wie vor bist du auch Mitglied bei den
Grünen, feierst dort in Kürze dein zehnjähriges
Jubiläum. Wäre es als Grüner Kandidat
nicht einfacher gewesen, in den Stadtrat
gewählt zu werden?
Vielleicht, das war aber überhaupt nicht
meine Idee. Noch ein Jahr vor der Kommunalwahl
war meine Intention in keinster Weise, überhaupt
als Stadtratskandidat anzutreten.
Was war denn die Idee?
Das heutige Parteiensystem ist nach dem 2.
Weltkrieg entstanden. Damals war das Leben noch
anders organisiert. Die Menschen haben sich in
ihrer Freizeit viel mehr institutionell engagiert,
was so heute immer weniger stattfindet. Schon
vor 20 Jahren hat die Shell Studie festgestellt,
dass unsere und nachfolgende Generationen
zwar sehr engagiert sind, diese Engagements aber
meist projekt- oder themenbezogen und wenig
institutionell sind. Die Folge ist, dass sich immer
weniger Menschen innerhalb der Institutionen
wie beispielsweise Parteien engagieren. Dadurch
funktioniert die Idee der repräsentativen Demokratie
immer weniger. Viele gehen nicht mehr
zum Wählen, weil sie sich nicht mehr repräsentiert
fühlen. Das ist eine gefährliche Spirale und der
wollten wir gegensteuern.
Also hast du mit deinen Mitstreitern ziemlich
kurz vor den Kommunalwahlen den Verein
Generation AUX gegründet.
Die Idee entstand an einem schönen Abend
in einer Bar. Und daraus wurde ein Projekt, bei
dem Leute, die ursprünglich nichts mit Politik am
Hut hatten, sich aber bereits in anderen Feldern
engagiert haben, auch politisch Verantwortung
übernehmen wollten. Die Frage war, ob wir
es schaffen, indem wir zum Beispiel konkrete
Projekte statt abstrakter Programme formulieren,
Wähler anzusprechen und dann als Verein in eine
politische Rolle zu schlüpfen. Und ich glaube, das
ist gelungen. Unser kurzer, intensiver Wahlkampf
ist ja auch anders gelaufen, als man das bisher
kannte und nun arbeiten wir daran, diese neue
politische Rolle auch in den institutionellen
Gremien auszufüllen.
Wie könnte man die Idee der Generation AUX
in wenigen Sätzen zusammenfassen?
Uns geht es darum, dass Politik kein abgeschlossener
Raum ist, in dem sich nur verhältnismäßig
wenige Menschen engagieren, die dann die
Regeln für alle machen, während die meisten nur
danebenstehen und zusehen. Uns war es wichtig,
Menschen für ein politisches Engagement zu
gewinnen, die sich das vielleicht selbst gar nicht
vorstellen konnten, um so politischen Prozessen
wieder eine breitere Basis zu geben.
Zumindest du hast es so geschaff, Stadtrat zu
werden. Allerdings beschäftigst du dich anders
als viele deiner Kollegen von Generation AUX
auch schon sehr lange mit der Politik.
Das ist richtig. Ich bin schon im Jahr 2000
in die SPD eingetreten, 2011 erfolgte dann der
Wechsel zu den Grünen. Mir war es schon immer
wichtig, nicht nur andere darüber entscheiden zu
lassen, wie wir alle leben, sondern selbst mitzuarbeiten
und mitzuentscheiden. Ich finde übrigens,
dass Politik oft total unterschätzt wird, denn alles
was unser Leben bestimmt, wird letztlich politisch
entschieden. Trotzdem fühlen sich die meisten
Menschen hier quasi nicht zuständig.
Was läuft falsch innerhalb unseres bestehenden
Systems?
Es gibt viele Menschen, die Ideen haben und
sich auch gerne politisch engagieren würden, die
es aber aufgrund ihrer Lebensumstände im Alltag
zeitlich nicht schaffen, in Sitzungen und Gremien
zu gehen, in denen manchmal auch erst einmal
nur viel Papier produziert wird, bevor die Dinge
dann umgesetzt werden. Vielen fehlt einfach die
Zeit, das aktuelle politische System zu durchlaufen
und diejenigen gehen verloren. Das ist schade.
In eurem Verein haben tatsächlich viele Persönlichkeiten
mit beruflichem Erfolg zusammengefunden.
Habt ihr keine Probleme, euch
nach der anfänglichen Begeisterung die für
politische Arbeit nötige Zeit freizuschaufeln?
Doch, das kann man auch gar nicht wegdiskutieren.
Am Anfang stand das Projekt, das erst
einmal jeder geil fand. Dann kam der Wahlkampf
mit all seinen Ups und Downs. Du stehst beispielsweise
im Januar auf der Straße, um Unterschriften
zu sammeln und das ist tatsächlich nur bedingt
spaßig. Neben den normalen Jobs ist es schwierig
und das ist sicher auch eine Achillessehne der
Generation AUX. Wir werden dieses Projekt trotzdem
fortführen und weiterentwickeln.
„Politik ist für mich in erster
Linie ein Engagementthema,
nicht ein Berufsthema.“
Was unterscheidet euch sonst konkret von den
Parteien?
Ein Unterschied ist, dass sich Leute mit Ideen
oder Projektvorschlägen bei uns schnell und ohne
große Hierarchie engagieren können. Auch dass
wir bewusst ohne Programm, dafür mit konkreten
Projekten in den Wahlkampf gegangen sind, war
anders. Ebenfalls die Art, wie wir Wahlkampf
geführt haben, wir haben zum Beispiel nie jemanden
gebasht oder kritisiert. Das werden wir auch
so beibehalten, das ist uns extrem wichtig. Lieber
investieren wir unsere Energie in positive Impulse,
Ideen, Projekte und deren Umsetzung.
Wie zum Beispiel beim Thema „Superblock”?
Das ist eines der Projekte. Wir sagen nicht, die
Autos müssen aus der Innenstadt raus, obwohl wir
das vielleicht gut fänden, weil das, wenn man ganz
ehrlich ist, nicht so schnell umsetzbar ist. Was nützen
Ideologien oder utopische Ziele, die zwar gut
klingen, aber nicht erreichbar sind. Es geht viel mehr