25.11.2020 Aufrufe

MinD-Mag 139

Die Dezember-Ausgabe der offiziellen Zeitschrift von Mensa in Deutschland e.V.

Die Dezember-Ausgabe der offiziellen Zeitschrift von Mensa in Deutschland e.V.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

STREIFZÜGE DURCH DIE BEGABUNGSFORSCHUNG<br />

in der ersten Jahreshälfte Geborenen<br />

gegenüber denen, deren<br />

Geburtstag in der zweiten Hälfte<br />

des Jahres lag. In der Veteranenstichprobe<br />

fiel dieser Vergleich<br />

zugunsten der später im<br />

Jahr Geborenen aus – in der Jugendstudie<br />

war er jedoch leider<br />

gegenläufig.<br />

Was wir aus dieser und ähnlichen<br />

Untersuchungen aber auf<br />

jeden Fall mitnehmen können,<br />

ist, dass wir uns wissenschaftlichen<br />

Fragen vorurteilsfrei annähern<br />

sollten. Selbst Themen wie<br />

Astrologie, die hochgebildete<br />

Menschen möglicherweise eher<br />

mit spitzen Fingern anfassen,<br />

sind einer empirischen Überprüfung<br />

zugänglich. Und genau<br />

das ist nötig, um solide Daten<br />

zu gewinnen, die man den Vorurteilen<br />

und dem Aberglauben<br />

entgegenhalten kann.<br />

Alternative Erklärungen sollten<br />

dabei stets erwogen und<br />

bestmöglich ausgeschlossen<br />

werden. Die Jahreszeit, in die<br />

die Geburt fällt, hatten wir als<br />

ein Beispiel oben schon kennengelernt.<br />

Zahlreiche weitere Fehlerquellen<br />

lassen sich durch repräsentative<br />

Stichproben reduzieren<br />

oder sogar ausschließen.<br />

Viele der früheren Studien, die<br />

(oft nicht einmal besonders starke)<br />

Belege für den Einfluss des<br />

Sternzeichens auf die menschliche<br />

Intelligenz und Persönlichkeit<br />

fanden, basierten beispielsweise<br />

auf selektiven Stichproben<br />

– etwa Personen, die sich<br />

mit dem Thema Astrologie beschäftigen<br />

und möglicherweise<br />

auch eher an entsprechenden<br />

Studien teilnehmen. (Darin<br />

sind sie der frühen Hochbegabtenforschung<br />

der 1980er Jahre<br />

nicht unähnlich, die ihre Studienteilnehmerinnen<br />

und -teilnehmer<br />

bekanntlich häufig aus<br />

Beratungsstellen und Hochbegabtenvereinen<br />

bezog und dadurch<br />

falsche Schlüsse zog, wie<br />

Hochbegabte so sind.)<br />

Warum glauben<br />

Menschen trotzdem<br />

an Astrologie?<br />

In Anbetracht der recht dünnen<br />

Evidenz erstaunt es doch, wie<br />

viele Menschen an die Macht<br />

der Sterne glauben. Woran liegt<br />

das? Bequemlichkeit ist möglicherweise<br />

in mehrfacher Hinsicht<br />

ein Grund: Zum einen bietet<br />

das Sternzeichen eine wunderbar<br />

komplexitätsreduzierte<br />

Erklärung – schuld an aller Unbill<br />

ist das Geburtsdatum!<br />

Wie sollen die sensiblen Fische<br />

bitteschön die Dominanz<br />

eines Löwen entwickeln (und<br />

umgekehrt)? Hinzu kommt,<br />

dass der Glaube an geheimnisvolle<br />

Mächte, die wir nicht beeinflussen<br />

können, uns von der<br />

Verantwortung für unser eigenes<br />

Leben entbindet.<br />

Wenn etwas so Großes und<br />

Ewiges wie die Sterne mein<br />

Schicksal bestimmt – wer bin<br />

ich, mich ihnen entgegenstellen<br />

zu wollen? So lassen sich fehlende<br />

Eigeninitiative und mangelnde<br />

Änderungsmotivation komfortabel<br />

rechtfertigen.<br />

Und was speziell Horoskope<br />

betrifft, deren Diagnosen und<br />

Ratschläge ja auf den ersten<br />

Blick erstaunlich zutreffend erscheinen:<br />

Hier kommt ein Phänomen<br />

ins Spiel, das nach dem<br />

gleichnamigen Zirkus als „Barnum-Effekt“<br />

bezeichnet wird.<br />

Beim Zirkus Barnum ist für alle<br />

etwas dabei – und dasselbe gilt<br />

für Horoskope, die dank hinreichend<br />

unscharfer Formulierungen<br />

und simpler Basiswahrscheinlichkeiten<br />

allen etwas<br />

Passendes bieten.<br />

Wohl jeder Mensch profitiert<br />

davon, wenn er sich auf der Arbeit<br />

nicht stressen lässt, sich bei<br />

einem lieben Menschen meldet<br />

oder mehr Sport treibt. (Wer<br />

mag, kann ja die Probe aufs Exempel<br />

machen und sich das Horoskop<br />

eines anderen Sternzeichens<br />

zum Vergleich vornehmen.)<br />

Erfreuen kann man sich an<br />

den Himmelsphänomenen übrigens<br />

auch, ohne ihnen irgendwelche<br />

prophetischen Kräfte<br />

oder gar Macht über das eigene<br />

Schicksal zuzubilligen. Astronomisch<br />

(!) interessierten Leserinnen<br />

und Lesern lege ich<br />

auf jeden Fall den Geminiden-<br />

Meteorstrom ans Herz, der in<br />

Deutschland vom 13. auf den 14.<br />

Dezember mit bis zu 120 Sternschnuppen<br />

pro Stunde seinen<br />

Höhepunkt erreichen wird.<br />

Literatur:<br />

Hartmann, P, Reuter, M. & Nyborg,<br />

H. (2006). The relationship<br />

between date of birth and<br />

individual differences in personality<br />

and general intelligence:<br />

A large-scale study. Personality<br />

and Individual Differences, 40,<br />

1349–1362.<br />

40 | mind magazin <strong>139</strong>/dezember 2020

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!