MinD-Mag 139
Die Dezember-Ausgabe der offiziellen Zeitschrift von Mensa in Deutschland e.V.
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STREIFZÜGE DURCH DIE BEGABUNGSFORSCHUNG<br />
in der ersten Jahreshälfte Geborenen<br />
gegenüber denen, deren<br />
Geburtstag in der zweiten Hälfte<br />
des Jahres lag. In der Veteranenstichprobe<br />
fiel dieser Vergleich<br />
zugunsten der später im<br />
Jahr Geborenen aus – in der Jugendstudie<br />
war er jedoch leider<br />
gegenläufig.<br />
Was wir aus dieser und ähnlichen<br />
Untersuchungen aber auf<br />
jeden Fall mitnehmen können,<br />
ist, dass wir uns wissenschaftlichen<br />
Fragen vorurteilsfrei annähern<br />
sollten. Selbst Themen wie<br />
Astrologie, die hochgebildete<br />
Menschen möglicherweise eher<br />
mit spitzen Fingern anfassen,<br />
sind einer empirischen Überprüfung<br />
zugänglich. Und genau<br />
das ist nötig, um solide Daten<br />
zu gewinnen, die man den Vorurteilen<br />
und dem Aberglauben<br />
entgegenhalten kann.<br />
Alternative Erklärungen sollten<br />
dabei stets erwogen und<br />
bestmöglich ausgeschlossen<br />
werden. Die Jahreszeit, in die<br />
die Geburt fällt, hatten wir als<br />
ein Beispiel oben schon kennengelernt.<br />
Zahlreiche weitere Fehlerquellen<br />
lassen sich durch repräsentative<br />
Stichproben reduzieren<br />
oder sogar ausschließen.<br />
Viele der früheren Studien, die<br />
(oft nicht einmal besonders starke)<br />
Belege für den Einfluss des<br />
Sternzeichens auf die menschliche<br />
Intelligenz und Persönlichkeit<br />
fanden, basierten beispielsweise<br />
auf selektiven Stichproben<br />
– etwa Personen, die sich<br />
mit dem Thema Astrologie beschäftigen<br />
und möglicherweise<br />
auch eher an entsprechenden<br />
Studien teilnehmen. (Darin<br />
sind sie der frühen Hochbegabtenforschung<br />
der 1980er Jahre<br />
nicht unähnlich, die ihre Studienteilnehmerinnen<br />
und -teilnehmer<br />
bekanntlich häufig aus<br />
Beratungsstellen und Hochbegabtenvereinen<br />
bezog und dadurch<br />
falsche Schlüsse zog, wie<br />
Hochbegabte so sind.)<br />
Warum glauben<br />
Menschen trotzdem<br />
an Astrologie?<br />
In Anbetracht der recht dünnen<br />
Evidenz erstaunt es doch, wie<br />
viele Menschen an die Macht<br />
der Sterne glauben. Woran liegt<br />
das? Bequemlichkeit ist möglicherweise<br />
in mehrfacher Hinsicht<br />
ein Grund: Zum einen bietet<br />
das Sternzeichen eine wunderbar<br />
komplexitätsreduzierte<br />
Erklärung – schuld an aller Unbill<br />
ist das Geburtsdatum!<br />
Wie sollen die sensiblen Fische<br />
bitteschön die Dominanz<br />
eines Löwen entwickeln (und<br />
umgekehrt)? Hinzu kommt,<br />
dass der Glaube an geheimnisvolle<br />
Mächte, die wir nicht beeinflussen<br />
können, uns von der<br />
Verantwortung für unser eigenes<br />
Leben entbindet.<br />
Wenn etwas so Großes und<br />
Ewiges wie die Sterne mein<br />
Schicksal bestimmt – wer bin<br />
ich, mich ihnen entgegenstellen<br />
zu wollen? So lassen sich fehlende<br />
Eigeninitiative und mangelnde<br />
Änderungsmotivation komfortabel<br />
rechtfertigen.<br />
Und was speziell Horoskope<br />
betrifft, deren Diagnosen und<br />
Ratschläge ja auf den ersten<br />
Blick erstaunlich zutreffend erscheinen:<br />
Hier kommt ein Phänomen<br />
ins Spiel, das nach dem<br />
gleichnamigen Zirkus als „Barnum-Effekt“<br />
bezeichnet wird.<br />
Beim Zirkus Barnum ist für alle<br />
etwas dabei – und dasselbe gilt<br />
für Horoskope, die dank hinreichend<br />
unscharfer Formulierungen<br />
und simpler Basiswahrscheinlichkeiten<br />
allen etwas<br />
Passendes bieten.<br />
Wohl jeder Mensch profitiert<br />
davon, wenn er sich auf der Arbeit<br />
nicht stressen lässt, sich bei<br />
einem lieben Menschen meldet<br />
oder mehr Sport treibt. (Wer<br />
mag, kann ja die Probe aufs Exempel<br />
machen und sich das Horoskop<br />
eines anderen Sternzeichens<br />
zum Vergleich vornehmen.)<br />
Erfreuen kann man sich an<br />
den Himmelsphänomenen übrigens<br />
auch, ohne ihnen irgendwelche<br />
prophetischen Kräfte<br />
oder gar Macht über das eigene<br />
Schicksal zuzubilligen. Astronomisch<br />
(!) interessierten Leserinnen<br />
und Lesern lege ich<br />
auf jeden Fall den Geminiden-<br />
Meteorstrom ans Herz, der in<br />
Deutschland vom 13. auf den 14.<br />
Dezember mit bis zu 120 Sternschnuppen<br />
pro Stunde seinen<br />
Höhepunkt erreichen wird.<br />
Literatur:<br />
Hartmann, P, Reuter, M. & Nyborg,<br />
H. (2006). The relationship<br />
between date of birth and<br />
individual differences in personality<br />
and general intelligence:<br />
A large-scale study. Personality<br />
and Individual Differences, 40,<br />
1349–1362.<br />
40 | mind magazin <strong>139</strong>/dezember 2020