MinD-Mag 139

Die Dezember-Ausgabe der offiziellen Zeitschrift von Mensa in Deutschland e.V. Die Dezember-Ausgabe der offiziellen Zeitschrift von Mensa in Deutschland e.V.

25.11.2020 Aufrufe

STREIFZÜGE DURCH DIE BEGABUNGSFORSCHUNG Illustration: Pablo Elices, pixabay TANJA GABRIELE BAUDSON Astrologie und Intelligenz Erstaunlich viele Menschen glauben an die Macht der Sterne. Weihnachten rückt näher – und wenn auch dieses Jahr einiges anders sein wird als sonst, die Weihnachtsgeschichte wird in vielen Familien eine Konstante bleiben. Jesu Geburt fällt, so das Evangelium, mit einem Himmelsereignis zusammen, das so außergewöhnlich ist, dass es selbst über tausend Kilometer entfernt die Aufmerksamkeit von Sterndeutern auf sich zieht, die sich alsdann auf den Weg zu dem neugeborenen König machen. O b es sich dabei um Astronomen oder Astrologen handelte – so scharf war die Abgrenzung damals noch nicht. Heute hingegen sind die Kompetenzgebiete zwischen der Astronomie als der wissenschaftlichen Sternkunde und der Astrologie, die die Zusammenhänge zwischen den Gestirnen und dem Leben auf der Erde deutet, klar aufgeteilt: Ersteres ist eindeutig den Naturwissenschaften zugeordnet, während zweiteres bislang noch keiner methodisch sauberen empirischen Überprüfung standhalten konnte. Ein verbreiteter Aberglaube Nichtsdestotrotz übt die Astrologie bis heute eine große Faszination aus. Jede Frauenzeitschrift, die auf sich hält, und natürlich auch der Kaminfeueranzünder aus dem Hause Springer bieten der Leserschaft ein Horoskop, und selbst, wer für Esoterik so gar nichts übrig hat, kennt hierzulande in der Regel sein Sternzeichen (zumindest nach der westlichen Einteilung in die zwölf Tierkreiszeichen). Auch sind erstaunlich vielen Menschen die einschlägigen Charaktereigenschaften bekannt, die den verschiedenen Sternzeichen zugeschrieben werden. Sinnlich, aber dickköpfig? Klar, ein Stier! Ordentlich und ein bisschen penibel? Typisch Jungfrau! Auch darüber, welche Sternzeichen zusammenpassen und welche nicht, sind sich einschlägige Internetseiten übrigens recht einig – die mittlerweile zwölf Jahre, die die Autorin mit ihrem astrologisch so gar nicht zu ihr passenden Lebensgefährten alles in allem doch sehr glücklich verlebt hat, müssen wohl ein Messfehler sein. Empirie: das Gegenmittel Das Ganze als „Blödsinn“ vom Tisch zu wischen, wäre vermutlich die einfachste Lösung, aber für wissenschaftlich interessierte Skeptikerinnen und Skeptiker doch eher unbefriedigend. Denn was spricht dagegen, sich auch einem solchen Thema empirisch anzunähern und den Blödsinn einer Realitätsprüfung zu unterziehen – so ähnlich, wie man das ja auch bei Verschwörungstheorien macht? Wenn an der Vermutung, dass das Geburtsdatum mit verschiedenen Eigenschaften zusammenhängt, tatsächlich etwas dran ist, sollte sich das in 38 | mind magazin 139/dezember 2020

den Daten zeigen. Und am besten untersucht man das natürlich an möglichst repräsentativen und großen Stichproben, um auch schwache Zusammenhänge sicher dingfest machen zu können. Nicht zuletzt sollte man bei der Untersuchung auch bedenken, dass tatsächliche Unterschiede möglicherweise ja gar nicht durch das Sternzeichen verursacht werden, sondern durch andere Variablen, die mit dem Geburtsdatum zusammenhängen. Etliche frühere Studien fanden beispielsweise, dass im Frühling oder Frühsommer geborene Kinder etwas intelligenter sind als Herbst- oder Winterbabys. Dieser Effekt ist zumindest in unseren Breitengraden durchaus plausibel – denn das Ausmaß an Stimulation, das die Kinder kurz nach der Geburt genießen, unterscheidet sich vermutlich, je nachdem, wieviel Zeit man draußen in der Natur oder drinnen in der deutlich reizärmeren Stube verbringt. (Interessanterweise findet sich der Effekt in Studien etwa ab Mitte der 1990er-Jahre nicht mehr, wobei die Gründe nicht ganz klar sind. Behalten wir das im Hinblick auf den Klimawandel vielleicht mal im Auge.) Je besser die Stichprobe, desto verlässlicher der Befund Eine Metaanalyse, die verschiedene Studien zum Zusammenhang zwischen Sternzeichen und Intelligenz systematisch zusammenfassen würde, gibt es bislang noch nicht. Die wohl umfangreichste Einzelstudie stammt aus dem Jahr 2006 – hier untersuchten Hartmann und Kollegen Archivdaten aus zwei Stichproben, der „Vietnam Experience Study“, einer Vietnam-Veteranenstudie (gut 4.300 Männer) und der „National Longitudinal Survey of Youth“, einer US-amerikanischen Längsschnittbefragung junger Menschen, die im Jahr 1979 zwischen 15 und 24 Jahre alt waren (jeweils etwa 5.700 weibliche und männliche Befragte). Die allgemeine kognitive Fähigkeit wurde in beiden Stichproben aus einer Reihe kognitiver Tests extrahiert – bekanntlich hängen Tests der kognitiven Fähigkeiten ja alle statistisch miteinander zusammen, sodass man einen „Generalfaktor“ (oder „g-Faktor“) der allgemeinen Intelligenz daraus ermitteln kann. Dieser g-Faktor wurde nun zu den Geburtsdaten in Beziehung gesetzt. (Ein Wermutstropfen ist, dass die Autoren aus Platzgründen die Ergebnisse nur in Bezug auf den Geburtsmonat beziehungsweise das erste und zweite Halbjahr und nicht auf das Sternzeichen berichten – wenn man sich anschaut, wie groß die Bandbreite der Intelligenzwerte innerhalb jedes Geburtsmonats ist, Illustration: Gordon Johnson, pixabay ist zwar durchaus zu vermuten, dass die Resultate nicht großartig anders ausfallen würden, wenn man sich am Sternzeichen orientieren würde, aber ein bisschen schade ist es doch.) Die interessanten (Nicht-)Ergebnisse Was kam nun heraus? Platt gesagt: nicht viel. Trotz kleiner Schwankungen in den Durchschnittswerten über die Geburtsmonate hinweg waren diese Unterschiede insgesamt zu gering (und die Schwankungen der IQ-Werte innerhalb jedes Geburtsmonats zu stark), um statistisch bedeutsam zu sein. Aber in diesem Fall ist ein solcher „Nichteffekt“ sogar interessant, eben weil er die astrologische Vermutung widerlegt, dass die Intelligenz vom Geburtszeitpunkt abhinge. Einzig ein statistisch bedeutsamer Unterschied konnte nachgewiesen werden: nämlich zwischen den mind magazin 139/dezember 2020 | 39

STREIFZÜGE DURCH DIE BEGABUNGSFORSCHUNG<br />

Illustration: Pablo Elices, pixabay<br />

TANJA GABRIELE BAUDSON<br />

Astrologie und Intelligenz<br />

Erstaunlich viele Menschen glauben<br />

an die Macht der Sterne.<br />

Weihnachten rückt näher – und wenn auch dieses Jahr einiges anders sein wird als sonst,<br />

die Weihnachtsgeschichte wird in vielen Familien eine Konstante bleiben. Jesu Geburt fällt,<br />

so das Evangelium, mit einem Himmelsereignis zusammen, das so außergewöhnlich ist,<br />

dass es selbst über tausend Kilometer entfernt die Aufmerksamkeit von Sterndeutern auf<br />

sich zieht, die sich alsdann auf den Weg zu dem neugeborenen König machen.<br />

O<br />

b es sich dabei um Astronomen<br />

oder Astrologen<br />

handelte – so scharf war die Abgrenzung<br />

damals noch nicht.<br />

Heute hingegen sind die Kompetenzgebiete<br />

zwischen der<br />

Astronomie als der wissenschaftlichen<br />

Sternkunde und<br />

der Astrologie, die die Zusammenhänge<br />

zwischen den Gestirnen<br />

und dem Leben auf der Erde<br />

deutet, klar aufgeteilt: Ersteres<br />

ist eindeutig den Naturwissenschaften<br />

zugeordnet, während<br />

zweiteres bislang noch keiner<br />

methodisch sauberen empirischen<br />

Überprüfung standhalten<br />

konnte.<br />

Ein verbreiteter<br />

Aberglaube<br />

Nichtsdestotrotz übt die Astrologie<br />

bis heute eine große Faszination<br />

aus. Jede Frauenzeitschrift,<br />

die auf sich hält, und natürlich<br />

auch der Kaminfeueranzünder<br />

aus dem Hause Springer<br />

bieten der Leserschaft ein Horoskop,<br />

und selbst, wer für Esoterik<br />

so gar nichts übrig hat, kennt<br />

hierzulande in der Regel sein<br />

Sternzeichen (zumindest nach<br />

der westlichen Einteilung in die<br />

zwölf Tierkreiszeichen).<br />

Auch sind erstaunlich vielen<br />

Menschen die einschlägigen<br />

Charaktereigenschaften bekannt,<br />

die den verschiedenen<br />

Sternzeichen zugeschrieben<br />

werden.<br />

Sinnlich, aber dickköpfig?<br />

Klar, ein Stier! Ordentlich und<br />

ein bisschen penibel? Typisch<br />

Jungfrau!<br />

Auch darüber, welche Sternzeichen<br />

zusammenpassen und<br />

welche nicht, sind sich einschlägige<br />

Internetseiten übrigens<br />

recht einig – die mittlerweile<br />

zwölf Jahre, die die Autorin mit<br />

ihrem astrologisch so gar nicht<br />

zu ihr passenden Lebensgefährten<br />

alles in allem doch sehr<br />

glücklich verlebt hat, müssen<br />

wohl ein Messfehler sein.<br />

Empirie: das<br />

Gegenmittel<br />

Das Ganze als „Blödsinn“ vom<br />

Tisch zu wischen, wäre vermutlich<br />

die einfachste Lösung, aber<br />

für wissenschaftlich interessierte<br />

Skeptikerinnen und Skeptiker<br />

doch eher unbefriedigend.<br />

Denn was spricht dagegen, sich<br />

auch einem solchen Thema empirisch<br />

anzunähern und den<br />

Blödsinn einer Realitätsprüfung<br />

zu unterziehen – so ähnlich, wie<br />

man das ja auch bei Verschwörungstheorien<br />

macht?<br />

Wenn an der Vermutung, dass<br />

das Geburtsdatum mit verschiedenen<br />

Eigenschaften zusammenhängt,<br />

tatsächlich etwas<br />

dran ist, sollte sich das in<br />

38 | mind magazin <strong>139</strong>/dezember 2020

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!